Iphigenie in Delphi - Gerhart Hauptmann - E-Book

Iphigenie in Delphi E-Book

Gerhart Hauptmann

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Beschreibung

Der vierte und letzte Teil von Hauptmanns Atriden-Tetralogie verspricht ein spannungsgeladenes Finale.Orest, der Rächer seines Vaters Agamemnons und Mörder seiner Mutter Klytämnestra, wird zur Verantwortung gezogen; seine Schwester Elektra steht ihm bei. Die mit Spannung erwartete, totgeglaubte Iphigenie kehrt als Hohepriesterin zurück und klärt die mysteriösen Umstände um ihren Tod auf. Findet die übriggebliebene, zerrüttete Familie wieder zusammen?-

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Gerhart Hauptmann

Iphigenie in Delphi

Vierter Teil der Atriden-Tetralogie

Saga

Iphigenie in Delphi

 

Coverbild/Illustration: Shutterstock

Copyright © 1941, 2021 SAGA Egmont

 

Alle Rechte vorbehalten

 

ISBN: 9788726957136

 

1. E-Book-Ausgabe

Format: EPUB 3.0

 

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit der Zustimmung vom Verlag gestattet.

Dieses Werk ist als historisches Dokument neu veröffentlicht worden. Die Sprache des Werkes entspricht der Zeit seiner Entstehung.

 

www.sagaegmont.com

Saga Egmont - ein Teil von Egmont, www.egmont.com

Tragödie

Der Herr Generalintendant des Deutschen Theaters in Prag, Oskar Walleck, sandte mir einige Nummern des von ihm herausgegebenen schönen Blattes. Ich fand nachfolgenden Text aus Goethes Italienischer Reise darin abgedruckt:

»Von Cento herüber wollte ich meine Arbeit an ›Iphigenia‹ fortsetzen, aber was geschah! Der Geist führte mir das Argument der ›Iphigenia von Delphi‹ vor die Seele, und ich mußte es ausbilden. So kurz als möglich sei es hier verzeichnet.

Elektra, in gewisser Hoffnung, daß Orest das Bild der taurischen Diana nach Delphi bringen werde, erscheint in dem Tempel des Apoll und widmet die grausame Axt, die so viel Unheil in Pelops' Hause angerichtet, als schließliches Sühneopfer dem Gotte. Zu ihr tritt, leider, einer der Griechen und erzählt, wie er Orest und Pylades nach Tauris begleitet, die beiden Freunde zum Tode führen sehen und sich glücklich gerettet. Die leidenschaftliche Elektra kennt sich selbst nicht und weiß nicht, ob sie gegen Götter oder Menschen ihre Wut richten soll.

Indessen sind Iphigenie, Orest und Pylades gleichfalls zu Delphi angekommen. Iphigeniens heilige Ruhe kontrastiert gar merkwürdig mit Elektrens irdischer Leidenschaft, als die beiden Gestalten wechselseitig unerkannt zusammentreffen. Der entflohene Grieche erblickt Iphigenien, erkennt die Priesterin, welche die Freunde geopfert, und entdeckt es Elektren. Diese ist im Begriffe, mit demselbigen Beil, welches sie dem Altar wieder entreißt, Iphigenien zu ermorden, als eine glückliche Wendung dieses letzte schreckliche Übel von den Geschwistern abwendet. Wenn diese Szene gelingt, so ist nicht leicht etwas Größeres und Rührenderes auf dem Theater gesehen worden. Wo soll man aber Hände und Zeit hernehmen, wenn auch der Geist willig wäre!«

Die hier entwickelte Idee nahm mich durchaus gefangen. Beinahe absichtslos formte sich mir das nachfolgende Werk. Ich hoffe, daß niemand in dieser Tatsache den Gedanken eines Wetteifers mit dem Ingenium divinum Goethes oder Mangel an Ehrfurcht vor ihm vermuten wird. Stoffe wie dieser waren vor zweitausend Jahren schon alt und sind bereits damals dramatisch gestaltet worden: es ist doch wohl nichts dagegen zu sagen, wenn sie auch hundert und mehr Jahre nach Goethe noch ihre Anziehungskraft auf die Phantasie eines Dramatikers ausüben.

