Jan Hus - Der Wahrheit Willen - Dagmar Dornbierer-Šašková - E-Book

Jan Hus - Der Wahrheit Willen E-Book

Dagmar Dornbierer-Šašková

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Beschreibung

Ein persönliches, historisches Lesebuch und Schauspiel zu einer bewegten europäischen Epoche am Umbruch des 14. und 15. Jahrhunderts: "Jan Hus – Der Wahrheit Willen" entstand als Schauspiel, basierend auf einer Erzählung der Autorin über das fiktive Zusammentreffen des Prager Gelehrten mit jenem Menschen, der für manche von Hus‘ Zeitgenossen den Antichristen verkörperte – Baldassare Cossa, dem "ungezählten" Papst Johannes XXIII. Die Autorin, Dagmar Dornbierer-Šašková, zeigt in ihrem Buch und Bühnenstück einen Jan Hus, der sich lösungsorientiert, praktisch veranlagt und modern, mit Integrität und Charakterstärke, gegen eingefahrene Systeme der Machterhaltung und Korruption wehrt. Hus' Positionen gegen Machtmissbrauch werden deutlich in seinem Aufruf zum bürgerlichen Ungehorsam und zur Gewissensfreiheit. Das Wirken des Prager Universitätsmagisters, Jan Hus steht im Vordergrund der Erzählungen - und er selbst im Mittelpunkt der Ereignisse.

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Ein persönliches, historisches Lesebuch und Schauspiel zu einer bewegten europäischen Epoche am Umbruch des 14. und 15. Jahrhunderts:

„Jan Hus – Der Wahrheit Willen“ entstand als Schauspiel, basierend auf einer Erzählung der Autorin über das fiktive Zusammentreffen des Prager Gelehrten mit jenem Menschen, der für manche von Hus‘ Zeitgenossen den Antichristen verkörperte – Baldassare Cossa, dem „ungezählten“ Papst Johannes XXIII. Daraus entwickelte sich die Idee, dem Schauspiel weitere Gedanken, Reflektionen, Erzählungen und Poesie anzufügen und die Sammlung in Buchform herauszugeben. Das vorliegende, persönliche historische Lesebuch mit Erzählungen zu einer bewegten Epoche, liegt nun vor für alle, die am Thema interessiert sind. Dabei steht das Wirken des Prager Universitätsmagisters im Vordergrund der Überlegungen, und er selbst im Mittelpunkt der Ereignisse.

Dagmar Dornbierer-Šašková – Schweizerin mit mährischen Wurzeln, war schon immer fasziniert von der Geschichte und den Menschen, die diese Geschichte mit ihrem jeweiligen Leben gestalteten. Individuelle Schicksale im Zusammenhang mit den Eigenheiten von Epochen und Zeitströmungen – dies ist auch der Stoff, den die Autorin für die vorliegenden Erzählungen und ihr Schauspiel verwendet. Dabei fühlt sie sich der Gesamtheit von Leben, Zeitgeist und Kultur verpflichtet, wozu auch umfangreiche Recherchen gehören. In den Jahren 2004–2014 schrieb die Autorin mehrere Bühnenstücke, die mit historischem Tanz und Musik aus mehreren Epochen zur Aufführung gelangten. Weiterer Erzählstoff ist in Vorbereitung und wird in Kürze dem Publikum vorgestellt werden.

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INHALT

E

RSTER

T

EIL:

Zu Beginn…

Zwischen Licht und Schatten

Ve znamení ohně - Im Zeichen des Feuers

Hus und Cossa

Der Wahrheit Willen – Pravdy vůle

Die Lizenz zum Schreiben

Einer für alle

Aufforderung zum Ungehorsam

Prager Gerede

Lehrer aus Leidenschaft

„Dcerka“ – Zwiesprache mit der Seele

Gelebte Konsequenz - Jan Hus und Jan Palach

Prag und Paris interkulturell – Jan Hus und Jean Gerson

Die Wichtigkeit des Kelchs

Das Kuttenberger Dekret

Zwei Flüsse

Zwischen Dualismus und Polarität…

Der Fischerkönig

Der 6. Juli 1415 in Konstanz

Hus und die Medien

Gedankensplitter – Rosen und Namen

Magie, Spekulation und ein unerschütterlicher Lebenswille

Interreligiöser Dialog

Restitutionen: Quo vadis, tschechische Kirche?

Ein moderner Realpolitiker

Zum Schluss die Nepomucken von allen Brucken spucken…

Z

WEITER

T

EIL:

Gedanken zu zentralen Themen des Schauspiels

Schauspiel: „Jan Hus – Der Wahrheit Willen“

A

NHANG:

Jan Hus – die Daten

/

Jan Hus – die Werke

/

Literaturempfehlungen

ERSTER TEIL

Jan Hus – Der Wahrheit Willen

Erzählungen, Gedanken, Eindrücke und Betrachtungen zu einer bewegten Epoche Europas am Umbruch des 14. und 15. Jahrhunderts.

GEDENKJAHR1415 — 2015

Zu Beginn…

Dieses Buch ist sehr persönlich. Der Inhalt erhebt keinen Anspruch auf Objektivität und schon gar nicht auf Struktur und Vollständigkeit. Es soll zum Nachdenken anregen. Es darf polarisieren. Man muss nicht einverstanden sein mit den darin enthaltenen Aussagen. Es wäre schön, würde dieser Band Interesse wecken an der Person des Jan Hus, eines Denkers, Philosophen, Lehrers aus Leidenschaft und Berufung. Ich wünsche mir, dass Interesse entsteht an einer unruhigen Epoche, Interesse an Zusammenhängen und Verbindungen.

Deshalb ist der erste Teil dieses Buches eine Sammlung subjektiver und persönlicher Gedanken, die ausgelöst wurden, als ich mich mit den Vorbereitungen und dem Verfassen des Schauspiels über Jan Hus beschäftigte. Die Aussagen des Magisters Hus fordern auch heute noch auf, Stellung zu beziehen. Genau dies, tue ich hier, indem ich meine Betrachtungen, meine Rückschlüsse, Gedankensplitter, Fragmente und Überlegungen zu Papier bringe und veröffentliche, wie Hus es seinerzeit selbst tat. Er schrieb über alles, was ihn bewegte. Sogar noch aus den Konstanzer Gefängnissen schrieb er unermüdlich Briefe an seine Freunde, fühlte sich durch sie unterstützt und sprach auf diese Weise dem Freundeskreis Mut zu. Seine Briefe vermitteln bis heute Hoffnung – und Hoffen ist wohl die stärkste tschechische Eigenschaft. Ohne Hoffnung gäbe es Land und Leute schon lange nicht mehr. Ohne Hoffnung gäbe es keine tschechische, mährische, und auch keine slowakische Kultur mehr, wobei Tschechisch und Slowakisch – als Sprachen mit all ihren Dialekten und Regionalidiomen – dermassen eng verwandt sind, dass man sich gegenseitig ohne Hilfe versteht.

