Radical Worker - Timothy Speed - E-Book

Radical Worker E-Book

Timothy Speed

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Beschreibung

Als "Radical Worker" lebt der Künstler, Arbeits- und Armutsforscher Timothy Speed das Rollenmodell einer neuen ArbeiterIn vor, die in einer Gegenbewegung zum reinen Gewinn- und Erfolgsstreben ausschließlich entlang der Frage umfassender Sinnhaftigkeit und "echter" Relevanz arbeitet - in Kauf nehmend, dafür keinen Lohn zu erhalten und vom Markt bestraft zu werden. Speed dringt in seinen empirischen Experimenten in Firmen ein, arbeitet unaufgefordert mit, wird rausgeworfen, ausgegrenzt und verfolgt. In seiner 20-jährigen Forschung zeigt er auf, wie Staat und Wirtschaft sowie das kapitalistische System ethisch und ökologisch angebrachte Arbeitsformen systematisch verhindern. Als Antwort darauf fordert er selbstbestimmte Arbeit und macht diese zur Grundvoraussetzung für eine humane und ökologisch verträgliche Ökonomie. Mit der radikalen (Selbst-) Aufwertung der Armen, der sensiblen Erweiterung unserer teilweise überalterten Wertegrundlagen sowie der Neudefinition der Zwangsarbeit als Arbeit in Isolation, formuliert Speed wichtige Grundlagen und Thesen und bietet einen herausfordernden, neuen Ansatz zu den aktuellen Diskussionen um alternative Ökonomie, das Bedingungslose Grundeinkommen oder die Zukunft des Sozialsystems. Er führt nichts Geringeres vor als einen Weg, den Kapitalismus durch ein neues Verständnis von Arbeit zu reformieren und eine gerechte Form der Wirtschaft zu etablieren.

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INHALT:

Als „Radical Worker“ lebt der Künstler,Arbeits- und Armutsforscher Timothy Speed das Rollenmodell einer neuen ArbeiterIn vor, die in einer Gegenbewegung zum reinen Gewinn- und Erfolgsstreben ausschließlich entlang der Frage umfassender Sinnhaftigkeit und „echter“ Relevanz arbeitet – in Kauf nehmend, dafür keinen Lohn zu erhalten und vom Markt bestraft zu werden.

Speed dringt in seinen empirischen Experimenten in Firmen ein, arbeitet unaufgefordert mit, wird rausgeworfen, ausgegrenzt und verfolgt.

In seiner 20-jährigen Forschung zeigt er auf, wie Staat und Wirtschaft sowie das kapitalistische System ethisch und ökologisch angebrachte Arbeitsformen systematisch verhindern. Als Antwort darauf fordert er selbstbestimmte Arbeit und macht diese zur Grundvoraussetzung für eine humane und ökologisch verträgliche Ökonomie.

Mit der radikalen (Selbst-) Aufwertung der Armen, der sensiblen Erweiterung unserer teilweise überalterten Wertegrundlagen sowie der Neudefinition der Zwangsarbeit als Arbeit in Isolation, formuliert Speed wichtige Grundlagen und Thesen und bietet einen herausfordernden, neuen Ansatz zu den aktuellen Diskussionen um alternative Ökonomie, das Bedingungslose Grundeinkommen oder die Zukunft des Sozialsystems. Er führt nichts Geringeres vor als einen Weg, den Kapitalismus durch ein neues Verständnis von Arbeit zu reformieren und eine gerechte Form der Wirtschaft zu etablieren.

VERZEICHNIS

ANFÄNGE DES NEUEN

PROVOZIERTE EMPIRIE

ALLES BEGINNT MIT DEM TRANSFERPROTOKOLL

DIE VERORTUNG DER ARBEIT

NEUE „FORM“ DER ARBEIT

EMPIRISCHE FORSCHUNG ZUR SELBSTBESTIMMTEN ARBEIT

TEILE UND HERRSCHE!

HEIßE TAGE MIT RED BULL

DIE ISOLATION IN DER ERWERBSARBEIT

DIE BEDEUTUNG DER MILGRAM EXPERIMENTE

PRODUKTIVE UNGLEICHHEIT

SCHÖPFERISCHE ZERSTÖRUNG - SCHUMPETER IRRTE

PROVOKATION UND KONSEQUENZ

DIE WIEDERENTDECKUNG DER PRIMÄRÖKONOMIE

DIE BEDEUTUNG DER DIVERSITÄTSMARKE

MEHRWERT-ARBEIT UND ÖKOLOGISCH WIRKSAMER LOHN

DIE KUNDIN UND DIE FRAGE DES ENTFALTUNGSABSTANDS

SUBMERGENZ - MYTHEN DER EVOLUTION

FREIER WILLE – DER REIFE REALITÄTSBEZUG

WAS WILL DER RADICAL WORKER?

DAS OPPOSITIONELLE SOZIALSYSTEM

DER STAAT GEGEN MICH UND DAS WUNDER VON WORKER´S PRIDE

MEINE BEWERBUNG ALS INTENDANT DES ZDF

DAS BEDINGUNGSLOSE GRUNDEINKOMMEN UND DIE PSYCHOLOGIE DER ARBEITERIN

DIE SEELE VON JOSEF ACKERMANN

ANFÄNGE DES NEUEN

Immer noch wird ein Großteil der Arbeit nicht oder schlecht bezahlt und gesellschaftlich kaum gewürdigt. Unfassbar viele Menschen bringen in ihrem Leben nicht weniger Arbeitsstunden auf als ManagerInnen mit Millionengehältern. Ebenfalls übernehmen sie nicht weniger Verantwortung, ziehen Kinder groß oder engagieren sich weit über das hinaus, wofür sie bezahlt werden.

Auch mich betrifft das.

Seit den 90er Jahren, beginnend mit dem Zusammenbruch der New Economy, folgte in meinem Leben eine Wirtschaftskrise auf die nächste. Mit der Auswirkung, dass die einzige Arbeit, die ich in all diesen Jahren bekomme, stets prekär und unterbezahlt ist. Über 22 Jahre hinweg arbeite ich als Künstler und Forscher für durchschnittlich 4 Euro pro Stunde und investiere fast mein gesamtes Erbe in die Lösung gesellschaftlicher Problemfragen.

Trotzdem, und hier zeigt sich die perfide Logik des Kapitalismus, behaupten sowohl der Staat als auch das ökonomische System, ich und all die anderen, denen es so oder ähnlich ergeht, seien an unserer Armut und besonders an unserer Verschuldung selbst schuld. Wir allein trügen dafür die volle Verantwortung. Denn wir arbeiten in einem freien Markt der angeblichen Chancengleichheit. Jeder kann darin erfolgreich sein. Doch in diesem „kann“ steckt sehr viel mehr als das, was wir undifferenziert „Erfolg“ oder „Scheitern“ nennen.

Die Frage von Plus oder Minus ist und bleibt eine Schwarzweiß- Kategorie, die über das „reale Leben“ nur wenig aussagt. Warum also, das ist eine zentrale Frage, verleihen wir diesen Vorzeichen eine derart große Macht über Existenzen?

Die Entscheidung, die ein Markt über einen Menschen fällt, wird in der Regel nicht entlang umfassenderer Kriterien überprüft, gar wird eine breitere Bemessungs- oder Diskussionsgrundlage integriert. Die Bilanz wird nie daraufhin kontrolliert, ob die Diagnose der Wertlosigkeit oder des verringerten Wertes eines Menschen, einer Ware, oder die Überhöhung tatsächlich zutrifft oder eben relativiert werden kann und muss.

Stattdessen treten in unserem ökonomischen System häufig, wie bei einem Flipperautomaten, eine Reihe von willkürlichen, schwer kontrollierbaren Faktoren ein, die am Ende als rollende Kugel, im übertragenen Sinne als Spielball, den Weg der Menschen in einem Markt bestimmen.

Das System übernimmt das Endergebnis aber stets 1:1, als entspreche es der Realität. Es wird zur Realität gemacht. Man kommt nicht auf die Idee sich zu fragen, ob die VerliererInnen aus guter Absicht verloren haben, alles gaben oder etwas Großartiges hervorbrachten, was dennoch unerkannt blieb. Auch stellt man nicht die Frage, ob es OK ist, wenn das System selbst und jene, die darin privilegiert sind, immer gewinnen, weil alles auf das rein Ökonomische reduziert wird und das ökonomisch Richtige auf begrenzten Kriterien beruht, somit sehr viele Menschen diskriminiert und ausgrenzt.

Man kann ein Spiel mitspielen oder die Regeln des Spiels hinterfragen, um sie zu verändern. Die meisten Menschen stellen sich nie die Frage, wer weshalb sich das Recht herausgenommen hat, die Regeln festzulegen. Denn wer die Regeln als höhere Instanz festlegt, steht selbst durch diesen Akt oft außerhalb des Wettbewerbs.

Mit einer Selbstverständlichkeit wird der Mangel an Einkommen auf zwei Ebenen reduziert, was für viele Nutznießer sehr bequem ist.

Auf den Makel des Individuums, also auf dessen geringe oder falsche Leistung.

Auf die Armut als Folge einer Naturgewalt, also eines Mangels, der einfach da ist, der nur durch noch mehr Arbeit behoben werden kann.

