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In den Wirren der Räterepublik verschwindet in München der Journalist Meiniger. Nachdem sein Leiche gefunden wird, beginnt Inspektor Kajetan mit höchst gefährlichen Recherchen. Offenbar war Meiniger dabei, die Hintergründe des Attentats auf Kurt Eisner aufzudecken.
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Seitenzahl: 291
Robert Hültner
Inspektor Kajetan und die Sache KoslowskiRoman
btb
Buch
München, zur Zeit der Räterepublik. In der Stadt regiert das Chaos, politische Gruppen streiten um die Vorherrschaft, die Machtverhältnisse ändern sich schneller, als die Zeitungen darüber berichten können. Mitten in den Wirren dieser Tage verschwindet der junge Journalist Meininger und wird bald darauf tot aufgefunden. Inspektor Kajetan, der bei Dienstantritt nie sicher sein kann, ob die bayerische Polizei nicht über Nacht aufgelöst wurde, findet Hinweise, daß Meininger einer brandheißen Geschichte auf der Spur war: Er recherchierte die Hintergründe des Attentats auf Kurt Eisner und kam dabei der Wahrheit wohl zu nahe. Auf den Spuren des ermordeten Journalisten kämpft sich Kajetan nun seinerseits durch die Verschwörungstheorien, die wie Unkraut aus dem Boden schießen. Er sucht Zugang zu den Geheimbünden und Freikorps, die ihre Stützpunkte zum Teil aus München, dem Zentrum revolutionärer Erhebungen, in das Umland verlagert haben. Als Kajetan schließlich fündig wird, gerät er selbst in Lebensgefahr, denn auch die Polizei hat längst ihre politische Unschuld verloren, und jeder Kollege kann sich als Spitzel entpuppen.
Autor
Robert Hültner wurde 1950 im Chiemgau geboren. Er arbeitete unter anderem als Regieassistent, Dramaturg, Regisseur von Kurzfilmen und Dokumentationen. Er reiste mit einem Wanderkino durch kinolose Dörfer und restaurierte historische Filme für das Filmmuseum. Für »Inspektor Kajetan und die Sache Koslowski« wurde der Autor mit dem Deutschen Krimipreis ausgezeichnet.
7. Auflage Taschenbuchausgabe Februar 1998, btb Verlag in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München Copyright © der Originalausgabe 1995 bei Robert Hültner Die Originalausgabe erschien als Band III der Edition Ulenspiegel im Verlag Georg Simader, Frankfurt am Main Umschlaggestaltung: Design Team München Umschlagfoto: SV Bilderdienst Satz: IBV Satz- und Datentechnik GmbH, Berlin SL. Herstellung: BB
eISBN 978-3-641-18728-6
www.btb-verlag.de
www.randomhouse.de
» ... wir glauben dir kein Wort, aber hör nicht auf zu erzählen, weil: eine Gschicht braucht nicht wahr zu sein. Bloß schön.
gehört um 1979 in einem Aschauer Wirtshaus
Dies ist eine Kriminalerzählung. Ist sie für den einen oder die andere hingegen eher eine Liebesgeschichte oder gar – was immer das ist – ein Heimatroman, so mag das auch richtig sein. Nur eines will dieses Buch mit Sicherheit nicht sein: Die historisch-wissenschaftliche, exakte Darstellung der dramatischen Geschehnisse in München zum Ende des 1. Weltkriegs, die unter anderem in die Gründung des Freistaats Bayern mündeten. Da ich weder volkskundlicher Wissenschaftler noch politischer Dokumentarist bin, ist, wie es sich gehört, meine Erzählung erdacht und erfunden. Was natürlich wiederum nicht bedeutet, daß die Kontur einiger Romanpersonen nicht von verschiedenen historischen Vorbildern angeregt worden wäre; den an Geschichte Interessierten wünsche ich viel Vergnügen dabei, aus Figuren und Konstellationen die jeweiligen historischen Grundlagen herauszufiltern. Bei der (teilweisen) Verdeckung verschiedener originaler Personen- und Ortsnamen bin ich bewußt nicht sehr raffiniert vorgegangen. Keinesfalls um eine Erfindung handelt es sich jedoch bei der Feststellung, daß die Ermordung des Gründers der bayerischen Republik bis heute nicht restlos aufgeklärt ist, auch wenn, wie ich zu behaupten wage, dies für die damals Ermittelnden ein Kinderspiel gewesen wäre. Schon bei oberfächlichster Beschäftigung ergeben sich auch noch heute Spuren zu den Hintermännern; auch Inspektor Kajetan wird gar nicht anders können, als auf die Hintergründe dieses Attentats zu stoßen. Die Schauplätze dieser Inspector-Kajetan-Geschichte in der wirklichen Geografie zu finden, wird Kennern keine großen Probleme bereiten. Nicht alle, aber einige Bewohner einer bestimmten Region mag außerdem zuversichtlich machen, daß offenbar nicht immer alles so war, wie es sich heute darstellt; woraus natürlich folgt, daß auch nicht alles so bleiben muß, wie es ist. Ich habe allen herzlich zu danken, die mir bei der Recherche und mit Anregungen und Hinweisen geholfen haben.
