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Jerusalem ist eine Stadt, mit der niemand zu Rande kommt. Setzt man einen Fuß auf ihren Boden, verspürt man die Vibrationen zahlloser heroischer Anfänge und dramatischer Tode. Sucht man nach ihrer Religion, wird man von ihren monotheistischen Gottheiten geradezu angefallen. Fragt man nach ihrer Geschichte, muss man sich nicht nur durch mehrere Jahrtausende durcharbeiten, sondern trifft diese Jahrtausende mit ihren religiösen Ansprüchen auch heute noch unvermindert an.Jerusalem zu beschreiben endet stets im Fragment; so auch dieses Buch, trotz seines Umfangs. Zuviel ist um jeden Stein gekämpft worden, zu viel menschliche Energie wurde in jeden Quadratmeter eingebracht, zu verschiedene Kräfte erheben am engen Platz ihre Ansprüche, als dass ein Buch dies widerspiegeln könnte. Trotzdem wird dies hier gewagt, in Auswahl zwar, aber doch im Detail. Dazu greift Max Küchler auf seine eigenen Erfahrungen als Reisender, Archäologe und Theologe zurück, wertet historische und theologische Texte aus, Analysen und Berichte von Archäologen und Kunsthistorikern, Pläne von Kartographen und Bilder von Photographen und Künstlern.In diese 2. Auflage sind die archäologischen Entdeckungen seit 2007 eingearbeitet. Die völlig überarbeitete Darstellung bietet die Materialien und Argumentationen der Erstauflage komprimiert und ist auf den aktuellen Forschungsstand gebracht. Küchler weckt Begeisterung für Jerusalem und lässt Glanz und Schönheit der Stadt selbst im Lichte ihrer Brüchigkeit erstrahlen.
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Seitenzahl: 1621
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Orte und Landschaften der Bibel
Band IV, 2
Max Küchler
Jerusalem
Ein Handbuch und Studienreiseführer zur Heiligen Stadt
2., vollständig überarbeitete Auflage
mit einem Beitrag von Klaus Bieberstein
Vandenhoeck & Ruprecht
Mit 430 Abbildungen
Umschlagabbildung: Via Dolorosa in Jerusalem © Martin Bretterklieber
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
ISBN 978-3-647-99630-1 (EPUB) Weitere Ausgaben und Online Angebote sind erhältlich unter: www.v-r.de
© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen/ Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A.www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany.
INHALTSÜBERSICHT
Vorwort
Eine Stadt, mit der niemand zu Rande kommt: Uruschalimum – Jeruschalem – Hierosolyma – Colonia Aelia Capitolina – Ilija’ / al-Quds
A.
Lage: Am Rand – Zentral – Geborgen
B.
Namen: Vielnamigkeit unter der Dominanz »Jerusalem«
C.
Geschichte Jerusalems im Überblick
1.
Mauern und Tore – Das Wachsen und Schrumpfen der Stadt im Rhythmus der Jahrhunderte
1.1
Vier dynamische Zyklen – Vitales Wachsen und Schrumpfen
1.2
Ein Umgang um die Stadt – Anblicke
1.3
Ein Rundgang auf der Stadtmauer – Ein- und Ausblicke
2.
Wo Jerusalem begann und zur Davidsstadt wurde – Der Südosthügel
3.
