9,99 €
»Jedermann!« Zum ersten Mal erschallte 1920 dieser Ruf über den Salzburger Domplatz, wo das beliebte und berühmte »Spiel vom Sterben des reichen Mannes« bis heute jeden Sommer mit ungeheurem Erfolg aufgeführt wird. Entstanden ist das Stück bereits 1911 und wurde in Zusammenarbeit mit dem legendären Theatermann Max Reinhardt uraufgeführt.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 78
Hugo von Hofmannsthal
Jedermann
Das Spiel vom Sterben des reichen Mannes.
FISCHER E-Books
Erneuert von Hugo von Hofmannsthal
Auf Grund der Vorarbeiten des Dichters revidierter Text
Herausgegeben von Heinz Rölleke
Das am 1. Dezember 1911 in Berlin unter der Regie von Max Reinhardt uraufgeführte ›Jedermann‹-Spiel von Hugo von Hofmannsthal (1874–1929) ist neben dem ›Rosenkavalier‹ zu seinem bekanntesten Werk überhaupt geworden, vor allem seit es am 22. August 1920 erstmals vor dem Salzburger Dom und von da an bei allen Salzburger Festspielen in Szene ging.
Die in Thematik und Stil gleichermaßen scheinbar holzschnittartig oder gar anspruchslos wirkende Dichtung ist tatsächlich auf der Basis einer relativ komplizierten Quellenlage in einem vielschichtigen Entstehungsprozeß entstanden.
1903 war der Dichter auf das anonyme englischsprachige ›Everyman‹-Spiel vom Ende des 15. Jahrhunderts (Erstdruck 1529) aufmerksam geworden; er plante eine deutsche Bearbeitung, mit der er die Möglichkeiten der modernen Schaubühne erweitern wollte. Doch seit 1905 beschäftigte ihn eine eigene ›Jedermann‹-Dichtung in Prosa, die dem alten Stück nur noch die Grundsituation verdanken sollte – die unvorhergesehene Konfrontation eines lebensfrohen Mannes mit dem Tod. Diese in jeder Hinsicht moderne Dichtung blieb Fragment und ging teilweise in Hofmannsthals Arbeiten am ›Dominic Heintl‹ auf. Erst im September 1909 wandte sich Hofmannsthal wieder dem ›Jedermann‹-Stoff zu: Der geniale Regisseur Max Reinhardt drängte ihn, das in England inzwischen wieder sehr populär gewordene Sujet baldmöglichst zu bearbeiten, damit ihm niemand damit zuvorkomme. Hofmannsthal erstellte daraufhin eine fast vollständige, eng dem Original verpflichtete Übersetzung in unregelmäßig gereimten und dem Stil des Knittels angenäherten Versen. Bei einer abermaligen Begegnung mit Reinhardt im Januar 1911 wurde beiden ein gewisser Mangel an äußerer Handlung und Farbigkeit der Personenbezeichnung bewußt; um dem abzuhelfen, kontaminierte Hofmannsthal seine Übersetzung mit einem Spiel gleichen Themas von Hans Sachs: ›Ein comedi von dem reichen sterbenden menschen‹ (1549). Letzterem entnahm er Figuren und Handlungselemente vor allem für den ersten Teil, das sog. ›Weltleben‹ Jedermanns.
Darüber hinaus zog er neben vielen anderen, in den Einzelkommentaren zur Kritischen Ausgabe (s. u.) nachgewiesenen Vorlagen ein gereimtes Gebet Dürers (für die erste Szene mit der Mutter), Lieder einiger Minnesänger (für die Bankettszene) sowie sporadisch Schauspiele Calderóns (›Balthasars Nachtmahl‹) und Maeterlincks (›L’Intruse‹) heran. Von ganz besonderem Einfluß auf Ideen und Motive der endgültigen Gestaltung des ›Jedermann‹ waren Georg Simmels ›Philosophie des Geldes‹ (Jedermanns Umgang mit seinem Reichtum und die Mammon-Szene) sowie Robert Burtons ›The Anatomy of Melancholy‹ aus dem 17. Jahrhundert (Jedermanns Charakter).
