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James Bond macht in Kalifornien Urlaub - doch prompt wird er Zeuge des Mordes an einem amerikanischen Agenten. M besteht darauf, dass Bond und das FBI zusammenarbeiten. Bald erregt Brokenclaw Lee, halb Chinese, halb Crow-Indianer, Bonds Aufmerksamkeit. Ein großer Mann, der Macht und Grausamkeit ausstrahlt. In San Francisco erfährt James Bond mehr über den geheimnisvollen Mr. Lee und sein Unterweltimperium sowie über fünf verschwundenen Wissenschaftler und ihre ultrageheime Arbeit. Und er lernt Chi-Chi kennen, seine neue wunderschöne Partnerin. Plötzlich ist das Leben wieder interessant. Und sehr sehr gefährlich.
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Seitenzahl: 384
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Die deutsche Ausgabe von JAMES BOND – OPERATION JERICHOwird herausgegeben von Amigo Grafik, Teinacher Straße 72, 71634 Ludwigsburg.Herausgeber: Andreas Mergenthaler und Hardy Hellstern,Übersetzung: Anika Klüver und Stephanie Pannen;verantwortlicher Redakteur und Lektorat: Markus Rohde;Lektorat: Katrin Aust und Gisela Schell; Satz: Rowan Rüster/Amigo Grafik;Cover Artwork: Michael Gillette. Printausgabe gedruckt vonCPI Morvia Books s.r.o., CZ-69123 Pohorelice.
Titel der Originalausgabe: JAMES BOND – BROKENCLAW
German translation copyright © 2016, by Amigo Grafik GbR.
Copyright © Ian Fleming Publications Limited 1990The moral rights of the author have been asserted.Die Persönlichkeitsrechte des Autors wurden gewahrt.
Ian Fleming and the Ian Fleming logo are both trademarks owned by the Ian Fleming Estate, used under licence by Ian Fleming Publications Ltd.
JAMES BOND and 007 are registered trademarks of Danjaq LLC,used under license by Ian Fleming Publications Limited. All Rights Reseved.
Print ISBN 978-3-86425-858-9 (Juli 2016)E-Book ISBN 978-3-86425-757-5 (Juli 2016)
WWW.CROSS-CULT.DE · WWW.IANFLEMING.COM
John Gardner war ein britischer Spionageroman- und Krimiautor. 1979 erhielt er von Glidrose Publications (heute Ian Fleming Publications) offiziell den Auftrag, Ian Flemings Vermächtnis weiterzuführen und neue James-Bond-Abenteuer zu schreiben. Zwischen 1981 und 1996 schrieb Gardner vierzehn eigene James-Bond-Romane und die Bücher zu zwei James-Bond-Filmen.
Bevor er in den frühen 1960ern eine Karriere als Romanschriftsteller begann, war John Gardner als Zauberkünstler, Offizier der königlichen Marine, Journalist und für kurze Zeit auch als Priester der Anglikanischen Kirche tätig. Gardner erschuf viele beliebte Figuren wie zum Beispiel Boysie Oakes und Herbie Kruger und verfasste insgesamt fünfundfünfzig Romane – darunter zahlreiche Bestseller –, bevor er im August 2007 verstarb.
Weitere Informationen finden sich auf www.john-gardner.com oder der Webseite für Ian Fleming: www.ianfleming.com.
Für Ed & Mary AnnaMit bestem Dank
Der betagte Mann trug eine Jeans und ein kariertes Hemd. Seine Füße steckten in bequemen Adidas-Sportschuhen. Den abgenutzten Panamahut hatte er tief in die Stirn gezogen, um seine Augen vor der Nachmittagssonne zu schützen. Er streckte sich auf seinem Liegestuhl aus, ließ die Zeitung, die er las, sinken und betrachtete die Aussicht, die er zu lieben gelernt hatte.
Dies, dachte er, könnte ebenso gut ein englischer Landgarten im Hochsommer sein. Die lange, ausladende Rasenfläche war akkurat geschnitten und vermittelte diesen angenehmen Trompe-l’œil-Effekt von breiten perfekten Streifen in zwei verschiedenen Grüntönen. Die Ränder waren mit rotem Salbei bepflanzt, der von dunkelvioletten Lupinen und zartrosa Malven überschattet wurde. Etwa fünfzig Meter von dem Mann entfernt endete der Rasen und ging in einen Rosengarten über, der mit einer Reihe Gitterbögen gestaltet war und dadurch wie ein langer farbiger Korridor wirkte. In der Ferne waren Bäume zu sehen und durch eine Lücke blickte man auf das Meer, das funkelnd die Sonne reflektierte.
