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Dave und Lisa sind ein junges Paar und glücklich verliebt. Als Lisa dann schwanger wird, kaufen sie ein Haus am Rande von London, gelegen in einer romantischen Umgebung mit einem See direkt in der Nähe. Alles scheint perfekt, und beide erwarten voller Freude die Geburt ihrer Tochter. Doch dann bricht das Grauen über sie herein. Lisa wird von finsteren Visionen geplagt - und plötzlich sind sie und ihr ungeborenes Kind spurlos verschwunden! Denn der See direkt vor ihrer Haustür birgt ein grausiges Geheimnis, und durch ihn dringt der Schrecken des Mittelalters ein in die moderne Welt ...
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Seitenzahl: 149
Veröffentlichungsjahr: 2025
Cover
Henkerssee
Ian Rolf Hill's Leserseite
Vorschau
Impressum
Henkerssee
von Marie Erikson
Katherine Simmons stoppte das Auto mit quietschenden Reifen halb auf der Fahrbahn, halb auf dem Gehweg. Aber das war ihr egal. Die Straße war eine Sackgasse mit einem Wendehammer am Ende, und hier standen nur vier kleine Häuser. Keines von ihnen war erleuchtet, bestimmt schliefen die Anwohner bereits tief und fest.
Katherine riss die Fahrertür auf und stürmte los. Das Buch hatte sie sich unter den Arm geklemmt. Ihr Herz pochte wie verrückt. Als sie Schritte hinter sich hörte, beschleunigte sie ihr Tempo.
Sie musste durch das Waldstück neben den Häusern, um zu dem See dahinter zu gelangen. Das Licht des Vollmonds drang nur spärlich durch die Baumkronen, aber der Wald war klein, und Katherine kannte sich in ihm gut aus.
Sie musste nur noch einmal abbiegen, dann stand sie vor dem Henkerssee.
Die Legenden besagten, dass er das Böse von der Erde zu tilgen vermochte, so wie die Henker damals die Welt von den üblen Gestalten, den Dieben und Mördern, befreit hatten. Und zumindest bei ihrer Ehe hatte das geklappt.
Sie hatte ihren Hochzeitsring als Opfergabe in den See geworfen und sich ihren Mann vom Hals gewünscht. Nur eine Woche später hatte sie ihn mit seiner Sekretärin – o welch Klischee! – im Kopierraum erwischt. So war sie diesen Psychopathen nicht nur losgeworden, er hatte auch so ein schlechtes Gewissen gehabt, dass sie bei der Scheidung alles bekommen hatte, was sie wollte. Einen auskömmlichen monatlichen Unterhalt, das Haus und das alleinige Sorgerecht für die Tochter.
Die jetzt hinter ihr herlief!
»Mama! Das kannst du nicht machen!«, keifte Ciara ihr in bester Teenager-Tonlage hinterher.
»Was kann ich nicht machen?« Katherine schnaufte vor Wut. Aber nicht nur. Der Ärger war nur an der Oberfläche. Darunter brodelte die Angst. Nackte Angst um ihre Tochter.
Sie hob das Buch in die Höhe. Es war in schwarzes Leder gebunden, und darauf prangte ein auf der Spitze stehendes Pentagramm. »Haben du und deine Freunde da nicht eben ein Ritual draus praktiziert?«
»Wir wollten nur mit Jacksons Vorfahren reden.«
»Mit den Toten?« Katherine wurde die Kehle trocken. »Weißt du nicht, dass unsere Welt und die der Toten nur durch eine hauchdünne Membran voneinander getrennt sind? Die darf nicht beschädigt werden, sonst ist der Weg zwischen beiden Welten offen. Also bitte sag mir, dass ihr nicht versucht habt, mit einem Toten zu sprechen!«
»Ich kann es erklären ...«
Katherine schüttelte vehement den Kopf. »Ich will es nicht hören. Und ich lasse es nicht zu, dass meine Tochter Teufelsrituale durchführt und sich dabei in Gefahr begibt.«
»Mama!« Flehend legte Ciara die Hände aneinander.