Der Heilige Berg und seine Heiligtümer – Der Nordosthügel
3.1
Die Mauern und Tore des Haram – Grenzen und Einlässe des heiligen Bereichs
3.1.1
Die Westmauer des Haram – Repräsentation des Bauherren und der Heiligkeit des Gottes Israels
3.1.2
Die Südmauer des Haram – Der jüdische Aufstieg zum Heiligtum
3.1.3
Die Ostmauer des Haram – Grenze des Heiligtums, der Stadt und des Heils
3.1.4
Die Nordbegrenzung des Haram – Unauffällige Eingänge
3.2
Der Weg zum Kettentor und zum Tor der Einwohnung Gottes – Ein exemplarischer muslimischer Zugang zum Haram (Klaus Bieberstein)
3.3
Die Bauten auf dem Haram – Der biblische Tempelberg in seiner muslimischen Rezeption (Klaus Bieberstein)
3.3.1
Die Aqsa-Moschee und der Felsendom – Die drittheiligste Stätte des Islam
3.3.2
Die innere Plattform – Treppen, Arkaden, Kuppelbauten, Zellen
3.3.3
Die äußere Plattform – Tore, Brunnen, Minarette, Gebetsplattformen und Hochschulen
4.
Im Schatten des Haram – Von David bis zu Suleiman im archäologischen Park
5.
Vom Löwentor zum Jaffator – Der christliche Querweg
5.1
Antike Wasserbecken und deren christliche Heiligtümer
5.2
Antike Burgen und deren christliche Heiligtümer
5.3
Die Grabes- und Auferstehungskirche und ihr Umfeld
5.4
Der Muristan – Das spätrömische Forum als »Neuer Basar« der Griechen und preußischer Besitz
5.5
Trutzburg und Königsschloss – Symbole der Macht und der Niederlage Herodes des Großen
6.
Vom Damaskustor zum Ziontor oder zum Misttor – Zwei Prachtstraßen der Antike
6.1
Vom Damaskustor zum Ziontor – Der Cardo maximus der Römer und Byzantiner
6.2
Vom Damaskustor zum Misttor – Antike Talstraße und Cardo secundus seit römischer Zeit
7.
Das armenische Viertel – Ein Apostel, der »Bruder des Herrn« und zwei Hohepriester im Schutzraum der Armenier
8.
Das jüdische Viertel – Nachhaltige jüdische Sesshaftigkeit im Innern der Altstadt
8.1
Mauern der israelitischen und hasmonäischen Oberstadt – Monumente der Stärke mit Spuren des Untergangs
8.2
Elegante Herrschaftsvillen in der herodischen Oberstadt – Glanz und Untergang der Eliten
8.3
Die Synagogen der mamlukischen und osmanischen Epoche – Jüdische Gebetsorte in unfreundlichen Zeiten
9.
Der Südwesthügel – Der christliche Sion: Pfingsten, Abendmahl und erster Bischofssitz, zugleich Davids späte Ruhestätte und des Kajafas byzantinischer Palast
10.
Das Kidrontal – Die Schlucht Jerusalems mit israelitischen, jüdischen und christlichen Gräbern und Legenden
10.1
Begräbnisse christlicher Heiliger: Stephanus, der erste Märtyrer – Maria, die erste Erlöste
10.2
Die hellenistisch-römischen Felsgräber – Priesterlich-aristokratische Grabpracht
10.3
Silwan – Von der eisenzeitlichen Nekropole zum Dorf der Eremiten und der Palästinenser
11.
Das Hinnomtal – Tote, Gräber, Gericht und Hölle
12.
Der Ölberg – Die »Höhe« Jerusalems für Israeliten, Juden und Christen
12.1
Der Westabhang des Ölberges – »Im Angesicht des Tempels« und der Stadt
12.2
Die drei Kuppen des Ölberges – Jüdische und christliche Mysterien der Gegenwart und des Abschieds Gottes
13.
Die Ostseite des Ölberges – Neutestamentliche Erinnerungslandschaft der letzten Woche Jesu
14.
Im Norden der Altstadt – Höhlen und Gräber, Mauern und Straßen, Kirchen und Klöster im Vorfeld der Stadt
15.
Im Westen der Altstadt – Teiche, Gräber, Klöster und Museen in der israelischen Neustadt
16.