Das Geräusch des Autos, das hinter ihm am Haus hielt, nahm der Mann nur beiläufig wahr. Dies war die perfekte Illusion, dachte er. Man konnte es jedem nachsehen, der das hier für einen Sommergarten in Surrey oder Kent hielt. Nur das Datum auf seiner Ausgabe des Times Columnist versicherte ihm, dass heute der 25. September war und er sich nur ein paar Kilometer entfernt von der Stadt Victoria auf Vancouver Island in British Columbia befand, wo die Vegetation aufgrund des durch die japanische Strömung milden Klimas das ganze Jahr über wuchs und gedieh.
Die Türklingel unterbrach seine angenehme Tagträumerei. Das Dienstmädchen war heute in Victoria einkaufen, also legte er die Zeitung beiseite, erhob sich und ging langsam und vor sich hin brummelnd ins Haus.
»Professor Allardyce?« Vor der Tür standen zwei junge Männer in Freizeithosen und Leinenjacketts. Ihren Wagen hatten sie auf der geschotterten Einfahrt abgestellt.
Der Professor nickte. »Was kann ich für Sie tun?«
»SIS.« Der größere des Duos sprach, und beide hoben eine Hand, um die laminierten Karten vorzuzeigen, die sie als Mitglieder des kanadischen Geheimdiensts auswiesen.
Der Professor nickte wieder. Er kannte ihre Organisation, auch wenn er diese beiden Agenten nie zuvor gesehen hatte. »Und was kann ich für Sie tun?«, wiederholte er.
»Es gibt ein paar Probleme. Die kürzliche Angelegenheit Lords betreffend …«
Allardyce zog die Augenbrauen hoch und schürzte die Lippen.
»Oh, das ist in Ordnung, Sir. Wir haben beide eine Sicherheitsfreigabe für Lords«, sagte der andere Agent schnell.
»Das hoffe ich doch«, erwiderte der Professor stirnrunzelnd. »Und was ist nun geschehen?«
»Der Boss würde Sie gerne sehen«, erklärte der größere der beiden.
»Im örtlichen Büro«, fügte der andere hinzu. »Er ist heute Morgen eingeflogen, lässt Sie grüßen und fragen, ob Sie ihm die Ehre erweisen würden.«
Eine Pause entstand, in der Professor Allardyce weiter die Stirn runzelte und die beiden Agenten verlegen von einem Bein aufs andere traten. Der größere der beiden öffnete den Knopf seines Leinenjacketts.
»Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich Ihr örtliches Büro anrufe?« Während Allardyce das sagte, wandte er sich bereits zum Gehen, um eindeutig anzuzeigen, dass er diesen Anruf machen würde, ob es ihnen nun passte oder nicht.
»Keine gute Idee, Prof …« Der größere Agent trat vor und drehte den betagten Mann herum, während der andere seine Handgelenke packte. »Sie kommen am besten einfach mit uns, klar?«
Der Professor war ein schmaler, schlacksiger Mann, doch zumindest wehrte er sich so stark, dass es die beiden jüngeren Männer erhebliche Kraft kostete, ihn festzuhalten. Allardyce wollte um Hilfe rufen, aber der größere Agent presste ihm die Hand auf den Mund. Prompt biss ihn der Professor.
»Als würde man mit einer Anakonda ringen«, stieß der eine hervor.
»Mit einem Sack voller Anakondas«, erwiderte der andere.
Doch schließlich hatten sie ihr Opfer unter Kontrolle gebracht. Obwohl er um sich trat, zerrten sie ihn zum Auto. Der größere Agent stieß Allardyce auf den Rücksitz und schlug ihm fest mit der Handkante in den Nacken. Der Professor sackte in sich zusammen. Sein Peiniger stieß ihn beiseite und setzte sich neben ihn, für den Fall, dass sein Gefangener wieder zu sich kommen sollte. Der zweite Mann setzte sich ans Steuer, fuhr aus der Einfahrt, und nach nur wenigen Minuten befand sich der Wagen auf der Straße, die von Victoria ins bewaldete Hinterland führte.
Professor Robert Allardyce war kein Narr. Mit einundsiebzig Jahren hatte er eine Menge erlebt, sowohl in seiner Tätigkeit als Spezialist für maritime Elektronik als auch im Leben an sich. Während des Zweiten Weltkriegs hatte er sich in der amerikanischen Marine einen Namen gemacht. Zwei Schiffe waren unter ihm gesunken und man hatte ihm das Navy Cross verliehen. Gegen Ende des Kriegs hatte er auf Unterseebooten gedient. Und für einen kurzen Zeitraum während der Ausbildung, bevor er sein begehrtes U-Boot-Kriegsabzeichen bekommen hatte, war Commander Bob Allardyce Mitglied des Marineboxvereins gewesen.
