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Ein neuer Fall für Inspektor Jury – ein Glücksfall noch dazu.
Als Inspektor Jury den Mord an einem Mitglied der Londoner High Society aufklären soll, ahnt er nicht, welch rasante Ermittlungen auf ihn zukommen: Am Tatort, einem vornehmen Hotel im Londoner In-Stadtviertel Clerkenwell, erwartet Jury eine neue Kollegin. Lu Aguilar ist nicht nur schön, sondern auch klug, und sie stürzt Jury ebenso in Verwirrung wie die Ermittlungsergebnisse: Der Tote, Billy Maples, hütete nämlich ein pikantes Familiengeheimnis. Die Spuren führen ins Berlin der 1940er Jahre …
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Seitenzahl: 505
Martha Grimes
Inspektor Jury lässt die Puppen tanzen
Roman
Buch
Inspektor Jury ist selig: Er ist frisch verliebt und wird von seiner Kollegin aus der Pathologie, Phyllis Nancy, zurückgeliebt. Doch wie das Leben so spielt, gerät plötzlich alles durcheinander, ohne dass Jury etwas dagegen tun könnte. Er bekommt es nämlich in einem der angesagtesten Hotels des Londoner In-Viertels Clerkenwell mit einer weiteren Kollegin zu tun – Lu Aguilar ist Brasilianerin, sirenenhaft schön, sehr bestimmt, und sie will genau zwei Dinge: Den Mord an Hotelgast Billy Maples aufklären und Richard Jury ins Bett zerren. Doch auch die Entdeckungen, die Jury im Rahmen seiner Ermittlungen macht, sind pikant: Der Tote – Mitte Dreißig, beliebt, gut aussehend, aus einer reichen und angesehenen Londoner Familie kommend – scheint nämlich eine äußerst widersprüchliche Persönlichkeit gewesen zu sein. Inspektor Jury bleibt nichts anderes übrig: Wenn er an allen Fronten forschen möchte, die sich als mögliche Fährten zur Aufklärung des Mordes an Billy Maples auftun, muss er sich Hilfe holen. Und was läge näher, als Melrose Plant als neuen Pächter in Lamb House einzuschleusen, um die Haushälterin und den Assistenten des Toten heimlich zu beschatten? Gemeinsam ist das Team unschlagbar, und schon bald finden Aguilar, Jury und Plant Spuren, die ebenso geheimnisvoll wie viel versprechend klingen und in das Deutschland der 1940er-Jahre führen …
Autorin
Die Originalausgabe erschien 2007 unter dem Titel »Dust« bei Viking, New York
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1. Auflage Taschenbuchausgabe Juli 2010 Copyright © der Originalausgabe 2007 by Martha Grimes By arrangement with Peter Lampack Agency, Inc. 55 Fifth Avenue, Suite 1613 New York, NY 10176-0187 USA Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2008 by Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Zum Andenken an
This is just love. It’s nothing like the storm.
Clive James, »After the Storm«
Benny Keegan sauste den Korridor im fünften Stock des Zetter entlang, sein kleiner Hund Sparky folgte ihm brav auf den Fersen. Schwungvoll hielt Benny das Tablett mit einer Hand hoch, so wie er es bei Gilbert gesehen hatte. Als die Kaffeekanne ein Stückchen rutschte und die Tassen leise klapperten, nahm er es jedoch schnell wieder herunter und hielt es mit beiden Händen fest. So etwas musste er erst noch üben.
Nicht, dass das Hotel ihn jemals als Zimmerkellner einstellen würde. Dafür, hatte es geheißen, bräuchte ein Sechzehnjähriger noch jede Menge »Würze«. Die Leute, die das Einstellungsgespräch mit ihm geführt hatten, lachten über den Ausdruck »Würze« – wie bei Speisen, kapiert? Benny verstand sehr wohl und setzte insgeheim noch eins drauf. Er war nicht sechzehn, sondern erst dreizehn: Und ihr seid drauf reingefallen, kapiert?
Dreizehn! Doch was ihm an Körpergröße und Erfahrung fehlte, machte er durch Tiefgründigkeit wett – in seinem Blick, seiner nachdenklichen Miene, seiner auffälligen Ernsthaftigkeit und Weltgewandtheit.
