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Sein Kopf fühlt sich an, als sei er in einen Schraubstock gezwängt. Er kann nicht essen, er kann nicht schlafen. Dann kehren die bösen Gedanken zurück. Und es gibt nur eines, was er tun kann, um sie loszuwerden … Verstört und mit Schnittwunden übersät taumelt Mallory Knight in eine Biker-Bar in Süd-Florida. Zwei Tage lang war die 17-jährige Schülerin spurlos verschwunden. Sie behauptet, dem «Hammermann» entkommen zu sein, einem Serienkiller, der bereits über ein Dutzend Teenagermädchen entführt und mit seinen schrecklichen Werkzeugen zu Tode gequält hat. Aber als Special Agent Bobby Dees Mallory befragt, verstrickt sie sich in Widersprüche. Kurz darauf wird ein weiteres Mädchen vermisst, und Mallory muss erkennen, dass ihre Aussage fatale Folgen hat …
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Seitenzahl: 599
Jilliane Hoffman
Thriller
Aus dem Englischen von Sophie Zeitz und Stefanie Kremer
Sein Kopf fühlt sich an, als sei er in einen Schraubstock gezwängt. Er kann nicht essen, er kann nicht schlafen. Dann kehren die bösen Gedanken zurück. Und es gibt nur eines, was er tun kann, um sie loszuwerden …
Verstört und mit Schnittwunden übersät taumelt Mallory Knight in eine Biker-Bar in Süd-Florida. Zwei Tage lang war die 17-jährige Schülerin spurlos verschwunden. Sie behauptet, dem «Hammermann» entkommen zu sein, einem Serienkiller, der bereits über ein Dutzend Teenagermädchen entführt und mit seinen schrecklichen Werkzeugen zu Tode gequält hat. Aber als Special Agent Bobby Dees Mallory befragt, verstrickt sie sich in Widersprüche. Kurz darauf wird ein weiteres Mädchen vermisst, und Mallory muss erkennen, dass ihre Aussage fatale Folgen hat …
Jilliane Hoffman war Staatsanwältin in Florida und unterrichtete jahrelang im Auftrag des Bundesstaates die Spezialeinheiten der Polizei – von Drogenfahndern bis zur Abteilung für Organisiertes Verbrechen – in allen juristischen Belangen. Ihre Thriller «Cupido», «Morpheus», «Vater unser», «Mädchenfänger», «Argus» und «Samariter» waren allesamt Bestseller.
Die bösen Gedanken fingen etwa zur gleichen Zeit an wie die Kopfschmerzen.
Vielleicht kam das eine vom anderen, er war sich nicht sicher. Es war so lange her, dass er nicht mehr wusste, was zuerst da gewesen war. Er war noch ein Kind, dreizehn, höchstens vierzehn, als die Kopfschmerzen begannen. Es fühlte sich an, als würde sein Kopf in einem Schraubstock stecken und jemand zog die Schraube an. Er hatte alle Medikamente ausprobiert – die legalen und die illegalen –, damit es endlich aufhörte, aber nichts hatte geholfen. Der Druck war bestialisch. Einfach brutal. Er konnte nicht denken. Er konnte nicht essen. Er konnte nicht schlafen. Lange hatte er versucht, das Richtige zu tun, um seinen Kopf in Ordnung zu bringen. Er hatte eine Stress-Therapie gemacht. Auf Milch, Weizen, Soja, Schokolade, Erdnüsse verzichtet, bis er nur noch Hasenfutter zu sich genommen und Wasser getrunken hatte, aber nichts davon hatte Besserung gebracht. Er war sogar ins Krankenhaus gegangen und hatte sich von den Ärzten mit einem Dutzend Instrumenten aus einem Dutzend Winkeln ins Gehirn sehen lassen. Er war gepikt und abgeklopft worden, hatte Blut, Urin und Rückenmarksflüssigkeit abgeben müssen. Er war auf Herz, Nieren, Leber und Lunge geprüft worden. Doch man hatte nichts gefunden. Nichts. Jeder Test, jede Untersuchung war ohne Befund geblieben.
Alles war NORMAL.
Nur, er war nicht NORMAL. Das wusste er. Schon vor den Kopfschmerzen und der Schlaflosigkeit wusste er, dass er nicht NORMAL war. Und als die hässlichen Gedanken anfingen, wusste er erst recht, dass er nichtNORMAL war. Vielleicht waren die Kopfschmerzen die Strafe Gottes für seine schrecklichen Gedanken, hatte er sich eine Zeitlang eingeredet. Seine Familie war nämlich sehr fromm. Während seine Mutter in der Kirche mit dem Rosenkranz in der Hand für ihn und seine Seele Gebete aufsagte, zog Gott die Schraube enger, um ihm die bösen Gedanken aus dem bleichen, knubbeligen, aknenarbigen Schädel zu quetschen. Er war ein schlaksiger, unansehnlicher Teenager. Ja, er war schlau, aber in der Highschool interessierte es keinen, ob man Grips hatte. Nur das Äußere zählte. Wer hässlich war, kam nicht zum Zug. Hässlich ging nicht mit hübsch und schön. Wer hässlich war, musste entweder sportlich oder musikalisch sein, und er war keines von beidem.
Als ihn seine besorgten Eltern wegen der Kopfschmerzen, die so stark waren, dass ihm vom Zähneknirschen die Zähne abbrachen, zum Seelenklempner schickten, ging er gehorsam hin. Er hätte alles getan, um den Druck im Kopf loszuwerden und wieder schlafen zu können. Und er hatte wirklich aufrichtig gehofft, dass es funktionierte. Dass die Frau – um Geld zu sparen, hatte seine Mutter eine Therapeutin ausgewählt, die keine echte Psychologin war, aber dafür nur das halbe Honorar verlangte –, dass die Frau ihm vielleicht ein paar Tipps gab, wie er das Hämmern in seinem Schädel wenigstens lindern könnte. Oder wirksame Mittel verschrieb, so was wie Oxy oder Valium oder Xanax, um den Schmerz zu betäuben. Aber es funktionierte nicht. Sie funktionierte nicht. Und als er anfing, ihr von den schlimmen Gedanken zu erzählen, die ihm seit geraumer Zeit durch den Kopf gingen, hatte sie ihren mannsgroßen Schädel schief gelegt und ihn mit Entsetzen in den hellblauen Augen angestarrt, die neben den strammen Brüsten das einzig Weibliche an der Zicke waren. In diesem Moment hatte er gewusst, dass er noch weniger NORMAL war, als er gedacht hatte, bevor er durch ihre hübsche gelbe Tür spaziert war. Da erzählte er der nicht echten und auch nicht netten Psychologin, er habe nur Spaß gemacht, die Szenen stammten aus einem gruseligen Horrorfilm, den er mal gesehen habe, und seitdem bekomme er die schrecklichen Bilder nicht mehr aus dem Kopf. Was war bloß mit ihm los?, fragte er sie mit Tränen in den Augen, und da entspannte sie sich – Erleichterung ersetzte das Entsetzen in ihrem Blick, weil ein dünner, pickliger, hässlicher, weinender Teenager alles andere als bedrohlich war. Mit einem zuversichtlichen Lächeln erklärte sie, solche Gedanken seien vollkommen NORMAL. Sie hatte sogar eine handfeste Diagnose für ihn: Intrusion als Symptom von posttraumatischem Stress. In anderen Worten: Er litt unter einer posttraumatischen Belastungsstörung, weil er in jungen Jahren zu viele nicht jugendfreie Filme gesehen hatte, denn erst ab siebzehn war es völlig in Ordnung zuzusehen, wie Menschen mit Macheten zerhackt werden. Puh. Die Therapie? Weniger gewalttätige Videospiele und Horrorfilme wie Saw und Hostel, Saints Row und Shadows of the Damned, die ihm die schlimmen Gedanken einflößten.
«Meinen Sie wirklich?», fragte er und wischte sich mit dem Handrücken die Tränen ab. «Ich bin nicht … Solche Gedanken zu haben, ist nicht … geisteskrank?»
Im gleichen Moment, als sie ihm mit der großen, teigigen Hand die Schulter tätschelte und versicherte, es sei alles in Ordnung mit ihm, stellte er sich vor, wie er ihren Männerkopf zwischen den gezahnten Backen des Schraubstocks fixierte, den sein Vater im Keller hatte, und dann ganz langsam an dem Präzisionshebel drehte, bis er das Knacken ihres brechenden Schädels hörte.
Eindeutig nichtNORMAL.
Nach dem Zwischenspiel mit der nicht echten Psychologin gab er die Hoffnung auf, etwas zu finden, das ihm half. Er log und versicherte seinen besorgten Eltern, dass es ihm schon viel besser gehe. Dass er Freunde in der Schule habe und nachts wieder Schlaf finde. Dass die Kopfschmerzen langsam nachließen. Er begann, mit geschlossenen Lippen zu lächeln, damit man die abgebrochenen Zähne nicht sah, und trug langärmelige T-Shirts, um die Wunden an seinen Unterarmen zu verdecken, wo er sich bis aufs Blut in die Haut kniff, wenn die Schmerzen ganz, ganz schlimm wurden und die bösen Gedanken in seinem Kopf ganz, ganz … böse.
Seine Mutter wirkte erleichtert, auch wenn er wusste, sie spürte, dass ihr einziges Kind log, aber wenigstens lag es nicht mehr in ihrer Verantwortung, etwas zu unternehmen.
«Wenn er sagt, dass es ihm gutgeht, geht es ihm gut, Mary», brummte sein Vater. «Was sollen wir noch machen? Ihn immer wieder fragen? Lass den Jungen in Ruhe.»
