Jerry Cotton Sonder-Edition 7 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton Sonder-Edition 7 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

Phil und ich waren einer Rauschgiftbande auf der Spur. Ich hatte dabei die Rolle des Undercover-Agenten übernommen. In dieser Rolle geriet ich ins Visier einer jugendlichen Schlägerbande und musste mir eine Abreibung von ihnen gefallen lassen. Stück für Stück kamen wir an den Boss der Rauschgift-Dealer heran, doch der hatte immer noch ein Ass im Ärmel ...

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Inhalt

Cover

Impressum

Tödlicher »Schnee«

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2015 by Bastei Lübbe AG, Köln

Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Film: »Maria full of Grace«/ddp-images

E-Book-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-1624-7

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Tödlicher »Schnee«

1963 startete der Bastei Verlag die Jerry Cotton Taschenbücher in Ergänzung zu der Heftromanserie, die zu diesem Zeitpunkt schon in der zweiten Auflage war.

Damals fragte der Klappentext der Taschenbücher noch: Wer ist G-man Jerry Cotton? Und gab auch gleich die Antwort: »Er ist ein breitschultriger, gutaussehender FBI-Beamter, der sein Leben dem Kampf gegen Gangster gewidmet hat. Durch seinen Mut und seine Entschlossenheit hat er die Herzen von Millionen Lesern in mehr als 40 Ländern erobert.«

Die Jerry Cotton Sonder-Edition bringt die Romane der Taschenbücher alle zwei Wochen in einer Ausgabe.

Es ist eine Reise durch die Zeit der frühen 60er Jahre bis in das neue Jahrtausend.

1

Sie standen vor dem East Side Airline Terminal und blickten mir entgegen. Es war morgens gegen acht, und sie waren zu dritt. Ihre jungen Gesichter waren ausdruckslos.

Als ich nur noch ein paar Schritte vom Haupteingang entfernt war, vertrat mir der Kleinste der drei den Weg. Der Bursche hatte die Daumen in den Gürtel gehakt, wippte auf den Zehenspitzen und brummelte: »Eh, Mister! ’n Morgen. Mister, wir sind pleite.«

Ich blieb stehen und sah sie mir genauer an. Alle drei trugen Jeans und schwarze Lederjacken und hatten den Kragen hochgeklappt. Der Kleine vor mir mochte 18 sein, die beiden anderen offenbar etwas älter.

»Sie ziehen aber eine schlechte Nummer ab, Mister«, brummte der Kleine, als ich keine Antwort gab. »Schwerhörige mögen wir nicht leiden, Mister. Trotzdem will ich es noch mal sagen, Mister. Wir sind pleite, Mister.«

Bei dem Auftrag, den ich zu erledigen hatte, durfte ich kein Aufsehen erregen. Also trat ich einen Schritt nach links, um an dem Jungen vorbeizugehen. Aber er machte ebenfalls einen Schritt zur Seite und stand wieder genau vor mir.

»Schlecht, Mister, schlecht für Sie, dass Sie so schwerhörig sind. Wir sind pleite, Mister. Wir wollen doch nur zehn Dollar, Mister. Zehn Bucks, zehn Scheinchen pro Nase – und wir sind drei.«

Er starrte mir in die Augen, zog dann langsam ein Schnappmesser aus der Tasche und ließ die Klinge aus dem Griff hervorschießen. Sie war zweischneidig, blank und an der Spitze nachgeschärft.

Ich schüttelte den Kopf. »Ihr habt euch den Falschen ausgesucht. Ich bin schon mit Burschen fertig geworden, um die ihr einen großen Bogen machen würdet.«

Der Kleine drehte den Kopf ein Stück zur Seite.

»Hast du’s gehört, Nat? Der Bursche ist eine große Nummer! Du musst jetzt anfangen zu zittern, Nat. Na ja, Mister. Ich glaube, wir lassen uns mal zeigen, was für eine tolle Nummer Sie sind.«

»Sicher doch, Kurt«, piepste einer der beiden Großen mit überraschend heller Stimme. »Wird bestimmt ein Mordsspaß.«

Der Kleine sah mich wieder an. Im selben Augenblick spürte ich die Spitze seines Messers einen Fingerbreit unterhalb meines Gürtels.