»Und die richtige Würze«, hatten sie hinzugefügt, »kriegst du in der Küche – beim Tellerwaschen und in der Spätschicht …«
Und nun sprang er mit seinem Hund für den alten Gilbert ein und brachte ein Tablett mit Kaffee hoch.
Er klopfte an die Tür. Keine Antwort. Klopfte noch mal. Wie lief so etwas normalerweise eigentlich ab? Auf die Feinheiten war der alte Gilbert nicht eingegangen: Dieser Gast hier hatte sich das Abendessen aufs Zimmer kommen lassen und anschließend noch einen Kaffee bestellt. Es müsste also jemand da sein. Benny klopfte erneut. Gilberts Chipkarte hatte er dabei. (»Pass gut darauf auf, mein Junge. Braucht ja keiner zu erfahren. Ich bin bloß mal kurz weg, ’n Bierchen trinken.« Sein Lachen hörte sich verschleimt an, während er den Mantel überzog.)
Doch beim letzten Klopfen hatte die Tür nachgegeben, war ein Stückchen aufgegangen, und nun stieß Benny sie sachte auf. Dabei machte er sich erneut bemerkbar: »Zimmerservice.« Keine Antwort. Hoffentlich hatte er nicht das falsche Zimmer erwischt. Nun stand er mit Sparky in dem schwach erleuchteten Raum und sah sich vorsichtig um. Man konnte sagen, was man wollte, piekfein war das hier schon – richtig modern und schick. Nicht piekfein à la dreihundert Mäuse die Nacht, aber er hätte nichts dagegen, hier mal zu übernachten – blütenweiße Bettlaken gab es hier und Badetücher, mit denen man ein Zelt aufschlagen könnte. Und überall blitzblank poliertes Holz. Sehr nett.
Links war ein Wandbord, das man auch als Schreibtisch oder Esstheke benutzen konnte. Darauf stand das Essensgedeck, das Gilbert vor etwa einer Stunde serviert hatte. Schweres Besteck, gutes Porzellan. Die Überreste von einem Hamburger, dazu Pommes frites und kleine Töpfchen mit Senf, Ketchup und Essiggürkchen – der Inhalt üppig über die Pommes frites und den halb gegessenen Hamburger verschmiert. Wo steckte dieser Mensch bloß? Vielleicht war er ja hinuntergegangen, um mit jemandem am Empfang zu sprechen oder sonst etwas. Ins Restaurant wohl kaum, schließlich hatte er Zimmerservice bestellt. Die Schiebetür zum Balkon stand offen – zum Patio, wie es hier im Hotel vornehm hieß –, und Sparky war schon draußen und schnüffelte herum. Sämtliche Zimmer hier oben verfügten über eine Dachterrasse, und die hier war richtig groß. Vielleicht war der Gast ja dort draußen und genoss die Aprilnacht.
Weil Sparky auf einmal zu bellen anfing, trat Benny mit dem Tablett in der Hand auf die Terrasse hinaus. Dort standen ein paar Metallstühle herum, ein Tisch. Und Pflanzen, große Pflanzen in großen Töpfen. Und da sah er ihn plötzlich, direkt neben Sparky. Der Mann lag seltsam verrenkt neben dem Tisch, das Gesicht unnatürlich zur Seite verdreht.
Benny hielt sich am Tablett fest, die Kaffeekanne zitterte, die kleinen Tassen stießen aneinander. Das Tablett fühlte sich an, als klebte es an seinen Händen. Er holte ein paar Mal tief Luft, versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen. Wie gebannt starrte er hinunter auf das Gesicht des Mannes, das er nur undeutlich ausmachen konnte. Ziemlich jung. Und vermutlich viel Kohle – das Jackett, das er trug, war wirklich edel. Nun ja, inzwischen vielleicht nicht mehr ganz so edel mit dem großen Blutfleck drauf.
Endlich schaffte er es, das Tablett abzustellen. Er schob den Hund beiseite und beugte sich hinunter. Eigentlich müsste er die Leiche umdrehen, aber das hatten sie bekanntlich bei der Polizei nicht so gern. Er würde den Hotelmanager oder sonst jemanden verständigen müssen. Doch das hatte Zeit. Nachdem sie ihn unten in der Küche ständig herumkommandiert hatten, wollte er sich zur Abwechslung mal von niemandem dreinreden lassen, bloß für ein paar Minuten die Zügel in der Hand haben.