Nur selten stellt sich die Frage, ob es nicht am ökonomischen System selbst liegen könnte, dass Menschen verarmen, und ob Erfolg nicht einfach ein strukturelles Phänomen ist, welches eine bestimmte, oft willkürliche Verteilung findet. Ob es in dem ganzen Spiel nicht einfach darum geht, eine Methode festzulegen, mit deren Hilfe ein Großteil der Bevölkerung strukturell entwertet oder ausgesiebt werden kann.

Diese Zielrichtung der Ausgrenzung in unserer Ökonomie ist ökonomisch betrachtet ein im Grunde absurder Vorgang. Es könnte genauso gut darum gehen, möglichst viele im Spiel zu halten, um all ihre Ressourcen optimal, entsprechend ihres tatsächlichen Wertes, einsetzen zu können.

Genau diesem Verdacht, es handle sich bei Teilen der ökonomischen Theorie möglicherweise um Denkweisen, welche zu massenhafter Entwertung und Diskriminierung führen, gehe ich im Buch auf eine ganz neue Weise nach, um mit provozierenden, empirischen Experimenten die Frage zu stellen, wie sich die Arbeitsweise des Menschen ändern müsste, um nicht nur das Problem der Armut real, also tiefgreifender in den Griff zu bekommen, sondern auch um eine Arbeits- und Wirtschaftsform der Zukunft aus einer „relativen“ Unterprivilegierung heraus neu zu erarbeiten, was zu anderen Ergebnissen führt als sie beispielsweise von Elite-ÖkonomInnen präsentiert werden, welche die Armut nie erlebt haben. Für die also das ökonomische System in der Regel funktioniert, weil sie strukturell bedingt auf der „guten Seite“ der Mauer geboren werden.

Was ich in den zwei Jahrzehnten dieser Forschung entdeckt habe, ist eine völlig andere Vorstellung und Erfahrung von Arbeit, deren Kontextualisierung und Bedeutung in einem Ökosystem, die bei der Evaluation von Werten vieles grundlegend verändern könnte.

Meine Geschichte, als die eines Menschen, der trotz aller Mühen am Ende doch nur ökonomisch verliert, wiederholt sich in der einen oder anderen Art bei Millionen. Alles, vom Rentensystem über das Sozialsystem bis hin zu den Marktregeln, orientiert sich an der Vorstellung, Wohlstand bilde eins zu eins Leistung oder die Relevanz des individuellen Beitrags ab. Basierend auf dieser Grundannahme spricht die Politik sogar von „gerechter“ Verteilung.

Mich interessieren hier aber nicht nur die Extreme zwischen Arm und Reich und deren Konstruktion, sondern besonders die Wirkungen der versteckten Muster, also die Tatsache, dass auch die wohlhabende BankerIn in einem kapitalistischen System das Phänomen der Verarmung erfährt, wenn auch nicht auf monetärer Ebene, und letztlich alle Lebensbereiche kapitalisiert werden. Was bedeuten diese Muster für unsere Gesellschaft? Diese Frage möchte ich auf eine neue Weise stellen.

Die ökonomische Theorie ist durchsetzt von unreflektierten Strukturen reinen Herrschaftsdenkens, die bis heute das ökonomische Handeln des Menschen negativ prägen. Es ist, als habe die Praxis der letzten 200 Jahre für die ökonomische Theorie keinerlei Konsequenzen gehabt. Als hätte man einen abstrakten Bauplan niemals an die Realität angepasst.

Nur weil das Leid bei den unteren Schichten wesentlich größer ist, bedeutet dies nicht, dass es bei diesen Phänomenen und diesen Strukturen nicht um die gesamte Gesellschaft ginge. Die in diesem Buch aufgezeigten Auswirkungen sind erheblich. Begreift man die Armut, begreift man auch, wie ein fortschrittlicheres ökonomisches System entstehen könnte. Es ist ein Irrtum zu denken, man müsse dafür den Erfolg verstehen. Die Armut birgt in sich wesentlich komplexere und aufschlussreichere Hintergründe und Zusammenhänge.

Trotz der sich in jüngerer Zeit häufenden Börsenzusammenbrüche, den Bail-outs und den offensichtlichen Problemen des kapitalistischen Marktes, hält sich die vor Jahrzehnten von privilegierten weißen Männern wie Hayek oder Friedman und anderen (neoliberalen Ökonomen) formulierte Kernvorstellung, der Markt führe mit unsichtbarer Hand zu einer besseren Welt für alle, wenn die Menschen nur hart arbeiten. Millionen ArbeiterInnen widerlegen diesen Mythos mit ihrem Schicksal. Ebenso zeigt die umfassende und unfassbare Zerstörung von Umwelt und Gesellschaft, die sowohl durch Unternehmen als auch PolitikerInnen, die sich nach dieser Theorie ausrichten und legitimieren, vorangetrieben wird, dass etwas mit der ökonomischen Theorie nicht rund läuft.

Die große Frage lautet: Führt der Kapitalismus tatsächlich zu einer besseren Welt? In diesem Buch werden erhebliche Zweifel an dieser scheinbaren Selbstverständlichkeit erforscht und präsentiert, die eine Warnung an all jene sind, die viele Probleme des kapitalistisch geprägten Marktes nicht sehen, gar anerkennen wollen. Nicht weniger als die Zukunft der Menschen und des Planeten steht hier auf dem Spiel.

Es ist in der Vergangenheit sicherlich viel über Ausbeutung und all die anderen Probleme geschrieben worden, aber ich möchte in diesem Buch die Muster des ökonomischen Systems mit der Zielrichtung analysieren, neue Kausalitäten der Entstehung von Wert zu entdecken und in teils sehr provokanten Experimenten aufzeigen, wie ein verändertes ökonomisches Verständnis hilft, viele der großen Probleme wie Überbevölkerung, Ressourcenverbrauch oder soziale Spannungen zu lösen, vor denen der Mensch heute steht.

Ich befasse mich in den folgenden Kapiteln mit Zwangsarbeit, mit den Ursachen der Entstehung von Arbeit und dessen Entlohnung, sowie mit Ideen (Fragen) wie dem Bedingungslosen Grundeinkommen und der vielen darin steckenden Missverständnisse. Ich versuche ein ökonomisches Modell zu entwickeln, welches besser zum Gedanken des Grundeinkommens passt.

Um die Bedeutung der selbstbestimmten Arbeit, die ich später als Antwort auf die Missstände umfangreich beschreibe, richtig verstehen zu können, muss man auch begreifen, welche Rolle der freie Wille in einem Ökosystem spielt. All diese Ebenen will ich betrachten, um ein umfassendes Modell zu entwickeln, in dem sich diese „anderen Faktoren und Kategorien“ abbilden, die heute von der ökonomischen Theorie vernachlässigt werden. Nur in ihrer Sichtbarkeit zeichnen sich dann alternative Muster eines neuen ökonomischen Handelns ab. Dies ist nicht nur ein Modell einer Ökonomie im Sinne der Ökologie, sondern besonders ein Versuch der Reintegration der scheinbar Wertlosen und Entwerteten dieser Gesellschaft.

Ich unternehme diese sehr aufwendige Forschung von zwei Jahrzehnten zunächst als einfacher Mensch, nicht in distanzierter Haltung, sondern indem ich mich selbst in diesen Experimenten als Radical Worker oder als Verarmte, als „einfache ArbeiterIn“ in die Bruchstellen begebe. Das ermöglicht eine andere Sicht, einen anderen Einblick in das Thema.

Das gängige ökonomische System wird, das ist naheliegend, überwiegend von Menschen in privilegierten Positionen unterstützt, die tatsächlich glauben, sie hätten mehr Geld und Sicherheit, weil sie fleißiger, gebildeter oder besser seien als Menschen in Armut. Sie glauben daran, obwohl sie keinen objektiven Beweis für eine solch verallgemeinernde Aussage besitzen. Vielleicht wissen sie es aber auch besser, fürchten jedoch um ihren Status und wagen es somit nicht, von ihrer Meinung abzurücken, da sie auch ihre angestammten Privilegien nicht ernsthaft in Zweifel ziehen, geschweige denn auf sie verzichten wollen.

Obwohl viele Probleme der Ökonomie bereits bekannt sind, kommt es in unserer Gesellschaft dennoch zu keinem adäquaten Handeln oder Umdenken, was aktuell gerade die Umweltbewegungen belastet. Mich interessieren die tieferen Ursachen, weshalb wir in einem ökonomischen System leben, welches für unfassbar viele Menschen schlicht nicht funktioniert, dieses aber trotzdem nicht verändern. Woher kommen die massiven Widerstände? Handelt der Mensch nur, wenn er dafür entlohnt wird? Wäre dies der Fall, gäbe es tatsächlich aus dem Kapitalismus, aus der Erwerbsarbeit kein Entkommen.

Das Minus auf meinem Konto wird, wie gesagt, von Ökonomie und Politik völlig unhinterfragt als meine eigene Schuld angesehen - entsprechend werde ich behandelt und diskriminiert. Die Wahrheit, dass der Markt nicht nur unfaire, sondern brutale und menschenverachtende Wege hervorbringt, um maximalen Gewinn zu erwirtschaften, wird bis heute dem kapitalistischen Wirtschaftsmodell kaum angelastet, gar führt es zu einer Relativierung des Nutzens dieser Gewinne.

