Juden und Christen – das eine Volk Gottes - Prof. Walter Kasper - E-Book

Juden und Christen – das eine Volk Gottes E-Book

Prof. Walter Kasper

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Beschreibung

Kardinal Kasper hat für den Dialog zwischen Juden und Christen vielfältige, weiterführende Impulse gesetzt. Der Band sammelt seine wichtigsten Beiträge, die von ihm durch aktuelle Nachforschungen und Überlegungen ergänzt worden sind. Er ist Ansporn, dem neu aufflammenden Antisemitismus mit ganzer Kraft zu widerstehen.

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Table of Contents

Titel

Impressum

Widmung

Inhalt

Vorwort

Juden und Christen – Neuanfang nach der Katastrophe der Schoah

I. Ein Blick zurück nach vorne

1.1 Ein persönlicher Rückblick

1.2 Neue Problemstellungen

II. Jesus als Jude – Licht für die Völker und Herrlichkeit für Israel

2.1 Heimholung Jesu ins Judentum

2.2 Jesus – ein gemeinsamer Ausgangspunkt?

2.3 Das Kreuz – gemeinsame memoria passionis und bleibendes Ärgernis

III. Judentum und Christentum – eine dunkle Geschichte von Anfang an

3.1 Frühkirchliches Judenchristentum

3.2 Trennung von Juden und Christen

3.3 Die Tragik der Substitutionstheorie

IV. Zeiten der Toleranz – Lichtblicke im Dunkel der Geschichte

4.1 Die Rechtsprechung der frühmittelalterlichen Päpste

4.2 Bernhard von Clairvaux

4.3 Hildegard von Bingen

4.4 Hugo von Sankt Viktor

V. Thomas von Aquin – zwischen Tradition und Neuanfang

5.1 Theologie des Übergangs in der Summa theologiae

5.2 Thomas als Magister der Auslegung der Heiligen Schrift

VI. Die Katastrophe der Schoah – Umkehr und Neubesinnung

6.1 Eine lange Vorgeschichte

6.2 Christentum und Schoah

6.3 Umkehr und Neubesinnung

6.4 Juden und Christen – Schulter an Schulter

Anmerkungen

Hinweise zu dem Fragenkatalog für das Projekt „Judentum im katholischen Religionsunterricht“1

I. Judentum und Christentum im Vergleich

II. Leben, Lehre und Person Jesu

III. Jesus Christus – das ‚concretum universale‘

Anmerkungen

Die Reichspogromnacht und die Gleichgültigkeit1

I. Verantwortung vor Gott und den Menschen – eine zentrale Kategorie der jüdischen und der christlichen Tradition

II. Verantwortung und Erinnerung

III. Gemeinsam Verantwortung wahrnehmen für die Zukunft

Anmerkungen

Juden und Christen – Schulter an Schulter

I. Die Pflicht der Gewissenserforschung

II. Kirchliche Umkehr

III. Erinnerung

IV. Messianisches Bewusstsein

V. Dialog

Anmerkungen

Ansprache zur Woche der Brüderlichkeit 2007 in München

I. Zur Woche der Brüderlichkeit

II. „Redet die Wahrheit“

III. Mit offenen Augen und wachem Verstand auch auf die Gegenwart schauen

„Nostra aetate“ und die Zukunft des jüdisch-christlichen Dialogs

I. Das Zweite Vatikanische Konzil – der Anfang eines neuen Anfangs

1.1 Eine theologische Entscheidung

1.2 Eine kirchen- und allgemeinpolitische Entscheidung

II. Der Beitrag von Papst Johannes Paul II.

III. Stabile institutionelle Verbindungen

IV. Künftige Aufgaben und Herausforderungen

Anmerkungen

Theologische Schwerpunkte im christlich-jüdischen Gespräch1

I. Auszug aus der Erklärung: Juden und Christen in Deutschland. Verantwortete Zeitgenossenschaft in einer pluralen Gesellschaft