Fühlte sich der Dichter während der Abschlußarbeiten nur wie ein ›Restaurator‹, der sein Werk allerdings mit hohem Sachverstand betrieb, so stellte er den ›Jedermann‹ nach dem überraschend großen und nachhaltigen Bühnen- und Bucherfolg als seine ureigentliche Schöpfung heraus – und das mit Recht. Wie die ›Volksmärchen‹, auf die er sich in der Vorrede nicht zufällig beruft, ohne das Sammel- und Erzählgenie der Brüder Grimm nie zu einem internationalen Erfolg geworden wären, so wäre auch das ›Jedermann‹-Sujet ohne Hofmannsthals gelungene Kontamination divergierendster Quellen aus vielen Nationalliteraturen und Epochen, vor allem aber ohne seine artifiziell archaisierte und doch so genuin einheitlich wirkende Sprachgebung weithin vergessen geblieben. Dank neuerer Forschungen läßt sich nachweisen, wie genau Hofmannsthal – bewußt und unbewußt – den Bearbeitungsmethoden der Brüder Grimm folgte: Von der Kontamination international verbreiteter und verschiedenen Jahrhunderten entstammender literarischer Quellen über deren sprachliche Bearbeitung in einem einheitlichen Stil bis hin zur Einführung der sowohl in den ›Kinder- und Hausmärchen‹ wie im ›Jedermann‹ gleichermaßen zahlreichen volksläufigen Sprichwörter und Redensarten.
Dabei machen gerade die neuen Quellendokumentationen in der Kritischen Ausgabe deutlich, daß mit diesem Spiel nicht nur ein im wesentlichen dem Geist des Spätmittelalters verpflichtetes, typenhaftes und damit zeitloses Identifikationsangebot an Zuschauer und Leser aller Alters- und Bildungsschichten gegeben ist, sondern auch die Probleme des modernen Menschen, seines gesellschaftlichen Lebens und seines schweren Sterbens subtil eingebracht und aufgearbeitet sind.
Daß in der vorliegenden Ausgabe erstmals Flüchtigkeiten und Versehen in der bisher tradierten Textgestalt im Rückgriff auf Hofmannsthals Vorarbeiten revidiert werden konnten (an die 160 Verbesserungen oder Ergänzungen), mag dazu beitragen, diesem literarischen Welterfolg den Weg ins neue Jahrzehnt seiner Wirkungsgeschichte zu ebnen.
Heinz Rölleke
Die Kritischen Texte der drei verschiedenen ›Jedermann‹-Versionen Hofmannsthals (Prosa- und Übersetzungsfragment sowie Schlußfassung), Darstellung der Entstehungsgeschichte und Quellenlage sowie Dokumentationen der Überlieferungsträger, der Textvarianten und Zeugnisse nebst ausführlichen Einzelerläuterungen bietet die Kritische Ausgabe:
Hugo von Hofmannsthal, Sämtliche Werke, Band IX, Dramen 7, hrsg. von Heinz Rölleke (= Hugo von Hofmannsthal, Sämtliche Werke, Kritische Ausgabe, veranstaltet vom Freien Deutschen Hochstift, hrsg. von Rudolf Hirsch, Clemens Köttelwesch ✝, Heinz Rölleke, Ernst Zinn ✝), Frankfurt am Main, S. Fischer Verlag 1990.
Hugo von Hofmannsthal
Die deutschen Hausmärchen, pflegt man zu sagen, haben keinen Verfasser. Sie wurden von Mund zu Mund weitergetragen, bis am Ende langer Zeiten, als Gefahr war, sie könnten vergessen werden oder durch Abänderungen und Zutaten ihr wahres Gesicht verlieren, zwei Männer sie endgültig aufschrieben. Als ein solches Märchen mag man auch die Geschichte von Jedermanns Ladung vor Gottes Richterstuhl ansehen. Man hat sie das Mittelalter hindurch an vielen Orten in vielen Fassungen erzählt; dann erzählte sie ein Engländer des fünfzehnten Jahrhunderts in der Weise, daß er die einzelnen Gestalten lebendig auf eine Bühne treten ließ, jeder die ihr gemäßen Reden in den Mund legte und so die ganze Erzählung unter die Gestalten aufteilte. Diesem folgte ein Niederländer, dann gelehrte Deutsche, die sich der lateinischen oder der griechischen Sprache zu dem gleichen Werk bedienten. Ihrer einem schrieb Hans Sachs seine Komödie vom sterbenden reichen Mann nach. Alle diese Aufschreibungen stehen nicht in jenem Besitz, den man als den lebendigen des deutschen Volkes bezeichnen kann, sondern sie treiben im toten Wasser des gelehrten Besitzstandes. Darum wurde hier versucht, dieses allen Zeiten gehörige und allgemeingültige Märchen abermals in Bescheidenheit aufzuzeichnen. Vielleicht geschieht es zum letztenmal, vielleicht muß es später durch den Zugehörigen einer künftigen Zeit noch einmal geschehen.
Hugo von Hofmannsthal.