Was für eine Ironie, dachte Katherine. Eine christliche Gebetsgeste, um das Buch mit den Teufelsschriften zurückzubekommen!
»Du kannst die Seiten rausreißen, wenn du willst.« Ciaras Augen schwammen in Tränen. »Aber gib mir das Buch zurück. Bitte.«
Beinahe wäre Katherine weich geworden. Aber als Alleinerziehende musste sie Vater und Mutter zugleich sein und durfte sich keine Schwäche erlauben. Und wenn ihre Tochter schon so besessen von dem Teufelsbuch war, dass sie bettelte, um es zurückzubekommen, musste es erst recht vernichtet werden.
Katherine schleuderte das Buch hinaus auf den See!
»Nein!« Ciaras Schrei gellte durch den nächtlichen Wald.
Allein durch das Gewicht des Einbandes hätte das Buch sofort versinken müssen. Aber durch die Spiegelung des Vollmondlichts sah Katherine deutlich, dass es auf der Wasseroberfläche trieb. Als sich der Einband dann auch noch öffnete und ein paar Seiten vor- und zurückblätterten, wich Katherine voller Schrecken vom See zurück.
Erst da bemerkte sie, dass ihre Tochter sich den Mantel und die Schuhe ausgezogen hatte.
»Was soll das werden?«, fragte Katherine entsetzt.
»Jackson hat mir etwas hinten reingeschrieben.« Ciara hatten diesen vorwurfsvollen Unterton, wie ihn Mädchen in ihrem Alter perfekt draufhatten. Als sei an allem Unglück in der Welt einzig ihre Mutter schuld.
Zumindest daran, dass der erste Liebesbrief ihrer Tochter bald in einem Henkerssee versank, war sie es wohl auch.
Doch noch trieb das Teufelsbuch auf den sanften Wellen.
Wellen? Woher waren die gekommen? Der See war ein stehendes Gewässer.
Katherine fühlte sich mit der ganzen Situation überfordert.
Platsch.
Ciara war ins Wasser gesprungen. Mit kraulenden Bewegungen erreichte sie rasch das Buch und umklammerte es.
»Ich kann nicht fassen, dass du das getan hast! Wehe, die Schrift ist verschwommen!« Sie hielt den Arm mit dem Teufelsbuch in die Höhe und versuchte, einarmig ans Ufer zurückzuschwimmen. Dabei bekam sie Wasser in den Mund, das sie gleich darauf ausspuckte. In der Dunkelheit wirkte die Flüssigkeit wie Blut.
Plötzlich kam ein starker Wind auf, der Katherine die Haare ins Gesicht wehte. Die blonden Strähnen nahmen ihr die Sicht.
»Mama! Hilfe!« Ciara klang nicht mehr wie ein Teenager, sondern wie ihr kleines Mädchen.
Katherine sah, dass sich ein Strudel gebildet hatte. Wie war das möglich?
Ciara ruderte mit den Armen, drohte von dem Wasserwirbel mitgerissen zu werden.
»Ich komme!« Katherine zögerte keine Sekunde. Sie zog sich die Schuhe aus, warf die dicke Jacke von sich und sprang ihrer Tochter hinterher.
Die hatte mittlerweile das Buch losgelassen und streckte die freie Hand nach ihr aus.
Katherine ergriff sie und strampelte gegen den Sog des Wassers an.
Es schien, als kämpften sie und der See in einem Wettziehen um Ciara, und keiner von ihnen war gewillt, nachzugeben.
Im Gegenteil. Die spiralförmige Bewegung des Wassers breitete sich aus, formte nun sogar einen Trichter in der Mitte.
»Mama!«, wimmerte Ciara. »Bitte, lass mich nicht los!«
Das tat Katherine nicht.
