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Ein wunderbar britischer Spannungsroman zwischen London und Cornwall.
Als Inspektor Jury an einem kühlen Märztag an den Ort eines Verbrechens in London gerufen wird, ist er fassungslos. Denn das Opfer, das durch einen heimtückischen Schuss in den Rücken getötet wurde, trägt ein geblümtes Kleidchen – und ist fünf Jahre alt. Eine erste Spur führt Jury nach Cornwall auf den stattlichen Landsitz Angel's Gate. Dort hatte sich kurz darauf in dem weitläufigen Park ein weiterer Mord ereignet. Ist die unbekannte Tote der Schlüssel zu der Ermordung des kleinen Mädchens?
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Seitenzahl: 591
Martha Grimes
Karneval der Toten
Ein Inspektor-Jury-Roman
Deutsch
Buch
Im Rinnstein einer Londoner Straße liegt die Leiche eines fünfjährigen Mädchens. Niemand weiß, wer die Kleine ist oder woher sie an jenem regnerischen Märztag kam. Inspektor Jury von Scotland Yard ist fassungslos. Wer schießt auf ein wehrloses Kind? Und was hatte es in dieser heruntergekommenen Straße zu suchen? Eine erste Spur führt Jury gemeinsam mit seinem Freund Melrose Plant nach Cornwall auf den einstmals glanzvollen Landsitz Angel’s Gate. Denn dort, in den weitläufigen Gärten des Herrenhauses, hat sich ein weiterer Mord an einer mysteriösen Unbekannten ereignet, der mit dem Tod des kleinen Mädchens in Verbindung zu stehen scheint. Jury und Melrose beziehen Quartier auf Angel’s Gate und stellen alsbald fest, dass keiner der ist, der er vorgibt zu sein – und dass sie die Maskerade durchschauen müssen, wenn sie den wahren Täter ausfindig machen wollen …
Autorin
Martha Grimes wurde in Pittsburgh geboren und studierte an der University of Maryland. Sie unterrichtete lange Zeit CreativeWriting an der renommierten Johns Hopkins University und gilt selbst als Königin des Kriminalromans. Mit ihren Inspektor-Jury-Romanen hat Martha Grimes eine riesige internationale Fangemeinde erobert. Die Autorin lebt abwechselnd in Washington und Santa Fe, New Mexico.
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Die Originalausgabe erschien 2004 unter dem Titel »The Winds of Change« bei Viking, New York.
Copyright © der Originalausgabe 2004 by Martha Grimes By arrangement with Peter Lampack Agency, Inc. 551 Fifth Avenue, Suite 1613 New York, NY 10176-0187 USA Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2006 by Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München.
Covergestaltung: UNO Werbeagentur
unter Verwendung von Bildmaterial von FinePic®, München
Meinem Bruder Bill 1929–2003
We fray into the future, rarely wroughtSave in the tapestries of afterthought.
Die Blutflecken auf dem Kleid des kleinen Mädchens verschwammen mit dem Glockenblumenmuster. Als hätte ihr jemand eine Hand voll Blütenblätter auf den Rücken gestreut.
Richard Jury kniete im Rinnstein am unteren Ende der Hester Street, einer schäbigen Nordlondoner Straße, und starrte auf die mit dem Gesicht zur Seite liegende Leiche. Er konnte das Ganze nicht recht fassen. Eingehend betrachtete er das Mädchen – das helle Haar, die Augen, die seine Hand geschlossen hatte, das Blut, das aus dem rechten Mundwinkel auf den kleinen weißen Kragen des Kleidchens mit dem Glockenblumenmuster gelaufen war. Im Schein seiner Taschenlampe hatte er die Farbe der Blumen erkennen können. Selbst das Blut hatte im spärlichen Licht der Nacht blau ausgesehen. Wieder kam ihm der Gedanke in den Sinn – die Blutflecken hätten auch Blütenblätter sein können.
Alles schien ihm auf Miniaturformat geschrumpft zu sein – das Kleid, die Leiche, das Blut –, als wäre es Teil einer Zaubergeschichte, wie bei Alice im Wunderland. Das kleine Mädchen könnte jeden Moment wieder aufwachen, die Blutspur würde verschwinden, sich wie ein Kondensstreifen am Himmel einfach auflösen, und die dunklen Flecken auf dem Kleid würden zerlaufen und nur die Blumen zurücklassen.
Kein Mantel. Es war der erste März, und sie trug keinen Mantel.
»Eine Ausreißerin vielleicht?«, mutmaßte Phyllis Nancy, die Gerichtspathologin, die neben ihm kniete.
Jury war klar, dass sie diese Frage auch selbst hätte beantworten können. »Nein, das glaube ich nicht. Das Kleid sieht wie neu aus, sauber gewaschen und gebügelt.« Was er da sagte, klang ziemlich lächerlich, denn wen scherte es schon, ob das Kleid gebügelt war oder nicht. Doch irgendwie ging es ihm wie Phyllis. Er hatte das Bedürfnis, etwas zu sagen, egal was. Er musste etwas sagen, um das, was mit dem armen Kind geschehen war, auf Abstand zu halten.
»Ja, da haben Sie Recht.« Der Saum ihres eigenen Kleids lag in einer Pfütze aus Regenwasser und allem, was der Regen mitgeschwemmt hatte. Vor einer Stunde hatte es noch wie aus Kübeln geschüttet.
Jury hob den Saum an. Es war ein langes Abendkleid aus grünem Samt. Als Phyllis aus ihrem Auto gestiegen war, hatte sie in diesem Kleid richtig königlich ausgesehen. Smaragdohrringe, grüner Samt – man hatte sie in der Royal Albert Hall ausgerufen, und sie war sofort herbeigeeilt.
Sie hatte sich auf beiden Knien neben ihm niedergelassen – ohne eine Unterlage, direkt auf dem harten Straßenpflaster. Ihre kniende Haltung hatte fast etwas Flehendes. »Ich drehe sie jetzt herum. Würden Sie mir helfen?«
Er nickte. »Klar.« Sie brauchte keine Hilfe. Jury hatte sie mit Leichen hantieren sehen, die größer waren als er, hatte gesehen, wie sie sie hin und her drehte, als wären sie federleicht. Phyllis mochte wohl die zerfetzte Ausgangswunde nicht sehen, das Blut, in dem das kleine Mädchen lag. Gemeinsam drehten sie es mühelos um. Das Einschussloch war winzig klein, so als hätte sich sogar die Kugel kleiner gemacht, um zu der Geschichte zu passen.
Jury meinte: »Wahrscheinlich eine.22er, in jedem Fall eine Kleinkaliberwaffe.«
Phyllis Nancy sagte: »Richard, sie ist nicht älter als fünf oder sechs Jahre. Wer würde denn einem Kind in den Rücken schießen?«
Jury gab keine Antwort.
Um sie herum standen die anderen: die Polizisten, die diesen Straßenabschnitt mit gelbem Tatortband abgesperrt hatten, der Polizeifotograf, die Kollegen von der Spurensicherung und Kripobeamte vom Morddezernat. Auch das Paar war noch da, das die Leiche entdeckt hatte, als es gerade ins Auto steigen wollte (sie weinte, er hatte den Arm um sie gelegt). Der Leichenwagen. Und über allem blinkte Blaulicht. Die Polizei war ausgeschwärmt, um an sämtlichen Haustürein der Hester Street anzuklopfen und nach Zeugen zu suchen. Trotz des geschäftigen Treibens herrschte jedoch eine merkwürdige Stille, als ob alle sich auf Zehenspitzen bewegten oder nur im Flüsterton sprachen. Es war die Art von Stille, die am frühen Morgen herrscht, bevor die schlafende Welt sich in die wache verwandelt. Alle bewegten sich ganz vorsichtig, als wollten sie die Kleine weiterschlafen lassen.
Jury wandte sich erneut an Dr. Nancy. »Können Sie ungefähr sagen, wann es passiert ist, Phyllis?« Lange konnte es bestimmt noch nicht her sein. Das Mädchen lag zwar halb im Rinnstein, doch wäre die Leiche bestimmt aufgefallen. In dieser Gegend waren auch nachts noch Leute unterwegs, so wie das Paar, das sein Auto dort geparkt hatte.
»Ein paar Stunden, länger nicht«, sagte Phyllis.
»Vermutlich weniger, würde ich denken. Man hätte sie doch bemerkt.«
»Ich weiß. Stimmt, hätte sie länger als eine Viertelstunde unbemerkt hier liegen können? In dem weißen Kleidchen?«
Weiß, mit Glockenblumen, dachte Jury, und blutgetränkt.
Er würde das kleine Mädchen nie wiedersehen müssen, wenn er nicht wollte, wenn er es nicht für nötig erachtete. Doch Phyllis Nancy hatte keine Wahl. Sie würde die Autopsie durchführen müssen, sie würde das Kind aufschlitzen müssen. Wie hieß gleich die Stelle bei Emily Dickinson: Spalte den Singvogel und finde die Töne?
Phyllis erhob sich. Er hatte Phyllis Nancy nie die Fassung verlieren sehen, in all den Jahren nicht, bei all den verstümmelten Leichen, die sie zusammen gesehen hatten. Nun, fürchtete er, stand es ihm bevor.
Er irrte sich. Als sie vorhin auf den Tatort zugegangen war, hatte sie in diesem Kleid und den Smaragden königlich ausgesehen. Jetzt, blass und dreckverspritzt, sah sie immer noch königlich aus.
