John Sinclair 2351 - Thomas Williams - E-Book

John Sinclair 2351 E-Book

Thomas Williams

0,0
1,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Als sie erwacht, ist es dunkel in ihrem Schlafzimmer. Eigentlich zu dunkel, denn die Vorhänge stehen offen und es hätte längst Tageslicht durch die Fensterscheiben fallen sollen. Doch der Raum wirkt wie in tiefster Nacht.
Müde und mit schweren Gliedern stemmt Samantha sich hoch. Dann hört sie das Plätschern aus dem Wohnzimmer und das seltsame Summen im Flur. Es sind Geräusche des Waldes - aber die gehören nicht in die sechste Etage einer Großstadtwohnung ...


Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 143

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Cover

Im Wald des Verderbens

Briefe aus der Gruft

Vorschau

Impressum

Im Wald des Verderbens

Von Thomas Williams

Völlig erschöpft machte sich die Krankenschwester Samantha Kraft nach einer langen Nachtschicht auf den Heimweg. In ihrem Apartment angekommen, ließ sie sich sofort aufs Bett fallen und schlief ein.

Als sie wieder erwachte, war es dunkel im Schlafzimmer. Eigentlich zu dunkel, denn die Vorhänge standen offen und es hätte Tageslicht durch die Fensterscheiben fallen müssen. Doch die Schwärze war für die Augen undurchdringlich.

Sie versuchte ihre anderen Sinne zu schärfen und hörte plötzlich seltsame Geräusche und roch einen eigenartigen Geruch von feuchter Erde und etwas Süßem, das sie nicht einordnen konnte. Fast so, als befände sie sich mitten im Wald ...

Während die meisten Bürger der Stadt London sich in den Berufsverkehr stürzten, um zur Arbeit zu kommen, befand sich Samantha Kraft auf dem Weg nach Hause. Nach einer langen Schicht und Überstunden im King George Hospital stand sie mit schmerzenden Füßen und Beinen in der überfüllten U-Bahn. Immer wieder drohten ihre Augenlider zuzufallen.

Samantha lebte in einem Wohnkomplex in Brixton. Von der Haltestation würde sie noch zwei Blocks weit gehen müssen, bevor sie sich zu Hause müde, erschöpft und vor allem hungrig auf ihr Bett werfen konnte. Während ihrer Schicht hatte sie nichts essen können. Dafür war keine Zeit gewesen. Und danach musste sie sich beeilen, um ihre Bahn zu kriegen. Die fuhr zwar alle paar Minuten, doch je länger sie wartete, desto voller wurden die Züge. Schon jetzt gab es keinen freien Sitzplatz mehr, und eigentlich konnte das Samantha nur recht sein. Im Sitzen wäre sie auf der Stelle eingeschlafen und hätte ihre Station verpasst.

Sie sah an den zwei Frauen vorbei, die ihr gegenüber an der Seitenwand des Großraumwagens saßen, und betrachtete sich selbst im Fenster, während der Zug durch einen Tunnel jagte.

In der Spiegelung wirkte sie schrecklich blass, dass sie fast glaubte, ihre Augenringe deutlich sehen zu können. Ihr brünettes Haar hatte sie mit einem Haargummi zum Zopf gebunden, doch einzelne Strähnen hingen zu beiden Seiten an ihrem schmalen Gesicht herab.

Samantha Kraft war Single, denn für einen Freund hatte sie kaum Zeit und seit ein paar Monaten weder Nerven noch Interesse. Der Beruf im Krankenaus fraß sie und ihre Kolleginnen und Kollegen regelrecht auf. Wenn es so weiterging, würde Samantha nach einer anderen Stelle Ausschau halten müssen, doch noch hoffte sie auf eine Besserung. Dass mehr Personal eingestellt wurde oder irgendetwas anderes geschah, um sie und die anderen zu entlasten. Sie wusste, dass das ein sehr dünner Strohhalm war, an den sie sich klammerte. Und doch schien es besser als nichts zu sein.

An ihrer Haltestelle stiegen mehr Menschen hinzu als aus, und so musste Samantha sich durch einen Strom aus Leuten drängeln, die gar nicht daran dachten, sie vorbeizulassen.

Sie war zu müde, um sich noch darüber aufzuregen. Zu Hause wartete ein gemütliches Bett auf sie, und wenn sie geschlafen hatte, konnte sie ein heißes Bad nehmen, frühstücken und ihren einzigen freien Tag in der Woche genießen. Zumindest, solange ihr Handy stillstand, denn es konnte durchaus passieren, dass ihre Station sie wegen eines weiteren Personalausfalls anrief. In diesem Fall würde sie schon bald wieder in der U-Bahn sitzen und ins Krankenhaus zurückfahren.