Die Schuld hingegen, die man denen anlastet, die in einem derart ungerechten System scheitern, wiegt sehr schwer. Obwohl viele PolitikerInnen, ManagerInnen oder andere Menschen heute aufgrund meiner öffentlichen Arbeit und die vieler anderer wissen, dass diese Schuldzuweisung falsch ist, steht bisher niemand in den Institutionen auf, um mit uns gegen diese Lüge vorzugehen.

Wie wirkt vor diesem Hintergrund die Erfahrung von Armut und Schuld auf das Individuum und die Gesellschaft ein? Ich möchte versuchen, sie jenseits der üblichen Vorurteile um die Schuld des Individuums als strukturelles Problem begreifbarer zu machen.

Nach der Logik der Bundesregierung soll ich aus meiner „(Selbst-)Verschuldung“ heraus Gehorsam zeigen und für noch weniger Geld arbeiten. Sie hält es für vollkommen richtig, dass ich faktisch weniger Rechte und wesentlich mehr Pflichten habe. Denn ich schade aus ihrer Sicht der Gesellschaft.

Nicht nur die Bundesregierung, sondern auch viele Behörden und sogar Gerichte leugnen, wie meine Forschung aufzeigt, bis heute die systemischen Ursachen von Armut und Verschuldung. Sie alle erzählen unverhohlen die Lüge vom freien Markt mit den unbegrenzten Möglichkeiten und der scheinbaren Chancengleichheit. Sie alle setzen das Scheitern im Markt mit einer Wertlosigkeit der Individuen oder ihrer Mühen für die Gesellschaft gleich. Das, obwohl es bis heute keine objektiven Belege dafür gibt, dass Erfolg tatsächlich absoluter Nutzen für alle bedeutet. Vielmehr sitzen sie einem Mythos auf, der besagt, die Erfolgreichen würden im Alleingang die Gesellschaft finanzieren und folglich erhalten.

Tatsächlich definiert die ökonomische Theorie die Armen als schädlich.

Die Armut wird als eine simple Belastung für die Gesellschaft angesehen, weil sie den Reichen und den SteuerzahlerInnen Geld kostet. Beispielsweise durch die Notwendigkeit eines Sozialsystems. Das aber verdeckt, wie dieses System die Armut als Konstruktion benötigt, um überhaupt hohe einseitige Werte psychologisch konstruieren zu können, und vor allem, um sie zu legitimieren. Nur dort, wo Arme mit Verachtung betrachtet werden, wird der Druck zur gerechten Verteilung niemals derart hoch, dass er die großen Besitzstände bedroht.

Nicht nur die Leistung, sondern eben auch die Ausbeutung ermöglicht hohe Gewinne in den oberen Bereichen des ökonomischen Systems. Die Armut ist somit, betrachtet man das Gesamtsystem, nicht eine Belastung für den Wohlstand, sondern ein Mechanismus der ungerechten Wohlstandsverteilung. Die Armut als Belastung der SteuerzahlerInnen darzustellen, was in der Politik gerne getan wird, dient der Ablenkung von den eigentlichen Strukturen. Denn nicht wenige der Wohlhabenden profitieren, darauf will ich noch sehr genau eingehen, von der völlig unhinterfragten Armutskonstruktion.

Welches Prinzip erschafft also in der modernen Ökonomie die hohen Gewinne? Leistung oder Ausbeutung? Das ist eine äußerst wichtige Frage, die nicht wenige Missverständnisse zwischen Mensch und Wirtschaft zutage fördert. Erschreckend ist der Umstand, dass die moderne ökonomische Wissenschaft darauf keine Antwort hat. Hätte sie eine, wäre es das Ende des Kapitalismus, denn wir könnten sehen, wie die Verhältnisse wirklich sind. Wir hätten endlich eine echte Form der Buchführung.

Wie viel Blut klebt an der SteuerzahlerIn? Wie viel Blut klebt am Kapitalismus selbst? Geld ist stets sauber, stets verdient und soll stets ausschließlich auf Leistung und Verdiensten beruhen.

Wie kann es sein, dass ich der Gesellschaft schade, wenn ich für viel zu wenig Geld viel zu viel gearbeitet habe? Wie kann etwas, was hohen ethischen Wert besitzt, gleichzeitig keine Einnahmen ermöglichen, und wie kann es sein, dass Leute mit Dingen reich werden, die zur Zerstörung der Gesellschaft beitragen?

Warum berücksichtigt die ökonomische Theorie diese Widersprüche in der Definition von „Wert“ nicht?

Ist „Wertigkeit“ überhaupt ein monokausales Phänomen? Ist es überhaupt möglich, von einem Wert zu sprechen oder ist Wertigkeit nicht generell nur als pluralistische Phänomenologie existent? Das nämlich würde das Streben nach dem einen Wert, nach dem besten Produkt, als ein widersinniges Bestreben offenbaren.

Warum schreiben wir die ökonomische Theorie nicht angesichts dieser Widersprüche um? Ich will es in diesem Buch versuchen. Natürlich kann mir dies nicht wirklich gelingen, aber ich kann Impulse setzen und die gängige Denkweise destabilisieren.

Welch absurde Spaltung in den Köpfen der Menschen hat dazu geführt, dass die HungerlöhnerInnen, die, schließlich verarmt, nicht selten auch von Sozialhilfe abhängig sind, als Schuldige an ihrer eigenen Armut betrachtet werden, als Belastung für die SteuerzahlerIn, während die AusbeuterInnen ihrerseits laut ökonomischer Theorie mit keinerlei Schuld belastet sind, diese also keine Abbildung findet, und im Gegensatz zu Verarmten gar nicht erst mit moralischen Fragen von Schuld und Verantwortung behelligt oder konfrontiert werden? Die Sozialausgaben werden nicht den Unternehmen als Minus verbucht, welche Massenarbeitslosigkeit und Unterbezahlung verursachen, um Gewinne zu steigern. Ganz im Gegenteil. Die Steuern verwandeln die SteuerzahlerInnen in ehrenwerte GeberInnen, die Forderungen an die Armen und Erwerbslosen stellen dürfen. Darüber hinaus haben sie eine höhere Gestaltungsmacht, was die Mitgestaltung der Gesellschaft und ihrer Strukturen betrifft. Doch diese Legitimität ist äußerst fraglich. Denn es werden im Begriff der SteuerzahlerIn jene demokratisch diskriminiert, die zu wenig Geld verdienen, um überhaupt Steuern zahlen zu können.

Die Ökonomie, die sich wie ein Naturgesetz verkauft, behauptet, die Erfolgreichen hätten alles richtig gemacht, denn sie sind wohlhabend, wurden also belohnt, und wer belohnt wird, ist richtig. Warum nehmen wir dieses „richtig“ derart unreflektiert hin und erlauben dem Erfolg, die Welt „im Alleingang“ zu gestalten? Wie können wir annehmen, der Erfolg könne die ganze Menschheit und das Ökosystem versorgen, wenn die Realität oft das Gegenteil aufzeigt und der Erfolg ein elitäres und ein ausgrenzendes Prinzip darstellt? Der Erfolg ist keine ganzheitliche Perspektive.

Die ökonomische Theorie ist erschreckend simpel gestrickt und viel zu undifferenziert, um als Grundlage für ein vernünftiges ökonomisches Handeln zu dienen. Es werden zu wenige Faktoren darin integriert. Nicht nur die Umwelt wird darin komplett vergessen.

Der Markt bewirkt dadurch eine erhebliche Ignoranz und koppelt diese mit unfassbarer systemischer Gewalt, um die Frage von Schuld und Reichtum um keinen Preis der Welt differenzieren zu müssen. Darin aber steckt der Keim der Lüge, der Verdrängung von Wirklichkeit. Warum aber wollen wir ein ökonomisches System, welches sich der Realität verweigert? Warum sollte ich für dieses arbeiten?

Weder der Kapitalismus noch die Demokratie sind horizontale Systeme, sondern sie werden vertikal erlebt. Das bedeutet, dass zwei Personen in Deutschland leben können, von der die eine Person dieses Land als frei und voller Möglichkeiten erlebt, während die andere die Erfahrung eines Lebens in einer Diktatur macht. Während die oberen Schichten sicherlich im Kapitalismus leben, vegetieren die unteren im heutigen Europa zunehmend in sozialistischer Fremdbestimmung. Kommentiert und gedeutet wird die Gesellschaft aber stets von jenen Schichten, welche die gängige Deutung von Demokratie und Kapitalismus tatsächlich so erleben. Weil der Kapitalismus für sich selbst sorgt. Er befördert nur jene nach oben, die sich bereit erklären, die Perspektive zu verengen und vieles nicht zu sehen, sondern sich stattdessen ausschließlich auf den Pfad des Erfolges zu konzentrieren.

Wir haben also keinen homogenen Kapitalismus, sondern dieser bedeutet an verschiedenen Stellen unterschiedliche Erfahrungen. Dies liegt auch wesentlich daran, dass Ausgewogenheit im Kapitalismus keine relevante Kategorie darstellt. Sondern es geht stets um das Erreichen der Spitze. Die Spitze ist immer das Ziel.

Vielen Armen ist beispielsweise der „Hamsterrad-Effekt“ sehr vertraut. Einerseits wird die Arbeit nach der bewerteten Leistung eingeordnet und andererseits entlang der Entwertung oder Überbewertung der Arbeit, in der eine Leistung stattfindet.