«Warum zieht er sich so an, Tom? Ganz in Schwarz? Mit langen Ärmeln bei diesem Wetter? Und Stiefeln? Muss ich mir Sorgen machen?»
«Er ist ein Teenager, Mary. Wenn er sagt, dass es ihm gutgeht, geht’s ihm gut.»
«Er schläft kaum, und er lächelt überhaupt nicht mehr, Tom.»
Durch den Spalt der offenen Tür seines dunklen Zimmers konnte er hören, wie sein Vater mit einem genervten Seufzer die Zeitung beiseitelegte. «Welcher verdammte Teenager, den du kennst, ist glücklich, Mary? Teenager sind depressiv und hassen jeden über zwanzig. Du hast gehört, was die Lesben-Psychotante gesagt hat: Seine Persönlichkeit entwickelt sich. Wahrscheinlich schlägt er sich die Nacht mit Wichsen um die Ohren und kriegt davon Kopfschmerzen. Oder er wichst überhaupt nicht, und der Druck in seinem Hirn ist wie Giftgas oder so was. Vielleicht hat sie ihm erklärt, wie es geht, und deshalb kommt er jetzt nicht mehr aus seinem Zimmer.» Sein Vater lachte über seinen eigenen Witz.
«Tom!»
«Unsere Verantwortung ist es, dafür zu sorgen, dass er nicht verhungert – nicht mehr und nicht weniger. Wir haben ein Vermögen für Ärzte ausgegeben, um rauszufinden, dass alles in Ordnung ist. Also lassen wir ihn in Frieden. Ihm geht’s gut, Mary. Unser Junge ist vollkommen normal.»
Vollkommen normal.
Und dann eines Tages, kurz nach seinem achtzehnten Geburtstag, gab er den bösen Gedanken nach, die nicht aus Horrorfilmen oder Videospielen stammten, sondern aus seinem eigenen schmerzenden Kopf. Gedanken, von denen die falsche Psychotante bleich geworden war, als er ihr davon erzählt hatte.
Und das Wunder geschah: Die Kopfschmerzen hörten auf.
Der Schraubstock löste sich nicht nur ein wenig – sein Kopf war vollkommen frei. Er fühlte sich so gut wie seit vielen Jahren nicht. Als er die blutige, zuckende, kaputte Masse in seinen Händen betrachtete, war er verblüfft, wie genau sie seinen bösen Gedanken entsprach, bis hin zu dem farbigen Streifen am Schwanz der Schildpattkatze. Er hatte es geschafft, genau nachzustellen, was er jahrelang im Kopf gehabt hatte. Jedes grausige, köstliche Detail. Vielleicht, dachte er, als er ohne den Hauch eines schlechten Gewissens sein Werk betrachtete, war das der Grund, warum die berühmten Maler, die sie in der Schule durchnahmen, von Van Gogh bis Toulouse-Lautrec, immer so schrecklich litten. Sie hatten Visionen, und es war ein schmerzhafter Prozess, sie umzusetzen. Der Schmerz trieb sie dazu, ihre Visionen zu malen. Und ihn – na ja – seine Visionen musste er erleben, er war ja kein Künstler. In der folgenden Nacht schlief er so tief wie seit langem nicht. Und als nach ein paar Monaten die Kopfschmerzen wiederkamen, begleitet von noch schlimmeren Gedanken, wusste er leider, was zu tun war.
Zuerst war es die Nachbarskatze, die ohnehin niemand leiden konnte, weil sie hilflose junge Vögel und niedliche Eichhörnchen riss und die Kadaver als Geschenk auf den Türschwellen hinterließ. Dann musste der kläffende Köter derselben Nachbarn dran glauben. Als die Nachbarn fortzogen, nahm er ein paar andere nervtötende Haustiere ins Visier, die keiner vermissen würde. Doch dann fingen die Leute an, ihre Tiere einzusperren, und die Polizei stellte Fragen – er musste sich was Neues überlegen. Lektion gelernt: Man scheißt nicht, wo man isst.
Obwohl er wegen seiner Taten keine Schuldgefühle hatte – wofür er sich ironischerweise ein bisschen schämte –, war er vernünftig genug, sich zu bremsen, bevor er zur nächsten Stufe seiner Gedanken überging, die in den dunkelsten Winkeln seiner Psyche gediehen. Die ganz bösen, in denen hübsche Ponys und adrette Pferdeschwänze vorkamen, aber keine Pferde. Nur, je länger er wartete, je weiter er die nächste Ebene des Psycho-Videospiels hinauszögerte, das in seinem Kopf ablief, desto schlimmer wurden die Kopfschmerzen; desto schlimmer wurde die Schlaflosigkeit. Er schaffte es, ein paar Jahre durchzuhalten, aber als der Trick mit Miezi und Bello nicht mehr wirkte und er nächtelang wach lag, weil der Druck hinter den Augen unerträglich wurde, war ihm klar, dass er keine Wahl hatte.
«Tom! Erinnerst du dich an Miss Bixby? Die Psychologin?»
«Mhm …», antwortete sein Vater, ohne vom Sportteil aufzusehen.
«Sie ist tot! Sie ist ermordet worden! Gestern Abend!»
Sein Vater ließ die Zeitung auf den Schoß sinken. «Was ist los?»
«Miss Bixby ist ermordet worden.»
«Wann ist das passiert?»
«Gestern Abend! Hier steht, es sieht aus, als habe jemand gezielt sie ausgewählt! Es war kein Raubüberfall. Sie wurde vergewaltigt und … o Gott, o Gott … das ist ja grauenhaft! Mir wird schlecht. Sollen wir …?»
Sie brach ab, und er wusste, dass seine Mutter in den Flur blickte, den seine Eltern nicht mehr betraten. Der Flur, der zu seinem Zimmer führte.
Eine Pause entstand. «Es ihm sagen? Nein. Er ist erwachsen. Er kann selbst Zeitung lesen, wenn er will», antwortete sein Vater unbehaglich. Jetzt machte er keine Witze mehr. Jetzt war ihm das Lachen vergangen.
Das Positive war: Danach schlief er wie ein Baby und hatte sehr lange Zeit keine Kopfschmerzen mehr. So lange, dass ihm der Gedanke kam, sie wären vielleicht für immer verschwunden.
Bis sie wiederkamen.
Vom Fahrersitz sah er hinaus auf den leeren Parkplatz und machte sich noch ein Corona auf. Ein paar geparkte Anhänger blockierten den Blick auf die Straße, aber es war spät, und es war sowieso niemand unterwegs.
Außer ihm.
Die quälende, brutale, erhellende Schlaflosigkeit störte ihn kaum noch. Für die meisten Menschen war es eine Folter, wenn sie die Augen schlossen und nicht einschlafen konnten, aber er genoss Nächte wie diese. Es gab ihm ein Gefühl von … Überlegenheit. Als gehörte die Nacht ihm. Als wäre er ein Vampir. In der pechschwarzen Nacht konnte er er selbst sein. Der sein, der er wirklich war. Er musste sich nicht verkleiden, keine Maske, keine falsche Persönlichkeit aufsetzen. Er musste sich keiner Gesellschaft anpassen, die ihn ohnehin nicht wollte – die ihn abgelehnt hatte, seit dem Moment, als er zur Welt gekommen war. Er fühlte sich wie eine Krebs-Patientin, die eine juckende Perücke trug, um niemanden mit ihrer Krankheit zu erschrecken. Erst wenn sie abends nach Hause kam, konnte sie das unbequeme, heiße, künstliche Ding abnehmen und endlich … frei sein.
Auf dem Beifahrersitz lag ein Feldstecher. Ohne ihn ging er nicht mehr aus dem Haus. Er stammte aus dem Army Shop und hatte sogar eine Nachtsicht-Funktion, die ziemlich nützlich war.
Damit ich dich besser sehen kann.
Der Gedanke ließ ihn auflachen, dann johlte er laut. Neben dem Feldstecher stand seine Werkzeugtasche. Ohne die ging er auch nicht mehr aus dem Haus. Er fuhr mit dem Finger über die groben Kanten und hielt sich das kühle Bier an die Stirn. Sein Kopf war heiß; die bösen, schlimmen Gedanken heizten sein Gehirn auf. Sein Gelächter erstarb, und er schloss die Augen. Schweiß und Kondenswasser vermischten sich und rannen ihm in den T-Shirt-Kragen. Er biss sich mit einem spitzen Zahn auf die Lippe und schmeckte das Blut. Wenn er schon wie ein Untoter durch die Nacht streifte, dann wollte er auch so aussehen. Manchmal, wenn er in den Spiegel starrte, erschreckte er sich sogar selbst.
Er spähte durch den Feldstecher.
Seine Seele war verdammt. Es ist Zeit zu beten, Mom. Nicht für mich, sondern für die Seelen der anderen.
Heilige Maria, Mutter Gottes, bitte für uns Sünder …
Speichel und Blut liefen ihm übers Kinn, als er entdeckte, wonach er suchte.
Jetzt und in der Stunde unseres Todes …
Es würde nicht mehr lange dauern, und das war gut.
Weil seine Kopfschmerzen mörderisch waren.
Er leckte sich die blutigen Lippen, legte den Feldstecher weg und ließ den Motor an.
Amen.
«Wann haben Sie Ihre Tochter zum letzten Mal gesehen, Mrs. Knight?», fragte der Polizist von der Vermisstenstelle des Broward Sheriff’s Office und drückte einen Kuli auf den Block auf seinem Schoß, erfolglos. Neben der Haustür am anderen Ende des Wohnzimmers lehnte sein Partner an der Wand, wahrscheinlich spanischstämmig, mit Halbglatze und bassetartigen Triefaugen. Er kam herüber und reichte seinem jüngeren Kollegen einen anderen Stift.
