Jerry Cotton 3128 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton 3128 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

Am Ufer des Kentucky River wurden innerhalb einer Woche zwei männliche Leichen angeschwemmt - mit jeweils drei Schüssen in der Brust. Die toten Männer, Donald Krupp und Chuck Campbell, waren den Behörden nicht unbekannt. In mehreren Bundesstaaten hatte das FBI bereits wegen schwerer Gewaltverbrechen nach ihnen gefahndet. Jetzt schienen die beiden Verbrecher irgendjemandem in die Quere gekommen zu sein. Als Phil und ich uns an die Ermittlungen machten, schien es, als jagten wir einen Geist ...

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Seitenzahl: 144

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Inhalt

Cover

Impressum

Unsterblich ist nur der Tod

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelfoto: (Film) »Internal Affairs – Trau ihm, er ist ein Cop«/ddp-images

eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-4694-7

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Unsterblich ist nur der Tod

Der Wagen drosselte die Geschwindigkeit und kam in der Mitte der Brücke zum Stehen.

»Warum halten wir an?«, stöhnte der Mann auf der Rückbank. Die Schmerzen in seinem Rücken waren unerträglich. Der Sitz unter ihm schwamm förmlich in Blut.

Die Antwort auf seine Frage war der Lauf einer Smith & Wesson 442 Double Action, die auf seinen Kopf zeigte.

»Schafft ihn raus!«, knurrte der Mann, den die anderen nur »Boss« nannten.

Man griff dem Verletzten unter die Arme, zog ihn aus dem Fahrzeug und lehnte ihn ans Geländer. Die Knie gaben unter ihm nach, Sterne tanzten vor seinen Augen. Der Boss baute sich vor ihm auf, während die anderen wegsahen. Hinter ihm ging es beängstigende zweihundertfünfzig Fuß in die Tiefe.

»Geht es um meinen Anteil? Ist es das?«, fragte der Sterbende.

Der Boss setzte eine geschäftsmäßige Miene auf. »Wir können es uns nicht leisten, dich mitzunehmen. Du hältst uns nur auf.«

Bevor er Einspruch erheben konnte, bellte schon der Revolver. Die Wucht der Einschläge schleuderte ihn nach hinten. Er versuchte verzweifelt, sich an den Metallstreben festzuklammern, doch seine Hände hatten keine Kraft mehr.

Plötzlich wurde er hochgehoben. Die Welt stand kopf.

Er fiel … fiel unendlich lange und sah das blaue Band des Flusses auf sich zuflattern, während sein Bewusstsein schwand.

Rhonda bestand darauf, zu zahlen. Dagegen hatte ich nicht das Geringste einzuwenden, im Gegenteil. Ich ließ mich gerne von schönen Frauen zum Essen einladen. Als Anwältin in einer Wirtschaftsprüfungskanzlei konnte sie sich das in diesem philippinischen Gourmettempel an der Eleventh Street auch locker leisten, ganz im Gegensatz zu mir.

Wir waren uns zwei-, dreimal im Fitnessstudio über den Weg gelaufen. Ich hatte ihr geholfen, die richtigen Gewichte einzustellen, sie hatte mir ein Handtuch geliehen, als in meiner Sporttasche überraschend Leere geherrscht hatte. Und schließlich waren wir heute Nachmittag im E Street Cinema gelandet, wo wir in der letzten Reihe wie Teenager im Dunkeln knutschten und rein gar nichts vom Film mitbekamen. Danach hatten wir Appetit, in erster Linie aber nicht auf ein gutes Abendessen.

Wir verließen das Restaurant, und meine Fernbedienung ließ die Blinker des Jaguar auf dem Parkplatz aufblitzen. Die Nacht war wunderbar lau. In meinem Kühlschrank zu Hause wartete eine eisgekühlte Flasche Chablis.

»Das ist wirklich ein bemerkenswertes Auto«, fand Rhonda. »Ich wusste gar nicht, dass man als Beamter so gut verdient. Oder ist das etwa ein Dienstwagen?«

Bei Dates fiel ich nicht unbedingt sofort mit meiner Job Description ins Haus. Ich war einfach ein Bundesbeamter, und denen begegnete man in Washington an jeder Ecke. Doch Rhonda war zu intelligent, um sich von mir einen Bären aufbinden zu lassen. Also verhielt ich mich weise und hielt den Mund.

»Wie weit kann man denn da die Lehnen zurücklegen?«, fragte sie. In ihrem Blick lag ein Versprechen.