Sie mochte ihren Job, doch seit einiger Zeit wünschte sie sich, nie damit begonnen zu haben.

Samantha versuchte, positiv zu denken und hoffte, dass das Handy heute einmal stumm blieb. Auf den Straßen herrschte bereits reger Verkehr, Menschen standen an Bushaltestellen, in Cafés und an Zeitungsständen. Samantha nahm das alles nur am Rande wahr. Ihr Kopf schwirrte bereits von dem langen Tag. Den Wohnkomplex zu erreichen, hatte sich selten so gut angefühlt wie heute. Nun musste sie nur noch mit dem Aufzug in den sechsten Stock, und dann war sie fast angekommen.

Die Türen des Lifts öffneten sich, und fast wäre Samantha einfach eingestiegen, als eine protestierende Stimme rief: »Hallo? Darf ich vielleicht erst einmal aussteigen?«

Erschrocken wich Samantha wieder zurück. Sie hatte die andere Frau tatsächlich völlig übersehen, schob es auf ihre Müdigkeit, dachte aber auch an die Menschen an der U-Bahnstation, die sie fast wieder in den Zug gedrängt hatten.

»Tut mir leid. Ich wollte nicht ...« Sie war sogar zu müde, um die richtigen Worte zu finden. »Ich hatte einen langen Tag.«

Sie kannte die Frau nur vom Sehen. Für gewöhnlich grüßten sie einander, wechselten aber sonst kein Wort. Bis heute.

»Den habe ich noch vor mir.« Die Fremde machte einen Schritt vorwärts, und Samantha hielt bereits eine Hand in die geöffnete Tür, damit sie sich nicht schloss. Auch das schien der Frau zu missfallen. Mit gerümpfter Nase sah sie die Krankenschwester von oben bis unten an.

»Vielleicht sollten sie mal etwas mehr schlafen und sich einen Job suchen, statt die ganze Nacht feiern zu gehen. Es ist mitten in der Woche, Herrgott nochmal!«

Müdigkeit hin oder her, das ging Samantha zu weit. Mit lauter werdender Stimme erwiderte sie: »Ich arbeite als Krankenschwester. Hoffen Sie besser, niemals als meine Patientin eingeliefert zu werden, denn vielleicht entschließe ich mich in dem Augenblick, feiern zu gehen!«

Fast hätten ihr die Worte leidgetan, doch sie war zu wütend, um es zu bereuen. Beim Betreten des Fahrstuhls rempelte Samantha die Frau unbeabsichtigt an. Die bekam keinen Ton mehr heraus und starrte Samantha mit offenstehendem Mund nach, während sich die Tür schloss.

»Na, hören Sie mal ...«, hörte Samantha sie doch noch fluchen, aber da war die Tür bereits geschlossen und die Kabine setzte sich mit einem leisen Brummen in Bewegung.

Von nun an würden ihre flüchtigen Begegnungen mit dieser Frau wohl anders ablaufen.

Als sie im sechsten Stock ausstieg, stand bereits der nächste Nachbar bereit, um sich auf den Weg zur Arbeit zu machen. Diesmal blieb es zum Glück bei einem flüchtigen Gruß.

Samanthas Wohnung lag am Ende eines langen Flurs. Es roch nach Zigaretten, die in den anderen Apartments geraucht wurden. Zwar gab es Fenster im Gang, aber in den paar Jahren, die Samantha hier wohnte, hatte noch nie eines offen gestanden.

Sie hatte ihr Apartment fast erreicht, als die davorliegende Tür geöffnet wurde und jemand in den Flur blickte.

Nicht jetzt, dachte Samantha, wissend, was sie nun erwartete. Ich will doch einfach nur meine Ruhe ...

Der ihr entgegentretende Mann war zehn Jahre jünger als sie, ließ sich einen dünnen Bart stehen und trug wie immer eine bunte Schirmmütze auf dem Kopf. Sie konnte den Fernseher in seiner Wohnung hören. Den Geräuschen nach schaute er wieder eine seiner Animeserien.

»Samantha«, sagte er, als hätte er gar nicht mit ihr gerechnet, und sie fragte sich, wie, zum Kuckuck, er sie bemerkt haben konnte. Ständig fing er sie ab, ganz gleich, wie leise sie sich bewegte. Dabei war er nie unfreundlich oder aufdringlich, sondern suchte lediglich das Gespräch mit ihr. Wenn er in sie verliebt war oder irgendwelche Absichten hegte, zeigte er das ziemlich schlecht.