Nicht einmal, als der See sie gemeinsam abwärts zog.
Lisa Roux versuchte, aus dem Auto zu steigen. Sie lachte, als ihr kugelrunder Bauch sie wieder in den Sitz zurückwarf. Sie fühlte sich wie ein Käfer auf dem Rücken, doch in wenigen Wochen würde das vorbei sein.
Dave Bristol kam ums Auto gelaufen. »Warte, ich helfe dir!«
Er lächelte sie liebevoll an. Er war schon immer zuvorkommend gewesen, aber seit sie sein Kind unter dem Herzen trug, las er ihr jeden Wunsch von den Augen ab. Zärtlich nahm er ihre Hand in die seine und half ihr, sich aufzurichten.
Sie presste sich die freie Hand in den unteren Rücken, dort, wo sie die Belastung durch das Baby besonders spürte.
»Gleich bekommst du eine schöne Rückenmassage«, versprach Dave. »Aber erst mal ...«
Er verband ihr die Augen mit einem Schal. Lisa war nicht wohl dabei, denn sie befürchtete, durch die fehlende Sicht noch mehr Gleichgewicht einzubüßen. Mit ihrem watscheligen Schwangerschaftsgang war sie ohnehin schon so tollpatschig auf den Beinen. Aber sie merkte, wie viel es Dave bedeutete, sie zu überraschen.
Er hatte den Umzug die letzten zwei Tage mit seinen Freunden gestemmt, während sie sich in ihrer alten Wohnung hatte ausruhen dürfen.
Eigentlich hatten sie heiraten wollen, bevor das Baby kam. Aber ihr Geld hatte nur für einen ihrer Wünsche gereicht. Und als sie dieses Haus fanden, war es um sie beide geschehen.
Sie waren an jenem Tag bei Daves Arbeitskollegen zum Abendessen eingeladen gewesen, hatten sich verfahren und waren in dieser Sackgasse gelandet. Im Nachhinein fühlte es sich wie ein Wink des Schicksals an.
Vier Häuser standen neben einem Waldgebiet am Ende der Straße. Vier kleine, identisch aussehende Ein-Familien-Häuser im guten Zustand und in ruhiger Lage. In London eine absolute Rarität. Instinktiv hatte sich Lisa bei dem Anblick über den damals noch nicht ganz so prallen Bauch gestreichelt.
Dave hatte ihre Gedanken erraten: »Das wäre das perfekte Zuhause für unsere kleine Familie, oder?«
Er hatte auf das ›Zu verkaufen‹-Schild an dem Haus ganz rechts gezeigt und sofort abgebremst. Ein Blick zwischen den beiden hatte genügt.
»Eine Krone für meine Prinzessin«, hatte Dave gesagt. Und tatsächlich sahen die vier dicht an dicht stehenden Häuser mit ihren Giebeln aus wie eine Krone.
Eine Minute später hatten sie mit der Maklerin telefoniert und einen Tag später die Hochzeit auf ein unbestimmtes Datum in der Zukunft verschoben, wenn sie genug Geld dafür haben würden. Hand in Hand waren sie zur Bank gegangen und hatten die Anzahlung gemacht.
Sie fanden es wichtiger, dass ihr Baby von vornherein ein schönes Zuhause mit Garten hatte, als Eltern mit dem gleichen Nachnamen. Außerdem konnten sie ihr Kind so direkt für den Kindergarten eine Straße weiter anmelden und an der Grundschule vorbeispazieren. Wie in der feinen Gegend nicht anders zu erwarten, boten beide Einrichtungen den Kindern nur das Beste vom Besten.
»Ich mache das lieber selbst«, sagte Lisa und nahm Dave den Schal ab. Sie band ihn am Hinterkopf zusammen, aber nicht zu fest, und achtete auch darauf, dass sich keine Haare in den Knoten verirrten.