Auf ihr Handzeichen hin fuhr der Leichenwagen näher an das kleine Mädchen heran.
»Spalte die Lerche – du findest die Töne.«
Wiggins kochte Tee, was an sich nichts Ungewöhnliches war, außer dass er dabei ziemlich geräuschvoll vorging: Die Teebüchse klapperte auf dem Regal, der Löffel klinkte gegen die Tasse, die Halbliterflasche Milch wurde auf den Schreibtisch geknallt, eine neue Packung Kekse aufgerissen. Wiggins wirkte bekümmert. Es war, als veranstaltete er diesen leichten Aufruhr, um seinen Kummer zu überspielen oder aber ihn deutlich kundzutun.
Jury war soeben zur Tür hereingekommen und deutete den leichten Aufruhr als Warnsignal. »Was ist los, Wiggins? Sie sehen ja aus, als wären Sie einem Gespenst begegnet. Oder aber Chief Superintendent Racer.«
»Ich habe eine schlimme Nachricht, Sir.« Er ließ zwei Teebeutel in die braune Kanne fallen, ohne Jury dabei anzusehen.
Die schlimme Nachricht betraf ganz klar Jury. Er musste sofort an Mrs. Wasserman denken, die mittlerweile in den Achtzigern und die einzige potentielle Kandidatin für schlimme Nachrichten war. »Was?«
Wiggins antwortete nicht gleich.
»Na los, Wiggins. Ich glaube, ich kann damit fertig werden.«
Wiggins schaltete den elektrischen Wasserkocher aus. »Ich fürchte … hmm, es geht um Ihre Cousine, Sir. Ihre Cousine – ist gestorben.«
Einen kurzen, irrwitzigen Augenblick lang wusste Jury nicht, wovon Wiggins überhaupt redete. Er stand noch an der Tür, als setzte ihn die Todesnachricht außerstande, sich zu bewegen, bis ihm plötzlich die Cousine einfiel und die Welt sich erneut zu drehen begann. Seine Cousine oben im Norden, in Newcastle-upon-Tyne.
»Mein Beileid, Sir. Ich mache Ihnen hier gerade eine schöne Tasse Tee.«
Als ob Wiggins das nicht sowieso täte, Todesfall hin oder her. Jury musste fast schmunzeln über diese Wiggins’sche Antwort auf alle Eventualitäten des Lebens. Noch im Mantel setzte er sich hin, machte den Mund auf, sagte jedoch nichts.
»Ihr Mann hat angerufen, wie heißt er –«
»Brendan.«
Wiggins goss Milch in die großen Henkeltassen. »Genau. Am Samstag sei die Beerdigung, sagte er.« Um sich eine nützliche Aufgabe zu verschaffen, überprüfte er seinen Schreibtischkalender. »Das wäre der sechste März.« Er reichte Jury seinen Tee.
»Danke.«
Vermutlich um eine Einschätzung des Ausmaßes von Jurys Trauer bemüht, erkundigte sich Wiggins: »Sie hatten nicht viel Kontakt, oder? Ich meine, so weit dort droben in Newcastle, das ging ja gar nicht. Ich hatte immer den Eindruck, sie war Ihnen irgendwie fremd.«
Jury hatte beide Hände wärmesuchend um den Henkelbecher gelegt. »Stimmt.« Er überlegte. »Ihr Vater, also mein Onkel, nahm mich damals zu sich, als meine Mutter starb. Er war ein großartiger Mensch. Sie ist seine Tochter. Sie war nie so wie er, sie konnte mich nie richtig leiden –« Aber stimmte das denn? Brendan hatte genau den gegenteiligen Eindruck gewonnen: dass sie Jury nämlich sehr mochte und stolz war, dass er bei New Scotland Yard so ein hohes Tier war. Er rieb sich die Stirn. Würde er seine Meinung von ihr womöglich revidieren müssen?
»Aus Eifersucht, würde mich nicht wundern«, sagte Wiggins und blies auf seine Henkeltasse. »Weil ihr Dad Sie aufgenommen hat und das alles. Er muss Sie wirklich sehr gemocht haben.«
»Stimmt.« Seine Cousine aber bestimmt nicht. Ihre Gespräche mit Jury waren oft mit scharfen Bemerkungen gespickt und (so vermutete er) voller Lügen. Er sagte: »Als ich sie das letzte Mal besuchte, schauten wir uns Fotos an, alte Schnappschüsse und so, und dabei brachte sie mich völlig durcheinander. Dinge, von denen ich glaubte, sie wären passiert, hatten sich überhaupt nicht zugetragen, behauptete sie. Am Ende wusste ich überhaupt nicht mehr, woran ich bin.«
»Hört sich so an, als wollte sie Sie auf die Palme bringen.«
»Vielleicht. Der Gedanke kam mir auch, oder Brendan hatte etwas in der Richtung gesagt. Meine Güte, man sollte wenigstens meinen, dass auf die eigenen Erinnerungen Verlass ist.« Er nahm einen großen Schluck Tee und stellte den Henkelbecher auf Wiggins’ Schreibtisch ab. »Ich gehe ein bisschen nach draußen. Ich brauche frische Luft.«
Er überquerte den Broadway in Richtung St. James’ Park. Dort ließ er sich auf einer Bank nieder. Ihr Tod traf ihn wirklich. Hoffentlich hatte sie nicht zu sehr leiden müssen. Er hatte schon zu viele Menschen qualvoll sterben gesehen – von Schusswunden, Messerstichen verletzt. Manchmal sahen sie einen noch kurz davor mit angsterfülltem Blick an. Jury hatte gar nicht gewusst, dass sie krank gewesen war.
Er mochte sich einreden, dass er seine Cousine ohnehin selten gesehen hatte und ihr nicht sehr nahe stand und sie sich eigentlich nie so recht gemocht hatten. Das funktionierte vielleicht im Leben, im Tod funktionierte es nicht. Dr änderte wahrscheinlich sowieso alles. Irgendwie schaffte es der Tod, einem die Stützen wegzustoßen, die sorgsam aufgebauten Abwehrvorrichtungen zu zerschlagen. Zu welchen einfachen Schlussfolgerungen er im Hinblick auf Sarah auch gekommen war, sie waren ihm mittlerweile ebenso suspekt wie die Ereignisse während seiner Kindheit. Denn vielleicht hatte sie ihn gar nicht angelogen. Vielleicht war er tatsächlich noch ein Baby gewesen, als seine Mutter gestorben war, und nicht der Fünfjährige, der versucht hatte, sie aus den Trümmern ihres ausgebombten Wohnhauses zu zerren.
Wie hatte er sich bloß so irren können? Was war mit den Kindern, die er in Schuluniformen hatte zur Schule trotten sehen? Damals wäre er am liebsten mit ihnen gegangen, nicht wahr? Und was war mit Elicia Deauville? Sie musste doch im Zimmer nebenan getanzt haben. Vielleicht war es ja ein anderes Zimmer, ein anderes Nachbarhaus, zu einer anderen Zeit.
Nein. Sicher hatte Sarah sich das ausgedacht. War doch typisch für sie, oder –?
Er erhob sich von der Bank und ging auf dem Gehweg weiter, die Hände wie ein alter Mann auf dem Rücken verschränkt. Und so fühlte er sich auch. Seine Cousine war zwar älter gewesen als er, aber nicht um so viel älter, dass er sie hätte einer »anderen Generation« zuordnen können.
Hör auf, immer nur an dich zu denken, befahl er sich. Es gab schließlich noch Brendan und die Kinder, alle erwachsen außer dem Baby, dem Baby der Tochter, die unverheiratet bei ihren Eltern wohnte, wo Mutter sich um das Enkelkind gekümmert hatte, während ihr kokettes Töchterchen sich herumtrieb. Na, das musste sich ja jetzt wohl am Riemen reißen, was? Hätte es schon von vornherein tun sollen –
O Gott, diese Krittelei! Wieso hackte er eigentlich dauernd darauf herum? Doch wohl nur, um sich abzulenken und vor der Erkenntnis zu drücken, was all das zu bedeuten hatte?
Das war es: Eine Leere hatte sich aufgetan, die er nicht hatte kommen sehen, und nun wusste er nicht, wie er sie füllen sollte. Und das alles wegen des Todes einer Cousine, die er gar nicht richtig gekannt hatte. Eine fordernde, verbitterte, verlogene Frau, die ihren Mitmenschen keine Freude war, und doch … Sie war das Ende, abgesehen von ihm selbst. Sie war die Letzte gewesen, die Einzige, die seine Erinnerungen geteilt hatte, die Letzte, die teilgehabt hatte an diesem Bild von seiner Kindheit. Sie war die Letzte, bei der er nachfragen konnte, und ob sie nun log (sie würde es bloß Hänselei nennen) oder nicht, war eigentlich unerheblich.
Jury blieb stehen. Seltsam. Vielleicht war es unerheblich, weil sie die Wahrheit sehr wohl kannte. Nun kannte sie außer ihm selbst keiner mehr. Irgendwie überkam ihn plötzlich das Gefühl, die Wahrheit wäre verschwunden und hätte die Vergangenheit mitgenommen.
Er war inzwischen weitergelaufen und bis Green Park gelangt, wo er sich wieder auf eine Bank setzte. Drüben am anderen Ende lag ein Teil des Daily Express. Er zog ihn herüber und warf einen Blick auf das Datum. Zweiter März. Er schob die Zeitung beiseite, die heimischen Tagesnachrichten interessierten ihn nicht, auch nicht die königliche Familie oder David Beckham und auch nicht die Jahrhundertwende.
