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Theresa Plane ist es ihrem geliebten Großvater schuldig, den Familiennamen zu retten - sie muss alle Schulden begleichen, bevor sie den wohlhabenden Edward Greystone heiratet. Als sie zufällig in ein mitternächtliches Treffen gerät, erfährt sie, dass ihr Großvater weit mehr verbirgt als nur seine Schulden. Nach monatelanger, verdeckter Arbeit für den Secret Service steht Broderick Cosgrove kurz davor, die Identität des Anführers eines berüchtigten Geldfälscherrings aufzudecken. Doch plötzlich findet er unwiderlegbare Beweise, dass seine ehemalige Verlobte Theresa darin verwickelt ist. Broderick und Theresa müssen sich verbünden und zusammenarbeiten, aber offensichtlich haben beide Geheimnisse voreinander. Werden mangelndes Vertrauen und skrupellose Kriminelle die Oberhand gewinnen?
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Seitenzahl: 547
Veröffentlichungsjahr: 2024
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CRYSTAL CAUDILL
Ins Herz geprägt
Aus dem amerikanischen Englisch von Renate Hübsch
SCM Hänssler ist ein Imprint der SCM Verlagsgruppe,
die zur Stiftung Christliche Medien gehört, einer gemeinnützigen Stiftung,
die sich für die Förderung und Verbreitung christlicher Bücher,
Zeitschriften, Filme und Musik einsetzt.
ISBN 978-3-7751-7637-8 (E-Book)
ISBN 978-3-7751-6208-1 (lieferbare Buchausgabe)
Datenkonvertierung E-Book: Satz & Medien Wieser, Aachen
© der deutschen Ausgabe 2024
SCM Hänssler in der SCM Verlagsgruppe GmbH
Max-Eyth-Straße 41 · 71088 Holzgerlingen
Internet: www.scm-haenssler.de · E-Mail: [email protected]
Originally published in English under the title: Counterfeit Love
© 2022 by Crystal Caudill.
Originally published in the USA by Kregel Publications, a division of Kregel Inc.,
2450 Oak Industrial Dr. NE, Grand Rapids, MI 49505. Translated and printed
by permission. All rights reserved.
Die Bibelverse sind, wenn nicht anders angegeben, folgender Ausgabe entnommen:
Neues Leben. Die Bibel, © der deutschen Ausgabe 2002 und 2006 SCM R.Brockhaus
in der SCM Verlagsgruppe GmbH, Holzgerlingen
Lektorat: Cordula Orth
Übersetzung: Renate Hübsch
Umschlaggestaltung: Stephan Schulze, Stuttgart
Titelbild: Frau, Landschaft und Mann von shutterstock
Satz: Satz & Medien Wieser, Aachen
Zuerst und vor allem –
für Gott, meinen Retter Jesus,
mögest du allezeit verherrlicht werden,
und möge diese Gabe dir Freude bereiten.
Ich werde dir vertrauen, selbst wenn.
Für den Helden meines Herzens, Travis Caudill –
Alles, was ich über Helden gelernt habe, die Christus ähnlich sind, habe ich von dir gelernt. Du bist und bleibst die Inspiration für alle meine literarischen Helden. Außerdem liebe ich dich am allermeistesten. Eins, zwei, drei … gewonnen!
»Die Aufdeckung von Verbrechen, wenn sie mit der ehrlichen Absicht betrieben wird, die Umtriebe von Verbrechern zu entdecken und die Gesellschaft vor ihren Plünderungen zu schützen, indem man sie vor Gericht bringt, muss als eine ehrenhafte Berufung gelten und verdient die Anerkennung aller guten Menschen.«
Hiram C. Whitley
Leiter des Secret Service (Mai 1869 – September 1874)
Über die Autorin
Über das Buch
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Danksagung
Historische Anmerkungen
[ Zum Inhaltsverzeichnis ]
CRYSTAL CAUDILL lebt mit ihrer Familie in der Nähe von Cincinnati, Ohio. Wenn sie nicht gerade spannende historische Liebesromane schreibt, spielt sie gerne Brettspiele, trinkt Tee oder liest andere großartige Bücher.
[ Zum Inhaltsverzeichnis ]
»Du und ich, wir haben versucht, unsere Probleme selbst zu lösen. Aber das ist nicht im Sinne Gottes. Manchmal muss er uns alles nehmen, damit wir erkennen, dass wir ihn brauchen.«
Theresa Plane ist es ihrem geliebten Großvater schuldig, den Familiennamen zu retten – sie muss alle Schulden begleichen, bevor sie den wohlhabenden Edward Greystone heiratet. Als sie zufällig in ein mitternächtliches Treffen gerät, erfährt sie, dass ihr Großvater weit mehr verbirgt als nur seine Schulden.
Nach monatelanger, verdeckter Arbeit für den Secret Service steht Broderick Cosgrove kurz davor, die Identität des Anführers eines berüchtigten Geldfälscherrings aufzudecken. Doch plötzlich findet er unwiderlegbare Beweise, dass seine ehemalige Verlobte Theresa darin verwickelt ist.
Broderick und Theresa müssen sich verbünden und zusammenarbeiten, aber offensichtlich haben beide Geheimnisse voreinander. Werden mangelndes Vertrauen und skrupellose Kriminelle die Oberhand gewinnen?
[ Zum Inhaltsverzeichnis ]
31. Dezember 1883
»Warum können wir nicht früher heiraten? Ich verstehe das nicht. Die Zustimmung deines Großvaters wird doch in Cincinnati gar nicht verlangt.«
Nicht schon wieder dieses Thema. Theresa seufzte, als ihr Verlobter den Regenschirm über sie hielt, um sie vor dem nasskalten Schneeregen zu schützen, und ihr in die geschlossene Kutsche half. Sie hatte Wochen damit verbracht, ihr etliche Jahre altes Kleid mit einer größeren Tourniere und gebrauchter Spitze aufzufrischen. Konnten sie nicht einfach den Silvesterball im Bellevue House genießen und einen Abend lang so tun, als wäre die Welt in Ordnung?
»Du weißt, dass ich seinen Segen möchte.« Doch um ihren sturen Großvater davon zu überzeugen, dass Edward Greystone eine passende Partie war, würde es mehr Zeit brauchen. Viel mehr.
»Ich wüsste nicht, warum.« Die Kutsche schaukelte, als Edward sich in den engen Raum zwängte. »Der alte Griesgram gibt dir eh kaum etwas mit, geschweige denn seine Zustimmung.«
»Er ist ein guter Mann.« Welcher andere Großvater würde eine geliebte Militärkarriere opfern, um eine vierzehnjährige Enkelin aufzuziehen? »Und er ist alles, was ich noch an Familie habe. Ich brauche ihn ebenso sehr, wie er mich braucht.«
»Du bist ohne ihn besser dran.« Edward drehte sich zur Seite, um seine langen Beine auszustrecken, und beäugte Theresa mit einem durchbohrenden Blick.
»Was hast du diese Woche verpfändet, um seine Schulden zu bezahlen?«
Sie wischte eine mögliche Antwort beiseite, während die Kutsche anrollte. Er brauchte nicht zu wissen, dass die eleganten Schlafzimmermöbel ihrer Eltern ihrer verzweifelten Notlage zum Opfer gefallen waren. Ein Gläubiger weniger auf ihrer Liste von vielen machte den Verlust der Erinnerungsstücke wett. Sie schuldete es ihrem Großvater, alles zu tun, was in ihrer Macht stand, um zu helfen.
»Können wir einfach nur den Abend genießen, bitte? Ich möchte, dass 1884 das Jahr ist, in dem sich das Leben zum Besseren wendet.«
»Dann heirate mich morgen.« Edward ergriff ihre Hände und strich mit dem Daumen über den smaragdgrünen Verlobungsring, den sie unter ihrem Handschuh trug. »Meine Arbeit an den Docks im Hafen wird uns vielleicht noch keine Villa bescheren, aber ich kann für dich sorgen und dich vor dem Untergang von Colonel Plane bewahren.«
Edwards hoffnungsvoller Gesichtsausdruck stach ihr ins Gewissen. Großvater würde niemals zustimmen, dass sie heirateten, egal, wie lange sie versuchte, ihn zu überzeugen.
Edwards lautstarke Sympathien für die Südstaaten verschafften ihm keinen Respekt bei dem ehemaligen Unions-Colonel. Was auch immer Edward tat, um sich den Colonel gewogen zu stimmen, er würde immer der Feind sein. Würde Großvater überhaupt jemals einen Mann akzeptieren? Broderick Cosgrove hatte die meisten politischen Ansichten ihres Großvaters geteilt, aber Großvater hatte ihn trotzdem abgelehnt. Natürlich hatte er in diesem Fall recht gehabt.
Unwillkürlich stand ihr das lächelnde Gesicht ihres ehemaligen Verlobten vor Augen, und wieder überflutete sie die Enttäuschung. Sechs Jahre lang hatte sie darauf gewartet, dass Broderick mit einer Erklärung und dem Wunsch nach Versöhnung zurückkehrte. Ihr törichtes Herz sollte inzwischen die Wahrheit kennen. Er würde niemals zurückkommen.
Edward jedoch blieb an ihrer Seite, egal, wie schwer es war. Er liebte sie. Ihre Heirat hinauszuzögern, war völlig irrational. Außerdem würde ihr Herz schließlich dorthin folgen, wohin ihr Kopf zu gehen beschloss.
Sie strich Edward über den gewachsten Schnurrbart und schenkte ihm ein zaghaftes Lächeln. »Ich …«
Unvermittelt kam die Kutsche zum Stehen und Stimmen ertönen.
»Bleib hier. Ich frag den Kutscher, was los ist.« Edward streckte die Hand nach der Tür aus, aber der Griff wurde ihm ruckartig aus der Hand gerissen.