»Kannst du auch wirklich nichts sehen?«, fragte Dave.
Lisa kicherte. Wahrscheinlich tat er gerade vor ihrem Gesicht so, als würde er sie boxen, um zu testen, ob sie tatsächlich nichts sah. Aber sie hatte auch zusätzlich die Augen geschlossen. Sie wollte ihm die Überraschung gönnen.
Behutsam führte er sie über den kleinen Weg zur Haustür. Die Steinfliesen waren gebrochen und uneben, stellte Lisa fest, als sie vorsichtig einen Fuß vor den anderen schob. Die würden sie noch austauschen müssen, damit sie mit dem Kinderwagen künftig nicht darüber holperte.
»Achtung, Türschwelle«, sagte Dave.
Lisa machte einen großen Schritt und roch schon im Flur die frische Farbe. Sie hatte eine relativ unproblematische Schwangerschaft, bei der ihr selbst solche starken Gerüche nichts ausmachten. Eigentlich genoss sie ihn sogar, denn es war ein Zeugnis der Mühe, die sich Dave und seine Freunde gegeben hatten.
»Okay, jetzt kannst du gucken.« Der Stolz in seiner Stimme war unüberhörbar.
Ganz egal, was sie gleich sehen würde, Lisa beschloss, sich auf jeden Fall zu freuen, auch wenn sie dafür schauspielern musste.
Aber das brauchte sie nicht. Sie freute sich voll und ganz!
Dave hatte das Wohnzimmer in geschmackvollen Erdtönen gestrichen und das Sofa und sogar die Kissen darauf abgestimmt. Beruhigendes Hellbraun, sattes Dunkelgrün und ein kräftiges Royalblau ergänzten sich wunderbar und brachten die vereinzelten Golddetails wie eine Vase oder einen Bilderrahmen bestens zur Geltung.
Es gab eine Durchreiche vom Essbereich mit dem runden Tisch und den gepolsterten Stühlen in die Küche. Die konnte aber auch verschlossen werden, damit sich die Kochgerüche nicht im ganzen Haus ausbreiteten.
Es war die Inneneinrichtung ihrer Träume! Wie hatte er das nur wissen können?
Sie fiel ihm um den Hals und küsste ihn wieder und wieder auf die Wange. »Du wundervoller Mensch! Wie hast du das nur geschafft?«
Er grinste sie auf die Art und Weise an, die ihm etwas Spitzbübisches verlieh, und zog sein Handy aus der Tasche. Er wischte durch den Chat-Verlauf mit ihrer besten Freundin.
Monica hatte ihm jede Menge Fotos geschickt.
Lisa lachte und küsste ihn innig.
»Ich bin mir vielleicht bei deinem Geschmack nicht immer ganz sicher, aber ich weiß wenigstens, wo ich mir Hilfe holen kann.« Er drückte sie an sich und gab ihr einen Kuss auf den Scheitel. »Ich bin froh, dass es dir gefällt.«
»Gefällt es dir denn auch?«
»Mir gefällt es, mein Leben mit dir zu teilen. Wo du bist, wird mein Zuhause sein. Alles andere ist zweitrangig.« Er atmete durch. »Aber ja, ich finde, es ist gemütlich geworden. Du hast einen guten Geschmack.« Sein Grinsen wurde breiter, und sie ahnte schon, dass jetzt ein Lausbuben-Satz von ihm folgen würde. »Deinen guten Geschmack hast du ja beispielsweise auch schon bewiesen, als du den Vater deines Kindes ausgewählt hast.«
An diesem Abend ließen sie sich eine Pizza kommen, die mit einer fruchtigen Tomatensauce bestrichen und so üppig belegt war, dass sie sofort beschlossen, Stammgäste bei diesem Lieferservice zu werden. Anschließend kuschelten sie sich in ihr neues Bett und lagen ganz dicht beieinander.
