1,99 €
Pine Barrens, New Jersey, USA
Anno 1712
"Oh, lass es einen Teufel sein!", sagte Mrs. Leeds, während sie sich den bereits durch ihre Schwangerschaft wohlgerundeten Bauch hielt. Sie musste sich setzen. Ihre Augen traten unnatürlich hervor und glänzten, als ob sie von einem fiebrigen Wahn befallen worden war.
Einem satanischen Wahn ...
"Verflucht seist du!", stieß die Schwangere keuchend hervor und wiederholte dann mit verzerrter, kreischender Stimme: "Ach Herr, lass es doch einen Teufel sein!"
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 147
Cover
Impressum
Jersey Devil
Briefe aus der Gruft
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Néstor Taylor/Bassols
eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-5926-8
„Geisterjäger“, „John Sinclair“ und „Geisterjäger John Sinclair“ sind eingetragene Marken der Bastei Lübbe AG. Die dazugehörigen Logos unterliegen urheberrechtlichem Schutz. Die Figur John Sinclair ist eine Schöpfung von Jason Dark.
www.john-sinclair.de
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Jersey Devil
von Alfred Bekker
Pine Barrens, New Jersey, USA
Anno 1712
»Oh, lass es einen Teufel sein!«, sagte Mrs. Leeds, während sie sich den bereits durch ihre Schwangerschaft wohlgerundeten Bauch hielt. Sie musste sich setzen. Ihre Augen traten unnatürlich hervor und glänzten, als ob sie von einem fiebrigen Wahn befallen worden war.
Einem satanischen Wahn …
»Verflucht seist du!«, stieß die Schwangere keuchend hervor und wiederholte dann mit verzerrter, kreischender Stimme: »Ach Herr, lass es doch einen Teufel sein!«
Sie hatte sich auf dem Schemel niedergelassen, hielt sich noch immer den Bauch. Ihre Hände krampften sich zu Fäusten zusammen. Ihr Gesicht wurde zu einer Grimasse, während Speichel ihr an den Mundwinkeln heruntertroff.
»Wie kannst du so etwas sagen?«, entfuhr es ihrem Mann. Ebenezer Leeds starrte seine Frau entgeistert an. Er trug einen Kinnbart nach Art der Quäker, was seinem Gesicht einen strengen Ausdruck gab. Ein Ruck ging durch seinen hoch aufgeschossenen, hageren Körper. Er riss förmlich die Bibel vom Regal. Es war das einzige Buch im Haus. »Nimm den Fluch zurück und bete!«, rief er.
Mrs. Leeds lachte nur irre.
Es war ihr dreizehntes Kind, dass sie unter dem Herzen trug.
Dreizehn …
Die Zahl des Teufels …
Und dann kam der Tag der Geburt!
***
Die Schreie waren furchtbar. Ebenezer Leeds standen Schweißperlen auf der Stirn. Zwölf Kinder hatte seine Frau bereits geboren. Aber bei keinem war es so schlimm gewesen wie dieses Mal.
Das dreizehnte Kind! Allein diese Zahl verhieß nichts Gutes. Schon während der gesamten Schwangerschaft seiner Frau war Ebenezer Leeds von düsteren Ahnungen geplagt worden. Und jetzt stand er zusammen mit seinen zwölf anderen Kindern und der Magd Josephine vor dem Haus, während sich drinnen eine Hebamme aus der Gemeinde um Mrs. Leeds kümmerte.
Wieder drang ein furchtbarer, kaum noch als menschlich zu erkennender Schrei aus dem Haus.
»Ich muss da jetzt rein!«, sagte Ebenezer Leeds, aber sein ältester Sohn Aaron – längst ein Mann, der seinem Vater an Körperkraft ebenbürtig war, hielt ihn bei den Schultern.
»Nein, Vater!«
Ebenezer Leeds stieß seinen Sohn grob zur Seite, als er einen weiteren Schrei hörte – und danach ein Geräusch, das ganz sicher nicht von einem menschlichen Wesen stammen konnte.