Der Geruch von schalem Whiskey und billiger Zigarre erfüllte den Innenraum, als sich eine dunkelhaarige Gestalt in den Wagen drängte und ihnen eine Pistole direkt vor das Gesicht hielt.
Sofort beugte Edward sich schützend vor Theresa und versperrte ihr die Sicht. »Raus hier.«
»Nicht, bevor ich mein Geld habe.«
Theresa zog den Atem ein. Sie brauchte ihn gar nicht sehen. Diese raue Stimme vergaß niemand, der sie einmal gehört hatte, und sie hatte sie schon mehr als einmal hinter Großvaters geschlossener Arbeitszimmertür gehört. Vincent Drake, der Geldverleiher, der seinem Ruf alle Ehre machte, bösartig, verwerflich, ein Schurke durch und durch.
»Nur über meine Leiche.« Edward, dieser tollkühne Narr.
»Das kann ich arrangieren.«
Ihr wurde schwer ums Herz. »Geh zur Seite, Edward. Mr Drake ist Großvaters Gläubiger.«
Edward rührte sich nicht von der Stelle.
Die Waffe wurde gespannt. »Es wäre doch sehr bedauerlich, wenn die Kugel durch Sie hindurchgeht und Ihre kleine Freundin tötet.«
Edward setzte sich wieder neben sie, die Fäuste geballt.
»Nun, Miss Plane, wo ist mein Geld?«
»Wenn Sie mit meinem Großvater spre…«
»Schon geschehen. Alles, was ich bekommen habe, waren Ausflüchte. Ich lasse mich nicht noch einmal vertrösten. So ein attraktives Frauenzimmer wie du wird das, was mir zusteht, in ein paar Nächten in der George Street verdienen.«
Edward sprang auf und holte aus. Aus der Waffe löste sich ein Schuss.
Theresa zuckte zusammen, der laute Knall hallte schrill in ihren Ohren nach. Beißender Rauch stieg ihr in die Augen und füllte ihre Lungen. Durch die Rauchschwaden hindurch sah sie Drakes kaltherzig-überlegenes Lächeln und wandte dann ihren Blick zu Edward. Gott, bitte, nein. Er lehnte an der Wand der Kutsche, das Gesicht aschfahl, mit schlaff herunterhängendem Kinn, die Hand auf der Brust. Sie hielt die Luft an. Mit zitternden Fingern schob sie seine Hand zur Seite. Nichts. Kein Blut. Kein Loch. Nicht einmal ein Riss im Stoff.
»Schätzen Sie sich glücklich. Der nächste Schuss geht nicht daneben.« Drake deutete auf den engen Raum zwischen ihr und Edward.
Theresa schluckte. Ein kugelgroßes Loch neben Edwards Kopf gab den Blick auf die dunkle, menschenleere Straße draußen frei. Danke, Gott. Ausnahmsweise hatte er es für angebracht gehalten, zu intervenieren. Leider waren bei dem miserablen Wetter und den Neujahrsfeiern alle in den Häusern geblieben. Niemand würde ihnen zu Hilfe kommen, selbst wenn der Kutscher es wagte, um Hilfe zu rufen.
»Wie viel schuldet Ihnen mein Großvater?«
»Zweihundertzwanzig.«
So viel? »Vielleicht können wir eine andere Vereinbarung treffen.«
»Wenn ich heute Abend Geld in der Hand habe, dann schon. Sonst nicht.« Drake klopfte an die Decke des Wagens und rief: »Auf geht's. George Street!« Die Kutsche setzte sich in Bewegung.
»Selbst wenn ich es hätte – die Banken sind geschlossen.«
»Nicht mein Problem.«
Aus den Augenwinkeln sah sie, dass Edwards Hände sich bewegten. Noch mehr heroische Versuche, und er würde vielleicht nicht überleben. Sie brauchte einen eigenen Plan. Ihr Blick fiel auf die Wölbung unter ihrem Handschuh und brachte sie auf eine Idee. Damit wäre die Schuld zwar nicht beglichen, aber es würde ihr helfen, die Zahlung für den Restbetrag auszuhandeln.
»Würden Sie stattdessen einen wertvollen Gegenstand nehmen?«
Edward warf ihr einen Blick zu, aber er brauchte sich keine Sorgen um seinen Verlobungsring zu machen. Gott sei Dank hatte Lydia darauf bestanden, dass Theresas Vergangenheit mit Broderick buchstäblich zu Grabe getragen wurde. Die rituelle Handlung, mit der sie sowohl seinen Verlobungsring als auch ihre Träume in der Erde neben ihren Eltern begraben hatte, war ihr vor einem Jahr noch kindisch erschienen. Aber jetzt erwies sich die dramatische Ader ihrer Schriftstellerfreundin als Geschenk des Himmels.
»Ich wusste, es war richtig, mich an Sie zu wenden.« Drakes Grinsen jagte ihr einen Schauer über den Rücken, während sein Blick ihren Körper entlangwanderte. »Wo ist er?«
»Versteckt.« Sie zögerte kurz und nahm dann einen tiefen Atemzug. »Auf dem Spring-Grove-Friedhof.«
Dem Ort, an dem sie zum wiederholten Mal ihre gestorbenen Träume begraben hatte. Bitte, Gott, dieses Mal nicht.
Anständige Männer wagten sich nicht in Dirks Saloon, aber Broderick Cosgrove war dieser Tage kein anständiger Mann. In der schwach beleuchteten Bar saßen mehr als ein Dutzend Stammgäste, sowohl gesetzestreue als auch solche, die ein lukrativeres Zubrot zu ihrem Einkommen suchten. Dirks Aufpasser, mehr Muskelpaket als Mann, musterte Broderick von seiner abgeschabten Mütze bis zu den abgewetzten Schuhen. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass Broderick kein dämlicher Bulle war, widmete er sich wieder seinem Bier.
Gut. Sein Tag war lang genug gewesen, ohne dass er jetzt auch noch um das Recht kämpfen musste, hier zu sein. Broderick lehnte sich gegen den Tresen und nickte Dirk zu. Der füllige Barkeeper schenkte einen Becher mit Brodericks üblichem Getränk ein und hielt dann die Hand zur Bezahlung auf. Bei Dirk konnten alle anschreiben, denen er persönlich vertraute, und das war – niemand. Nachdem er die Zwanzigcentmünze auf Anzeichen von Falschgeld untersucht hatte, händigte er den Becher aus.
Das Bier schwappte über den Rand, als Broderick auf den Abschaum von Cincinnati zuging. Sie drängten sich um einen dreibeinigen Tisch, der von einem leeren Fass gestützt wurde. Dieser erbärmliche Haufen war ein schlechter Freundeskreis – wenn der Preis stimmte, würden sie ihre Großmütter verraten –, aber ihre Wetten sorgten für interessante Abende. Der seltsamen Zusammenstellung von Wertgegenständen in der Mitte des Tisches nach zu urteilen, würden die Gewinne des heutigen Abends einen Gang zum Pfandhaus erfordern. Wenn er nicht hinter mehr her wäre als billigem Plunder, würde er woanders hingehen. Er näherte sich dem Tisch, an dem Fitz gerade dabei war, Karten einzusammeln.
»Du kommst spät, Smith.« Fitz' irischer Akzent unterstrich seine Wut.
Broderick, in dieser Gruppe bekannt als Brody Smith, schnappte sich einen leeren Stuhl und setzte sich dazu. »Ich war mit Cat beschäftigt.« Oder besser gesagt damit, ihr aus dem Weg zu gehen.
Die Madame war unermüdlich in ihrem Bemühen, dass er außer dem Zimmer, das Fitz für ihn organisiert hatte, auch ein Mädchen mietete. Brodericks Wohnsitz im Bordell unterstützte seine Tarnung als Hehler von Fälschungen und stärkte seine Beziehung zu Fitz. Ein notwendiges Übel, wenn man bedachte, dass Fitz der Torwächter des Fälscherrings war, den der Secret Service ausheben wollte. Trotzdem mied er den Ort möglichst und ging nur zum Schlafen hin.
»Mit Cat zusammenzuleben hat Vorteile, ganz bestimmt«, grunzte Fitz und mischte die Karten. »Lust auf noch 'ne Niederlage, Jungs?«
Broderick opferte eine Münze für ein Blindgebot, während Fitz die Karten austeilte. Alle starrten auf ihre Hände, es gab Gemurmel. Fitz konnte geschickter falschspielen als jeder andere, den Broderick kannte, und mit seiner Verspätung hatte Brody sich keinen Gefallen getan. Fünf einzelne Karten mit einem Höchstwert von sieben. Das lausige Blatt passte zu seiner Stimmung. Schlechtere Karten ersetzten die drei, die er ablegte, und der irische Schurke grinste. Broderick verbiss sich eine Bemerkung. Ihn offen des Falschspiels zu bezichtigen, bedeutete eine Begegnung mit seinem Schießeisen.
Es war stickig. Der Rauch hing wie dichte Nebelschwaden im Raum und wurde immer dichter, je mehr Stunden vergingen. Eine Bardame, die ihre besten Jahre schon lange hinter sich hatte, füllte die Becher und präsentierte ihren faltigen Busen, der von ihrem tief ausgeschnittenen Kleid kaum verdeckt wurde. Die Lautstärke und die Schärfe der Beleidigungen nahmen mit jeder Runde Getränke zu. Abende wie diese zermürbten Broderick, aber Beharrlichkeit würde sich auszahlen. So musste es einfach sein.
Das Ausmaß dieses Fälscherrings ließ jeden seiner früheren Fälle zur Bedeutungslosigkeit verblassen. Der Secret Service hatte allein in den letzten neun Monaten gefälschte Zehner im Wert von 265.000 Dollar aus dem Verkehr gezogen. Sie stammten alle aus derselben unvollkommenen Serie, deren Herkunft er bis zu einem Mann in Cincinnati zurückverfolgt hatte.
