Jesus als Therapeut - Anselm Grün - E-Book

Jesus als Therapeut E-Book

Anselm Grün

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Beschreibung

Die Bibel überliefert uns heilende Worte in den Gleichnissen und Heilungsgeschichten. Sie wollen unsere Augen öffnen für einen neuen Blickwinkel auf unser Leben. Jesus zeigt uns einen Weg, schwere Erfahrungen des Lebens zu verarbeiten. Anselm Grün meditiert diese heilsamen Gleichnisse und beschreibt wirksame Bilder, die unsere Seele berühren und unsere inneren Wunden wandeln können. Die Worte der Bibel helfen dabei, sich von krankmachenden Selbstbildnissen zu befreien und sich selbst besser kennenzulernen.

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Seitenzahl: 199

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Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie. Detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Printausgabe

© Vier-Türme GmbH, Verlag, Münsterschwarzach 2019

ISBN 978-3-7365-0146-1

E-Book-Ausgabe

© Vier-Türme GmbH, Verlag, Münsterschwarzach 2024

ISBN 978-3-7365-0248-2

Alle Rechte vorbehalten

E-Book-Erstellung: Sarah Östreicher

Lektorat: Dr. Thomas H. Böhm

Covergestaltung: Elisabeth Petersen, München

Covermotiv: archideaphoto / fotolia.com

www.vier-tuerme-verlag.de

Anselm Grün

Jesus als Therapeut

Die heilende Kraft der Gleichnisse

Vier-Türme-Verlag

Inhalt
Einleitung
Die Therapiemethoden Jesu in den Gleichnissen
Der Umgang mit der Schuld
Der Umgang mit dem inneren Richter
Der Umgang mit Angst
Der Umgang mit Neid
Der Umgang mit inneren Feinden
Der Umgang mit meinen Schattenseiten
Der Umgang mit meinen Illusionen
Der Umgang mit Enttäuschungen
Die Sehnsucht nach Ganzwerdung
Die Sehnsucht nach Fruchtbarkeit
Die Sehnsucht nach Verwandlung
Die Sehnsucht nach Heimkehr
Die Sehnsucht, das Verlorene wiederzufinden
Die Sehnsucht nach dem wahren Selbst
Die Therapiemethoden Jesu in seinen Worten
Koanworte, die uns auf eine andere Ebene führen
Bildworte
Provozierende Worte Jesu
Ermutigende Grundsätze
Die Therapiemethoden Jesu in den Heilungsgeschichten
Das unterschiedliche Verständnis von Krankheit und Heilung in den Evangelien
Jesus geht auf andere zu und lässt sich auf ihre Situation ein
Kranke kommen auf Jesus zu
Kranke werden zu Jesus gebracht
Heilung in der Begegnung
Familientherapie – Aufhebung der Verwicklungen
Überblick über die verschiedenen Therapiemethoden Jesu in den Heilungsgeschichten
Schlussgedanken
Literatur
Verzeichnis der Bibelstellen

Einleitung

Seit rund zwanzig Jahren begleite ich im Münsterschwarzacher Recollectio-Haus Männer und Frauen, die sich in der Kirche engagieren und inzwischen in ihrem Engagement müde geworden sind. Auch bei meinen Kursen habe ich immer wieder persönliche Gespräche mit den Kursteilnehmern, die mir ihre Anliegen anvertrauen. Seitdem ich andere Menschen begleite, versuche ich herauszufinden, wie Jesus die Menschen begleitet hat, wie er sie angesprochen, wie er sie behandelt und mit seinen Worten berührt hat.