»Kommst du von der Arbeit oder gehst du zur Arbeit?«, fragte er mit einem Lächeln. Sogar zu dieser Uhrzeit wirkte er hellwach. Er trug ein schwarzgelbes Baseballtrikot mit dem Emblem von Batman auf der Brust. Seine Kappe zierte das Zeichen der Ghostbusters.

»Ich komme gerade nach Hause, und ich bin wirklich müde. Also nimm es mir bitte nicht übel, wenn ich ...«

»Viel los im Krankenhaus, hm?«

»Ja ...«

»Ja, ich habe auch viel zu tun. Ich muss noch drei Videos schneiden und die Tage alle hochladen. Hast du inzwischen mal reingeguckt?«

»Ich hatte nicht wirklich Zeit ...«

»Ist ja nicht schlimm. Die laufen nicht weg. Aber vielleicht ist ja was dabei, das dich interessiert. Ich durfte letztens wieder zwei Pressevorführungen besuchen. Die Filme waren super, aber ich darf noch nicht verraten, welche es waren.«

»Aha ...«

»Okay. Nur so viel. Einer handelt von Superhelden.«

»Welch eine Überraschung.«

»Der andere war ein Horrorfilm.

»Das ist toll. Aber ich würde jetzt wirklich gerne ...«

»Was hast du denn in letzter Zeit geguckt?«

»Ich hatte da gar keine Zeit für.«

»Aah, das tut mir leid. Aber vielleicht findest du ja was, was dir gefällt, wenn du meine Videos guckst. Über dreihunderttausend Zuschauer weltweit können sich nicht irren.«

Samantha unterdrückte ein Seufzen, setzte ihr überzeugendstes, falsches Lächeln auf und sagte: »Ich bin gespannt. Wir sehen uns, Rick.«

Damit ging sie an dem jungen Mann vorbei. Sie wusste, dass er ihr nachsah. Sogar dann noch, als sie die Wohnungstür hinter sich geschlossen hatte, denn erst Sekunden später schloss er seine eigene.

Tief ausatmend ließ sie die Tasche und ihr Schlüsselbund auf eine Kommode im Flur fallen, zog sich die Schuhe und den Mantel aus, um dann geradewegs ins Schlafzimmer zu gehen, wo sie auf das Bett fiel. Eigentlich hatte sie sich nur einen Moment ausruhen wollen. Ein paar Minuten die Stille genießen, bevor sie sich aufraffte, etwas zu essen, denn ihr knurrender Magen würde vorher ganz bestimmt keine Ruhe geben.

Doch dann schlief sie ein.

Als sie aufwachte, war es dunkel in ihrem Schlafzimmer. Eigentlich zu dunkel, denn die Vorhänge standen offen und es hätte längst Tageslicht durch die Fensterscheiben fallen müssen. Doch der Raum wirkte wie in tiefster Nacht. Müde und mit schweren Gliedern stemmte Samantha sich hoch und warf einen Blick auf die Fenster. Dahinter herrschte komplette Schwärze. Kein Stern stand am Himmel, kein anderes, beleuchtetes Fenster war zu sehen.

Zu müde, um zu begreifen, dass hier etwas ganz und gar nicht stimmte, setzte Samantha sich auf die Bettkante, fuhr mit beiden Händen über ihr Gesicht und sah dann noch einmal zu den beiden, nebeneinander liegenden, gläsernen Rechtecken. Sie hätte einen weiteren Wohnkomplex, Bäume und den Himmel sehen müssen. Stattdessen war da überhaupt nichts.

Langsam richtete sie sich auf. Ihre Füße und Beine schmerzten noch immer. Samantha tastete nach einer der beiden Glasscheiben, dann nach dem Griff des Fensters und versuchte es zu öffnen. Vergeblich.

»Was ...«, flüsterte sie zu sich selbst.

Ein zweiter Versuch, mit dem gleichen Ergebnis. Etwas berührte ihre Hand und ließ sie schreiend zurücktreten. Es war nur kurz gewesen, doch sie hatte es ganz deutlich spüren können. Der Raum war nicht besonders groß und zudem lebte Samantha lange genug hier, um sich auch im Dunkeln zurecht zu finden. Deswegen schaffte sie es, ohne Probleme in den Flur zu stürmen.

