Islamismus in Deutschland - Johannes Kandel - E-Book

Islamismus in Deutschland E-Book

Johannes Kandel

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Beschreibung

Spätestens nach der Aufdeckung der Sauerland-Gruppe ist klar: Islamistischer Terror ist in Deutschland längst schon angekommen. Höchste Zeit, einige Fragen zu klären: Wie eng sind Islamismus und Islam verbunden? Wie wahrscheinlich ist die Gefahr terroristischer Anschläge in Deutschland tatsächlich? Welche islamistischen Gruppen gibt es hierzlande? Wo liegen Gefahren für unser Gemeinwesen, wie kann man ihnen begegnen? Wie weit kann und soll der Dialog gehen? Und welche Chancen hat die Integration?

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Johannes Kandel

Islamismusin Deutschland

Zwischen Panikmache und Naivität

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2011

Alle Rechte vorbehalten

www.herder.de

Datenkonvertierung eBook: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

ISBN (E-Book) 978-3-451-33657-7

ISBN (Buch) 978-3-451-30339-9

1. Was ist Islamismus?

Der Islamismus als politische Ideologie und Bewegung

Der Islamismus ist eine wichtige Variante des Islam in der Gegenwart. In der aktuellen Diskussion über den Islam wird von Muslimen und auch von Nicht-Muslimen häufig behauptet, dass der Islamismus ein „Missbrauch“ des Islam sei. Andere bestreiten gar, dass er überhaupt etwas mit Islam zu tun habe. Manche Feinde des Islam halten dagegen, dass sich der Islamismus zwangsläufig aus dem Islam entwickeln müsse, weil der Islam seinem „Wesen“ nach undemokratisch und gewaltfördernd sei. Beide Seiten glauben genau zu wissen, was der „wahre Islam“ ist.1 Solche Positionen führen jedoch zu keiner sachlichen Diskussion über den Islamismus. Es gibt keine geschichtliche Notwendigkeit, dass aus dem Islam Islamismus wird, aber es besteht die Möglichkeit. Es kann also einen Islam ohne Islamismus, aber keinen Islamismus ohne Islam geben. Für den Zusammenhang von Islam und Islamismus ist es wichtig zu wissen, dass der „Islam“ (= „Hingabe“, „Ergebung“) nicht nur eine Religion ist, sondern immer auch ein politisches Projekt der Gesellschaftsveränderung.

Die geistigen Ursprünge, Grundorientierungen und Ziele des Islamismus lassen sich auf vier Grundmerkmale zuspitzen. Der Islamismus ist eine

1. politisch-extremistische Herrschaftsideologie, deren Kern eine Ideologie der Ungleichheit bildet: Andere Religionen, Weltanschauungen und Lebensorientierungen werden abgewertet, und ihnen wird eine gleichberechtigte Existenz neben dem Islam, der als die einzig „wahre“ Religion verstanden wird, verweigert. Politische Herrschaft wird aus der Religion (Scharia) begründet. Universale Menschenrechte, so wie sie in der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ von 1948 formuliert sind, werden als „unislamisch“ zurückgewiesen und das Prinzip der Säkularität, d.h. der Trennung von Staat und Religion, verworfen;

2. politische Protest- und Oppositionsbewegung gegen muslimische diktatorische Regime, die als „unislamisch“ verurteilt werden („der nahe Feind“), und gegen „den Westen“ als die Verkörperung der „islamfeindlichen“, „ungläubigen“ Mächte („der ferne Feind“);

3. soziale Bewegung, die soziale Dienstleistungen (z.B. Arbeit, Bildung, Kultur, Freizeit) anbietet, nicht zuletzt um Sympathisanten für die Bewegung und Rekruten für den „dschihad“ zu gewinnen;

4. global-transnationale (virtuelle) Diskursgemeinschaft („Islamismus 2.0“), ein Bildungs- und Informationsnetzwerk sowie eine operative Agentur islamistischer Aktivisten.