Er riss die Tür auf.
Die breiten Hüften der Hebamme verstellten Ebenezer Leeds den Blick auf seine Frau – und jenes Leben, das sie hervorgebracht hatte.
»Herr im Himmel!«, stieß die Hebamme hervor und wich zurück. »Ein Teufel! Es ist ein Teufel!«, kreischte sie.
Etwas sprang sie an und landete in ihrem Gesicht. Blut spritzte bis zur Decke. Nicht einmal mehr Schreien konnte die füllige Hebamme noch. Mit vollkommen entstelltem Gesicht und aufgerissenen Schlagadern taumelte sie zu Boden, während ein dämonisches Wesen von ihr fortschnellte.
Eine zweibeinige Kreatur mit Hufen und fledermausartigen Flügeln. Die scharfen Krallen wirkten wie kleine Messer. Das reptilienhaft wirkende Maul war gespickt mit nagelähnlichen, spitzen Zähnen.
»Es ist ein Teufel!«, rief Mrs. Leeds wie von Sinnen.
Die Kreatur schnellte in Richtung Kamin. Dort blieb das Geschöpf einen Augenblick lang fast regungslos stehen und drehte sich um. Die Augen leuchteten feuerrot. Ein wütendes Fauchen drang aus dem Maul. Kaum kniehoch war dieses Wesen jetzt.
Aber es würde wachsen.
Und töten.
Eine gespaltene Zunge kam aus dem Maul hervor wie bei einer Schlange. Mit der Zunge schleckte das Wesen das Blut fort, das noch an den Krallen haftete.
Dann ging ein Ruck durch den kleinen Teufel. So schnell, dass Ebenezer Leeds die einzelnen Bewegungen kaum erkennen konnte, strebte die geflügelte Bestie auf den Kamin zu und verschwand darin. Geräuschvoll kletterte das Wesen darin empor und floh.
Mrs. Leeds schrie inzwischen wie von Sinnen.
Nicht vor Schmerz – purer Wahnsinn war es, der jetzt das Innerste ihrer Seele peinigte.
Ebenezer Leeds allerdings sank auf die Knie und faltete die Hände.
»Hab Erbarmen, Herr! Und bewahre uns vor dem Satan …«
***
Mehr als ein Jahrhundert später, Anno 1817
Point Breeze, Bordentown, New Jersey
Guiseppe Buonaparte – unter diesem Namen war der dunkelhaarige, schlanke Mann einst geboren worden. Bekannter war er als Joseph Bonaparte, Bruder von Kaiser Napoleon, der zwei Jahre zuvor in der Schlacht von Waterloo vernichtend geschlagen worden war.
Napoleon hatte seinen Bruder Joseph nacheinander zum König von Neapel und zum König von Spanien gemacht. Aber nach den Ereignissen von Waterloo war es mit dieser Herrlichkeit endgültig vorbei. Seitdem nannte er sich überwiegend »Comte de Surveillers« und lebte im amerikanischen Exil. In der Nähe von Bordentown, New Jersey hatte er den Landsitz Point Breeze erworben. Ansonsten ließ er sich gerne auf den Festen der feinen Gesellschaft von Philadelphia oder New York City sehen.
Es ging das Gerücht um, dass er dies vor allem in der Hoffnung tat, großzügige Gönner zu finden, die bereit waren, für seine Spielschulden aufzukommen. In der vergleichsweise kurzen Zeit des amerikanischen Exils hatte sich durch die wiederholte, aber überwiegend glücklose Teilnahme an exklusiven Spielrunden bereits ein erhebliches Schuldenkonto angesammelt. Hinzu kamen die Schulden, die noch aus den europäischen Stationen seines Exils stammten. Und der Erwerb von Point Breeze war natürlich auch auf Kredit geschehen. Allein die Unterhaltung des Anwesens und der zur Führung eines standesgemäßen Lebens notwendigen Dienstboten und Domestiken verschlang ein Vermögen.
