Intima - Timothy Speed - E-Book

Intima E-Book

Timothy Speed

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Beschreibung

Im Rahmen einer Performance verkörpert Speed den Bürger einer optimierten Gesellschaft, in der sich die Menschen einander derart angeglichen haben, dass Kommunikation mangels abweichender Sichtweisen sinnlos geworden ist. In einem experimentellen Rausch will er darum gemeinsam mit dem Journalisten Mr. Bob einen von der Marktkonformität abweichenden Zustand erreichen, aus dem sich ihm unbewusstes Wissen erschließen soll. Er entwickelt dabei die „Theorie der Sphären“, durch die begreifbar wird, weshalb Menschen in Zeiten großer Veränderungsnotwendigkeit angesichts der ökologischen, kulturellen, sozialen, wirtschaftlichen Krisen, in Schwäche und Passivität erstarren und dabei jede Irritation, alles Neue und Fremde meiden – somit jedoch Entwicklung blockieren. Speed zeigt einen zentralen Betriebsfehler des Kapitalismus auf, der die Lähmung der kreativen Kräfte einer Kultur bewirkt und darum am Ende immer zu einer schwachen Planwirtschaft großer Strukturen führt und freie Eigeninitiative sowie das soziale Gefüge zerstört. Dieser Prozess kann nur durch radikale Beziehungsarbeit, durch die authentisch gelebten Zusammenhänge und bewusst gemachten Auswirkungen des Handelns umgekehrt werden. Durch den natürlichen Ausgleich der Kräfte und Werte zwischen Menschen, der im kapitalistischen Markt durch den Zwang zum Produkthaften bewusst verhindert wird, um Gestaltungskraft, Lebensperspektiven und Werte zu kontrollieren. Speed antwortet darauf mit einer neuen Physik des verantwortungsvollen Individualismus, einem vom Bürgertum ausgehenden, neuen Gesellschaftsdesign, als Disziplin für jeden Menschen. Er vermittelt ein tiefes Verständnis von lebenden Ordnungsstrukturen, ja von der kreativen Lebendigkeit selbst. Ein wichtiges Werk, in diesen Zeiten scheinbarer Alternativlosigkeit.

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Vorwort

Der 1973 geborene britisch-österreichische Künstler und Schriftsteller Timothy Speed beschäftigt sich in seinen Essays, Performances, sozialen Projekten und literarischen Arbeiten mit der Rolle von selbstbestimmten, unangepassten und kreativen Menschen in wirtschaftlichen und staatlichen Strukturen. In seiner Arbeit werden die Grundlagen einer kreativeren und humaneren Gesellschaft erforscht. Er setzt sich mit Veränderungs- und Entwicklungsprozessen auseinander, löst diese mit ungewöhnlichen Ansätzen selbst aus, oder begleitet sie. Gerade in Zeiten, in denen Individualismus von Angst verdrängt wird und ein übertriebenes Sicherheitsbedürfnis die kreativen Potenziale und notwendigen, krisenhaften Bewusstwerdungsprozesse verhindert, bekommt seine Arbeit hohe Relevanz und Bedeutung.

Viele Jahre hat er die inneren Mechanismen von kreativen und freien Gesellschaftsordnungen untersucht und entwickelte 2003 in dem Buch »Gesellschaft ohne Vertrauen« eine eigene Theorie dazu, wie die Teilhabe vielfältiger, kritischer, unangepasster Menschen in einem System gefördert werden kann und weshalb dies für die Realitätskompetenz und Entwicklungsfähigkeit einer Gesellschaft entscheidend ist. Er zählt zu den Pionieren im Bereich der »systemkreativen« Gesellschaftsgestaltung und eines authentischen »Diversity-Managements«. In seinen Ansätzen wird die Gesellschaft nicht mehr aus von Eliten gesteuerten, halb bewussten, politischen Ritualen gestaltet, sondern in individuellen Prozessen ergründet und umfangreich diskutiert. Die Bedeutung kreativer und systemischer Intelligenz wird erlebbar.

Dafür braucht es laut Speed IndividualistInnen und Menschen, die sich subjektiven und inneren Impulsen hingeben, welche die Strukturen auf der Werte-, Wissensoder Identitätsebene, durch neue Perspektiven oder Irritation ausreichend destabilisieren, um Entwicklung und echte, demokratische Prozesse zu fördern. Darum spricht er von einem Recht auf Krise und fordert ein positives Verständnis von abweichendem Verhalten, um komplexere Ordnungen entstehen zu lassen. Wirtschaftswachstum tauscht er gegen Gestaltungskraft, weil die Frage, was Menschen individuell im Leben gestalten können, mehr über den realen Wohlstand in einer Gesellschaft aussagt und negative Erfahrungen nicht entwertet, sondern integriert.