Dieses Buch folgt der inneren Inspiration. Es lag kein Konzept vor, sondern nur der gefühlsbetonte Wunsch, mehr zum Thema zu sagen, nachdem die Erzählung „Hus und Cossa“ geschrieben war und nachdem das Schauspiel entstanden war. Subjektive Emotionen und Eindrücke bestimmten Stil und Inhalt der einzelnen Kapitel. Die aufgezeichneten Gedanken und Betrachtungen mögen manchmal ungeordnet erscheinen, sie mögen sich wiederholen, doch sie folgen einem roten Faden. Dies darf so sein, denn…

…. dieses Buch ist keine wissenschaftliche Arbeit. Es ist keine historische Abhandlung, obwohl immer wieder Abschnitte der tschechischen Geschichte zur Sprache kommen. Die Erklärungen sind dabei allgemein gehalten und dienen lediglich einem besseren Verständnis. Das Buch braucht deshalb keine Fussnoten, kein Quellenverzeichnis, keine Beweise. Natürlich wird man Fakten, Jahreszahlen und Literaturempfehlungen finden – doch viel wichtiger schienen mir Zusammenhänge und Verbindungen, als chronologisch einwandfreie Abfolgen von Ereignissen. Da es ein sehr persönliches Buch ist – hatte ich die Freiheit zu schildern, was mich bewegte, was mein Gemüt in Wallung brachte und was mich tief nachdenken liess, während ich das Schauspiel „Jan Hus – Der Wahrheit Willen“ schrieb.

Die Basis der Tatsachen, auf denen diese subjektive Kompilation beruht, verstehe ich durchaus im Sinne einer Anregung zur Neugierde, zum selbständigen Suchen und Recherchieren. Ich möchte interessierten Lesern empfehlen, sich auf das Abenteuer einzulassen, die Epoche und das Leben des Jan Hus ein wenig näher zu erforschen, sich durch Literatur zu blättern oder auch in die Tiefen des Internets zu tauchen. Ich kann mir vorstellen, dass Jan Hus, würde er heute leben, seine Freude an all den verschiedenen Informationskanälen hätte, die uns zur Verfügung stehen. Benutzen wir sie also in seinem Sinn und Geist. Hus selbst war auf mündliche oder schriftliche Berichte seiner Berufskollegen und Freunde angewiesen, und er unterhielt eine ansehnliche Korrespondenz mit Gelehrten, darunter auch mit Magistern der Universität Oxford, insbesondere mit Richard Wycke, einem Londoner Priester und Schüler Wycleffs. Aus Wyckes Hand hat sich ein Brief an Jan Hus mit ermutigendem Inhalt erhalten, datiert ist er vom 8. September 1410. Man korrespondierte in Latein, es gab keine Sprachbarrieren. Das Thema, in dessen Mittelpunkt die Person des Jan Hus steht, ist sehr umfangreich, und man kann an jedem Ende, oder mit jeder Einzelheit beginnen – der Weg der Erforschung hält immer Erkenntnisse bereit.

Vielleicht mögen einige Gedankenstränge in diesem Buch abrupt abreissen, doch vielleicht werden sie in einem anderen Kapitel zu Ende geführt. Vielleicht findet das eine oder andere Gedicht Anklang, Vielleicht wird jemand auch von den Aussagen der Wahrheit inspiriert werden… vielleicht fesselt die Erzählversion der Szene zwischen Jan Hus und Baldassare Cossa. Diese Erzählung war gegen Ende des Jahres 2012 entstanden, und aus dieser Szene entwickelte sich schliesslich das gesamte Schauspiel.

Den Texten dieses Buches liegen Emotionen zugrunde, die durch Nachdenken über historische Ereignisse ins Leben kamen. Gefühle und Gedanken über einen neuen Zugang zum Land Tschechien und dessen Geschichte. Grundsätzlich sollen sich Gefühle und Gedanken ergänzen. Sie sollen sich als Pole eines Ganzen vervollständigen. Gefühle brauchen ein gewisses Mass an strukturierenden Gedanken, doch nur tatsachenbezogene, rein objektive Gedanken können kalt und menschenfeindlich sein.

Jan Hus hatte es verstanden, komplexe Gedankengebäude verständlich zu machen und seine Überlegungen und Schlüsse mit der richtigen Dosis an Emotionen zu unterlegen. So wirkten seine Worte auf natürliche Weise überzeugend. Hus war auch als Prediger immer der Lehrer, der seine Schüler anleiten und weiter führen wollte. Hus motivierte, ordnete und inspirierte. Dazu ist viel Gefühl notwendig. Heute wäre er vermutlich ein begnadeter Personalcoach. Dabei war es nicht seine Person, die im Vordergrund stand, sondern seine Aussagen – Früchte reichlicher Überlegung, Produkte ausgereifter Gedankenprozesse. Dieses Buch sei ihm in diesem Sinne gewidmet.

Den zweiten Teil des Buches bildet das Schauspiel für vier Darsteller und ein Kapitel mit Erklärungen zu den zentralen Themen des Schauspiels.

Sowohl die Gelegenheit das Bühnenstück zu verfassen, als auch die Inspiration zu einzelnen Szenen fielen mir oft unerwartet zu, so dass ich darüber einfach nur tiefe Dankbarkeit empfinde.

Zwischen Licht und Schatten

Dezember 2014

Ich hatte viel Zeit mit Nachforschungen verbracht. Vor jenen Recherchen, welche dem Verfassen des Schauspiels voran gingen, lagen bereits lange Jahre allgemeinen geschichtlichen Interesses und auch des besonderen Fokus auf das 14./15. Jahrhundert, auf Hus selbst und auf das Gesamtgeschehen jener Epoche. Nun hatte ich mich also wieder ans Recherchieren gemacht, dieses Mal jedoch mit einem reiferen Geist und reiferem Bewusstsein. Ich stürzte mich in die Literatur, tauchte kopfüber ins Internet und seine Quellen, und förderte einen Schatz nach dem anderen zutage. Dass sich dann manch geglaubter Schatz, kaum geborgen, auch schon wieder verflüchtigte, liegt in der Natur der Sache. Beim Sammeln darf man zu Beginn nicht wählerisch sein – doch siebt man die erhaltenen Informationsteile gründlich, trennt sich bald schon Brauchbares vom Unbrauchbaren. So auch hier.

Bald fügten sich alte und neue Informationsstücke zu einem anschaulichen Bild. Es ist fast vollständig. Die noch verbleibenden Lücken im Puzzle sind unbedeutend, denn das Bild ist gut erkennbar. Unbedeutend sind hier auch die Versuche der Gegner des Magisters Jan Hus ihn zu diskreditieren. Erstaunlich, dass jemand – 600 Jahre nach seinem Tod – immer noch so viele Gegner hat. Sie kommen aus verschiedenen Lagern und ihre harten Worte der Ablehnung verletzen. Es ist auch erstaunlich, mit welcher Intensität diese Ablehnung ausgedrückt wird. Was ist es, das die Gegner dermassen erschreckt? Ist es die ruhige und natürliche Autorität, die noch über Jahrhunderte hinweg aus Hus‘ eigenhändigen, schriftlichen Zeugnissen atmet? Oder ist es die allgemein verständliche Botschaft, die sich auf den lösungsorientierten Menschenverstand und Dankbarkeit fürs Leben beruft?

