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Diese Bergroman-Serie stillt die Sehnsucht des modernen Stadtbewohners nach einer Welt voller Liebe und Gefühle, nach Heimat und natürlichem Leben in einer verzaubernden Gebirgswelt. "Toni, der Hüttenwirt" aus den Bergen verliebt sich in Anna, die Bankerin aus Hamburg. Anna zieht hoch hinauf in seine wunderschöne Hütte – und eine der zärtlichsten Romanzen nimmt ihren Anfang. Hemdsärmeligkeit, sprachliche Virtuosität, großartig geschilderter Gebirgszauber – Friederike von Buchner trifft in ihren bereits über 400 Romanen den Puls ihrer faszinierten Leser. Bürgermeister Fritz Fellbacher saß auf einer Bank am Bergsee und schaute auf das Wasser. Die Sonne schien, ein warmer Wind kräuselte die Wellen. Als hinter ihm ein Auto hielt, drehte er sich nicht um. »Hallo, Fritz!« Fritz Fellbacher zuckte zusammen. Graf Tassilo von Teufen-Thurmann setzte sich neben den Bürgermeister. »Habe ich dich beim Grübeln erwischt?«, lachte Tassilo. Er griff in die Brusttasche seines Lodenjankers und holte einen silbernen Flachmann heraus. Er hielt ihn Fritz hin. »Hier, nimm einen kräftigen Schluck! Des ist der gute Obstler vom Alois, der bringt dir wieder Farbe ins Gesicht. Du hast es nötig, Fritz.« Der Bürgermeister nickte. Er nahm einen kräftigen Schluck und gab ihm das Gefäß zurück. Tassilo steckte es weg, er trank nicht, wenn er Auto fuhr. Darin war er eisern. »Rede schon, Fritz! Warum sitzt du hier und net im Rathaus? Bist du desertiert?«
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Bürgermeister Fritz Fellbacher saß auf einer Bank am Bergsee und schaute auf das Wasser. Die Sonne schien, ein warmer Wind kräuselte die Wellen.
Als hinter ihm ein Auto hielt, drehte er sich nicht um.
»Hallo, Fritz!«
Fritz Fellbacher zuckte zusammen.
Graf Tassilo von Teufen-Thurmann setzte sich neben den Bürgermeister.
»Habe ich dich beim Grübeln erwischt?«, lachte Tassilo. Er griff in die Brusttasche seines Lodenjankers und holte einen silbernen Flachmann heraus. Er hielt ihn Fritz hin.
»Hier, nimm einen kräftigen Schluck! Des ist der gute Obstler vom Alois, der bringt dir wieder Farbe ins Gesicht. Du hast es nötig, Fritz.«
Der Bürgermeister nickte. Er nahm einen kräftigen Schluck und gab ihm das Gefäß zurück. Tassilo steckte es weg, er trank nicht, wenn er Auto fuhr. Darin war er eisern.
»Rede schon, Fritz! Warum sitzt du hier und net im Rathaus? Bist du desertiert?«
»Ich wollte ein bissel Ruhe haben«, sagte Fellbacher. »Wir haben hier ein wunderschönes Fleckchen Erde unter Gottes großem Himmel.«
»Ja, ein ganz besonders schönes Platzerl! Um dich zu vergewissern, dass sich das seit gestern nicht geändert hat, bist du extra hergekommen?«
»Na, des bin ich net«, seufzte Fellbacher. »Ich brauche auch mal einen Moment für mich. Für eine ausgedehnte Wanderung habe ich keine Zeit. Es wird immer mehr mit dem Verwaltungskram. Da dachte ich, ich lasse Amtszimmer Amtszimmer sein und setze mich ein bissel an den Bergsee.«
»Ah, du wolltest innerlich zur Ruhe kommen. Das kann ich verstehen. Aber sonst rennst du doch zum Zandler und schüttest ihm dein Herz aus. Heut net?«
Fellbacher musste schmunzeln.
»Er ist heute nicht da. Unser Herr Pfarrer ist auf einer Wallfahrt.«
Der Graf nickte. »Jeder muss mal seine Seele auftanken. Also, was ist dir aufs Gemüt geschlagen, Fritz?«
Fritz Fellbacher griff in die Innentasche seiner Lodenjacke und zog ein Schreiben heraus.