Oder besser, fast ohne Probleme, denn ihr linker Fuß verfing sich kurz in etwas, das sie fast zu Fall brachte. Dennoch schaffte sie es aus dem Zimmer. Im Flur streifte etwas durch ihr Gesicht, sodass sie erneut aufschrie. Doch diesmal schlug Samantha mit der geschlossenen Faust zu. Sie traf etwas Dünnes, vernahm ein Rascheln und bemerkte auch den eigenartigen Geruch von feuchter Erde und etwas Süßem, das sie nicht einordnen konnte.

Verwirrt, immer noch blind und um sich schlagend, stolperte sie in Richtung Wohnungstür. Der Flur war so eng, dass sie mit dem Hüftknochen gegen den kleinen Schuhschrank stieß, der dort stand. Der Schmerz ließ sie nach Luft schnappen, dennoch hörte sie das Rascheln hinter sich. Sie dachte an die Handtasche auf dem Schrank, griff danach und warf sich mit ausgestreckten Armen herum. Der Schlag ging ins Leere. Samantha humpelte auf die Wohnungstür zu, wollte diese aufreißen, als sie etwas blockierte.

Die Sicherheitskette.

Mit zitternden Händen versuchte sie das dünne Ding zu lösen, doch dafür musste sie die Tür zuerst noch einmal schließen. Als es ihr endlich gelang, in den Hausflur zu stürmen, hätte dank eines Bewegungsmelders das Licht angehen müssen, doch nichts dergleichen geschah. Samantha bemerkte gerade noch, dass der Boden eigenartig uneben wirkte, da stolperte sie bereits über ein Hindernis und fiel der Länge nach hin. Der Aufprall jagte ihr endgültig die Luft aus den Lungen. Beim Versuch, wieder aufzustehen, spürte sie, wie der Boden unter ihrem Körper nachgab. Sie roch nasse Erde und Gras.

Verwirrt kniete sie sich hin. Auf der Suche nach etwas, an dem sie sich hochziehen konnte, griff sie ins Leere. Ein weit entfernt klingender Schrei ließ sie zusammenzucken. Es musste aus dem Stockwerk unter ihr kommen. Und plötzlich waren da noch mehr. Männer und Frauen, die wegen irgendetwas in Panik gerieten. Samantha stand auf, zischte wegen ihrer schmerzenden Hüfte und wollte es dennoch versuchen, die Treppe zu erreichen. Draußen konnte sie Hilfe holen. Irgendjemand würde ein Handy haben, mit dem sie ...

Ihr Handy!

Samantha hatte es in der Handtasche gehabt, die irgendwo zu ihren Füßen liegen musste. Sie griff nach unten, fühlte wieder den eigenartig losen Boden unter ihren Fingerspitzen, um wenige Sekunden später tatsächlich die Tasche zu finden.

Die Schreie ebbten ab, doch das beruhigte sie kaum. Tatsächlich fühlte sich die folgende Stille sogar noch schlimmer an. Am ganzen Körper zitternd, holte Samantha das Mobiltelefon hervor. Das aufleuchtende Display blendete sie kurz, dann gelang es ihr, die Taschenlampenfunktion einzuschalten. Endlich konnte sie ihre Umgebung sehen.

Es hätte ein gewöhnlicher Flur sein sollen. Mit den schon viel zu lange geschlossenen Fenstern und Türen, die zu anderen Wohnungen gehörten.

Aber Samantha erblickte etwas völlig anderes.

Aus den Wänden und von der Decke herab wuchsen grüne Pflanzen. Lange Stiele, mit und ohne Blätter. Der Boden war so uneben, wie er sich anfühlte, und bedeckt mit hohem Gras, welches Samantha bis zu den Knöcheln ragte.

»Das darf doch nicht wahr sein«, hauchte sie atemlos. In der Annahme, zu träumen, fasste sie eines der Blätter an. Samantha brauchte sich nicht zu kneifen, um zu wissen, dass diese Berührung echt war.

Ihr fiel der Kontakt im Schlafzimmer ein, und sofort wirbelte sie zu ihrer Wohnungstür herum. Wäre jemand hinter ihr her gewesen, hätte er sie längst einholen können. Aber es verfolgte sie niemand. Ein leises Plätschern drang an ihr Ohr. Sie dachte an einen Wasserhahn, doch es klang eher wie ein Bach. Das ergab zwar keinen Sinn, was aber tat das noch?