Er betrachtete den Mann. Sah jung aus, fand er. Benny war sich sicher, dass er tot war. Wie jemand tot aussah, hatte er schon gesehen, es sah völlig anders aus als ohnmächtig oder im Delirium. (So was kam unter der Waterloo Bridge schon mal hin und wieder vor.) Tot sah aus, als wäre der Zug abgefahren, aus und vorbei, für immer. Trotzdem sollte er besser nachschauen, ob noch Lebenszeichen festzustellen waren. Die Arterie da am Hals? Die eignete sich gut. Er kniete sich hin und legte die Finger an die Stelle, wo Hals und Schulter sich trafen. Nichts, kein leises Pochen, gar nichts.
Sein eigenes Herz hörte er dagegen wie wild hämmern.
Der Mann war tot, keine Frage. Benny stand auf und schaute sich vorsichtig auf der Dachterrasse um, auf der Suche nach irgendeinem Hinweis, worauf, wusste er auch nicht. Aber so machten es die Leute von der Kripo immer. Sie schauten sich ganz genau um.
Womöglich erhaschte man dann ja einen Blick auf etwas, was nicht stimmte oder ungewöhnlich war. Die Hände in die Hüften gestemmt, drehte Benny langsam den Kopf hin und her. Aber Fehlanzeige.
Benny pfiff nach Sparky und ging ins Zimmer zurück. Wieder fiel ihm das halb aufgegessene Abendessen auf. Hieß das, der Schütze hatte den Mann beim Essen unterbrochen? Oder war er einfach nicht besonders hungrig gewesen? Hamburger, Pommes mit Ketchup darüber, kleiner, gemischter Salat. Und was hatte der Kerl noch mal zu Gilbert gesagt, als der ihm das Essen brachte? Dass er später Kaffee für zwei Personen wollte.
Für zwei. Na, da haben wir es doch, klar wie Kloßbrühe: Der Typ hört es klopfen, geht an die Tür, sagt hallo, und sein Kumpel kommt rein. Vielleicht setzt er sich wieder hin und will vollends aufessen, da … Benny hob die Hände, die Linke fest um die Rechte geklammert, und feuerte seine imaginäre Pistole ab. Peng!
Sparky hatte die Schnauze tief in eine Ecke neben dem Fernseher gesteckt. Wetten, dachte Benny, dass der Sachen aufspüren konnte, die den normalen Polizeispürhunden schlichtweg entgingen. Schlauer Bursche!
Behutsam, die weiße Serviette vom Tablett als Handschuh benutzend, durchsuchte er die Taschen des Mannes – er wusste zwar, dass er nichts anfassen durfte, aber zum Teufel! Er wollte irgendwelche Ausweispapiere finden. In der Hosentasche steckte eine Brieftasche, die er vorsichtig herauszog und aufmachte. Na, wer sagt’s denn!
Benny holte sein eigenes Adressbüchlein heraus. Das hatte einmal zu einer großen Stoffpuppe im Moonraker-Buchladen gehört, wo er nachmittags arbeitete. Die Puppe hieß Kleine Reisetante und war fein herausgeputzt mit Mantel und Hut, Reisekoffer und eben diesem Adressbüchlein. Als die Ladeninhaberin meinte, sie könnte die Puppe ja für wohltätige Zwecke weggeben, da sie offenbar keiner haben wollte, hatte Benny um das Adressbüchlein gebeten. Die Puppe wollte er nicht. Na ja, eigentlich hätte er sie schon ganz gern genommen, aber wie hätte das denn ausgesehen, ein großer Junge wie er, der eine Puppe mit Koffer herumschleppte?
Zwei Nummern hatte er im Adressbüchlein notiert. (Obwohl er sie auswendig konnte, schlug er doch gern in seinem Büchlein nach.) Die eine war die vom Moonraker. Die andere fand er, trat ans Telefon und wählte.
Richard Jury fühlte sich prächtig. Zufrieden und mehr oder weniger vollständig angezogen saß er in seiner Wohnung in Islington und lauschte der Dusche in seinem Badezimmer, deren Wasserstrahl sich über die unbestritten schönsten Schultern im Großraum London ergoss.