Von anderen Kleinigkeiten ganz zu schweigen.
Joseph Bonaparte saß hoch zu Ross. Der kühle Wind, der vom Atlantik über New Jersey hinwegwehte, strich auch über die Haare des Hermelinkragens an Josephs Mantel.
»Mon dieu«, murmelte der ehedem mit so vielen Titeln und Ehren bedachte König von Neapel und Spanien, während er auf das malerisch daliegende Point Breeze blickte.
Aber was war Point Breeze trotz all seiner Herrschaftlichkeit mehr als ein schwacher Abglanz all der anderen Schlösser und Paläste, in denen er in den letzten Jahren residiert hatte.
Residiert – aber nicht wirklich geherrscht, wie er zugeben musste. Denn geherrscht hatte letztlich sein Bruder, der große Napoleon. Joseph hingegen war nur dessen abhängiger Statthalter gewesen. Nicht mehr. Und nachdem der Kaiser der Franzosen seine mächtige Hand nicht mehr über den Bruder halten konnte und auf der Insel St. Helena sein ungewisses Exil unter Aufsicht der Engländer fristete, war Joseph auf sich selbst gestellt.
»Zazu …!«, rief er etwas ungehalten nach seinem schwarzen Diener.
Ein einflussreicher Kongressabgeordneter aus Kentucky, der dich gerne mit der Gesellschaft eines europäischen Adeligen schmückte, hatte ihn Joseph zur Verfügung gestellt. Angeblich konnte Zazu Französisch. Zumindest hatte man das Joseph gesagt, der es seinerseits als unter seiner Würde empfand, die Sprache seines Exillandes zu lernen. Als gebürtiger Korse sprach er Italienisch und Französisch. Aber nicht ein einziges Wort Spanisch hatte er während seiner Regierungsjahre in Madrid erlernt.
Zazus Französisch hatte sich als karibisches Kreolisch entpuppt. Eine Mischsprache, von der Joseph allenfalls jedes dritte Wort verstand.
Aber dafür hatte Zazu eine glückliche Hand im Umgang mit Pferden. Und das war ja auch etwas wert.
»Wo bleibst du?«, fragte Joseph.
»Pferde unruhig«, sagte Zazu in seinem kreolischen Französisch, dessen Aussprache und Grammatik Joseph ein Gräuel waren. Vielleicht deshalb, weil für ihn als Korsen diese Sprache zunächst auch fremd gewesen war und es Jahre gedauert hatte, bis er sie so hatte sprechen können, dass man ihm die Herkunft nicht mehr nach dem ersten Satz anhören konnte.
»Irgendetwas …«, murmelte Zazu, und sein Blick wirkte abwesend dabei. So als würde er nach innen blicken. »Irgendetwas …«, wiederholte er.
»Na, ich hoffe, du findest die fehlenden Worte noch in deinem Spatzenhirn, bevor du vergessen hast, was du mir sagen wolltest«, meinte Joseph übellaunig.
Seit man ihn von seinen Thronen in Madrid und Neapel vertrieben hatte, wurde er immer öfter von solchen Phasen übellauniger Verstimmung heimgesucht. Und Zazu schien ihm wie geschaffen dafür zu sein, um diese schlechte Laune an ihm auszulassen. Schon deshalb, weil er nicht alles verstand, was sein Herr sagte.
»Etwas … nicht in Ordnung«, brachte Zazu schließlich heraus.
»Und was, bitte schön, soll nicht in Ordnung sein?«, fragte Joseph.