»Wir wollen kein Aufsehen, Mister. Wir gehen jetzt zusammen in den Waschraum, und wenn Sie unterwegs auch nur husten, haben Sie mein Messer im Bauch. Und zwei andere im Rücken, Mister.«

Sie warteten keine Antwort ab, sondern drängten mich nach rechts, wo die Herrentoiletten waren. Der rege Verkehr des Busbahnhofs strömte an uns vorbei. Alle hatten es eilig. Niemand kümmerte sich um uns.

In den Toiletten- und Waschräumen herrschte ein ständiges Kommen und Gehen. Das ganze Jahr lief der Betrieb hier 24 Stunden am Tag. Ein alter Farbiger hielt Seife und Handtücher bereit, trotz des Automaten, der kostenlos Papiertücher ausgab, die aber niemand benutzen wollte.

Nat, der Bursche mit der hohen Stimme, tippte dem Alten auf die Schulter.

»Hallo, Opa! Wir kommen vom Amt für öffentliche Hygiene. Die Bude hier muss desinfiziert werden. Zehn Minuten geschlossen. Irgendwelche Fragen?«

Der Alte schien die Burschen zu kennen. Wortlos zog er unter dem Tisch ein Schild hervor. Es hatte eine große schwarze Aufschrift: Wegen Reinigung geschlossen – benutzen Sie die Toiletten am Nordeingang. Wortlos klemmte er sich das Schild unter den Arm. Als der Farbige an mir vorbeischlurfte, senkte er den Kopf.

Es dauerte knapp zwei Minuten, bis niemand mehr hier war außer mir und den drei jungen Burschen. Der Kleine übernahm wieder die Rolle des Sprechers.

»Uns ist’s egal, Mister. Wir reißen uns nicht drum, Sie weich zu kochen. Aber es macht uns auch nichts aus, wenn Sie es unbedingt haben wollen. Trotzdem sind wir friedliche Jungs. 70 Dollar und wir sind die dicksten Freunde, Mister.«

»Keine 70 Cent«, sagte ich.

Das letzte Wort war noch auf meinen Lippen, als mir etwas auf die rechte Schulter dröhnte. Ich warf mich herum. Nat hatte einen kurzen, schwarzen Gummiknüppel in der Hand und grinste hämisch. Mein rechter Arm hing wie leblos an mir herab. Ich duckte mich, um dem Kleinen auszuweichen. Aber der Dritte schlug mir irgendetwas Hartes mitten auf den Kopf.

Dunkle Nebelschwaden schienen durch meinen Kopf zu wogen. Ich rutschte auf den glatten Fliesen aus und schlug mit der Stirn auf den Boden. Der Gummiknüppel traf mich hinter dem linken Ohr und dann noch einmal im Genick. Ich fühlte nichts mehr.

***

Es war morgens gegen halb acht, als bei Phil Decker das Telefon klingelte. Mein Freund lief ins Wohnzimmer, nahm den Hörer ab und meldete sich.

»Hallo, Decker?«, drang es an Phils Ohr.

»Ja, hier ist Phil Decker. Mit wem spreche ich?«

»Hier spricht Lieutenant Easton, Mordkommission Manhattan-Süd.«

»Guten Morgen, Easton, erzählen Sie mir, was Sie auf dem Herzen haben. Ich bin ganz Ohr.«

»Kennen Sie einen Nick Borris?«

»Kennen ist zu viel gesagt. Ich hatte ein paar Mal mit ihm zu tun. Dienstlich, natürlich. Borris ist ein windiger Typ, arbeitsscheu und trunksüchtig.«

»Arbeitet er für das FBI?«

»Was heißt bei einem Burschen wie Borris schon arbeitet? Ab und zu schnappt er was auf, wovon er glaubt, es könnte uns interessieren. Wir hören es uns an, prüfen es und bezahlen einen Fünfer dafür, wenn die Information etwas wert ist.«

»Können Sie Borris beschreiben?«

»Ich will es versuchen. Er muss aussehen wie 50, ist aber bedeutend jünger. Haare grau und kurz, Ohrläppchen angewachsen, sternförmige Tätowierung auf dem linken Unterarm und …«