Fitz hielt sein Blatt dicht vor die Brust und forderte Broderick auf, seinen Einsatz zu erhöhen. »Wenn du absaufen willst, quäl dich nicht im seichten Wasser ab. Doppelt oder gar nichts.«
Der Torwächter zeigte am Spieltisch keine Gnade, und seinen Lippen entkam auch keine Informationen über seine Partner. Broderick könnte die achtunddreißig bisher identifizierten Händler und Großhändler verhaften, aber das würde nur den Vertrieb verlangsamen. Um den Fälscherring auffliegen zu lassen, musste er bis in die tiefsten Tiefen der Produktionswege vordringen.
Broderick schob sein kleines Geldbündel, das er für die Abende im Saloon reserviert hatte, in die Mitte des Tisches. »Ich bin voll dabei.«
Fitz zwinkerte. »Wette nie gegen mich. Du wirst immer verlieren.« Er legte einen Royal Flush hin.
Von der Bar aus rief Dirk: »Du da! Schnapp dir einen Eimer und mach die Sauerei da draußen weg.«
Es wurde still am Tisch. Fitz, der neben Broderick saß, geriet in Anspannung und sah in den Raum hinüber. Kurz darauf kam das Gespräch wieder in Gang, aber Fitz ignorierte seinen Gewinn und richtete den Blick auf den Fremden, der sie von der Theke aus anstarrte.
Die Ankündigung musste ein abgesprochenes Signal gewesen sein.
Broderick ließ sich nichts anmerken und trank seinen Becher leer. Er betrachtete den Neuankömmling, registrierte den gedrungenen Körperbau und das dunkle, schüttere Haar des Mannes. Seine Kleidung war mit grauen Flecken bedeckt, bis auf eine saubere Stelle, an der er wahrscheinlich sonst eine Schürze trug. Ein Drucker oder Maschinist? Stubby nickte knapp und reichte dem Barkeeper einen Zettel. Ohne ein weiteres Wort verschwand er in der Nacht.
Fitz widmete sich wieder dem Kartenspiel, bis Dirk einige Minuten später mit Getränken an den Tisch kam. Er bediente sich sofort und griff nach dem einzigen Whiskey auf dem Tablett. Nur einem aufmerksamen Beobachter wie Broderick entging dabei nicht der darunterliegende Zettel, den Fitz unauffällig an sich nahm und einsteckte. Stubbys Nachricht. Er stürzte den Whiskey in einem Zug hinunter, verzog kurz das Gesicht und stand auf.
»Ich bin raus, Jungs. War mir ein Vergnügen.« Fitz steckte seinen Gewinn in die übergroßen Manteltaschen, nickte dann Broderick zu – ihr verabredetes Zeichen – und ging. Widerwillig nahm Broderick ein neues Blatt auf. Einer von ihnen ging immer früher als der andere, wenn sie eine Unterredung hatten. Das war die Absprache. Aber dieser Zettel könnte Beweise enthalten – oder schlimmer noch, die Enthüllung seines wahren Berufsstandes. Es hatte Monate gedauert. Er hatte beträchtliche Ankäufe machen müssen, um Fitz davon zu überzeugen, dass er ein Großhändler auf der Suche nach guten Münz- und Banknotenfälschungen war, um sie an seine zahlreichen Kontakte zu verkaufen. Wenn irgendjemand im Fälscherring die Initialen auf den Banknoten entdeckte, die Broderick als Zahlungsmittel verwendete, würden sie die Wahrheit kennen. Nur Polizeibeamte markierten Geld.
»Smith muss ein schreckliches Blatt haben.« Grubber, der am Spieltisch immer mit von der Partie war, stieß seinem Nachbarn den Ellbogen in die Rippen. »Sein Finger klopft so schnell auf den Tisch wie die Nadel an der neumodischen Nähmaschine von meiner Frau.«
Die Möglichkeit, dass seine Tarnung aufgeflogen war, setzte Broderick mehr zu als ein Schwarm Mücken. Er musste wissen, was auf dem Zettel stand. »Du hast recht. Ich bin raus.«
Broderick legte sein Flush-Blatt verdeckt auf den Tisch und stand auf. Solange er in einem gewissen Abstand folgte, würde er bei Fitz keinen Verdacht erregen. Er zog den Kopf ein und trat durch die niedrige Hintertür in die nasskalte Nacht hinaus. Als er im Licht der Gaslaternen die Straßen nach Fitz absuchte, konnte er nur eine knarrende Kutsche und einen Betrunkenen ausmachen, der durch den Schneematsch torkelte. Fitz hatte also nicht den direkten Weg zu ihrem Treffpunkt abseits der George Street genommen, aber weit konnte er nicht gekommen sein.
In einer Familie von Detektiven aufgewachsen zu sein, hatte seine Vorteile. Brodericks Vater hatte von jedem seiner Söhne verlangt, dass sie zu wandelnden Landkarten wurden, die jedes Gässchen und jeden Privatweg in Cincinnati kannten. Es gab nur wenige Möglichkeiten, die Fitz in die richtige Richtung führten und ihm gleichzeitig Deckung boten. Broderick wählte die wahrscheinlichste Variante.
Volltreffer. Nur wenige Minuten später entdeckte er Fitz vor sich und beobachtete, wie er den Zettel faltete und in seine Tasche steckte. Mangel an Informationen sorgte bei Broderick immer für ein ungutes Gefühl im Bauch, und das hatte er jetzt erst recht.
Fitz ging weiter bis zu ihrem üblichen Treffpunkt, ohne zu sprechen oder irgendjemandem ein Zeichen zu geben. Broderick hielt sich zurück und überprüfte den Zylinder seines Armeerevolvers. Der zuverlässige Sechsschüsser war zwar teuer gewesen, ließ ihn aber nie im Stich. Was auch immer Fitz plante, Broderick würde bereit sein.
Er wartete ein paar Minuten, um den Anschein zu erwecken, dass er den Anweisungen wie immer gefolgt war. Dann duckte er sich in die dunkle Gasse und stolperte über ein Schwein, das im Müll schnüffelte. In seiner Ruhe gestört, bewegte es sich grunzend weiter und verschwand in der Dunkelheit der Nacht.
Das Licht eines Streichholzes flammte auf, und die Spitze einer Zigarette erglühte in hellem Orange. »Hier rüber, bevor dich jemand sieht.« Als Broderick ihn erreichte, zog Fitz eine Rolle falscher Banknoten aus der Tasche. »Ich hab sechshundert dabei.«
Die Notiz konnte sich nicht auf ihr Treffen beziehen. Fitz würde einen Deal ganz bestimmt nicht vorantreiben, wenn er Verrat vermutete. Brodericks Muskeln entspannten sich ein wenig.
»Nur sechshundert? Ich wollte zwölf.« Der Secret Service verlangte, dass er nur den Mindestbetrag kaufte, der erforderlich war, um Beziehungen zu ihren Verdächtigen herzustellen, aber eine Änderung des Deals verhieß nichts Gutes. »Hast du einen Teil der Ware an meinen Konkurrenten verkauft?«
»Hab ich nicht. Wir haben nichts mehr, aber es wird mehr gedruckt. Hab 'n besseres Angebot für dich, vom ganz großen Kaliber.«
Endlich hatte sich Broderick also die Aufmerksamkeit des Kopfs der Bande erworben. Er tauschte sein markiertes Geld gegen das falsche von Fitz. »Was ist besser als für jeden Zehner drei pro Stück?«
Die Zigarette zwischen den Zähnen, blätterte Fitz in den Scheinen. »Exklusivrechte für die erste Serie von Fünfzigern.«
Die Worte schlugen ein wie eine Bombe. Wie hatte die Bande es geschafft, einen so lukrativen Geldschein zu erschaffen, ohne dass Gerüchte entstanden waren? Seine Informanten würden sich die Füße platt laufen, um ihm Nachrichten über eine Stückelung in dieser Größenordnung zu überbringen. Die Einladung von Fitz zu den Exklusivrechten war ein kleiner Trost. Jeder in diesem Geschäft wollte sich das Alleinbezugsrecht sichern, um den Fälschungsmarkt zu kontrollieren. Angeboten wurde das selten einfach so.
»Wer von den anderen Käufern weiß sonst noch von den Fünfzigern?«
»Keiner. Noch nicht.« Fitz trat in den Lichtschein der Gaslaterne und untersuchte einen der markierten Geldscheine.
Broderick griff nach dem herzförmigen Stein, den er immer bei sich trug. Gott bewahre, dass Fitz die Initialen entdeckte, die in der Vignette von Benjamin Franklin versteckt waren. Fitz rückte seine Melone zurecht, sodass seine roten Locken zum Vorschein kamen, und hielt den Schein näher an seine Nase. Broderick umklammerte den Stein so fest, dass er zweifellos einen Abdruck in seiner Handfläche hinterließ. Im nächsten Moment kratzte Fitz mit dem Fingernagel an der Oberfläche der Banknote. Sein Gesicht entspannte sich, und er schüttelte den Kopf.
»Das Wetter taugt nicht für meine Augen.«
Er verstaute das Geld in der Tasche und bemerkte nicht, wie dabei ein Papier herausrutschte und in den Schlamm fiel. Broderick bemerkte es sehr wohl, sagte aber nichts.