Er sollte zurück ins Büro gehen und Brendan anrufen. Der Arme wusste bestimmt gar nicht, wo ihm der Kopf stand. Was sollte er bloß mit dem Baby machen? Urgroßeltern gab es nicht in der Familie, jedenfalls nicht auf ihrer Seite. Vielleicht auf Brendans, vielleicht droben in County Cork.
Jury war klar, dass er ihn anrufen musste. Doch er blieb sitzen, vornüber gebeugt, die Ellbogen auf die Knie gestützt, und brütete vor sich hin: Er dachte an seinen letzten Besuch vor drei Monaten, seinen Ärger über ihre Sticheleien und Widersprüche und ihre Schadenfreude, weil sie mehr in Erinnerung behalten hatte. Schließlich war Jury damals noch so klein gewesen (hatte sie behauptet), bestimmt könne er sich an überhaupt nichts erinnern. Im Gegensatz zu ihr.
Als er auf den Park hinausblickte, kam ihm eine Gedichtzeile in den Sinn: Ihr Grün ist eine Art von Traurigkeit. Er sah hinaus in den trüben Märztag. Plötzlich kam ihm die Idee, einen Blumenladen zu suchen und der Familie Blumen zu schicken, doch er wusste nicht, wohin er sie schicken sollte, zu welchem Bestattungsinstitut. In die Wohnung lieber nicht, Brendan war kein besonders guter Hausmann, abgesehen davon, dass er jetzt ganz andere Sorgen hatte. Die Blumen würden wohl ohne Wasser vor sich hinwelken, bis er sie wegwarf. Vielleicht würden sie ihn sogar nerven.
Trotzdem verspürte Jury das Bedürfnis, etwas zu tun. Er wollte etwas wieder gutmachen, wusste aber nicht, was. Vielleicht, dass er das Kind gewesen war, das sein Onkel hätte haben wollen, oder vielleicht, dass er Sarah in Bedrängnis gebracht hatte, als er das letzte Mal dort gewesen war, vor Weihnachten, oder vielleicht, weil er derjenige war, der noch atmete und sie nicht.
Bald wäre Frühling, obwohl der Tag noch düster und verhangen aussah. Wieder musste er an Larkins Gedicht denken: Die Bäume setzen wieder Knospen an/Wie etwas fast Gesagtes. Er mochte Gedichte, bevorzugte aber die Offenheit und Direktheit eines Larkin oder Robert Frost. Im Grunde genommen waren Gedichte jedoch nie direkt, sie kamen einem nur so vor. Wie etwas fast Gesagtes. Das hätte er nie in andere Worte kleiden können, und doch war ihm klar, dass er damit der Wahrheit so nahe kam, wie er nur irgend konnte.
Er hatte sie ja nicht einmal gemocht, sagte er sich immer wieder. Woher kam aber dann diese Enge in der Brust, dieses erstickende Gefühl (er war übrigens froh, dass Wiggins nicht da war und ihn beobachtete)?
Urplötzlich überkam ihn die Erinnerung an Jenny Kennington, als er sie zum ersten Mal gesehen hatte, wie sie die Treppe ihres Hauses in Littlebourne heruntergelaufen kam, eine schwerverletzte Katze auf dem Arm. Obwohl sie Jury überhaupt nicht kannte, ließ sie sich von ihm zum Tierarzt fahren. Sie redete über den Kater, der ihr gar nicht gehörte, sondern herrenlos und wahrscheinlich von einem Auto angefahren worden war. Ich kann das Vieh nicht mal leiden, hatte sie gesagt, als es schließlich sicher in den Händen des Tierarztes war. Gleich mehrmals hatte sie Jury versichert, ich kann das Vieh nicht mal leiden.
Ja, ja, dachte er. Sagst du so.
Er ging die Piccadilly hinunter und betrat Fortnum & Mason, wo immer eine anheimelnd chaotische Stimmung herrschte. Jeder (denn schließlich ging jeder zu Fortnum’s!) war geradezu überwältigt von den Auslagen mit Gänseleber, Käse und Prosciutto, der so hauchdünn geschnitten war, dass man hindurchsehen konnte. Das wunderbare, schwarzbekittelte Personal, die glänzenden Früchte, die ineinander verschwimmenden Düfte von Tee und Zitrusfrüchten und Geld.
Danach zu Hatchards, in eine Buchhandlung, die nach Büchern roch – nach Leder, Wachs, dunklen Holzmöbeln und -paneelen. Eine Atmosphäre, ein sinnliches Erlebnis, an die der gigantische Waterstones ein Stück weiter nicht einmal entfernt heranreichte.
Er ging weiter, blieb bisweilen stehen, an einem Kiosk erstand er einen Telegraph, den er später ungelesen in einen Mülleimer warf. Wie war er eigentlich bis zur Oxford Street gelangt? Bei Selfridges warf er einen Blick ins Fenster. Die gesichtslosen Schaufensterpuppen schienen zu wissen, dass es im Fenster nicht viel zu gucken gab, kein Vergleich mit Fortnum’s. In ihren Sommerfähnchen der kommenden Saison, die so dünn waren, dass ein Windstoß sie wegwehen könnte, hielten sie die Köpfe geneigt oder leicht vorgereckt, als suchten sie nach einem Ausgang. Auf dem Bürgersteig verkaufte ein Jamaikaner seine illegale Ware, ein gewitzter Kerl, aber nicht so gewitzt, dass er Jurys Polizistenaura bemerkt hätte: Räucherstäbchen, winzige Fläschchen mit Parfüm, das so berauschend war, dass man davon in der Wüste aus den Latschen gekippt wäre.
»Wird gefallen Ihre Frau, Mann, Ihre Freundin-Dame. Frauen mögen diese Zeug.«
Jury erstand ein paar Räucherstäbchen und einen passenden kleinen Halter aus Stein.
Jedes Mal – bei der Zeitung, den Schaufensterpuppen, dem Straßenhändler – konnte er für ein paar Augenblicke vergessen, dass sie tot war. Doch dann war es sofort wieder da.
In den vergangenen Stunden hatte er mehr an seine Cousine Sarah gedacht als in den letzten zwanzig Jahren. Das war es, das Vermächtnis des Todes – jetzt war reichlich Zeit, über die vergeudete Zeit nachzudenken, die ungesagten Worte, die nicht miteinander geteilte Geschichte, bis es zu spät war. Es ist immer zu spät, hatte einmal jemand gesagt. Man kann nie genug getan haben, genug gesagt haben. Es war wie bei dem Bier, das immer viel zu schnell ausgetrunken war: die Witze über das hohle Holzbein, das Bierglas das ein Loch haben musste. Der unstillbare Alkoholdurst. Für die Toten kann man nie genug tun. Man sucht Trost, aber es gibt keinen, hat es nie gegeben und wird es nie geben. Es gibt nur das allmähliche Abschleifen scharfer Kanten, damit man sich nicht bei jeder Bewegung hinterrücks überfallen fühlt, als sähe man die Toten plötzlich unverhofft um die Ecke biegen.
Eine Weile fuhr er auf der Piccadilly Line und stieg dann in King’s Cross in die Northern Line um. Nur in der U-Bahn, dachte er, bekam man solche Gesichter zu sehen. Keines von denen sah glücklich aus, außer bei den Halbwüchsigen, die sich lärmend zusammengerottet hatten, doch selbst die wirkten in einem unbeobachteten Augenblick ziemlich jämmerlich.
Während die uralte Northern Line bei den Fahrgästen die Zähne klappern ließ, musterte er das Mädchen, das ihm gegenüber auf der anderen Seite des Durchgangs saß. Sie war schön, schien sich daraus aber nichts zu machen. Sie saß ordentlich da, die Hände auf den zusammengepressten Knien hielten eine kleine Tasche fest. Ihr langes, glänzendes Haar sah aus wie in einer Shampooreklame. In der Reihe von Werbeplakaten über ihrem Kopf warb eines für ein Erkältungsmittel, dort war ein Skifahrer abgebildet, der sich glückselig in einen Schneehaufen stürzte. Während der Zug dahinratterte, sah Jury einem alten Schokoriegelpapierchen zu, das sich auf dem Fußboden zwischen hohen Absätzen und abgestoßenen Stiefeln hin und her bewegte. Er sah es dahinschweben und musste dabei an sich und Sarah denken, wie sie als Kinder froh und einträchtig in einen Süßwarenladen gegangen waren. Aber dieses Bild hatte er sich selbst zusammengereimt – er bezweifelte, dass sie oft zusammen irgendwohin gegangen waren.
Ich kann das Katzenvieh nicht mal leiden.
Sagst du so.
Er stand auf und stieg an seiner Haltestelle – Angel – aus.
Die Dunkelheit hatte er registriert, während er die Regent Street entlanggegangen war, nicht aber die Uhrzeit. Es war beinahe zehn Uhr. Wo um alles in der Welt hatte er sich die ganze Zeit bloß herumgetrieben?
In Mrs. Wassermans Gartenwohnung brannte Licht, und gleich kam sie in ihrem alten Bademantel auch die Treppe herauf.