»Genügt«, unterbrach Easton. »Er ist es.«

»Wer ist was?«

»Der Tote, mit dem wir uns zur Zeit beschäftigen, scheint dieser Borris zu sein. Jemand hat ihm heute Nacht ein Acht-Zoll-Messer in den Rücken gestoßen.«

»Wo?«

»In seinem Zimmer. Man fand ihn auf seinem Stuhl sitzend, den Oberkörper auf den Tisch gesunken und das besagte Messer im Rücken.«

»Das interessiert mich«, erwiderte Phil rasch. »Sind Sie noch am Tatort?«

»Aber ja. Wir haben wenigstens noch zwei Stunden hier zu tun.«

»East 14th Street, ja?«

»Richtig!«

»Ich komme mit einem Taxi. Spätestens in einer halben Stunde bin ich da.«

»Das wäre nett, Decker. Also bis nachher!«

Phil ließ den Hörer sinken und rieb sich über das unrasierte Kinn.

Wenige Minuten nach acht Uhr kam Phil in der 14th Street an. Er stieg aus dem Taxi und sah sich um. In der halb offenen Haustür lehnte Detective Sergeant Edwin Schulz, der mit seinen 200 Pfund und seiner Größe von über sechs Fuß den freien Raum zwischen Hauswand und rechtem Türflügel völlig ausfüllte.

Ein Cop stand auf halber Höhe der Treppe und widerstand hartnäckig einer Schar von Reportern, die ins Haus wollte und noch nicht hinein durfte. Als sie das Taxi halten hörten, warfen sie sich herum wie hungrige Hyänen, die eine neue Beute entdeckt haben. Sammy Deler, der Polizeireporter der Morning Tribune, erkannte Phil sofort.

»Hallo, Agent!«, rief er und stürmte Phil entgegen. »Was ist hier los? Wieso interessiert sich das FBI für den Fall?«

Im Nu sah sich Phil von den Reportern umringt.

Phil lächelte. »Ich weiß noch nicht, was überhaupt los ist. Lieutenant Easton rief mich an. Gestern Abend versuchte ein gewisser Nick Borris dem FBI angebliche Informationen über ein paar Jugendliche zu verkaufen, die eine Bande organisieren wollten. Wir sind dabei, diese Informationen zu prüfen, und es hat sich immerhin schon rausgestellt, dass wahrscheinlich alles eine Erfindung von diesem Borris war. Jetzt hörte ich, dass dieser Nick Borris ermordet worden sein soll. Lieutenant Easton möchte, dass ich ihn identifiziere, weil ich wahrscheinlich die letzte Amtsperson bin, die mit Borris gesprochen hat.«

»Das lohnt sich kaum, es auch nur zu erwähnen«, brummte einer der Reporter enttäuscht. »Haben Sie keine Ahnung, Agent, warum man diesen Borris umgebracht haben könnte?«

Phil zuckte die Achseln.

»Vielleicht, weil er sich zu wichtig tat.«

Die Reporter ließen Phil vorbei und begannen wieder, auf den Cop einzureden, der die Treppe bewachte.

»Sie sollten Märchentante werden«, raunte Ed Schulz, als Phil an der Haustür ankam. »Kommen Sie rein! Der Lieutenant wartet schon. Ich glaube, wir haben eine kleine Überraschung für Sie.«

Sie durchquerten einen düsteren Flur. Tapetenfetzen hingen von den Wänden. Auf dem Fußboden lagen ausgetretene Zigarettenstummel und die zerknüllten Papierhüllen von Kaugummi. Am Ende des Ganges bewachte ein Cop eine halb offen stehende Tür.

»Da drin«, sagte Schulz. »Gehen Sie ruhig rein! Der Spurensicherungsdienst hat schon gearbeitet. Ich muss wieder raus und den Reportern endlich was erzählen.«

Phil nickte und trat über die Schwelle. Das Zimmer war ärmlich eingerichtet und roch muffig. Außer Lieutenant Easton waren noch zwei Mitarbeiter der Mordabteilung anwesend. In der Mitte des Raums stand ein Tisch mit einer fleckigen Papiertischdecke, auf der ein blutbeflecktes, langes Messer lag. Der einzigen Tür gegenüber stand ein Bett. Darauf lag Nick Borris. Er lag auf dem Rücken.