Es existiert also keine objektive Bewertung von Leistung, sondern im Kapitalismus geht man automatisch davon aus, dass im Markt entwertete Arbeit tatsächlich weniger leistet oder weniger Nutzen hat. Sie setzt das Prinzip von Angebot und Nachfrage mit der Entscheidung über Nutzen und Nutzlosigkeit gleich. Wenn also Menschen bereit sind eine Arbeit unbezahlt zu tun, weil sie ihnen viel bedeutet, wird diese Arbeit im Rahmen von Angebot und Nachfrage entwertet, weil es dann ein Überangebot gibt, vorausgesetzt viele Menschen tun das, was sie gerne tun wollen. Gleichzeitig verhindert das Überangebot, dass diese Menschen jemals angemessen für ihre Arbeit honoriert werden. Der Kapitalismus geht irrtümlich davon aus, Menschen würden nur für Geld tätig werden und nur wenn jemand bereit sei, für diese Arbeit sehr viel zu bezahlen, habe diese auch Wert und Relevanz. Das ist eine absurde Annahme, die in unserer Gesellschaft zu erheblichen Problemen führt.

Es wird beispielsweise in der klassischen kapitalistischen Deutung nicht erkannt, dass Strategien wie Fleiß und Leistung zwar für die Privilegierten in gut bezahlten Jobs funktionieren, nicht jedoch zwangsläufig für die ärmeren Schichten, oder gar dort, wo Menschen eine Arbeit tun, weil sie ethisch betrachtet getan werden muss, egal ob sie bezahlt wird oder nicht. Dies trifft die ackernde ArbeiterIn im Niedriglohnsektor, deren Arbeit sich eben nicht zwangsläufig in Aufstieg übersetzt, also in mehr Belohnung, sondern nicht selten in mehr Leistungsdruck; aber auch die UmweltaktivistIn, oder KünstlerIn, die sich selbst ausbeuten muss, um gegen Missstände vorzugehen.

Die Deckelung im Niedriglohnsektor sowie die Entwertung im ganzen Feld intrinsisch motivierter Arbeit liegt in der strukturellen Unterbewertung der Tätigkeiten verborgen, die marktbedingt ist, aber oft nichts über die gesellschaftliche Relevanz und Wichtigkeit aussagt. Das Prinzip von Angebot und Nachfrage ist weder ein Maßstab für gerechte Verteilung noch für tatsächliche Relevanz. Auch bildet sie nicht den freien Willen einer Gesellschaft ab, sondern vielmehr Zwänge, die diskriminierend wirken. Wert wird darin über die Begrenzung von bezahlter Arbeit gesteuert, um eine Relativierung des Wertes der Waren zu verhindern. Wer von Oben bestimmen kann, welchen Wert eine Arbeit hat, schützt damit künstlich den Wert der Waren gegenüber dem Wert des Menschen.

Es setzt sich weder das durch, was tatsächlich das „Beste“ ist, noch ist das, was wir an Gesellschaft haben, das, was alle wollen. Es darf selbst bezweifelt werden, dass es der Wille der Mehrheit ist.

Verengt man das Angebot, wird nicht nur die Ware teurer, sondern auch die Zahl an Arbeitsplätzen wird in der Fläche weniger. Künstliche Verknappung ist somit genauso ein Werkzeug, um Werte zu schaffen wie die Arbeit. Konkurrieren aber Verknappung und Arbeit, verliert am Ende immer die Arbeit, denn sie muss mehr erschaffen, um die ArbeiterIn erhalten zu können. Das Prinzip der Verknappung muss im Zweifel niemanden ernähren.

Daraus entsteht die Möglichkeit, der ArbeiterIn gegenüber Bedingungen zu stellen. Nämlich ihre Arbeit jenen Marktmechanismen zu unterwerfen, die nicht das Ziel haben, an allem oder gar frei zu arbeiten und dadurch noch mehr Reichtum zu schaffen, sondern vielmehr die Arbeitskraft zu steuern, um die Menge an Waren zu kontrollieren. Könnte der Mensch frei und an allem arbeiten, nach individueller oder lokaler Relevanz und konkretem Sinn, würden alle Werte früher oder später homogenisiert.

Irgendwann in der Geschichte der Arbeit wurde diese nicht mehr nur ein Mittel, um etwas zu erarbeiten, sondern es entstand ein Formalismus, um die freie Schaffung von Werten zu verhindern. Darum beinhaltet jede Form der Lohn- und Erwerbsarbeit in sich einen verborgenen Deckel, der dessen Wert, also das, was für die ArbeiterIn mit Arbeit an Wert geschaffen werden kann, begrenzt und gleichzeitig diese Arbeit für die ArbeitgeberIn zu einer Handelsware macht. Denn erst indem die Arbeit selbst Handelsware wird, kann sie genauso wie die Waren durch Begrenzung des Angebots im Wert gesteuert werden. In dieser Deckelung steckt der Faktor der Ausbeutung, also die Entkoppelung realer Leistung von marktbedingter Leistungsbewertung. Verborgen hinter dem unschuldig und scheinbar neutral klingenden Prinzip von Angebot und Nachfrage.

Dadurch entsteht, was ich die Wertgrenze nenne.

Hier trennt sich individueller und gesellschaftlicher oder ökologischer Wert von systemischem Wert für den Markt. Diese Wertgrenze ist wie eine Linie, welche in ihrer Überschreitung für die ArbeiterIn den Eintritt in die drei Stufen der Ausbeutung bedeutet.

Unbezahlte Leistung

Strukturelle Benachteiligung und Entwertung

Allgemeiner Raubbau an den Lebensressourcen

Die Wertgrenze ist eine Mauer, die daraus resultiert, dass die zur Ware gewordene Arbeit nun anderen Kriterien folgt als dem umfassenderen oder tieferen Sinn, der konkreten und lokalen Relevanz. Die Arbeit wird weltweit verkauft und im Arbeitsmarkt wird das Angebot an Arbeit begrenzt. Nicht aber, wie gesagt, um die ArbeiterIn aufzuwerten, sondern um die Waren vor alternativer Arbeit und alternativem Wert zu schützen.

Im Westen werden die letzten zwei Stufen der Ausbeutung häufig nicht erkannt. Der erarbeitete Wohlstand ist stets durch mehr oder weniger „gerecht bezahlte“ Leistung erwirtschaftet. Nicht durch die Verhinderung von alternativen Relevanzen, Themen, Realitäten oder Bedürfnissen. Tatsächlich trägt die strukturelle Benachteiligung der Ausgegrenzten, die in der einseitigen Bewertung von nützlicher Arbeit begründet liegt, durch die unterschiedlichen Wertgrenzen erheblich dazu bei, einseitige Gewinne zu fördern. Und es wird auch die Ausbeutung der Natur und weiterer natürlicher Systemstrukturen nicht berücksichtigt. Wie ich später noch aufzeigen will, liegt dieses Missverhältnis zwischen Leistung und Ausbeutung vermutlich, obwohl es schwer zu messen ist, bei einem Verhältnis von 1:9.

Es ist darum schwer zu messen, weil wir strukturell, folgen wir weiterhin der Logik des gnadenlosen Gewinnstrebens, schließlich bei diesem Verhältnis landen müssen. Aber es wird uns im Realitätserleben zu keinem Zeitpunkt derart extrem vorkommen. Man stelle sich vor, die Natur hätte im Ursprung die 10 fache Diversität, im Unterschied zu heute. Diese extreme Differenz wäre heute nicht erlebbar, denn was nicht da ist, das fehlt einem scheinbar auch nicht. Dennoch bedeutet es für die Funktionalität eines Ökosystems einen erheblichen Unterschied, hat man diese Diversität nicht mehr zur Verfügung. Ähnlich verhält es sich, wie ich aufzeigen will, mit unserem ökonomischen System. Wir merken den Faktor Ausbeutung überwiegend nicht und können nicht erkennen, dass unsere Ökonomie eine vergleichbar schwache Lebensgrundlage darstellt. Ob wir schon am Ende des Verlustes angelangt sind, kann niemand genau sagen, aber die Anzeichen werden erkennbar, die eine solche Betrachtung der Verhältnisse bestätigen.

Das erscheint zunächst für viele unglaublich, ist aber naheliegend, wenn man die Fakten berücksichtigt, auf die ich noch zu sprechen komme.

Die Erwerbsarbeit ist derart aufgebaut, dass Leistung viel stärker gewichtet wird als Privilegierung oder die Auswirkung von versteckten Wertgrenzen, und folglich von Diskriminierungen im Markt. Auch die Diskriminierung trägt im Kapitalismus zur Wertschöpfung bei, verursacht aber erhebliche Probleme innerhalb der Gesellschaft und des Ökosystems.

Die Wertgrenze ist eine unsichtbare Macht, die im Hintergrund unfassbar viel an wertvollem Tun des Menschen verhindert oder bestraft. Arbeit, die folglich nicht finanziert werden kann, somit nicht relevant erscheint.