Virginia Knight holte tief Luft. Diese Frage aus dem Mund eines Polizisten zu hören, machte sie nervös. «Also das war gestern Abend. Es muss sieben oder halb acht gewesen sein. Lassen Sie mich nachdenken.» Sie zupfte nervös an dem Taschentuch, das sie in den verschwitzten Händen hielt. «Sie kam gerade vom Einkaufszentrum zurück und, ach so, sie wollte zu ihrer Freundin Hannah. Im Fernsehen lief Entertainment Tonight, es muss also nach halb acht gewesen sein.» Sie war so erschöpft, dass ihr das Denken schwerfiel. Die Wut, die sie die ganze Nacht wach gehalten hatte, war verraucht. Stattdessen hatte sie Angst.
«Hannah?», fragte der jüngere Beamte, der sich als Detective Chris Dalla Riva vorgestellt hatte. Er überflog den Bericht, der vor ihm auf dem Couchtisch lag. «Ist das der Vor- oder der Nachname?»
«Wobler – Wobler ist der Nachname. Hannah Wobler. Ich, also, ich kannte ihren Nachnamen noch nicht, als ich gestern Nacht die Polizei rief, weil Mallory nicht nach Hause gekommen ist. Ich … mir ist das sehr peinlich, wissen Sie? Natürlich müsste ich die Namen von Mallorys Freundinnen kennen, aber, na ja, sie ist eine neue Freundin, verstehen Sie? Sie kennen sich erst seit diesem Schuljahr.»
Virginias Mann Tony, der am Fenster stand und auf die Straße starrte, schnaubte.
«Hannah Wobler. Haben Sie eine Adresse? Eine Telefonnummer?» Der Polizist warf einen Blick über die Schulter zu Tony.
«O ja, ja», sagte Virginia schnell und suchte in ihrem Handy nach dem Kontakt. «Ich habe die Nummer hier. Ich habe Hannah gestern Abend angerufen. Irgendwann hab ich sie endlich erreicht. Von ihr habe ich auch von der …» Sie räusperte sich, als sie dem Polizisten das Telefon reichte. «… von der Party erfahren, auf der Mallory anscheinend war. Ich habe die Nummer dem Polizisten gegeben, der gestern Nacht hier war. Steht sie nicht in der Akte?»
Dalla Riva presste die schmalen Lippen zusammen und schüttelte den Kopf. Vielleicht lag es an seinem jungenhaften Gesicht, aber er wirkte nicht älter als dreißig. Zu jung für einen so wichtigen, ernsten Job. Virginia war eine alte Mutter, sie hatte Mallory drei Monate vor ihrem vierzigsten Geburtstag bekommen. Sie kannte sonst keine echten Polizisten, aber der hier, der vor ihr auf dem Sessel ihrer Großmutter saß, sah nicht so aus und redete nicht so wie die Polizisten, die sie aus Fernsehserien kannte – stämmige, selbstsichere Männer mit charaktervollen, von Erfahrung gegerbten Gesichtern. Detective Dalla Riva schien ihr zu jung, zu unsicher und, na ja … zu unbeteiligt. Sein Partner sah schon eher so aus, wie sie erwartet hatte – er war etwa in ihrem Alter, mit Glatze und vielen tiefen Falten auf der Stirn und rund um die traurigen Augen. Sie sah ihm an, dass er häufig die Stirn runzelte, und daher vermutete sie, dass er seinen Beruf ernst nahm. Virginia wünschte, er würde die Fragen stellen.
«Ihre Tochter Mallory sagte also, sie wollte zu einer Freundin, und stattdessen ging sie zu einer Party. Ist das richtig?»
Virginia hatte einen Kloß im Hals. Sie nickte.
«Haben Sie die Adresse und den Namen des Gastgebers?»
Sie schüttelte den Kopf.
«War Mallorys Freundin Hannah auch auf dieser Party?»
«Nein. Hannah sagte, sie wusste nicht, wo oder bei wem die Party stattfand, nur dass es in Weston war.» Weston war ein reicher Vorort am westlichen Rand von Broward County. Direkt an der Grenze zu den Everglades. In Weston wohnten viele reiche und berühmte Leute, die Footballstars Dan Marino und Bernie Kosar zum Beispiel, weil man dort eine riesige Villa auf einen Hektar Land setzen konnte und nur die Hälfte von dem zahlte, was ein Haus am Meer in Miami kostete. Zumindest nahm Virginia an, dass sich die Reichen deswegen dort ansiedelten. Sie wusste nicht, wie es war, wenn man reich war, sie konnte nur raten. Viele Schüler an Mallorys Highschool waren aus Weston. Die privilegierten.
«Wie ist Mallory dahin gekommen? Wissen Sie das?»
Virginia wurde rot. «Ein Junge hat sie mitgenommen. Tyler. Er hat sie an einer Walgreens-Filiale abgeholt, sagt Hannah. Er geht auf die gleiche Schule wie die Mädchen, auf die St. Thomas Aquinas Highschool. Er ist auch in der Zwölften.»
«Nachname?»
«Armstrong. Auch das habe ich gestern Abend schon Ihrem Kollegen gesagt. Steht das nicht in Ihrem Bericht?»
Der Officer schüttelte wieder den Kopf. «Ist er ihr Freund?»
«Nein. Mallory hat keinen Freund; sie muss sich auf die Schule konzentrieren. Die College-Bewerbungen müssen bald raus.» Sie dachte an den Streit letztes Wochenende, der sich um genau dieses Thema gedreht hatte, und wie Mallory behauptet hatte, sie habe alles im Griff. «Sie arbeitet an ihren Bewerbungen», sagte sie leise, ihre Stimme war rau.
Das Taschentuch in ihrer Hand riss. Die Sonne stand schon seit Stunden am Himmel und flutete das Zimmer mit Licht. Sonnenschein war das Letzte, was heute passte, dachte Virginia und sah sich im «Salon» um, während Detective Dalla Riva sich mit dem geborgten Stift Notizen machte. Sie benutzten dieses Zimmer nie, außer an Weihnachten. Alles hier war nur Show, genau wie das «Speisezimmer» daneben. Der Salon und das Esszimmer im Erdgeschoss gehörten zur Grundausstattung der typischen Reihenhäuser, die in den Achtzigern im Süden von Florida en masse gebaut worden waren, inklusive der lavendelfarbenen und grauen Wände, Giebeldecken und Oberlichter. An der Wand neben Tony, der immer noch aus dem Fenster starrte, stand eine elegante Vitrine voll mit staubigem Porzellan, das sie nie benutzten. Die schicke Couch, auf der sie saß, war so steif und hart, dass es weh tat, länger darauf zu sitzen. Heute erfüllte der Salon endlich mal einen offiziellen Zweck – einen, mit dem Virginia niemals gerechnet hätte: Sie sprach mit zwei Polizisten über das Verschwinden ihrer siebzehnjährigen Tochter.
Der ältere Polizist sah sich ebenfalls um und taxierte die Einrichtung mit dem misstrauischen Blick eines Fernseh-Cops. Den überquellenden Wäschekorb, der vor der zerkratzten Tür zur Garage auf dem Boden stand. Das Gerümpel in den Kisten und Plastikwannen an der Esszimmerwand, das sie auf E-Bay verkaufen wollte. Von seiner Position aus sah er wahrscheinlich auch das schmutzige Geschirr auf der Küchentheke und die leeren Bierflaschen im Recycling-Müll. Das Haus müsste mal gründlich geschrubbt werden. Virginia spürte, wie er die Unordnung registrierte und beurteilte. Zur Kenntnis nahm, dass sie weder die Nachnamen von Mallorys Freundinnen kannte, noch wusste, dass Mallory auf einer Party gewesen war. Wie er sie als Mutter verurteilte. Sie hatte diese Männer in ihr Haus bestellt, und jetzt taten sie, was sie am besten konnten: Sie sondierten und taxierten alles, was sie sahen und hörten, zogen Schlüsse und fällten dann ihr wenig schmeichelhaftes Urteil. Virginia schlang die Arme um ihren Oberkörper und rieb sich die Schultern, um die Kälte zu vertreiben, die ihr in den Knochen saß. Sie fühlte sich so … nackt.
«Ist das ein aktuelles Foto von ihr?», fragte Detective Dalla Riva und zeigte auf das Bild, das Virginia ihm gegeben hatte.
Sie hatte es selbst an Mallorys siebzehntem Geburtstag vor vier Monaten aufgenommen, als sie ihre Tochter in die Cheesecake Factory ausgeführt hatte. Es zeigte Mallory mit einem seltenen strahlenden Lächeln; ihr langes dunkles Haar, wie immer in der Mitte gescheitelt, fiel ihr über die Schultern wie eine üppige Nerzstola. Die makellose, sahnige Haut betonte das Glitzern ihrer Augen. Sie hatten ihren Geburtstag mit einem Mutter-Tochter-Date gefeiert. Tony hatte nicht mitkommen wollen, und Mallory wollte ihn sowieso nicht dabeihaben. Die beiden waren wie Feuer und Wasser. Virginia versuchte immer Frieden zu stiften, vor allem in letzter Zeit. Wahrscheinlich normal, redete sie sich ein. Schließlich war Mallory ein Teenager und Tony ihr Stiefvater. Obwohl sie seit über zehn Jahren zusammenlebten – länger als es Mallorys echter Vater ausgehalten hatte – und obwohl er Mallory und ihren Bruder Kyle adoptiert hatte, ließ Mallory ihn nie vergessen, dass er nur ihr Stiefvater war. Und er ließ Mallory nie vergessen, dass er wusste, was sie dachte.