Mit zitternden Knien trat Samantha näher an ihre Wohnungstür und warf einen Blick in das dunkle Apartment. Vielleicht rechnete doch jemand mit ihrer Rückkehr und sie ging demjenigen geradewegs in die Falle. Aber sie war kein kleines Kind mehr, das sich unter seiner Bettdecke verkriechen wollte. Samantha beherrschte Selbstverteidigung, besuchte regelmäßig Auffrischungskurse und glaubte, auch wenn sie von dem Gelernten noch nie Gebrauch machen musste, sich gut beschützen zu können.

Sie tat einen weiteren Schritt in Richtung ihrer Wohnung.

Samantha sah und hörte niemanden. Keinen Menschen, aber dafür weitere Pflanzen, die überall aus den Wänden wuchsen. Ihr Flur war unter den vielen bunten Blüten kaum wiederzuerkennen. Der Anblick war so schön, wie auch verstörend.

Von ihrem Standpunkt aus konnte Samantha in ihr Schlafzimmer sehen, ein wenig hineinleuchten. So entdeckte sie die Blätter an den Fenstern. Eines davon lag nahe dem Griff und musste ihre Hand gestreift haben.

Mit offenem Mund blickte Samantha in Richtung Wohnzimmer. Von dort kam das Plätschern. Es konnte immer noch der Wasserhahn in der angrenzenden Küchenzeile sein, aber der klang völlig anders.

Sie trat über die Türschwelle und sah sich selbst im Wandspiegel links an der Wand, um den sich grüne Pflanzenstiele gelegt hatten.

Hinter ihr kroch ein Handteller großer, schwarzer Käfer unter den Blättern entlang. Sie drehte sich um, sah ihn gerade noch verschwinden. Angewidert machte sie einen Schritt zurück und stieß gegen den kleinen Schuhschrank unter der Kommode. Samantha behielt das Blätterwerk im Auge, doch das Insekt blieb verschwunden. Ein derart großes Exemplar hatte sie noch nie in freier Wildbahn gesehen. Gerade schaffte sie es, sich ein wenig zu beruhigen, als jemand ihr Handgelenk packte.

Und sie schrie.

»Samantha! Geht es dir gut? Was ... Was, zur Hölle, ist hier los?«

Am liebsten hätte sie Rick eine schallende Ohrfeige gegeben, riss sich aber zusammen und fauchte ihn an: »Bist du verrückt geworden, mich so zu erschrecken?«

Ohne sich seiner Schuld bewusst zu sein, erwiderte Rick: »Du hast dich erschrocken? Was glaubst du, wie es mir eben ging? Ich dachte, da wäre was in meinem Energy Drink gewesen, als auf einmal all dieses Zeug aus den Wänden kam.«

»Du hast es gesehen?«

»Ja. Du nicht?«

Samantha schüttelte den Kopf.

Auch Rick hatte sich mit seinem Handy bewaffnet und die Taschenlampe angeschaltet. Er ließ den Lichtkegel über die Wände wandern, während er sprach: »Es geschah völlig lautlos. Ich dachte, ich träume. Aber dann habe ich mich selbst geohrfeigt, und das hat weh getan.«

»Gut so«, murmelte Samantha, sich wieder dem Wohnzimmer zuwendend. Ihr Herz raste noch von dem Schrecken, den Rick ihr eingejagt hatte. Sie glaubte, eine Bewegung ausmachen zu können. Zwar erkannte sie nur die Umrisse ihrer Möbel, aber diese standen irgendwie verkehrt. Und mitten unter ihnen rührte sich etwas. Wie versteinert blieb Samantha stehen. Der Lichtstrahl wurde vom Boden aus reflektiert, doch dort sollte nichts sein, was dazu in der Lage war.

»Ich war noch nie hier drinnen«, merkte Rick aus irgendeinem Grund an. »Würde ja sagen, dass du es nett hier hast, aber jetzt ...«

Samantha hörte nicht weiter zu und streckte das Mobiltelefon weiter nach vorne, um mehr von ihrem Wohnzimmer erkennen zu können.

Da waren immer noch ihre Sitzgarnitur, ihr Fernseher und der Schrank mit den vielen Büchern und gerahmten Fotos. Doch sie stand nicht in ihrem Wohnzimmer.

Auf dem Boden wuchs Gras. Die Möbel waren in alle Richtungen verschoben worden, als sich in der Mitte des Raums ein kleiner Hügel gebildet hatte, aus dem ein Bach entsprang. Das klare Wasser floss, ohne überzutreten, in die Küchenzeile hinein und verschwand in einer Versenkung unter dem Unterschrank.