Wie dem auch sei – es ist nun genug geforscht. Es sind genügend Resultate und Fakten notiert. Es ist Zeit, die Erkenntnisse in Form zu bringen. Das Jahr 2014 neigt sich dem Ende zu.

Während meiner Nachforschungen hatte ich viele Abwege entdeckt. Man kann sich leicht verzetteln und sich im Informationslabyrinth verlieren. Die Abwege von Hus‘ damaligen und heutigen Gegnern führen selbst heute noch in die Irre. Sie weisen den Weg in einen Sumpf und Morast aus Verleumdung, Spott und Lüge. Eine Lüge ist nur so gut, wie ihr schwankender Untergrund. Am schlimmsten sind Lügen, die auf einem morschen Untergrund aus Halbwahrheiten stehen. Doch gibt es die halbe Wahrheit? Die Wahrheit ist immer ganz – sie kann nur vernebelt, verschleiert, verdreht und verleugnet werden. Solche halb zugedeckten Wahrheiten schmerzen am meisten, denn der verzerrte Hintergrund lockt immer in eine Falle. Der ehrgeizige, und auch neugierige Forscher unterliegt dann einem Phänomen, das im Buddhismus poetisch als der Schleier der Maya umschrieben wird. Illusion….

Dieser Lügenschleier umgarnt und vernebelt die Erkenntnisfähigkeit. Er macht süchtig auf neue Information, auf weitere Hinweise und Erklärungen. Man möchte immer komplexere Zusammenhänge aufdecken und landet schliesslich in der Falle: Entweder ist die Zeit mit unnützem Schlamm verbracht oder das Thema beginnt zu ermüden, so dass man sich davon abwendet, um neuen, verheissungsvollen Dingen nachzugehen, auf neuen Wegen und Abwegen. Deshalb gehört diese Art der Ablenkung und Desinformation dorthin, von wo man sie heraus gezogen hatte: in die Vergessenheit.

Wie befreiend fühlte es sich an, als ich mich wieder auf die Kernaussagen besann. Kernaussagen von Jan Hus. Die Reden an seine Zuhörer. Die Lektüre seiner Briefe. Einfache, schlichte, verständliche Worte voll innerer Kraft.

Frischer Wind und belebende Luft, die tiefe Atemzüge erlauben. Die Kraft der Reinheit – der Wahrheit. Erleuchtende Gedanken, innerer Frieden, und schliesslich Dankbarkeit, dies erkennen zu dürfen.

Ve znamení ohně

(25. 01. 2005 / Performance über Jan Palach / Dagmar Dornbierer)

V zemi řek a tůní je oheň nezbytným protipólem tvořivé síly.

Napodiv, jak velmi obsažnou slovní zásobumá národ rusalek a vodníků na námět ohňe.

Plamen a voda jsou nezastavitelnou silou tvorby.Kdokoli se bude snažit plamen v srdci národa uhasit,odcizí lidem nejcennější vlastnost člověka: Tvořivost.

Spěje-li tvořivost do výšin,

mění se člověk v chápající bytost,

otevřenou božskému vedení.

Nikdo nemá právo dusit tvořivost.

Im Zeichen des Feuers

Im Land der Teiche und Flüsse ist Feuerder unabdingbare Gegenpol schöpferischer Kraft.

Erstaunlich, über welch reichen Wortschatz zum Begriff Feuer,das Volk der Undinen und Wassergeister verfügt.

Flamme und Wasser ergeben die unaufhaltsame Kraft der Schöpfung.Wer auch immer bestrebt ist,die Flamme im Herzen eines Volkes zu ersticken,der nimmt Menschen das Kostbarste, das sie ihr eigen nennen:die Schöpferkraft.

Beginnt der Erfindungsgeist erst hinauf zu streben,

so wandelt sich der Mensch in ein begreifendes Wesen,

bereit göttliche Führung anzunehmen.

Niemand hat ein Recht die schöpferische Kraft zu hemmen.

Hus und Cossa

Burg Gottlieben, Frühjahr 1415

Als er seine Chancen auf eigene Machterhaltung schwinden sieht, verlässt Johannes XXIII. (Baldassare Cossa) in der Nacht vom 20. auf den 21. März 1415 als Knappe verkleidet fluchtartig die Stadt Konstanz, wo er als einziger von drei sich bekämpfenden Päpsten am grossen Konzil teilnimmt.

Die Liste der Verbrechen, die ihm in Konstanz vorgeworfen werden ist lang. Ketzerei, Unzucht, Ämterkauf, Sodomie und mehr.…Eine Kommission klagt ihn an und erklärt ihn einstimmig für schuldig. Danach wenden sich auch seine Parteigänger von ihm ab und vereiteln seine Flucht. Man setzt ihn schließlich im Schloss Gottlieben gefangen. Angeblich sollen der Ex-Papst und der Prager Meister Jan Hus, der auf Gottlieben seinen Tod auf dem Scheiterhaufen erwartet, dort eine Nacht Wand an Wand verbracht haben. Später wird man Cossa nach Mannheim überführen und ihn am Ende des Konzils gegen ein hohes Lösegeld frei lassen. Im Dezember 1419 wird Cossa in Ehren und als Kardinalbischof von Tusculum,– knapp fünfzigjährig – in Florenz sterben und beigesetzt werden.

Doch warum hätte man ausgerechnet diese beiden so gegensätzlichen Männer in zwei verschiedenen Zellen gefangen halten sollen, und lediglich „Wand an Wand“? Gab es am Konstanzer Konzil nicht genügend intrigante Individuen, denen es Befriedigung verschafft hätte, den Gegenpapst einzuschüchtern, ihn zum Rücktritt und gleichzeitig Hus zu einem Widerruf zu bewegen? Vielleicht gar Hus zu verleiten Baldassare Cossa um Hilfe anzuflehen?

Ob es eine solche dritte Hand jemals gegeben hat, wird immer im Dunkeln der Geschichte bleiben – wie auch Cossas Lebensweg vom Soldaten oder gar Berufspiraten bis zum Papst, ebenfalls viele dunkle Stellen aufweist…… Grösser könnte der Kontrast nicht sein, zwischen dem macht- und geldgierigem Condottiere im Papstamt und dem Universitätsrektor, der den Mut hatte, die römische Kirche zu den Wurzeln der Evangelien und einer schlichten, jedoch innigen Glaubenspraxis zurückführen zu wollen. Hus wurde am 6. Juli 1415 in Konstanz hingerichtet.

- Willkommen, Herr Baldassare,- sagt die Gestalt auf dem Strohlager und der Klang des ausgesprochenen Lateins bricht sich eigenartig an den Wänden der Kerkerzelle. Fremd, unrichtig, rutschen die Worte kratzend an den groben Mauern herunter.