ROBERT HÜLTNER
Der Gewehrlauf zielte auf das Pflaster. Er wippte gemächlich auf und ab, als der Soldat sich in Bewegung setzte und, ohne die Hände aus den Taschen zu nehmen, auf den jungen Mann im abgetragenen dunklen Mantel zuging.
»Was suchst denn da? Da ist heut gesperrt!«
Der Angesprochene fingerte ein Blatt Papier aus einer Tasche, entfaltete es und hielt es sich vor die Brust. Seine Hände zitterten unmerklich.
Der Soldat warf einen Blick darauf, nahm die Zigarette aus dem Mundwinkel und spuckte einen Tabakkrümel aus. Seine Miene verdunkelte sich.
»Von der Zeitung?«
Auf seine Worte hin wandten sich einige Männer des kleinen Trupps republikanischer Soldaten, die den Zugang zum Promenadeplatz bewachten, um.
»Was für einen Dreck wird er denn diesmal wieder zusammenschmieren?« höhnte einer. Die Brust des aufgeregten jungen Mannes hob und senkte sich. Er wurde rot.
»Von mir habts ihr noch keinen Dreck nicht gelesen!« rief er verletzt.
Der erste Soldat winkte ungeduldig ab, trat einen Schritt zur Seite und ließ den Journalisten passieren. »Aber deinen sauberen Kollegen sagst«, rief er ihm drohend hinterher, »daß bald ein anderer Wind weht! Hast gehört?«
Der junge Mann, der sich nun schon in der Mitte der Maffeistraße befand, antwortete nicht mehr. Er war in Eile. In wenigen Minuten sollte die Sitzung des neuen Landtags beginnen. Die Wahlen vor einigen Wochen hatten der Partei des Präsidenten eine verheerende Niederlage zugefügt, und alle Welt fragte sich, wie dieser darauf reagieren würde.
Doch so neugierig der junge Journalist darauf war, sowenig war das in Wirklichkeit der Grund, warum er der Sitzung des Parlaments beiwohnen wollte. Er hoffte vielmehr, dabei etwas zu erfahren, was für sein eigentliches Vorhaben nützlich wäre. Was es genau sein würde, wußte er nicht. Noch war er dabei, einige widersprüchliche Informationen zu ordnen, und noch war er längst nicht in der Lage, die vermuteten Zusammenhänge zu beweisen. Das konnte jedoch nicht mehr lange dauern. Der junge Journalist fühlte, wie sein Herz heftiger pochte.
Vor ihm öffnete sich der Promenadeplatz. Noch stand die Sonne schräg hinter den Dächern; über dem schwarzen, feuchten Pflaster dampften Nebelschleier. Im Westen fingen herrschaftliche Fassaden erste Sonnenstrahlen ein und blinkten durch den dünnen Dunst. Ein frühlingshafter Tag kündigte sich an. Kein Wind war zu spüren. Die Luft roch nach dem Rauch vieler Herdfeuer.
Der langgestreckte Platz war nahezu menschenleer. Gelegentliche Rufe der Soldaten, die das Regierungsviertel absperrten, durchbrachen die Stille. Schleppenden Schrittes gingen zwei ärmlich gekleidete Männer mit gesenkten Köpfen an den Wachen des Außenministeriums vorbei, und im Windfang des Eingangs eines Bankgebäudes hatte ein Mann, die Schultern fröstelnd hochgezogen und seine Hände in die Taschen seines Wintermantels vergraben, Zuflucht gefunden.
Eine Bewegung lenkte den Blick des Journalisten auf sich. Aus dem Portal des Montgelas-Palais, das noch im morgendlichen Schatten lag, hatte sich eine Gruppe gelöst: Drei Zivil tragende Männer, die von zwei Bewaffneten begleitet wurden, von denen einer vor, der andere hinter der kleinen Gruppe ging.