Fitz nahm einen langen Zug an seiner Zigarette und starrte Broderick abschätzend an. Er blies langsam aus und schnippte die Zigarette auf den Boden. »Das große Kaliber ist auf der Suche nach einem weiteren Partner. Du zahlst für die Exklusivrechte, und du bist dabei.«
Wenn der Kopf des Ganzen nach einem weiteren Partner suchte, musste der Bande das legale Kapital ausgehen. Kein Wunder, denn die meisten Fälscher gaben mehr aus, als sie einsparten. »Unbesehen ist das ein riskantes Geschäft. Hast du ein Muster von Fünfzigern?«
»Hab keins. Der Graveur macht ein paar Anpassungen, bevor sie in Druck gehen. Aber es ist derselbe, der auch die Zehner gemacht hat. Also, was sagst du, Smith? Noch mal mach ich das Angebot nicht.«
»Lerne ich die anderen Partner kennen? Ich traue niemandem, den ich nicht kenne.«
»Wirst du nicht. Und du wirst auch nicht sehen, wo die Fünfziger gemacht werden, also frag nicht weiter. Das ist mein Angebot. Sonst mach ich es wem anders.«
Nicht die Antwort, die er hören wollte, aber das würde ihn nicht davon abhalten, die Identität der anderen Beteiligten aufzudecken.
»Wenn die Noten so gut sind, wie du sagst, bin ich dabei.« Er streckte die Hand aus, und sie besiegelten die Sache mit Handschlag.
»Großartig. In einer Woche hier, und ich hab 'nen Fünfziger dabei.« Broderick wartete, bis Fitz in einer Seitengasse verschwunden war. Dann hob er das heruntergefallene durchnässte Papier auf, steckte es in seine Tasche und folgte ihm. Fitz vermied direkte Wege. Jedes Mal, wenn er eine Straße überquerte, riskierte er seinen Hals, indem er gerade noch rechtzeitig vor einer Kutsche in voller Fahrt mitten auf dem Platz vorbeihuschte. An Ecken wich er in letzter Sekunde aus – eine Taktik, um jeden zu enttarnen oder abzuhängen, der ihn beschattete. Broderick durchschaute die Strategie und ging die nächste Gasse entlang, um der Spur zu folgen. Nachdem er sich drei Plätze weiter ins Zentrum der Stadt vorgekämpft hatte, nahm Fitz sich ein Mietpferd.
Unfähig, ihm weiter zu folgen, duckte sich Broderick unter das Vordach einer geschlossenen Gemischtwarenhandlung. Auch wenn er diesen Abend als entscheidend für die Lösung des Falles betrachten sollte, kribbelte es in seinem Nacken. Wer war das große Kaliber? Welche Rolle spielte er? War Fitz ehrlich gewesen im Blick darauf, dass die Fünfziger außer ihm noch keinem anderen angeboten worden waren? Sollten diese Fünfziger in Umlauf geraten und die Leute davon erfahren, könnte die Panik zu einem weiteren Marktzusammenbruch führen. Die Unternehmen meldeten bereits einen starken Gewinnrückgang, und die Expansion der Eisenbahn hatte sich in den letzten Jahren erheblich verlangsamt. Familien gerieten in Not. Die schwache Wirtschaft konnte keinen weiteren Schlag verkraften, ohne in eine Depression abzurutschen.
Mein Gott, ich weiß, dass dir an diesen Menschen liegt. Hilf mir. Lass nicht zu, dass diese Männer weiterhin im Dunkeln ihr Unwesen treiben können.
Wenigstens gab der heutige Deal ihm neue Hoffnung für den festgefahrenen Fall. Er wickelte seine Hand um das Bündel Falschgeld, das sein Partner Josiah Isaacs dokumentieren würde. Schade, dass er seinem Bericht an Brooks, seinen Vorgesetzten, nichts Handfesteres hinzufügen konnte, wie einen Namen oder einen Ort. Sobald der Mann mitbekam, dass es fast produktionsreife Fünfziger gab, würde er den letzten Rest Geduld mit Broderick und Isaacs verlieren, den er vielleicht noch besaß.
Broderick steckte das Notenbündel an einen sicheren Ort und griff dann nach seinem Stein. Feuchtes Papier streifte seine Finger. Die Nachricht. Hoffnung flammte in ihm auf, als er die Ränder auseinanderzog. Die Tinte auf dem Zettel war verschmiert und man konnte nur noch ein einziges Wort komplett lesen – Mitternacht.
Ein Treffen also, und zwar wahrscheinlich heute Nacht. Er trat in das volle Licht einer Gaslaterne und konzentrierte sich auf die fehlenden Buchstaben in den unvollständigen Wörtern.
Sp… G…
D…xter Maus…
Mitternacht.
Angesichts der Organisation und der Großschreibung der Wörter hatte er hier die Details für ein geheimes Treffen zwischen Ringmitgliedern in Händen, vermutete er. Sp… G… könnte Teil eines Geschäfts- oder Straßennamens sein. Er würde ein Verzeichnis brauchen, um die Geschäftsnamen zu überprüfen, aber Stubby hatte hier wahrscheinlich eher einen Straßennamen notiert. Er tastete nach seinem Stein und fuhr mit dem Finger die Umrisse nach. Mit geschlossenen Augen ging er seine mentale Karte von Cincinnati durch. Kein Ort im Stadtzentrum passte auf die Wortfetzen. Die Wohngebiete in den Hügeln hatten sich vergrößert, seit er vor sechs Jahren weggegangen war, aber keines der neuen Gebiete, die er sich eingeprägt hatte, enthielt etwas annähernd Zutreffendes. Clifton Heights kam nicht infrage, aber es könnten Außenbezirke der Stadt gemeint sein.
Spring Grove.
Die lange Straße erstreckte sich über fünf Meilen und enthielt jede Menge mögliche Treffpunkte. Er schaute wieder auf das Papier. Keine Straßennummern oder Hinweise darauf, dass sie verwischt worden waren.
D…xter Maus… könnte der Name des Anführers sein. Das Hauptquartier könnte den Namensteil mit den dort vorliegenden Informationen abgleichen, aber das kostete Zeit, und er würde wahrscheinlich mit leeren Händen zurückkehren.
Oder D…xter Maus… könnte ein Gegenstand sein. Irgendetwas.
Der Gedanke ließ ihn in seiner Bewegung innehalten. Im Laufe der Jahre hatte er gelernt, Anregungen zu vertrauen, die er auf Gottes Geist zurückführte. Mehr als einmal hatte es ihm das Leben gerettet. Der Spring-Grove-Friedhof, Standort des Dexter Mausoleums. Er musste langsam begriffsstutzig werden, dass er nicht sofort an das kathedralenartige Mausoleum in der Nähe des Grundstücks der Familie Plane gedacht hatte. Erste Küsse waren schwer zu vergessen, besonders wenn sie auf den Stufen dieses verborgenen Gebäudes stattgefunden hatten.
Die Spitze des Steins stach ihm in die Hand, so wie die unerwünschte Erinnerung in seine Seele stach. Er schob beides dahin, wo es hingehörte – den Stein in seine Tasche und die Erinnerung in die hintersten Winkel seines Bewusstseins.
Fitz arbeitete zeitweise auf dem Friedhof, daher war der Ort naheliegend. Er hatte dort Zugang, und niemand würde Fragen stellen, wenn man ihn dort antraf. Broderick klappte seine Taschenuhr auf. Es blieb weniger als eine Stunde Zeit, und er müsste den ganzen Weg durch die Innenstadt, den Mount Auburn hinauf an Clifton Heights vorbei.
Es würde knapp werden. Aber er musste es zum Spring-Grove-Friedhof schaffen, bevor er seine Chance verpasste.
[ Zum Inhaltsverzeichnis ]
So ein Mist!
Theresa runzelte die Stirn, als Laternenlicht über die verschlossenen Eisentore und das leere Torhaus des Spring-Grove-Friedhofs flackerte. Natürlich lief hier nichts zu ihren Gunsten. Die ungewöhnliche Abwesenheit von Louis, dem Nachtwächter, musste eine weitere Provokation Gottes sein. In jeder anderen Nacht würde der Mann drinnen hocken, geschützt vor dem üblen Wetter, und ihr eine Tasse Tee und ein offenes Ohr anbieten.
Sie blickte zu der Stelle, an der Drake Edward als Geisel hielt, und biss die Zähne zusammen. »Wir werden einbrechen müssen.«
Drake spuckte aus, und der teerfarbene Klumpen traf den Saum ihres Kleides. »Von wegen wir! Da bringt mich nichts rein.«
»Sie haben doch nicht etwa Angst vor Geistern?«
Er grinste und die Narbe, die über sein ganzes Gesicht verlief, verzog sich. »Dreißig Minuten, und du hast mir deine Kostbarkeiten gebracht, oder dein Schönling hier braucht eine Ewigkeitskiste.«
Das Blut gefror ihr in den Adern. Der Spring-Grove-Friedhof war über 150 Hektar groß. Es würde allein dreißig Minuten dauern, nur um das Grundstück ihrer Familie zu erreichen. »Das schaffe ich nie. Geben Sie mir eine Stunde, bitte. Ich flehe Sie an.«
Er verengte seinen Blick und schwieg viel zu lange. »Fünfundvierzig Minuten. Nicht eine Sekunde länger.«
Das reichte nicht, aber welche Wahl hatte sie schon? »Ich brauche Edward. Er muss mich über den Zaun heben.«
»Na schön. Aber keine Tricks, verstanden? Ich schieße, kapiert?«
Zu ihrer Erleichterung ging Edward ohne weitere heroische Versuche mit ihr zu dem zwei Meter hohen Zaun. Seine Hände legten sich um ihre Taille, und im nächsten Moment schon hatte er sie hochgehoben. Sie war zwar nicht sehr hochgewachsen, aber die Leichtigkeit, mit der er sie anhob, erschreckte sie dennoch.
Als sie mit dem Gesicht auf gleicher Höhe waren, konnte sie seinen warmen Atem auf ihrem Hals spüren. »Komm nicht zurück.«
»Aber er wird …«
»Geh.« Er drückte sie an sich und setzte sie auf dem Boden ab.