«Ja», antwortete Virginia und holte scharf Luft, als sie das Foto sah. «Das Bild ist von ihrem Geburtstag. Ein aktuelleres habe ich nicht, tut mir leid. Mallory lässt sich nicht gern fotografieren. In letzter Zeit ist sie so unsicher. Na ja, typisch Teenager, oder?», fragte sie mit einem zögerlichen Lächeln.
Detective Dalla Riva nickte nicht einmal. «Sie ist einen Meter neunundfünfzig groß, wiegt fünfzig Kilo, hat langes braunes Haar und – welche Augenfarbe, Mrs. Knight?»
«Grün», antwortete Virginia leise. «Die Augenfarbe ist auf anderen Bildern besser zu sehen.» Ihr Mund begann zu zittern, und sie biss sich auf die Lippe. «Sie ist ein gutes Kind», brachte sie erstickt heraus. Sie schmeckte Blut, warm und metallisch. Von dem Geschmack wurde ihr schlecht. Gegen vier Uhr früh war Virginia eingenickt, hier auf der schrecklichen steifen Couch, auf der sie gewartet hatte, um sich Mallory vorzuknöpfen, sobald sie durch die Haustür schlich. Sie wollte ihr eine ganze Liste von Strafen aufbrummen, eine schlimmer als die andere. Mallory würde bereuen, überhaupt das Haus verlassen zu haben. Aber als Virginia aufwachte, schien ihr die Sonne ins Gesicht, und es war hell im Zimmer. Sie sah auf die Uhr: halb acht. Dann sah sie auf ihr Handy. Mallory hatte auf keine ihrer Anrufe oder SMS reagiert. Sofort war sie ins Zimmer ihrer Tochter gelaufen, hatte die Decke vom Bett gerissen und – nichts gefunden. Das war der Moment, als der Zorn in Angst umschlug. Plötzlich raste ihr jedes mögliche Schreckensszenario durch den Kopf – von einem Unfall unter Alkoholeinfluss über Alkoholvergiftung bis hin zu Vergewaltigung und Mord. Jede Folge von Criminal Minds kam ihr in den Sinn. Sie hatte das Gefühl, ihre Eingeweide verknoteten sich. Dann las sie in der Zeitung die Schlagzeile von dem vermissten Mädchen aus Orlando, das man massakriert im Wald in der Nähe von Disney World gefunden hatte. Sie galt als das jüngste Opfer des sogenannten «Hammermanns», eines mordenden Phantoms, das seit drei Jahren in Floridas Norden und dem benachbarten Georgia unerkannt sein Unwesen trieb. Die neun Opfer, die man bis jetzt gefunden hatte, waren alle weiß, weiblich und zwischen vierzehn und neunzehn Jahre alt. Außerdem waren sie zierlich gebaut, unter eins sechzig groß, hatten glattes dunkles langes Haar, vornehmlich mit Mittelscheitel, helle Augen – grün oder blau – und klassische Gesichtszüge. Die Ähnlichkeit der ermordeten Mädchen war so groß, dass es wirkte, als gehörten sie zu einer Familie. Das Foto des ermordeten Mädchens prangte auf der Titelseite – und es sah aus wie Mallory. Da rief Virginia noch einmal bei der Polizei an, obwohl der Beamte, der in der Nacht da gewesen war, gesagt hatte, sie solle warten, bis die Polizei sich bei ihr meldete.
«Haben Sie eine Adresse von diesem Tyler Armstrong, Mrs. Knight? Eine Telefonnummer? Haben Sie schon mit ihm gesprochen?»
Virginia sah unbehaglich zu ihrem Mann, während sie antwortete. «Ich habe bei ihm angerufen, nachdem Hannah mir heute Morgen seine Nummer gegeben hatte, aber er ist nicht rangegangen. Die Schule kennt bestimmt seine Adresse.»
«Wenn ich seine beschissene Adresse hätte, dann bräuchten wir Sie nicht», knurrte Tony, den Blick immer noch auf die Straße gerichtet. «Dann würde ich mir den Scheißkerl selbst vornehmen.»
«Tony, bitte», flehte Virginia. Sie sah Detective Dalla Riva an. «Ich mache mir solche Sorgen. Es ist fast Mittag.»
«Wissen Sie», erklärte der ältere Officer, der sich als Detective Al Pilar vorgestellt hatte, «manche Kinder wollen einfach nicht nach Hause kommen.» Er musterte Tony, bevor er weiterredete. «Sie haben Angst, dass sie Ärger kriegen. Oder sie haben so viel Spaß, dass sie alles andere vergessen. Es sind Kinder, so ist das eben. Manchmal treffen sie Entscheidungen, die nicht vernünftig sind. Meine Kinder waren auch mal Teenager – Gott sei Dank sind sie aus dem Haus. Ich weiß, dass Sie sich große Sorgen machen, Mrs. Knight, weil sie Ihr kleines Mädchen ist und so weiter, aber ich sage Ihnen, die meisten kommen nach ein, zwei Tagen von selbst wieder nach Hause.»
«Wahrscheinlich ist sie bei diesem Armstrong», erklärte Dalla Riva mit einem Seufzer. «Haben Sie ihre anderen Freunde kontaktiert? Die, deren Namen und Nummern Sie haben? Vielleicht hat sie zu viel getrunken und schläft irgendwo ihren Rausch aus. Oder sie hat nach der Party auf der Couch übernachtet. Wenn wir die Party finden, finden wir auch Ihre Tochter.»
Virginia nickte abwesend, auch wenn sie wusste, dass er sich irrte. Sie wusste, Mallory würde niemals einfach über Nacht wegbleiben. Jedenfalls nicht die Mallory vom letzten Jahr. Außerdem hatte Mallory nicht viele Freunde. Sie war nicht unbeliebt, aber sie war auch kein Cheerleader. Sie hatte eine beste Freundin seit der Grundschule – Gianna Sidoti, die auch auf die St. Thomas ging – und ein paar neue, die sie erst seit der Highschool kannte. Alles gute Kids, nahm Virginia an, aber Mallory brachte nie jemanden mit nach Hause, also konnte Virginia es nicht wirklich beurteilen. Sie grüßten höflich oder hupten draußen, wenn sie Mallory abholten. Woher sollte sie wissen, wie sie wirklich waren? Diese Hannah war eine neue Freundin, und sie hatte offensichtlich wegen der Party gelogen. Und dann dieser Junge. Dieser verdammte Junge. Alles war anders, seit Mallory sich für Jungs interessierte. Die Rocksäume wanderten hoch und die Noten nach unten.
«Meinen Sie, sie war betrunken? Ist es das?», fragte Virginia, und ihr Zorn meldete sich zurück. Sie erinnerte sich, wie sich Kyle, ihr Ältester, in der Highschool verändert hatte. Jetzt war er seit vier Jahren mit der Schule fertig und hatte sich immer noch nicht «gefunden». Arbeitete Teilzeit in einem Möbelgeschäft und spielte die ganze Nacht Videospiele, wenn er nicht gerade mit seinen Kumpels durch die Bars zog. Virginia hatte nicht die Kraft, ihn vor die Tür zu setzen. Noch so ein Streitpunkt zwischen Tony und ihr.
«Es war eine Highschool-Party, Mrs. Knight», antwortete Detective Dalla Riva, als wüsste jeder, was das hieß. Er erhob sich. «Können Sie uns eine Liste der Freunde und deren Telefonnummern zusammenstellen? Orte, an denen sie sich gerne aufhält? Was ist mit Kontakten aus dem Internet? Vielleicht hat sie da einen Jungen kennengelernt …»
Tony schlug so fest auf die elegante Vitrine, dass ein Teller herunterfiel und zerbrach. «Mallory ist kein Flittchen, das sich im Internet verkauft. Es wird Zeit, dass Sie Ihren verdammten Job machen und aufhören, uns hier Ausreden aufzutischen», schrie er und wandte sich vom Fenster ab.
«Tony! Bitte!», rief Virginia und lief zur Vitrine. Ihr Mann war ein Choleriker. Vor allem, wenn er getrunken hatte. Er war gestern Nacht aus dem Haus gegangen, um nach Mallory zu suchen, aber sie hatte heute Morgen seine Bierfahne gerochen. Und wer weiß, vielleicht hatte er gleich da weitergemacht, wo er gestern Nacht aufgehört hatte, und seinen Orangensaft mit einem Schuss Wodka gestreckt. Wieder spürte sie die taxierenden Blicke der Officers. Registrieren. Taxieren. Urteil fällen. Sie öffnete die Vitrine und sammelte die Scherben ein.
Detective Dalla Riva war rot angelaufen. «Das habe ich auch nicht behauptet, Sir.»
«Nach Weston sind es zwanzig Minuten mit dem Auto, und Mallory hat weder einen Wagen noch den Führerschein. Sie ist bestimmt nicht zu Fuß nach Hause gegangen. Sie sind Polizisten. Finden Sie diesen verdammten Typen, finden Sie ihre verlogenen Freundinnen, finden Sie etwas über diese Party heraus. Irgendjemand muss doch was wissen. Und dann sagen Sie mir Bescheid, und den Rest erledige ich. Wir machen Ihnen keine weiteren Umstände. Dann brauchen Sie nicht mehr von Ihrer wertvollen Zeit zu verschwenden.»
«Wir verstehen, dass Sie frustriert sind», gab Detective Pilar kühl zurück und stellte sich neben Tony. «Wie gesagt, manchmal haben Kinder einfach Angst davor, nach Hause zu kommen.»
«Wie bitte? Was wollen Sie damit sagen?», brauste Tony auf, der inzwischen knallrot im Gesicht war. «Schieben Sie nicht uns die Schuld in die Schuhe. Sie meinen, wir sollen einfach ein paar Tage warten, bis die kleine Mallory sich nach Hause traut? Und wenn das nicht passiert? Fangt ihr dann endlich an, irgendwas zu unternehmen, außer in der Nase zu bohren und mich und meine Frau zu beschuldigen, weil wir die Namen ihrer beschissenen Freunde nicht kennen und weil ich stinksauer bin, dass sie uns so was antut?»