1.1 Judenmission darf es nicht mehr geben!

1.2 Auch das Trennende gehört in den Dialog: Jesus Christus

II. Stellungnahme von Kardinal Walter Kasper

III. Replik von Hanspeter Heinz

Anmerkungen

Juden und Christen – Das eine Volk Gottes

I. Jüdisch-christlichen Beziehungen

II. Grundsätzliche Probleme zwischen Judentum und Christentum

Anmerkungen

Bibliographische Nachweise

Walter Kardinal Kasper

Juden und Christen – das eine Volk Gottes

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2020Alle Rechte vorbehaltenwww. herder. deCovergestaltung: Verlag HerderCovermotiv: Ecclesia und Synagoge, um 1259, frz. Buchmalerei, Messbuch König Ludwigs (IX.), Museo San Francesco, Assisi, Italien / AKG ImagesSatz: Satzweise, Bad WünnenbergHerstellung: CPI books GmbH, LeckPrinted in GermanyISBN (Print) 978-3-451-39619-9ISBN E-Book (PDF) 978-3-451-83595-7ISBN E-Book (EPUB) 978-3-451-83114-0

Den jüdischen Freundenin tiefer Verbundenheit gewidmet.

Inhalt

Vorwort

Juden und Christen – Neuanfang nach der Katastrophe der Schoah

I. Ein Blick zurück nach vorne

1.1 Ein persönlicher Rückblick

1.2 Neue Problemstellungen

II. Jesus als Jude – Licht für die Völker und Herrlichkeit für Israel

2.1 Heimholung Jesu ins Judentum

2.2 Jesus – ein gemeinsamer Ausgangspunkt?

2.3 Das Kreuz – gemeinsame memoria passionis und bleibendes Ärgernis

III. Judentum und Christentum – eine dunkle Geschichte von Anfang an

3.1 Frühkirchliches Judenchristentum

3.2 Trennung von Juden und Christen

3.3 Die Tragik der Substitutionstheorie

IV. Zeiten der Toleranz – Lichtblicke im Dunkel der Geschichte

4.1 Die Rechtsprechung der frühmittelalterlichen Päpste

4.2 Bernhard von Clairvaux

4.3 Hildegard von Bingen

4.4 Hugo von St. Viktor

V. Thomas von Aquin – zwischen Tradition und Neuanfang

5.1 Theologie des Übergangs in der Summa theologiae

5.2 Thomas als Magister der Auslegung der Heiligen Schrift

VI. Die Katastrophe der Schoah – Umkehr und Neubesinnung

6.1 Eine lange Vorgeschichte

6.2 Christentum und Schoah

6.3 Umkehr und Neubesinnung

6.4 Juden und Christen – Schulter an Schulter

Hinweise zu dem Fragenkatalog für das Projekt „Judentum im katholischen Religionsunterricht“

I. Judentum und Christentum im Vergleich

II. Leben, Lehre und Person Jesu

III. Jesus Christus – das ‚concretum universale‘

Die Reichspogromnacht und die Gleichgültigkeit

I. Verantwortung vor Gott und den Menschen – eine zentrale Kategorie der jüdischen und der christlichen Tradition

II. Verantwortung und Erinnerung

III. Gemeinsam Verantwortung wahrnehmen für die Zukunft

Juden und Christen – Schulter an Schulter

I. Die Pflicht der Gewissenserforschung

II. Kirchliche Umkehr

III. Erinnerung

IV. Messianisches Bewusstsein

V. Dialog

Ansprache zur Woche der Brüderlichkeit 2007 in München

I. Zur Woche der Brüderlichkeit

II. „Redet die Wahrheit“

III. Mit offenen Augen und wachem Verstand auch auf die Gegenwart schauen

„Nostra aetate“ und die Zukunft des jüdisch-christlichen Dialogs

I. Das Zweite Vatikanische Konzil – der Anfang eines neuen Anfangs

1.1 Eine theologische Entscheidung

1.2 Eine kirchen- und allgemeinpolitische Entscheidung

II. Der Beitrag von Papst Johannes Paul II.

III. Stabile institutionelle Verbindungen

IV. Künftige Aufgaben und Herausforderungen

Theologische Schwerpunkte im christlich-jüdischen Gespräch

I. Auszug aus der Erklärung: Juden und Christen in Deutschland. Verantwortete Zeitgenossenschaft in einer pluralen Gesellschaft