Sobald sie wieder festen Boden unter den Füßen hatte, drehte sie sich zu ihm um. Er konnte nicht ernsthaft erwarten, dass sie ihn im Stich lassen würde. Doch bevor sie etwas sagen konnte, schlug Drake mit seiner Waffe auf Edward ein. Edward taumelte. Ein zweiter Schlag folgte, und Edward sackte gegen den Zaun.
»Edward!« Sie sank auf die Knie und tastete im Dunklen nach seinem Gesicht. War er bei Bewusstsein? Oder lag er direkt vor ihren Augen im Sterben?
»Komm mir nicht auf irgendwelche heldenhaften Ideen. Der nächste Treffer kommt von einer Kugel.« Drake versetzte Edward einen kräftigen Tritt in die Seite. Er stöhnte auf.
Ganz gleich, was Edward sagte, Anstand und Ehre geboten es, niemals einen anderen Menschen allein zurückzulassen. Durch die Zaunstäbe hindurch berührte sie seine Hand. »Ich komme zu dir zurück.« Dann erhob sie sich und rannte los, mit einem Dröhnen in den Ohren, das Drakes schrille Erinnerung an ihr Ultimatum übertönte. Wenn sie schnell lief, würde sie die Grabstätte ihrer Eltern in zwanzig Minuten erreichen. Zu schade, dass Korsetts nicht für derartige körperliche Anstrengungen gemacht waren. Sie musste klug vorgehen und dafür sorgen, dass sie genug Luft bekam und nicht ohnmächtig werden und dadurch unnötige Zeit verlieren würde.
Sie zwang sich, ihre Atmung zu kontrollieren, und verlangsamte ihren Schritt, als sie am Rande eines vereisten Teiches entlanglief. Schneegraupel schlug gegen die Grabsteine, als sie sich zwischen den vertrauten rechteckigen Hügeln und Grabbegrenzungen hindurchschlängelte. Immer wieder blieb sie mit ihren Schuhen im Schlamm stecken und die beißende Kälte ließ ihre Füße und Beine erstarren. Aber plötzlich tauchte das Dexter-Mausoleum vor ihr auf.
Noch ein Stück weiter, hinter der gotischen Kathedrale, erreichte sie das Grab ihrer Eltern. Der geschmolzene Schnee glitt wie eine Träne über den schlichten Marmorgrabstein ihrer Mutter. Wie traurig wären ihre Eltern jetzt, wenn sie wüssten, wie sehr ihr einziges Kind zu leiden hatte. Sie nahm ihre Hand zum Mund, gab einen Kuss auf ihre Fingerspitzen und berührte damit den Grabstein. »Bete für mich.« Wenn Gott überhaupt Gebete erhörte, dann ganz bestimmt die von ihrer Mutter, die fast so etwas wie eine Heilige gewesen war. Sogar vom Himmel aus würde sie Fürsprache einlegen. In der Ferne leuchtete ein Feuerwerk im Nachthimmel, das das Ende des Jahres 1883 ankündigte. Bereits jetzt erwies sich das Jahr 1884 keineswegs als besser.
Theresa verscheuchte diese Gedanken und konzentrierte sich auf ihre Aufgabe. Der Schlamm sickerte durch die einzelnen Lagen ihres Unterrockes, als sie sich neben den Obelisken kniete. Hier wartete Großmutter Plane seit Langem darauf, dass ihr Mann auch kam. Am Sockel schob Theresa eine lose Kalksteinplatte beiseite und spähte in das flache Grab. Das Einmachglas, das für den Tod ihrer einst gehegten Träume stand, lag immer noch dort. Welch eine Ironie, dass ausgerechnet der Mann, der sie verstoßen hatte, sie jetzt retten würde. Sie zog beide Handschuhe aus, nahm den Smaragdring vom Finger und steckte ihn in die Tasche ihres Rocks. Dann öffnete sie das Einmachglas und holte den Ring heraus.
Tief vergrabene, längst vergessen geglaubte Erinnerungen griffen nach ihr, als sie das Gewicht dieses Rings in ihrer Hand spürte. Der Antrag an einem ersten Frühlingstag. Broderick, wie er ihr den großen Opal an den Finger steckte und sie dann in seine Arme schloss. Die Art und Weise, wie er jede einzelne Perle, die den Opal umgab, mit einer lieb gewonnenen Erinnerung verbunden hatte. Damit du dich immer daran erinnerst, wie sehr ich dich liebe, wenn wir getrennt sind.
Emotionen schnürten ihr die Kehle zu. Seine Liebe hatte sich als so vergänglich erwiesen wie der Regenbogen, der einst auf der Oberfläche des Opals schimmerte. Lydia hatte ihr versichert, dass das Vergraben des Rings Heilung bringen würde. Dennoch brannte jetzt der Schmerz in Theresas Brust mit der gleichen Intensität wie an dem Tag, an dem sie entdeckt hatte, dass Broderick für immer fort war. Sie atmete einmal tief durch und steckte sich den Ring an den Finger, genau an die Stelle, wo Edwards Ring hätte sein sollen. Schnell zog sie wieder ihre Handschuhe an. Alles, was zählte, war der Geldwert des Rings – nicht der Mann, nicht die Erinnerungen und schon gar nicht die Endgültigkeit, die darin lag, den Ring wegzugeben. Edward brauchte sie, und sie würde ihn nicht im Stich lassen.
Als sie den Weg wieder erreichte, konnte sie schon von Weitem Laternenlicht aus der Richtung des Dexter-Mausoleums sehen. Sie war erleichtert und die Anspannung löste sich in ihrem Körper. Vielleicht hatte Gott sie ja doch nicht vergessen. Louis konnte Hilfe holen, während sie am Tor auf Zeit spielte.
Sie huschte über den Fußweg ins Helle. »Hallo Louis. Ich bin ja so froh, dass du hier bist.«
Louis erwiderte den Gruß nicht. Stattdessen verengten sich die Augen über der knolligen Nase des kleinen Mannes. Das fettige Haar klebte in Strähnen an seinem Kopf und berührte den verfilzten Bart. Das Hemd, das wahrscheinlich noch nie gewaschen worden war, spannte sich über seine kräftigen Arme und seine breite Brust. Sein Begleiter, der größer war und sauberer wirkte, schwang eine Waffe und zeigte sich nicht zivilisierter.
Bestand denn die ganze Welt nur noch aus Schurken und Halunken? Sie wirbelte herum und floh.
Jemand verfolgte sie mit stampfenden Schritten, die immer näher kamen und immer lauter wurden. Ein übel riechender Körper presste sie auf den Boden, und Schlamm drang ihr in Mund und Nase. Zu Boden gedrückt schlug sie um sich, aber der Griff des Schlägers zog sich um ihre Kehle zusammen. Licht blitzte auf. Ihr Herz pochte. Sosehr sie sich auch bemühte ihre Lungen mit Luft zu versorgen, sie konnte weder einatmen noch ausatmen.
»Lass sie los, Grimm.«
Der eiserne Griff löste sich, und sie keuchte. Wie oft musste sie noch in das Gesicht des Todes blicken, bevor er sie einholte?
Der, der sie zu Boden gedrückt hatte – offenbar Grimm –, riss sie hoch und hielt sie fest. »Schrei, und ich schneide dir die Zunge raus.«
Wenn er geglaubt hatte, ein Schrei sei das Schlimmste, was sie ihm bieten konnte, sollte er die Überraschung seines Lebens erleben. Sie rammte ihm ein Knie in die Leistengegend. Laut fluchend krümmte er sich zusammen, ohne seinen Griff zu lösen. Wenn dein erster Schuss nicht trifft, feuere den zweiten ab, und zögere nicht. Ausnahmsweise widersprach sie Brodericks Stimme in ihrem Kopf nicht. Grimms Nase ragte vor wie ein Ast an einem Baumstamm, groß und schwer zu verfehlen. Theresa schlug zu. Das Knacken des brechenden Knochens drehte ihr den Magen um, brachte aber eine süße Erleichterung. Grimm stolperte und versuchte, mit den Händen das herausquellende Blut aufzuhalten und die Blutung zu stoppen.
Sie wich zurück und rammte direkt gegen das kalte Metall einer Pistolenöffnung, der sich in ihren Nacken drückte.
»Gib Ruhe, Mädchen.«
Wie bitte? Hitze flammte in ihrem Körper auf, und sie ballte die Hände zu Fäusten. Das war nicht fair! Sollte Gott seine Kinder denn nicht beschützen? Sie holte tief Luft und hob die Hände, um sich zu ergeben. Wenn sie wütend reagierte, würde er sie umbringen, und Edward brauchte sie.
»Du solltest besser lernen, die Verwandtschaft deines Brotgebers zu erkennen«, sagte der Ire zu dem zweiten Mann. »Was Miss Plane mit dir gemacht hat, ist nichts im Vergleich zu dem, was er mit dir machen wird, wenn er herausfindet, dass du sie angefasst hast.«
Die Worte des Iren wirbelten in ihrem Kopf durcheinander und erschütterten ihre Sinne. Woher kannte er ihren Namen? Waren sie auch Gläubiger? Nein, das konnte nicht sein. Er hatte sie als Verwandtschaft seines Brotgebers bezeichnet. Aber es konnten auch keine Drucker aus Großvaters Druckerei sein.