«Es sind gerade mal zwölf Stunden», erwiderte Detective Dalla Riva. «Das muss auch mal gesagt werden, Mr. Knight. Normalerweise werden Vermisstenanzeigen erst nach vierundzwanzig Stunden aufgenommen. Nach vierundzwanzig Stunden. Und das liegt daran, dass es alle möglichen Gründe gibt, warum Jugendliche manchmal nicht heimkommen, wie Detective Pilar Ihnen gerade zu erklären versucht hat. Wir von der Polizei sind keine Babysitter. Wir können nicht für jeden Teenager, der zu spät nach Haus kommt, eine Suchaktion starten und ihn vor der Haustür abliefern. Ich weiß, dass Sie irgendwen bei der Polizei kennen, sonst wären wir beide nämlich jetzt nicht hier in Ihrem Wohnzimmer, denn normalerweise müssen Sie vierundzwanzig Stunden abwarten, Mr. Knight.»
«Der Bruder meines Chefs ist beim Sheriff’s Office in Pompano», erklärte Virginia schnell. «Ich habe ihn heute Nacht angerufen, und er hat seinen Bruder kontaktiert und ihn gebeten, dass sich jemand um die Sache kümmert, weil es Mallory wirklich nicht ähnlich sieht. Sie tut so was nicht! Ich weiß, das hören Sie wahrscheinlich andauernd, aber es stimmt. Was ist mit Amber-Alert? Diese Suchanzeigen, die man immer am Highway sieht?»
«Amber-Alert ist für lebensbedrohliche Situationen vorgesehen», erklärte Detective Pilar ernst. «Nach unseren derzeitigen Informationen ist das hier nicht der Fall.» Sein Handy klingelte. Er sah auf das Display, runzelte die Stirn, dann entschuldigte er sich kurz und ging ins Nebenzimmer.
Virginia fand noch ein Taschentuch in der Hosentasche und zupfte daran herum. Sie war kurz vor einem Nervenzusammenbruch.
«Das ist doch Blödsinn», schnaubte Tony und drehte sich vom Fenster weg. «Ich hab die Nase voll, Virginia. Ich hab die Nase gestrichen voll.»
Bevor sie erfuhr, wovon er die Nase voll hatte, kam Detective Pilar zurück. «Können Sie beschreiben, was Mallory anhatte, als sie gestern das Haus verlassen hat?», fragte er.
Die Unvermitteltheit der Frage, sein eindringlicher Ton und vor allem sein Blick ließen ihr das Blut in den Adern gefrieren.
«Wir müssen nur etwas überprüfen», sagte er schnell.
Virginia versuchte zu überlegen. Sie schloss die Augen und erinnerte sich, wie Mallory die Treppe heruntergekommen war und ihre Tasche vom Sessel im Fernsehzimmer genommen hatte. Sie hatte sich das lange, schokoladenbraune Haar, das normalerweise kerzengerade herunterhing, zu Locken gedreht und trug etwas zu viel Make-up für Virginias Geschmack. Ich komme nicht spät, Mom. Wir gehen nur ins Kino und backen Muffins. Lockenwickler und Lippenstift für einen Kinofilm mit einer Freundin? Wie blöd war sie eigentlich? Mit ihrer Dummheit hatte Virginia schon bei Kyles Erziehung versagt.
«Äh … also.» Sie stolperte über die Worte. «Sie hatte eine weiße Bluse an, glaube ich. Vielleicht beige. Außerdem Jeans und eine Jacke – eine weiße Jacke mit einer britischen Flagge auf dem Rücken. Die war von … H&M.»
Detective Pilar machte ein ernstes Gesicht.
«Warum, Officer? Sie fragen doch aus einem bestimmten Grund danach!» Virginias Stimme wurde schrill.
Detective Pilar warf Detective Dalla Riva einen Blick zu, der auf sein Handy sah und eine Nachricht las. Sein Gesicht veränderte sich. Er wirkte nicht mehr gelangweilt. Oder sauer. Oder genervt. Er wirkte alarmiert.
«Sieht ihre Jacke so aus?» Detective Pilar ging zu Virginia und zeigte ihr sein Smartphone. Auf dem Display war eine zerknäulte weiße Jacke zu sehen, die im Gebüsch lag. Auf dem Rücken war der Teil einer britischen Flagge zu sehen. Der verdrehte Ärmel stand merkwürdig ab.
«Was ist das? Was ist da an dem Ärmel?», fragte Virginia mit Panik in der Stimme.
«Das wissen wir noch nicht, Mrs. Knight.»
«Ist das Blut? Tony! Ist das Blut an ihrem Ärmel?»
«Hatte sie eine Handtasche dabei, Mrs. Knight? Als sie aus dem Haus ging? Erinnern Sie sich?»
«Ja, ja, sie hatte eine Handtasche. Eine braune Ledertasche von Frye, die ich ihr zu Weihnachten geschenkt habe.» Taschentuchfetzen flatterten zu Boden, als sich Virginia beide Hände vors Gesicht schlug.
Detective Pilar ging wieder ins andere Zimmer. «Sunrise soll das Gebiet sichern», sagte er mit fester, ruhiger Stimme ins Telefon. «Sperrt einen Umkreis von fünfzig Metern ab. Lasst keinen näher ran. Und ruft die Spurensicherung. Nur sichern. Ich bin unterwegs. Den Rest regeln wir, wenn wir vor Ort sind und wissen, womit wir es zu tun haben.»
«Was ist los?», wollte Tony wissen. «Was zum Teufel ist hier los?»
Virginia begann zu schluchzen, und als Detective Dalla Riva die Frage ihres Mannes endlich beantwortete, heulte sie laut auf.
«Ein Mountainbiker hat heute früh in der Nähe eines Fahrradwegs im Markham Park diese Jacke im Gebüsch gefunden», antwortete der Officer ruhig. «Daneben lag eine Tasche mit dem Geldbeutel Ihrer Tochter …»
«Ihr Name ist Mallory Knight. Sie ist siebzehn, wohnt mit ihrer Mutter, dem Stiefvater und dem älteren Bruder in Cooper City», sagte Lorenzo «Zo» Dias, Assistant Special Agent in Charge beim Miami Regional Operations Center des Florida Department of Law Enforcement. «Sie war gestern Abend auf einer Party in Weston und ist nicht nach Hause gekommen.»
FDLE Special Agent Bobby Dees war es gewohnt, dass sein Handy zu jeder Tages- und Nachtzeit klingelte. Auch am Wochenende. Und in den Ferien. Er war seit dreizehn Jahren bei der Crimes Against Children Squad, und er wusste, dass Kinder selten von Montag bis Freitag zwischen neun und fünf verlorengingen.
Sein Blick schweifte über den voll besetzten Tisch, auf dem sich gewaltige Essensberge türmten. Er sah aus wie auf einem Foto aus Southern Living. Seine Frau hatte den ganzen Morgen in der Küche gestanden, um Sonntagsbrunch für die Verwandtschaft aus Louisiana zu machen, die seit einer Woche zu Besuch war. Gerade eben hatte sie die letzte Schüssel auf den Tisch gestellt – einen überbackenen Austern-und-Blattkohl-Auflauf. Es duftete himmlisch nach Kaffee, Waffeln, Speck, Brathähnchen und süßen Brötchen. Alle griffen zu, und es wurde laut durcheinandergeredet, weil Linda Sue, LuAnns extrovertierte Tante, gerade eine urkomische Geschichte erzählt hatte.
Zo und Bobby waren auch privat befreundet, aber als Bobby Zos Nummer auf dem Display gesehen hatte, hatte er instinktiv gewusst, warum er anrief. Bobby war nicht überrascht gewesen, nur leicht genervt wegen des Timings.
«Okay», antwortete er leise. Er schob den Stuhl zurück und versuchte, sich unauffällig in die Küche zurückzuziehen. Linda Sues verrückte Geschichte von einem Priester in South Beach, der Speedo-Badehosen und Cowboystiefel trug, brachte alle zum Lachen, sogar Katy. Keine Selbstverständlichkeit, denn normalerweise versuchte Bobbys achtzehnjährige Tochter ihr seltenes Lächeln hinter dem Ärmel eines zu großen Pullovers zu verstecken. LuAnn am anderen Tischende strahlte glücklich, als hätte Katy gerade ihren ersten Schritt getan. Es war ein Moment, den auch Bobby gern genossen hätte, aber er wusste, er wurde an einem potenziellen Tatort gebraucht. Sofort bekam er ein schlechtes Gewissen. Er spürte LuAnns Blick, als er sich aus dem Esszimmer schlich. Er spürte, wie ihr Lächeln verblasste.
«Die Mutter – Virginia Knight – hat heute früh um zwei die Polizei gerufen», fuhr Zo fort. «Ein Beamter vom Broward Sheriff’s Office hat die Vermisstenanzeige aufgenommen. Zwei Detectives vom BSO waren heute Vormittag bei den Eltern, als gegen Mittag der Anruf kam: Auf einem der Trails im Markham Park hat ein Mountainbiker eine blutige Jacke und eine Handtasche mit dem Ausweis des Mädchens im Gebüsch gefunden. Wir wissen noch nicht, ob es ihr Blut ist, aber wir gehen erst mal davon aus. Vor einer halben Stunde hat die Spurensicherung ihr Handy an einem der Ausgänge des Parks gefunden, völlig zerstört.»
«Gab es Blut am Fundort?»
«Schwer zu sagen. Er liegt mitten im Wald.»