»Am besten, du liest selbst, Tassilo.«
Der Graf faltete das Blatt Papier auseinander. Er überflog die Zeilen. Dann setzte er seine Lesebrille auf und las den Text noch einmal. Er faltete das Blatt wieder zusammen und gab es dem Bürgermeister zurück.
»Du bist wohl arg enttäuscht, wie?«
»Ja, das bin ich. Wir haben uns so viel Mühe gegeben mit der Unterschriftenaktion. Aber nix ist. Es bleibt, wie es ist. Mein Vorschlag, den Bücherbus in zweiwöchigem Abstand oder meinetwegen auch nur einmal im Monat fahren zu lassen, wurde abgeschmettert. Es ist leider wahr, Geld regiert die Welt«, seufzte er.
Tassilo rieb sich das Kinn.
»Des ist schade.«
»Schade?«, polterte Fellbacher. »Des ist eine Schande! Eine zum Himmel schreiende Schande ist des. Da wird so viel Geld für Unnötiges verplempert, und hierbei wird gespart. Lesen ist wichtig.«
»Das sagst du, Fritz, und so denke ich auch. Aber wie sollen diese Bürokraten diese Wichtigkeit in Zahlen ausdrücken?«
»Ich weiß, die Kosten für den Bücherbus an sich, die laufenden Ausgaben für den Betrieb, die Versicherungen, die Bibliothekare und die Bücher, das alles zusammen ergibt rote Zahlen. Aber der Nutzen lässt sich eben leider nicht so eindrucksvoll in Zahlen auf der Gewinnseite darstellen. Des ist schon ein Kreuz, Tassilo.«
»Was willst du jetzt machen?«
»Ich muss mir etwas überlegen. Ich grüble hin und her. Bevor du kamst, hatte ich mir Gedanken gemacht, ob juristisch etwas zu machen ist.« Fellbacher seufzte. »Ich habe noch keinen Weg gefunden. Tassilo, ich will dir etwas gestehen. Aber das tust du für dich behalten!«
Tassilo nickte.
»Heute ist ein Tag, da würde ich meinen Posten als Bürgermeister am liebsten hinwerfen. Ich habe die Schnauze voll!«
»Des klingt dramatisch«, sagte Tassilo. »Du musst dich sehr geärgert haben.«
»Das habe ich, und ich bin richtig frustriert. Tassilo, ich bin auch nur ein Mensch. In der Sache mit dem Bücherbus komme ich mir vor, als kämpfte ich gegen Windmühlen. Mir ist das Wohlergehen aller Waldkogeler eine Herzensangelegenheit. Ich tue dafür, was ich kann. Außerdem, so arg hoch sind die Kosten gar nicht. Wenn man wollte, könnte man. Aber dazu sind die Damen und Herren im Kreisbüro zu unbeweglich. Sie wollen die Entscheidung nicht noch einmal überdenken. Dabei steht jede Unterschrift auf den langen Listen, die wir gesammelt haben, für den Wunsch, dass der Bücherbus weiterhin seine Runden drehen soll. Nicht nur wir in Waldkogel, sondern auch die anderen Gemeinden haben sich dafür stark gemacht. Aber die in der Kreisbehörde schalten auf stur, diese Sturköpfe, Dickschädel, Hornochsen!«, schimpfte Fellbacher.
»Sie haben dir den Wind aus den Segeln genommen, Fritz, wie?«
»Des kannst du laut sagen. Ich bin tief enttäuscht über diese Unbeweglichkeit. Es ist eine kulturelle Verarmung, wenn der Bücherbus nicht mehr die Gemeinden anfährt. Es ist traurig, Tassilo, sehr, sehr traurig. Ich habe mit den anderen Kollegen in den umliegenden Gemeinden telefoniert. Sie sind genauso enttäuscht.«
Fellbacher seufzte.
»Was hätte ich ihnen sagen können? Ich hatte die Nase voll. Deshalb sitze ich hier am Bergsee. Ich musste ein bissel allein sein.«
»Soll ich gehen?«
»Schmarrn, Tassilo! Bleib hier, wenn du Zeit hast.«
Der Graf reichte ihm noch einmal den Flachmann mit dem Obstler.