»Tag, Decker«, brummte Easton. »Ist er das?«

Phil nickte.

»Feige kann er nicht gewesen sein«, fuhr Easton fort. »Er scheint gewusst zu haben, dass seine letzten Minuten geschlagen hatten.«

»Wieso?«

»Er zündete sich eine Zigarette an, obwohl der Mörder hinter ihm stand. Aber Borris benutzte das ausgeblasene Streichholz als Bleistift. Sehen Sie hier! Er wollte offenbar einen Hinweis auf seinen Mörder hinterlassen. Und er fing es geschickt an. Er kritzelte seinen Tipp für uns so nahe an der Tischkante auf die Papierdecke, dass er es mit seinem Oberkörper verdecken musste, wenn sie ihn umbrachten und er nach vorn auf den Tisch fiel. Da, lesen Sie!«

Phil trat neben den Stuhl, der hinter dem Tisch stand. Auf der fleckigen Papierdecke waren schwarz, zittrig und stellenweise sehr dünn die Linien von ein paar Buchstaben zu erkennen. Sie bildeten kein vollständiges Wort, sondern lauteten: Syndi.

Phils Gesicht blieb unbewegt. »Da gibt es nur eine Erklärung«, murmelte er dumpf.

Easton nickte. »Ja. Wir haben offenbar ins größte Wespennest gefasst, das es in der ganzen Stadt gibt, ins Gangster-Syndikat!«

2

»Es tut mir sehr leid, Sir«, versicherte der alte, weißhaarige Farbige von der Herrentoilette im East Side Airline Terminal. Er hielt mir ein Glas Wasser hin.

»Schon gut, schon gut«, sagte ich. Es klang sehr undeutlich, denn meine Lippen waren geschwollen. »Sie konnten mir nicht helfen. Die drei Halunken hätten Sie genauso zusammengeschlagen wie mich.«

»Ja, Sir. Deshalb bin ich auch hinausgegangen. Aber ich habe gleich einen Patrolman gesucht.«

Er zeigte auf den baumlangen, uniformierten Polizisten, den er mitgebracht hatte. Der Mann hatte die Nummer 4642 auf seinem Dienstabzeichen, und nach einem kurzen Blick in sein markantes Gesicht wusste ich, dass mich dieser Mann kennen musste. Er hatte Phil und mir mal bei einer FBI-Aktion im Central Park geholfen. Hoffentlich wusste er es nicht mehr.

»Sie sehen aber aus, Mister!«, sagte der Cop. »Sicher haben Sie scheußliche Schmerzen, was?«

»Na ja«, sagte ich, nicht mehr. Was sollte ich schon sagen? Ich fühlte mich haargenau so, wie man sich nach einer solchen Behandlung eben fühlt.

»Kannten Sie die drei Burschen?«, fragte der Cop und zückte sein Notizbuch.

»Einer wurde Nat, der andere Kurt gerufen. Der Name des Dritten fiel nicht. Eine Beschreibung kann ich Ihnen geben.«

Er notierte sie sich.

»Sie sind ein guter Beobachter, Sir«, sagte er dann. »Die Beschreibung ist ausgezeichnet.«

»Ich hatte ja ausreichend Zeit, mir die Burschen anzusehen.«

»Sicher, sicher. Wie ist eigentlich Ihr Name, Mister?«

»Al Hicks«, sagte ich, ohne eine Sekunde zu zögern. Dabei beschloss ich, dem Cop später bei der ersten Gelegenheit meinen wahren Namen zu sagen. Jetzt durfte ich das auf keinen Fall tun, denn zu viele Neugierige standen um uns herum.

»Hicks? Hicks? Haben wir uns nicht schon mal gesehen, Sir? Sie kommen mir irgendwie bekannt vor.«

»Kaum möglich«, erwiderte ich. »Bin vor neun Tagen erst aus Kanada gekommen. Ich habe im Wald gearbeitet, in einem Holzfäller-Camp. Ich hatte einen Vertrag über fünf Jahre, aber ich habe nur vier durchgehalten. Man wird ja verrückt: immer nur Wald und 16 Männer und Bohnen mit Speck.«

»Kann ich verstehen, Sir. Ich war zwei Jahre in einem Camp am Jalu. Allerdings gab es bei uns die Bohnen ohne Speck.«

Ich war froh, dass ich ihn auf ein anderes Thema gebracht hatte. Er sagte noch ein paar Worte über seine Camp-Zeit, dann drängten sich plötzlich zwei weiß bekittelte Männer durch die Menge.