Drei große Museen – Die biblisch-archäologischen Schatzhäuser Jerusalems
Anhänge (1–6): Antike jüdische, christliche und muslimische Autoren
Verzeichnisse
Kleines Lexikon der Fachbegriffe
Ausführliches Inhaltsverzeichnis
Register der Orte
VORWORT
Dieses Buch ist die Neubearbeitung und Kurzfassung meines Buches Jerusalem. Ein Handbuch und Studienreiseführer zur Heiligen Stadt (Göttingen 2007), das mit seinen 1266 Seiten und 648 Illustrationen für eine Leserschaft gedacht war, der nichts zu detailliert und kein Buch zu schwer sein konnte. In die vorliegende, für ein etwas weiteres interessiertes Publikum bestimmte Version wurden grundsätzlich nicht mehr alle divergierenden Meinungen von Forschern aufgenommen, vielmehr wurde meist nur die mir plausibelste Lösung angeboten. Auch musste der wissenschaftliche Apparat von Verweisen radikal verkürzt werden. Wer alle Quellen sucht, muss auf die ausführliche Fassung verwiesen werden. So wurden auch die früheren Beiträge der Kollegen Ronny Reich (Gichonquelle), Christoph Uehlinger (Davidsstadt) und Damian Lazarek (Museen) vom Autor in eine konzisere Form umgegossen. Klaus Bieberstein hat seinen Beitrag zum Haram (Kap. 3.2–3) dankenswerterweise selbst kürzer gestaltet.
In großer wissenschaftlicher Schuldigkeit stehe ich bei jenen Autoren, deren in den letzten Jahrzehnten erschienene, umfassende Werke zu Jerusalem auch dieser Kurzversion zu Grunde liegen: A. Kaplony, M. Hawari, M. H. Burgoyne, S. Auld / R. Hillenbrand / Y. Natsheh, K. Bieberstein /H. Bloedhorn, A. Kloner. Von den vielen Archäologen seien hier nur K. Kenyon, M. Avi-Yonah, N. Avigad, B. Mazar, D. Bahat, G. Barkai, M. Ben-Dov, R. Reich / E. Shukron und D. Vieweger erwähnt. Alle Genannten sitzen auf den Schultern der alten wissenschaftlichen Heroen Jerusalems: Ch. Wilson, Ch. Warren, Cl. H. Conder, F. de Saulcy, M. de Vogüé, Ch. Clermont-Ganneau und T. Tobler aus dem 19.Jh. und L.-H. Vincent, F.-M. Abel, K. Schick und G. Dalman aus dem 20.Jh. Meinen Kollegen O. Keel erwähne ich gern auf besondere Weise, weil sein Buch Die Geschichte Jerusalems und die Entstehung des Monotheismus (Göttingen 2007) die notwendige Entsprechung meines Jerusalem-Buches im Rahmen unseres gemeinsamen Projekts Orte und Landschaften der Bibel, Band IV: Jerusalem, darstellt. Eine sehr kondensierte Kurzfassung dazu ist unter dem Titel Jerusalem und der eine Gott (Göttingen 2011) erschienen. Alle hier genannten Forscher sind am Ende dieses Buches mit ihren Werken dankbar verzeichnet. Siegfried Ostermann hat wiederum die digitalisierten Pläne erstellt, Ulrike Zurkinden und Pavel Zupan haben viele Objekte gezeichnet. Matthias Morgenstern (Tübingen) hat wesentlich zur guten Formulierung jüdischer Sachverhalte beigetragen. Mein Assistent Markus Lau war der gewissenhafteste Lektor und Buchbegleiter, den man sich vorstellen kann. Ihnen und allen anderen MitarbeiterInnen danke ich hier sehr herzlich. Die Größe meines Dankes an den Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, besonders an die Herren Jörg Persch und Christoph Spill, möchte jene Großzügigkeit übertreffen, mit welcher Sie die erste und diese zweite Auflage dieses Buches begleitet, unterstützt und schließlich realisiert haben.