Fritz Fellbacher trank. Nach einer nachdenklichen Pause sagte er: »Die Kinder wollten sogar einen Protestumzug organisieren. Ich hatte sie noch darin bestärkt. Was soll ich ihnen jetzt sagen? Soll ich sie warnen, dass die Mühe vergeblich ist? Gerade die Kinder haben den Bücherbus viel genutzt, die Kinder und die älteren Leute. Sie verlassen sich auf mich, Tassilo. Der Fellbacher, der wird es schon deichseln, heißt es.«
»Das zeigt mir nur, dass du ein Mensch bist und kein Übermensch.«
Fellbacher schmunzelte. »Ich bin wahrlich kein Übermensch. Ich liebe mein Waldkogel. Ich bin ein echter Waldkogeler Bub. Meine Heimat und die Leute hier, die bedeuten mir viel.«
»Das wissen alle, Fritz. Es wird schon werden.«
»Wie? Du hast doch das Schreiben gelesen. Da steht drin, dass der Beschluss endgültig sei.«
»Du bist doch ein schlauer und einfallsreicher Politiker, Fritz. Dir wird etwas einfallen. Ich verstehe, dass auch du mal einen schlimmen Tag hast – wie wir alle.«
»Den habe ich, das gebe ich zu. Und dafür schäme ich mich auch. Eigentlich darf ich mich nicht so hängen lassen.«
»Du bist eben tief enttäuscht worden.«
»Ja, das bin ich. Weißt du, Tassilo, bisher habe ich weit größere Sachen für Waldkogel durchsetzen können. Es hat immer alles geklappt. Doch wie es aussieht, muss ich diesmal eine Niederlage eingestehen.«
»Du siehst des als persönliches Versagen an?«
Bürgermeister Fritz Fellbacher schwieg eine Weile. Tassilo ließ ihm Zeit zum Nachdenken.
»Ja, du hast recht, es ist so, Tassilo. Ich weiß auch nicht, warum mich das so schwer trifft. Ich nehme es wirklich persönlich. Ich fühle mich als Versager. Wenn es mir nicht gelingt, den Bücherbus zu erhalten, was tauge ich dann noch als Bürgermeister? Ich dachte wirklich, das ist eine Kleinigkeit.«
Tassilo Graf von Teufen-Thurmann schüttelte den Kopf.
»Fritz, du steigerst dich da in etwas hinein. Du bist ein guter Bürgermeister. Warum sollte diese Angelegenheit etwas daran ändern? Fritz, das ist völlig hirnrissig. Das ist deppert. Ich sage dir, du bist auf dem Holzweg. Rappel dich auf und kämpfe weiter! Wenn es mit der Kreisbehörde nicht geht, dann muss es ohne sie gehen. Bisher hast doch jeden in Grund und Boden gestampft, der Waldkogel etwas Böses anhaben wollte.«
Fritz Fellbacher schwieg. Er wusste, dass Tassilo recht hatte. Er schämte sich, dass ihn die Absage getroffen hatte und er so niedergeschlagen war. Er wunderte sich insgeheim über sich selbst. So kannte er sich selbst nicht. Seit vielen Jahren kämpfte er für das Wohl seiner Gemeinde. Während der Gemeinderatssitzungen hatte er sich stets gegen Franz Huber durchgesetzt und seine Intrigen durchschaut.
Als könnte Tassilo Gedanken lesen, sagte er: »Du hast es bisher geschafft, dass Ruppert Schwarzer mit all seinen dunklen Plänen in Waldkogel gescheitert ist. Und du hast das geschafft, obwohl Schwarzers Bazi, der Franz Huber, im Gemeinderat sitzt. Das musst du dir bewusst machen, Fritz. Das ist doch ein Erfolg, der sich sehen lassen kann. Und mit dem Bücherbus, da wird dir auch noch etwas einfallen.«
Fritz Fellbacher schaute auf die Uhr.