»Ach ja«, sagte der Cop, »Ich habe die nächste Rettungsstation angerufen, als Sie bewusstlos waren. In dem Aufzug können Sie sich nicht auf die Straße wagen.«

Ich wollte eigentlich dagegen protestieren, aber ich sah ein, dass er recht hatte. Von meiner Kleidung waren nur noch Fetzen übrig geblieben. Das Messer des kleinen Gangsters hatte keinen Quadratfuß Stoff unbeschädigt gelassen. Sogar die Socken und die Schuhbänder waren zerfetzt.

Ich suchte meine Taschen ab. Mein Geld fehlte. Aber der Führerschein, der Reisepass und die Sozialversicherungskarte waren noch da. Sie lauteten auf den Namen, den ich seit neun Tagen führte, auf Al Hicks. Das Hauptquartier in Washington hatte die Papiere besorgt.

Ich musste mich auf die Trage legen. Die beiden weiß bekittelten Männer zogen mir eine Decke über den Körper. Zwei Minuten später rollten wir in einem Krankenwagen durch die New Yorker Straßen. Der Cop hockte neben meiner Trage und schob mir eine angezündete Zigarette zwischen die Lippen.

»Ihr Geld ist weg, was?«, erkundigte er sich.

Ich nickte.

»Viel?«, fragte er.

»Ungefähr 70 Dollar.« Ich lachte. »Das entsprach übrigens ihrer letzten Forderung. Erst wollten sie nur 30, dann 70. Ich wollte ihnen natürlich nichts geben. Leider zog ich den kürzeren, weil ich sie für halbwegs fair hielt.«

»Faire Gangster gibt es nicht«, stellte der Cop fest.

In der Rettungsstation machte sich ein junger Arzt wortlos über mich her. Er pinselte Jod, schnitt Pflaster und verzog keine Miene, wenn ich fluchte, weil das Jod in meinen Wunden brannte. Als er fertig war, sagte er: »Sie werden jetzt zum Bellevue Hospital der New Yorker Universitätsklinik gebracht.«

»Was soll ich da?«

»Sie werden ein schönes Bett zugewiesen bekommen und sich ein paar Tage lang entspannen und erholen.«

Ein paar Tage lang! Der Bursche hatte Nerven. Um zehn Uhr an diesem Vormittag sollte unser erster großer Coup in der Morphium-Sache erfolgen, die wir gerade bearbeiteten. Und der ganze Coup war nur dafür geplant, mir in meiner neuen Rolle eine gewisse Chance zu geben. Wenn ich mich wegen einiger Kratzer ins Krankenhaus legte, konnten wir alles abblasen und in 14 Tagen das ganze mühselige Unternehmen von vorn beginnen.

»Haben Sie denn für einen geplagten Zeitgenossen wenigstens einen Tropfen Whisky in Ihrem Hygienemuseum?«, fragte ich.

Er lächelte.

»Den habe ich. Aber bleiben Sie liegen!«

Er ging hinaus. Ich sah mich in dem weiß gekachelten, vor Sauberkeit blitzenden Behandlungszimmer der Rettungsstation um.

Der junge Arzt kam mit einer Tasse zurück, deren Henkel abgebrochen war. Es tröstete mich, dass es in dieser Stätte perfekter Sauberkeit und Ordnung etwas gab, das nicht in Ordnung war.

»Den Whisky schenkte uns zu Weihnachten ein Mann, der hier behandelt wurde, als er einen schweren Verkehrsunfall hatte. Uralter schottischer Whisky. Ich genehmige mir nur bei ganz besonderen Anlässen einen Schluck.«

»Bin ich ein besonderer Anlass?«, fragte ich.