»Mr. Jury, jemand hat versucht, Sie zu erreichen. Carol-Anne sagte, ich solle Ihnen sagen, auf Ihrem Anrufbeantworter seien zwei Nachrichten. Von einem gewissen Bernard.«
»Brendan?«
»Sie sagte Bernard.«
Jury lächelte. »Carol-Anne hat manchmal Schwierigkeiten, meine Nachrichten richtig zu verstehen.« Na, das konnte man wohl sagen. Besonders Nachrichten von weiblichen Personen. Carol-Anne war schon immer der Ansicht gewesen, das einzige Leben, das Jury getrennt von ihr verbringen würde, war das im Jenseits. »Danke, Mrs. Wasserman.« Er wandte sich in Richtung Treppe.
»Ist alles in Ordnung, Mr. Jury? Sie sehen blass aus.«
Wie konnte sie das im Stockfinstern bemerken? Vielleicht hörte er sich einfach blass an. »Ja … Nein. Ich habe tatsächlich eine schlechte Nachricht bekommen. Meine Cousine ist gestorben. Brendan ist ihr Mann. Deshalb versucht er wohl, mich zu erreichen. Um es mir zu sagen.«
»Das tut mir ja wirklich Leid. Jemanden aus der Familie zu verlieren, das ist das Schlimmste.«
Es war, als wären alle Familienmitglieder für sie in jedem Einzelnen vereint. Und eines zu verlieren, bedeutete, alle zu verlieren. »Sie war die letzte Angehörige, die ich hatte. Jetzt gibt es nur noch mich.«
»Ach je. Ach je.« Sie raffte den Bademantel fester um den Hals zusammen. »Das ist furchtbar. Man kommt sich so abgeschnitten vor. Ich weiß, mir ging es genauso. Wie ein Luftballon habe ich mich gefühlt. Höher und höher ist er nach oben geschwebt. Und Schwermut hielt mich fest wie eine Gefangene.«
Jury war überrascht. Mrs. Wasserman sprach nicht oft in Metaphern. »Das haben Sie aber gut ausgedrückt, Mrs. Wasserman. So ungefähr komme ich mir vor.«
»Könnte ich Ihnen vielleicht eine Tasse Tee machen?«
»Das ist nett von Ihnen, aber ich glaube, ich bin zu müde. Ich bin heute viel gelaufen.«
Sie schloss die Augen und nickte, offensichtlich war ihr die lindernde Wirkung von Fußmärschen vertraut.
»Also, dann sage ich Gute Nacht. Und danke für die Nachricht.«
Sie trennten sich, und jeder ging in seine Wohnung.
Als er die Tür zu seiner Wohnung im ersten Stock aufschloss, vernahm er ein kurzes Bellen, eher ein leises Knurren. Es war Stone, Carol-Anne war demnach ausgegangen. Wenn sie zu Hause war, kümmerte sie sich immer um ihn. Das taten sie alle, wenn sie konnten. Manchmal nahm Stan den Hund mit, aber nicht, wenn er viel unterwegs sein musste.
Jury nahm Stans Schlüssel vom Haken, ging in den zweiten Stock hinauf und schloss auf. Stone kam nicht wie die meisten Hunde gleich herausgeschossen, denn Stone war genauso cool wie Stan. Das Höchste, was er zur Schau stellte, wenn er aufgeregt war, war leichtes Schwanzwedeln. Er folgte Jury die Treppe hinunter, blieb dann aber in dessen Wohnung stehen, bis ihm bedeutet wurde, was er tun sollte. Er besaß die Geduld und Selbstbeherrschung dieser Gestalten in weißen Clownskostümen mit weiß bemalten Gesichtern, die bemerkenswert still standen, reglos wie Standbilder, für die sie von den Vorübergehenden ja auch gehalten wurden.
Jury holte den Knochen aus Rohhaut und legte ihn unten an sein Stuhlbein hin. Stone ließ sich nieder und begann zu kauen. »Ich setze dann Teewasser auf.«
Stone hörte auf zu kauen und sah zu Jury hoch.
»Willst du auch eine Tasse? Nein? Okay. Willst du was zu fressen?« Stone machte leise wuff. »Das heißt bestimmt ja. Okay.«
Er ließ Stone ruhig weiterkauen, steckte den Wassersieder ein, schwenkte eine Henkeltasse aus und warf einen Teebeutel hinein. Das Teewasser kochte, kaum dass er für Stone eine Dose Hundefutter in den Fressnapf gegeben hatte. Er rief den Hund, goss dann Wasser über den Teebeutel und ließ ihn ziehen, während er Stone beim Fressen zusah. Als das langweilig wurde, warf er den Teebeutel ins Spülbecken und ging zu seinem Sessel im Wohnzimmer. Er starrte aus dem Fenster in die Dunkelheit hinaus. Gleich darauf stand er wieder auf und wühlte in seiner Manteltasche nach den Räucherstäbchen.
Jury befestigte ein Stäbchen in dem unpolierten Halter aus Stein und zündete es oben an. Der Napf in der Küche klapperte, als würde der Hund ihn mit der Schnauze herumschieben. Bestimmt hatte Stone den Räucherdunst gerochen, den starken Patschuliduft, denn er ließ den Napf stehen, um dieser interessanteren Angelegenheit im Wohnzimmer nachzugehen. Er ließ sich neben dem Sessel nieder und beobachtete den Rauch, der sich spindelförmig an die Zimmerdecke erhob. Sein Blick wanderte vom Rauch zu Jury hinüber und wieder zurück. Dabei bebte seine Nase leicht, witterte den ungewohnten Geruch.
Die Tote lag auf einer Steinbank in einer steinernen Nische, die dem Unterstand an einer Bushaltestelle ähnelte, in den man sich bei schlechtem Wetter flüchtet. Auf den ersten Blick hätte man meinen können, sie habe dort tatsächlich auf den Bus gewartet und sei einfach umgefallen, mit dem Oberkörper auf die Bank, die Beine weggeknickt, die Füße auf dem steinernen Boden schleifend.
Der Unterstand befand sich am anderen Ende des weitläufigen Gartens von Angel Gate. Der Garten, im Laufe der Jahre arg vernachlässigt, wurde gerade restauriert und neu gestaltet, und so hielten sich an diesem frühen Morgen bereits der Obergärtner und seine Tochter, eine Gartenbauexpertin, dort auf. Sie waren es auch, die die Leiche entdeckten. Als Nächste traf die Haushälterin in. Eifrig versorgte sie das Gartenteam aus Vater und Tochter mit Tee und bot später auch den Polizisten eine Tasse an, die aus Launceston und Exeter eingetroffen waren.
Brian Macalvie, Divisional Commander der Kripo von Devon und Cornwall, hatte die Hände tief in den Manteltaschen vergraben. Etwa zwei Dutzend Tatortspezialisten und Spurensicherer aus Launceston sowie Macalvies Leute aus Exeter standen in der Gegend herum. Reglos und schweigend hatte Brian Macalvie geschlagene zwei Minuten auf die Tote hinuntergestarrt (»was einem eigentlich gar nicht lange vorkommt«, hatte einer seiner Kollegen von der Spurensicherung bei einem Glas Bier im Dorfpub zu einem Freund gemeint, »aber mach das erst mal. Das kommt einem wie eine kleine Ewigkeit vor«).
Diejenigen, die in unmittelbarer Nähe von Macalvie standen, waren so starr wie die Leiche selbst. Keiner durfte etwas berühren, bis Macalvie vollständig fertig war. Das ärgerte den Arzt, der zum Tatort gerufen worden war (ein Ortsansässiger ohne vorsorgliche Einweihung in die seltsamen Methoden des Divisional Commander). Er hatte sich in Richtung Leiche bewegt und war von Gilly Thwaite, der leitenden Tatortspezialistin, unsanft am Mantelärmel zurückgezerrt worden.
»Meine Güte«, sagte der ahnungslose Arzt, »das hier ist ein Tatort und keine Beerdigung. Ich habe schließlich noch andere Termine.«
Die anderen neun oder zehn Polizisten kniffen wie von plötzlichen Kopfschmerzen befallen die Augen zusammen und starrten in den schiefergrauen Himmel, während Macalvie sich dem Doktor zuwandte. Der war zwar nur ein praktischer Arzt aus Launceston, sollte aber ausreichen (wie außer Macalvie alle dachten), um die Leiche fürs Erste zu untersuchen und den Totenschein auszustellen. Der Mediziner aus Launceston, den Macalvie mochte, war nicht verfügbar gewesen.
»Dann drehen wir sie doch wenigstens um«, sagte der Arzt. Beißend fügte er hinzu: »Ich glaube, auf dieser Seite ist sie schon durch.«
Gilly Thwaite stieß einen kehligen Laut aus. Hier und da war unterdrücktes Gelächter zu vernehmen. Macalvie legte keinen gesteigerten Wert auf Galgenhumor.
Macalvie nickte Gilly zu. »Legen Sie los.« Gilly stellte ihre Kamera auf, legte Plastiktüten für das Beweismaterial zurecht und fing an, Fotos zu machen.