- Willkommen in der Welt, in die Ihr mich geschickt habt.-

Der Neuankömmling lacht bitter. Also ist es wahr. Der Andere ist hier. Man hat ihn also absichtlich in diese Zelle gebracht. Man will ihm keine Demütigung ersparen.

- Baldassare? Nein, es gibt keinen Baldassare mehr. Der Name ist immer noch Johannes! - erwidert der neu Angekommene hochmütig.

- Man hat mich zwar der Würde beraubt, jedoch nicht des Namens, - fährt er fort - Erweist mir deshalb diese Ehre, Meister Jan. So begegnen wir uns auf der Ebene des Vornamens. Dies macht uns gleich – Ihr und ich – zwei Unglücksraben und Pechvögel.-

Die Stimme scherzt, unternimmt einen unglücklichen Versuch jegliches ernsthafte Gespräch gleich zu Beginn abzuwehren. Zwei alte Männer, die sie sind, könnten doch ein wenig gemeinsam jammern über den ungerechten Lauf dieser Welt, ein wenig seufzen, ein bisschen über dies und jenes klagen, sich zum Beispiel über diese Zelle beschweren – da gibt es nicht einmal eine Sitzgelegenheit und in dieser Kälte kehrt bestimmt wieder dieses schmerzhafte Gliederreissen zurück. Doch der Prager Gelehrte, der seit Monaten von Gefängnis zu Gefängnis abgeschoben wird, der sich in all dieser Zeit darauf vorbereitet in Demut und mit freiem Gewissen vor das Gericht Gottes des Allmächtigen zu treten, geht nicht auf Scherze ein. Seine Worte sind gezählt. Mag es Wochen oder noch weitere Monate dauern, bald wird er verstummen – warum dann die Zeit, die ihm noch zur Stärkung der Seele bleibt mit greisenhaftem Gejammer zu vergeuden?

- Gut, ich will Euch Giovanni nennen, da ihr den Namen des Heiligen Johannes nicht verdient, - stellt er fest, - und nein, gleich sind wir uns keineswegs. Ich werde Euch nie gleich sein. Ihr vielleicht mögt Gnade vor Gott erlangen, doch ich trete mit erhobenem Haupt vor seinen Richterstuhl.

- Ihr seid ein Blasphemist und Ketzer, Meister Jan, und Ihr macht Euch auch noch der Todsünde des hochfahrenden Stolzes schuldig. – Die Stimme ist wieder zum gewohnten Ton von Verordnung und Kommando zurückgekehrt. Keine Possen mehr. Der Andere braucht Zurechtweisung, es gilt die Machtpositionen zu klären.

- Danke, signor Giovanni, dass Ihr meinen Titel anerkennt.- sagt Meister Jan.

Will ihn der Andere etwa zum Narren halten?! Was ist das für ein Unfug, den er hier treibt?

- Ketzer ist Euer Titel! Ein Gotteslästerer seid Ihr, der brennen wird!

Unruhiger, ungeduldiger, von Angst durchzuckter Stolz offenbart sich plötzlich in der Stimme. Der Andere will ihn doch nur verhöhnen. Der Andere will ihn reizen mit seiner Ruhe. Der Andere will ihn mit gelehrter Disputationskunst verspotten und in die Enge treiben! Welch eine Demütigung, ihn zu diesem Anderen in ein stinkendes Kerkerloch zu werfen! Wenn er seine Macht zurückgewonnen haben wird – und er wird sie zurückgewinnen – dann werden Jene es grässlich büssen, ihm diese Schmach angetan zu haben!…. Wenn es hier nur eine Sitzgelegenheit gäbe! Die Füsse tun ihm weh. Es wird ihm schwindelig, wenn er lange stehen muss. Die Füsse sind schon ganz kalt. Wenn er sich auf den eisigen Boden setzt, dann holt er sich den Tod – ausserdem, wie sollte er sich ohne fremde Hilfe auf den Boden hocken können? Das ganze Stroh in diesem verfluchten Loch hat der Andere unter sich zusammengescharrt. Wenn er doch nur ein bisschen Stroh hätte, um sich setzen zu können…

- Die Flammen werden Euren Körper verschlingen, Meister Jan, und die Teufel Eure schwarze Seele! Doppelt werdet Ihr brennen für Eure Gottlosigkeit – einmal auf dem Scheiterhaufen und einmal in der Hölle!

Die Stimme beschwört Visionen der Verdammnis, quälende Trugbilder, fiebrige Chimären. Der Andere soll schaudern, er soll mit den Zähnen klappern vor Entsetzen, er soll wimmern und um Erbarmen flehen!

- Ja, das ist wahr, - sagt Meister Jan, als wäre dies der logische Schluss einer langen Argumentation und durchdachter Beweisführung, -ich werde brennen. Mein Körper wird die Qualen des Feuers erleiden, doch meine Seele brennt für Gott und mein Geist brennt für die Wahrheit. Ihr jedoch, signor Giovanni, Ihr brennt nicht, Ihr fault – und das ist tausendmal leidvoller als der schnelle Tod durch die reinigenden Flammen.-

Eine ganze Weile herrscht Stille im Zwielicht der Zelle, die nur soweit von einer rauchenden Lampe erhellt wird, dass man des Elends gewahr wird. Der grobe Docht schwimmt in einer trüben, ranzigen Flüssigkeit, und die fahle Flamme lässt unstete Schatten über die Mauern huschen. Als würden Umrisse all Jener an die Wände geworfen, die ihn bedrohten und derer er sich demzufolge entledigen musste. Nur der Vorsichtigere überlebt. Der Schnellere. Auch Jene hätten gleich gehandelt wie er. Entweder er oder sie. Ist es somit nicht folgerichtig, wenn er das eigene Leben schützte? Warum verfolgen sie ihn nun sogar bis hierher? Die Schatten jagen ihm Furcht ein. Oder hat ihn der Andere mit dem bösen Blick behext? Heimlich verschränkt er Mittel- und Zeigefinger der rechten Hand und widersteht dem Drang sich zu bekreuzigen, er will den Anderen nicht merken lassen, dass er sich fürchtet – nein, diese Genugtuung wird er ihm nicht schenken. Doch die Schatten an der Wand zucken in garstigen Verrenkungen durch den Qualm der Lampe, die keine Lichtquelle ist. Die schmutzige Flamme kann nicht erhellen, ihre Aufgabe ist es den Weg in die Hölle aufzuzeigen. Die trübe, unreine Nahrung der Flamme und der grobschlächtige Docht sind ungeeignet hoffnungsvollen Schein und tröstliche Wärme zu spenden. Selbst das Licht wurde eingekerkert, seine Eigenschaften missbräuchlich gezwungen Furcht statt Zuspruch zu verbreiten.

- Habt Ihr Angst vor dem Tod, Meister Jan? –Die Stimme klingt zaghaft. Sie heischt Trost, Besänftigung.

