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Jeden Sommer hallt durch die Gassen Salzburgs der schaurige "Jedermann"-Ruf des Todes. Jetzt ist das "Spiel vom Sterben des reichen Mannes" für "Jedermann" greifbar. Text aus Reclams Universal-Bibliothek mit Seitenzählung der gedruckten Ausgabe.
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Seitenzahl: 64
Hugo von Hofmannsthal
Jedermann
Das Spiel vom Sterben des reichen Mannes
Reclam
2000 Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart
Durchgesehene Ausgabe 2001
auf der Grundlage der gültigen amtlichen Rechtschreibregeln
Gesamtherstellung: Reclam, Ditzingen
Made in Germany 2017
RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart
ISBN 978-3-15-960907-2
ISBN der Buchausgabe 978-3-15-018037-2
www.reclam.de
GOTT DER HERR
ERZENGEL MICHAEL
TOD
TEUFEL
JEDERMANN
JEDERMANNS MUTTER
JEDERMANNS GUTER GESELL
DER HAUSVOGT
DER KOCH
EIN ARMER NACHBAR
EIN SCHULDKNECHT
DES SCHULDKNECHTS WEIB
BUHLSCHAFT
DICKER VETTER
DÜNNER VETTER
ETLICHE JUNGE FRÄULEIN
ETLICHE VON JEDERMANNS TISCHGESELLEN
BÜTTEL
KNECHTE
SPIELLEUTE
BUBEN
MAMMON
WERKE
GLAUBE
MÖNCH
ENGEL
[7]SPIELANSAGER
(tritt vor und sagt das Spiel an).
Jetzt habet allsamt Achtung, Leut,
Und hört, was wir vorstellen heut!
Ist als ein geistlich Spiel bewandt,
Vorladung Jedermanns ist es zubenannt.
Darin euch wird gewiesen werden,
Wie unsere Tag und Werk auf Erden
Vergänglich sind und hinfällig gar.
Der Hergang ist recht schön und klar,
Der Stoff ist kostbar von dem Spiel
Dahinter aber liegt noch viel,
Das müßt ihr zu Gemüt führen
Und aus dem Inhalt die Lehr ausspüren.
[8]GOTT DER HERR
(wird sichtbar auf seinem Thron und spricht).
Fürwahr mag länger das nit ertragen,
Daß alle Kreatur gegen mich
Ihr Herz verhärtet böslich,
Daß sie ohn einige Furcht vor mir
Schmählicher hinleben als das Getier.
Des geistlichen Auges sind sie erblindt,
In Sünd ersoffen, das ist was sie sind,
Und kennen mich nit für ihren Gott,
Ihr Trachten geht auf irdisch Gut allein
Und was darüber, das ist ihr Spott,
Und wie ich sie mir anschau zur Stund,
So han sie rein vergessen den Bund,
Den ich mit ihnen aufgericht hab,
Da ich am Holz mein Blut hingab.
Auf daß sie sollten das Leben erlangen,
Bin ich am Marterholz gehangen.
Hab ihnen die Dörn aus dem Fuß getan
Und auf meinem Haupt sie getragen als Kron.
So viel ich vermocht, hab ich vollbracht
Und nun wird meiner schlecht geacht.
Darum will ich in rechter Eil
Gerichtstag halten über sie
Und Jedermann richten nach seinem Teil.
Wo bist du, Tod, mein starker Bot? Tritt vor mich hin.
TOD.
Allmächtiger Gott, hier sieh mich stehn.
Nach deinem Befehl werd ich botengehn.
GOTT.
Geh du zu Jedermann
Und zeig in meinem Namen ihm an,
Er muß eine Pilgerschaft antreten
[9]Mit dieser Stund und heutigem Tag.
Der er sich nicht entziehen mag.
Und heiß ihn mitbringen sein Rechenbuch
Und daß er nicht Aufschub, noch Zögerung such.
TOD.
Herr, ich will die ganze Welt abrennen
Und sie heimsuchen, Groß und Klein.
Die Gotts Gesetze nit erkennen
Und unter das Vieh gefallen sein.
Der sein Herz hat auf irdisch Gut geworfen,
Den will ich mit einem Streich treffen.
Daß seine Augen brechen
Und er nit findt die Himmelspforten.
Es sei denn, daß Almosen und Mildtätigkeit
Befreundt ihm wären und hilfsbereit.
JEDERMANN
(tritt aus seinem Haus hervor, ein Knecht hinter ihm).
Spring du um meinen Hausvogt schnell,
Muß ihm aufgeben einen Befehl.
(Der Knecht geht hinein.)
Mein Haus hat ein gut Ansehn, das ist wahr,
Steht stattlich da, vornehm und reich,
Kommt in der Stadt kein andres gleich.
Hab drin köstlichen Hausrat die Meng,
Viele Truhen, viele Spind,
Dazu ein großes Hausgesind,
Einen schönen Schatz von gutem Geld
Und vor den Toren manch Stück Feld,
Auch Landsitz, Meierhöf voll Vieh,
Von denen ich Zins und Renten zieh,
Daß ich mir wahrlich machen mag
So heut wie morgen fröhliche Tag.
(Hausvogt tritt auf.)
Vogt, bring einen Säckel Geldes straff,
Den hab ich vergessen in Gürtel zu tun,
Und merk, was ich dir noch anschaff:
[10]Für morgen wird ein Frühmahl gericht,
Das muß bereit’t sein aufs allerbest,
Kommen Verwandte und fremde Gäst.