»Danke noch einmal – für alles. Und besonders für deine Liebe.«
Dave zog sie in seine Arme und streichelte ihr ganz sanft über den Bauch. »Ich danke dir!«
»Meine Oma hat immer gesagt: Was man in der ersten Nacht in einem neuen Bett träumt, geht in Erfüllung.« Lisa merkte, dass sie bereits wegdöste.
»Dann wünsche ich dir nur die allerbesten Träume.«
Wie Dave versprochen hatte, kraulte er ihren Rücken, bis sie eingeschlafen war.
Und als sie eingeschlafen war, kamen die Albträume.
Ein paar Wochen später.
Das Wetter in London erfüllte mal wieder alle Erwartungen: Nass, kalt, stürmisch.
Ich hatte den Kragen meiner Jacke hochgestellt und den Kopf eingezogen, als ich das Gebäude des Scotland Yards betrat.
Durch den Wind krachte die Eingangstür hinter mir zu. Ein Auftritt mit Wumms.
»Ah, Oberinspektor Sinclair«, begrüßte mich der Kollege hinter dem Empfangstresen.
»Bitte, Tim. Nenn mich John. Nach der Weihnachtsfeier sind wir doch so etwas wie Freunde.«
Die lag gerade mal ein paar Wochen zurück, und nur mit einem Freund, nicht aber mit einem normalen Kollegen hätte ich einen U2-Klassiker bei der Karaokemaschine zum Besten gegeben. Sechs große Bier hin oder her.
Tims Gesicht hellte sich auf. »Also gut ... John. Oben wartet ein Dave Bristol. Er ist von der Feuerwehr.«
Ich überlegte, ob ich kürzlich mit jemandem bei der Feuerwehr gesprochen oder von seltsamen Vorkommnissen gehört hatte, die in Verbindung mit Einsätzen der Feuerwehr gestanden hatten, aber mir fiel nichts ein. »Weshalb will er ausgerechnet zu mir?«
»Er will seine Freundin als vermisst melden. Wir wollten ihn eigentlich wieder nach Hause schicken, weil sie erst seit gestern Abend weg ist, aber als er sagte, dass er so was wie ein Kollege ist, habe ich es nicht über das Herz gebracht. Er berichtete, seine Freundin habe vor ihrem Verschwinden seltsame Sachen gehört und gesehen. Dinge, die er sich nicht erklären konnte. Ich will jetzt nicht falsches wiedergeben, das soll er dir lieber selbst berichten. Aber ich fand, es klang so, als könnte es ein Fall für dich sein. Könntest du dir seine Geschichte einmal anhören, bitte?«
Ich nickte. Im Yard hat sich unsere Abteilung genug Respekt erarbeitet, dass wir nicht mehr wie in früheren Zeiten als ›Auffangbecken für seltsame Fälle‹ dienen. Wenn Tim den Mann also zu mir schickte, dann steckte vielleicht wirklich etwas dahinter. Anhören sollte ich es mir auf jeden Fall.
Als ich das Vorzimmer zu Sukos und meinem Büro betrat, war Glenda wie meistens schon da. Von ihr erfuhr ich, dass Suko auch schon im Büro erschienen war, aber sich sogleich zu unserem Vorgesetzten Sir James Powell begeben hatte.
Während ich in Deutschland gewesen war, um mich dort mit Aibon-Monstern rumzuschlagen und anschließend meinen Freunden Harry Stahl und Dagmar Hansen beizustehen, hatte es mein Partner hier in London mit einer Gruppe Satansjünger zu tun gehabt. Wie sich herausgestellt hatte, waren die Burschen absolute Spinner gewesen, es hatte keine Verbindung mit übersinnlichen Mächten oder gar Dämonen gegeben. Dennoch hatten sie vorgehabt, bei einem völlig blödsinnigen Ritual, das sie in einem angeblich okkulten Buch entdeckt hatten, Menschen zu opfern.