- So nachdenklich seid Ihr geworden, signor Giovanni? Hat euch die Furcht ereilt? Nun, um Euch Antwort zu geben: Nein, vor dem Tod habe keine Angst. Schliesslich hatte ich hier genug Zeit, um mich auf das Unweigerliche vorzubereiten. Im Gegensatz zu Euch weiss ich, dass ich aus dieser Zelle nur dann heraus geführt werde, wenn man den Tag meines Todes bestimmt haben wird. Der Tod wird mich erlösen, doch bis es soweit ist werde ich leiden. Mein Körper wird sich den Qualen des Verbrennens widersetzen, ich werde vielleicht vor Pein schreien, jammern, wehklagen - dies wird an den Nerven der Zuschauer rütteln, und…. -

- Haltet ein!! Hört auf, um Christi Willen! Es ist entsetzlich! – Die Stimme ist nun heiser geworden vor Furcht, sie wagt nicht laut zu werden, obwohl sie schreien möchte. Der Körper fröstelt, nicht allein vor Kälte.

- Entsetzlich? Findet Ihr? – War es das für unseren Heiland nicht auch? Wünschen wir uns denn nicht auch all seine Qualen zu erleiden, damit wir erlöst werden und zur Rechten Gottes, unseres Vaters sitzen mögen nach dem letzten Gericht? -

- Ihr seid ein Ketzer, ein infamer Verleumder Gottes! Hört auf mit diesem Gerede, ich verbiete es Euch!! – Jetzt kreischt die Stimme. Sie gellt schneidend durch den Raum, um doch bloss wieder an den Wänden abzuprallen, mit diesem trockenen, schabenden Geräusch.

- Ihr verbietet… ja ja…. - Jan Hus lacht und sein Lachen klingt sanft, versöhnlich, wie das Lachen einer Mutter, die den Prahlereien ihres kleinen Sohnes zuhört.

- Ach, mein signor Giovanni, Ihr dürft mir nach Eurer Herzenslust alles verbieten, was Ihr wollt, was Euch gut dünkt, was Euch in den Sinn kommt – es wird nichts daran ändern, dass Ihr hier mit mir in dieser Zelle, in demselben fauligen Stroh auf Euren Allerwertesten sitzt.-

Der Andere hat sich etwas zur Seite bewegt und ein wenig Stroh unter seinem Körper hervor gewischt. Er bietet ihm eine Handvoll Stroh an! Mit einer einladenden Bewegung bedeutet er ihm sich zu setzen. Er hat die Unverfrorenheit ihn derart zu verhöhnen! Grinsend schmäht ihn der Andere und spottet seiner….!

- Ihr sollt endlich Euer stinkendes Maul halten!!! – Die Stimme hat jetzt Kraft. Jäher Zorn ist es, der ihr diese Kraft verleiht. Wut, die Befehle erteilt. Doch der Befehl ist vergeudet, die Kraft sinnlos verbraucht. Er zittert. Am liebsten würde er dem Anderen an die Gurgel springen, damit der endlich aufhöre zu reden! Der Andere will ihm mit seinem Gefasel doch nur den Verstand durcheinander bringen, will ihn in den Wahnsinn treiben, darauf, - nur darauf hat er es abgesehen – auf Rache. Jetzt hat er den Anderen durchschaut! Alle wollen Rache! Alle wollen den eigenen Vorteil! Doch halt! Ein Verdacht keimt im verwirrten Hirn: der Andere verfolgt sicher einen Plan. Der Andere will ihn verderben. Wenn er dem Anderen die Kehle zudrückt bis dieser aufhört zu atmen – was dann? Was würde geschehen, wenn die Kerkerwächter entdeckten, dass er den Anderen getötet hat? Dann würden sie ihn selbst zum Scheiterhaufen schleifen, als Ersatz für den verloren gegangenen Ketzer, für die entgangene Schau. Ja, dies muss der Plan des Anderen sein: ihn um den Verstand bringen zu wollen, damit er den Anderen schnell töte… Damit er das Leiden des Anderen verkürze und selbst in den heissen Flammen umkomme… Geschickte Manipulation – ja, wahrlich. Meisterhaft. So erspart sich der Andere die Demütigung, die Qualen und die Höllenfahrt - und er, er selbst? Er wird von den Schergen, unter Johlen und Schreien der entfesselten Menge in die lodernden Flammen gestürzt werden. Ihn schaudert und Schweisstropfen perlen auf seiner Stirn. Gut ausgedacht, Ketzer, gut ausgedacht! Doch er wird sich hüten, er wird seine Wut zähmen, auch wenn ihm das noch so schwer fällt. Er wird sich zu beherrschen wissen.

- Warum so laut und so wütend, signor Giovanni?-

- Perfider Teufel! Elender! Verflucht und verdammt sollst du sein zu ewiger Finsternis,….! –Die Stimme zischt und flüstert Beschwörungen. Er wird sich beherrschen, ja, er wird sich zusammenreissen, er ist schliesslich schlauer, er weiss jetzt, wohin der Andere zielt. Er wird den Dämon austreiben.

- Ich gebiete Euch zu schweigen…. sonst…-

- Sonst? – Die Frage kommt schnell und schneidet alle Worte, die vielleicht nachfolgen sollten, jäh ab.

– Ihr hört mich lachen, signor Giovanni. Was – sonst? Was wird sonst geschehen? Wollt Ihr die Wachen rufen? Und was sollen sie dann tun? Euch aus der Zelle schaffen? Mich aus der Zelle schaffen? Was sonst? Was wollt Ihr?-

- Ich will, dass Ihr endlich schweigt! – Noch einmal bäumt sich die Stimme auf. Noch einmal will sie Oberhand behalten. Doch das kann nicht sein. Es kann nicht sein, dass der Andere immer wieder antwortet, entgegnet, sich rechtfertigt und widerspricht.

- Aber warum sollte ich gerade jetzt schweigen, signor Giovanni? Endlich habe ich Gesellschaft! Ich bin seit Monaten eingesperrt. Erinnert Ihr Euch? Es geschah auf Euer eigenes Geheiss.-

- Nein! Nein! Sigismund war es! Sigismund, der Arglistige war es, der Euch einsperren liess! – Die Stimme kreischt und verhaspelt sich. Es ist unsagbar schwer sich Beherrschung aufzuzwingen und die Angst niederzuringen. Dieser Andere verdreht wieder jedes Wort, jede Tatsache. Es war nicht seine Schuld, dass der Andere in den Kerker geworfen wurde. Das war die Schuld Sigismunds. Sigismund, der Doppelzüngige, der rote Fuchs, die falsche Schlange. Sigismund hätte vielmehr auf ihn hören sollen, aber dieser machtgeile Verräter hat in die eigene Tasche gespielt. Es war Sigismund….