Der Spielansager
Gott der Herr
Erzengel Michael
Tod
Teufel
Jedermann
Jedermanns Mutter
Jedermanns Guter Gesell
Der Hausvogt
Der Koch
Ein armer Nachbar
Ein Schuldknecht
Des Schuldknechts Weib
Buhlschaft
Dicker Vetter
Dünner Vetter
Etliche junge Fräulein
Etliche von Jedermanns Tischgesellen
Büttel
Knechte
Spielleute
Buben
Mammon
Werke
Glaube
Mönch
Engel
SPIELANSAGER
tritt vor und sagt das Spiel an
Jetzt habet allesamt Achtung Leut
Und hört was wir vorstellen heut!
Ist als ein geistlich Spiel bewandt
Vorladung Jedermanns ist es zubenannt.
Darin euch wird gewiesen werden,
Wie unsere Tag und Werk auf Erden
Vergänglich sind und hinfällig gar.
Der Hergang ist recht schön und klar,
Der Stoff ist kostbar von dem Spiel
Dahinter aber liegt noch viel
Das müßt ihr zu Gemüt euch führen
Und aus dem Inhalt die Lehr ausspüren.
GOTT DER HERR
wird sichtbar auf seinem Thron (vor ihm der Tod, neben ihm der Erzengel Michael) und spricht
Fürwahr mag länger das nit ertragen,
Daß alle Kreatur gegen mich
Ihr Herz verhärtet böslich,
Daß sie ohn einige Furcht vor mir
Schmählicher hinleben als das Getier.
Des geistlichen Auges sind sie erblindt
In Sünd ersoffen, das ist was sie sind,
Und kennen mich nit für ihren Gott,
Ihr Trachten geht auf irdisch Gut allein
Und was darüber, das ist ihr Spott,
Und wie ich sie mir auch anschau zur Stund
So han sie rein vergessen den Bund
Den ich mit ihnen aufgericht hab
Da ich am Holz mein Blut hingab.
Auf daß sie sollten das Leben erlangen
Bin ich am Marterholz gehangen.
Hab ihnen die Dörn aus dem Fuß getan
Und auf meinem Haupt sie getragen als Kron.
So viel ich vermocht, hab ich vollbracht
Und nun wird meiner schlecht geacht.
Darum will ich in rechter Eil
Gerichtstag halten über sie
Und Jedermann richten nach seinem Teil.
Wo bist du, Tod, mein starker Bot? Tritt vor mich hin.
TOD
Allmächtiger Gott, hier sieh mich stehn,
Nach deinem Befehl werd ich botengehn.
GOTT
Geh du zu Jedermann
Und zeig in meinem Namen ihm an
Er muß eine Pilgerschaft antreten
Mit dieser Stund und heutigem Tag
Der er sich nit entziehen mag.
Und heiß ihn mitbringen sein Rechenbuch
Und daß er nit Aufschub, noch Zögerung such.
TOD
Herr, ich will die ganze Welt abrennen
Und sie heimsuchen Groß und Klein,
Die Gotts Gesetze nit erkennen
Und unter das Vieh gefallen sein.
Der sein Herz hat auf irdisch Gut geworfen,
Den will ich mit einem Streich treffen,
Daß seine Augen brechen
Und er nit findt die Himmelspforten
Es sei denn, daß Almosen und Mildtätigkeit
Befreundt ihm wären und hilfsbereit.
Erscheinung des Herrn (und des Erzengels Michael) verschwindet. Tod steigt hinab, wird gleichfalls unsichtbar. Die Beleuchtung wechselt.
JEDERMANN
tritt aus seinem Haus hervor, ein Knecht hinter ihm
Spring du um meinen Hausvogt schnell,
Muß ihm aufgeben einen Befehl.
Der Knecht geht hinein.
Mein Haus hat ein gut Ansehn, das ist wahr,
Steht stattlich da, vornehm und reich,
Kommt in der Stadt kein andres gleich.
Hab drin köstlichen Hausrat die Meng,
Viele Truhen, viele Spind,
Dazu ein großes Hausgesind,
Einen schönen Schatz von gutem Geld
Und vor den Toren manch Stück Feld,
Auch Landsitz, Meierhöf voll Vieh,
Von denen ich Zins und Renten zieh,
Daß ich mir wahrlich machen mag
So heut wie morgen fröhliche Tag.
Hausvogt tritt auf.
Vogt, bring einen Säckel Geldes straff,
Den hab ich vergessen in Gürtel zu tun,
Und merk, was ich dir noch anschaff:
Für morgen wird ein Frühmahl gericht,