Die Typen befanden sich jetzt in Untersuchungshaft, und Suko sprach mit Sir James die letzten Details ab, um den Fall dann an die dafür zuständige Abteilung abzugeben.
In unserem Büro saß Dave Bristol auf dem Besucherstuhl vor meinem Schreibtisch, und Glenda hatte ihn auch schon mit einer dampfenden Tasse ihres köstlichen Kaffees versorgt.
Er sah aus, wie ich mir einen Feuerwehrmann vorstellte. Dunkles, volles Haar, glattrasiert, Bräune vom Sport im Freien und ein breites, durchtrainiertes Kreuz.
Doch dieser Mann, von dem ich mir mit Leichtigkeit vorstellen konnte, wie er Frauen, Kinder und Hunde – womöglich sogar gleichzeitig – aus brennenden Häusern rettete, saß da wie ein Häuflein Elend.
»Sie sind Dave Bristol, nehme ich an? Ich bin John Sinclair.«
Er sprang vom Stuhl auf. »Mr Sinclair! Endlich.« Er räusperte sich. »Bitte entschuldigen Sie. Damit will ich nicht sagen, dass Sie sich hätten mehr beeilen sollen. Es ist nur ... Meine Frau ist verschwunden, und sie ist schwanger, und ich weiß, dass bei so etwas jede Minute zählen kann ...« Seine Worte überschlugen sich fast.
Ich reichte ihm die Hand, und er ergriff sie. Sein Händedruck war fest, aber nicht unangenehm.
»Ist schon in Ordnung. Bitte nehmen Sie wieder Platz, und erzählen Sie mir erst mal, was passiert ist.«
Dave sackte auf den Stuhl zurück. Dieser ächzte unter dem Gewicht seiner Muskeln. »Meine Frau ...« Er unterbrach sich und schüttelte den Kopf. »Meine Verlobte heißt Lisa Roux. Sie ist im neunten Monat schwanger. Und seit gestern Abend ist sie verschwunden.« Seine Unterlippe zitterte, und ich sah ihm an, dass er die Tränen nur mit Mühe zurückhalten konnte.
»Können Sie den Zeitpunkt genauer eingrenzen?«
»Nein. Oder vielleicht doch. Wir wollten zusammen zu Abend essen. Aber ich musste noch länger auf der Arbeit bleiben. Das ist im Moment häufiger der Fall. Lisa ist zwar sehr geduldig, aber langsam geht auch ihr das Verständnis aus. Sie fragt sich, ob das auch so weitergeht, wenn unser Kind da ist. Aber ich mache doch extra Überstunden, damit ich mehr Zeit habe, wenn das Baby auf der Welt ist.«
»Das verstehe ich nur zu gut, Mr Bristol«, sagte ich. »Mein Job zwingt mich auch häufig dazu, meine privaten Pläne kurzfristig zu ändern.«
Er atmete auf und wirkte erleichtert, dass er mit jemandem sprach, der das Dilemma zwischen Privatleben und beruflichen Verpflichtungen kannte. Leute wie er und ich können eben nicht einfach pünktlich den Stift fallen lassen wie Juristen oder Finanzbeamte. Denn wenn wir das täten, würde das im schlimmsten Fall Menschenleben kosten.
»Gegen achtzehn Uhr rief ich sie an und sagte, dass ich mich verspäten würde – mal wieder. Sie sagte, es sei okay und dass sie stattdessen einfach in die Badewanne steigen würde, aber ich hörte ihr die Enttäuschung an.«
»Haben Sie danach noch etwas von ihr gehört?«
»Nein. Als ich gegen zwanzig Uhr nach Hause kam, war sie weg.« Wieder füllten sich seine Augen mit Tränen, und er wandte sich beschämt ab.
»Also haben wir ein Zeitfenster von zwei Stunden, in denen Ihre Frau verschwunden sein kann. Es tut mir leid, aber ich muss Sie das fragen ...«