Bereits im Jahr 2000 analysierte er in »Verdammt Sexy« die Probleme für Wirtschaft und Gesellschaft, die aus zu viel Konformismus und Zwang zum Harmlosen und Glücklich-Machenden resultieren. Mit dem amerikanischen Medienforscher Neil Postman diskutierte er die Frage, mit welchem Recht die Medienmacher die Realität gestalteten. Schon hier zeigte sich seine Suche nach der authentischen Gestaltung einer Gesellschaft und nach neuen Strukturen, welche diese begünstigten.

Später entwickelte er mit dem Managerberater Markus Maderner eine der ersten Managementmethoden, welche bewusst die Komplexität nicht reduziert, um das Management scheinbar zu erleichtern, sondern die Vielfalt sucht und integriert, also lernt, damit zu arbeiten. Dadurch kann näher an der Realität, näher am Menschen gestaltet werden und automatisierte Strukturen, die zu gigantischen Nebeneffekten, wie Umweltzerstörungen, Ignoranz oder sozialen Problemen führen, werden von den in dem Buch »Inner Flow Management« entwickelten Haltungen, wie einer bewussteren Form der Unternehmensführung, abgelöst.

Speed zeigt auch auf, wie erst durch das Amateurhafte, Persönliche, Angreifbare und Subjektive echte Innovations- und Entwicklungsfähigkeit möglich wird, da die überprofessionalisierte Wirtschaft sich in ihrem Zwang zur Simplifizierung und zum normierten Verhalten selbst von der Quelle neuer und unmittelbar realistischer Einsichten abschneidet. Für Bewegung notwendige Entwicklungsenergie geht in zu viel Ordnung verloren.

Aus diesen Überlegungen heraus versuchte Speed 2010 selbstbeauftragt, als Künstler das Unternehmen Red Bull umzugestalten. Er drohte vor der Zentrale in Fuschl einen Stier zu töten, um einen subjektiven Prozess auszulösen, in dem die Beziehung zwischen Unternehmen und Mensch neu verhandelt werden sollte. Er wollte sehen was passiert, wenn ein Individuum sich mit allen Aspekten der eigenen Persönlichkeit in die Wirtschaft einbringt, diese komplizierter, komplexer, vielfältiger macht und sich zugleich im Dienst der Innovations- und Realitätskompetenz weigert, ein geschmeidiges, ein einordenbares Produkt zu werden. Weil er in der subjektiven Differenz, im Nicht- oder Missverstehen, im unangepassten Verhalten, die Chance der Erweiterung der Existenz und der Lebenswirklichkeiten sieht.

Zitat Speed: »Für eine Woche waren die Leute bei Red Bull gespalten. Sie wussten nicht, ob sie als Mensch oder als Funktion auf mein Handeln reagieren sollten. Ich hatte das Gefühl, dass der Mensch in ihnen mit mir den Stier töten wollte, während der Anwalt, der Milliardär, der Manager, der aus ihnen sprach, dies um jeden Preis verhindern musste. In dieser Woche gehörte das Unternehmen allein dem an der Welt zweifelnden Menschen. Der Gewissheit, dass jeder von uns einen Konzern bezwingen, gestalten und verändern kann.«

In einer Welt, in der sich Firmen durch einseitige Kommunikation in der Werbung und hierarchischen Machtstrukturen dem Bewusstwerden jener Verstrickungen, jener verborgenen Zusammenhänge, jener Auswirkungen verweigern, an denen immer mehr Menschen leiden, kann Arbeit, Staat und Gesellschaft vom Persönlichen nicht mehr getrennt werden, ist alles mit allem in Beziehung. Hier lebt Speed eine Form radikaler Beziehungsfähigkeit mit der Gesellschaft und den Unternehmen und stellt sich den sensiblen Wahrnehmungen und persönlichen Schmerz. Dabei entstehen neue Lebensräume aus subjektiver Kommunikation in Welten kommerzieller Gleichschaltung. Für ihn ist dies die Grundlage innovativer Wertschöpfung, Authentizität und Menschlichkeit. Somit wird durch die eigene Sperrigkeit mehr Entwicklungspotenzial in der Wirtschaft vorgelebt und dient so als Grundlage neuer Märkte. Speed forderte den Konzern heraus, sich durch den Menschen hindurch komplexeren und freieren Ordnungen, Weltbildern, Möglichkeiten zu stellen.