Der Schlag in den Nacken hatte dem Professor halb das Bewusstsein geraubt, doch als der Wagen die Hauptstraße erreichte, bekam er wieder mit, was geschah. Sein Nacken schmerzte vom Schlag und er nahm an, dass er steif sein und schmerzen würde, wenn, und falls, er versuchen sollte, sich zu bewegen. Also blieb er auf dem Rücksitz liegen, kam aber wieder vollständig zu sich. Es war besser, weiter eine Ohnmacht vorzutäuschen und dadurch vielleicht später aus der Situation einen Vorteil zu ziehen.
Sie fuhren etwa eine Viertelstunde, was Allardyce Zeit gab, sich auf seinen Zug vorzubereiten, als der Wagen zum Stehen kam.
»Sie sind noch nicht da«, sagte einer der Agenten.
»Wir sind zehn Minuten zu früh. Steig nicht aus. Bleib, wo du bist.«
»Ist er okay?«
»Der Prof? Ist weggetreten. Der bleibt mindestens noch eine halbe Stunde im Traumland.« Während er sich auf seine Aktion vorbereitete, bemerkte Allardyce, dass beide Männer eher einen kalifornischen als einen kanadischen Akzent hatten. Plötzlich sprang er auf, griff nach dem Türgriff und trat gleichzeitig nach dem Mann, der ihn geschlagen hatte und neben ihm saß. Dann war er aus dem Wagen gesprungen und rannte, ohne richtig zu bemerken, dass er sich zwischen Bäumen und Büschen befand.
Hinter ihm rief jemand etwas, das wie »Nein! Nein! Nein!« klang. Er hörte die zwei Schüsse nicht, sondern spürte nur einen plötzlichen brennenden Schmerz zwischen seinen Schulterblättern und einen Schlag wie von einer großen Faust, der direkt durch seinen Körper zu gehen schien. Dann sah er ein blendendes weißes Licht und gleich darauf nichts mehr.
In seiner Autopsie würde später stehen, dass Robert Allardyce seinen Verletzungen an Wirbelsäule und linkem Lungenflügel, hervorgerufen durch zwei .45-Kugeln, erlegen war. Im gleichen Moment, in dem diese Kugeln den unglückseligen Professor trafen, saß James Bond nur acht Kilometer entfernt im opulenten Gesellschaftsraum des Empress Hotels an Victorias schönem Binnenhafen.
Menschen, die Bond gut kannten, hätten bemerkt, dass seine Haltung und Mimik missbilligend waren und sein Blick hart und ruhelos. Es war der Blick eines Mannes, dem man verdorbenen Fisch serviert hatte. Tatsächlich war Bond von der Art und Weise irritiert, wie dieses altehrwürdige und berühmte Hotel etwas servierte, das es English Tea nannte. Während seiner vier Tage in Victoria hatte Bond es vermieden, seinen Tee im Hotel einzunehmen, doch heute hatte er im Victoria Golf Club zwei Runden mit desinteressierten Partnern gespielt und war früher zurückgekommen als gewöhnlich. Tee schien angebracht, und man hatte ihn zu einem kleinen Tisch direkt neben einer riesigen Topfpflanze geführt.
Das Erste, was ihm unangenehm auffiel, war eine Karte, auf der eine hochgradig fehlerhafte Geschichte dessen abgedruckt war, was sie »Das Englische Teeritual« nannte. Der Text behauptete, dass die Teestunde irgendwann im späten neunzehnten Jahrhundert zu einer »ernsthaften« Mahlzeit namens High Tea geworden sei.
Bond konnte sich zwar immer noch an die Freuden der halb spielerischen Teestunden in seinem Kinderzimmer erinnern, war aber noch nie in der Position gewesen, High Tea zu sich zu nehmen. Und nun wollte man ihn glauben machen, dass es sich bei der Zusammenstellung vor ihm um High Tea handelte – ein lieblos aufgebrühter Tee, Erdbeeren mit Sahne, kleine Sandwiches, geschmacklose Petit Fours und eine Abscheulichkeit namens »Honey Crumpet«. Für Bond waren Crumpets köstliche kleine Hefeküchlein, die dampfend heiß und mit reichlich Butter bestrichen serviert wurden, keinesfalls jedoch mit Marmelade oder wie hier mit Honig.