»Viel Zeit habe ich nicht mehr. Ich habe den Kindern versprochen, in die Schule zu kommen, um mit ihnen über den Protestumzug gegen die Einstellung des Bücherbusses zu reden. Sie warten auf mich. Ich werde ihnen die traurige Nachricht mitteilen müssen. Schließlich kann ich ihnen doch keine falschen Hoffnungen machen.«
»Mm«, brummte Tassilo. »Wann wolltest hin?«
»Jetzt!«
»Dann rufst du an und sagst, dass ein wichtiger Termin dazwischengekommen ist und du dich die Tage meldest.«
»Tassilo, ich will mich nicht drücken. Ich scheue mich nur davor, enttäuschte Kinderaugen zu sehen. Belügen will ich sie auch nicht.«
Fellbacher ließ wieder den Kopf hängen.
»Herrschaftszeiten«, rief Tassilo und schüttelte den Kopf, »du bist heute wirklich schwer zu ertragen, Fritz. Mei, des schreit zum Himmel mit dir! Jeder hat mal einen schwarzen Tag. Wer behauptet, er kenne so etwas nicht, der lügt, jedenfalls belügt er sich selbst. In einer solchen Lage braucht man gute Freunde, die einem helfen. Und genau das werde ich jetzt tun. Ich muss noch schnell zur Post. Auf dem Rückweg nehme ich dich mit aufs Schloss. Ich lade dich zum Mittagessen ein. Da hast du deinen wichtigen Termin! Du rufst jetzt Gina an und bittest sie, die Kinder zu verständigen, dass du an einem anderen Tag mit ihnen redest, du seiest wegen eines überraschenden Termins leider verhindert. Dann bleibst du hier sitzen, bis ich zurückkomme.«
Tassilo legte die Hand auf Fritz’ Schulter und schaute ihn an.
»Hast du mich verstanden, Fritz?«
»Irene wartet mit dem Mittagessen auf mich.«
»Die wird sicherlich schon oft vergeblich gewartet haben. Rufe deine Frau an oder lass Gina sie anrufen. Wir essen zusammen. Zenzi muss einen schönen Schweinsbraten im Ofen haben. Ein verführerischer Duft drang aus der Küche, als ich wegging. Anschließend überlegen wir, was du tun kannst. Nach dem Essen kannst du wieder klar denken.«
Bürgermeister Fritz Fellbacher wollte etwas entgegnen. Aber Tassilo schnitt ihm das Wort ab. Er duldete keinen Widerspruch. So gab sich Fellbacher geschlagen.
Tassilo stieg in seinen Geländewagen und fuhr los.
Fellbacher blieb auf der Bank am Bergsee sitzen. Nach dem Gespräch mit dem Freund fühlte er sich etwas besser, obwohl er sich ein wenig schämte, Schwäche gezeigt zu haben. Er konnte nicht verstehen, warum ihn das ablehnende Schreiben der Kreisbehörde so sehr mitgenommen hatte. Das entsprach ganz und gar nicht seiner Art.
Vielleicht war ich mir zu siegessicher, dachte Fellbacher. Er gestand sich ein, dass er damit gerechnet hatte, das Steuer herumwerfen zu können. Er fragte sich, ob er zu eitel und zu überheblich gewesen war. Darüber wollte er mit Zandler reden, der zur Abendmesse wieder in Waldkogel sein wollte.
Es dauerte nicht lange, dann kam Tassilo zurück. Fellbacher stieg zu ihm in den Geländewagen, und sie fuhren zum Waldschlösschen, dem alten Familiensitz der Grafen von Teufen-Thurmann.
*
Es war Nacht in Berlin, über der deutschen Metropole lag ein klarer Sternenhimmel. Kerstin Buchmann trat aus ihrem Büro in der obersten Etage hinaus auf die Terrasse und streckte sich. Es war bereits nach Mitternacht. Ihr Nacken schmerzte vom stundenlangen Arbeiten am Computer. Sie ließ den Kopf kreisen und machte Lockerungsübungen.
Sie schaute hinauf in den Sternenhimmel. Er ist schön, dachte sie. Aber der Sternenhimmel von Waldkogel ist schöner. Sie lächelte still vor sich hin, als sie an Waldkogel und die Berge dachte. Sie sehnte sich nach der Natur und den Bergen. Ich sollte mal wieder hinfahren, dachte sie. Im nächsten Augenblick verdrängte ein starkes Pflichtbewusstsein den Wunsch.