Dieses Buch dokumentiert eine aufgeklärte Faszination, die aus dem Studium der schriftlichen und archäologischen Primärquellen erwächst, die beide – ob profan oder heilig – mit einem vorsichtigen Einsatz des historisch-kritischen Instrumentariums ausgewertet wurden. Deshalb geht es stets um den auf Quellen beruhenden Aufweis, wann und wo eine bestimmte Tradition entstand und welches ihr geschichtlich bedingter Sinn ist. So kann der Zynismus des kontextlosen Aneinanderreihens von jüdischen, christlichen und islamischen Einzeltraditionen vermieden werden, der Jerusalem zu einer Kulisse für allerhand religiöse Absurditäten, schräge Außenseiter, tendenziöse Lokaltraditionen und theologische Grabenkämpfe verkommen lässt. Das Wissen um die Entstehung der heiligen Stätten und den damit verbundenen religiösen Ansichten und Ansprüchen ermöglicht erst einen aufgeklärten und zugleich würdigen Umgang mit den Monumenten und Traditionen der Stadt. Wenn die Hüter der jeweiligen Monumente mit einem aufgeklärten Publikum zu rechnen haben, werden sie sich hoffentlich auch zu einer möglichst transparenten Darstellung und ehrlichen Aufbereitung ihrer Sehenswürdigkeiten oder heiligen Stätten verpflichtet sehen.
Wer zudem die Jahrhunderte lange bewegte Geschichte Jerusalems überblickt, kann natürlich auch die heutige, dramatische Situation nicht vergessen. Das Buch möge ein Beitrag zu einem redlichen, transparenten und toleranten Umgang mit der den drei monotheistischen Religionen gleichsam Heiligen Stadt sein.
Im Frühjahr 2013
Max Küchler
ZUR BENÜTZUNG DIESES BUCHES
Der Aufbau dieses Jerusalembuch folgt der Logik, dass Lage, Name und Geschichte eines Monuments erarbeitet sein müssen, bevor eine Besichtigung des heutigen Befundes richtig Sinn macht. Da jedes Monument zudem in seine Umgebung eingebunden ist, wird es stets als Teil eines größeren Ganzen dargeboten. Das folgende Schema illustriert dies am Beispiel des Südwest-Hügels:
Südwest-Hügel – »Christlicher Sion« Lage Name Geschichte Besichtigung(z. B.)Hagia Sion-Kirche
Lage Name Geschichte Besichtigung(z.B.)Abendmahlssaal
Lage Name Geschichte Besichtigung
oderGrab Davids
Lage Name Geschichte Besichtigung
Auf jeder gewählten Ebene werden also alle zu dieser Ebene gehörenden Informationen angeboten, doch wird stets auf die jeweils obere und untere Stufe verwiesen: Will man z.B. die Hagia Sion-Kirche studieren, setzt man bei Hagia Sion-Kirche ein, will man Umfassenderes wissen, steigt man eine Stufe höher, hier zum Südwest-Hügel, will man Genaueres wissen, steigt man eine Stufe tiefer, hier z.B. zum Abendmahlssaal oder zum Grab Davids. Dabei wird auf jeder Stufe die Logik der Abfolge von Lage, Name, Geschichte und Besichtigung beibehalten. Den LeserInnen wird es beim Navigieren durch dieses Buch ähnlich wie beim Durchstreifen der Stadt gehen: Sie werden vom Sog der vorerst unbekannten Stadt erfasst, bis sich ihnen aus dem Geflecht von alten und neuen Traditionen und Bauten ein eigenes, erarbeitetes und ergangenes Bild der uralt-lebendigen Stadt ergeben hat.
Die Geschichte Jerusalems kann nur als Tabelle angeboten werden, in der die wichtigsten geschichtlichen Ereignisse, Herrscher, Bauten und Besucher verzeichnet sind. Zu Beginn jeder Epoche zeigt ein Stadtplan die jeweilige baugeschichtliche Situation. Die Anhänge bieten nützliche Materialien: Texte und Bilder, die zum Lesen und Anschauen vor Ort gebraucht werden können, Verzeichnisse von Quellen und Literatur, in welchen der wissenschaftliche Unterbau des ganzen Buches dokumentiert und kontrollierbar gemacht ist, und ein kleines Lexikon von Fachbegriffen.