In dieser »wundersamen Stille« (wie er es oft nannte) richtete Macalvie den Blick wieder auf die Leiche. Die Frau schien etwa mittleren Alters zu sein, eher jünger. Aber Eindrücke können täuschen, sie hätte auch älter sein können. Er schätzte sie am einen Ende der Altersspanne auf Ende Dreißig, am anderen auf Anfang Fünfzig. Die gewaltige Divergenz machte ihn stutzig. Sie war ziemlich unscheinbar, hatte ein ungeschminktes Gesicht, soweit er sehen konnte. Vielleicht ein wenig Make-up-Unterlage oder Puder. Aber kein Augen-Make-up. Ihr muffig braunes Haar war stumpf zu einem glatten Pagenkopf geschnitten und würde ihr – wenn sie aufrecht säße – knapp die Ohren bedecken. Ihr Kostüm hatte die gleiche Farbe wie ihr Haar. Es war ziemlich abgetragen und nicht besonders modisch, ein klassischer Schnitt vielleicht, zeitlos, us grobem Tweed. Macalvie warf noch einen letzten Blick auf die Tote und wandte sich dann dem Arzt zu. »Sie dürfen.« Als der Arzt mürrisch brummend in die abgesperrte Nische trat, meinte Macalvie: »Für die Frau hier ist es eine Beerdigung.«
Dann wandte er sich ab und sah zu dem großen Haus hinüber, Eigentum der Familie Scott, oder jedenfalls derer, die davon noch übrig waren. Macalvie erinnerte sich an Declan Scott, der als Einziger noch dort wohnte. Declan Scott war ein Mensch, der im Leben schon genug Probleme gehabt hatte: vor drei Jahren war seine vierjährige Tochter verschwunden. Und bald darauf war seine Frau gestorben.
Macalvie kannte Declan Scott.
Als Jury am nächsten Morgen bei New Scotland Yard eintraf, rief er gleich Brendan an. Er war ziemlich beschämt darüber, dass er es nicht bereits am Vortag getan hatte, aber wenigstens wusste er, dass es nicht aus Gleichgültigkeit geschehen war.
»Alles in Ordnung, Sir?« Nachdenklich rührte Wiggins in seinem Teebecher. Einen Tee hatte Jury dankend abgelehnt, was für Wiggins wahrhaft Schreckliches bedeutete.
»Es ging mir schon mal besser«, meinte Jury mit einem Anflug von Lächeln, während er Brendans Nummer eintippte.
»Dr. Nancy hat angerufen und auch Detective Inspector Blakeley von West Central drüben. Ist der nicht im Dezernat für Sexualdelikte? Und dort für Pädophilie zuständig?«
»Stimmt.« Jury ließ sich auf seinen Stuhl sinken.
»Sie sehen irgendwie blass aus.« Nun würde Wiggins gleich jedes Linderungsmittel aufrufen, das ihm zu Gebote stand. In letzter Zeit hatte er es mit Kräutern und Kristallen, von denen ja unzählige Kombinationen existierten. (Raute hilft bei – Wie hatte es bei Shakespeare geheißen? Beim »Angedenken« vielleicht?) Bei Niedergeschlagenheit, da war Jury sich sicher.
Als sich ein Mädchen meldete, ärgerte er sich, weil er die Stimme nicht erkannte. Welche von den Töchtern war es? Das waren auch keine Mädchen mehr, sondern junge Frauen. Eine davon war die Mutter von diesem Baby, das man Großmutter Sarah überlassen hatte. Christine? Nein. Christabel. Ausgefallene Namen hatte seine Cousine sich ausgesucht. »Ist da Christabel?«
»Nein, Jasmine. Chris is nich da.« Starker nordenglischer Akzent.
»Eigentlich möchte ich deinen Dad sprechen.«
»Sag’s doch gleich!« Sie wandte sich ab und rief nach Brendan.
»Ja?«, meldete sich Brendan.
Er hatte die Nase schon voll von allem. Nein, eher überwältigt war er davon. »Brendan, hier ist Richard. Mein herzliches Beileid. Was kann ich tun?«
»O, Mann, bin ich froh, dass du anrufst. Ich bin total fertig.« Die Erleichterung machte sich in Tränen Luft. Seine Worte klangen gedämpft. »Du kommst doch zur Beerdigung, ja?«
»Natürlich. Samstag, nicht wahr?«
»Ja. Dauert ein bisschen länger, als ich eigentlich wollte, aber mein Bruder kommt frisch aus dem Krankenhaus, und der will auf jeden Fall dabei sein, also warten wir noch ein, zwei Tage. Könnte ich dich um einen Gefallen bitten, Mann?«
»Kannst du. Um alles.«
»Wenn du mir ein bisschen was vorstrecken könntest …?«
»Klar kann ich. Ich hatte sowieso vor, mich an den Ausgaben zu beteiligen. Es ist also nicht vorgestreckt, ich bezahle meinen Anteil. Du weißt, sie war meine einzige noch lebende Verwandte. Du sollst nicht alle Ausgaben für die Beerdigung allein tragen müssen.«
Wiggins (bemerkte Jury) spitzte die Ohren.
»Danke«, sagte Brendan. »Danke.«
»Wie viel brauchst du?«
»Na ja, ich dachte – vielleicht zweihundert?«
Der Gute würde mehr brauchen. »Bist du sicher, das reicht dir?«
»Ja. Sollte schon reichen.«
»Scheint mir nicht genug für die Beerdigungskosten. Du weißt doch, wie die sind …« Jury würde ihm einfach stillschweigend mehr schicken.
Brendan sagte: »Ja. Ach, ich weiß auch nicht. Da ist noch was – ich mach mir Sorgen um Dickie. Der Geschäftsführer auf seiner Arbeit – der blöde Kerl macht ihm die Hölle heiß, hat ihn sogar beschuldigt, er würde klauen.«
Dickie war der Junge, den Sarah ziemlich spät noch bekommen hatte, das war alles, was Jury noch über ihn wusste. »Und was sagt Dickie dazu?«
»Nicht viel. Aber ich fürchte, der Kerl hat ihn auf dem Kieker.« Ein Seufzer. »Kinder! Besonders in dem Alter. Er weiß einfach nicht, wo er hin will.«
Wer weiß das schon?
»Du weißt ja, wie Teenager sind, man kommt schwer an sie ran.«
»Ich weiß, sie denken anders als Erwachsene, aber warum auch nicht?«
»Stimmt. Ach, weißt du, du kennst das. Du verstehst es. Pass auf: Der Gottesdienst ist am Samstagnachmittag um drei. Wir treffen uns vor der Kirche.«
»Okay, Brendan.« Jury verabschiedete sich und legte auf. Wieder fühlte er sich irgendwie ganz frustriert und niedergeschlagen. Er kramte nach einem Umschlag, fand einen. Dann hielt er inne. »Mist, ich habe vergessen, nach der Adresse zu fragen –«
»Die habe ich doch hier.« Wiggins drehte kurz an der Schreibtischkartei.
So hältst du also den Kontakt zu deiner Familie aufrecht, Jury! Und hier ist einer, der deine Verwandtschaft überhaupt nicht kennt, und sogar der hat die Adresse. Und du nicht. »Ausgezeichnet, Wiggins.«
»Es geht um die Beerdigung, nicht?«
Jury nickte. »Wie Sie sagten, am Samstag.«
Wiggins nickte ebenfalls und sah besorgt aus. »Ich weiß, wie es einem dabei ergeht. Es ist, wie wenn das Leben in die Warteschleife gerät.«
Eher so, wie wenn ein Anrufer sofort wieder auflegt, dachte Jury. »Haben wir den Autopsiebericht von dem kleinen Mädchen schon bekommen?«
»Ja.« Wiggins reichte ihn hinüber.
Jury sah ihn sich an. Was Dr. Nancy am Tatort gesagt hatte, wurde darin bestätigt. Zwischen Schütze und Opfer lagen keine vier Meter. Der Schuss war nach unten gerichtet worden.
»Das wundert einen doch nicht. Sie war erst fünf. Und klein.« Wiggins hob die Hand, deutete eine Pistole in der Luft an. »Beinahe jeder wäre größer als das Kind.«
»Hmmm.« Jury nahm sich einen Notizblock und holte ein kleines Metalllineal aus seiner Schreibtischschublade. Erst zog er eine Linie von 0 bis 12, dann eine zweite für die Geschossbahn. Er begann, die Waffe auf dem Diagramm allmählich näher zu ziehen: knappe drei Meter, einsachtzig. Die Wunde, die die Geschossbahn hinterließ, würde kleiner werden, je weiter der Schütze entfernt war. Er warf einen Blick auf die Aufnahmen aus der Pathologie. Schwer zu sagen. Die Ausgangswunde war größer, vermutlich hatte der Schuss auf Knochen getroffen und ein Stück mitgenommen. Er dachte über die Geschossbahn nach, dann nahm er den Hörer zur Hand und rief Phyllis Nancy an.
»Sie wurde sexuell missbraucht, Richard. Für eine Penetration war sie natürlich zu klein, aber es ist alles stark entzündet. Jemand hat es allerdings weiß Gott versucht. Bei einer Fünfjährigen! Wer wäre zu so etwas imstande? Und es ist nicht nur einmal passiert. Wer tut so etwas?« Es klang, als würden die Worte selbst weinen.
»Ich weiß es nicht, Phyllis. Aber ich werde es herausfinden.«
Detective Inspector Johnny Blakeley war zwar Chef des Dezernats für Sexualdelikte, führte seinen Krieg jedoch als Einzelkämpfer. Es fiel ihm schwer, tatenlos herumzustehen, während seine Kollegen streng nach Dienstvorschrift handelten. Zweimal hatte er deswegen bereits dienstliche Untersuchungen über sich ergehen lassen müssen, die ihn fast den Job gekostet hätten. Einmal, weil er einen Verdächtigen recht hart angefasst hatte, und ein zweites Mal, weil er sich ohne Durchsuchungsbefehl Zutritt zu einem Privathaus verschafft hatte. Dass er sich seiner Arbeit mit Haut und Haar verschrieben hatte, stand außer Frage.