«Irgendwelche Hinweise auf eine Leiche? Das ist ein großes Gelände.»
«Noch nicht, und ja, stimmt», antwortete Zo und seufzte. «Ein Dutzend Einheiten sind draußen, um den Park zu durchkämmen. Bis jetzt keine Spur von einer Leiche.»
«Ist für Markham Park nicht das Sunrise PD zuständig?» Markham Park lag zwar in Broward County, doch polizeilich fiel das Gebiet in den Zuständigkeitsbereich der Stadt Sunrise. Bobby spritzte Spülmittel auf den riesigen Geschirrstapel, der sich in der Spüle türmte. LuAnn war eine tolle Köchin, aber sie benutzte sämtliche Töpfe im ganzen Haus auf einmal.
«Die Mordkommission von Sunrise ist dran, zusammen mit BSO Missing Persons.»
«Klingt, als hätten sie genug Leute, Zo», sagte Bobby, während er den Stapel abspritzte. Schaumflocken stoben auf und schwebten herab wie die letzten Schneeflocken nach einem großen Sturm.
«Sie wollen das FDLE dabeihaben. Und ich will dich dabeihaben. Der Anruf kam aus der oberen Etage beim BSO. Dein Name ist gefallen, Shep.»
Shep stand für Shepherd, Hirte, den Spitznamen, den ihm seine Kollegen verpasst hatten, als Bobby beim Florida Department of Law Enforcement das Dezernat für Schwerverbrechen verlassen und das Dezernat für Verbrechen an Kindern und Jugendlichen übernommen hatte. Wie sich herausstellte, hatte er ein Händchen dafür, vermisste Kinder aufzuspüren und nach Hause zu bringen – tot oder lebendig. Bobby lag nicht viel an seinem Spitznamen, erst recht nicht, nachdem seine eigene Tochter Katy vor zwei Jahren verschwunden war und sich sein Leben in einen Albtraum verwandelt hatte.
«Warum?» Er stellte das Wasser ab.
«Nach Picasso stellt sich diese Frage nicht», gab Zo zurück. «Das BSO tut immer noch Buße. Sie wollen einfach kein Risiko eingehen. Die Ähnlichkeit zwischen den Fällen ist zu groß.»
Bobby nickte und rieb den Schmerz weg, der sich in seinen Schläfen sammelte. Allein bei der Erwähnung des Namens Picasso lief es ihm kalt über den Rücken, und sein Körper wurde steif. Picasso war der makabere Spitzname, den die Medien dem sadistischen Serienmörder Mark Felding verpasst hatten, der im Süden Floridas jahrelang unbemerkt ausgerissene Teenager entführt hatte. Er hatte sich die schutzlosesten Mitglieder der Gesellschaft ausgesucht, weil er wusste, dass niemand nach ihnen suchen würde, was ihr kurzes, unglückliches Leben nur noch tragischer machte. Erst als Feldings Hunger nach Anerkennung ihn dazu trieb, die Aufmerksamkeit der Gesetzeshüter auf sich zu lenken, begriff die Polizei überhaupt, dass ein Serienmörder am Werk war. Den Spitznamen Picasso trug er aus einem besonders schaurigen Grund: Er malte seine ermordeten Opfer und schickte die Porträts an die Medien, wobei er auf jedem Gemälde Hinweise hinterließ, um wen es sich handelte und wo die Leiche zu finden war. Schließlich hatte er die Bilder auch an Bobby geschickt, dessen Verzweiflung über Katys Verschwinden er bewusst als Köder missbraucht hatte, um Bobby in ein grausames Katz-und-Maus-Spiel zu verwickeln. Es gab Schätzungen, dass Felding mehr als dreißig Teenager ermordet hatte. Auf seinem Grundstück weit draußen in den Zuckerrohrfeldern im Westen von Palm Beach County waren die Skelette von siebzehn Mädchen gefunden worden, aber wegen der perfiden Auswahl seiner Opfer und der unglaublichen Zeitspanne, in der er unbeachtet gemordet hatte, würde die wahre Zahl seiner Opfer wohl nie ans Licht kommen. Viele Polizeidienststellen der Countys, in denen Mädchen verschwunden waren, hatten mächtig Ärger bekommen, weil ihnen nicht aufgefallen war, dass ein Serienmörder unter der Zivilbevölkerung wütete, und weil sie das Schicksal junger Ausreißer vernachlässigt hatten, als handele es sich um durchreisende Junkies.
Das Broward Sheriff’s Office war eine dieser Dienststellen. Zwei Picasso-Opfer, die als Ausreißer klassifiziert worden waren – Ariana Pietri und Evie Morales –, waren in der Zuständigkeit des BSO verschwunden, ohne dass auch nur ein Versuch unternommen worden wäre, nach ihnen zu suchen. Als bei den Picasso-Ermittlungen dann ans Licht kam, dass Pietri und Morales entführt, über längere Zeit gefangen gehalten und gefoltert worden waren, bevor sie am Ende ermordet wurden, während kein Mensch nach ihnen suchte, erschien die Tatenlosigkeit der Polizei im Auge der Öffentlichkeit unverzeihlich. Es folgten schlechte Presse, Schuldzuweisungen und Prozesse.
Und natürlich musste eine Panne dieses Ausmaßes Konsequenzen haben. Die erste war in den meisten Departments, darunter auch das BSO, ein Strategiewechsel auf allen Ebenen: Vermisste Jugendliche – selbst die, die man für Ausreißer hielt – wurden ausnahmslos von der Vermisstenstelle der jeweiligen Behörde bearbeitet und von der Crimes Against Children Squad des FDLE gegengecheckt, bevor sie ins NCIC/FCIC wanderten, der bundesweiten Datenbank für Verbrechen. Ein halbes Jahr lang wurde die neue Anweisung akribisch befolgt. Erst in den letzten sechs Monaten kehrte man allmählich wieder zur Normalität zurück. Keine Polizeidienststelle ließ sich auf Dauer gern kontrollieren.
«Das BSO ist dabei, die übrigen Partygäste ausfindig zu machen», fuhr Zo fort, als Bobby schwieg. «Es waren wohl an die fünfundvierzig Leute da. Bis jetzt sieht es so aus, als hätte Mallory die Party gegen Mitternacht allein verlassen.»
«Hatte sie einen Freund?», fragte Bobby und trat hinaus auf die hintere Terrasse für den Fall, dass seine Frau mithörte. LuAnn hasste seinen Beruf. Sie war nie glücklich darüber gewesen, dass er Polizist war, aber seit Picasso und vor allem seit dem, was Katy passiert war … Heute hatte sie mehr Angst als je zuvor. Das Grauen, mit dem er jeden Tag konfrontiert war, hatte sein Zuhause erreicht und beinahe seine Familie zerstört. LuAnn stellte jede Woche die Frage, der er immer auswich: Wann setzt du dich endlich zur Ruhe?
«Inoffiziell ja. Er ist ein Kandidat. Tyler Armstrong. Hat sie mit zu der Party genommen, auf der sie nicht hätte sein sollen. Behauptet, sie hätten sich gestritten, sie sei gegangen, und das war das Letzte, was er von ihr gehört hat. Das BSO befragt ihn im Moment, zusammen mit seinen Eltern. Er ist auch siebzehn.»
«Sie hatte seit der Party mit niemandem Kontakt?»
«Nein.»
«Was ist mit den Mobilfunkdaten?»
«Angefordert. Das BSO ist dran.»
«Und die Eltern?»
«Wie gesagt, die Mutter hat die Polizei gerufen, als ihr Kind nicht heimkam. Der Stiefvater ist ein anderes Kaliber: Choleriker und vorbestraft. Er wurde 1999 wegen fahrlässiger Tötung verurteilt – hat den neuen Freund seiner Exfreundin erschossen und behauptet, es war ein Unfall. Er hat fünf Jahre gesessen.»
«Das ist interessant.»
«Und er war gestern Nacht unterwegs. Hat angeblich nach Mallory gesucht.»
«Noch interessanter.»
«Vielleicht», sagte Zo, doch er klang nicht überzeugt.
«Gibt es Überwachungskameras im Park?»
«Nicht auf den Mountainbike-Wegen. Es gibt ungefähr fünfzehn Kilometer Fahrradwege, und die Vegetation ist dicht. Sie suchen immer noch den Umkreis ab, um sicherzugehen, dass sie keine Leiche im Gebüsch übersehen haben. Die Hunde haben eine Fährte gefunden. Und dann ist da noch der Rest des Parks. Wir brauchen Freiwillige und Suchtrupps. Ich arbeite daran. Taucher sollen den See absuchen.»
«Mist», sagte Bobby. Der Schmerz breitete sich von den Schläfen zum Hinterkopf aus. Vor seinem geistigen Auge sah er ein Mädchen, das von Gewichten beschwert am Grund eines schwarzen Sees lag und mit toten Augen durchs trübe Wasser ins Sonnenlicht starrte. «Wer leitet die Ermittlungen?»
«Gute Frage. Da wir keine Leiche haben, gibt es keine Mordermittlung. Im Moment ist das Broward Sheriff’s Office am Zug. Wenn sie doch eine Leiche im Park finden, dann das Sunrise PD. Beide helfen bei der Suche. Du sollst ihnen deine Unterstützung anbieten.»
«Zu viele Köche verderben den Brei, Zo. Du weißt, wie so was ankommt.» Für gewöhnlich arbeiteten an einem Fall nicht verschiedene Departments, es sei denn, es gab eine Taskforce, und Detectives waren bekannt dafür, dass sie nicht gern teilten. Wenn Bobby mit seiner FDLE-Marke anrückte, würde er wohl kaum mit offenen Armen empfangen werden, egal auf wessen Geheiß er kam.