»Ich weiß nicht …«
»Du wirst anscheinend mit der Zeit genauso launisch, wie man es mir inzwischen nachsagt«, gab Joseph zurück. »Reiten wir. Ich habe keine Lust, länger zu warten.«
Joseph gab seinem Pferd die Sporen. Zazu folgte ihm mit einigem Abstand. Allein durch die waldreiche Landschaft von New Jersey zu reiten, wäre Joseph niemals eingefallen. Es war nicht so, dass er Angst vor Überfällen oder dergleichen hatte. Ganz im Gegenteil. Die Gegend war recht sicher. Der Großteil der Bevölkerung stammte von frommen Quäkern ab, die keiner Fliege etwas zuleide taten. Einmal hatte er sogar an einem ihrer Gottesdienste teilgenommen und war Zeuge ihrer inbrünstigen Art zu beten geworden. Später hatte er sich belehren lassen, dass die Bezeichnung Quäker von dem englischen Begriff ›to quake‹ – beben – kam und sich auf ihre Ergriffenheit beim Gebet bezog. Ein Spottname, den man ihnen einst gegeben hatte und den sie inzwischen sogar für sich selbst benutzten. So hatten sie das getan, was der Herr ihnen befohlen hatte, nämlich auch die andere Wange hingehalten.
Nein, Joseph Bonapartes Abneigung dagegen, auch nur eine halbe Meile allein fortzureiten, rührte einfach daher, dass er jemanden in der Nähe wissen wollte, der sich um sein Pferd kümmern konnte.
Zum Beispiel dann, wenn es dem ehedem gekrönten Herrn einfiel, aus dem Sattel zu steigen und sich etwas in der Natur umzusehen.
Joseph preschte mit seinem Pferd voran, ließ das Tier in vollem Galopp über die Ebene schnellen und auf den Waldrand zuhalten. Dort eröffnete sich ein relativ breiter Weg mitten durch das Gehölz.
Joseph hatte höchstpersönlich dafür gesorgt, dass dieser Weg erheblich verbreitert worden war. Schließlich hatte er keine Lust, von herabhängenden Ästen aus dem Sattel gepeitscht zu werden, während er mit hohem Tempo an ihnen vorbeischnellte.
Zazu war nun schon bereits fast dreißig Pferdelängen hinter ihm. Der ehemalige König von Spanien achtete nicht weiter auf seinen Diener.
Dann durchdrang plötzlich ein Schrei die Stille des Waldes. Es war die Art von Schrei, die einem das Blut in den Adern gefrieren lassen konnte.
Joseph Bonaparte zügelte augenblicklich sein Pferd. Durch einen schnellen Blick aus den Augenwinkeln hatte er einen Schatten dahinhuschen sehen. Er drehte sich nun vollends im Sattel herum und glaubte, seinen Augen nicht zu trauen. Zazu saß schwankend in seinem Sattel. Ihm fehlte der Kopf. Dort, wo der gewesen war, ragte jetzt nur der blutige Stumpf des Halses empor, Blut spritzte auf und schoss immer wieder aus den durchtrennten Adern hervor. Das Pferd wieherte und schnaubte.
»Mon dieu!«, entfuhr es Joseph, während der nun kraft- und leblos gewordene Körper seines Dieners aus dem Sattel rutschte.
Das Pferd stieg auf die Hinterhand.
Ein Fuß des kopflosen Zazu verfing sich im Steigbügel. Das Pferd preschte ein Stück den Weg zurück und schleifte den Körper dabei hinter sich her. Dann stoppte es sehr abrupt und stieg erneut auf die Hinterhand. Die Vorderhufe ruderten in der Luft.
Irgendetwas musste da sein, was das Pferd erneut zurückschrecken ließ und in Panik versetzte.
Auch das Tier auf dem Joseph Bonaparte ritt, wurde unruhig.
Joseph war ein geübter Reiter. Aber im Moment vermochte er sein Pferd kaum zu bändigen.
Josephs Blick wurde durch ein Knacken im Gehölz abgelenkt. Für einen kurzen Moment sah er in einer Baumkrone eine Kreatur, deren Anblick ihm das Blut in den Adern förmlich gefrieren ließ.
»Quel diable«, murmelte er. Was für ein leibhaftiger Teufel!