Zur möglichst guten und schnellen Erschließung der Orte und Traditionen sind am Ende des Buches zwei Hilfen angeboten: Erstens ein alphabetisches Register, über welches die Haupt- und Nebeneinträge zu Orten und Traditionen zu finden sind, zweitens ein ausführliches Inhaltsverzeichnis, das die logische aber komplexe Abfolge der Sachverhalte einsichtig macht und anhand dessen die Navigation von Ort zu Ort und zwischen den verschiedenen Ebenen eines Ortes schnell geschehen kann.
Fette Ziffern in Klammern [(1)] verweisen auf Abbildungen dieses Bandes. Normale Ziffern oder Buchstaben in Klammern [(1) (a)] verweisen stets auf eine Ziffer oder einen Buchstaben im Innern der zuletzt erwähnten Abbildung. Ein Pfeil (→) verweist auf einen anderen Eintrag.
Öffnungszeiten und Verkehrsverbindungen sind in den Tourismus-Büros, für religiöse Orte im Christian Information Center bei der Zitadelle (per Internet) zu erfragen. Die in diesem Buch angegeben Informationen können angesichts der Dynamik des modernen Jerusalem nicht ohne Nachprüfung übernommen werden, wenn eine Besichtigung geplant wird.
Als Kartenwerke sind für den Besuch jeweils die neuesten Stadtpläne zu besorgen. Für die Altstadt ist bestens geeignet: Jerusalem. The Old City 1:2500 des Survey of Israel.
Hebräische, arabische und griechische Wörter
EINE STADT, MIT DER NIEMAND ZU RANDE KOMMT Uruschalimum – Jeruschalem – Hierosolyma – Colonia Aelia Capitolina – Ilija’ / al-Quds
»Viel hat Jerusalem erlebt. Die Stadt wurde zerstört, aufgebaut, wieder zerstört und wieder aufgebaut. Ein Eroberer nach dem anderen nahm Jerusalem ein, herrschte eine Weile, hinterließ einige Mauern und Türme, ein paar Ritzen im Stein und eine Handvoll Tonscherben und Urkunden und verschwand. Verflog wie der Morgendunst auf den Berghängen.
Jerusalem ist eine alte Nymphomanin, die einen Liebhaber nach dem anderen restlos ausquetscht, bevor sie ihn, breit gähnend, mit einem Achselzucken abschüttelt; eine Schwarze Witwe, die ihre Männchen auffrisst, während diese noch in ihr zu Gange sind.«
(Amos Oz, Eine Geschichte von Liebe und Finsternis)
Jerusalem ist eine Stadt, mit der niemand zu Rande kommt. Will man ihre Geschichte verstehen, muss man sich nicht nur – wie bei vielen anderen Städten mit großer Tradition – durch viele Jahrhunderte hindurch arbeiten, man muss sich zudem mit der Tatsache anfreunden, dass in Jerusalem – im Unterschied zu allen großen Städten mit Tradition – die Ansprüche der jahrhunderte alten und sehr unterschiedlichen Traditionen auch heute noch intensiv spür- und sichtbar sind: So prangen der Felsendom und die Aqsa-Moschee der Kalifen zu Ehren Allahs und seines Propheten auf jener gewaltigen Esplanade, die zuvor ein Jahrtausend lang die Tempel Salomos und des Herodes zu Ehren des Gottes Israels trug. Die Römer und die Christen hatten diese heilige Stätte ein halbes Jahrtausend lang als Zeichen ihres militärischen und religiösen Sieges über die Juden verödet brachliegen lassen und ihr gegenüber ein neues triumphales Stadtzentrum geschaffen: Das Forum der römischen Militärkolonie unter dem Schutz des kapitolinischen Jupiter und der Venus, darüber dann später die Stätte des Todes und der Auferweckung Jesu Christi. Während die melodielose Militärherrschaft der Römer nur im tödlichen Waffengeklirr der wechselnden Herren weiterlärmt, bilden Schofarklang, Glockengeläut und Muezzingesang bis heute die dreifach monotheistische Melodie dieser Stadt und proklamieren lautstark ihre Ansprüche.