- Signor Giovanni, - es ist egal. Ob Ihr oder der Herr Sigismund – es ist ganz gleich wer mich einsperren liess. Der König ist wortbrüchig geworden und Ihr – Ihr könnt gar nicht wortbrüchig werden, denn Euer Wort hat noch nie etwas gegolten… Ihr kennt Euer eigenes Leben zur genüge. Ihr werdet Euch vor Gott selber verantworten müssen.-

Der Mann, der von Jan Hus als Signor Giovanni tituliert wird, ist nun ausser sich. Seine Kehle ist vor Angst und Wut zugeschnürt, er kann nicht einmal nach den Wachen schreien. Er spürt seine Hilflosigkeit, seine Aggression, die Ausweglosigkeit seiner Lage. In einer sprunghaften Bewegung, derer er sich nicht bewusst ist, stürzt er auf den im Stroh liegenden abgemagerten Mann und spreizt seine Finger um dessen Hals. Doch er hat keine Kraft mehr. Die Hand rutscht ab und es ist sogar dem geschwächten Prager Meister ein Leichtes, die würgende Kralle von seiner Kehle abzustreifen. Schwer atmend und benommen vor sich hin stierend sitzt nun jener, der Giovanni genannt wird, doch noch neben Hus im Stroh. Der seufzt, rückt ein wenig von dem schwer atmenden Mann ab.

- Signor Giovanni, es heisst von Euch, dass Ihr keine Gnade mit Widersachern und unbequemen Zeitgenossen hattet – doch wollt Ihr Euch tatsächlich an mir versündigen? An mir, dem bereits Verurteilten? Ich wäre wohl der Erste, der die Ehre hätte von Eurer eigenen Hand getötet zu werden anstatt von Euren Schergen. Ausserdem hättet Ihr mir so den Feuertod erspart und die Menge um ihr Schauspiel beraubt….-

- Wie grausam Ihr doch seid…. Und Ihr gebt es auch noch zu, mich in infamster Weise manipuliert zu haben, damit ich Euer nichtswürdiges Leben auslösche.-

- Ich? Grausam? - Hus lacht und dieses Mal klingt sein Lachen trocken, schmähend und bitter zugleich. Den Vorwurf der Manipulation übergeht er. Einen Augenblick lang verspürt er Mitleid mit diesem armen, kranken Hirn, welches zu derlei Schlüssen fähig ist. Doch das Mitgefühl verflüchtigt sich schnell. Jener Mann, der sich wie ein Wurm im übelriechenden Stroh windet, hat zu viele Menschen auf den Gewissen, als das er, Jan Hus, Nachsicht üben könnte. Allerdings – gehören solche Gedanken nicht bereits zur Todsünde der Hochmut? Des Stolzes? Ist nicht Jesu Barmherzigkeit das strahlende Vorbild, nach dem auch er, Jan Hus, sich gegenüber dieser armen Kreatur befleissigen sollte? Es fällt schwer, er bekennt sich dazu. Auch angesichts des sicheren Todes und der Läuterung fällt es ihm schwer, mit diesem Mann Erbarmen zu haben.

- Signor Giovanni, Ihr wollt mich als Ketzer brennen sehen und nennt mich grausam? Vor lauter verblendeter Wut stürzt Ihr Euch auf mich, um mich zu würgen und bedenkt nicht, dass Ihr mir damit einen grossen Dienst erweisen würdet? Nur zu, Signor Giovanni! Tötet mich… doch was dann? Nun, Ihr könnt die Wachen rufen und ihnen sagen, ich sei dem plötzlichen Herztod erlegen. Als würde das jemanden interessieren. Ihr würdet bloss alle verärgern, so dass sie sich um ihr Vergnügen geprellt fänden, mich brennen zu sehen!-

- Ihr seid der Teufel… Ihr seid wahrhaftig der Antichrist selbst….-

- Das sagt Ihr,… und manch einer, der glaubt, dies wiederholen zu müssen.-

- Warum verschont Ihr mich nicht endlich mit Euren Reden? Warum könnt Ihr nicht einfach still sein?-

- Weil es schade wäre zu schweigen, signor Giovanni. Weil sich mir nach langen Wochen und Monaten endlich wieder einmal die Gelegenheit bietet, einen Disput zu führen, weil ich nach langer Zeit des Schweigens wieder Gesellschaft habe!-

- Dann habt wenigsten die Güte und zeigt Mitgefühl mit Eurem Nächsten, der ein armer, seiner Würden beraubter, verunglimpfter und gedemütigter Gefangener ist.-

- Einen feinen Humor habt Ihr, signor Giovanni, Euch als arm und gedemütigt zu bezeichnen! Wie sagte doch der Heiland, unser aller Erlöser: „Wie ihr dem Geringsten unter euren Nächsten getan habt, so wird euch getan…“?-

Der als Signor Giovanni bezeichnete Mann, sinkt in sich zusammen, er flüstert etwas in seiner neapolitanischen Muttersprache, er steigert sich hinein, die Worte werden lauter und unverständlicher – bis er, vor Wut feinen Speichelschaum versprühend, sich wieder aufrichtet und seinen Zellengenossen ins Gesicht schreit:

- Ich bin immer noch Euer Papst, ich bin Stellvertreter Gottes auf Erden! Ich habe Euch exkommuniziert und Ihr seid mir Euren Respekt schuldig! Eure Gegenwart beschmutzt mich!-

Meister Jan sagt lange nichts mehr. Er sieht den Neapolitaner sehr lange an, blickt ihm tief in die Augen, sodass Jener seinem Blick ausweicht. Schliesslich spricht er. Gelassen, ruhig, tönen die Worte, fügen sich zu Sätzen. Das Gebilde der Rede stellt fest, stellt dar, zeichnet ein Bild über alle Gleichnisse hinausgehend und in eine ewige Gültigkeit mündend.

- Nein Herr, Ihr seid kein Papst. Ihr seid es nie gewesen. Ihr habt Euch lediglich ein Amt gekauft, gestohlen, ertrogen, erschlichen – der Worte sind viele, sucht Euch eines aus, das Euch am besten gefällt. Ein Papst ist Gottes Stellvertreter auf Erden – doch der seid Ihr gewiss nicht. Es ist der Wille des Herrn, dass Er einen Mann bestimme, der Sein Sprachrohr unter den Menschen sei. Doch Ihr seid dies nicht – Ihr wart es nie. Kaum einer jener Männer, die sich Päpste nannten, waren es. Gottes Stellvertreter auf Erden ist der Christenheit ein leuchtendes Beispiel, er ist den Gläubigen ein weiser Führer und mitfühlender Lenker ihres geistigen Schicksals. Als Priester lebt er die Reinheit des Geistes und des Leibes vor. In Weisheit und Gnade verkündet er Gottes Wahrheit, auch wenn diese den Mitgliedern seines Hofstaats zuwider sein mag. Sein Herz brennt nach Erkenntnis der göttlichen Wahrheit. Er leitet seine Untergebenen wie der getreue Hirte aus der Bibel. Es verspürt Sehnsucht nach Erleuchtung, er besitzt Bereitschaft zum Dienst am Nächsten und zur Demut, die ihn auf den rechten Weg führen und ihn schliesslich im Lichte der göttlichen Wahrheit frei machen werden. Frei - wahrlich frei, Gott und seine Schöpfung aus ganzem Herzen zu preisen! –

Stille. Hat er sich getäuscht, oder haben die Schatten aufgehört ihren schaurigen Reigen zu vollführen? Ist das Licht nicht heller geworden? Er bekreuzigt sich nun, bekreuzigt sich dreimal hintereinander, dabei Bannsprüche murmelnd, von seiner alten neapolitanischen Amme gelehrt, Beschwörungen, die längst vergessen, nun aus den Nebeln seines Bewusstseins aufsteigen. Dieser Andere hat gewiss Zauberkräfte! Dieser Andere ist nicht nur ein Gotteslästerer, er ist auch ein Hexer!