Bond ließ das Mahl fast unangetastet, unterschrieb die Rechnung und flanierte aus dem Speisesaal in Richtung Foyer. Er beschloss, einen Spaziergang entlang des Hafens zu machen, der ihn aus irgendeinem Grund an die Schweiz erinnerte. Die Berge waren zwar weit entfernt – in Washington State –, doch die ruhige Anlegestelle mit den hübschen Booten, Wasserflugzeugen und der Mischung aus alten und modernen Gebäuden strahlte einfach die gleiche Atmosphäre aus, die man auch an einem der schweizer Seen finden würde.
Einen Moment lang stand er nur am Hoteleingang. Es war ein herrlicher Tag gewesen, und die Sonne stand nun sehr tief und begann den westlichen Himmel einzufärben. Im Wendekreis, etwa dreißig Meter vom Eingang entfernt, stand ein schnittiger dunkelblauer Rolls-Royce, und ein nervös wirkender junger Mann, dessen Kopf und Blick in ständiger Bewegung waren, sprach mit einem uniformierten Chauffeur an der Fahrertür des Wagens.
»Entschuldigen Sie, Sir.« Einer der grau livrierten Portiers schob ihn sanft beiseite, als würde gleich jemand von großer Wichtigkeit das Hotel verlassen. Im selben Augenblick bemerkte Bond zwei Männer, die stark nach Sicherheitsdienst aussahen und am Portier vorbei auf den Rolls-Royce zumarschierten. Einer trug das obligatorische Headset eines Kugelfängers, wie man professionelle Leibwächter auch nannte, der andere einen langen offenen Regenmantel, ein beliebtes Requisit des amerikanischen Secret Service, um eine Uzi oder H & K MP5A2 zu verbergen.
Drei weitere Männer gingen durch die Tür, und einer von ihnen wurde offensichtlich beschützt. Bond musste zweimal hinsehen, als die beeindruckende Gestalt auf den Rolls zuging und sich leicht umdrehte, als ihr der nervöse junge Mann mit dem Chauffeur entgegenkam, um sie zu begrüßen.
Diese Gestalt war so faszinierend, dass Bond fast entgangen wäre, was als Nächstes geschah. Der Mann war über ein Meter achtzig groß, eher ein Meter neunzig, hatte breite Schultern, ging sehr aufrecht und schien in hervorragender körperlicher Verfassung zu sein. Man konnte die Muskeln, die sich unter dem teuren, maßgeschneiderten, doppelreihigen grauen Anzug verbargen, förmlich arbeiten sehen. Sein Gesicht war noch bemerkenswerter als seine Statur: dunkle, fast olivfarbene Haut, eine breite Stirn, eine vornehme Nase und ein Mund, der von einem Künstler hätte geschaffen sein können – breite sinnliche Lippen, die aber in perfekter Proportion zum Rest des Gesichts standen. Die Knochenstruktur war fast die eines reinblütigen amerikanischen Ureinwohners. Nur die dunkelbraunen Augen passten nicht zu diesem Bild, denn sie waren leicht mandelförmig mit schweren Lidern. Dies ließ auf asiatisches Blut schließen. Wer immer er war, dieser Fremde war schwer zu vergessen.
Der nervöse junge Mann hatte schnell und leise mit ihm gesprochen, während das ruhige Gesicht des großen Fremden beim Zuhören einen besorgten Ausdruck angenommen hatte. Er stand leicht vorgebeugt, damit er den Sprecher hören konnte, ohne dass dieser seine Stimme heben musste.
Die beiden standen jetzt sehr nah am Rolls, und Bond konnte beide Gesichter gut erkennen. Doch erst als der junge Mann mit seiner kurzen Rede fertig war, konnte Bond seine Lippen lesen.
»… und sie sagen, dass er tot ist«, schien er zu berichten.
»Die Idioten haben ihn erschossen?« Zweifellos formte der Mund des Fremden das Muster dieser leicht schockiert wirkenden Frage.