«Lass dich nicht abschrecken. Sei nett und greif ihnen unter die Arme. Wenigstens hat jemand daran gedacht, uns anzurufen, Shep. Und du bist der Beste in deinem Fach.»
Bobby schüttelte den Kopf. «Klingt, als hätte entweder das BSO oder Sunrise in einem Mord zu ermitteln. Und die sind auch gut in ihrem Fach.» Das Broward Sheriff’s Office war die größte Polizeibehörde des Landes. Die Mordkommission hatte einen soliden Ruf. Doch auch die Ermittler der Sunrise Police waren erfahren, selbst wenn das Department kleiner war.
«Falls das Mädchen nicht im See liegt, Shep, will ich, dass wir mitmischen – für den Fall, dass … es sich um eine Entführung handelt», sagte Zo vorsichtig. «Deswegen will ich dich unbedingt dabeihaben.»
«Wie kommst du darauf, dass es eine Entführung sein könnte? Hat sich jemand gemeldet?»
«Noch nicht, aber wenn, wäre es besser, wenn du von Anfang an im Boot wärst.»
«Ich habe das Gefühl, du verschweigst mir was, Kumpel.»
«Würde ich niemals tun.»
«Ich weiß wirklich nicht, was ich da soll.» Bobby rieb sich über den Hinterkopf. «Aber okay, wenn’s sein muss. Ich sehe mich mal um.» LuAnn kam gerade auf die Terrasse. Er zuckte die Schultern, als sie ihn genervt und leicht verängstigt ansah: Heute? Im Ernst?
«Ach, und Shep, Mallory Knight ist weiß, eins neunundfünfzig groß, zierlich gebaut, hat grüne Augen und hüftlanges dunkelbraunes Haar mit Mittelscheitel», sagte Zo.
Bobby wandte sich von LuAnn ab und starrte den Grill an, den er dieses Wochenende putzen sollte. Er rieb sich über die graumelierten Kinnstoppeln. Seit Katy verschwunden war, waren sie mehr grau als meliert. Und aus den Fältchen um seine Augen waren Falten geworden. Er joggte regelmäßig und achtete auf seine Fitness, aber in letzter Zeit spürte er jeden Tag seiner fünfundvierzig Jahre. Und mehr. Mental forderte jeder Fall seinen Tribut. «Okay, Zo, raus mit der Sprache. Was verschweigst du mir?», fragte Bobby.
Zo seufzte. «Die Pressefuzzis rufen ununterbrochen an, seit sie gehört haben, dass die kleine Knight vermisst wird. Irgendjemand hat das mit der blutigen Jacke in Markham aufgeschnappt, und die Medien haben sich daraufgestürzt. Anscheinend sieht Mallory Knight genauso aus wie die Tote aus Orlando, deren Foto heute auf der Titelseite des Sun Sentinel war. Du weißt schon, das jüngste Opfer des Hammermanns.»
Die Szene am See wirkte surreal, wie so oft an Tatorten.
Es war ein schöner Oktobernachmittag. Der blaue Himmel war mit bauschigen Schäfchenwolken getupft. Markham Park lag am Ende der State Road 84 direkt am Rand der Everglades. Auf dem ehemaligen Weide- und Sumpfland war ein Freizeitpark entstanden, mit See, Mountainbike-Gelände, Schießstand, Bogenplatz, Hundepark, Modellflugplatz, Campingplatz und Tennisplätzen. An Sonntagnachmittagen war der Park ein beliebtes Ziel für Geburtstagsfeiern, Familienfeste und gemächliche Fahrradtouren. Normalerweise hörte man hier das Lachen der Kinder, die auf den Klettergerüsten herumtobten, und das Plaudern der Erwachsenen, die an einem der vielen Rastplätze auf den weitläufigen Wiesen ihr Lager aufgeschlagen hatten.
Doch heute waren in diesem Teil des Parks weder Kinder noch Mountainbiker, Spaziergänger oder Rollerblader unterwegs. Der Spielplatz war gesperrt, die Joggingpfade waren geschlossen. Polizisten in Uniform und gelbes Flatterband hielten eine mittelgroße Menge von Neugierigen, Radfahrern und Reportern zurück. Beamte mit grimmigen Mienen standen in Gruppen beisammen, die Aufmerksamkeit auf den dunkelblauen See gerichtet, der sich an die Halbinseln mit den Mountainbike-Trails schmiegte. Sanitäter und eine Handvoll Feuerwehrleute warteten bei ihren Fahrzeugen auf dem Parkplatz, für den Fall, dass sie gebraucht wurden. Am Ufer standen zwei Bluthunde mit ihren Führern.
Taucher mit Ausrüstung wateten ins Wasser. Plötzlich erklang über ihnen das Knattern eines Helikopters. Bobby blickte von seinem Posten in der Nähe des von der Spurensicherung belegten Picknicktischs auf, um nachzusehen, ob die Presse im Anflug war. Doch es war ein Helikopter des BSO, der von der Luft aus suchte.
Nachdem die Taucher im Wasser verschwunden waren, schien die Zeit stillzustehen. Äußerlich gab sich Bobby gelassen und beherrscht, bewusst distanziert. Doch in Wahrheit fiel es ihm schwer, die Nerven zu behalten. Er ballte nervös die Hände in den Hosentaschen, während eine Flut schrecklicher Erinnerungen über ihn hereinbrach. Katy war erst seit zehn Monaten wieder zu Hause.
Er hatte den Geruch des Hustensafts in der Nase, als LuAnn in seinen Nacken geweint hatte. Sie war an dem Abend, als Katy nicht von der Bibliothek zurückgekommen war, schwer erkältet gewesen. Während er den Polizisten am Ufer zusah, die in ihre Funkgeräte sprachen, hörte er LuAnns Stimme. Ihren warmen Südstaaten-Akzent, rau von den Halsschmerzen und dem Schluchzen. Und vom Schreien. Sie hatte ihn angeschrien, seinen Job zu machen, Katy zu finden, sofort! Er erinnerte sich auch an die euphorische Hoffnung, den Adrenalinschub, wenn in den folgenden Wochen das Telefon geklingelt hatte, weil ein Mädchen, das auf Katys Beschreibung passte, gefunden oder verhaftet worden war; die Enttäuschung, wenn herauskam, dass es nicht seine Tochter war.
Sie ist irgendwo da draußen, Shep. Wir finden sie. Bestimmt.
Und dann die unerträglichen Anrufe, wenn eine Mädchenleiche gefunden, aber noch nicht identifiziert worden war. Nichts auf der Welt hatte er so sehr gefürchtet wie die Vorstellung, jemand würde ihm die schreckliche Nachricht überbringen – dass sie dieses Mal sein kleines Mädchen gefunden hatten. Jede Polizeidienststelle, nicht nur in Miami, sondern in ganz Florida und im ganzen Land, wusste, dass Bobby Dees’ sechzehnjährige Tochter wahrscheinlich ausgerissen war. In dem schrecklichen Jahr während ihrer Abwesenheit waren die Hinweise, die anfangs Anlass zu Hoffnung gegeben hatten, immer seltener geworden, bis zu dem Zeitpunkt, als er nur noch Grauen verspürte, wenn das Telefon klingelte und er die unbehagliche Stimme eines Kollegen hörte, der sagte: «Wir haben da vielleicht was, Shep …» Aber es war nie Katy. Gott sei Dank, es war nie Katy. Es war immer das Kind von anderen Eltern.
Heute war es die Tochter anderer Eltern, die vielleicht hier aus dem See gefischt wurde, aber er wusste noch genau, wie es sich angefühlt hatte, als er hatte fürchten müssen, die Taucher würden sein Kind aus der trüben Finsternis ziehen. Seine persönliche Erfahrung hatte ihm eine schreckliche neue Perspektive auf seinen Job beschert. Er wusste, wie es den Knights in diesem Moment ging, die zehn Kilometer entfernt in Cooper City am Telefon ausharrten, wahrscheinlich umgeben von Fotos und Erinnerungen an Mallory, und den Officer anstarrten, der mit ihnen auf Neuigkeiten wartete.
Zwanzig Minuten vergingen. Dreißig. Vierzig. Fünfzig. Bobby konnte sich nicht rühren. Er stand einfach nur da und sah zu. Wartete. Irgendwann kam ein Taucher an die Wasseroberfläche, der seinem Sergeant ein Zeichen gab und den Kopf schüttelte.
Nichts. Sie hatten nichts gefunden.
Langsam kamen die Gespräche in Gang, als hätte jemand plötzlich die Lautstärke wieder eingeschaltet. Die Taucher wateten zum Ufer und schälten sich aus den Anzügen, die Techniker der Spurensicherung stiegen in den Van mit der Aufschrift Crime Scene Investigation, die Feuerwehr und der Krankenwagen fuhren ab. Das Flatterband blieb, auch wenn die meisten Schaulustigen inzwischen weitergegangen waren. Ein paar Reporter waren noch da, verstreut wie Hyänen, die nach übrig gebliebenen Happen suchten.
Bobby erinnerte sich an das Gefühl, wenn sich das schlimmste Szenario nicht einstellte. Der schmutzige Raum stank nach verwesendem Fleisch. Er sah, wie seine Hände nach der steifen Leiche griffen, die an Ketten von der Decke hing. Es war, als gehörten seine Arme nicht ihm, sondern jemandem aus einem Film. Ihm wurde schlecht, als sich der schlanke Körper in Jeans und T-Shirt um die eigene Achse drehte, doch er kämpfte gegen die Übelkeit an, denn er musste hinsehen. Er musste es wissen. Er musste sie nach Hause bringen, falls es Katy war, damit er sie beerdigen konnte … Er erinnerte sich an den Euphorieschub, als er sah, dass sie es nicht war. Er schmeckte den Schweiß, der ihm übers Gesicht und in den Mund lief, als er dem Team zurief: «Sie ist es nicht! O Gott, sie ist es nicht!» Sie war das Kind anderer Eltern.