Die ideologischen Grundprinzipien und die daraus folgenden Politikentwürfe des Islamismus sind eine Spielart des politischen Extremismus. Uwe Backes und Eckhard Jessen bestimmen politischen Extremismus als „Absage an fundamentale Werte, Verfahrensregeln und Institutionen demokratischer Verfassungsstaaten“. Der politische Extremismus formuliert auf der ideologischen Ebene einen dogmatischen, absoluten Wahrheitsanspruch, folgt Freund-Feind-Stereotypen, lehnt gesellschaftlichen Pluralismus ab und sucht seine Ziele mit ausgeprägtem Missionsbewusstsein durchzusetzen.2 Mit Hannah Arendt können wir den Islamismus auch zugespitzt als eine „totalitäre Ideologie“ bezeichnen. Totalitäre Ideologien erheben einen „Anspruch auf totale Welterklärung […] und zwar totale Erklärung des Vergangenen, totales Sich-Auskennen im Gegenwärtigen und verlässliches Vorhersagen des Zukünftigen.“3 Die Islamisten verstehen den Islam als die große, absolut wahre Erzählung von der Erschaffung der Welt, dem Willen Allahs in Bezug auf die Bestimmung des Menschen und dem Ende der Welt (Jüngstes Gericht). Sie erheben den Anspruch, die göttlich gesetzten Normen und Regeln muslimischer Lebensweise zu kennen und die für die Errichtung eines islamischen Staats- und Gemeinwesens notwendigen religiösen und politischen Strategien richtig einzusetzen. Die Islamisten betonen die „Einheit und Einzigkeit Allahs“ („tawhid“) und seine souveräne Herrschaft, die sich in der Harmonie von Glauben und Leben, Religion und Politik in der islamischen Gemeinschaft („umma“) ausdrücken soll.

Das islamistische Credo brachte der marokkanische Imam Mohammed Fazazi in einer seiner berüchtigten Predigten im Jahre 2000 in der Hamburger Al-Quds-Moschee auf den Punkt: „Die islamische Religion ist umfassend, vollständig, widerstandsfähig, komplett und vollkommen. Und sie mischt sich ausnahmslos in alle Bereiche des Lebens ein. Der Islam hat Antworten auf jede Frage und für alles ein besonderes Programm.“4 Fazazi formulierte das grundlegende Prinzip des Islamismus: „Der Islam ist die Lösung!“

In der Wissenschaft und im öffentlichen Diskurs werden die Begriffe „Fundamentalismus“ und „Islamismus“ häufig als Synonyme verwendet. Doch wie sich nun „Fundamentalisten“ von „Islamisten“ unterscheiden, das ist ein wenig fruchtbarer Streit um Begriffe. Am besten unterscheiden wir Fundamentalisten und Islamisten durch ihre Einstellung zur politischen Aktion. Vereinfacht gesagt: Die Fundamentalisten erhoffen die „(Re-)Islamisierung“ ihrer für defizitär gehaltenen islamischen Gesellschaften und der Welt der „Ungläubigen“ in erster Linie von der friedlichen „Einladung“ zum Islam („da’wa“). Die Annäherung an dieses Ziel geschieht in variablen Formen, z.B. durch die schrittweise Ausweitung islamkonformer Lebensweisen, die begrifflich als „Anerkennungs“- und „Identitätspolitik“ beschrieben werden kann.5 Die Islamisten verleihen dieser „Einladung“ („da’wa“) eine besondere politische Dynamik: Der „wahre“ Islam soll in erster Linie mit politischen Mitteln durchgesetzt werden, ggf. auch mit Gewalt. Auf eine kurze Formel gebracht: Islamismus ist Fundamentalismus in politischer Aktion mit dem Ziel der „islamgemäßen“ Transformation der gesellschaftlichen Verhältnisse und der Errichtung eines islamischen Staates. Der Islamismus basiert aber auf Grundprinzipien des religiösen Fundamentalismus. Die Islamisten folgen einem buchstäblichen – gleichwohl selektiven – Verständnis des Koran (als das unerschaffene, unveränderbare, zeitlos geltende Wort Gottes) und verwerfen Ansätze eines historisch-kritischen Koranverständnisses als „bid’a“ („Neuerung“) oder „Unglauben“.

Bislang ist der Islamismus von keiner religiösen Autorität im Islam als „unislamisch“ verworfen worden. Auch Islamisten werden als Muslime gesehen, denn gemeinsam mit allen Muslimen folgen sie den religiösen Hauptpflichten des Islam (Glaubensbekenntnis, rituelles Gebet, Fasten, Almosengeben und Wallfahrt nach Mekka) und den sechs zu glaubenden Wahrheiten (an Allah als den Einen und Einzigen – „tawhid“ –, die Propheten, die Bücher, die Engel, das Schicksal und den Jüngsten Tag).