Gleichzeitig hoffte er, dass die Füße, die soeben gerade aus der Wohnung im zweiten Stock die Treppe herunterklapperten, nicht auf seine Tür zusteuerten.
Nicht hier stehen bleiben, Carol-Anne. Nicht anklopfen. Nicht hereinkommen und fragen: »Wenn Sie auf dem Sofa sitzen, wer ist dann unter der Dusche?« Anders als die Mehrzahl seiner zum Himmel geschickten Gebete wurde dieses erhört. Die klobigen schweren Klapperschuhe gingen weiter bis zur Haustür, die sich öffnete und wieder schloss …
(Danke dir, lieber Gott …)
… dann überlegte Carol-Anne es sich offensichtlich anders und kam zurück.
(… für gar nichts. Ach ja, danke, dass du mir erst weismachst, ich wäre gerettet, um mir dann patsch! eins in die Fresse zu geben.)
Tapp, tapp, tapp, Absätze auf Fußboden.
Klopf, klopf, klopf, Hand an Tür.
Jury legte die Hände trichterförmig um den Mund: »Ich bin unter der Dusche! Kommen Sie später wieder!«
Stille, dann entfernten sich die Schritte. Genüsslich versetzte sich Jury wieder in seinen vorigen Zustand besäuselter Zufriedenheit und griff nach seinem Tee.
Wieder die Haustür. Andere Schritte. Weicher, wie mit Hauslatschen: schlapp, schlapp, schlapp. Vor seiner Tür blieben sie stehen.
Es war bestimmt die alte Dame aus der Wohnung im Untergeschoss, die selten an seine Tür kam. Mrs. Wasserman. Sanftes Klopfen mit alten Handknöcheln.
Diesmal stand Jury eilends auf und huschte in die Küche, um seine Stimme von weiter weg klingen zu lassen. »Ich bin im Bad!« Im Badezimmer prasselte das Wasser hernieder.
Aus dem Hausflur waren gedämpfte Worte zu hören. Er schlich wieder zum Sofa und hörte, wie sich die Hausschlappenschritte entfernten, die Eingangstür auf- und wieder zuging.
Mit einem tiefen Seufzer nahm er seinen Teebecher zur Hand.
Ein scharrendes Geräusch auf der Treppe ließ ihn aufhorchen. Das Scharren verstummte vor seiner Tür. Dann Stille. Dann ein dumpfes Klopfen.
Meine Güte! Hatte er überhaupt kein Privatleben mehr? War er so etwas wie der Hauptkunde der Firma Störungen & Unterbrechungen? Ehrenmitglied im »Vor-uns-gibt’s-keine-Geheimnisse«-Verein? Sollte dies seine ganz persönliche Hölle sein: ein Hausflur mit einer ewigen Abfolge von Schritten, die kamen und gingen, von Leuten, die er nicht sehen konnte?
Ach was, zum Teufel damit! Er stand auf und riss die Wohnungstür auf. »Hereinspaziert, hereinspaziert, ist doch egal, wie unglaublich ungelegen ihr kommt! Das ist übrigens meine Freundin da unter der Dusche. Wenn sie gleich rauskommt, könnt ihr ihr ein Loch in den Bauch fragen, von wegen, wer sie ist und was sie hier unter meiner Dusche zu suchen hat. Unser Liebesleben ist ein offenes Buch. Nur immer herein, herein. Kann ich euch was anbieten? Bohnen auf Toast? Einen Gin?« Jury trat beiseite und schwenkte den Arm einladend von der Türschwelle zum Wohnzimmer.
Der Hund spazierte herein, ließ sich niederplumpsen und gähnte.
»Was? Ist dir etwa schon langweilig? Ach, tut mir leid, wir haben uns im Restaurant den übrig gebliebenen Kaviar nicht einpacken lassen. Soll ich vielleicht eine Creme brûlée organisieren? Oder einen Schokoriegel? Oder einen Knochen?«
Jury griff unter einen Fußhocker und zog ein ziemlich abgenagtes Lederding hervor, das er dem Hund hinschubste.
»Mit wem redest du da?«
Dass die Dusche nicht mehr lief, bemerkte Jury erst, als er ihre Stimme hörte.