Jury erinnerte sich an die fünfminütige Antwort, die er einmal von Blakeley bekommen hatte, als er wegen eines Kinderschänders bei ihm nachgefragt hatte. Knappe Antworten waren von Johnny zu diesem Thema nicht zu erwarten. Und wenn man wegging, war Johnny mit Reden noch lange nicht fertig.
»Diese Monster glauben tatsächlich, sie sind die Normalen und wir die Abartigen. Die erklären dir ihre Liebe zu den kleinen Schätzchen inbrünstig wie Romeo. Die stellen sich unentwegt als die Speerspitze der aufgeklärten Liebe hin. Sind gebildet, kultiviert. Wenn mir noch einmal einer mit Sokrates und seinen Schülern daherkommt, saufe ich den Scheißschierlingsbecher selber aus. Die sind alle so verdammt selbstbezogen, dass mir ganz schlecht wird.« Der Hörer wurde gegen die Wand geschleudert. Jedenfalls hatte es sich für Jury am anderen Ende der Leitung damals so angehört.
Nun wurde in West Central der Hörer hochgerissen, als hätte eine Hand schon seit Stunden abwartend darüber verharrt. »Blakeley.«
»Johnny. Hier ist Richard Jury. Sie hatten mich angerufen?«
»Genau. Dieses Kind, die Kleine, die in der Hester Street erschossen wurde. Ich kann zwar noch nicht sagen, wie sie heißt, wette aber ein Jahresgehalt – lohnt sich also nicht, die Wette zu gewinnen –, dass ich weiß, wo sie herkommt.«
»Und weiter.« Hastig zog Jury den Notizblock herüber.
»In der Straße ist ein Haus, wird seit Jahren als beliebter Treff für Pädophile betrieben. Die Frau, die sich um die Kinder kümmert – was soviel heißt, sie passt auf, dass sie nicht abhauen –, ist ein ganz besonderes Miststück namens Irene Murchison. Sie erinnern sich doch, wie man mich auf Befehl von ganz oben, äh, wegen der Sache mit dem Haussuchungsbefehl durch den Wolf gedreht hat? Na, das war dort. Die Murchison hat gut zehn kleine Mädchen – ich habe da gewisse Quellen –«
(Womit er seine Informanten meinte – er bezahlte sie fürstlich, hieß es unter der Hand.)
»Ich hab’s versucht, bis ihr Anwalt mir mit einer Belästigungsklage daherkam. Paar Wochen habe ich mich bedeckt gehalten und bin ihr dann wieder auf die Pelle gerückt. Bekam ziemlichen Ärger deswegen. Also, diese Kleine … identifiziert haben Sie sie noch nicht, oder?«
»Nein, meine Leute arbeiten gerade die Liste von vermissten Kindern durch. Vielleicht haben wir ja Glück.«
»Wäre schön, aber das Glück scheint in dem Fall nach Diktat verreist zu sein. Machen Sie sich keine allzu großen Hoffnungen.«
»Wieso sind Sie sich so sicher, dass mit diesem Haus etwas faul ist?«
»Zunächst muss man sich nur angucken, wer dort ein und aus geht. Die Männer wohnen ja nicht dort. Ich habe das Treiben ein paarmal dort von weitem beobachtet und Fotos gemacht. An manchen Tagen kam nur ein einziger Kunde. Bestimmt nennen sie die so – statt gestörte Dreckskerle. An manchen Tagen kam einer, an anderen wieder sechs oder sieben. Rein und raus, rein und raus. Das ist das eine. Und das andere ist ein Mensch namens Viktor Baumann. Auch ein gestörter Dreckskerl, aber ein reicher Dreckskerl mit guten Beziehungen, ein aalglatter Scheißer. Kinderschänder. Die Sache ist die: Baumann hat genug Geld, um weiß Gott wie viele Teller in der Luft zu jonglieren.«
»Und das ist einer davon?«
»Absolut. Das sind alles honorige Geschäftsleute. Was zum Teufel, frage ich Sie, haben die in einem Haus im Londoner Norden zu schaffen?«
»Aber besteht da denn nicht ausreichender Tatverdacht?«
»O, nein. Diese Murchison ist Münzensammlerin. Und ihre Kunden ebenfalls. Sie kommen und wollen kaufen, verkaufen, tauschen. Sie hat dort tatsächlich eine Sammlung.«
»Haben Sie einen von Ihren Leuten als Geschäftsmann und Sammler verkleidet hingeschickt?«
»Bis ganz rein ist er gar nicht gekommen. Sie merkte, dass da was nicht stimmte, Baumann hatte meinem Mann kein grünes Licht gegeben. Es gibt bestimmt ein Zeichen, das sie sich gegenseitig geben, ein Passwort oder irgendwas.«
»Erzählen Sie mehr von Viktor Baumann.«
»Ein ganz dicker Fisch in Finanzkreisen in der City, abgesehen davon, dass er ein dreckiges Stück Scheiße ist. Ich komme aber nicht an ihn ran. Wir haben keine Anhaltspunkte dafür, dass er das Etablissement dieser Murchison tatsächlich kontrolliert. Dabei geht’s aber auch noch um etwas anderes. In Cornwall verschwand vor drei Jahren Baumanns Tochter, die bei seiner Exfrau lebte. Die dortige Polizei ging zunächst natürlich von einer Entführung aus. Allerdings kam nie eine Lösegeldforderung. Mehrere mögliche Erklärungen gab es. Für am wahrscheinlichsten hielt man es, dass Baumann sie selbst entführt hatte. Beziehungsweise hatte entführen lassen. Der macht seine Dreckarbeit ja nicht selber. Der Chief Inspector, der den Fall leitete, hielt Baumann für einen der Hauptverdächtigen. Die andere Möglichkeit war noch, dass irgendein Abartiger oder Perverser sie sich geschnappt hat. Aber damit kamen sie auch nicht weiter. Dann bestand noch die Möglichkeit, dass es eine verwirrte Frau war, die ihr eigenes Kind verloren hatte und sich sehnlichst wieder eins wünschte. Keine dieser Möglichkeiten führte zu einem Ergebnis. Die Kleine wird immer noch vermisst. Sie war erst vier.«
»Was ist mit Vergeltung? Könnte es nicht sein, dass Eltern, deren Kind dieser Baumann missbraucht hat, Rache nehmen wollten?«
»Schon möglich. Aber wenn schon die Kripo von Devon und Cornwall nichts findet, wie könnte es dann ein einfacher Bürger?«
»Keine Ahnung. Der hat vielleicht andere Ressourcen. Wieso ist Baumann für die der Hauptverdächtige?«
»Ha, weil man ihm das Sorgerecht für das Kind aberkannt hatte, und er versuchte, es zurückzugewinnen. Der bekam ja nicht mal Besuchsrecht. So einer gibt sich nicht so einfach geschlagen. Was der will, das nimmt er sich, und wenn’s sein muss, mit Gewalt. Die dortige Polizei hat vielleicht doch Recht.«
»Mit wem hatten Sie dort zu tun?«
»Mit Macalvie. Der war der Chief Inspector. Inzwischen ist er Commander, glaube ich. Hartnäckiger Bursche, muss man schon sagen.«
Jury lächelte. »Ich kenne ihn. Hartnäckigkeit ist bloß die Spitze des Eisbergs. Ich glaube, den Ausdruck ›aussichtsloser Fall‹ kennt der gar nicht. Der gibt nie auf.«
»Ein Bulle ganz nach meinem Geschmack.«
»Ich werde ihm ausrichten, dass Sie das gesagt haben.«
»Angel Gate«, sagte Brian Macalvie am Telefon zu Jury. »So heißt das Anwesen. Sie wurde dort im Garten gefunden.« Er sprach vom Opfer, von der Toten, die man auf einer Steinbank in einer steinernen Nische entdeckt hatte.
Für Jury hatte der Name – Angel Gate, Engelstor – einen geradezu mythischen Klang. Tore aus Elfenbein, Tore aus Horn.