Wenn ich in die Bibel schaue, begegnet mir Jesus in den Evangelien als Therapeut, der kranke Menschen heilt. Er begegnet mir als Gesprächspartner und Geschichtenerzähler. Und ich finde viele Worte Jesu, die mich innerlich herausfordern. Ich habe schon lange einmal die Idee gehabt, die Therapie­methoden Jesu zu meditieren und seine therapeutische Weisheit für uns heute fruchtbar zu machen. Dabei geht es mir zum einen darum, wie wir heute in der Begegnung mit Jesus ein anderes Bild von uns selbst bekommen können. Denn von unserem Selbstbild hängt ab, ob unser Leben gelingt. Und es geht mir zum anderen darum, wie wir mit unseren psychischen Prob­lemen heute Jesus so begegnen können, dass wir Heilung erfahren. Wir lesen fasziniert, wie Jesus Kranke geheilt hat. Aber wie können wir mit unseren psychischen Krankheiten in der Begegnung mit Jesus heute heil werden? Dieser Frage möchte ich mich auch stellen. So ist das Buch gedacht für Menschen, die auf dem Weg sind, sich selbst besser kennenzulernen. Es will helfen, Wege zu einem gelingenden Leben zu finden. Und es ist für Menschen, die an sich selbst leiden und Auswege aus ihren Leiden suchen. Aber ich schreibe dieses Buch auch für mich selbst als geistlichen Begleiter und für alle Männer und Frauen, die andere geistlich begleiten. Denn auch wir in der geistlichen Begleitung Tätige können von Jesu Therapiemethoden lernen. Und ich hoffe, dass auch Therapeuten an der therapeutischen Weisheit Jesu interessiert sind und bei ihm Anregungen für die eigene Therapie finden.

Dabei möchte dieses Buch über die Therapiemethoden Jesu keinen therapeutischen Schulen folgen. Jesus hat keine eigene Therapierichtung begründet. Er ist auf jeden einzelnen Menschen so eingegangen, wie es ihm seine Intuition nahegelegt hat. Er hat aus seinem Herzen heraus gehandelt. Wir können Jesus nicht kopieren, uns aber von ihm inspirieren lassen. Denn Jesus hat seine Jünger mit seinem Geist ausgestattet und ihnen den Auftrag gegeben, in der Kraft seines Geistes Kranke zu heilen und seine Botschaft so zu verkünden, dass seine heilende Wirkung auch heute die Menschen erreicht.

Dieses Buch kann keine Therapie ersetzen. So wie die wirklich kranken Menschen zu Jesus gegangen sind und in der Begegnung mit Jesus gesund wurden, so brauchen auch wir in unseren psychischen Krankheiten einen Arzt oder Therapeuten, der uns professionell behandelt. Aber trotzdem kann jeder, der an sich selbst leidet, in der Meditation auch Jesus so begegnen, dass er seine heilende Wirkung bei sich selbst wahrnimmt. In der Meditation der Heilungsgeschichten dürfen wir manchmal erleben, dass die Heilung auch an uns geschieht. Wenn wir die Worte Jesu in uns hineinfallen lassen und sie gleichsam »kauen« – die alten Mönche sprechen von der Meditation als »Wiederkauen« –, dann verändern sie uns. Und wenn wir uns an den Gleichnissen Jesu reiben und sie zu verstehen suchen, wandeln sich sowohl unser Selbstbild als auch unser Gottesbild. Durch die neue Sichtweise, die uns so geschenkt wird, werden wir uns anders erleben: heiler, freier, hoffnungsvoller und gestärkt. Doch die Meditation der Worte und Handlungen Jesu ersetzt keine Therapie, wenn sie vom Krankheitsbild notwendig ist.

Für mich gibt es drei Weisen, in denen Jesus geheilt hat:

Die Gleichniserzählungen sind eine Art »Gesprächstherapie«. Die Worte Jesu eröffnen uns einen neuen Blickwinkel auf unser Leben, und die Heilungsgeschichten zeigen uns, wie Jesus auf kranke Menschen zugeht. In den Gleichnissen geht es Jesus darum, Menschen von krankmachenden Gottesbildern und zerstörerischen Selbstbildern zu befreien: Er will ihnen so einen Weg aufzeigen, sich selbst und Gott richtig zu sehen. Denn von der Weise des Sehens auf uns und auf Gott hängt das Gelingen unseres Lebens ab. In den Gleichnissen beherrscht Jesus die Kunst, die Sichtweise der Menschen von innen her zu verwandeln, ohne sie zu bevormunden oder zu belehren. Die Gleichnisse spiegeln einen therapeutischen Prozess wieder, auf den sich die Zuhörer einlassen können.