Das vorherige Bild zeigt, wie die ArbeiterIn an der Wertgrenze zerschellt. Bis zu dieser Grenze wird ihre Leistung noch gesehen und honoriert, steht also in einem offenen Bezug zu Relevanz und Wert. Dahinter wird diese von anderen Marktfaktoren entwertet oder geschluckt. Die ArbeiterIn verdient ab dieser Linie zunehmend weniger an ihrer Arbeit, während diese im Wert, nun gedeckelt und fremdbestimmt, für andere zur Handelsware wird, um kostengünstige Produktion umzusetzen. Sie ist kostengünstig, weil der authentische Wert der Arbeit über den Job begrenzt wird und der Job wird entlang sichtbarer und unsichtbarer Wertgrenzen bewertet.

Wie ich belegen will, beruht die Entwertung sehr vieler Menschen im Markt auf einem simplen Spaltungsmechanismus, der als Tool dazu dient, gerechten Lohn und demokratische Beteiligung systematisch zu verhindern. Weil nur das hohe Gewinne ermöglicht.

Das meine ich nicht als Verschwörung, sondern diese Muster wirken in uns allen. Es ist eine bestimmte Denkweise, ein Denkfehler im Verständnis der Entstehung von Werten und deren Pflege. Wir reduzieren die Kontexte zu sehr, mit dem Ziel, den einen Wert zu erreichen. Wenn aber nur das Eine wichtig ist, erzeugt das automatisch in der Kapitalisierung aller Lebensbereiche überall eine Wertgrenze, die besagt, dass ab hier nur noch entlang einer Referenz Wert entsteht und alle anderen Leistungen ab hier schlicht keinerlei Bedeutung haben. Sie dürfen keine Bedeutung haben, denn ansonsten könnte die Ausbeutung nicht funktionieren. Die Ausbeutung basiert auf der Verleugnung des tatsächlichen Wertes eines Menschen, wodurch dieser im Alltag erpressbar wird. Der Mensch wird aus dem lebendigen Handeln in einem komplexen Ökosystem entkoppelt und soll folglich nur noch in eine Richtung funktionieren.

Die Wertgrenze entsteht aus dem Umstand, dass alle Arbeit in dem Versuch, durch Verknappung des Angebots und folglich einseitig gelenkte Nachfrage den Markt zu manipulieren, schließlich nur mit jener Referenz bewertet wird, welche die Aussage trifft, es sei nur von Wert, was beispielsweise Geld bringt. Das schafft eine oft unbewusste Barriere, die alternative Wertigkeiten im Keim erstickt. Die Wertgrenze zeigt sich aber nicht nur als Investitionsbeschränkung oder als Konstruktion, um Billiglohnkräfte erpressen zu können, sondern überträgt sich auch auf andere Bereiche der Gesellschaft, die scheinbar auf den ersten Blick nichts mit Ökonomie zu tun haben. Die Wertgrenze führt zwangsläufig zur Ökonomisierung der Gesamtgesellschaft. Weil sie selbst auf das Nicht-Ökonomische übergreift. Sie muss dafür gar nicht beweisen, dass sie mehr Wert hat als beispielsweise Kultur oder Liebe, sondern es genügt, sich selbst schlicht grenzenlos zu überhöhen und dabei die Existenz des anderen zu negieren. Hier wird Wert zu einer Frage von Macht, und totale Macht basiert auf der Fähigkeit zur Entwertung des Gegenübers, unter Aushebelung des dialektischen Verhältnisses. Die reichsten Menschen des Planeten müssen ihren Wert nicht gegenüber den Ärmsten öffentlich belegen, was sie nicht könnten, sondern es geht vielmehr darum, die Beziehung möglichst abzubrechen. Abschottung und radikale Dominanz sind die Mittel, mit denen im Kapitalismus Wohlstand geschaffen und erhalten wird. Angesichts der Ausschließung anderer Wertbezüge bleibt dann allen anderen Bereichen nur noch, sich mit dem ökonomischen Wert zu vergleichen, um dann etwas vom vermeintlichen Reichtum abzubekommen.

Alles muss dann ökonomisch gedacht, gar rentabel sein, oder wird marginalisiert und entwertet. Die Ökonomie ist längst ein Verengungs- und Reduktionsmonster geworden, kann darin aber hohe Werte konstruieren, mit denen sie es Machtstrukturen ermöglicht, dem Menschen schrittweise die Existenzgrundlage zu entziehen.

Entscheidend ist die Feststellung, dass die Wertgrenze folglich für alle diese Bereiche und Menschen eine unsichtbare Diskriminierung bedeutet, nach der humaner Beitrag und Leistung jenseits der tatsächlichen Leistungen künstlich entwertet werden. Das Ausmaß dieser Benachteiligung ist zwar gewaltig, kommt aber in kaum einer ökonomischen Rechnung vor. Im Kapitalismus wird die Wertgrenze komplett verschwiegen. Es wird schlicht davon ausgegangen, jene, die im Wettbewerb ausgesiebt wurden, seien zu Recht verdrängt worden, denn sie hätten keinerlei wertvollen Nutzen. Ihre Arbeit, ihr Beitrag sei keine Leistung.

Eine abstruse Verkürzung der Realitäten.

Beispielsweise hat die Globalisierung viele lokal orientierte Branchen vernichtet, die abgesehen von ihrem Marktwert auch wichtige andere Werte für die Gemeinschaft hatten.

Das engagierte Verhalten, das vielleicht einzelne Individuen nach oben bringt, führt beispielsweise im Niedriglohnbereich oder dort, wo strukturelle Benachteiligung greift, für die nachfolgenden häufig wegen der Wertgrenze in eine Abwärtsspirale, denn die Person, die es aus der Armut heraus schafft, beendet dort nicht die Armut selbst, trägt gar dazu bei, sondern die Arbeit, der sie vielleicht entkommen ist, bleibt entwertet. Denn sie hat als Ausbeutungsformat eine Funktion. Hier findet man eine wichtige Erklärung für das Auseinanderdriften von Arm und Reich. Es sind die strukturellen Formen der Benachteiligung, die unsichtbar zur Vergrößerung der Spaltung, folglich zu immer höheren Gewinnen auf der einen Seite und scheinbar unerklärlicher Verarmung auf der anderen, führen.

Während alle Welt auf die Frage blickt, weshalb die einen so viel mehr verdienen als die anderen, schaut kaum jemand auf den Umstand, dass dies nicht durch die höhere Leistung der Reichen entstanden ist, sondern ausschließlich durch die Verstärkung der Spaltungsmechanismen, die mit der zunehmenden Einseitigkeit der Bewertung von Leistung einhergehen.

Die Wertgrenze bewirkt, dass die ungleiche Bezahlung vergleichbarer Leistung auf der einen Seite der Mauer zur Narration einer Erfolgsgeschichte wird, während sie auf der anderen Seite als die Story der VerliererInnen entsteht, denn die Vergleichbarkeit ist durch die Wertgrenze aufgehoben. Die Wertgrenze weist ohne objektive Grundlage der einen Leistung hohen Wert zu, während sie die andere entwertet. Der Leistungsunterschied ist real nicht gegeben. Sie entsteht fast ausschließlich durch Aufspaltung der Bewertungskriterien.

DIE WERTGRENZE ERMÖGLICHT DIE AUSBEUTUNG. ALSO DAS PRINZIP DER UNHINTERFRAGTEN BEWERTUNG ENTLANG EINER EINZELNEN REFERENZ, DIE VON DENEN FESTGELEGT WIRD, DIE DEFINIEREN, WAS ERFOLG IST, WAS FOLGLICH VON OBEN BELOHNT WIRD UND WAS NICHT. DAS PRINZIP DER GEWINNMAXIMIERUNG IST NICHT LEISTUNG, SONDERN SPALTUNG.

Mit Abspaltung der Frau als weniger wertvolle Arbeitskraft wurde beispielsweise auf Seiten der Männer bereits vor dem Stattfinden von individueller Leistung höherer Wert konstruiert. Diese Wertgrenze, wie viele andere, die angewendet werden, ermöglicht es bis heute, einen großen Anteil der ökonomischen Gewinn- und Machtverhältnisse auf die Leistungen von Männern zu übertragen und sie folglich im Trickle-Down zu bevorzugen. Sie bekommen mehr Geld für weniger Arbeit.

Ohne die Unterdrückung der Frau wäre der Kapitalismus niemals diese zweifelhafte „Erfolgsgeschichte“ geworden. Wer muss noch Leistungen vollbringen, wenn man einfach die Hälfte der Bevölkerung im Vorfeld zu minderwertigen ArbeiterInnen herabwürdigen kann? Auf diese Weise wurde die Erwerbsarbeit, die zunächst allein eine Arbeit der Männer war, auch zu einer Ausgrenzungsmethode gegenüber anderen Formen des Beitrags.

Die jeweiligen Arbeitsmilieus, die breite Gesellschaftsschichten abbilden, steigen selbst wegen der Wertgrenze nicht auf. An der Wertgrenze entkoppelt sich der Wert von der Arbeit und wird durch mehr Leistungsdruck ersetzt. Denn wer immer weniger wert ist, muss immer mehr leisten. Die Mehrleistung richtet sich dann sogar gegen die ArbeiterIn. Sie erarbeitet sich ihren eigenen Käfig. Denn innerhalb der Wertgrenze gibt es kein Entkommen, keinen realen Aufstieg.