»Wir wissen nicht, wer sie ist. Sie wurde mit einer 22er-Halbautomatik erschossen. In den Brustkorb. Die Waffe haben wir nicht gefunden. Die liegt inzwischen vermutlich tief unten auf dem Grunde des Ex.«
Jury machte aus dem Telefonkabel eine kleine Schlinge. Eine. 22er. Das kleine Mädchen in der Hester Street war mit einer.22er erschossen worden. Das musste nun nicht unbedingt etwas heißen. Er saß in seiner Wohnung in dem einzigen bequemen Sessel vor dem Bücherregal und ging noch einmal den Obduktionsbericht durch, dazu die Ergebnisse der Haus-zu-Haus-Befragung in der Hester Street. »Gibt es denn gar keine Spur?« »Nein. Wir checken gerade ihre Fingerabdrücke durch. Die DNA nützt uns natürlich auch bloß was, wenn wir sie mit irgendwas vergleichen können.« Er klang ungeduldig. »Declan Scott hat diese Frau übrigens einmal in Begleitung seiner Gattin gesehen, und zwar in Brown’s Hotel in Mayfair. Von der Köchin in Angel Gate wurde sie ebenfalls gesehen. Das ist aber schon fast drei Jahre her.«
Jury sagte: »Na, dann kann die Identifizierung der Leiche doch nicht so schwierig sein.«
»Von wegen, Jury. Scott hat keine Ahnung, wieso sie mit seiner Frau dort war. Die Köchin – die inzwischen nicht mehr dort arbeitet – hat ebenfalls keine Ahnung, wer es ist. Sie erinnert sich lediglich daran, dass diese Frau Mary Scott sprechen wollte. Aber weder die Köchin noch Declan Scott können sie identifizieren. Bei Brown’s erkennt auch keiner das Gesicht wieder.« Macalvie schwieg einen Augenblick. »Bei diesem Fall ist Ihre chronische Melancholie gefragt, Jury.«
Jury hielt den Hörer vom Ohr weg, sah ihn fragend an und hielt ihn wieder hin. »Wovon zum Teufel reden Sie?«
»Von Declan Scott.«
»Weiter.«
Macalvie druckste eine Weile herum. »Länger als eine Viertelstunde ist Scott schwer auszuhalten. Ist Ihnen so jemand schon mal begegnet?«
Jury griff hinter sich und zog einen Band mit Gedichten von Emily Dickinson aus dem Regal. Er überlegte einen Augenblick, während er das Vorwort des Dickinson-Bandes durchblätterte. »Thomas Wentworth Higginson.«
»Wer zum Teufel ist das?«
»Emily Dickinsons Adlatus, so könnte man ihn vielleicht nennen. Ihr literarischer Kritiker, Lektor, Herausgeber – was auch immer. Na, jedenfalls hat der sich genau so über sie geäußert: Er halte es kaum länger als eine Viertelstunde im selben Zimmer mit ihr aus. So intensiv sei sie, so emotionshungrig, dass sie ihn damit überwältigte. Eigentlich kein Wunder, wenn man sich ihre Gedichte ansieht. Was ist nun mit Declan Scott?«
»Das kleine Mädchen, Flora hieß sie, war eigentlich gar nicht seine Tochter, aber das würde man nie merken, wenn man ihn über sie reden hört. Über alle beide. Die Ehefrau ist ein halbes Jahr nach dem Verschwinden des Kindes gestorben.«
Ein doppelter Schicksalsschlag. »Wie ist sie denn gestorben?«
»Offenbar hatte sie was mit dem Herzen. Scott fand sie im Garten. Ein Garten inmitten eines Gartens, so eine Art Geheimgarten. Sie wissen schon.«
»Nein, ich hatte noch nie so einen. Ist das da, wo Sie heute früh die Leiche gefunden haben?«
»In einem anderen Teil des Gartens, weiter unten.«
»Trotzdem. Ein Zufall?«
»Keine Ahnung.«
»Wen gibt es da sonst noch? Im Haus?«
»Die einzige andere Vollzeitkraft ist die Haushälterin. Eine gewisse Rebecca Owen, Köchin und Wirtschafterin, aber nicht einmal die wohnt dort. Er lebt allein. Zwischen ihm und der Toten, behauptet er, gibt es überhaupt kaum eine Verbindung. Er kannte sie eigentlich gar nicht.«
»›Kaum‹ und ›eigentlich‹ erscheinen mir hier als Schlüsselbegriffe. Eine gewisse Verbindung gab es aber, nicht?«
»Ich sagte Ihnen doch, Scott hatte sie einmal gesehen, beim Tee mit seiner Frau Mary. Die stellte sie damals als eine alte Schulfreundin vor. Von der Roedean School.«
»Und natürlich war die Tote keine alte Schulfreundin, denn dann hätte die Roedean School das bereits bestätigt. Und Sie wüssten inzwischen, wer sie ist.« Schweigen. »Es gibt also eine Verbindung zwischen dem alten Fall und diesem.«
»Muss so sein. Das Opfer hätte doch etwas damit zu tun haben können. Es ist jetzt drei Jahre her, dass die Kleine verschwunden ist. Sie würden vermutlich sagen, Declan Scott soll es gut sein lassen.«
»Wieso zum Teufel sollte ich das sagen? So etwas lässt einen nicht los. Es wird mit der Zeit vielleicht sogar noch schlimmer.«
Keine Antwort.
Macalvie widerstrebte es tatsächlich, den Mann vernehmen zu müssen. Jury überlegte.
Macalvie sagte: »Das ist der Grund, verstehen Sie?«
»Was denn?«
»Was Sie gerade gesagt haben, dass es mit der Zeit schlimmer wird. Die meisten Leute leben nach der Devise ›die Zeit heilt alle Wunden‹. Sie würden sich bestimmt gut mit ihm verstehen.«
Jury schüttelte lächelnd den Kopf. »Wo wurde die Tochter entführt? Aus dem Haus? Vom Grundstück? Von wo?«
»Aus den Verlorenen Gärten von Heligan.«
Jury klemmte den Hörer ans andere Ohr. »Die Verlorenen Gärten von Heligan? Kommt mir bekannt vor. Ich war zwar nie dort, aber war das nicht dieses große Restaurierungsvorhaben in Cornwall? Dort und – wie heißt das andere?«
»Das Eden-Projekt.«
»Heligan ist doch so ein Restaurierungsobjekt, nicht wahr? Die frühere Parkanlage verwucherte zusehends, fiel sozusagen der Verwahrlosung anheim.«
»Richtig«, sagte Macalvie.
»Nun, ich habe noch nie erlebt, dass Melancholie einen Fall gelöst hätte. Meine jedenfalls weiß Gott nicht.«
Hoch gewachsen, dünn, schwarz gekleidet und so glatt und geschmeidig wie ein Seehund, war Baumanns Sekretärin gerade am Telefon beschäftigt, als Jury ins Büro trat. Während er wartete, dass sie auflegte, sah er sich in dem kostspielig ausgestatteten Raum um. Ebenso glatt und eckig wie sie waren die Möbel, ganz in schwarzem Leder und Glas. An der Wand zu seiner Linken waren mehrere Glasregale angebracht, auf denen auf schwarzem Samt reihenweise Münzen ausgestellt lagen. Jury fiel wieder ein, was Johnny Blakeley ihm gesagt hatte.
Als sie den (gleichfalls glatten) Hörer endlich wieder aufgelegt hatte, stellte er sich vor und sagte, er würde gern Mr. Baumann sprechen.
»Vor zehn Uhr empfängt Mr. Baumann aber keinen Besuch.« Dabei schaute sie ostentativ auf ihre Armbanduhr.
»Das ist schade, ich muss nämlich um halb elf auf den Zug.«
Mit bedächtigem Stirnrunzeln unterzog sie daraufhin ihren Terminkalender einer ausführlichen Begutachtung. Schließlich hob sie den Blick. »Sie haben ja aber auch sowieso keinen Termin, oder?« Dies formulierte sie als Frage für den Fall, dass er sich mit ihr anlegen wollte.
»Nein, habe ich nicht –« Jury warf einen kurzen Blick auf das metallene Namensschildchen auf dem Schreibtisch. » – Grace.« Bei Vornamen schalteten solche Leute gewöhnlich eine Stufe herunter. Ihre Augenbrauen arbeiteten sich nach oben, erstaunt, was er sich für Freiheiten herausnahm. »Das hier ist einfach ein dringender Termin.« Einnehmend lächelnd schob er ihr seinen Dienstausweis hin. »New Scotland Yard, Kriminalpolizei.«
Sie stieß ihren Sekretärinnenstuhl zurück und stand auf. Immer noch frostig sagte sie: »Ich sehe mal nach, ob er jetzt mit Ihnen sprechen kann.«
»Das würde ich ihm doch stark raten.« Es klappte nie so recht, wenn Jury sich um einen bedrohlichen Tonfall bemühte. Immer versteckte sich dieser Schalk dahinter.
Sie trat an eine Flügeltür zu ihrer Linken, aus Kirschholz und mehrere Zentimeter dick. Sie stieß sie auf, und er hörte, wie sie der Person in dem behaglichen Büro dahinter etwas zumurmelte. Dann wandte sie sich um und zog beide Türen auf – beide Türen … ein dramatischer Auftritt. Nachdem sie wieder hineingetreten war, hörte er sie etwas murmeln, bevor sie sich umdrehte und ihn hereinwinkte.
Viktor Baumann erhob sich und trat hinter seinem Schreibtisch hervor, um Jury die Hand zu schütteln. »Freut mich, dass man Flora bei der Polizei nicht vergessen hat. Und besonders bei Scotland Yard. Sie ist jetzt seit drei Jahren verschwunden. Ich will Ihnen natürlich behilflich sein, so gut ich kann. Bitte, Superintendent, setzen Sie sich doch.« Baumann ließ sich wieder auf seinem Schreibtischstuhl nieder, der wie einer von diesen Bauhaus-Freischwingern aus Aluminium und Leder aussah und so leicht war, dass man fast meinte, er könnte sich in die Luft erheben.
Noch ein mit umwerfenden Designermöbeln ausstaffiertes Büro, jedoch geräumiger als das Vorzimmer. Jury konnte sich vorstellen, dass die Gemälde nicht nur Originale waren, sondern auch von ihm unbekannten zeitgenössischen Künstlern stammten.
»Ich arbeite im Morddezernat, Mr. Baumann.« Als Baumann erschrocken auf seinen Stuhl zurücksank, bemerkte Jury seinen Irrtum gleich und fügte rasch hinzu: »Nein, Verzeihung, es geht gar nicht um Ihre Tochter. Es geht um den Mord an einer Frau. Wir haben allerdings noch keine Spur, der wir nachgehen können.« Er holte das Polizeifoto hervor und reichte es ihm über die Tischfläche hinüber.