- Ihr macht mich schaudern, Ihr böhmischer Schwarzkünstler. Ihr solltet euch vor dem Tod auf dem Scheiterhaufen fürchten, ihr solltet hier und jetzt mit den Zähnen knirschen und jammern, dass ihr elend und der Ketzerei beschuldigt sterben müsst. Ihr sollt wehklagen, dass Eure Asche über ungeweihter Erde auf dem Schindanger verstreut wird. Ihr sollt Angst haben,… Angst …Angst!-

Die Stimme überschlägt sich. Die Schatten sind wieder zurückgekehrt und formieren sich zu einem weiteren Totentanz. Die russige Flamme flackert unruhig.

Hus‘ Blick wird auf einmal nachsichtig und mild. Er lächelt.

-Ja, - sagt er, - ich weiss. Ich weiss, dass Ihr mir Angst machen wollt. Das wollten andere auch. Alle wollten sie immer, dass ich Angst hatte.-

- Und?… Hattet Ihr Angst? - Die Frage kommt schnell und mit unerwarteter Neugier. –Wollt Ihr mir sagen, dass Ihr in Eurem Leben nie Furcht verspürtet?–

- Doch……-

- Doch?? ….. Warum sitzt Ihr dann hier so still?-

- Was für ein unreifes Kind Ihr doch seid, signor Giovanni. Ein verwöhntes, selbstsüchtiges, entartetes Kind.-

- Wollt Ihr schon wieder mit Euren Beleidigungen anfangen??-

- Gemach,… signor Giovanni. Mit diesem Zorn und dieser Erregung schädigt Ihr nur Euer Herz, sofern Ihr denn eines habt…. Es ist nicht notwendig, Euch so zu erregen, denn Ihr werdet hier heraus kommen und werdet noch weitere Jahre unbeschadet überstehen.-

- Was macht Euch da so sicher?-

Hus seufzt und hebt die Schultern. Er hat das Aufblitzen der Hoffnung in der Stimme wohl bemerkt. Sein Blick ist nun auf den Mann geheftet, der von ihm, dem Todgeweihten, Hoffnung heischt.

- Die Erfahrung macht mich sicher, signor Giovanni. Wisst Ihr, ich hatte genug Zeit zum Nachdenken, genug Musse für Betrachtungen und Gedanken - Ihr selbst und der Herr Sigismund habt mir diese wertvolle Zeit verschafft – nur schade, dass ich nichts davon aufschreiben darf.-

- Ihr seid ein hoffnungsloser Spinner,- faucht der um seinen Hoffnungsschimmer sich geprellt Wähnende, - man hat Euch verhext, man hat Euch mit ketzerischem Gedankengut vergiftet und jetzt meint Ihr mich damit martern zu müssen.-

Schon wieder dieser Blick des Anderen. Er kann es nicht ertragen, wenn ihn der Andere mit diesem Blick ansieht! Als könnte er auf den Grund der Seelen blicken – doch das kann er nicht. Niemand kann das… zumindest hat noch niemand einen Menschen gesehen, der dies könnte. Es ist alles nur Theater, dessen sich die Pfaffen bedienen, um ihre Schäfchen Gehorsam zu lehren! Alles dient bloss der Manipulation, der Einnebelung des Hirns. Gespinste. Er muss sich davor schützen…

- Seid beruhigt, signor Giovanni, Eure Gedanken kann man nicht vergiften – nicht mehr als sie es schon seit Euren jungen Jahren sind.-

-Ihr seid infam! Ihr beleidigt mich!-

- …und Ihr habt mir gegenüber Euer Wort gebrochen und habt mich betrogen – wir sind also quitt. Lasst uns wie zwei tüchtige Gelehrte einen ordentlichen Disput nach allen Regeln der Kunst führen!-

- Ich denke nicht daran!-

- Gut, dann wird es Euch belieben, meinen Worten zuzuhören. Ob Ihr wollt oder nicht – Ihr kommt nicht davon. Noch nicht.-

- Ihr seid also der felsenfesten Überzeugung, dass man mich aus diesem Loch hier herausholen wird?–

Schon wieder diese Hoffnung in der Stimme, als wäre Hus jener Prophet der Wahrheit, als der er niemals anerkannt werden darf.

- Das wisst Ihr doch selber genauso gut wie ich,- sagt Hus ….. - Ach, Euch fehlen die Worte? Aber signor Giovanni! Die Familie Medici braucht doch Eure Unterschriften auf gewissen Urkunden für Transaktionen in Eurem Namen – na gut, sie könnten die Signatur auch fälschen, aber solange noch ein Quäntchen Hoffnung besteht, dass Ihr Euch mit den Gegenpäpsten und Kardinälen versöhnt, wird man doch die Quelle nicht versiegen lassen, die den erfolgreich sprudelnden Geldstrom verspricht. Die Gegenpäpste brauchen euch, um einen gemeinsamen Feind zu haben, den sie schmähen können und von dem sie sich abheben. Je schändlicher Euer Ruf, desto besser stehen sie da. Erst wenn Ihr weg seid, werden sie sich gegeneinander wenden. Seht Ihr, signor Giovanni, deshalb habe ich mich in mein Schicksal ergeben, denn ich habe die Gewissheit, dass mein Handeln richtig ist, und dass mich die Menschen nicht vergessen werden…

…auch wenn ich brennen werde, und auch wenn mich bisweilen grosse Furcht vor den Schmerzen befällt, die ich zu erleiden habe – ich bin doch bereit dazu. Die Haft, in die Ihr mich gestürzt habt, hat mir ermöglicht meinen Frieden mit Gott zu schliessen und auf seine Barmherzigkeit zu vertrauen. Ach, signor Giovanni, wenn Ihr nur ahnen könntet, welch ein herrliches, erhebendes Gefühl des Trostes es ist, im Frieden mit Gott und im Frieden mit sich selbst zur sein und zu wissen, dass man bald aus dieser verlogenen Welt scheiden wird! Ich gehe getrost im Wissen, dass ich meine Aufgabe erfüllt habe.-

- Das ist Blasphemie. Wie kann man nur so verblendet sein? Und was denkt Ihr, was Eure Aufgabe gewesen ist? Falls man sich überhaupt soweit versteigen kann, um an gottgegebene Aufgaben zu glauben. Wie kann einer wie Ihr von der Wahrheit sprechen?-

- Die Wahrheit ist eine scheue Gefährtin, signor Giovanni, sie offenbart sich nur in der Stille und Selbstbetrachtung. Sie enthüllt ihre hehre Stirn nur in Zeiten des stillen und in sich gekehrten Gebets, in der demütigen Abkehr von weltlichen Machtgelüsten und menschlicher Gier. Wie oft zweifelte ich an mir, wie oft war ich unsicher, ob meine Beweggründe wirklich selbstlos und göttlich inspiriert waren und nicht bloss meiner Eitelkeit entsprangen. Wie oft hatte ich Angst vor dem, was ich sagen wollte, und wie oft habe ich diese Angst überwunden….