Darum sah man in den letzten Jahrzehnten ein seltsames Phänomen. Während bei den oberen Schichten die Gewinne explodierten, explodierte bei der Mittelschicht und den unteren Schichten der Leistungsdruck. Diese Teile der Gesellschaft blieben in ihrer Entwicklung praktisch stehen, sprich, erlebten eine unfassbare Ungerechtigkeit in der Umverteilung und in der Bewertung von Arbeit, welche später, auf den politischen Frust übertragen, vermutlich auch zum Zuwachs der Rechten in ganz Europa führte.

Das Individuum, welches in einer Arbeiterfamilie geboren wird, bleibt oft ein Leben lang strukturell diskriminiert. Das auch im modernen Deutschland.

Wir haben durch die Wertgrenze ein Problem mit der Durchlässigkeit von Arbeit und Leistung. Diese Konflikte sind nicht einfach so entstanden, sondern liegen in der ökonomischen Theorie begründet. Es ist an der Zeit, Arbeitsformen strikt zu unterscheiden, die auf Ausbeutung beruhen oder auf authentisch wahrgenommener und honorierter Leistung. Dafür aber müssen wir erst einmal verstehen, was Arbeit in einem von der Wertbegrenzung befreiten Sinne eigentlich ist, also wie sie für ein Ökosystem und eine Gesellschaft funktioniert. Wie funktioniert eine Ökonomie, in der das Angebot nicht künstlich begrenzt wird, um den Wert der Waren zu schützen, sondern in der höhere Diversität und folglich homogenere Werteverteilung herrschen? Diese Prinzipien will ich in den folgenden Kapiteln vertiefen, denn es geht um das verschüttete Know-how einer Ökonomie ohne Ausbeutung, in der also die Arbeit selbst keine Ware ist, sondern eine individuelle Beziehung zwischen dem Individuum und der Welt, ein Akt der Beteiligung, des sich Einbringens entlang der eigentlichen Ressourcen, Talente und Fähigkeiten, die weit mehr sind als das, was wir heute unter Berufsausbildung verstehen.

DAS GANZE GERÜST DER LEISTUNGSBEWERTUNG STIMMT NICHT, SONDERN HAT SICH LÄNGST ALS ARBEITSHEMMNIS ENTWICKELT, UM BESTIMMTE GRUPPEN UND BESTIMMTE FORMEN DER ARBEIT KLEINZUHALTEN.

Wegen der Wertgrenze führt also nicht jede Erwerbsarbeit zum Aufbau der Gesellschaft, sondern es gibt Jobs, die innerhalb einer Parallelökonomie stattfinden, die vom Prinzip des „gemeinsamen Aufbaus“ und des „gemeinsamen Profitierens“ ausgeschlossen sind, in denen somit Gesellschaft und Gemeinwohl auf vielfältige Weise abgebaut wird. Dabei werden nicht nur Schichten abgespalten, sondern eben auch ganze Bereiche, Themen, Konfliktherde, Wissenschaftsbereiche, Kulturen oder Ökosysteme.

Die strukturell entwerteten Felder in dem viel zu groben Raster der Betrachtung von wertvoller Arbeit oder wertvoller Wirtschaft dienen in ihrer Marginalisierbarkeit der scheinbar unbegrenzten Möglichkeit, Leistungsdruck immer mehr zu erhöhen und von Wertschätzung realer Leistung zu entkoppeln. Über die Zunahme an Ausbeutung werden dann hohe Gewinne an der Spitze gestärkt, die aber gleichzeitig bei den Entwerteten nicht korrelierend nach unten weitergegeben werden, sondern in Abstufungen unterschiedlicher Wertgrenzen. Es kam also zu einer strukturellen Entkoppelung von Leistung gegenüber Gewinn. Das betrifft nicht nur die Börsen, sondern genau dazu dient auch die Erwerbsarbeit.

Das Unrecht der Verteilung findet dessen Wurzel dort, wo Leistung oder Beitrag nicht mehr zählen, sondern stattdessen eine bestimmte Kaste oder ein bestimmtes Label als Wohlstandsbremse gegen das Individuum oder gegen ein Themenfeld, ein Relevanzfeld, benutzt werden kann. Denn der Markt ist im Kapitalismus ein überwiegend auf Begrenzung der Verteilung beruhender Markt und nicht, wie ich noch aufzeigen will, ein Markt, der ausschließlich auf realer Leistung beruht, oder tatsächlich daran interessiert wäre, Wohlstand gerechter im Sinne von homogener aufzustellen. Trickle-Down funktioniert in einer Welt nicht, in der Privilegierung am Ende über Wohlstand entscheidet.

Unter Leistung verstehe ich viel mehr Wirkung. Jede Arbeit hat Wirkung, aber nicht jede Wirkung wird heute als Leistung betrachtet. Leistung als Begriff ist häufig die Deutung von Wirkung entlang privilegierter Voreingenommenheit.

Der Gerechtigkeitsbegriff schließt heute das Homogene und Pluralistische aus und sieht dessen Erfüllung fast ausschließlich im Hervorbringen von SiegerInnen. Man darf aber nicht vergessen, dass die ungleiche Verteilung eben nicht nur den Wohlstand betrifft, sondern auch die Werte, und folglich die Relevanzverteilung.

Letzteres entscheidet über den Filter, durch den wir die Welt betrachten. Wie ist dieser eingefärbt, und wenn er eingefärbt ist, wie einseitig ist dann die durch Arbeit entstehende Wertigkeit oder Realität?

Die Bemessung von Leistung erfolgt also entlang verzerrter Kriterien. Die Arbeitsform des Menschen bestimmt somit darüber, wie dieser die Welt und die Wirklichkeit bewertet und nach Relevanz einteilt. Darum ist die Arbeit viel mehr als nur ein Job. Sie ist die Brille, mit der ein Mensch gestaltet. Wie anders würden Probleme gelöst, trügen wir dabei eine andere Brille, Perspektive oder Sichtweise, würde alle Arbeit angemessen honoriert? Denn zu den Lösungen beitragen dürfen ja auch nur jene, deren Arbeit traditionell höher gestellt ist.

Dieses Problem lässt sich aber nicht durch objektivere Kriterien der Arbeit lösen, sondern, wie ich noch aufzeigen will, nur durch die Integration von umfassenderen Formen und Strukturen der Wertschätzung, der Integration von Wert, als das Leistungsmodell es zu leisten vermag.

Einen negativen Mechanismus, wie die Entkoppelung von Leistung und Wert als dominante Struktur, die sich durch fast alle Wirtschaftsbereiche zieht, kennen die oberen Berufszweige weniger bzw. nicht in einem annähernd vergleichbaren Maßstab. Dieser ist besonders mit dem Konzept der Erwerbsarbeit verbunden, also der abhängigen Beschäftigung. Ein Wirtschaftsberater, der es nach oben schafft, wertet den ganzen Berufszweig auf, denn diese freien Berufe sind nicht oder weniger nach oben gedeckelt. Hier belebt Konkurrenz tatsächlich das Geschäft. Im Topmanagement ist dieser Effekt noch extremer. Die Boni nehmen beispielsweise immer weiter zu, und wenn ein anderer mehr bekommt, nimmt man sich selbst auch ein wenig mehr vom Kuchen. Eine Angestellte kann das nicht.

Nur dort, wo Arbeit auf Augenhöhe stattfindet, ist überhaupt eine authentische Bewertung von Relevanz und Beitrag möglich. Dies hat darum große Konsequenzen für die Forderung nach selbstbestimmter Arbeit.

Man muss begreifen, dass diese Dinge essenziell sind, will man eine Ökonomie, welche entlang von echter Relevanz arbeitet, statt zu einem großen Teil sich in strukturellen Ritualen der Begrenzung und Verhinderung zu bewegen.

Denn mit Erhöhung der Differenz zwischen Arm und Reich, mit dessen Verhärtung in Prozessen der nicht authentisch bewerteten Leistung und Wirkung, wird es zwar für die Reichen immer einfacher, höheren Wert ohne Leistung und unter fatalen Auswirkungen zu konstruieren, aber es kommt eben auch zu einer Entfremdung der Gesamtökonomie von wichtigen Arbeitsfeldern und Problemstellungen. Eine solche Ökonomie muss eine schwächere Ökonomie sein als jene, die es schafft, näher am authentisch erlebten Wert zu arbeiten. Denn es geht doch darum, die „Realität“ zu er- und bearbeiten und nicht darum, einen Fake als Konstruktion zu erschaffen. Wir haben aber in der modernen Ökonomie einen sehr hohen Fake-Anteil. Dass ein Donald Trump wertvoller sein soll als viele andere Menschen, mehr leistet, mehr verdient, kann nur Fake sein. Dasselbe gilt für Konzerne, deren Macht und Einfluss in keinerlei realem Legitimitätsverhältnis steht.

Ausbeutung heißt eben nicht nur „ungerechte Entlohnung“, sondern auch eine verzerrte Bewertung der Wirklichkeit. Den Ausgebeuteten wird die reale Feedbackschleife genommen. Sie arbeiten gewissermaßen in einem verrückten Universum, in dem auf angebrachtes Verhalten stets unangebrachte Reaktionen (Entlohnung) folgen. Ich leiste immer mehr und bekomme immer weniger Geld. Ich folge dem Gewissen und werde dafür bestraft. Ich kümmere mich um Dinge jenseits des Jobs und werde dafür nicht bezahlt. Am Ende geben die meisten Menschen auf. Das kapitalistische System bietet keine gesunde ökonomische Grundlage.