Im wissenschaftlichen Diskurs finden wir verschiedene Vorschläge, unter den Islamisten (idealtypische) Differenzierungen zu treffen, so z.B. nach „geo-kulturellen“ Trends oder „Familien“: So gebe es eine „indisch-sunnitische“ Familie, die ganz wesentlich aus dem Denken und den Lehren des indischen Journalisten Sayyid Abu A’la Maududi (1903–1979) und seiner Partei Jama’at-e-Islami schöpfe, eine „iranisch-schiitische“, begründet von Ayatollah Ruhollah Mussawi Khomeini (1900–1989), und schließlich eine „arabisch-sunnitische“, deren herausragende Repräsentanten Hasan al-Banna (1906–1949), der Gründer der Muslimbruderschaft, und deren Chefideologe Sayyid Qutb (1906–1966) gewesen seien.6 Eine andere Systematik schlagen Wissenschaftler des Kairoer „Al-Ahram Center for Political and Strategic Studies“ vor: Sie unterscheiden grundsätzlich zwischen „religiösen islamistischen“ und „soziopolitischen Bewegungen mit einer islamistischen Plattform“.7 Den „religiösen islamistischen“ Bewegungen ordnen sie Gruppen zu, die entweder den Islam „friedlich“ durch Mission verbreiten möchten oder die die erstrebte Transformation mit Gewalt durchsetzen wollen („Jihadi-Gruppen“). Die „Jihadis“ wiederum werden nach ihren grundlegenden politischen Zielen und der Reichweite ihrer Aktivitäten unterschieden: Es gebe „lokale“ Gruppen, die sich auf den Kampf gegen ihre vermeintlich „unislamischen“ und ungerechten Regierungen beschränkten (wie z.B. die ägyptische Jama’a al-Islamiya). Wieder andere strebten als Minderheit in einem nicht-islamischen Land nach Separation (Kaschmir, Tschetschenien). Schließlich gebe es die global operierenden Dschihadisten wie z.B. Al-Qaida. Die „soziopolitischen“ Bewegungen werden nur nach dem Kriterium der Gewaltanwendung eingeteilt: friedlich oder militant.

Diese Typologie ist zwar anregend, wirft aber Abgrenzungsfragen auf, vor allem im Blick auf die intendierte Reichweite der Bewegungen („lokal“ und/oder „global“), die Bedeutung der Religion für die politische Ideologie und die Einteilung nach dem Merkmal „friedlich“ bzw. „militant“. Sind die schiitische Hisbollah im Libanon und die „radikalislamische“ Hamas nur „lokale“ Gruppen, weil sie ihre Gewalt auf die Region konzentrieren, oder sind sie nicht mit ihren als Wohlfahrtsorganisationen getarnten Netzwerken sowie ihren virtuellen Botschaften im Fernsehen und im Internet (z.B. Al-Manar, Hamas-TV, Al-Aqsa Tube) zugleich globale ideologische Player im weltweiten „dschihad“? So beziehen sich die „soziopolitischen“ Gruppen doch ebenso wie die „religiösen“ auf die Religion des Islam, während umgekehrt auch die „religiösen“ eine soziale und politische Agenda verfolgen. Auch ist fraglich, ob die „friedlichen“ Gruppen tatsächlich so „friedlich“ sind, wie sie scheinen. Ferner ist die Gewaltfrage bei der Typologisierung des Islamismus nur ein Element und nicht das entscheidende.