Die Gleichnisse wollen nicht in erster Linie belehren, sondern unsere inneren Bilder heilen. Es liegt mir besonders daran, die heilende Kraft der Gleichnisse für uns heute neu zu entdecken. Denn ich erlebe immer wieder, wie Geschichten und Gleichnisse die Menschen auch in der Begleitung oft weiterbringen. Die Klienten lieben und schätzen solche Geschichten, die ihnen eine neue Sichtweise vermitteln.

Jesu therapeutische Weisheit entdecke ich auch in seinen Worten, die uns die Bibel überliefert. Seine Worte sind für mich in erster Linie nicht moralisierende, sondern heilende. Jesus spricht auch außerhalb seiner Gleichnisse und Geschichten so zu den Menschen, dass seine Worte uns die Augen öffnen für die Wahrheit unseres Lebens. Er will uns so auf eine andere Ebene führen: auf eine Ebene, auf der uns krankmachende Worte von Menschen nicht erreichen, sondern auf der wir uns als in Gott hineingenommene Menschen erleben.

Am deutlichsten wird das therapeutische Handeln Jesu in den Heilungsgeschichten der Evangelien. Jesus heilt dort aber nicht immer auf die gleiche Weise. Vielmehr begegnen uns verschiedene »Therapiemethoden«, mit denen Jesus die Menschen heilt. Ich habe schon oft Heilungsgeschichten ausgelegt. In diesem Buch möchte ich die verschiedenen Weisen, wie Jesus auf Menschen eingeht, systematischer behandeln.

Die Heilungsgeschichten laden uns ein, uns selbst mit unseren Gefährdungen Jesus hinzuhalten, damit das, was damals geschah, auch an uns heute Wirklichkeit wird. Und die Heilungsgeschichten sind eine Aufforderung, so wie Jesus den Menschen zu begegnen und in der Kraft seines Geistes die Menschen aufzurichten, zu ermutigen und zu heilen.

Doch bevor ich die Heilungsgeschichten als das eigentlich therapeutische Handeln Jesu behandle, möchte ich die Gleichnisse und Worte Jesu meditieren. Jeder von uns – ganz gleich, ob suchender Mensch oder geistlicher oder therapeutischer Begleiter – hat die Aufgabe, sich mit seinem eigenen Selbstbild auseinanderzusetzen.

Unser Selbstbild hängt immer auch mit unserem Gottesbild zusammen. Die Vorstellung von einem bösen Gott beispielsweise macht mich klein und ängstlich. Kranke Gottesbilder führen zu neurotischen Mustern und überfordern uns in unserem Leben.

Die Gleichnisse und Worte Jesu, die ich zuerst vorstellen werde, laden uns ein, unser Gottesbild, damit aber auch unser eigenes Leben zu reflektieren – und so zu einem gesunden Verhältnis zu uns selbst zu kommen. Danach werde ich die Heilungsgeschichten anschauen. Auch sie laden uns ein, nach den eigenen psychischen Gefährdungen zu fragen und sie in der Begegnung mit Jesus zu reflektieren.

Ich wünsche allen Lesern und Leserinnen, dass sie durch das Lesen und Meditieren der biblischen Texte – es lohnt sich, die angegebenen Texte jeweils selbst in der Bibel nachzulesen –sich selbst neu begegnen, dass sie sich selbst besser verstehen und dass sie eine innere Verwandlung und Heilung erfahren. Und den geistlichen Begleitern und Begleiterinnen wünsche ich, dass sie sich durch Jesu Therapiemethoden anregen lassen, den Menschen, die sie begleiten, achtsam zu begegnen. Ich wünsche ihnen auch, dass sie ein Gespür entwickeln für das, was auf der einen Seite die Klienten brauchen und was auf der anderen Seite ihnen als Begleitern guttut und ihnen hilft, zu begleiten, ohne sich selbst zu überfordern.