Der Jüngere nickte. »Sie sagen, dass sie tief gezielt haben … aber …«
Die imposante Gestalt hob eine Hand. »Ich werde mich später um sie kümmern.« Sein Gesicht wirkte für eine Sekunde wutverzerrt. »Sagen Sie ihnen, dass sie Lords möglicherweise unkalkulierbaren Schaden zugefügt haben.«
Die Kunst des Lippenlesens hatte sich Bond vor einer Weile angeeignet. Während eines Krankenhausaufenthalts in Hongkong, wo er sich von einer besonders gefährlichen Mission erholt hatte, hatte ihm ein Mädchen namens Ebbie Heritage die Grundkenntnisse beigebracht. Er würde lange brauchen, um diese junge Frau zu vergessen. Sie hatte ihn gut gelehrt, und nun hatte James Bond diese Fertigkeit zum ersten Mal auf die Probe gestellt. Er war bereit, vor einem Gericht zu beschwören, dass der große Fremde von einem kürzlichen Todesfall und dem daraus resultierenden möglicherweise irreparablen Schaden an jemandes Plan gesprochen hatte.
Als er das Gehörte verdaut hatte, war der Fremde bereits mit seinem Leibwächter in den Rolls gestiegen und der Wagen bewegte sich langsam zur Vorderseite des Hotels.
Er drehte sich zu einem der Portiers um. »Wer war denn dieser imposante Herr im Rolls-Royce?«, fragte er.
Der Portier lächelte schwach. »Das war Mr Lee, Sir. Der berühmte Mr Lee. Er ist auf dem Weg zu einer besonderen Ausstellung im Museum of British Columbia ganz in der Nähe.« Er zeigte nach links.
Bond nickte dankbar und flanierte zum Hafen, bog nach links auf die Government Street ab, bis sie auf die Belleville traf, und ging in Richtung des Museums, das er erst vor zwei Tagen mit großem Interesse besucht hatte. Die große und elegante Gestalt von Mr Lee, wie der Portier ihn genannt hatte, faszinierte Bond so sehr, dass er mehr über diesen Mann erfahren wollte.
Das Empress Hotel belegte einen ganzen Block zwischen der Government und Douglas Street und reichte bis zur Belleville. Dort wurde der nächste Block fast vollständig von dem herrlich großen und modernen Museum eingenommen.
Bond sah sich um und schien nicht besonders in Eile zu sein, während er die letzten paar Meter zum Museum zurücklegte. Rechts von ihm stand in einem Park vor dem Parlament die Statue von Königin Victoria. Sie wirkte nicht besonders amüsiert.
Er blieb an der Ampel stehen und während er darauf wartete, dass sie auf Grün sprang, betrachtete er das große verwinkelte Museumsgebäude, das von einem modernen Glockenturm und dem Thunderbird Park mit seinen farbenprächtigen großen Totems eingerahmt wurde. In Gedanken hörte Bond seine alte schottische Haushälterin May: »Das Problem mit Ihnen ist, dass Sie Ihre Nase immer in Angelegenheiten stecken, die Sie nichts angehen, Mr James. Neugier ist der Katze Tod, wissen Sie?«
Aber er war neugierig und fasziniert von diesem großen Mann, den er nur ein paar Augenblicke lang gesehen hatte. Zum ersten Mal seit Monaten war James Bond an etwas interessiert.
Der Rolls parkte an der Seite des großen Gebäudes, direkt am Museumsladen und Eingang. Sein Chauffeur lehnte an der Beifahrertür. Bond flanierte am Laden vorbei, fuhr sich durch die Haare und betrat dann im Laufschritt den Haupteingang. An der Kasse warteten etwa ein Dutzend Leute. Er drängte sich an ihnen vorbei und winkte einen Mitarbeiter heran.
»Ich bin spät dran«, keuchte er und bemühte sich, gehetzt zu wirken. »Ich sollte Mr Lee begleiten.«
Der Mitarbeiter schluckte den Köder. »Natürlich, Sir. Sie sind alle oben in der Kunstgalerie. Dritter Stock.« Er hielt ein paar Besucher zurück, um Bond durchzulassen.
Er erinnerte sich von seinem kürzlichen Besuch an den dritten Stock – dort befand sich eine Ausstellung über die Ureinwohner dieses Landes. Wundervolle lebensgroße Darstellungen indianischer Häuptlinge, prächtig detaillierte Modelle eines Kootenay-Dorfs und einer Küstensiedlung der Skedan, zusammen mit Artefakten der alten Indianerstämme, die sich in dieser Gegend als Erste niedergelassen hatten. Werkzeuge, Kunstwerke, Kanus, Masken und gewebte Stoffe machten deutlich, dass die Ureinwohner im Einklang mit ihrer Umwelt gelebt hatten.