»Mit Stone. Dem Hund von oben.«
Phyllis steckte den nassen Kopf durch die Tür. Er konnte den oberen Rand eines Badetuchs sehen, das sie sich umgewickelt hatte. Sie zog den Kopf wieder ein. »Bin gleich draußen.«
»Lass dir Zeit. Hier paradiert gerade lediglich ganz Islington durch.« Das sagte er aber zu sich selbst, denn die Badezimmertür war schon wieder geschlossen.
Also redete er ein Weilchen mit Stone. Nichts Weltbewegendes, nur Geplänkel, während sie es sich beide bequem machten.
Das Telefon klingelte. Natürlich! Es war ja erst halb elf, worauf warteten die Leute?
Am anderen Ende meldete sich Benny Keegan.
Jury war erstaunt. »Benny! Wie geht’s dir? Wo bist du? Was gibt’s?« Sie hatten vereinbart, dass Benny ihn jederzeit anrufen konnte, Tag und Nacht. Das hatte der Junge bisher noch nie getan.
»Ich bin im Zetter, das ist dieses schicke Hotel in Clerkenwell. An der Clerkenwell Road. Also, ich hab da einen Job angefangen, wo ich manchmal abends in der Küche aushelf.« Benny senkte die Stimme. »Und heute Abend waren sie ein bisschen knapp beim Zimmerservice, da sollte ich einem Gast ein Tablett aufs Zimmer bringen.«
Jury lächelte. Benny Keegan war dreizehn. Offensichtlich hatte das Hotel von Kinderarbeit noch nie etwas gehört. Allerdings war jetzt wohl kaum der richtige Zeitpunkt, das Thema Alter zur Sprache zu bringen. »Schieß los.«
»Ich bring also so eine neumodische Kaffeekanne, Kaffeepresse sagt man wohl dazu, auf einem Tablett rauf in den fünften Stock. Ich klopf an, und die Tür geht von selber auf. Ich klopf noch mal und noch mal, aber es kommt keiner. Ich geh rein, niemand im Zimmer, ich also raus auf den Balkon. Auf der Etage haben nämlich alle Zimmer einen. Und da seh ich ihn. Und da is der … tot!« Den letzten Satz stieß er mit Fistelstimme hervor.
Jury setzte sich ruckartig auf. »Benny, alles in Ordnung mit dir?«
»Mit mir schon, Mr. Jury. Kann ich von dem Typ in Zimmer 523 aber nich behaupten. Da bin ich nämlich grade.«
»Hast du schon jemanden verständigt?«
Benny seufzte. »Ja, natürlich. Sie, Mr. Jury. Sie haben doch gesagt, wenn’s mal Probleme gibt –«
»Du hast vollkommen recht. Ich bin froh, dass du dich bei mir gemeldet hast. Und jetzt –«
Benny dämpfte die Stimme, als könnte der Tote ihn belauschen. »Also, das is so. Ich hab denen verzapft, also, dem Typ, der mich eingestellt hat, ich wär sechzehn. Und eben ’n bisschen klein für mein Alter. Aber das war denen vom Hotel ja egal, solang ich bloß den Müll rausgetragen hab. Aber einen Toten finden … die werden jetzt wahrscheinlich merken, äh, dass ich noch minderjährig bin.«
»Gib mir die Adresse, Benny.«
»In EC 1 isses, in der Clerkenwell Road 86–88.«
Jury notierte es sich, riss den Zettel ab und sagte: »Pass auf. Du musst jetzt sofort die Sache melden. Geh einfach runter zur Küchenmannschaft und sag, was du entdeckt hast. Soll einer von denen zur Geschäftsleitung gehen, und die soll dann die Polizei holen. Wahrscheinlich ist dort die Polizei von Islington zuständig. Auf die Art bist du aus dem Schneider. Vorläufig jedenfalls.« Sehr vorläufig. »Das machst du, ja?«
»Klar. Wenn Sie’s sagen. Der Typ heißt übrigens Maples. Steht in seinem Führerschein.«
»Was?«
»Der Tote. Der heißt Billy Maples.«
Jury steckte seinen Schreibstift wieder in die Tasche. »Benny, du sollst doch nichts anfassen.«
Am anderen Ende der Leitung ertönte ein genervter Seufzer. »Klar, weiß ich doch. Die Brieftasche hab ich mit ’ner Serviette als Handschuh rausgefischt. Konnte ich dem Kerl so aus der Tasche ziehen.«
»Hol die Geschäftsleitung, Benny.«
»Ich hab aber die Leiche gefunden, Mr. Jury. Die werden mir ’ne Menge Fragen stellen.«
»Keine Sorge. Ich bin in zwanzig Minuten da.«
»Und was is mit ’nem Doktor?«
»Bring ich mit. Rühr dich nicht vom Fleck.« Er legte auf.