Die Therapiemethoden Jesu in den Gleichnissen

Die meisten Therapiemethoden gehen über das Gespräch, über den Dialog, in dem jeder zu Wort kommt, in dem einer den anderen gleichsam zu den eigenen Gedanken hinführt, die in ihm auftauchen. Manchmal aber erzählt der Therapeut auch Geschichten, um dem Klienten einen Weg aufzuzeigen, wie Heilung geschehen kann. In der Antike war das Geschichtenerzählen sogar die eigentliche Form der Therapie. Auch in der Märchensammlung »1001 Nacht« muss die Prinzessin solange Märchen erzählen, bis der kranke Prinz geheilt wird.

Jesus hat immer wieder Gleichnisse erzählt. Er war offensichtlich ein meisterhafter Erzähler, dem die Menschen gerne zugehört haben. Die Gleichnisse könnte man als einen Teil seiner Therapie verstehen, denn in ihnen steckt eine heilende Kraft. In den Gleichnissen erzählt Jesus den Menschen Geschichten davon, wie das Leben gelingen kann. In den Gleichnissen möchte Jesus den Menschen eine neue Sichtweise vermitteln: ein neues Gottesbild und ein neues Selbstbild. Die Bilder, die ein Mensch in sich trägt, prägen sein Leben. Sie machen ihn entweder krank oder gesund. So versucht Jesus, in den Gleichnissen kranke Gottesbilder und kranke Selbstbilder durch heilsame Bilder zu ersetzen.

Jesus fasziniert und provoziert in den Gleichnissen. Dort, wo er faszinierend von Hochzeit, von Ernte, von Festen, von finanziellem Gewinn erzählt, horchen die Zuhörer auf. Sie lassen sich fesseln. Aber dann gibt es immer auch einen Punkt in den Gleichnissen, der uns ärgert. Dort möchte uns Jesus bewusst provozieren und uns so etwas Bestimmtes zeigen: Wo du dich über meine Worte ärgerst, dort wirst du mit einem falschen Bild von dir selbst und von Gott konfrontiert, das du in dir trägst.

Manchmal ist es nicht das Gefühl des Ärgers, das Jesus in uns hervorlockt, sondern der Schadenfreude über die Niederlage des scheinbar Mächtigen. Aber Jesus geht es dann nicht um die Schadenfreude. Er will uns vielmehr durch dieses Gefühl hindurch zu wesentlichen Einsichten über uns und über Gott führen. Es braucht offensichtlich eine emotionale Betroffenheit, um sich von krankmachenden Bildern zu verabschieden. Und oft genug ist es auch ein schmerzlicher Prozess, der unsere inneren Bilder wandelt. Es braucht etwa die Aggression, um sich von bestimmten Bildern zu distanzieren: Auf einmal erkenne ich wütend, was diese Bilder mit mir gemacht haben, dass sie mich vom Leben abgehalten oder mich in eine falsche Richtung geführt haben.

Früher meinten die Exegeten, bei den Gleichnissen komme es auf den Vergleichspunkt an, auf das »tertium comparationis«. Und sie meinten, das Gleichnis könne man in einem einzigen Satz zusammenfassen, die bildliche Einkleidung sei mehr pädagogischer Art. Das Eigentliche am Gleichnis sei die Belehrung.