Die Hufe hingen herab. Die fledermausartigen Flügel hatte das Geschöpf mehr oder minder zusammengefaltet, als wäre es ein übergroßer Mantel aus Haut und Knochen. Die mit den Flügelhäuten verwachsenen Arme und Hände waren deutlich zu sehen. Auch die mörderischen, messerscharfen Klauen, die an den filigran wirkenden Fingern zum Vorschein kamen.
Der Kopf der Kreatur war gehörnt. Die Augen glühten rot. Das Maul erinnerte mit seinen übergroßen Zähnen an ein Raubtier.
Mit einer seiner Klauen hielt der gehörnte Teufel Zazus Kopf an den Haaren fest. Er schlenkerte den Schädel des Dieners hin und her, sodass aus der Halsöffnung austretendes Blut herumgespritzt wurde.
Ein schriller, durchdringender Schrei ging von dem Teufel aus. So schrill und durchdringend, dass Joseph Bonaparte für einen kurzen Augenblick glaubte, er sei taub geworden. Seinem Pferd raubte dieser Schrei nicht nur das Gehör, sondern offenbar auch den letzten Rest an Verstand. Das Tier bäumte sich jetzt so urplötzlich auf, dass Joseph sich nicht mehr zu halten vermochte. Im hohen Bogen landete er auf dem Weg. Mit einem dumpfen Geräusch kam er auf dem Boden auf. Das Pferd stürzte davon.
Joseph versuchte sich aufzurichten.
Die Schulter schmerzte höllisch.
Er biss die Zähne zusammen.
Und dann sah Joseph wie Zazus blutiger Kopf durch die Luft geschleudert wurde. Er schlug auf, rollte ein paar Schrittweit und blieb dann liegen. Die aufgerissenen, starren Augen waren auf Joseph gerichtet.
***
Joseph begann zu zittern. Beide Pferde waren inzwischen in heilloser Flucht davongeprescht und hinter der nächsten Biegung verschwunden. In der Ferne hörte Joseph noch ihren Hufschlag.
Schließlich kam er wieder auf die Beine. Der Schmerz an seiner Schulter war grausam – aber er konnte nicht einmal schreien. Zu furchtbar, zu ungewöhnlich war das, was ihm hier, in den Wäldern New Jerseys begegnet war. Dieses Erlebnis sprengte buchstäblich alles, was sich Joseph Bonaparte bisher auch nur hatte vorstellen können. Namenloses Entsetzen hielt seine Seele in eisernem Griff. Joseph war wie erstarrt. Er hatte das Gefühl, soeben in Eiswasser getaucht zu werden.
Angstvoll sah der ehemalige König von Spanien zu jener teuflischen Kreatur, die von der Baumkrone auf ihn herabblickte.
Von den dämonisch leuchtenden Augen, deren Anblick an glühende Kohlen erinnerte, ging eine geradezu hypnotische Wirkung aus. Es war Joseph jetzt schier unmöglich, den Blick abzuwenden.
Das Wesen öffnete sein zahnbewehrtes Maul.
Ein weiterer, schriller Laut drang nach außen. Für einen kurzen Moment glaubte Joseph, Worte zu hören. Worte einer menschlichen Sprache, vielleicht auch eine magische Zauberformel, mit der irgendwelche Geister oder Dämonen beschworen werden sollten. Daran, dass diese Kreatur noch weitere, übernatürliche Verbündete haben musste, zweifelte Joseph Bonaparte nämlich nicht einen einzigen Augenaufschlag lang.
Der gehörnte Teufel schwang sich jetzt vom Baum herab. Er breitete die Flügel aus und glitt zu Boden. Mit einer Behändigkeit, die man ihm von seiner Gestalt her gar nicht zutraute, landete er sicher auf seinen Hufen. Kaum zehn Schritte war er von Joseph entfernt.
Er öffnete sein Maul, fauchte wie eine Raubkatze und stieß dann erneut einen kurzen schrillen Laut aus, der schließlich in ein schier unerträgliches Pfeifen überging. Zazus Kopf lag nur wenige Schritt entfernt auf dem Boden.