Im Zentrum des Islamismus stehen die politische Ideologie und die darauf basierenden politischen Leitideen und Ziele. Hier gibt es ohne Zweifel grundlegende ideologische und politische Gemeinsamkeiten unter den islamistischen Bewegungen, wie ihre Geschichte und Entwicklung zeigt und wie es auch in unserer Definition festgehalten ist. Unterschiede bestehen vor allem im Blick auf die konkreten politischen Zielvorstellungen (z.B. in der Frage der Organisation des „islamischen Staates“) sowie in Fragen von Strategie und Taktik (z.B. in der Haltung zur Gewalt). Wenn wir uns auf die Frage der Strategie und Taktik konzentrieren, so lassen sich zwei Grundtypen von Islamismus unterscheiden: ein „reformistischer“ Islamismus, der auf dem Wege mehr oder weniger friedlicher „da’wa“ und legaler politischer Aktion die schrittweise Islamisierung von Staat und Gesellschaft anstrebt, und ein „revolutionär-militanter“, der auf die Überwindung sowohl „unislamischer Systeme“ in der islamischen Welt als auch des westlichen „Säkularismus“ durch revolutionären Umsturz abzielt. Eine Variante dieses revolutionär-militanten Islamismus ist der „dschihadistischterroristische“, deren Vertreter entweder z.B. in der Linie der Ideologie und der Aktionen Al-Qaidas für die globale Weltherrschaft des Islam kämpfen (der „ferne Feind“) und/oder nach der Wiederherstellung des „wahren Islam“ im nationalen (islamische Staaten) oder regionalen Rahmen (z.B. Palästina) streben (der „nahe Feind“).8

Die „International Crisis Group“ hat vorgeschlagen, drei Typen von Islamismus zu unterscheiden: „political“ („al-harakât al-islamiyya al-siyasiyya“, d.h. die islamischen politischen Bewegungen und Parteien, z.B. die Muslimbrüder und die türkische AKP), „missionary“ („al-da’wa“, vor allem die Tablighi Jama’at und die Salafiya) und schließlich „jihadi“ („al-jihad“, d.h. alle, die den bewaffneten Kampf gegen den „nahen“ und/oder „fernen“ Feind befürworten). Auch das wäre eine mögliche Differenzierung, allerdings ist die Bezeichnung „political“ für den ersten Typ doch zu allgemein, denn auch der „missionarische“ und gewiss der „dschihadistische“ Islamismus sind „politisch“, wenn auch mit unterschiedlichen Zielen und Aktionsformen.9

Der Islamismus politisiert Religion und Kultur: „In unserem Islam“, erklärte ein Imam in einer Londoner Moschee, „beschäftigen wir uns nicht mit Gott, sondern mit Palästina, Kaschmir, Afghanistan und Irak.“10 Islamismus ist Religion in politischer Bewegung, aber die Islamisten lösen die Religion auch nicht in Politik auf. Die Religion bleibt, so mangelhaft das Wissen und Verständnis mancher Islamisten von der eigenen Religion auch sein mag, ihr dynamisches spirituelles Zentrum. Sie liefert die geistig-politischen Grundkategorien, aus denen sie ihre Visionen und Utopien zur Errichtung eines islamischen Staates entwickeln. Sie verleiht ihnen Motivation und Kraft, ohne Rücksicht auf das eigene Leben für die Sache „des Islam“ zu streiten.