In dieser Sichtweise würde das Gleichnis letztlich nur für die Dummen gut sein, die Intelligenten bräuchten keine Gleichnisse. Ihnen würde die reine Lehre genügen. Damit verkenne ich aber die therapeutische Wirkung des Gleichnisses. Indem Jesus Gleichnisse erzählt, geschieht beim Hörer eine innere Verwandlung. Er öffnet sich den Worten Jesu, weil er fasziniert ist. Und unmerklich führt ihn Jesus durch sein Erzählen auf eine andere Ebene. Auf einmal hat der Hörer ein »Aha-Erlebnis«, ihm geht ein Licht über sich selbst auf. Jetzt kann er sich selbst anders sehen. Diese innere Verwandlung seiner Sichtweise, aber auch seiner Gefühle kann man nicht durch reine Lehrworte erreichen. Dazu braucht es die Kunst des Gleichnisses.

Dem Theologen und Therapeuten Eugen Drewermann kommt das Verdienst zu, auf die therapeutische Kunst und die heilende Kraft der Gleichnisse hingewiesen zu haben. Er beschreibt die verwandelnde Wirkung der Gleichnisse so: »Psychologisch gesehen, muss es einer geglückten Gleichniserzählung gelingen, den Hörer im wörtlichen Sinne derart zu ›verzaubern‹, dass er aus der Welt seiner bisherigen Erfahrung in eine andere Welt versetzt wird, die seiner eigenen zwar vollkommen widerspricht, aber dennoch seinen recht verstandenen Wünschen auf das sehnlichste entspricht.« (Drewermann 731) Eugen Drewermann spricht von »Sublimation« durch die Gleichnisse. Er meint damit, Jesus spreche Menschen an, die die Lebensgier und Leidenschaft in sich kennen. Durch seine Gleichnisse führe er aber die Kraft dieser Leidenschaft auf eine höhere Ebene, so dass diese Kraft in das Leben mit Gott und vor Gott hineinfließt. »Der entscheidende Punkt einer Gleichnisrede besteht ... in der Durchbrechung der diesseitigen Welt, psychologisch betrachtet: in der Umlenkung aller Antriebe, in der Sublimation der Affekte.« (Drewermann 729)

In den Gleichnissen spricht Jesus verschiedene Themenkomplexe an. Es geht jeweils um eine Verwandlung der Sichtweise in den vielfältigen Bereichen menschlichen Lebens. Es geht darum, mit der eigenen Angst anders umzugehen, einen angemessenen Weg zu finden, auf die Erfahrung des Schuldigwerdens zu reagieren. Es geht um die Erfahrung von Enttäuschung, von Ohnmacht, um die Erfahrung der eigenen Schattenseiten.

Die Gleichnisse behandeln wichtige therapeutische Themen. Und durch die Gleichnisse bewirkt Jesus, dass die Menschen auf neue Weise mit den zentralen Themen ihrer Seele umgehen. Angst, Schuld, Leid, Zerrissenheit, Ohnmacht, Ablehnung bewegen jeden Menschen, und es kommt darauf an, diese Themen nicht zu verdrängen, sondern konstruktiv mit ihnen umzugehen.

Aber oft genug haben Menschen im Umgang mit diesen Themen Strategien entwickelt, die ihnen nicht guttun. Wer Leid leugnet, wird dennoch davon heimgesucht. Wer Schuld verdrängt, wird von diffusen Schuldgefühlen geplagt. Oft haben Christen einen masochistischen Umgang mit Leid und Schuld praktiziert. Und als Gegenreaktion darauf haben inzwischen viele Menschen gegen dieses ständige Kreisen um Leid und Schuld rebelliert und beide Themen verdrängt. Doch das ist keine Lösung. Jesus zeigt uns Wege, auf angemessene Weise mit diesen und anderen wichtigen Lebensthemen umzugehen.

So möchte ich einige dieser therapeutischen Themen he­rausgreifen und die neue, oft faszinierende, aber auch provozierende Sichtweise Jesu herausarbeiten.