Der Beobachter blieb stehen. Er fixierte den Mann in der Mitte. Das also war der Präsident? Der Journalist hatte ihn noch nie von Angesicht zu Angesicht gesehen; er kannte sein Äußeres nur von einigen Postkarten, auf denen er als vergeistigter Gelehrter, als eine Melange aus Doktor Faustus und einem leicht an der Welt verzweifelnden, etwas verschlampten Poeten abgebildet war.
Der Mann jedoch, der sich nun mit gemessenen, kräftigen Schritten auf ihn zubewegte, wirkte anders. Eine ruhige Würde, eine patriarchale Gelassenheit ging von ihm aus, und die Belastungen, denen er in den vergangenen Monaten und Tagen ausgesetzt gewesen sein mußte, waren ihm nicht anzusehen. Anders als seine Begleiter, deren Blicke zu Boden gerichtet waren und dann wieder unruhig über die toten Fassaden des Regierungsviertels wanderten, drückte seine Miene eine eigentümliche, beinahe sarkastische Heiterkeit aus.
Ja, er würde heute vor den Abgeordneten seinen Rücktritt erklären. Diejenigen, die in den vergangenen Monaten gegen ihn zu Felde gezogen waren, würden nun beweisen müssen, daß sie mit den Problemen der jungen Republik besser fertig würden – und sie würden scheitern, die biederen Mehrheitssozialisten ebenso wie die Radikalen. Der Mißerfolg seiner Gegner würde ihm schließlich recht geben und den Weg ebnen für die Ideen, für die er sein ganzes Leben lang gekämpft hatte. Sein Rücktritt würde ihm Zeit zum Atemholen geben, zum Nachdenken. Der überraschende Erfolg des Umsturzes vor wenigen Monaten hatte es bisher kaum zugelassen. Und da waren schließlich auch seine Frau und seine kleine Tochter, die er liebte und die nicht nur darunter gelitten hatten, daß sich in den vergangenen Monaten Beleidigungen und Morddrohungen gehäuft hatten.
Wärme dehnte sich über den Platz. Aus einem Loch im Maschengitter huschte eine Ratte. Sie schnupperte erregt, verschwand dann aber, von den knallenden Tritten der nahenden Gruppe aufgescheucht, wieder im Keller des Bankgebäudes.
Nun bog der kleine Trupp in die Promenadestraße ein. Als wollte er zur Eile drängen, beschleunigte einer der beiden Bewaffneten seinen Schritt. Er überholte die Politiker und setzte sich an die Spitze der Gruppe.
Der Präsident sah auf. Die Sonne war gestiegen.
Er fühlte nichts als einen silbernen Schmerz im Nacken und hatte schon jedes Bewußtsein verloren, als er auf das Pflaster fiel.
Die Riemerischen waren bei den meisten Hallbergern bereits vergessen, als das letzte Familienmitglied in der Düsternis einer geschlossenen Anstalt verstorben war. Die Geschichte dieser Familie war schließlich auch keine besondere. Was diese so vernichtend getroffen hatte, geschah auch anderen und geschah zu oft in jenen Jahren, als daß die Tragödie einzelner noch wahrgenommen werden konnte. Haushalten mußte ein jeder mit seinem Mitleiden, nicht zu oft, nicht zu tief durfte man sich erschüttern lassen in diesen Zeiten nach dem großen Krieg.
In Vergessenheit geriet das Schicksal der Riemerischen aber auch deshalb, weil dabei vieles so eigenartig, so verstörend verlief und sich nicht mehr einfügen wollte in das, was bisher von den Dingen des Lebens bekannt war.
So wäre es nach all der Zeit auch schwer, den Ort zu finden, an dem einmal das Gehöft der Riemerischen stand. Nichts in diesem abgeschiedenen, wüst verbüschten Teil des Hallberger Hochlandes markiert mehr die Stelle, und wer sich, nach mühevollem Studium alter Kataster, danach auf die Suche machen würde, fände am bezeichneten Ort nur noch mürbes Unterholz, hohes Kraut über moosigem Grund, wenige kniehohe, von Immergrün und Unkraut überwucherte, von Wurzelwerk gesprengte Mauerreste und, weitab vom nervösen Lärm des Perthenzeller Tals, einen dunklen, toten Frieden.
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