In diesem Moment klingelte mein Telefon. Ich schaltete die Freisprechanlage ein, und die Stimme von Dorothy Taylor, der Assistentin unseres Chefs, ertönte. Sie klang gelassen, obwohl sie es vermutlich ebenso wenig schätzte, an einem solchen Abend aus einer Privatveranstaltung gerissen zu werden, wie ich. »Hallo, Jerry. Tut mir leid, es ist Samstag, aber Mister High bittet Sie und Phil dringend ins Büro.«

»Haben Sie Phil schon Bescheid gegeben?«, fragte ich.

Das hatte sie. Mein Partner wartete darauf, von mir zu Hause abgeholt zu werden. Ich solle die Koffer packen, vermutlich würden wir ein paar Tage fort sein. Ich bedankte mich und beendete das Gespräch. Rhonda sah erst zu mir, dann nach hinten. Natürlich hatte der Jaguar keine Rück- oder Notsitze. Sie klemmte ihre Clutch unter den Arm und stieß die Beifahrertür auf.

»Wohin willst du?«, fragte ich verwundert.

»Ich nehme den Bus, Jerry, ist kein Problem. Du musst deinen Kollegen abholen.«

»Zeit genug, um dich nach Hause zu fahren, bleibt allemal«, wehrte ich ab. Ich beugte mich über ihren Schoß und zog die Tür wieder zu. Ihr Parfum mit der Note von Zitrusfrüchten und Moschus stieg mir zu Kopf.

Sie kraulte mir den Hinterkopf. »Dein Büro ist nicht zufällig an der Pennsylvania Avenue?«, erklang ihre Stimme zärtlich in meinem Nacken.

»Ich bin bei der Finanzbehörde«, erwiderte ich lachend, richtete mich auf und startete den Anlasser. Das tiefe Gurgeln des Zwei-Gallonen-Motors, begleitet von einem sanften Vibrieren, setzte ein.

Rhonda zog etwas aus ihrer Handtasche. Es war ein kleiner Zahnbürstenkoffer. Sie wedelte keck damit vor meiner Nase herum. »Hab ich extra mitgenommen.«

»Sobald ich wieder zurück bin, holen wir das nach. Du darfst sogar meine Zahnpasta benutzen«, versprach ich ihr wehmütig, während ich vom Parkplatz fuhr.

»Wohin musst du denn?«, fragte sie.

Ich zuckte die Schultern. »Keine Ahnung. In einer halben Stunde weiß ich es.«

»Und wenn du es mir sagst, musst du mich dann … töten?«

»Nein, ich bin nur ein einfacher Finanzbeamter und ganz harmlos«, log ich wenig überzeugend.

Ich setzte Rhonda zu Hause ab, nicht ohne mich ausgiebig von ihr zu verabschieden, danach sammelte ich Phil zu Hause auf.

***

Eine Viertelstunde später betraten wir Mr Highs Vorzimmer im J. Edgar Hoover Building. In einigen Büros brannte zwar noch Licht, aber generell ging es an einem solchen Abend eher ruhig zu. Dorothys tadellos aufgeräumter Schreibtisch bewachte wie ein schlafender Löwe den Eingang zum Büro des Chefs. Die Tür stand offen.

Mr High war leger gekleidet, zumindest für seine Verhältnisse. An einen Dresscode hielt sich hier am Wochenende niemand. Er hatte das betreffende Dossier bereits auf dem Tisch ausgebreitet und bat uns herein.

»Nehmen Sie Platz! Tut mir leid wegen der unchristlichen Zeit, ich hoffe, Sie waren gerade dabei, das Restaurant zu verlassen, nicht etwa, es zu betreten, Jerry? Man hat mir gesagt, dieser Filipino koche geradezu sensationell.«

Woher hatte der Chef seine Informationen nur wieder? Vermutlich von Dorothy. Aber ich teilte seine Einschätzung: Das Essen war wirklich jeden Dollar aus Rhondas Portemonnaie wert gewesen.

Mr High schob zwei Check-in-Bestätigungen von American Airlines über den Tisch. »Ich schicke Sie nach Louisville, von dort geht es weiter nach Frankfort. Die Kollegen haben zwei männliche Leichen aus dem Kentucky River gefischt. Es handelt sich um Stammkunden. Die Männer wurden erschossen, möglicherweise vom selben Täter. Ihr Ansprechpartner ist Special Agent in Charge Jack Nicklas, der Nachfolger von Rick Dreyer, den Sie, glaube ich, schon kennengelernt haben.«

Wir nickten.

»Er leitet das Büro in Louisville. Da die beiden Opfer in verschiedenen Staaten gesucht wurden und weil sie auf einer unserer Most-Wanted-Listen stehen, hat der zuständige Sheriff in Frankfort das einzig Richtige getan und Nicklas verständigt.«

»Gibt es schon irgendwelche Vermutungen?«, fragte ich.