»Ich denke schon, Sir. Sie haben zwar gesagt, dass Ihr Name Al Hicks wäre, aber das weiß ich besser.«

»Vergessen Sie sofort alles, was Sie in dieser Beziehung zu wissen glauben, Doc!«, bat ich. »Ich habe meine Gründe.«

»Das habe ich mir gedacht. Sie können beruhigt sein. Sogar auf dem Einlieferungsschein steht Al Hicks. Übrigens, mein Name ist Peter Lawrence. Es freut mich, Ihre Bekanntschaft zu machen, Mister Al Hicks.«

Ich stemmte mich vorsichtig auf der Lederüberzogenen Pritsche in die Höhe und nahm ihm die Tasse ab.

»Ganz meinerseits, Mister Lawrence. Wenn ich eine bestimmte Sache erledigt habe, rufe ich Sie an, dann revanchiere ich mich mit ’nem Whisky.«

Ich trank einen Schluck, setzte die Tasse ab, blickte den Arzt an und meinte: »Leider habe ich keine Zeit, um mich in einem Bett im Bellevue Hospital auszuruhen.«

»Und warum nicht?«

»Tja, sehen Sie, Doc. Was würden Sie als Arzt für wichtiger halten? Die Möglichkeit, gewissen Gaunern das Handwerk zu legen, die mit Morphium ein ganzes Stadtviertel verseuchen, oder die völlig überflüssige Bettruhe für einen Mann, der sich bereits wieder fit fühlt?«

»Ich müsste wohl sagen, es wäre wichtiger, diesen Rauschgifthyänen das Handwerk zu legen. Zumal Sie außer den Kratzern keine Verletzungen erlitten haben.«

»Cheerio«, sagte ich und trank den Whisky aus. »Leider hab ich’s eilig.«

»Es gibt in unserem Waschraum eine Tür, die auf den Hof führt. Von da aus kann man in die Nebenstraße gelangen. Dort steht mein Wagen. Sie können ihn nehmen, aber bitte bringen Sie ihn innerhalb von zwei Stunden wieder zurück!«

»Vielen Dank für alles.« Ich drückte ihm die Hand, drehte mich um und ging mit etwas steifen Beinen hinaus. Er rief mir nach, welche Tür in den Waschraum führte. Ich fand sie sofort. Durch die Seitentür kam ich auf den Hof.

Ein uralter, klappriger Ford stand vor einem geöffneten Metalltor. Der Zündschlüssel steckte im Schloss. Ich stieg ein, ließ den Motor an und rollte hinaus. Bis zum Beginn unserer Aktion blieben mir keine 90 Minuten mehr, und ich hatte noch viel zu tun.

***

Es war 8 Uhr 47, als sich Phil zum Distriktchef des New Yorker FBI begab. Mr High saß an seinem Schreibtisch und arbeitete. Als Phil eintrat, schob der Chef den Papierkram beiseite und fragte freundlich: »Hallo, Phil, haben Sie Neuigkeiten?«

Phil ließ sich in den Besuchersessel vor dem Schreibtisch fallen und nickte bedrückt. »Schlechte Neuigkeiten, Chef. Sehr schlechte.«

Mr Highs Gesicht verfinsterte sich.

»Etwas ist schief gegangen, Chef«, murmelte Phil. »Nick Borris ist tot, Chef.«

Plötzlich herrschte eine beklemmende Stille. In Mr Highs Gesicht zeichnete sich die Reaktion ab, die Phils Mitteilung bei ihm hervorgerufen hatte: ein ungläubiges Erschrecken. Lange sprachen die beiden Männer nicht.

»Er hat uns eine Nachricht hinterlassen, Chef«, fuhr Phil schließlich fort. »Offenbar wollte er uns damit sagen, wo wir seinen Mörder zu suchen haben: beim Syndikat.«

»Wer bearbeitet den Fall?«, erkundigte sich Mr High.