Jury klopfte an die Badezimmertür. »Phyllis?« Er lächelte. Selbst die Luft im Badezimmer würde wie Tau auf ihren Schultern liegen.
Die Tür öffnete sich einen Spalt, dann noch ein Stück. Sie war immer noch in das große Badetuch gewickelt.
»Dr. Nancy. Wir werden gebraucht.«
Phyllis Nancy sagte: »Das ist ja wie im Film! Soll ich meinen Emma-Peel-Taucheranzug tragen? Wie in Mit Schirm, Charme und Melone? Oder lieber das rückenfreie Schwarze?«
Das »rückenfreie Schwarze« war das modische Seidenteil, das sie am selbigen Abend getragen hatte, als sie im West End zum Dinner ausgegangen waren. Der Stoff verhüllte vorneherum alles, hinten zeigte das Kleid vom Hals bis zur Taille jedoch reichlich nackte Haut.
Jury hatte sich eine Bemerkung dazu nicht verkneifen können.
»Wie wahr! Nicht gerade der Arbeitskittel einer Pathologin bei Scotland Yard«, hatte Phyllis entgegnet, als sie sich später in seinem Schlafzimmer aus dem Kleid schälte. Es glitt zu Boden.
Als sie jetzt die Tür etwas weiter aufmachte, hakte er seine Finger an der Stelle ins Badetuch, wo es übergeschlagen war. Und sah auch dieses zu Boden fallen.
»Zieh dich an. Billy Maples braucht uns.««
»Wer ist Billy Maples?«
Jury wollte gerade die Arme um sie schlingen, als ihm Benny einfiel, allein mit einer Leiche. Er hielt sich zurück. »Unser nächster Fall.«
Das Zetter, das Wert auf die Bezeichnung »Restaurant mit Gästezimmern« legte, lag in der Clerkenwell Road. Es besaß die schlichten, eckigen Konturen einer alten Lagerhalle, und hier war Schlichtheit in coole Eleganz verwandelt worden. Klare Formen galten nun als minimalistisches Interieur. Man musste dem Kind nur einen neuen Namen geben. So einfach war das.
Jury fragte sich, ob das Zetter womöglich Vorbote eines neuen Trends war. Vermutlich schon, wenn man bedachte, wie viele Spitzenrestaurants in letzter Zeit in London dazugekommen waren. Vor zwanzig Jahren wäre es jedenfalls undenkbar gewesen, dass die Leute allein des Restaurants wegen ein ganz bestimmtes Hotel wählten.
Da es in der Clerkenwell Road, die selbst zu dieser späten Stunde stark befahren war, keine Parkmöglichkeit gab, fuhr Jury beim St. James’ Green in eine Lücke.
Phyllis trug keinen Mantel, behauptete aber, ihr schwarzer Kaschmirschal böte ausreichend Schutz vor der Unbill der Witterung: vor Orkanen, Wirbelstürmen und Flutwellen. Es hatte heftig zu regnen begonnen, so dass sie die Straße im Laufschritt überquerten, bis sie zu einem Durchgang namens Jerusalem Passage gelangten. Dankbar stellten sie sich unter.
Eine dunkel gekleidete Gestalt kam mit gesenktem Kopf auf sie zugelaufen, auf der Flucht vor dem Regen vielleicht. In dem engen Durchgang stieß sie mit Phyllis zusammen.
»He!«, knurrte Jury.
Über die Schulter rief ihnen der Mann eine Entschuldigung zu. Jury hätte ihn ohne Umschweife angehalten, wäre ihm nicht das dunkle Gewand aufgefallen, der berufstypische weiße Kragen. Ob er vor einem zürnenden Gott davonrannte?, überlegte Jury laut. Phyllis lachte, und sie gingen weiter.
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