Er schüttelte den Kopf. »Nichts Substanzielles. Ich befürchte, Sie müssen ganz von vorne anfangen. Der Einzige, der schon mit der Arbeit begonnen hat, ist der Coroner in Louisville, der die Obduktion durchgeführt hat.«

Mr High fächerte die Tatortfotos auf der Tischplatte auf. Doch außer zwei aufgedunsenen Wasserleichen, die nur schwer erkennen ließen, dass es sich einmal um Menschen gehandelt hatte, war darauf nicht viel zu sehen.

Phil und ich sammelten an Unterlagen ein, was der Chef hatte auftreiben können. Wir würden auf dem Flug ausreichend Zeit haben, uns damit zu beschäftigen.

Zwei Stunden später ließen wir uns in die Ledersitze der Embraer ERJ-175 sinken und lauschten der Sicherheitsunterweisung einer sehr blonden Stewardess. Louisville ist geradezu der Inbegriff des Hinterlandes, ging es mir durch den Kopf, und es war tiefstes Coal Country. Die Arbeitslosigkeit war hoch unter den ehemaligen Kohlekumpels. Und jetzt war die Gegend auch noch Schauplatz eines Doppelmordes.

***

Nicklas holte uns am Flughafen von Louisville ab. Er war ein vierschrötiger Bursche, genau die Sorte, die man bei einem Polizisten aus Kentucky erwartete. Wir erkannten ihn, kaum dass wir die Gepäckausgabe verlassen hatten.

Unser Flugzeug war fast leer gewesen. Außer uns war nur eine Handvoll Mitarbeiter von UPS an Bord gewesen, die man an ihren braunen Uniformen erkannte, und der eine oder andere Familienvater. Entsprechend wenige Abholer warteten im Terminal. Nicklas trug als Einziger in einer Samstagnacht einen Anzug, der noch dazu nicht besonders gut saß. Er begrüßte uns mit einem kräftigen Handschlag.

»Willkommen in Louisville, Inspektor Cotton und Inspektor Decker. Ich bin Special Agent in Charge Nicklas. Ich hoffe, Sie hatten einen guten Flug.«

Den hatten wir gehabt, bestätigte ich.

»Schade, dass die Kerle nicht im Mai umgebracht wurden. Da findet hier das Kentucky Derby statt, das ist wirklich einen Besuch wert.«

Ich hatte natürlich schon von Amerikas bekanntestem Pferderennen gehört, es selbst aber noch nie besucht. Nicklas’ Sarkasmus kam mir ein bisschen fehl am Platz vor. Weil ich es mir nicht gleich in den ersten zehn Minuten mit ihm verscherzen wollte, behielt ich das jedoch für mich.

»Danke fürs Abholen, das wäre wirklich nicht nötig gewesen. Wir hätten uns auch ein Taxi nehmen können«, beteuerte ich.

Aber Nicklas bestand darauf, es bereite ihm keine Mühe. Da es schon spät war, würde er uns direkt ins Hotel bringen. Falls wir jedoch noch Lust auf einen Absacker hätten, könne er uns in die Mussle & Burger Bar in der Siebten Straße ausführen, gleich um die Ecke beim Hotel, und uns dort auf den Stand der Ermittlungen bringen. Aber das könnten wir natürlich auch erst am Sonntag tun. Wir nahmen sein Angebot zu einem Schlummertrunk gern an, obwohl mein Appetit für heute eigentlich gestillt war.

Nachdem wir unsere Koffer in den Zimmern deponiert hatten, wanderten wir gemeinsam in der warmen Nachtluft den Straßenblock hinunter. Die Bar hatte ein barockes Flair, und daran war die vergoldete Trophäe eines Longhorn-Rinderkopfes, unter der wir direkt einen Tisch bekamen, nicht ganz unschuldig. Nicklas hieß uns abermals willkommen und begann, über den Fall zu berichten.

»Bei den Toten handelt es sich um Chuck Campbell und Donald Krupp, beide dem FBI wohlbekannt. Sie wurden in vier Bundesstaaten gesucht, und zwar wegen bewaffnetem Raub, Einbruchdiebstählen und Verstößen gegen das Sprengstoff- und Waffengesetz. Sie waren schon eine Weile untergetaucht. Campbell wurde vor einigen Monaten in Columbus gesichtet, Krupp hat sich vor längerer Zeit in Springfield einer Verhaftung entzogen. Ich hätte sie zwar lieber hinter Gittern gesehen, aber na ja …«

»Das klingt ein wenig so, als seien Sie demjenigen dankbar, der die Typen aus dem Verkehr gezogen hat«, äußerte Phil, während er mit seiner Gabel eine Muschel aus der Curry-Sahnesoße fischte.