Der Umgang mit der Schuld

Lukas 16,1–8

Ein Thema, um das kein Mensch herumkommt, ist das Thema »Schuld«. Die Kirche hat vor allem in der Vergangenheit leider oft die Menschen zu sehr auf Schuld und Sünde angesprochen und ihnen so ein schlechtes Gewissen eingeimpft. Aber das Gegenteil ist genauso wenig hilfreich: Wenn Schuld nicht mehr zugegeben und bedacht wird, dann äußern sich die Schuldgefühle oft in anderer Weise, etwa in Zorn, Angst, Gereiztheit oder in Wiederholungszwängen.

Bei Zwangserkrankungen geht es letztlich immer um verdrängte Schuld. Der 1996 verstorbene Münchner Psychiater Albert Görres meint, wer das Gespür für Schuld verliert, der verliert etwas Wesentliches seines Menschseins. Er verliert nämlich dann seine eigene Existenztiefe und nimmt seine Freiheit und Verantwortung nicht mehr wahr. Wenn das Bewusstsein für die Schuld verlorengeht, dann äußert sich die Schuld im Menschen nicht mehr »als schlechtes Gewissen, sondern nur noch als diffuse Angst oder Depression, als vegetative Dystonie« (Görres 78). Anstelle der Schuldgefühle plagen den Menschen dann Versagensängste und Depressionen.

Die Frage ist, wie ich angemessen mit der Schuld umgehe –und wie ich dies so tue, dass ich dabei meine Selbstachtung nicht verliere. Jesus geht auf dieses Thema im Gleichnis vom klugen Verwalter ein. Die materiell armen Zuhörer Jesu dürften fasziniert dieser Geschichte gefolgt sein. Sie hatten wohl den Eindruck, dass der Verwalter seinen Herrn raffiniert ausgetrickst hat. Doch Jesus geht es nicht um diese vordergründige Schadenfreude. Er möchte seine Zuhörer auf eine andere Ebene führen. Andere ärgern sich über dieses Gleichnis. Sie sagen: »Das geht doch nicht. Das ist doch unmoralisch, was der Verwalter tut. Er betrügt seinen Herrn.« Und gerade dort, wo uns etwas ärgert, will Jesus uns sagen: Schau einmal genau hin, ob deine Sichtweise wirklich stimmt. Du siehst dich selbst und Gott falsch. Und du musst einen anderen Umgang mit Schuld lernen. Du bist so hart im Urteil über andere, weil du mit deiner eigenen Schuld unangemessenen umgehst.

Ob wir wollen oder nicht, wir geraten in unserem Leben immer wieder in Schuld. Im Gleichnis wird das ausgedrückt durch das Bild des Verschleuderns. Wir werden immer etwas von unserem Vermögen, von unseren Fähigkeiten, von unseren Kräften verschleudern. Die Frage ist aber, wie wir auf den Vorwurf des Verschleuderns, des Schuldigwerdens reagieren. Der Verwalter führt ein Selbstgespräch. »Mein Herr entzieht mir die Verwaltung. Was soll ich jetzt tun? Zu schwerer Arbeit tauge ich nicht, und zu betteln schäme ich mich.« (Lukas 16,3)

Das sind die beiden Wege, wie wir oft auf Schuld reagieren. Wir wollen – so der eine Weg – hart arbeiten. Wir nehmen uns vor, von jetzt an keinen Fehler mehr zu machen. Wir beißen die Zähne zusammen und strengen uns an. Doch das führt nur zu Verhärtung und Verkrampfung. Wir werden hart gegen uns selbst, aber wir urteilen auch hart gegenüber anderen. Wir kreisen dann ständig um die Schuld der anderen und regen uns über sie auf. Der andere Weg besteht darin, dass wir um Annahme betteln. Wir laufen unser Leben lang mit einem Bußgewand herum und entschuldigen uns, dass wir überhaupt da sind. Wir machen uns durch die Selbstbeschuldigung klein und betteln um Anerkennung und Zuwendung. Dabei verlieren wir alle Selbstachtung.