»Was macht sie dann hier, Fitz?« Grimm funkelte sie an, während er sich die Nase putzte. »Schickt er dich, um hier rumzuspionieren?«
»Ich bin sicher, das Mädel hat selbst eine Erklärung dafür.« Fitz schob sich ins Blickfeld und deutete mit seinem Revolver in den Schutz des Baumes. »Ist doch so, oder?«
Keine Erklärung, die sie ihr glauben würden. Sie selbst glaubte die Wahrheit ja kaum. Theresa wischte sich den Schlamm aus dem Gesicht. Unter einer Laterne entdeckte sie eine zerschlissene Reisetasche, mitten in der Nacht auf einem Friedhof, das konnte nicht mit rechten Dingen zugehen. In was hatte Großvater sie da hineingezogen?
»Nun, Mädchen?«
Wenn die beiden tatsächlich im Dienst ihres Großvaters standen, konnte sie sich darüber ein wenig Macht erkaufen. Sie wuchs innerlich zu der Soldatin, zu der er sie erzogen hatte. »Ich schulde Ihnen keine Erklärung, und Sie werdet mich sofort gehen lassen.«
Ein amüsiertes Grinsen zeichnete sich auf Fitz' Gesicht ab. »Tut mir leid, Mädchen. Das kann ich nicht tun.«
Theresa hielt seinem unerschütterlichen Blick stand. Er stand zu weit weg, um sie mit einem Schlag zu treffen, aber er hatte eine Waffe in der Hand. Wenn sie weglief, würde er wirklich schießen? Immerhin hatte er Grimm eine Strafe angedroht, wenn der sie anfasste. Wie viel mehr würde dieser Mann leiden, wenn sie erschossen würde?
Der Ire schien ihre Gedanken zu lesen und entsicherte seine Waffe. Sie konnte es darauf ankommen lassen.
Ein Ast knackte. »Da bist du ja, Reese.«
Ihr Kopf zuckte in Richtung der allzu vertrauten Stimme, obwohl ihr Herz schrie, dass das unmöglich war. Nur ein Mensch auf dieser Welt nannte sie so. Der Geist ihrer Träume trat aus dem Schatten hervor. »Broderick?«
Er trug das Haar lang und hatte sich einen Vollbart wachsen lassen. Ein schlecht sitzender Mantel verbarg seine schlanke Statur, die viele dazu verleitete, ihn für einen leichten Gegner zu halten. Aber sie ließ sich nicht täuschen. Vor ihr stand der Mann, der ihr Herz gestohlen, es in Stücke gerissen und sie dann verlassen hatte, ohne noch einen weiteren Gedanken an sie zu verschwenden. Es wäre so befriedigend, ihm in sein hübsches Gesicht zu schlagen. Aber sie würde seine Hilfe nicht ablehnen. Das Stinktier, dieser elende Mistkerl, war ihr einziger Verbündeter in dieser Situation, und obendrein ein solcher, den jeder in einem Kampf gerne an seiner Seite haben wollte. Wahrscheinlich nahm Brodericks akribische Lageeinschätzung jedes Detail auf, und sein scharfer Verstand entwickelte bereits einen brillanten Fluchtplan.
Fitz schob sich neben sie. »Ah, Smith, du hier?« Theresa erstarrte. Smith? Broderick musste immer noch Detektiv sein und undercover arbeiten, und ihr kleiner Ausrutscher mit seinem Namen könnte sie ihre Freiheit kosten.
»Theresa hat mich gebeten, sie zum Grab ihrer Eltern zu begleiten.«
Plausibel, und wenn der Ire ihre Familie überhaupt kannte, glaubhaft. Wenn auch – mitten in der Nacht – etwas fragwürdig.
»Und warum waren Sie dann nicht zusammen, Miss Plane?«
Er fragte sie tatsächlich. Sie fuhr sich mit der Zunge über die plötzlich trockenen Lippen. »Ich … äh …« Ihr Blick landete auf den Bäumen hinter ihm. »Ich musste … nun … das Notwendige tun.«
»Auf einem Friedhof?«
Hitze flammte in ihrem Gesicht auf und sie senkte den Blick. »Es war … ein Notfall.«
Der Himmel möge ihr helfen. Wenn sie nicht an einer Schusswunde starb, würde sie an der Demütigung sterben. Fitz verharrte in langem Schweigen, als würde er die Wahrheit ihrer Worte beurteilen. Eine Hand legte sich um ihren Ellbogen, und sie wagte einen Blick. Brodericks frühlingsgrüne Augen blickten zu ihr herab, Besorgnis sprach aus den Falten auf seiner Stirn. Wenn er so besorgt um sie war, hätte er früher zurückkehren sollen.
Als der Ire sich bückte, um die Reisetasche an sich zu nehmen, drückte Theresa ihren Absatz in Brodericks Schuhspitze. Er zuckte zusammen, gab aber keinen Laut von sich.
»Hau jetzt ab, Grimm.« Fitz richtete sich auf. »Wir sind fertig.«
»Was ist mit denen?«
»Bring ich zum Boss.«
»Nein, das werden Sie nicht.« Die Worte waren ihr entschlüpft, bevor sie darüber nachgedacht hatte, aber das spielte keine Rolle. Wenn dieser Boss ihr Großvater war, würde sie ihn sehen, aber zu ihren Bedingungen. Und wenn es irgendjemand anders war? Dieser Sumpf war bereits tückisch genug. Weiter würde sie sich nicht vorwagen. So wie es aussah, hing Edwards Leben davon ab, dass sie ohne weitere Verzögerung zum Torhaus zurückkam.
»Kommst du, Mädel?« Die höllische Waffe tauchte wieder auf.
Wenn Fitz dieses Spiel spielen wollte, würde sie mitspielen. »Ich sagte Nein.«
Hatte Theresa jetzt komplett den Verstand verloren? Broderick zog sie hinter sich her, aber die störrische Frau riss sich los, stemmte die Fäuste in die Hüften und starrte Fitz an, als hätte er eine Blume und keinen Remington-Revolver in der Hand.
Wenn sie ihm schon nicht erlaubte, sie zu verteidigen, konnte er wenigstens für Ablenkung sorgen. »Was sie sagen will, ist: Willst du derjenige sein, der die Verwandtschaft deines Chefs verletzt und blutend bei ihm abliefert?«
Fitz blinzelte Broderick an, seine Lippen verzogen sich. »Ach so ist das?«
Broderick verkrampfte sich, als er seinen Fehler bemerkte. Die Erwähnung von Theresas Verbindung zu Grimms Boss war erfolgt, bevor er sein Versteck verlassen hatte, um sie zu retten, nicht danach.
Theresa ignorierte die aufkommende Spannung und fuhr fort, ihre Position zu behaupten. »Ja. Großvater beschützt mich, und ich bezweifle, dass er irgendeine Ausrede von Ihnen akzeptieren wird. Ich werde sogar selbst dafür sorgen, dass er es nicht tut. Das heißt« – sie verschränkte die Arme – »es sei denn, wir dürfen aus freien Stücken gehen.«
Die Stille dehnte sich aus, während Fitz' Blick zwischen Broderick und Theresa hin und her wanderte.
Sie stöhnte, schwankte und hob eine Hand an den Kopf. »Ich sehe auf einmal alles doppelt und die ganze Welt dreht sich. Ich habe wahrscheinlich eine Gehirnerschütterung.«
Die gewünschte Reaktion blieb aus. Den Versuch war es wert gewesen, aber auch ihre beste List konnte Fitz' Misstrauen nicht zerstreuen. Sie steckten in Schwierigkeiten.
Grimm stürzte in den Lichtschein der Laterne. »Der Wachmann kommt!«
Fitz fluchte und beendete damit das Schweigen. »Bring sie hier raus, Smith, und pass auf, dass sie niemand schnappt.« Er steckte seine Waffe ins Holster und verschwand mit der Tasche, die wahrscheinlich voller Beweisstücke war, in der Dunkelheit. Grimm flüchtete in die entgegengesetzte Richtung.
Broderick sah Theresa an. Dunkle Haarsträhnen lösten sich aus der einst hochgesteckten Frisur, und die dunklen Schlammspritzer auf ihrer Haut bildeten einen starken Kontrast zu ihrem blassen Gesicht. Ihr Gefecht mit Grimm hatten ihren Mantel und ihr Kleid unbrauchbar gemacht. Dies war nicht das sichere, ruhige Leben, das er sich für sie vorgestellt hatte, aber das Wie und Warum ihrer Anwesenheit hier würde warten müssen. Jetzt kam es nur darauf an, für ihre unmittelbare Sicherheit zu sorgen.
»Lass uns gehen.« Er zog an ihrer Hand, aber sie blieb wie angewurzelt stehen.
»Ich gehe nirgendwohin, außer mit diesem Wachmann.«
Die Frau hatte immer noch die Angewohnheit, sich im falschen Moment querzustellen. »Ich lasse dich hier nicht zurück.«
»Nicht zurücklas…« Ihre Augen blitzten auf, und sie holte aus.
Bevor die Faust in seinem Gesicht landen konnte, wehrte er sie ab und presste sie an sich. Die kleine Gestalt an seinem Körper weckte Erinnerungen, die man am besten vergaß. Sie war nicht mehr die Seine, und sie würde es auch nie wieder sein. Ihr Atem wärmte sein Gesicht, und er blickte zu Boden. Er sollte sie loslassen, aber er wagte es nicht. »Die meisten Frauen bedanken sich bei ihren Rettern, anstatt ihnen einen Kinnhaken zu verpassen.«
»Die meisten Männer lassen die Frau, die sie angeblich lieben, nicht allein um ihr Leben kämpfen.«
Sein Atem ging schwer. Nicht die Liebe war das Problem gewesen. Der Verrat seines Bruders war es. »Es ist kompliziert.«
Hinter ihnen knirschte der Kies, das Licht einer Laterne kam näher. »Sie sind wegen Hausfriedensbruchs verhaftet.«
Dahin war die Möglichkeit einer unentdeckten Flucht. Broderick ließ Theresa los.