Der Tisch muß prächtig sein bestellt,
Schick her den Koch, du geh ums Geld.
(Vogt geht hinein, Koch tritt sogleich auf.)
Ein köstlich Frühmahl befehl ich an
für morgen.
KOCH.
Ja, und soll ich dann
Einen jeden Gang bereiten frisch?
JEDERMANN.
Daß dich das Fieber rüttel, frisch!
Kein Überbleibsel auf meinen Tisch.
KOCH.
Es wär von gestern geblieben die Meng
Zumindest für zwei kalte Gäng.
JEDERMANN.
Du Esels-Koch bist so vermessen,
Soll ich eine Bettlermahlzeit essen?
(Der Koch geht ab. Der Vogt ist herausgekommen mit einem Beutel. Jedermann nimmt den Beutel.)
Acht du auf meine Mägd und Knecht,
Gefallen mir allermaßen nit recht.
(Der arme Nachbar wird in der Ferne sichtbar, nähert sich ängstlich. Jedermanns Geselle kommt zugleich raschen Schrittes die Straße hergegangen.)
JEDERMANN
(zum Hausvogt).
Dafür stehst du an der obersten Stell.
Daß du auf sie – da kommt mein Gesell.
(Hausvogt geht ins Haus.)
Hätt beinah müssen auf dich warten.
Wir wollen jetzt vors Stadttor gehen
Und uns dort das Grundstück ansehen.
Obs tauglich ist für einen Lustgarten.
[11]GESELL.
Hast Fortunati Säckel in der Hand.
Dann ist die Sach schon recht bewandt.
Ja, bei dir gilts: gewünscht ist schon getan.
Du hasts danach, drum steht dirs an.
ARMER NACHBAR.
Das ist des reichen Jedermanns Haus.
Oh, Herr, dich bitt ich überaus,
Wollest dich hilfreich meiner erbarmen,
Mildtätig beistehn einem Armen.
GESELL
(zu Jedermann).
Ja, wie gesprochen, wir müssen eilen.
Dürfen uns gar nit länger verweilen.
ARMER NACHBAR
(hebt bittend die Hände).
Oh, Jedermann, erbarm dich mein.
GESELL.
Kennst du leicht das Gesicht?
JEDERMANN.
Ich? Wer solls sein?
ARMER NACHBAR.
Oh, Jedermann, zu dir heb ich die Hand,
Hab auch einst bessre Tag gekannt.
War einst dein Nachbar, Haus bei Haus,
Dann hab ich müssen weichen draus.
JEDERMANN
(gibt ihm eine Münze aus dem Gürtel).
Schon gut!
ARMER NACHBAR
(nimmts nicht).
Das ist eine Gabe gering.
JEDERMANN.
Meinst du? Gottsblut! So reut mich doch das Ding.
ARMER NACHBAR
(weist auf den Beutel).
Davon mein nachbarlich Bruderteil,
So wär ich wieder gesund und heil.
JEDERMANN.
Davon?
[12]ARMER NACHBAR.
Es ist an dem, ich knie vor dir,
Nur diesen Beutel teil mit mir.
JEDERMANN
(lacht).
Nur?
GESELL.
Selbig ist besessen alls!
Hättst tausend Bettler auf dem Hals.
Was tausend, hunderttausend gleich!
ARMER NACHBAR.
Bist allermaßen mächtig reich.
Teilst du den Beutel auf gleich und gleich.
Dir bleiben die Truhen voll im Haus.
Dir fließen Zins und Renten zu.
JEDERMANN.
Mann, wer heißt dich, mein Schrank und Truh,
Mein Zins und Rent in Mund nehmen?
GESELL.
Ich tät mich allerwegen schämen.
JEDERMANN.
Laß! – Mann, da bist du in der Irr.
Wenn du meinst, ich könnt ohnweilen
Den Beutel Geld da mit dir teilen.
Das Geld ist gar nit länger mein.
Muß heut noch abgeliefert sein
Als Kaufschilling für einen Lustgarten.
Ich steh dem Verkäufer dafür im Wort,
Er will aufs Geld nit länger warten.
ARMER NACHBAR.
Wenn dieses Geld für den Garten ist,
So brauchts für dich nur einen Wink,
Für einen Beutel hast du zehn,
Heiß einen andern bringen flink,
Den teil mit mir, bist du ein Christ.
[13]JEDERMANN.
Der nächste, brächt man ihn herbei,
Der Beutel, der wär auch nit frei.
Mein Geld muß für mich werken und laufen
Mit Tod und Teufel hart sich raufen,
Weit reisen und auf Zins ausliegen,
Damit ich soll, was mir zusteht, kriegen.
Auch kosten mich meine Häuser gar viel,
Pferd halten, Hund und Hausgesind
Und was die andern Dinge sind,
Die alleweil zu der Sach gehören,
Lustgärten, Fischteich, Jagdgeheg,
Das braucht mehr Pfleg als ein klein Kind,
Muß stets daran gebessert sein,
Kost alls viel Geld, muß noch viel Geld hinein.
»Ein reicher Mann« ist schnell gesagt,
Doch unsereins ist hart geplagt
Und allerwegen hergenommen,
Das ist dir nicht zu Sinn kommen!
Da läufts einher von weit und breit
Mit Anspruch und Bedürftigkeit.
Tät unsereins nit der Schritte drei