»Ich kann nicht gerade sagen, dass ihr Tod uns im Field Office schlaflose Nächte bereitet«, gab Nicklas zu.

»Kannten Sie einen der beiden persönlich?«, fragte ich.

Nicklas verneinte.

»Kannten sich die beiden untereinander?«, wollte ich wissen.

Darüber war dem SAC nichts bekannt. »Möglich wäre es jedoch. Sie waren Serientäter, beide von früher Jugend an kriminell. Kamen aus demselben County. Campbell war ein Waffennarr, der zum ersten Mal ins Loch eingewandert war, weil er Dinge in seiner Garage gehortet hatte, die unsere Jungs im Irak gerne gehabt hätten, um sich gegen die Mudschaheddin zu verteidigen.«

»Waren die Mudschaheddin nicht in Afghanistan und im Iran?«, korrigierte ich ihn.

Nicklas zuckte die Schultern. Es schien ihm egal zu sein, Hauptsache seine Botschaft kam rüber. »Er konnte jedenfalls jedem so ziemlich alles beschaffen. Es war nur eine Frage des nötigen Kleingelds.«

»Und Krupp?«, fragte ich.

»Krupp war Laborant. Chemiker, wenn Sie so wollen. Man nannte ihn den Professor. Ein cleverer Bursche. Den haben sie eingebuchtet, weil er in einem Privatlabor in seinem Keller Bomben gebaut hat. Nicht, um sie selbst einzusetzen. Er war kein Fanatiker. Er hat sie einfach an den Meistbietenden verkauft. Irgendwann ist dann mal was mit einer seiner explosiven Mischungen schiefgelaufen. Seitdem konnte er den linken Arm nicht mehr bewegen. Ich glaube, da wo sein Haus stand, ist heute ein vier Yard tiefer Krater.«

»Wo sind die Leichen im Moment?«, fragte ich.

»Beim Coroner im Bingham Building, das liegt an der LaGrange Road. Ich habe Sie Doktor Jones angekündigt. Sie können sie morgen besuchen.«

»Sehr gut. Wo genau wurden Krupp und Campbell gefunden?«, wollte Phil wissen.

»Nahe Frankfort, ungefähr sechzig Meilen östlich von Louisville. Campbell wurde in das Schutzgitter einer Bourbon-Destillerie gespült, die Wasser aus dem Kentucky River abzapft.«

»Ich hoffe nicht, um Whisky daraus zu brauen?«, wunderte sich mein Partner.

Nicklas setzte ein breites Grinsen auf. »Höchstens für den Export nach Europa. Nein, keine Angst: Sie verwenden es nur zur Kühlung. Krupp wiederum wurde von einem Angler im Schilf entdeckt. Ertrinken war aber bei beiden nicht die Todesursache. Sie bekommen von mir morgen früh einen Wagen aus der Fahrbereitschaft, damit können Sie Doktor Jones aufsuchen und den Tatort besichtigen. Soll ich Ihnen jemanden aus meinem Team mitgeben, der sich in der Gegend auskennt?«

Das war nicht nötig, wie ich ihm versicherte.

»Haben Sie sonst etwas an den Leichen gefunden, bei dem es sich nachzuhaken lohnt?«, fragte Phil.

»Campbell hatte ein Portemonnaie bei sich, in dem sich unter anderem zwei gefälschte Kreditkarten befanden. Krupp hatte sein Handy in der Tasche. Das Gerät selbst ist durch den Wasserschaden unbrauchbar geworden. Aber die Karten waren noch drin. Wir wollten mit dem Auswerten warten, bis Sie da sind.«

Ich bat Nicklas, das Handy und die Karten nach Quantico zum Scientific-Research-Team zu Händen von Dr. Mai-Lin Cha zu schicken. Sie würde sich um die Auswertung der auf dem Handy und den Kreditkarten gespeicherten Informationen kümmern.

»Haben Sie einen Verdacht, wer der oder die Täter sein könnten, Special Agent in Charge Nicklas?«, wollte ich wissen.

»Es muss derselbe Täter sein, das wird Ihnen auch Doktor Jones bestätigen. Die Sache ist meiner Meinung nach eine Abrechnung unter Gangstern. Ich hoffe nur, hier zettelt niemand einen Bandenkrieg an. So was können wir hier im County nicht gebrauchen.«

Niemand konnte einen Bandenkrieg brauchen, da pflichtete ich ihm bei: nicht im County, nicht in Kentucky und nirgends sonst im Land.