- …..signor Giovanni, die Menschen wollen in ihrer Einfachheit Gott nahe sein. Sie wollen in der schlichten Klarheit ihrer Herzen zum himmlischen Vater beten, sie wollen in einfachem Glück ihren Alltagsgeschäften nachgehen. Die Menschen haben nichts gegen einen weltlichen Herrn, solange dieser sie weise regiert. Die meisten Menschen haben kindliche Gemüter, die man entweder zum Guten oder zum Bösen hin lenken kann. Das Lenken zum Guten ist die Aufgabe der von Gott gesandten und gesalbten Herrscher, seien sie weltlich oder geistlich. Die meisten Menschen wollen mit ihren Sorgen und Nöten, aber auch mit ihrem Dank und ihrer Freude selbst an Gott gelangen – ohne die Mittlerschaft von Priestern, denen man nicht immer vertrauen kann. Warum sollte man denn so viele irdische Vermittler benötigen, um zu Gott beten zu können? Warum braucht man sogar himmlische Vermittler, wie die vielen Heiligen und die Mutter Jesu noch dazu? Wie im Himmel, so auch auf Erden? Denkt Ihr hohe und geistliche Herren in Rom, dass Gott ebenfalls einen Hofstaat von Würdenträgern, Beamten, Dienern und Sekretären um sich schart? Welch eine lächerliche Vorstellung! Und vor allem ist dies ein zutiefst heidnischer Gedanke. Dies ist Eure Blasphemie, mein signor Giovanni!-

- Häresie! Das sind Worte der Ketzerei! Das wisst Ihr genauso gut wie ich.-

- Nein, signor Giovanni. Meine Worte sind gefühlt im Herzen. Ihr habt Ihnen den Stempel der Abtrünnigkeit aufgedrückt. Meine Worte sind schlicht, so wie es die Gemüter der guten Gläubigen und der wahren Christen sind. Dass meine Worte ketzerisch sein sollen, das habt Ihr entschieden und der hohe Herr Sigismund. Meine bescheidenen Worte und der einfache Glaube an das Evangelium unseres Herrn Jesus Christus entziehen Euch, und entziehen dem Herrn Sigismund, die Grundlage Eurer weltlichen Macht.-

Der stets als Giovanni angesprochene Mann schweigt. Er schweigt aus Erschöpfung, aus Furcht, aus einem unbestimmten Zweifel. Doch dieser zarte Keimling, der es gewagt hatte unter den unsichtbaren Strahlen der Hoffnung aus Meister Jans Worten die schwere Decke festgestampfter Selbstsucht zu durchstossen, wird mit grober Faust zermalmt.

Der als Giovanni angesprochene Mann lehnt seinen Rücken an die nasskalte Mauer. Er schliesst die Augen und verweigert dem Anderen jeglichen Kontakt. Doch sein Gehör kann er nicht verschliessen vor dem leise gesprochenen Gebet, mit dem der Prager Magister, Jan Hus, im Bewusstsein seines sicheren und unbarmherzigen Todes die Seele vertrauensvoll in Gottes Hände legt:

- Herr, ich bin nicht würdig, dass du eingehst unter mein Dach, doch sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund…. -

Der Wahrheit Willen

Wahrheit bleibt Wahrheit.Worte können verleugnen, verletzen, verleumden –sie bleiben doch nur Worte.Wahrheit steht über den Worten –unerschütterlich und überall, für alle die sehen können.

Menschen suchen die Wahrheit – doch wenn sie sie finden – was dann?Der Wille zur Wahrheit ist der erste Schritt.Wahrheit schliesst die Folgerichtigkeit ein,den Weg vom Beginn bis zum Ende zu gehen –dies ist der Wahrheit Willen.

Pravdy Vůle

Pravda zůstává Pravdou.

Slova mohou zapřít, zranit i pomlouvat –

však co zbyde, jsou pouhá slova.

Pravda stojí nad slovy – stojí pevně.

Je všude kolem, viditelná těm, kdo vidí.

Lidé hledají Pravdu – a když ji naleznou – co dál?

Vůle k Pravdě je prvním krokem na cestě.

Pravda obsahuje důslednost jít cestou od začátku až do konce –

a projeví se Pravdy Vůle.

Die Lizenz zum Schreiben

Nachdenken über Berechtigungen

Wer bin ich, dass ich über ein Thema schreibe, das als „kirchlich“ gewertet wird? Und wer bin ich, dass ich aus der Schweiz und in deutscher Sprache über diese Dinge schreibe, die so vielen Tschechen immer noch heilig sind?

Braucht es dazu eine Berechtigung? Und wer wäre denn berechtigt mir eine Berechtigung zu erteilen? In dieser Hinsicht trete ich in Jan Hus‘ in Fusstapfen, als er sich am Konstanzer Konzil von Jean Gerson angegriffen sah, und als unberechtigt zu einer theologischen Disputation erachtet wurde, da ungenügend von universitärer Seite qualifiziert. Hus hatte „nur“ den Baccalaureus-Grad in Theologie. Er hatte sich dafür entschieden, auf den Magistertitel zu verzichten, da ihn ein weiteres Studium wertvolle Jahre gekostet hätte, die er lieber seiner Lehr- und Predigertätigkeit widmete. Die Person von Jean Gerson und dessen arrogant anmutendes Abstreiten von Hus‘ Berechtigung, mit dem Konzil in Konstanz theologische Standpunkte zu disputieren, soll an anderer Stelle dieses Buches näher beleuchtet sein. Wie war das nun mit der Berechtigung von Jan Hus zu predigen und zu unterrichten?

Man vermutet den jungen, etwas sechzehnjährigen Hus bereits um 1386 in Prag, wo er sich erst „Jan von Husinec“ nannte und als Schreiber und Famulus mit dem Verrichten von „Assistenztätigkeiten“ für Professoren sein Geld verdiente. Nachgewiesen ist dann seine Prüfung zum Baccalaureus der Freien Künste zwischen dem 17. und 20. September 1393. Danach folgten ca. zwei Jahre der Vorbereitung zum Magister der Freien Künste („magister artium“) und schliesslich im Januar 1396 die erfolgreich bestandene Prüfung. Der frisch gebackene Magister hatte in