Ihr ganzer Körper entspannte sich. »Louis. Gott sei Dank!«
Broderick wandte sich dem älteren Mann mit dem durchnässten Mantel und dem herunterhängenden Hut zu und zuckte zusammen, als er sah, wie er humpelte. Louis sollte im Bett liegen und sein Rheuma pflegen, anstatt auf einem Friedhof den Polizisten zu spielen.
»Nun, das ist etwas, das ich nie wieder zu sehen hoffte.« Louis schüttelte enttäuscht den Kopf. »Was wird Ihr Verlobter denken, Miss Theresa?«
Verlobter? Brodericks Blick fiel auf ihre behandschuhte linke Hand mit der auffälligen Wölbung am Ringfinger. Im Geiste versetzte er sich selbst einen Tritt. Was hatte er erwartet? Dass sie für immer als alte Jungfer leben würde?
»Es ist nicht so, wie es aussieht.« Theresas Gesicht rötete sich im Licht der Laterne. »Louis, bitte, ich stecke in Schwierigkeiten. Ich brauche deine Hilfe.«
Louis humpelte auf Broderick zu. »Eine Nacht in der Friedhofszelle sollte Sie lehren, Miss Theresa in Ruhe zu lassen.«
»Sosehr er es auch verdient, Broderick ist jetzt nicht das Problem. Großvaters« – sie warf einen Blick auf Broderick – »Verpflichtungen zwangen mich hierher, und ich muss schnellstens zum Tor zurückkehren.«
»Welche Verpflichtungen zwingen Sie zu dieser Stunde hierher?« Louis starrte Theresa an, als könne er so die Wahrheit herausfinden.
»Verpflichtungen von der Art, bei der Leben auf dem Spiel stehen.«
Das Trauma der Begegnung mit Fitz musste sie eingeholt haben. »Du bist in Sicherheit, Reese. Die Gefahr ist vorbei.«
»Nein, ist sie nicht.« Furcht und Entschlossenheit mischten sich in ihren Augen, bevor sie an ihm vorbei auf Louis zuging. »Bitte, gib mir die Torschlüssel und sorge dafür, dass Broderick ungesehen von hier wegkommt. Ich habe keine Zeit für Erklärungen, und du weißt, dass ich nicht darum bitten würde, wenn es nicht dringend wäre.«
Louis streckte ihr einen Schlüsselbund entgegen. Als sie danach griff, legte Broderick seine Hand auf die ihre. »Was auch immer du für Probleme hast, wir können sie gemeinsam lösen.«
Ihr besorgter Blick traf seinen. »Diesmal nicht. Du musst gehen und nie wiederkommen.« Sie nahm die Schlüssel und rannte los.
»Triff mich morgen an unserem Platz. Zur üblichen Zeit!« Er hatte seine Stimme erhoben. Sie ließ nicht erkennen, ob sie ihn gehört hatte. Er wandte sich an den älteren Mann. »Es tut mir leid, Louis. Ich kann Miss Theresa nicht allein gehen lassen, und Sie werden nicht mithalten können.«
Louis grunzte zustimmend, und Broderick lief Theresa nach. Die Anstrengung trug wenig dazu bei, die wachsende Spannung in seinem Körper zu lindern. Wollte sie ihn warnen, er solle den Fall aufgeben? Sicherlich nicht. Die Entschlossenheit, der Gerechtigkeit zum Sieg zu verhelfen, pulsierte einst ebenso stark durch ihre Adern wie durch seine. Wie oft hatte sie ihn bei Fällen, die in der Detektei seines Vaters als hoffnungslos galten, angefeuert oder herausgefordert? Doch Fitz' Worte ließen keinen Zweifel an ihrer Verbindung zum Fälscherring.
Jede Verwicklung von Theresa in diese Machenschaften musste das Ergebnis der Intrige ihres Großvaters sein. Colonel Plane mochte ein Kriegsheld sein, aber die Ehre hatte ihn in einen selbstsüchtigen Nörgler und Geizhals verwandelt, der es nicht verdiente, Theresas Vormund zu sein. Nicht, dass sie jemand davon überzeugen könnte. Die Frau war durch und durch loyal, und Colonel Plane nutzte diese Loyalität zu seinem Vorteil aus. Ob Theresa es wollte oder nicht, sie brauchte Brodericks Hilfe.
Auf halbem Weg zum Tor ertönten in der Ferne Schüsse.
»Nein!« Theresa raffte ihre Röcke und stürmte vor.
Broderick holte sie ein. Was auch immer sie zu verhindern gehofft hatte, jetzt war es zu spät. Sie erreichte das Tor vor ihm, schloss es auf und warf den Schlüssel zur Seite.
Ein dunkelhaariger Mann mit einem vernarbten Gesicht wartete auf der anderen Seite. Broderick duckte sich ins Gebüsch und beobachtete das Geschehen.
»Dachte mir, das wird dich wohl auf Trab bringen«, krächzte der Mann. »Wo ist es?«
»Edward!« Theresa sank neben dem Mann auf die Knie. Er hätte gut als Cousin des biblischen Goliat durchgehen können. Obwohl er den Kopf in die Hände gestützt hatte, war er im Sitzen noch fast so groß wie Theresa im Stehen und doppelt so breit. Eine Kutsche mit einem sichtlich verstörten Kutscher wartete in der Nähe.
»Die Kugel hat ihn nicht getroffen, aber das kann sich ändern.«
Theresa warf dem Sprecher einen vernichtenden Blick zu und riss sich den Handschuh von der Hand. Sie streifte einen Ring vom Finger und warf ihn ihm zu. »Es wird nicht den ganzen Betrag abdecken, aber ich habe Kunden, die warten.«
Kunden? Brodericks Kehle schnürte sich zu. Verkaufte sie etwa Falschgeld?
»Ich werde diese Woche liefern und Ihnen den Restbetrag plus zehn Prozent Zinsen bis zum Ende der Woche übergeben.«
Gott, bitte lass es nicht wahr sein.
»Na schön. Aber spiel nicht noch einmal mit mir, verstanden?« Der Kerl hob den Schmuck vom Boden auf und steckte ihn in die Tasche. »Ich werde mir holen, was mir zusteht, so oder so.« Der Halunke zerrte den Kutscher von seinem Sitz, stieg selbst auf und fuhr davon.
Theresa sah den Kutscher an und winkte in Richtung Stadt. »Gehen Sie zur Polizei, aber sagen Sie dort nur, dass Ihre Kutsche gestohlen wurde.« Nachdem er gegangen war, wandte sich Theresa an Edward. »Komm. Wir müssen los.«
»Wir müssen das melden.« Er schwankte, als er sich aufzurichten versuchte, und in ihrem Versuch, ihn zu stützen, glich Theresa einer Maus, die einen Elefanten stützt. Edward protestierte, als sie ihn ignorierte. Aber die Verletzung, die er sich zugezogen hatte, machte es ihm unmöglich, sich Theresas eisernem Willen zu widersetzen. Sie verschwanden humpelnd im Dunkeln. Broderick sank herab und schloss die Augen. Gehörte die Frau, die er liebte, etwa jetzt zu den Kriminellen, die er jagte?
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Als Broderick das Hotel Keppler erreichte, hatten sich die Straßen von Feiernden geleert und waren verlassen. Zu schade, dass der Tumult in seinem Kopf nicht die gleiche Entwicklung genommen hatte. Selbst wenn sich herausstellte, dass Theresa nichts damit zu tun hatte, stellte Colonel Plane ihn vor ganz eigene Herausforderungen. Sobald er Brodericks Anwesenheit entdeckte, würde der Colonel ihn vor den anderen Ringmitgliedern enttarnen oder ihn erschießen. Wahrscheinlich beides. Immerhin hatte er schon einmal auf Broderick geschossen.
Um aufzudecken, wo und von wem das Geld gedruckt wurde, und Theresa aus ihren Verstrickungen in der Affäre zu befreien, musste er eine Strategie mit Isaacs entwickeln.
Er nahm die Haupttreppe des Hotels und erreichte das Zimmer am Ende des Flurs. Er klopfte an: lang – kurz – kurz – lang. Das Erkennungszeichen. Keine Antwort. Nicht, dass er angesichts der späten Stunde eine erwartet hätte. Er wartete noch ein paar Sekunden und öffnete die Tür.
Im schwachen Lichtschein einer Lampe saß Isaacs aufrecht im Bett, das blonde Haar zerzaust und den Revolver im Anschlag. »Was zum Teufel, Cosgrove!«
»Hast du Angst, dass ein Kobold kommt, um dich zu entführen?« Broderick schmunzelte trotz der Anspannung, die der Abend mit sich gebracht hatte. Josiah Isaacs mochte behaupten, dass stets eine Lampe brannte, um mögliche Eindringlinge zu überrumpeln, aber Broderick vermutete, dass im Grunde seine Angst vor der Dunkelheit dahintersteckte.
»Natürlich nicht.« Isaacs schob die Waffe unter sein Kopfkissen. »War Kitty heute Abend wieder hartnäckig?«
»Sie heißt Cat – und ich bin nicht aus dem Bordell gekommen. Wir haben ein Problem.«
»Schlimmer als das?« Isaacs drehte die Lampe heller, dann reichte er ihm ein Telegramm vom Nachttisch.
Broderick nahm es entgegen und warf einen Blick auf den Namen des Absenders: James Brooks, Finanzministerium. Eine Nachricht, die direkt vom Chef des Geheimdienstes kam, verhieß nichts Gutes.
SENDENDARLINGTON. ANKUNFTMORGENZUG 1.35.