»Harry Easton.«

»Easton? Ist das nicht … »

»Der junge Lieutenant, den seine Kollegen Cleary nennen, weil bei ihm am Ende immer alles klar ist. Er hat bisher jeden seiner Mordfälle aufgeklärt.«

»Das will noch nicht viel heißen, Phil. Er ist ja erst seit knapp einem Jahr Leiter einer Mordkommission.«

»Aber er gilt allgemein als einer der fähigsten Köpfe, Chef.«

»Das will ich keineswegs bezweifeln, Phil. Trotzdem erwäge ich, ob wir den Fall an uns ziehen, ob wir einen FBI-Fall daraus machen.«

Phil zuckte die Achseln. »Wir müssten dann unsere Karten aufdecken. Wenn wir der City Police einen Mordfall abnehmen, werden wir erklären müssen, aus welchen Gründen es zu einem FBI-Fall wird. Wenn wir es tun, bekommt auch die Presse Wind davon. Und wenn es erst einmal in allen Zeitungen steht, ist der Tipp, den Nick uns hinterließ, wertlos. Dann haben die Gauner vom Syndikat ausreichend Zeit, sich abzuschirmen. Außerdem sind wir durch die Morphium-Aktion im Augenblick voll ausgelastet, Chef. Wir werden unter Umständen jeden verfügbaren Mann darauf ansetzen müssen. Es sei denn, wir verschieben die Morphium-Geschichte und kümmern uns erst mal um den Mordfall Nick Borris.«

»Das können wir nicht mehr tun, Phil, das wissen Sie so gut wie ich. Wir stecken schon zu weit drin.«

»Dann schlage ich vor, wir versuchen die Morphium-Sache innerhalb einer Woche abzuwickeln. Wenn die Mordkommission bis dahin Nicks Mörder noch nicht ermittelt hat, können wir uns immer noch einschalten.«

Mr High stand auf. »Also gut. Machen wir es so.«

»Vielleicht sind wir schon bald fertig, Chef. Es hängt davon ab, ob Jerry heute Vormittag richtig zum Zug kommt. Um elf Uhr werden wir das wissen.«

Phil besprach noch ein paar Einzelheiten des Einsatzes mit dem Chef, verließ ihn dann und erledigte noch ein paar Dinge im Dienstgebäude, bevor er mit einem Dienstwagen, der nicht als FBI-Fahrzeug zu erkennen war, zum Grand Central Terminal fuhr, wo er den Wagen auf einem Parkplatz abstellte.

Phil betrat kurz darauf durch einen Hintereingang Pelzer’s Stationery in der 44th Street.

»Oh, hallo, Mister Decker«, sagte der alte, kurzsichtige Terry Siegel, als er Phil im Waschraum traf. »Werden Sie uns noch lange mit Ihrer Gegenwart erfreuen?«

Phil wusch sich die Hände und blickte den alten Mann prüfend an, der als Geschäftsführer tätig war und als Einziger wusste, dass Phil kein Angestellter von Pelzers Schreibwarengeschäft, sondern ein FBI-Agent war.

»Ich hoffe, dass wir in spätestens einer Woche fertig sind. Vielleicht sogar früher.«

Der Alte nickte und trat näher an Phil heran.

»Sie dürfen wohl nicht über die Gründe sprechen, weshalb Sie bei uns als Verkäufer in Erscheinung treten, was?«

»Tut mir leid«, erwiderte Phil. »Wir sind vereidigt auch auf Verschwiegenheit, Mister Siegel.«

»Natürlich, natürlich«, murmelte der Alte. »Macht es Ihnen etwas aus, mir einen hartnäckigen Kunden abzunehmen? Er will einen Atlas kaufen, und ich habe ihm bereits ein Dutzend verschiedene Ausgaben vorgelegt, aber nichts sagt ihm zu.«

»Gern, Mister Siegel. Soll ich ihm noch mehr Atlanten zeigen?«

»Wenn er die ganz großen Ausgaben sehen will, tun Sie es, Mister Decker. Ich wünschte, er kaufte die große Prachtausgabe der Geografischen Gesellschaft. Dieses meisterhafte Werk der Kartografie lässt sich leider nur sehr schwer verkaufen. Wenn Sie es schaffen, gebe ich Ihnen – nun sagen wir: zehn Prozent.«

Phil grinste belustigt.

»Schade, Mister Siegel. Ich bin G-man, ich darf so etwas nicht annehmen. Die Steuerzahler kommen für mein Gehalt auf, und irgendwelche Nebeneinnahmen sind absolut unerwünscht.«