***

Am nächsten Morgen brachte Nicklas uns aus der Fahrbereitschaft einen Chevy Tahoe LS mit ordentlich Pferdestärken unter der Haube zum Hotel. Ich setzte ihn im Field Office ab und kutschierte Phil und mich im Anschluss in die LaGrange Street.

Dr. Jones, die für das County zuständige Gerichtsmedizinerin, war der Typ mütterliche handfeste Landärztin. Ihr burschikoses Auftreten täuschte über die über Jahre hinweg erworbene lange Liste an Zusatzqualifikationen und Spezialausbildungen hinweg, die sie zu einer äußerst fähigen forensischen Pathologin machte. Jones war jemand, mit dem sich Dr. Willson, unser Mediziner aus dem SRT in Quantico, bei ein paar kühlen Blonden prächtig verstanden hätte.

»Kommt rein, Jungs«, empfing sie Phil und mich kumpelhaft und schob uns in den Sektionsraum. »Jack hat euch bereits angekündigt. Ich hole die Ware. Aber nichts anfassen!«

Phil und ich sahen uns um. Am Fenster hingen geblümte Gardinen, neben dem Tablett mit diversen Gerätschaften, Knochensägen und Sonstigem, die Fantasie anregende Instrumente inklusive, stand eine Vase mit frischen Blumen. Aus der Kaffeemaschine neben der Eingangstür gluckerte es verführerisch. Wenn man einmal von dem absah, was hier Tag für Tag mit menschlichen Körpern angestellt wurde, wirkte der Raum geradezu heimelig.

Jones schob die erste Leiche herein, kurz darauf die zweite. Wir halfen ihr, die Rollwagen nebeneinander zu stellen. Ich spürte unter den Leichentüchern die Kälte von den Körpern aufsteigen, die direkt aus der Kühlkammer kamen. Bei der stickigen Atmosphäre hier drin war das fast so etwas wie eine Wohltat.

Jones zog die weißen Tücher von den Toten, und ihre nackten Körper präsentierten sich uns in ihrer ganzen Wohlgestalt. Eine Leiche war dem Verfallsprozess offenbar schon länger ausgesetzt gewesen als die andere. Der Coroner beobachtete uns neugierig. Vermutlich lotete sie aus, wer von uns beiden zuerst umkippen würde. Aber da kannte sie uns schlecht.

»Kann ich einen Kaffee bekommen?«, fragte Phil fröhlich.

Jones, die ein zufriedenes Gesicht aufsetzte, bediente die Kaffeemaschine und drückte jedem von uns einen Becher in die Hand. Dann zog sie einen Laserpointer aus ihrer Brusttasche und begann mit den Ausführungen, während der rote Lichtpunkt über die Körper der Toten wanderte.

»Drei Einschüsse im Bereich des Unterleibs. Bei Campbell zwei Steckschüsse und ein Durchschuss, bei Krupp – das ist der mit der Glatze – genau andersherum. Das verwendete Kaliber ist ein .38 Special. Der Schütze hat wohl bewusst nicht aufs Herz gezielt, denn der Abstand zum Opfer war sehr gering. Das lässt darauf schließen, dass nicht direkt eine Tötungsabsicht vorlag.«

»Also hat derjenige es darauf angelegt, dass sich die Opfer möglichst lange mit einem Bauchschuss quälen?«, fragte ich.

»Würde ich so sehen. Oder der Täter war extrem kurzsichtig«, scherzte Dr. Jones. »Die Männer sind zu unterschiedlichen Zeiten und an unterschiedlichen Ursachen gestorben. Campbell ist nach etwa zwei Minuten verblutet, weil ein Projektil die Bauchschlagader zerfetzt hat. Da trieb er schon im Fluss, doch dass er davon noch etwas mitbekommen hat, ist mehr als fraglich.«

Ich nickte.

»Die niedrige Wassertemperatur hat den Todeseintritt möglicherweise noch um eine geringe Zeitspanne verzögert, so genau kann ich das nicht sagen. Krupp wiederum hat sich das Genick gebrochen, als er auf einen harten Gegenstand geprallt ist. Beide Männer sind aus großer Höhe aufs Wasser aufgeschlagen, das erkennt man an den Hämatomen am Rücken und auf der Seite.«

»Aus großer Höhe? Meinen Sie etwa, aus einem Flugzeug oder Helikopter?«, wunderte sich Phil.

»Wohl eher von einer Brücke. Ich schätze mindestens zwei- bis dreihundert Fuß hoch.«

»Gibt es überhaupt so hohe Brücken am Kentucky River?«, fragte ich.