Eine plötzliche Anspannung ließ Brodericks Schläfen pulsieren. Mit Darlingtons Ankunft änderte sich alles. Der Mann war so zäh wie ein hungriger Wolf und ungefähr genauso freundlich. Sobald er einen Verdächtigen identifiziert hatte, brachte er ihn ohne Rücksicht auf Verluste zur Strecke. Ob Theresa nun ein unschuldiges Opfer war oder nicht, er würde sie mit gnadenloser List angreifen und jede Hoffnung auf eine ehrenhafte Zukunft zunichtemachen. Broderick musste sie beschützen, aber wenn Darlington seine Verbindung zur Familie Plane entdeckte, würde er ihn von dem Fall abziehen. »Wir brauchen ihn nicht.«
»Seh ich auch so.« Isaacs reckte sich. »Aber da wir seit Wochen mit dem Fall nicht vorankommen, sieht Brooks das wohl nicht so.«
»Wir treten nicht mehr auf der Stelle. Man hat mir die Exklusivrechte an den neuen Fünfzigern angeboten.«
Isaacs gab einen leisen Pfiff von sich. »Die trauen sich was. Kommst du dadurch auch an die anderen Partner ran?«
»Jedenfalls nicht über Fitz.«
Broderick griff nach dem Stein in seiner Tasche, aber diesmal brachte er ihm keinen Trost. Alles hing von den Auswirkungen seiner Begegnung auf dem Friedhof ab. Seine Tarnung war eine komplexe Angelegenheit und sie konnte jederzeit auffliegen, aber wie viel sollte er preisgeben? Vier Jahre Zusammenarbeit mit Isaacs hatten eine Freundschaft entstehen lassen, die über die Arbeit hinausging. Sein Leben und seine Karriere hingen von diesem Mann ab. Wenn er Theresas Ruf schützen wollte, bis er die Wahrheit kannte, brauchte er einen Verbündeten gegen Darlingtons voreingenommene und gnadenlose Taktiken.
»Ich habe herausgefunden, dass eine frühere Freundin familiäre Beziehungen zu den Leuten hat, die die Blüten drucken. Es ist ziemlich sicher, dass ihr Großvater darin verwickelt ist.«
Isaacs lehnte sich vor. »Von einer wie engen Freundin der Familie sprechen wir? Kannst du noch in den Ring eindringen, ohne Verdacht zu erregen?«
»Ich weiß es nicht.« Theresa war offensichtlich nicht glücklich darüber gewesen, ihn zu sehen, und ihre Bemerkung über angebliche Käufer hatte ihn seither unablässig verfolgt. »Aber wir treffen uns in ein paar Stunden.«
»Wie heißt sie? Ich kann mal in der Familiengeschichte recherchieren.«
Broderick hielt inne und spürte den Stein in seiner Hand, vollkommen in seiner Herzform. Seine nächsten Worte würden die Frau, die er liebte, entweder verdammen oder ihren Schutz gewährleisten. »Theresa Plane.«
Isaacs schlug mit dem Hinterkopf gegen die Wand. »Das war ja klar.«
Außerhalb der Familie Cosgrove kannte nur Isaacs die ganze schmutzige Geschichte von Brodericks Beziehung zu Theresa und dass sie dabei fast zu Tode gekommen wäre. Selbst jetzt noch wurde Broderick von Schuldgefühlen geplagt. Wieso hatte er die verdächtigen Aktivitäten seines Bruders erst ihrem Vater gemeldet, als es fast zu spät war? Hätte er seine Pflicht getan, anstatt Rücksicht darauf zu nehmen, den Namen des Lieblingssohns seines Vaters nicht zu beschmutzen, wäre Nathaniel schon längst im Gefängnis gewesen. Lange vor dem Verrat, der dazu geführt hatte, dass Theresa um ihr Leben kämpfen musste. Brodericks Zögern, das Richtige zu tun, hatte seine Familie und seine Zukunft mit Theresa zerstört.
»Darlington wird dich von dem Fall abziehen, sobald er von eurer Verbindung erfährt.«
»Dann hilf mir, dafür zu sorgen, dass er das nicht tut.«
Broderick sah Isaacs direkt an. Die Bitte ging über eine kollegiale Gefälligkeit weit hinaus. Wenn sie Informationen zurückhielten, konnte sie das den Job kosten. »Ich bin es Theresa schuldig, dafür zu sorgen, dass sie und ihr Großvater überprüft werden, ohne dass falsche Anschuldigungen ihren Ruf ruinieren. Du weißt ja, wenn Darlington sich erst mal was in den Kopf gesetzt hat, lässt er sich nicht mehr davon abbringen.«
»Wie sicher bist du, dass die Planes involviert sind? Darlington wird sie vielleicht nicht mal in Betracht ziehen.«
»Ich bin mir ziemlich sicher, dass Colonel Plane Teil der Führungsmannschaft ist. Theresa scheint ein Opfer seiner Machenschaften zu sein, aber ganz sicher bin ich mir nicht.«
»Wenn sich herausstellt, dass sie nicht unschuldig ist, bist du dann bereit, alle Beweise offenzulegen und sie zu verhaften?«
Er würde Theresa vor Gericht bringen, aber das würde nicht nötig sein. Sie hatte sich nichts zuschulden kommen lassen, außer dass sie einen lausigen Vormund hatte. »Ich werde meine Arbeit tun, was auch immer dabei herauskommt. Ich brauche nur Zeit, um die Wahrheit herauszufinden, ohne dass Darlington sich einmischt.«
Isaacs schwieg nachdenklich. Broderick würde ihm alle Zeit lassen, die er brauchte. Isaacs, der von seinen Kollegen »der Charmeur« genannt wurde, hatte eine Schwäche für Frauen in Schwierigkeiten. Er war so zart besaitet, dass er sich bereits zu acht Heiratsanträgen hatte hinreißen lassen, denen er jedoch bisher allen entkommen war. Doch Isaacs war nicht blind. Frauen waren genauso dazu fähig, Unrecht zu begehen, wie Männer.
Schließlich nickte Isaacs, und seine Zustimmung bewies die Tiefe ihrer Freundschaft. »Ich werde es tun, denn ich würde dich um das Gleiche bitten, wenn es sich um die Frau handeln würde, die ich liebe.«
»Sie ist es nicht. Nicht mehr.«
Isaacs schnaubte. »Wenn man einmal eine Frau liebt, liebt man nie wieder eine andere.«
In Anbetracht von Isaacs' zahlreichen unerfüllten Verlobungen lag in dieser Aussage etwas Wahres, auch wenn Isaacs nie die Frau erwähnt hatte, die sein Herz tatsächlich erobert hatte.
»Wann triffst du sie?«
»Kurz nach Sonnenaufgang.« Vorausgesetzt, sie kommt.
»Brauchst du jemanden in der Nähe?«
Wahrscheinlich klug, aber eine Vorsichtsmaßnahme, auf die er lieber verzichten würde. Theresa würde ihm keinen wirklichen Schaden zufügen. Ihre Tricks kannte er alle. Aber wenn ihr Großvater plötzlich auftauchte? Colonel Plane würde wie jeder andere Kriminelle behandelt werden.
»Nein, aber ich brauche dich für etwas anderes. Du musst Beschreibungen von ein paar weiteren Verdächtigen an deinen Freund Pinkerton und ins Hauptquartier senden. Mit etwas Glück finden wir was über sie, und sie haben Verbindungen, denen Darlington nachgehen kann.«
Jeder, der mit Theresa in Verbindung stand, musste überprüft werden, insbesondere der Schurke, dem sie Geld versprochen hatte, und ihr Verlobter. Letzterer vielleicht eher aus persönlichen als aus fallbezogenen Gründen, aber er konnte niemanden als Verdächtigen ausschließen.
Nachdem sie die Beschreibungen aufgenommen hatten, legten sie sich in ihre Betten. Mit der abgedunkelten Lampe und der Matratze, die viel bequemer war als die bei Cat, sollte der Schlaf schnell kommen. Aber Theresa ging ihm nicht aus dem Kopf – ihre Angst, die sie zu verbergen suchte, ihre Worte an den Mann mit der Narbe.
Ich habe Kunden, die warten.
Menschen veränderten sich, und selten zum Guten. War das mit ihr auch passiert? Er würde morgen vorsichtig vorgehen müssen. Ihre Antwort konnte über seinen Fall entscheiden – und über seine gesamte Karriere.
Theresa zog sich das Kissen über den Kopf, als der Weckruf ertönte, und tastete dann nach einem weiteren, um den Lärm des Signalhorns zu dämpfen. Eines Tages würde sie herausfinden, wo Großvater dieses widerwärtige Instrument versteckt hatte, und es endgültig zerstören.
Eingehüllt in eine warme Decke, den durchdringenden Ton des Signalhorns nur gedämpft aus der Ferne wahrnehmbar, entspannte sie sich auf der Plüschmatratze – ein Luxus, den sie sich zu verpfänden weigerte. Im Halbschlaf zog ein flüchtiger Traumfetzen mit einem grünäugigen Detektiv an ihr vorbei, der weitere waghalsige Rettungsaktionen verhieß, aber kalte Luft schlug ihr ins Gesicht und weckte sie vollends auf.
Als sie die kalte Luft einatmete, erschauderte sie. Auch ihre Kätzchen am Fußende des Bettes bekundeten miauend ihren Unmut.
»Aufstehen, Soldat.« Mrs Hawking, Haushälterin und allzeit bereite Überbringerin des Bösen, hatte Theresas Bettdecke entführt. Sie legte sie auf der anderen Seite des Zimmers ab und öffnete die Vorhänge. Nicht, dass dadurch mehr Licht ins Zimmer gekommen wäre. Sogar die Sonne hatte genug gesunden Menschenverstand, um noch zu schlafen. »Ihre geretteten Tiere müssen draußen bleiben.« Sie kehrte zum Bett zurück, packte die Kätzchen am Nacken und ließ sie in einen Korb fallen.
»Aber es hat letzte Nacht geschneit.«