Kerstin kehrte an den Schreibtisch zurück, packte ihre Sachen zusammen und fuhr mit dem Aufzug hinunter.
In der Eingangshalle saß zu dieser Stunde der alte Pförtner Adam Blau am Empfang, der nachts seine Runden durch das Gebäude drehte.
Kerstin kannte ihn seit ihrer Kindheit. Er wohnte damals in der gleichen Siedlung am Ortsrand von Berlin. Dort hatte Kerstin die Kindheit verbracht, bis ihre Eltern in einem Nobelviertel eine alte Villa kauften. Als Adam Blau in Rente ging, fragte er Kerstins Vater, ob er nicht noch eine Aufgabe für ihn hätte. Er sah sich noch nicht beim alten Eisen. So übernahm er einige Nachtschichten im Monat.
»Na, endlich haste Schluss gemacht, Kerstin«, rief er ihr zu.
Er ging zur Tür und schloss sie für sie auf.
»Siehst müde aus, Kerstin. Bist morgens sehr früh hier und abends die Letzte. Immer nur arbeiten, det is nich jut.«
Kerstin seufzte.
»Was soll ich machen, Onkel Adi?«, fragte sie.
Wenn sie mit ihm allein war, was nachts oft vorkam, sprach sie ihn mit dem vertrauten Du an, wie sie es in ihrer Kindheit gemacht hatte. Er war für alle Kinder Onkel Adi gewesen, der für sie in seinem Garten ein Baumhaus gebaut hatte.
»Vater zählt auf mich«, fügte Kerstin hinzu.
»Ick will nix gegen Klaus sagen, ick kenn ihn schon seit Anno Tobak. Aber ick meen, er is’n Rabenvater, det sag ich dir janz offen. Da kann ick den Klaus nich vastehn. Wie sollste denn einen Mann kennenlernen, wenn de nur uff Arbeit bist?«
Kerstin lächelte matt.
»So wie es aussieht, werde ich nie heiraten. Woher soll ich die Zeit für eine Familie nehmen?«
»Det is nich richtig, Kindchen«, sagte der alte Mann und schüttelte den Kopf.
Kerstin lächelte wieder und ging.
Auf dem Parkplatz, der mit ihrem Namen gekennzeichnet war, stieg sie in ihren eleganten Sportwagen, ein Geschenk ihres Vaters zum Examen. Sie startete den Motor und fuhr los.
Ohne dass sie es ihr bewusst war, steuerte sie die Berliner Kneipe an, die ihre Freundin Marina betrieb. Nach der Frühinvalidität ihres Vaters hatte Marina sie übernommen. Anfangs unterstützte sie ihr Freund dabei, dann ging die Beziehung in die Brüche, und Marina machte allein weiter.
Kerstin fand einen Parkplatz direkt vor dem Lokal. Drinnen brannte noch Licht. Sie rief ihre Freundin übers Handy an.
Marina nahm das Gespräch nicht an. Stattdessen öffnete sich die Lokaltür. Kerstin stieg aus dem Sportwagen und umarmte die Freundin.
»Du hast Glück, dass ich noch auf bin. Ich hatte die Bude voll. Einer meiner Stammgäste hatte Geburtstag. Ich war am Saubermachen, bis eben. Komm rein!«
»Danke!«, sagte Kerstin.
Marina warf der Freundin einen Seitenblick zu. Sie schloss die Tür ab. »Komm, wir gehen nach oben!«, sagte Martina. »Ich habe Hunger, und dir sehe ich an, dass du noch nichts Richtiges gegessen hast.«
Sie gingen durch eine Seitentür ins Treppenhaus. Die alten Holzdielen knarrten.
Die kleine Wohnung überm Lokal war gemütlich. Die beiden Freundinnen setzten sich an den Küchentisch. Marina wärmte einen Eintopf mit Würstchen auf und füllte die Teller.
»Das ist richtig lecker«, sagte Kerstin. »Ich hatte zu Mittag nur ein Sandwich, und dann habe ich durchgearbeitet.«
»Dein Vater beutet dich aus«, sagte Marina knapp.
»Macht dein Vater das nicht auch?«, fragte Kerstin.