Ausbeutung ist folglich nicht etwas, was über noch mehr begrenzende Regeln des Arbeitsmarktes zu lösen ist, sondern ausschließlich durch eine Schärfung der Wahrnehmung von Beiträgen und einem differenzierteren Modell der Integration von Werten.

Die Reichen werden darum selbst immer weniger mit der vielfältigeren Realität und den tieferen Sinnbezügen konfrontiert. Auch ihre Feedbackschleife ist verzerrt, denn ihre Werte sind oft vom tieferen oder umfassenderen Sinn entkoppelt. Auch darum ist das Leadership unserer Gesellschaft derart von der Lebensrealität der „einfachen Menschen“ entfremdet. Es beginnt schon damit, dass sie in ihren Jobs ohne jede objektive Grundlage höher bewertet werden. Sie leben also bereits durch ihre höhere Entlohnung in einer verzerrten Scheinwertigkeit.

Wir sollten also verstehen, dass das ökonomische System, durch die versteckte Wertgrenze als Übergang zur Ausbeutung, die Gesellschaft ständig sabotiert, sich mit dem Wesentlichen möglichst nicht zu befassen, denn wer am Wesentlichen arbeitet, der hat einen höheren Wert, und der Markt will entwertete ArbeiterInnen, denn nur diese können und wollen die Unternehmen bezahlen. Auch darum die Bullshitjobs, um es mit David Graeber zu sagen. Nur mit ihnen kann man hohe Gewinne erzielen. Nur derartige ArbeiterInnen ermöglichen Wertsteigerung, auf dem Rücken der Ärmsten.

Mir geht es nun darum, über die Erforschung selbstbestimmter Arbeit eine ökonomische Grundlage zu erarbeiten, die es erlaubt, die Arbeit an die „echte Relevanz“, an den echten Sinn zu koppeln, statt an die Gewinn- oder Erfolgsabsicht, die nur immerzu neue Wertgrenzen schafft. Als Referenz muss hier das Lokale, das Individuelle gelten, welches dann in der höheren Diversität zum größeren Ganzen wird. Denn nur dadurch kann die Arbeit im Sinne des vielfältigen Ganzen Wirkung und somit breiteren Nutzen entfalten. Vorausgesetzt, man begreift Wirkung jenseits von Machtpower, also von Dominanz, als viel intelligenteres Prinzip der Zusammenarbeit auf Augenhöhe. Auch erfordern die großen Probleme unserer Welt, wie Klimawandel oder soziale Krisen, eine andere Arbeitsweise des Menschen sowie eine Finanzierbarkeit sinnvoller und wirklich relevanter Arbeit, was paradoxerweise ausgeschlossen ist, wenn Arbeit allein am Erfolg und am Gewinn bemessen wird. Dies gilt es nun tiefer zu verstehen.

Ich gehe zu Beginn sehr viel auf die Muster dieser Ökonomie ein, weil sie essenziell sind, um zu begreifen, warum das Format „Arbeit“ heute nicht mehr das ist, was es zu sein behauptet.

Es geht mir um Fragen, die von ÖkonomInnen heute nicht gestellt werden. Tatsächlich wird in diesen Fragen die größte Schwäche des Kapitalismus sichtbar. Er ist nicht in der Lage, Arbeit nach „authentischer“ oder ganzheitlicher Relevanz auszurichten. Relevanz und Gewinn, wie Relevanz und Erfolg, klaffen extrem auseinander. Er verteilt außerdem Schuld entlang von reduzierten mathematischen Formeln und zerstört damit Menschen und unendlich viele Ressourcen.

Auch darum ist unsere Welt in einem derart schrecklichen Zustand. Wir arbeiten falsch und wir bewerten Arbeit falsch.

Sicherlich nicht immer, aber diese fatalen Strukturen stecken in der ökonomischen Theorie und Praxis als häufig vollkommen unerkannte Muster.

ERWERBSARBEIT HEIßT ALSO NICHT AUTOMATISCH DIE SCHAFFUNG VON WERT. IM UMKEHRSCHLUSS KANN ERWERBSLOSIGKEIT AUCH NICHT DAS FEHLEN VON NUTZEN BEDEUTEN.

Wie viel jemand heute im Job verdient, wird überwiegend nicht von der Leistung bestimmt, sondern von der Wertgrenze. Die Wertgrenze wiederum verhindert gleichmäßige Verteilung und somit ganzheitlich erfahrbare Relevanzen. Sie verhindert den eigentlichen Reichtum, sowie eine Menschheit die sich den wirklichen Problemen aktiv stellt.

Jemand, der mit Spielautomaten Geld verdient, die menschliche Existenzen zerstören, verdient heute wesentlich mehr als eine MenschenrechtsaktivistIn. Der Beruf der MenschenrechtsaktivistIn ist im kapitalistischen Markt schlicht nicht finanzierbar. Wir sollten uns als Gesellschaft die Frage stellen, von welcher Arbeit das Überleben der Menschheit wirklich abhängt. Und dann gilt es Konsequenzen zu ziehen.

Warum ist ein solcher Missbrauch der Arbeit möglich? Weil die Arbeit überwiegend nicht selbstbestimmt stattfindet, sondern fremdbestimmt. Nur darum wird sie zum Spielball äußerer Faktoren wie der Wertgrenze, während sie in sich einen viel stabileren Bezug zu Wert und Relevanz haben sollte, denn Arbeit ist immer auch Lebenszeit. Sie ist keine Ressource, die man verschwenden will. Sie sollte nicht in Koppelung mit dem Erfolg des jeweiligen Unternehmens oder Marktes belohnt werden, sondern an sich bereits Wert haben. Darum ist ein „Grundwert“ der Arbeit, unabhängig vom Markt, derart wichtig. Damit meine ich eine Grundhonorierung, die den grundsätzlichen Wert eines Menschen für die Gemeinschaft spiegelt, noch bevor Erwerbsarbeit oder andere Formen einseitiger Bewertung von Existenz und Arbeit greifen. Existiert dieser nicht, entwertet der Markt Menschen auf eine Weise, die sie weit unterhalb ihrer Würde, ihres Existenzrechtes drängt, somit Wert und Ressourcen von Individuen massiv abbaut, mit erheblichen negativen Folgen für Gesellschaft und Ökosystem. Denn mit diesem Mechanismus lässt sich sehr viel Geld verdienen.

Mit der Grundhonorierung wird nicht nur die Einzelwirkung eines Menschen, die Bedeutung des Lebens für sich besser geschützt, sondern es wird auch eine Entwertung künstlich unterbewerteter Beiträge und somit von Ressourcen, die für das Leben wichtig sind, verhindert. Der Grundwert blockiert einen Großteil der Wirkungen der künstlichen Wertgrenze.

Auch ist dies der erste Schritt hin zu einer neuen ökonomischen Theorie und Praxis, die sich die Frage stellt, welche Arbeitsform tatsächlich umfassende Wertschöpfung unterstützt. Denn die Wertgrenzen verhindern Arbeit. Sie machen Arbeit zu einer Voraussetzung für das Leben einzelner Individuen, statt das Leben zum Thema der Arbeit zu machen. Das ist ein wesentlicher Unterschied. Arbeit sollte nicht etwas sein, wofür man zuerst jemand anderen fragen muss, ob man sie tun darf.

Was kann die ArbeiterIn dafür, dass sie in einer sterbenden Branche arbeiten muss oder als Folge von Globalisierung oder überhitzten Börsen ihre Kinder nicht ernähren kann? Man kann nicht mehr Leistung fordern, wo Leistung die Zustände gar nicht zu verändern vermag, weil Machtstrukturen und strukturelle Privilegien den Markt prägen.

Das ist der wesentliche Grund, weshalb die ArbeiterIn sich in Krisenzeiten, wie wir sie heute haben, in denen die Märkte durch große Problemfelder gehen, unweigerlich vom Markt und dessen Zwängen befreien muss. Denn diese kaputten Märkte sind nicht real. Sie haben keine reale Substanz, sondern sind das Ergebnis von Verdrängungswettbewerben, sind aber eben nicht das Abbild einer realen Ressourcenknappheit oder einem realen Verschwinden der Arbeit. Also einem Verlust an zu gestaltender Realität. Die Arbeit ist real noch da. Sie ist nur strukturell derart im Markt entwertet, dass sie im Wettbewerb nicht mehr finanziert werden kann. Das ist logisch, denn der Wettbewerb soll Wohlstand zentralisieren und nicht in der Fläche bereitstellen. Also muss eben auch die wertvolle Arbeit begrenzt werden.

Es ist eine Illusion zu glauben, der ökonomische Erfolg nach kapitalistischen Prinzipien habe heute noch die Legitimität zu dominieren. Die wichtige Arbeit passiert längst an ganz anderer Stelle. Manche Leute mögen Milliarden „verdienen“, aber die großen Menschheitsprobleme lösen sie damit nicht. Diese werden künftig von Leuten gelöst, die Arbeit bedingungslos nach Sinnhaftigkeit ausrichten, nach Gewissen und der Bereitschaft, mit der Welt in umfassende Beziehung zu gehen.