Um seine Arbeit an Red Bull zu vertiefen, auf der Suche nach einer neuen Haltung zur Wirtschaft, kündigte er seine Wohnung in Berlin, zog für drei Jahre in ein Zelt und schrieb den Roman »Stieren des Weltdesigners«, in dem eine Gruppe von Individualisten in einem Bus zu Red Bull fährt, um selbst zur Krise zu werden. Damit sie wieder selbstbestimmt ihr Leben gestalten können, sich durch sie hindurch eine komplexere, vielfältigere Ordnung ausdrücken kann, in der auch Probleme sichtbar und Beziehungen gestaltbar werden. Sie eben nicht in Kommerzwelten ihre Integrität verlieren und von einer vermeintlichen Krise vor sich her getrieben werden.

Timothy Speed entspricht in seiner Arbeit nicht traditionellen Vorstellungen von Literatur. Er macht bewusst dramaturgische Fehler, lebt Themen subjektiv aus, macht sich angreifbar, um den Blick für das Neue und Unmittelbare zu schärfen.

Da Speed mit seiner eigenen Existenz versuchte, eine neue ArbeiterIn vorzuleben, die sich der Simplifizierung und Effizienzsteigerung verweigert, um die Zerstörung der Vielfalt zu stoppen, war es nur logisch, dass er dabei, in einer auf Effizienz ausgerichteten Welt, pleite ging und somit auch für den Staat zu positivem Sand im Getriebe wurde. Vom Arbeitsamt schikaniert und völlig verarmt, schrieb er 2014 den Essay »Stärke in der Armut«, in dem er die zweifelhaften Hartz IV Gesetze im Namen der Kunstfreiheit aushebelte und seinen fehlenden Gehorsam zu einem Wirtschaftsförderungsprogramm erklärte. Damit brachte er die amtierende Ministerin Andrea Nahles in Bedrängnis und gab den Armen eine Wirtschaftskompetenz zurück, die ihnen strukturell in der Armut genommen wird.

Der Vizepräsident des Europaparlaments und somit der ranghöchste Österreicher in Brüssel, Othmar Karas ließ über sein Büro ausrichten: »Herr Mag. Karas schätzt Ihren Text sehr, da Sie versuchen ein Verständnis bzw. ein Bewusstsein für Ihre Situation und die von vielen anderen, zu schaffen. Besonders den Aspekt – die volkswirtschaftliche Verantwortung und Wertschöpfung aus einem ganz anderen Gesichtspunkt heraus zu beobachten, ist ihm ins Auge gefallen…«

Die österreichische Armutskonferenz hingegen lehnte sein Buch ab und verweigerte dem Künstler den konstruktiven Dialog. Zu radikal anders wäre sein Verständnis von Armut. Die selbstbewusste Haltung eines Armen stellte sowohl die traditionelle Postion der Sozialorganisationen, wie auch die Armutsstrategien der Politik in Frage.

Der Theologe Eugen Drewermann schrieb kurz darauf in einem Brief an Speed: »Ja, warum stehen die Arbeiter nicht auf? Den Grund beschreiben Sie sehr zutreffend selbst. Weil sie froh sind, eine Arbeit zu haben, und sich zu deren Erhalt in jeder Form anpassungswillig bearbeiten lassen. Das tun Sie nicht, aber ich sehe die Gefahr, dass Sie dabei sind, sich in Aktionen zu ruinieren, deren Motive mehr als verständlich sind, doch deren Ergebnisse vorhersehbar gering sein werden….Es liest sich so gut, was Sie schreiben, und es sollte nicht verpuffen…«

Durch die Arbeit von Timothy Speed wird ein veränderter Verantwortungsbegriff definiert. Das Individuum steht nicht mehr nur in Verantwortung gegenüber den unmittelbaren Pflichten des Alltags, sondern muss auch die Welt, das Innen und das Außen, das Persönliche und das Allgemeingültige integrieren und in ein dynamisches Gleichgewicht bringen. Verantwortung wird somit erst über die Aufforderung zur unmittelbaren Beziehungsarbeit konkret, was Formen von »Scheinverantwortung«, wie der Gehorsam gegenüber unreflektierten Regeln oder Autoritäten aushebelt. Speed lebt vor, wie radikal das in der Praxis ist. Sowohl Institutionen, Unternehmen, aber auch der Staat wird bei der authentischen Verantwortung gepackt. Das Individuum kann die Struktur im Sinne von Menschlichkeit und Innovationsfähigkeit aufbrechen. In dem Versuch Verantwortung zu übernehmen, geriet Speed darum ständig in Konflikt mit Institutionen und Systemen.