Agnetendorf/Riesengebirge,

Gerhart Hauptmann am 24. Januar 1941.

*

Dramatis Personae

Iphigenie Elektra Orestes Geist der Klytämnestra Pylades Pyrkon Proros Atakos Drei Greise Tempeldiener und Tempeldienerinnen des Apollon-Tempels Tempeldienerinnen der taurischen Artemis Delphi-Pilger und allerlei Volk

*

Der Schauplatz ist in allen drei Akten der gleiche: der Apollon-Tempel zu Delphi.

Durch den Vorhof gelangt man über eine Freitreppe auf eine breite Terrasse, dann in die Vorhalle.

Hinter ihr schließt ein Purpurvorhang einen Raum des Tempelinneren ab.

Der Hof ist flach. Ganz im Vordergrund ein offener Halbkreis gegen den Zuschauer.

Dieser Halbkreis wird durch Säulen markiert.

Auf der Terrasse, rechts und links an der Freitreppe, stehen große goldene Wasserschalen.

Die Vorhalle, aus Säulen bestehend, läßt einen breiten, torartigen Raum frei, in dem der Purpurvorhang besonders sichtbar wird.

Öffnet sich dieser Vorhang, so blickt man in das Tempelinnere, einen Raum, an dessen Hinterwand ein qualmender Dreifuß steht und ein goldenes Bild des Apoll.

Zwischen den Säulen im Hof mündet rechts und links eine Straße.

Auf der Terrasse befindet sich ein niedriger Altar.

Die wesentlich dorische Säulenordnung des Ganzen zeigt einen derben, frühgriechischen Charakter. Weihgeschenke sind darin aufgestellt.

Erster Akt

Erster Auftritt

Magische Morgendämmerung.

Seltsame, gedämpfte Laute dringen von überallher: Tempelpauken, tubaartiger Klang, gleichsam hergehauchte Akkorde von Saiteninstrumenten, dazu mitunter Gesang von Knabenstimmen. Alles fast unwirklich hörbar.

Pyrkon, Proros, Aiakos, drei Priester des Apoll, davon Pyrkon der Oberpriester, haben am Altar auf der Terrasse die Zeremonien eines Rauchopfers beendet.

Nachdem diese feierlich abgebrochen sind, gehen sie in ungezwungener Haltung auf der Terrasse langsam hin und her.

Pyrkon

Von allen Göttern sind die Musen doch

die unermüdlichsten! So früh es ist,

sie machen Delphis rote Felsen tönen.

Proros

Ehrwürdigster, Parnassos' Gipfel ist

uns nah genug und auch der Helikon

nicht fern.

Aiakos

Wer lebte gerne ohne diese Neun

wohl in der Welt?

Pyrkon

Kein Mensch! Vielleicht das Tier!

Proros

Es ist ein wunderliches Wesen heut

im heiligen Bezirk und um ihn her.

Aiakos

Von Krisa bis herauf nach Pytho herrscht

seltsame Unruh'.

Pyrkon

Schiffe sind, so heißt's,

im Hafen eingelaufen.

Aiakos

Ihrer drei.

Proros

Wem stehen sie wohl zu?

Pyrkon

Die Bauart deutet

auf Argolis. Doch wie auch immer sich's

verhalten mag: einstweilen forschet nicht!

Vielleicht, daß durch der Oberen Beschluß

der Tag uns Großes bringt.

Er entfernt sich seitlich durch die Vorhalle. Proros und Aiakos haben sich verbeugt.

Zweiter Auftritt

Sie machen es sich nun, auf der Terrasse sitzend, bequem.

Proros

Er hat die Nacht

durchwacht, der Hochehrwürdige, ich lag,

gewärtig seines Rufs, vor seiner Tür,

doch rief er nicht. Ich hört' ihn flüstern, ihn,

mir schien, mit Götterboten leise sich

beraten; endlich aber schlief er ein –

und fuhr empor, als jenes Schüttern dann

den Götterberg bewegte, das wir alle

deutlich gespürt.