Die ArbeiterIn sollte sich also emanzipieren. Erstens, um ihren realen Wert durchzusetzen, der ihr sonst beispielsweise von fallenden Börsenkursen genommen wird, und zweitens, um das Ruder der Ökonomie selbst wieder zu übernehmen.

Der Trickle-Down-Effekt könnte nur dann funktionieren, wenn Wert gleichwertig oder homogen übersetzt und übertragen würde. Wäre also beispielsweise auch das Scheitern ein Wert, sprich, die legitimierte Voraussetzung für Erfolg. Es gibt keinen Erfolg ohne Prozesse des Scheiterns. Warum aber wird das Scheitern dann strukturell bestraft?

Das Scheitern wird nur dort bestraft, wo eine Wertschöpfung in erster Linie dazu dient andere davon auszuschließen. Wenn es um die potenzielle Erhöhung der Wertschöpfung geht, macht es keinen Sinn das Scheitern zu bestrafen, denn das zerstört nur die Mutigen, die Kreativen, die vielfältigen neuen Ansätze.

Der größte Gewinn und strukturell einflussreichste Schachzug liegt heute darum in der radikalen Selbstaufwertung einer jeden ArbeiterIn. Sie sollte die Wertgrenze selbst ablehnen, also jene Konstruktion, die ihre Arbeit bereits im Vorfeld begrenzt und abwertet. Nur auf diese Weise kann sie ihr Potenzial befreien.

Man kann das „Richtige“ nicht aus einem Job heraus tun, in dem man nur nach der Prämisse handelt, die auch bezahlt wird.

Es gilt Wege zu finden, den Arbeitsmarkt auszuhebeln und die Verbindung zwischen Arbeit und Wert direkt herzustellen. Darauf möchte ich in den kommenden Kapiteln sehr genau eingehen.

Radikale Selbstaufwertung und, wenn nötig, auch Arbeitsverweigerung müssen die Mittel der Menschen im Niedriglohnsektor, der Working Poor und der wenig Privilegierten sein. Nur so bekommen auch die unteren Schichten auf Dauer ihren Wert anerkannt und nur dann wird nicht mehr einseitig gearbeitet, sondern an der Gestaltung der ganzen Welt, durch alle Menschen, Perspektiven und Kulturen. Das Modell der abhängigen Beschäftigung führt weder zu einer gerechten, leistungsbezogenen Verteilung von Wohlstand noch bedeutet es eine echte Teilhabe und Teilnahme am Aufbau und Erhalt der Gesellschaft.

Ich gehe noch einen Schritt weiter. Natürlich ist es schwer, die Arbeit zu verweigern, wenn man davon abhängig ist. Was aber wäre, würde die ArbeiterIn sich die Arbeitsbewertung wieder selbst aneignen und fortan nur noch selbstbestimmt arbeiten? Denn im Selbstbestimmten wird die Wertgrenze aufgehoben. Die Erwerbsarbeit kann ohne die Wertgrenze nicht weiter existieren. Die Wertgrenze aber ist für sich, das ist wichtig zu begreifen, kein Mittel der Schaffung von umfassendem Wohlstand, sondern der Begrenzung von Entwicklungsalternativen. Die meisten Widerstände gegenüber selbstbestimmter Arbeit liegen in der Verwechslung von Wert und Lohn mit Relevanz, Gemeinwohlnutzen und Sinn. Wer sich von der Erwerbsarbeit entfernt, um selbstbestimmt zu arbeiten, steht oft unter Verdacht die zentralen Werte der Gesellschaft zu gefährden. Es sind aber eben die zentralisierten Werte und keineswegs jene Werte die umfassenden Reichtum oder Gerechtigkeit ausmachen.

Es gibt eine große Frage, die in diesem Buch gestellt wird. Wie lange kann eine Gesellschaft den Wert selbstbestimmter Arbeit ignorieren, wenn immer mehr Menschen, wie ich, aus den Jobs oder der Erwerbslosigkeit heraus aufstehen und sich der künstlichen Entwertung verweigern, sich selbst Wert verleihen, indem sie die Stellschrauben „Wert der Arbeit“ und „Leistung“ hinterfragen und diese nicht jenen überlassen, die sie mit diesem Hebel in Armut und Passivität gefangen halten? Denn das Modell der Erwerbsarbeit soll selbstbestimmte Arbeit verhindern, sie soll Arbeit verhindern, weil nun die Begrenzung der Arbeit die Begrenzung der Werte ermöglicht, als Grundlage von Macht und Unterdrückung.

Die sogenannte „ehrliche Arbeit“, welche einfach stur dem Druck des Marktes folgt, darum allein richtig, angebracht und wertvoll sein soll, ist eine Lüge. Wer fleißig ackert, wird in der Realität eben häufig nicht belohnt, und wer vom Markt bestraft wird, hat nicht generell etwas falsch gemacht. Ganz im Gegenteil. Wie in meinem Fall, in meinem Versuch einen „Radical Worker“ vorzuleben, der einfach arbeitet, egal ob er dafür honoriert wird oder nicht, ist das „Richtige“, das „Relevante“ zu tun, genau das, was einen im Markt scheitern lässt, und dennoch ist genau das der Weg, um eine neue Ökonomie zu etablieren, die nicht an der Natur und am Menschen vorbei agiert. Natürlich scheitert eine solche Haltung im Markt. Warum? Weil sie die ungleiche Verteilung von Wohlstand und Gewinn verhindert. Darum ist sie für heutige Unternehmen nicht interessant. Man bekommt mit dieser Haltung also keinen Job.

Die selbstbestimmte Arbeit ist die Arbeit mit dem eigentlichen Wert. Denn sie ermöglicht es auch jenen, die in sterbenden oder künstlich unterbewerteten Branchen aktiv werden, eine Gleichberechtigung oder Gleichwertigkeit ihrer Arbeit herzustellen, indem sie eigene Relevanz-, Sinn- und Wertbezüge darin integrieren. Was in offener Beziehungsarbeit den Keim des Neuen bilden kann.

Werte kommen und gehen. Aber die Existenz eines Menschen sollte nicht davon abhängen, ob er am oberen oder unteren Ende dieser Zyklen arbeitet.

Welchen Wert eine Arbeit wirklich hat, klärt sich erst im Unmittelbaren, Individuellen und Lokalen, nicht im übergeordneten Standardisierten, wonach die Erwerbsarbeit heute überwiegend bewertet wird.

Als Folge meiner Weigerung, vor diesem Hintergrund das Urteil der individuellen Schuld an meiner Entwertung anzunehmen, beginne ich mich als Aktivist kritisch mit der Arbeit und der Ökonomie auseinanderzusetzen. Über Jahre beschäftige ich mich mit der Ungerechtigkeit der Gesellschaft, teile meine Erkenntnisse auf Tagungen und großen Bühnen und bekomme – das ist die bittere Konsequenz, erklärt man sich nicht mit der eigenen Entwertung einverstanden –, als Whistleblower und Künstler immer weniger Arbeit. Denn dieses Handeln macht mich unbequem und teuer. Denn es steht dem Faktor Ausbeutung entgegen und macht die Leistungsfrage auf eine neue Weise sichtbar. Ausbeutung ist nur dort möglich, wo die Deutungshoheit über die eigene Leistung nicht, zumindest zu einem großen Teil, in den eigenen Händen liegt.

Gerechte Bezahlung ist heute eine Entscheidung, die andere für einen treffen. Sie legen die Wertgrenze fest. Nicht in einem objektiven Sinne, sondern nach Eigennutz. Das aber verengt den Markt immer weiter, bis nur noch wenige die Richtung bestimmen.

In dem Versuch jedoch, mehr Reichtum zu leben und zu erarbeiten, verdiene ich, das ist das Paradoxon, immer weniger Geld. Etwas, was der Fremdbewertung von Arbeit geschuldet ist. Schließlich lande ich in der Abhängigkeit von Sozialhilfe, was Tor und Tür dafür öffnet, dass mir weitere Rechte auf Selbstbestimmung genommen werden.

Hier beginnt mein Experiment.

Dieses entsteht in der Konsequenz keineswegs freiwillig, sondern führt erst über Jahre hinweg zu einer Haltung, die befreiend wirkt. Auch ich versuche zunächst alles, um Jobs zu bekommen und um der Armut auf konventionelle Weise zu entfliehen.

Was wie ein Rückschritt erscheint, wird jedoch schließlich zum Anfang einer Loslösung.

Hier entsteht die spannende Bruchstelle meiner Arbeit, auf der Suche nach Wert und wertvollem Beitrag, jenseits kapitalistischer Regeln. Ich spiele das Spiel nicht mehr mit, sondern will die Regeln ändern.

In den kommenden Jahren bleibe ich konsequent und erarbeite mit dem unweigerlich aufkommenden Konflikt zwischen mir und dem Staat einen neuen Begriff der ArbeiterIn. Stellvertretend für Millionen von Armut betroffenen Menschen versuche ich den eigentlichen Wert selbstbestimmter Arbeit und selbstbestimmten Wertes zu bewahren und zu erforschen. Dafür werde ich vom deutschen Staat schließlich kriminalisiert, in den Hunger getrieben und von Obdachlosigkeit bedroht.

Denn die selbstbewusste Arme ist eine Kraft, die den Kapitalismus und somit die herrschenden Machtverhältnisse im Markt zerstören kann.