Der gehörnte Teufel würdigte ihn jedoch nur eines kurzen Blickes.
Stattdessen war er auf Joseph fokussiert.
Die dämonischen Augen leuchteten auf.
Joseph ahnte, dass es ihm nichts bringen würde, wenn er jetzt in heller Panik die Flucht ergriff. Der gehörnte Teufel hätte ihn innerhalb von Augenblicken einholen und sich auf ihn stürzen können.
Joseph war wie erstarrt, als sich ihm der Teufel plötzlich näherte und auf ihn zusprang, das Maul aufriss und die Krallen ausfuhr.
Ein dröhnender, tiefer und leicht gurgelnder Laut ließ den geflügelten Teufel plötzlich mitten in der Bewegung innehalten. Er stieß einen Zischlaut hervor.
Joseph Bonaparte nahm den Schwefelgeruch wahr. Ein wahrhafter Höllengestank drang bis zu ihm vor. Schwefel, Fäulnis, Verwesung … All das war darin vereinigt. Joseph raubte dieser Geruch schier den Atem.
Das Wesen hielt inne und lauschte. Die spitzen, an ein Wildtier erinnernden Ohren bewegten sich leicht und richteten sich dadurch aus.
Dann stieß es plötzlich einen winselnden Laut aus und stob davon. Joseph wagte es zunächst noch immer nicht, sich zu rühren. Er hörte das Knacken von Ästen im nahen Unterholz.
Wie lange der Bruder des großen Napoleon so dastand, konnte er später nicht mehr sagen.
Aber irgendwann begann er einen Schritt nach dem anderen zu machen und sich auf den Weg zurück nach Point Breeze zu begeben.
Auf seinem Fußmarsch fand er nacheinander die schrecklich zugerichteten Kadaver zweier Pferde.
An dem in das Leder eingebrannten Wappen des Comte de Surveillers war erkennbar, dass es sich um die beiden Pferde handelte, mit denen Joseph und Zazu aufgebrochen waren.
Was mag das nur für eine Kreatur sein, dachte Joseph. Der kleine gehörnte Teufel schien nicht allein zu sein. Vielleicht hat er noch einen großen Bruder, ging es Joseph Bonaparte durch den Kopf.
Als er Stunden später Point Breeze erreichte, kam ihm der Hausdiener Jacques bereits entgegen.
***
Gegenwart
Meine tägliche Dienstzeit als Oberinspektor bei Scotland Yard hatte ich an diesem Tag eigentlich hinter mir. Ich stand in meinem Wohnzimmer, warf die Jacke auf die Couch, nahm das Silberkreuz vom Hals und legte es auf den niedrigen Tisch. Da klingelte mein Handy.
Am anderen Ende der Verbindung meldete sich mein Kollege FBI Special Agent Abe Douglas aus New York.
»Ich hoffe, ich erwische dich noch in deinem Büro im Yard und störe dich nicht bei irgendeiner privaten Aktivität, John.«
»Was für eine private Aktivität sollte das denn sein?«
»Sag bloß, ihr arbeitet jetzt bei Scotland Yard schon rund um die Uhr, John!«
»Überstunden sind in unserem Job allgemein üblich«, sagte ich. »Aber da erzähle ich dir ja nichts Neues.«
»Allerdings!«
»Und davon abgesehen ist unsere Abteilung ja auch nicht mit anderen zu vergleichen.«
»Du willst damit sagen, dass die Beamten anderer Abteilungen leichter zu ersetzen sind. Morde aufklären und Einbrecherbanden jagen kann jeder, aber wenn es um übernatürliche Bedrohungen geht, sieht das schon etwas anders aus.«
»Na ja, ich will jetzt nicht übertreiben«, sagte ich. »Unersetzlich ist niemand.«
»Mit Ausnahme eines Mannes, der mit der Macht eines magischen Silberkreuzes gegen das Böse vorgeht. Aber ich weiß ja, dass du nicht eitel bist, John.«