Islamisten erheben einen universalen religiösen Wahrheits- und politischen Herrschaftsanspruch. Der Islam habe alle anderen Religionen und Ideologien der Welt siegreich überboten. Die vor dem Islam entstandenen monotheistischen Religionen (Judentum und Christentum) enthielten zwar auch Elemente der „wahren“ Offenbarung Gottes, seien aber von Juden und Christen verfälschte Varianten („tahrif “) der einen wahren Religion. „Die Religion bei Gott“ ist der Islam, so steht es im Koran (Sure 3,19; 3,85). Es dominiert ein schlichtes Schwarz-Weiß-Denken. Die Idealisierung der eigenen Religion geht einher mit der Abwertung aller anderen Religionen und Weltanschauungen. Hier die „wahre Religion“ und „beste Gemeinschaft“, die „das Rechte gebietet und das Verwerfliche verbietet“ (Sure 3,110) in Gestalt des „Hauses des Islam“ („dar-al-islam“), dort die gottlose, dekadente, bindungslos-individualistische, konsumistisch-materialistische und imperialistische Welt der „Ungläubigen“ im „Westen“ („dar-al-harb“ – „Haus des Krieges“). Der Islamist Abdullah el-Faisal aus Großbritannien bringt es wie folgt auf den Punkt: „Es gibt heutzutage zwei Religionen, die richtige und die falsche. Der Islam steht gegen den Rest der Welt.“11 Zwar sind die Muslime von der „Wahrheit“ ihrer Religion überzeugt und glauben, dass Gott ihre religiöse Gemeinschaft vor den anderen ausgezeichnet hat (vgl. Sure 3,110). Doch muss diese Überzeugung nicht zwingend in eine Haltung münden, die eine Anerkennung von und ein friedliches Zusammenleben mit anderen Religionen grundsätzlich unmöglich macht. Die Islamisten sind dazu jedoch nicht bereit. Sie betonen und überspitzen die „Auszeichnung“ der Muslime im Sinne eines auch politisch durchzusetzenden Überlegenheits- und Herrschaftsanspruchs des Islam gegenüber allen anderen Religionen. Somit ist der Islamismus auch eine Ideologie der Ungleichheit: Hier die „wahre“ Religion, dort die „falschen“ Religionen, die in die Irre gehen. Es ist die Pflicht der „wahren Gläubigen“ (Muslime), die ganze Welt in das „dar-al-islam“, das „Haus des Islam“, zu führen. Erst dann werden überall Frieden und Gerechtigkeit herrschen. Damit wird auch ein territorialer Herrschaftsanspruch formuliert, der ideologisch in den Konzeptionen des „heiligen Raumes“ und der „hidschra“ ausgedrückt wird: Was einmal zum Islam gehört hat, bleibt im Islam und muss, falls es verloren gegangen ist, neu erobert werden. Am Anfang dieses Eroberungsprozesses steht der „Auszug“ („hidschra“), die Trennung von den „Ungläubigen“, gefolgt vom „dschihad“ im Sinne der Eroberung des Territoriums der „Ungläubigen“.12

1 Ich kann mich dem skeptischem Verzicht Stefan Weidners „auf ein Wissen über die wahre Natur des Islams“ anschließen, wenn damit der Anspruch auf „Wesensbestimmungen“ zurückgewiesen werden soll. STEFAN WEIDNER, Manual für den Kampf der Kulturen. Warum der Islam eine Herausforderung ist. Frankfurt a. M./Leipzig 2008, 95ff., 152.

2 UWE BACKES/ECKHARD JESSEN, Vergleichende Extremismusforschung. Baden-Baden 2005, 23f. Zur Einordnung des Islamismus als politischen Extremismus vgl. 201ff. Zum theoretisch-normativen Hintergrund des Extremismusbegriffs vgl. UWE BACKES, Politischer Extremismus in demokratischen Verfassungsstaaten. Elemente einer normativen Rahmentheorie. Opladen, 1989 289ff.

3 HANNAH ARENDT, Elemente und Ursprünge totalitärer Herrschaft (1951). München 102005, 964.

4 Aus dem Film Hamburger Lektionen von Romuald Karmakar (2006).

5 Zum Begriff der „Identitätspolitik“ vgl. THOMAS MEYER, Identitätspolitik. Vom Missbrauch kultureller Unterschiede. Frankfurt a. M. 2002.

6 LAURA GUAZZONE, Islamism and Islamists in the Contemporary Arab World. In: LAURA GUAZZONE (Hrsg.), The Islamist Dilemma. The Political Role of Islamist Movements in the Contemporary Arab World. Reading 1995, 13.

7 Al-Ahram Center for Political and Strategic Studies (Hrsg.), The Spectrum of Islamist Movements (aus dem Arabischen). Berlin 2007, 16ff.

8 Zu den Begriffen des „nahen“ und „fernen Feinds“ vgl. GUIDO STEINBERG, Der nahe und der ferne Feind. Das Netzwerk des islamistischen Terrorismus. München 2005.

9 INTERNATIONAL CRISIS GROUP, Understanding Islamism. Middle West/North Africa Report Nr. 37, 2. März 2005.

10 AMID TAHERI, „We don’t do God, we do Palestine and Iraq”. Sunday Times, 12. Februar 2006.

11 www.danielpipes.org/pf.php?id=4254.