Den Blick immer noch auf den See gerichtet, versuchte Bobby den eisernen Griff der lähmenden Erinnerungen abzuschütteln. Die Detectives waren vom Ufer auf den Parkplatz umgezogen. Auch er machte sich auf den Weg. Die Sonne wanderte über den Everglades zum Horizont, und der Himmel schimmerte in warmen Rosa- und Goldtönen. Lange Schatten fielen auf das leere Klettergerüst.
In einer Hand hielt er eine Karte der Mountainbike-Wege im Markham Park. Ein rotes X markierte die Stelle, wo man Mallory Knights Jacke und Tasche gefunden hatte, in der Nähe eines abgeschiedenen Verbindungswegs, der durch ein besonders dichtes Kiefernwaldstück mit dem passenden Namen Deep Dark Forest führte. Tiefer, dunkler Wald. In der anderen Hand hielt er das Foto, das Virginia Knight den Detectives gegeben hatte. Das Mädchen hatte ein schönes Gesicht, eher länglich als rund, mit hoher Stirn, geschwungenen Augenbrauen und anmutigen symmetrischen Zügen. Ihre Nase war gerade, die Spitze leicht aufgeworfen, der Mund klein mit tiefroten Lippen, die weder dick noch dünn waren. Ihre Augen waren groß und ernst und erinnerten an ein Reh. Sie war ein schönes Mädchen, aber nicht das, was die Jungs in ihrem Alter als scharf oder sexy bezeichnen würden. Ihr Gesicht erinnerte Bobby an eine Renaissance-Madonna.
Außerdem sah sie aus wie eine Doppelgängerin der Toten auf der Titelseite der heutigen Zeitung.
Also gut. Sie war nicht im See. Und sie war nicht im Park. Wo zum Teufel bist du, Mallory?, fragte er sich, als sein Gehirn endlich wieder in den Polizisten-Modus schaltete und er vorsichtig die Fakten hin und her schob wie die Teile eines gigantischen Puzzles. Die Detectives auf dem Parkplatz sahen ihn misstrauisch an, als er sich zu ihnen gesellte. Er hielt seine Marke hoch wie ein Kreuz, dann stellte er sich vor und bot ihnen seine Unterstützung an.
Er wurde tatsächlich nicht mit offenen Armen empfangen, aber damit hatte er auch nicht gerechnet. Obwohl es noch nicht mal eine Leiche gab, liefen schon jetzt die Telefone heiß, weil Gerüchte um einen möglichen Zusammenhang mit einem gesuchten Serienmörder kursierten. Das machte diesen Fall zu einem potenziellen Karriere-Booster, den die meisten Detectives für sich allein haben wollten – in der Hoffnung, nach der Verhaftung und ihren fünfzehn Minuten im Rampenlicht würde ein dicker Buchvertrag auf sie warten. Traurig, aber wahr. Dank Picasso hatte Bobby bereits seine Minuten in der Sonne gehabt, und er hatte genug Buchangebote. Er war weder scharf auf das Rampenlicht, noch wollte er den Fall an sich reißen. Er wollte einfach nur dieses Mädchen finden, und zwar, bevor es zu spät war. Falls es nicht ohnehin längst zu spät war.
Die Detectives Al Pilar und Chris Dalla Riva von der Vermisstenstelle beim BSO hatten bereits von ihrer Vorgesetzten gehört, dass das FDLE zur Unterstützung anrückte, also war Bobbys Auftauchen am Tatort für sie keine Überraschung. Ihre Kollegen von Homicide waren auch schon da gewesen und wieder gegangen, und es sah aus, als würde die Mordkommission von der Vermisstenstelle übernehmen, sodass Dalla Riva und Pilar aus dem Rennen wären. Was das Sunrise PD anging, in dessen Zuständigkeitsbereich sie hier waren, versuchte Homicide Detective Pat Graybill die Fäden aufzunehmen, seit sie ihn am Morgen gerufen hatten, weil er fest damit rechnete, in der Nähe der blutigen Jacke und Handtasche auch eine Leiche zu finden.
«Sie ist nicht im See», stellte Al Pilar fest. «Es waren sechs Taucher unten. Und jede Menge Beamte auf den Trails. Da ist sie auch nicht. Morgen durchsuchen wir den Rest des Parkgeländes, und das wird ein ziemliches Unternehmen. Wir haben 666 Morgen Land vor uns.»
«Sechs-sechs-sechs. Die Zahl des Teufels», sagte Dalla Riva trocken. «Das passt. Wir wurden gewarnt.»
«Ich schätze, das FDLE organisiert die Suche mit deinem Department, oder, Pat?», fragte Pilar, ohne auf Dalla Rivas Kommentar einzugehen. «Ich glaube, gegen sechs sollen die Freiwilligen hier aufkreuzen?»
Pat Graybill nickte. «Sobald die Sonne aufgeht. Jetzt hat’s keinen Sinn mehr, wir würden nichts finden. Im Wald sieht man die Hand vor Augen nicht.»
«Die Florida Wildlife Commission hat Sumpfboote rausgeschickt, die sich in den Glades umsehen», fuhr Pilar fort. «Gefunden haben sie noch nichts, aber sie haben spät angefangen, und es sind ein paar hundert Kilometer, die sie abgrasen müssen.»
«Und mehr als ein paar hungrige Alligatoren», sagte Graybill.
«Stimmt. Vielleicht ist nicht mehr viel von ihr übrig – falls sie in den Glades ist», erklärte Dalla Riva grimmig.
«Wie weit seid ihr mit den Befragungen?», fragte Bobby. «Was war auf der Party los? Konntet ihr euch ein Bild machen?»
Pilar rieb sich den kahlen Hinterkopf. «Die Kollegen von Homicide führen die vorläufigen Befragungen durch, mit zwei Leuten von der Vermisstenstelle. Es sind eine Menge Kids, die wir uns vornehmen müssen.»
Bobby nickte. «Zweiundvierzig, habe ich gehört?»
«Nach der letzten Zählung siebenundfünfzig», gab Pilar zurück. «Wir lassen jeden die Namen aller Leute aufschreiben, die er auf der Party gesehen hat. Eine Gästeliste gibt es nicht – nur die Einladung auf Facebook und Twitter: Sturmfreie Bude, kommt vorbei. Und dann vergleichen wir alle Listen miteinander. Es ist mühselig und hat uns schon den halben Tag gekostet, aber wir wollen niemanden übersehen.»
Bobby nickte. «Murphys Gesetz: Der, der durchrutscht, hat am meisten gesehen.»
«Genau. Die, mit denen wir bis jetzt gesprochen haben, waren entweder zu high oder zu blau, um sich an nützliche Informationen zu erinnern, aber wir müssen alle vernehmen.»
«Klingt nach ’ner tollen Party.»
«Samstagabend, Eltern übers Wochenende verreist. Jede Menge Footballspieler, süße Mädchen, Alkohol. Was will man mehr?»
«Was ist mit ihrem Freund, diesem Tyler?», fragte Bobby. «Hatte der was Interessantes zu sagen?»
«Ich habe heute Nachmittag mit ihm und seinen Eltern gesprochen», antwortete Dalla Riva, «nachdem die Jacke und die Handtasche aufgetaucht waren. Er sagt, er und Mallory hatten gegen Mitternacht einen Streit. Anscheinend hatte sie Muffensausen, weil ihre Mutter und ihr Stiefvater rausgefunden hatten, dass sie ohne ihre Erlaubnis auf einer Party war. Sie wollte gehen, er nicht. Er sagt, das hätte ihr nicht gepasst und sie wäre einfach rausgestürmt. Seitdem hat er nichts von ihr gehört. Wir haben uns sein Telefon angesehen, und anscheinend sagt er die Wahrheit: keine Textnachrichten, keine Anrufe – jedenfalls nicht an sie. Wir lassen uns trotzdem seine Mobilfunkdaten geben.»
«Er ist ihr nicht nachgegangen? Und hat sie nicht mal angerufen?», fragte Bobby.
Dalla Riva nickte. «Arschloch. Mein Frettchen ist loyaler.»
«Den würde ich mir gern mal vorknöpfen», sagte Bobby.
«Er ist gerade mit seinen Eltern zur zweiten Runde auf der Wache. Diesmal mit Anwalt, was interessant ist. Daddy Armstrong sagt, es ist seine Idee gewesen, weil er das Gefühl hat, wir würden Sonny Boy in die Zange nehmen. Offensichtlich sind die Gerüchte noch nicht bis zu ihm vorgedrungen – dass wir eigentlich nach einem Wüstling mit Werkzeugkasten suchen sollten, der gern auf junge Mädchen einhämmert. Wenn ich das heute noch einmal höre …» Pilar schnaubte. «Na ja, ich schätze, das ist dann Vatuccis und Denbys Problem, nicht meines.»
«Vatucci?», fragte Bobby
Al Pilar nickte. «Perry Vatucci und Ed Denby. Kennen Sie die? Vom BSO Homicide. Sieht aus, als ginge der Fall an die beiden, wenn nicht bald ein paar Hinweise auftauchen, dass die Kleine nur ausgerissen und nicht in Stücke gehackt worden ist.»
Bobby sah, dass die Nachricht nicht gut ankam. Ed Denby und Perry Vatucci waren erfahrene Mordermittler, aber Vatucci hatte den Ruf, schwierig zu sein. Und arrogant. Sein jüngerer Bruder Rory Vatucci hatte für die Vermisstenstelle gearbeitet. Mit der Betonung auf hatte