Er lief die Rolltreppen in den dritten Stock hinauf, vorbei an den Glaskästen und raffiniert beleuchteten Ausstellungsstücken, wandte sich nach rechts und wurde langsamer, als er die riesige Reproduktion eines Langhauses der Kwakiutl-Indianer betrat, das aus langem Gebälk und alten Planken bestand. Ein Teil des Dachs war offen und darüber war eine Nachbildung des Himmels angebracht. Von einem echt wirkenden Feuer im Zentrum stieg der Geruch von Holzrauch auf, während zwei riesige Donnervogeltotems über allem wachten. Ihre hölzernen Flügel waren ausgestreckt, und die geschnitzten Gesichter mit den langen aggressiven Schnäbeln wirkten, als würden sie zum Leben erwachen und jeden angreifen, der ihre Schützlinge angreifen wollte. Aus einem versteckten Lautsprecher drang der Klang indianischer Gesänge, und der beständige Rhythmus der Trommeln sorgte dafür, dass sich ihm die Nackenhaare aufstellten.
Leise bewegte er sich durch das Langhaus, das in die Ausstellung führte, wo es weitere wunderschön geschnitzte Totems, Wappen, Masken, ineinander verschlungene Schlangen und die Skulpturen unzähliger übernatürlicher Wesen zu sehen gab, die Hütten und Dörfer bewacht hatten.
Vor einem kunstvoll verzierten großen Totem mit zwei kleinen Flügeln hatten sich die Gäste in einem Halbkreis versammelt.
Unauffällig schob sich Bond in diese kleine Gruppe und sah sich um, bis er Lee gefunden hatte, der mit seinen Leibwächtern hinter sich direkt vor dem Totem stand. Ein kleiner ästhetisch aussehender Mann mit einem Zwicker auf der Nase, der für sein Gesicht zu groß erschien, sprach gerade, und Bond bemerkte, dass Lee geschrumpft zu sein schien, als könnte er seine Größe und dominierende Präsenz verbergen. Es war fast ein Zaubertrick, als könnte der Mann trotz seines gebieterischen Gebarens in der Menge verschwinden. Aber es funktionierte. Eigentlich hätten alle Augen auf Lee gerichtet sein sollen, doch die Anwesenden lauschten aufmerksam dem Sprecher, bei dem es sich um einen der Kuratoren oder ein Vorstandsmitglied des Museums handeln musste.
»Diese großzügige Spende«, sagte der Museumsoffizielle, »ist typisch für die Großzügigkeit, die Mr Lee den verschiedenen Gemeinden von Vancouver Island gezeigt hat. Es ist eine selbstlose Geste, dieses antike Totem dem Museum zu schenken – nicht zu leihen. Ein Totem, das für nahezu ein Jahrhundert mit seiner Familie verbunden war. Wir sind äußerst dankbar und wünschen uns nur, dass Mr Lee dauerhaft bei uns leben könnte. Doch auch wenn er, wie Sie sicher wissen, ein Grundstück auf der Insel besitzt, gestatten es ihm seine geschäftlichen Interessen in den Vereinigten Staaten und Europa nur selten, hier zu sein. Aber heute ist er es, und ich werde ihn bitten, ein paar Worte zu sagen, bevor wir diese wertvolle Schnitzerei in unsere Obhut nehmen. Meine Damen und Herren, Mr Lee Fu-Chu.«
Das war es also, dachte Bond. Lee war eine Art Halbblut, teils Chinese und teils … was? Noch bevor er darüber nachdenken konnte, sah er, wie Lee eine erstaunliche Wandlung vollzog. Bis zu diesem Moment war er nicht mehr als ein unbeteiligter Zuschauer gewesen. Doch jetzt richtete er sich zu voller Größe auf und ging nach vorne. Seine linke Hand, die zu einer Faust geballt war, hielt er hinter seinem linken Oberschenkel, die rechte machte eine Geste in Richtung des Museumsmitarbeiters, der gesprochen hatte. Er hielt den Kopf fast arrogant hoch, die großen braunen Augen funkelten vor Charme, und sein breiter Mund verzog sich zu einem aufrichtig erfreuten Lächeln, das seine perfekten Zähne zeigte. Er schüttelte die Hand des Redners, drehte sich dann um und ließ seinen Blick über die versammelte Menge schweifen, als würde er jeden einzelnen von ihnen ins Vertrauen ziehen. Seine Stimme war sanft und elegant, ohne den Hauch eines Akzents, weder amerikanisch noch kanadisch. Lee sprach fast perfektes Englisch, das nicht gekünstelt klang. Er sprach weder mit der übertriebenen Betonung des sogenannten Oxfordenglisch, noch deutete seine Aussprache darauf hin, dass Englisch nicht seine Muttersprache sein könnte.