12 Zu diesem Aspekt vgl. PATRICK SOOKDHEO, Faith, Power, Territory. A Handbook of British Islam. McLean 2008, 45ff.

2. Ursachen und Ausbreitung des Islamismus

Islamistische Bewegungen breiteten sich seit dem Ende der Sechzigerjahre des 20. Jahrhundert in der islamischen Welt aus. Aufgrund von Wanderungs- und Fluchtbewegungen und des damit verbundenen Ideologieimports haben sie auch in Europa Fuß gefasst. Nach durchaus realistischen Annahmen werden ca. sieben bis fünfzehn Prozent der Muslime weltweit als „politisch radikalisiert“ und daher als Sympathisanten oder Aktivisten des Islamismus eingeschätzt.1 Die zeitgeschichtlichen Hintergründe für den Aufstieg und die politischen Erfolge der islamistischen Bewegungen finden wir in den internationalen Konflikten sowie den sozioökonomischen und soziokulturellen Krisen in der islamischen Welt nach 1945. Der Schock der Niederlage der arabischen Staaten gegen Israel im Sechs-Tage-Krieg 1967 und die damit verbundene Kompromittierung des arabischen Nationalismus und Sozialismus, die die Leitideen für den erfolgreichen Kampf gegen Kolonialismus und Imperialismus gewesen waren, lösten eine islamistische Renaissance aus. In dieser Zeit entstanden in Nordafrika, den arabischen Staaten, im Nahen Osten, Asien, den USA und Europa islamistische Bewegungen. Die militärische Niederlage war für die Islamisten der Tiefpunkt in der Identitätskrise der islamischen Welt, die seit dem Kolonialismus und Imperialismus im 19. Jahrhundert sowie dem Kollaps des Osmanischen Reiches nach dem Ersten Weltkrieg schwelte. Die Islamisten deuten solche geschichtlich-politischen Ereignisse und Prozesse als Belege für den „Krieg des Westens“ gegen „den Islam“. Das Sündenregister „des Westens“ wird weit in die Geschichte des Verhältnisses von „Abendland“ und „Morgenland“ zurückdatiert: Schon seit dem Auftreten des Islam habe „das Abendland“ gegen „den Islam“ gekämpft. Dieser Kampf beginne mit den Attacken des Byzantinischen Reiches im 7. Jahrhundert, setze sich in den Kreuzzügen seit dem 11. Jahrhundert fort und habe im 19. Jahrhundert mit dem Kolonialismus und Imperialismus der westlichen Mächte seine moderne Ausprägung gefunden. Die „Balfour-Deklaration“ von 1917 zur Schaffung einer „jüdischen Heimstätte“ in Palästina und die Gründung des Staates Israels 1948 trotz des erbitterten Widerstands der arabischen Nachbarn sei ein perfider Akt „des Westens“ gewesen mit dem Ziel, die Palästinenser zu unterdrücken und die arabische Welt durch die Installierung eines „westlich-imperialistischen“ Brückenkopfs und Vorpostens zu spalten. Und noch weitere „feindselige“ Akte hätten den Vernichtungswillen des „Westens“ gegenüber „dem“ Islam dokumentiert: die Politik Israels und der Nahost-Konflikt, der Golfkrieg 1991, der Bosnienkrieg 1992–1995, das Irak-Embargo 1991–2003, die Interventionen der Sowjetunion 1980 sowie der USA 2001 in Afghanistan, der Irak-Krieg 2003, der Libanon-Krieg 2006 und „Israels Aggression“ gegen die Hamas-Regierung im Gaza Streifen 2008/09. Die Islamisten wähnen sich von Feinden umzingelt, die sich gegen die wahren Gläubigen verschworen hätten. Die drei „Hauptfeinde“ sind, wie es die dschihadistischen Ideologen ausdrücken, „die Kreuzfahrer“, die „Juden“ und die „Handlanger“ der beiden Ersteren, d.h. pauschal „der Westen“ mit der „hegemonialen Führungsmacht“ USA und ihren Verbündeten. Stets sind „die anderen“ an allen Krisen, Defiziten und Mängeln der islamischen Welt schuld. Islamisten sind unfähig zur Selbstdistanz und Selbstkritik. So verdichten sich Erfahrungen, selektive Wahrnehmungen und Deutungen einer vermeintlich endlosen Kette anti-islamischer Geisteshaltungen und Aktivitäten am Ende zu einer paranoiden Ideologie eines „clash“ zwischen „dem Islam“ und „dem Westen“, von einem Krieg der Religionen und Kulturen, in dem es nur einen Sieger geben darf: das „Haus des Islam“ („dar-al-islam“).

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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