Im September 2014 wurde der Roman »Stieren des Weltdesigners« vom Markt genommen. Der Verlag fürchtete die Klage des Red Bull Konzerns. Der Autor sollte sich dem Diktat der Wirtschaft fügen.

Während dieser Tage der Zensur schrieb Speed den literarischen Essay »Intima«, indem er sich mit den unbewussten Kräften des Marktes befasste. Er versuchte über seine Theorie der Sphären eine Sprache zu entwickeln, die ausdrückt weshalb Menschen in Zeiten großer Veränderungsnotwendigkeit, angesichts der ökologischen, kulturellen, sozialen, wirtschaftlichen Krisen, in Schwäche und Passivität erstarren und dabei jede Irritation, alles Neue und Fremde meiden, somit durch ihre Anpassung an den Markt Entwicklung blockieren. Damit zeigte er einen zentralen Betriebsfehler des Kapitalismus auf, der die Lähmung der kreativen Kräfte einer Kultur bewirkt, sowie Realitätskompetenz reduziert, der Kapitalismus darum am Ende immer zur schwachen Planwirtschaft der großen Strukturen führt und freie Eigeninitiative abbaut.

Er entschlüsselt die durch Kapitalismus und Rationalismus entstehende Trägheit der Massen. Wie die im Markt verordnete, systematische Verhinderung des Authentischen, des freien Ausgleichs und der unmittelbaren, funktionslosen Begegnung zwischen Menschen. Was auch moralische und soziale Erosion bedeutet. Die Abspaltung vom unmittelbaren Geschehen, um produkthaft zu bleiben, weil sich scheinbar nur davon der eigene Wert ableiten lässt.

Er antwortet darauf mit einer neuen Physik des Individualismus, einem vom Bürgertum ausgehenden, neuen Gesellschaftsdesign, als Disziplin für jeden Menschen.

Wenig später forderte er in einem offenen Brief Liz Mohn, die Eigentümerin eines TV-Senders zum Totalumbau der Medien auf. In dieser einfachen Geste lebt er vor, wie der Mensch sich von den Zwängen des Kapitalismus löst. Nicht ohne Schmerz und ohne Scheitern. Durch das eigene Innere hindurch. Zerfallend, loslassend, bis teils unbewusst, teils bewusst, eine neue, freiere und komplexere Beziehung entsteht, als jene des Marktes.

Die NGO »Dropping Knowledge« lud Speed bereits 2006, gemeinsam mit bedeutenden Intellektuellen wie Wim Wenders, Hans-Peter Dürr, Jonathan Meese, Masuma Bibi Russel oder Bianca Jagger, an den größten runden Tisch der Welt ein, um die 100 bedeutendsten Fragen der Menschheit zu beantworten.

Eine Zeit arbeitete er für die Organisation des amerikanischen Präsidentenberaters Don Edward Beck.

Als Speaker spricht er vor Top-Managern, hält Workshops, begleitet Prozesse, provoziert und regt zum Nachdenken an.

Eine neue Studie der ETH Zürich belegt, dass die Weltwirtschaft von 147 Konzernen dominiert wird, welchen über Beteiligungen und Übernahmen ein großer Teil der Unternehmen auf dem Planeten gehören. Weitere Forscher, aber auch Politiker, sprechen von wenigen Familien, die seit Generationen die weltwirtschaftliche Macht in den Händen halten und in den vergangenen Jahrzehnten weiter zentralisiert haben. Diese Eliten leben und arbeiten im Hintergrund. Sie werden weder gewählt, noch kennen wir ihre Namen oder wissen, wo sie leben.

Zwei Dinge sind in unserer Gesellschaft verboten. Über sich selbst in der dritten Person zu sprechen und sich radikaler Subjektivität hinzugeben. Das Ich muss fremdbestimmt bleiben. Durch Schule, Arbeitgeber, Partner oder Staat. Es ist untersagt, sich selbst als Superhelden oder als spannenderen Menschen neu zu erfinden, sowie darin eine Beziehung zum eigenen Ich aufzubauen und dieses ungefragt in einen internationalen Kontext zu stellen. Zu tun, als habe dies für die Welt oder für die authentische Begegnung mit anderen eine Relevanz, ist unerhört.