Der Verwalter sieht einen dritten Weg: »Doch – ich weiß, was ich tun muss, damit mich die Leute in ihre Häuser aufnehmen, wenn ich als Verwalter abgesetzt bin.« (Lukas 16,4) Er geht kreativ mit seiner Schuld um. Er lässt die Schuldner kommen und erlässt ihnen einen Teil der Schuld auf Kosten des reichen Mannes. Das ist die einzige Möglichkeit, die ihm noch bleibt. Letztlich weiß er, dass er die ganze Schuld nicht abzahlen kann: weder durch harte Arbeit noch durch Betteln. Er kann sie nur zum Anlass nehmen, menschlich mit den anderen umzugehen. Er sagt sich: Ich bin schuldig, ihr seid schuldig, teilen wir uns die Schuld. Nehmen wir einander in unsere Häuser auf.

Jesus lädt uns ein, vom Thron unserer Selbstgerechtigkeit herabzusteigen und Mensch unter Menschen zu werden. Jesus grenzt sich dabei von der jüdischen Glaubensgruppe der Essener ab, die mit »Kinder des Lichtes« gemeint sind. (Lukas 16,8) Die Essener waren sehr fromm. Aber wenn jemand unter ihnen die Normen übertrat, wurde er unbarmherzig ausgestoßen und ausgeschlossen. Jesus sagt: Ihr Christen sollt nicht ausschließen, sondern aufnehmen. Ihr sollt im Bewusstsein, dass Gott euch vergeben hat, menschlich mit eurer Schuld umgehen. Ihr sollt Menschen unter Menschen werden, ihr sollt euch nicht über andere stellen, aber auch nicht unter sie.

Wir brauchen die Schuld nicht abzuzahlen: weder durch harte Arbeit noch durch Betteln. Weil Gott uns die Schuld in seiner Barmherzigkeit vergibt, können wir sie dazu benutzen, barmherzig mit uns und mit den anderen Menschen umzugehen.

In der geistlichen Begleitung habe ich erfahren, dass das Gleichnis vom klugen Verwalter Menschen geholfen hat, sich nicht ständig selbst zu beschuldigen und zu erniedrigen, sondern ihre eigene Würde wiederzufinden. Sie konnten sich auch von einem rigorosen Moralismus verabschieden, mit dem sie sich überfordert hatten. Sie erfuhren die Sichtweise Jesu als befreiend und heilend.

So ein Gleichnis kann mehr bewirken als eine Belehrung über die Vergebung. Das Gleichnis bringt in uns etwas in Bewegung. Wir erkennen uns in unseren Reaktionsweisen auf die Schuld wieder und erfahren durch die provozierenden Worte Jesu eine neue Freiheit und Weite im Umgang mit der Schuld. Wir können darüber sprechen, ohne uns selbst zu zerfleischen.

Der Schweizer Psychologe Carl Gustav Jung meinte einmal, manche Menschen würden ihre Schuld zum Anlass nehmen, um sich selbst zu zerfleischen. Anstatt sich ihrer Wahrheit und ihren Schattenseiten zu stellen, genießen sie ihre Zerknirschung und Reue »wie ein warmes Daunenbett an einem kalten Wintermorgen, wenn man aufstehen sollte« (Jung, Werke 8, 680). Das Gleichnis gibt Mut, aufrecht durch das Leben zu gehen, aufrecht und aufrichtig andere in sein Haus einzuladen, aber auch ohne Selbsterniedrigung in das Haus anderer einzutreten.

Der Umgang mit dem inneren Richter

Lukas 18,1–8

Die Psychologie spricht vom Über-Ich, das oft sehr rigide ist und uns ständig verurteilt. Im Über-Ich haben sich die Meinungen und Normen der Eltern gespeichert. Das sind oft hilfreiche Normen. Aber manchmal fällt das Über-Ich harte Urteile oder sogar Verurteilungen über uns. Im Innern haben wir mit ihm eine Instanz, die uns ständig verurteilt und ablehnt.