»Meine guten Freunde«, begann er, und Bond spürte, dass er es genau so meinte, jede Person hier war ein guter und vertrauter Freund. »Es ist mir immer ein Vergnügen, hierher nach British Columbia zurückzukehren, und nicht nur weil hier meine Wurzeln sind. Ich komme immer wieder gerne her, um mich an dieses großartige Erbe zu erinnern. Viele von Ihnen kennen bereits die Geschichte meines Geburtsrechts, von dem ich einen Teil heute an dieses Museum weitergegeben habe. Ob Sie es nun bereits gehört haben oder nicht, fühle ich mich verpflichtet, die Geschichte ein weiteres Mal zu erzählen. Fürs Protokoll sozusagen.« Die Augen strahlten vor Hochgefühl, und seine Stimme wurde ein wenig tiefer, als würde er an die Umstehenden einen lange verschollenen Schatz, ein Geheimnis weitergeben.
Die Geschichte, die er zu erzählen hatte, war faszinierend – sein Urgroßvater war in den 1840ern zur Zeit des Goldrauschs aus der chinesischen Provinz Shanxi, wo er mit Gold gehandelt hatte, nach British Columbia gekommen. Dieser Mann war von einer kriegerischen Gruppe Crow-Indianer gefangen genommen und als Geisel gehalten worden. Während dieser Zeit verliebte er sich in ein wunderschönes Crow-Mädchen namens Running Elk.
Schließlich entkam das Paar und suchte Zuflucht bei den Piegan-Blackfoot-Indianern. In diesem Stamm wurden sie akzeptiert, schlossen Blutsbruderschaft mit ihren Rettern und wurden verheiratet.
Diese Verbindung zwischen einem chinesischen Edelmetallhändler und einer Crow-Indianerin war der Ursprung von Lees Stammbaum, denn diese genetische Mischung wurde durch drei Generationen getragen. Lee selbst war durch seine Eltern, Flying Eagle Lee und Winter Woman, in beiden Traditionen aufgewachsen.
Bond fand, dass der Mann eine fast hypnotische Anziehungskraft hatte, denn obwohl er seine Geschichte mit schlichten Worten erzählte, erwachte sie in den Köpfen der Zuhörer zum Leben. Als er die ins Englische übersetzten indianischen Namen erwähnte – Running Elk, Flying Eagle, Winter Woman und so weiter –, benötigten die Worte keine weitere Erklärung, sondern nahmen sofort Gestalt an und wurden zu lebenden Wesen. Es war das Talent, das die Sagenerzähler besessen haben mussten, die in alten Zeiten auf Marktplätzen ihre Zuhörer mit Fabeln und Legenden erfreut hatten. Lee sprach immer noch und lächelte breit, als er sagte: »Um ehrlich zu sein, gibt es Momente, in denen ich nicht weiß, ob ich undurchschaubar und mysteriös sein oder den edlen Wilden spielen soll.« Das sorgte für ein anerkennendes Lachen unter den Zuhörern, in das Lee einstimmte, bevor er wieder ernst wurde.
»Das Totem, das ich Ihnen heute übergeben habe, stand vor dem Tipi meines Großvaters und Vaters. Ich kenne es wie einen alten Freund. Als Kind spielte ich zu seinen Füßen und sah während Ritualen und Zeremonien zu ihm auf wie zu einem geheiligten Objekt. In seinem Holz stecken Macht und ein langes Gedächtnis. Also achten Sie gut darauf.«
Der Applaus war herzlich, doch Lee hob seine rechte Hand, um die Menge zum Schweigen zu bringen. »Ich habe gehört«, sagte er mit einem fast verschwörerischen Lächeln, »dass ich ein Betrüger sein soll, dass ich mir diese Geschichten ausgedacht habe und dass ich nicht mehr bin als das Kind eines umherziehenden chinesischen Schneiders und einer Blackfoot-Frau, die in Fort Benton ihren Körper verkauft hat. Nichts davon ist wahr. Kommen Sie zu mir, ich habe schriftliche Beweise. Und wenn Sie ins Blackfoot-Reservat kommen sollten, fragen Sie nach Brokenclaw, denn das ist ebenfalls mein Erbe.« Er zog seine linke Hand hinter seinem Oberschenkel hervor und streckte beide Arme aus, die Handinnenflächen nach oben.
Zuerst erkannte Bond es nicht, dann wurde ihm klar, dass Lees linke Hand den Daumen rechts hatte. Seine linke Hand war sein einziger körperlicher Makel, als wäre seine Hand falsch herum am Gelenk angewachsen. Wenn die Handinnenflächen nach unten zeigten, war der Daumen links.