Die Stadt weist entsprechend eine Abfolge von kulturellen Schichten auf, deren Kenntnis für ein umfassendes Verständnis der Stadt unabdingbar ist: Kanaan hat Israel nämlich mehr vermittelt als nur die befestigte Stadt Uruschalimum, die David zwar mit Gewalt eingenommen hat, deren Kult, städtische Kultur und Administration jedoch zu konstitutiven Elementen der Königsstadt der davidischen Dynastie mit dem ersten israelitischen Tempel und Palast geworden sind. Als Sitz der Davididen war Jerusalem jahrhunderte lang eine von vielen Residenzstädten des Vorderen Orients, doch entstand erstaunlicherweise in deren unscheinbaren Mauern jenes Buch, das unsere Welt bis heute prägt, die hebräische Bibel. Die unbegreifliche Zerstörung der für die Ewigkeit versprochenen Stadt im Jahr 587/86a brachte nicht das Ende der Stadt, sondern jene in der Bibel festgehaltenen sehnsüchtigen Lieder und utopischen Entwürfe hervor, in denen die nach Babylon verbannten Jerusalemer ihrer Vaterstadt die Würde einer »Heiligen Stadt« zugesprochen haben. So konnte, von den persischen Großkönigen begünstigt, im 5.Jh.a ein neues Jerusalem mit dem Zweiten Tempel erstehen, das nach dem Willen der theologisch hoch motivierten Heimkehrer zum exklusiven Besitz des erwählten Volkes werden sollte. Doch da brauste im Gefolge Alexanders des Großen der hellenische Geist der Offenheit durch die exklusiven Institutionen, die unter dem Ansturm der neuen Kultur durchgeschüttelt und zugleich gefestigt wurden. Es war aber nicht die eigene jüdische Dynastie der Hasmonäer, sondern erst der Idumäer Herodes der Große, der Jerusalem durch die monumentale Ausweitung der alten Esplanade, den Neubau des Tempels und die Errichtung des Königsschlosses mit der Dreiturmfestung zu einer der schönsten hellenistisch-römischen Städte der Antike machte. Zum Weltwunder bestimmt, verbrannte es aber schon bald, im Jahre 70 unserer Zeitrechnung, im schrecklichen Feuer der verblendeten jüdischen Zeloten und der wütenden römischen Soldaten. Eine römische Militärkolonie unter dem fremden Namen Colonia Aelia Capitolina während Jahrhunderten zu sein, war dann das bittere Los der Heiligen Stadt. Die Jerusalemmystik der Juden glimmte zwar weiter, aber es war den byzantinischen Christen gegeben, die Stadt wieder in biblische Kontexte zu stellen. Es war jedoch die christliche Bibel und die Geschichte der christlichen Kirche, welche die neue Architektur der Heiligen Stadt bestimmten und sie mit einem dichten Netz von Kirchen und Klöstern überzogen, in deren Zentrum die Grabes- und Auferstehungsbasilika stand. Erst Mohammeds Nachfolger, die Kalifen, haben den israelitisch-jüdischen Tempelplatz wieder aufgewertet und mit ihren grandiosen muslimischen Heiligtümern belegt, die Ausdruck einer neuen, die drei Religionen umgreifenden theologischen Synthese waren: Sie feiern da sowohl den heiligen Felsen Abrahams und den Tempel Salomos, die Wiege Jesu und das Refugium Marias wie auch die Himmelsreise ihres Propheten Mohammed.
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