Nachdem er einekurzen Blick darauf geworfen hatte, wandte Baumann sich ab. »Tut mir Leid. Ich bin etwas zimperlich, wenn’s um Tote geht. Und ich weiß auch nicht, was das mit mir zu tun hat.«
»Vermutlich gar nichts. So wie es aussieht, hatte diese Frau aber etwas mit Ihrer damaligen Ehefrau zu tun.«
»Mit Mary? Wie meinen Sie das?«
Die Erwähnung von Declan Scotts Namen wollte Jury bei dieser Unterredung tunlichst vermeiden. »Man hat sie zusammen beim Tee in Brown’s Hotel gesehen. Nach den Worten Ihrer Exfrau handelte es sich um eine alte Schulkameradin.« Jury ließ Baumann nicht aus den Augen, um zu sehen, wie er reagierte. Kein leichtes Unterfangen bei einem Menschen, der es sich angewöhnt hatte, bei Geschäftsverhandlungen keinerlei ungewollte Regungen zu zeigen. Das Geschäft, stellte Jury sich vor, konnte dadurch entweder glücken oder scheitern. Seine Verwicklung in diesen Todesfall wäre ebenso schwierig nachzuweisen wie bei dem durchtriebensten Schurken.
»Sie sagen aber doch, davon abgesehen könnten Sie keine Verbindung zwischen dieser Frau und meiner Exfrau finden?«
»Bisher jedenfalls nicht.« Er hatte das Foto direkt vor Baumann auf den Tisch gelegt.
Baumann sagte: »Ich fürchte, ich kann Ihnen da nicht weiterhelfen, Superintendent.«
»Sind Sie sicher, dass Sie sie noch nie gesehen haben?«
Baumanns Lächeln wurde ziemlich unfreundlich. »Ganz sicher. Das Gesicht ist ja nicht gerade besonders einprägsam, was meinen Sie?«
Das klang ganz schön kaltblütig, fand Jury. »Vielleicht nicht.«
»Es stand doch davon in der Zeitung, nicht wahr? An ein Foto von dem Gesicht kann ich mich zwar nicht erinnern, aber an das Verbrechen. Ziemlich schauerlich, was? Ein Landsitz mit einer Leiche im Garten?«
Auch er schien Declan Scotts Namen nicht nennezu wollen. »Schauerlich in der Tat. Das war die Entführung Ihrer Tochter aber auch, die ja immerhin auf diesem Landsitz lebte. Und der Tod ihrer Mutter. Auf Declan Scotts Anwesen passieren eigentlich viel zu oft schreckliche Dinge.«
»Ah.« Baumann entspannte sich etwas und griff nach einem Briefbeschwerer. Offensichtlich nahm er fälschlicherweise an, Jury sei auf seiner Seite. Oder zumindest nicht auf der von Declan Scott. »Dann schlage ich vor, Sie nehmen es mal genauer unter die Lupe, Superintendent.« Er lächelte verschlagen.
»Das tue ich auch, Mr. Baumann.« Baumanns verblüfften Blick ließ er unkommentiert.
»Sie haben aber doch angedeutet, dass Scott bei dem allem eine Rolle spielt.«
»Sicher spielt er eine Rolle dabei. Das muss aber nicht heißen, dass er die Sache inszeniert hat. Welchen Grund hätte er denn haben sollen, Ihre Tochter Flora zu kidnappen?«
Baumann schwieg.
»Bei Ihnen dagegen«, fuhr Jury fort, »könnte man durchaus ein Motiv erkennen. Sie waren mit Floras Mutter in einen Sorgerechtsstreit verwickelt. Declan Scott wollte das Kind adoptieren –«
»Superintendent, Flora war – ist – meine Tochter. Ist denn irgendetwas bedenklich an der Tatsache, dass ich sie bei mir haben will?«
»Nein, außer dass sie verschwunden ist. Darum geht es doch, nicht? Dass Sie sie vielleicht so unbedingt bei sich haben wollten, dass Sie sie raubten.«
Baumann wirkte nun gar nicht mehr entspannt. »Es geht also überhaupt nicht um die ermordete Frau. Sie sind gar nicht wegen ihr hier. Es geht wieder um Flora.«
»Der Grund meines Besuches war nicht Flora, sondern dieser neue Mordfall. Ich glaube aber, dass zwischen den beiden eine Verbindung besteht, Mr. Baumann. Mir scheint einfach, dass der Mord an einer Fremden ausgerechnet dort, wo Ihre Tochter verschwunden ist, kein Zufall sein kann. Insbesondere, weil diese Frau ja selbst dieses Haus aufsuchte. Sie kannte Mary Scott und wollte Schwierigkeiten machen.«
»Woher wollen Sie das wissen?«
»Weil sie ermordet wurde.«
»Und daraus leiten Sie ab, dass es eine Verbindung zwischen Mary und dieser Frau gibt?«
»Da brauche ich gar keine Verbindung abzuleiten. Die gibt es nämlich. Die beiden Frauen kannten einander.«
»Behauptet Declan Scott.«
»Kann sein, dass er lügt. Ich wüsste allerdings nicht, wieso.«
Baumann stand auf und trat an ein Schränkchen im asiatisch angehauchten Stil, dessen dunkles Rot fast wie Schwarz wirkte. »Wie wär’s mit einem Drink, Superintendent?«
»Nei, danke. Inzwischen habe ich bestimmt schon ein Dutzend Tassen Tee intus.« Es war ihm bisher noch nicht so recht geglückt, sich Baumann gewogen zu machen, er hatte ihn im Gegenteil sogar fast abgeschreckt. Deshalb sagte er jetzt: »Sie sind Münzensammler, Mr. Baumann. Diese Stücke sehen ziemlich wertvoll aus.« Er lächelte und deutete mit dem Kopf in Richtung Vorzimmer.
Baumann schenkte sich einen kleinen Gin in ein kristallenes Stumpenglas. Das fand Jury nun wieder interessant. Er hätte Whiskey erwartet. Gin vor dem Mittagessen! Jury war der Überzeugung, drei Viertel aller Mitmenschen waren Alkoholiker, er selbst vielleicht inbegriffen.
»Aha, Sie interessieren sich für Münzen, Superintendent?« Er kehrte zu dem schwebenden Schreibtischsessel zurück.
»Ich kenne mich nicht sehr gut damit aus. Aber ich frage mich schon die ganze Zeit, was das für eine ist, die Sie da zwischen den Fingern drehen.« Es war eine alte, in Acrylglas gegossene Münze, die als Briefbeschwerer diente.
Baumann hielt sie ihm lächelnd hin. »Die habe ich eigentlich am liebsten: eine griechische Tetradrachme, was so viel heißt, dass sie vier Drachmen wert ist. Es ist Alexander der Große. Eins meiner Lieblingsstücke. Seit ich angefangen habe zu sammeln, habe ich erst zwei von denen gesehen.«
Jury nahm sie in die Hand. Es überraschte ihn nicht, dass Baumann eine gewisse Affinität zu Alexander verspürte. Der war auf der Münze mit einem Löwenkopf als Helm abgebildet. »Sieht ziemlich wertvoll aus«, sagte Jury und gab sie ihm zurück.
»Eigentlich nicht. Sie ist natürlich sehr, sehr alt, das hat aber nicht viel zu sagen, was den Wert betrifft.«
Nachdem er sich wenigstens bis zu einem gewissen Grad Baumanns Gunst wieder gesichert hatte, meinte Jury: »Nun habe ich aber vom Thema abgelenkt. Wir sprachen doch gerade über Declan Scott.«
Baumann nahm einen Schluck und stellte das schwere Glas hin. »Ich dachte bloß, vielleicht hat Scott deshalb gelogen, weil er von der Beziehung zwischen sich und dieser Frau ablenken wollte, indem er behauptete, sie sei eine Freundin von Mary. Und sich dann diese Geschichte ausdachte, er hätte sie zusammen gesehen. Für diese Begegnung gibt es keine Zeugen, sagten Sie doch, nicht wahr?«
»Nein, wir haben keine aufgetan. Aber Declan Scott ist nicht der Einzige, der sie gesehen hat –«
Baumann unterbrach ihn. »Aber Sie sagten doch gerade, es gäbe keine Zeugen.«
»Bei dem Treffen im Hotel nicht, aber später, als sie zum Haus kam. Und da hat auch nicht Declan Scott sie gesehen, sondern die Köchin der Scotts.«
So wie Baumann sein leeres Glas in den Händen drehte und wendete, wie er es betrachtete, wollte er offenbar noch einen Drink. »Ach, ist das eine von diesen altgedienten ›Perlen‹, die für die Scotts alles tun würde?«
»Wollen Sie damit andeuten, sie würde für sie lügen?«
Achselzuckend stellte Viktor Baumann sein Glas hin. »Könnte doch sein, oder?«
»Ist allerdings höchst unwahrscheinlich. Ich glaube, hier hat Sherlock Holmes Recht, wenn er sagt: Die einfachste Erklärung ist die wahrscheinlichste.«
»Da bin ich aber ganz anderer Meinung. Wie mir scheint, ziehen Sie nicht alle Möglichkeiten in Betracht.«
Jury sagte nichts, sondern wartete darauf, dass er weiterredete, was er offensichtlich beabsichtigte.
»Sie haben sich von ihm beeindrucken lassen, Superintendent. Declan Scott wirkt ja sehr vertrauenerweckend.« Baumann klatschte auf die Lehnen seines Sessels, bevor er sich daraus erhob.