Wieder klatschte die Gruppe, und die Versammlung begann sich aufzulösen. Das Letzte, was Bond von Brokenclaw Lee sah, waren sein Kopf und seine Schultern über einer Gruppe, die in Richtung Rolltreppen ging.
Bond blieb noch eine Weile und betrachtete das antike Totem mit seinen Symbolen Schlange, Vogel und Waage, die, wie Bond dachte, nicht für Gerechtigkeit stand, sondern für Gold. Je länger er hinsah, desto mehr fielen ihm seltsame, sogar groteske Gesichter auf, die aus den geschnitzten Blättern und Ästen hervorlugten.
Schließlich wandte sich Bond mit einem Lächeln ab und ging zurück durch das indianische Langhaus. Der Klang der Trommeln und der Gesang sorgten wieder dafür, dass sich ihm die Nackenhaare aufstellten.
Dies war eine seltsame und doch aufregende Ablenkung gewesen – jemanden so Charismatisches wie Lee zu sehen und seine Geschichte zu hören, die ebenso gut ein Lügenmärchen sein konnte. Doch während er zum Empress zurückspazierte, wurde ihm klar, dass es das erste Mal seit fast einem Jahr war, dass er sich für etwas anderes als sich selbst interessiert hatte.
Dieses Halbblut Lee hatte alles – Präsenz, Macht, Scharfsinn, Stärke, Charisma, Charme und offensichtlichen Erfolg. Er würde eine ideale Übung darstellen, dachte Bond. Während seines Aufenthalts hier in British Columbia würde er seine Zeit damit verbringen, herauszufinden, wie Lee zu seinem Erfolg gelangt war und was das wahre Geheimnis seiner Macht war. Bei jemandem, der so kultiviert war, konnte das nicht allzu schwer sein.
Als er in sein Hotelzimmer zurückkehrte, musste Bond jedoch feststellen, dass sich die Dinge rasant geändert hatten. Auf seinem Telefon blinkte das Nachrichtenlämpchen. Man sagte ihm, dass ein Telegramm aus den Vereinigten Staaten eingetroffen sei, und fünf Minuten später las er die Nachricht:
PROBLEME WEGEN IHRER ANTEILE AM FAMILIENUNTERNEHMEN STOPP UNBEDINGT ERFORDERLICH, DASS SIE SOFORT NACH SAN FRANCISCO KOMMEN STOPP IM FAIRMONT HOTEL IST EIN ZIMMER FÜR SIE RESERVIERT STOPP BITTE WARTEN SIE DORT AUF NACHRICHTEN STOPP GRUSS MANDARIN
Ach so, dachte Bond, während er das dünne Papier zusammenknüllte, dann hatte ihn der alte Mann also von Anfang an für einen Auftrag in Kalifornien vorgesehen gehabt. Er erinnerte sich an Ms Worte vor knapp zwei Wochen: »Sie müssen sich mal ausruhen, James. Gehen Sie nach Kalifornien. Dort sind alle verrückt, Sie werden also in guter Gesellschaft sein.«
Der alte Gauner, dachte Bond. Dann lächelte er und nahm den Telefonhörer ab, um den ersten verfügbaren Flug nach San Francisco zu buchen. In nicht einmal zwei Wochen hatte sich seine Welt verändert, doch zumindest war sein Verstand wieder einigermaßen scharf. Es war seltsam, wie das durch die Begegnung mit einem Mann geschehen war, den er wahrscheinlich nie wieder sehen oder hören würde. Ein paar Wochen zuvor war sein Verstand noch so stumpf wie eine rostige alte Axt gewesen, und sein ganzes Sein schien jeglicher Gestalt oder Form beraubt gewesen zu sein.
Ihm kam ein altes Sprichwort in den Sinn: »Der Verstand eines Manns ist der Mann: der Geist des Geizkragens, das Gemüt eines Trunkenbolds … Sie sind ihnen wichtiger als das Leben selbst.«
Wie wahr, dachte er. Sein Verstand, der Geist eines Abenteurers, war ihm verloren gegangen und nun hatte er ihn wiedergefunden. Er war ihm wichtiger als das Leben selbst.
In Ms Büro, hoch oben im neunten Stock des gesichtslosen Gebäudes am Regent’s Park, hatte Bond gerade gedroht, seine Kündigung einzureichen.
»Kündigung?«, rief M. »Was meinen Sie mit Kündigung? In dieser Firma kündigt man nicht. Man landet im Gefängnis, wird erschossen, kielgeholt, gefeuert, auf Eis gelegt, aber man
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