Wie wir mit diesem Über-Ich umgehen können, zeigt uns Jesus im Gleichnis von der Witwe und dem gottlosen Richter. Die Witwe ist von einem Feind bedrängt. Das können innere oder äußere Feinde sein. Als Frau, die keinen Mann mehr hat, der sie schützt, kann sie sich zu wenig gegenüber manchen Menschen abgrenzen und ist daher sehr verletzlich. Oder aber es sind Lebensmuster, die sie nicht so leben lassen, wie sie gerne möchte. Die Witwe wendet sich an den Richter. Doch der hat keine Lust zu helfen. Denn er hat kein Interesse am Wohl der Menschen – und Gott interessiert ihn auch nicht. So hat die Witwe keine Chance auf Hilfe. Doch die Witwe ist hartnäckig. Sie lässt nicht los. Sie kämpft für sich und ihr Recht auf Leben. Sie kommt täglich zum Richter. Nun führt der Richter ein Selbstgespräch: »Ich fürchte zwar Gott nicht und nehme auch auf keinen Menschen Rücksicht; trotzdem will ich dieser Witwe zu ihrem Recht verhelfen, denn sie lässt mich nicht in Ruhe. Sonst kommt sie am Ende noch und schlägt mich ins Gesicht.« (Lukas 18,4–5) Im Griechischen heißt es hier wörtlich: Sonst schlägt sie mir noch das Auge blau. Und vor dem blauen Auge hat der Richter doch Respekt. Er möchte nicht mit einem blauen Auge in der Stadt herumlaufen.

Jesus erzählt das Gleichnis so spannend, dass Menschen, die die Hoffnung auf Hilfe und Heilung aufgegeben haben, neuen Mut schöpfen. Indem er in den Zuhörern die Schadenfreude über das Zurückstecken des mächtigen Richters auslöst, lädt er sie ein, selbst anders mit ihrer scheinbar hoffnungslosen Situation umzugehen.

Jesus zeigt uns das Gebet als den Weg, wie wir unseren inneren Richter überwinden können. Gott wird nicht auf unser Gebet hin von außen eingreifen und die Feinde vernichten. Nicht nach dem Gebet, sondern schon im Gebet erfahren wir unser Recht auf Leben. Im Gebet kommen wir in den inneren Raum der Stille. Dort hat der innere Richter keinen Zutritt. Dort ist er entmachtet. Das Gebet nimmt dem Über-Ich seine Macht. Im Gebet erleben wir Gottes heilende Nähe und entdecken in uns den Raum der Stille, in dem das Reich Gottes in uns ist.

Kurz vor der Erzählung dieses Gleichnisses hatte Jesus gesagt: »Das Reich Gottes ist in euch.« (Lukas 17,21) Dort, wo das Reich Gottes in uns ist, hat der innere Richter keine Chance. Dort sind wir frei von der Macht anderer Menschen: von ihren Erwartungen und Ansprüchen, von ihren Urteilen und Anschuldigungen. Dort sind wir heil und ganz. Niemand kann uns dort verletzen. Dort hat der innere oder äußere Feind keinen Zutritt.

Man kann die Witwe auch – so wie es in der Symbolik der Mythologie geschieht – als Bild für die Seele verstehen. Seele ist hier nicht im philosophischen Sinn zu verstehen, sondern als Bild für den inneren Bereich des Menschen: für die Ahnungen des Menschen, dass er einen göttlichen Glanz hat, dass er einmalig und Gottes Kind ist. Seele steht für die Träume, die der Mensch von sich hat und die ihm bedeuten, dass sein Leben wertvoll ist und dass sich in ihm etwas von Gott ausdrückt. Der Richter steht dann für das Über-Ich in uns, für den inneren Richter, der uns ständig entwertet und der uns für krank hält, weil wir solch hohe Ideale oder große Ideen von uns haben.