Aiakos

Kein Fest ist nah, und doch

von Pilgern wimmelt's auf den Tempelsteigen.

Thyiaden, von der Erde ausgespien,

umtanzen Iakchos' Säulen. Rohes Volk,

verhungert und verlumpt, ist eingeströmt

und macht den Tempelwächtern arge Mühsal.

Und wie begreift sich dieses Dämmerlicht,

das alles, Erd' und Himmel, Mensch und Tier,

ins Niegesehne ändert? Höre, Proros:

unwiderstehlich zog es mich zum Strand,

um mir die Bangnis einer bangen Nacht

in salziger Meereswoge abzuspülen;

nie sah ich seine Fläche so wie heut

im Purpur, den der Tagesgott vorauswarf,

wie jenes Drachen Schuppenhaut erzucken

metallisch vielfach, den der Gott erschlug.

Proros

So viel hab' ich verstanden an der Tür

des Gottberufnen, der Sibyllas Sprüche

hellwissend deutet: Zeichen lassen hoffen,

daß endlich sich der Atreuskinder Schicksal

zum Lichte kehre.

Aiakos

Herrlicher Orest,

Bild deines gottgewaltigen Vaters, Siegers

von Ilion, Agamemnons! aller Griechen

allmächtiger Herr dereinst! Es lag auf ihm

die Pflicht, den Mord des Unvergleichlichen

zu rächen an der Mörderin, seiner Mutter!

Er tat das Übermenschliche, tat's auf Befehl

des Gottes. Doch es hefteten sogleich

die fürchterlichen Namenlosen sich

an seine Spur, des Grauns Geburten und

die tausendfach das Graun gebären: Rüden,

die, wie sie nie ermüden in der Jagd,

ihr Wild doch niemals schlagen und nur quälen –

nach Götterratschluß. So geschah's auch hier.

Proros

Selbst der am heiligen See von Delos einst

geborene Sohn Kronions und der Leto,

der Pythontöter, als er jenes Untier

erlegt, bedurfte aller Sühnungen,

um rein zu werden, die den Ewigen

allein der Göttervater geben kann.

Nun gar der Mensch, der Blutschuld auf sich lud

und so der Uranionen heilige Satzung

verletzte! Gnädig ihm die Sühnungen

aufzuerlegen, ist Apoll befugt.

Und so erriet ich aus Gesprächen, die

im Kreis der Oberen hin und wider gingen,

welch unerfüllbar-schweren Auftrag man

dem Rächer seines Vaters auferlegt:

nämlich das Bild der Göttin Artemis

zu Tauris den Barbaren zu entwenden.

Dort herrscht sie blutig, heißt's, als Hekate

mit Schlangenhaaren, Hunds- und Löwenkopf,

verstört der Menschen Sinn! Stygische Hunde

winseln um sie, die, was man opfert ihr,

wütend zerreißen, Tier und Mensch, auch Griechen,

die eine fürchterliche Priesterin

am Altar darbringt! Soll man sagen, daß

die Göttin, von dem Griechenvolk beleidigt,

ihm zürnt? Apollon ist ihr Bruder! Will

er sie zur Heimkehr zwingen mit Gewalt?

Auch im Geschlecht der Uranionen regt

sich Eris anders nicht als wie bei uns;

doch wehe, wehe dem, der wie Orest

gar von den Moiren ausersehen ist,

sich schlichtend einzudrängen zwischen zwei

Geschwistergötter, die veruneint hadern:

die Todesgöttin und den Herrn des Lichts.

Dritter Auftritt

Einige ärmlich gekleidete Gestalten überqueren den Tempelhof, aus ihnen löst sich vermummt Elektra. Sie bewegt sich scheu, hastig und wirr. Sie gelangt zu dem ersten Weihwasserbecken, faßt hinein und besprengt sich, das gleiche tut sie bei dem zweiten.

Alsdann hockt sie sich irgendwo nieder.

Die magische Beleuchtung ist unverändert.

Elektra