1.1 Judenmission darf es nicht mehr geben!

1.2 Auch das Trennende gehört in den Dialog: Jesus Christus

II. Stellungnahme von Kardinal Walter Kasper

III. Replik von Hanspeter Heinz

Juden und Christen – Das eine Volk Gottes

I. Jüdisch-christliche Beziehungen

II. Grundsätzliche Probleme zwischen Judentum und Christentum

Bibliographische Nachweise

Vorwort

Die Diskussion über die meist dramatisch verlaufene Geschichte der Beziehungen zwischen Juden und Christen und den nach der Katastrophe der Schoah neu aufgenommenen Dialog haben in jüngster Zeit erfreulicher Weise wieder Fahrt aufgenommen. Das hat mich veranlasst auf die Jahre 1999–2010, in denen ich für den internationalen Dialog zwischen Juden und Christen Verantwortung getragen habe, nochmals zurückzuschauen, die wichtigsten Beiträge aus dieser Zeit zu sammeln und sie durch Nachforschungen und Überlegungen, welche sich mir in der Zwischenzeit ergeben haben, zu ergänzen.

Ich hoffe, dass die Veröffentlichung ein Ansporn sein kann, dem leider neu aufflammenden Antisemitismus mit ganzer Kraft zu widerstehen. Gerne widme ich das Buch den jüdischen Freunden, denen ich begegnen und mit denen ich zusammenarbeiten durfte.

Ich danke dem Kardinal Walter Kasper Institut in Vallendar, besonders dem Direktor Prof. George Augustin sowie den Mitarbeitern Prof. Ingo Proft und Dominik Butenkemper für die tatkräftige und sachkundige Unterstützung und dem Verlag Herder, besonders Dr. Stephan Weber, für die verlegerische Betreuung.

Rom, im Juni 2019 Kardinal Walter Kasper

Juden und Christen – Neuanfang nach der Katastrophe der Schoah

I. Ein Blick zurück nach vorne

Juden und Christen verbindet der Glaube an den einen Gott und Schöpfer. Dennoch ist ihre Geschichte meist tragisch verlaufen. Im 20. Jahrhundert hat sie in der Katastrophe der Schoah ihren traurigen Tiefpunkt erlebt. Die Schoah war eine Katastrophe für das jüdische Volk, sie war auch eine Niederlage und eine moralische Katastrophe Europas.

1.1 Ein persönlicher Rückblick

Nach der Katastrophe der Schoah ist unsere Generation Zeuge einer historischen Wende im Verhältnis von Juden und Christen geworden. Für diese Wende stehen neben anderen Männern und Frauen vor allem zwei Männer: Der heilige Papst Johannes XXIII., der während des Zweiten Weltkriegs das Leben tausender Juden gerettet hat, und der jüdische Gelehrte Jules Isaak (1877–1963), dessen Familie in Auschwitz ermordet wurde und der dennoch die Geschichte der Verachtung der Juden aufgearbeitet hat und zu einem Pionier jüdisch-christlicher Versöhnung geworden ist. In einer historischen Begegnung hat er am 16. Oktober 1949 Papst Johannes XXIII. sein Programm vorgetragen und damit einen Anstoß gegeben zu der Erklärung des Zweiten Vatikanischen Konzils Nostra aetate (1965).

Nostra aetate bekennt sich zu den gemeinsamen Wurzeln und dem gemeinsamen Erbe von Juden und Christen. Alle Christen sind dem Glauben nach Söhne Abrahams. Die Juden sind nicht das von Gott verworfene und verfluchte Volk, sondern noch immer um der Väter willen das von Gott geliebte Volk, denn Gottes Gnadengaben und seine Berufung sind unwiderruflich. Darum beklagt Nostra aetate alle Hassausbrüche, Verfolgungen und Manifestationen des Antisemitismus gegen die Juden und setzt sich für Achtung und brüderlichen Dialog ein.1

In den Jahren 1999–2010 durfte ich verantwortlich sein für den offiziellen internationalen Dialog zwischen Juden und Christen.2 Zehn Jahre sind in der langen und wechselreichen Geschichte von Juden und Christen eine kurze Zeit. Für mich waren sie eine wichtige Wegstrecke, die ich zusammen mit jüdischen Gesprächspartnern gehen konnte, von denen in diesen Jahren einige zu Freundschaften geworden sind.

Aufbauend auf der Erklärung Nostra aetate konnten wir auf der Grundlage weiterarbeiten, welche Kardinal Augustin Bea (1881–1968), Kardinal Jan Willebrands (1909– 2006) und mein Vorgänger Edward I. Cassidy (* 1924) und ihre Mitarbeiter gelegt hatten. Selbstverständlich, und wie konnte es anders sein, mussten wir bald auf die für Juden ebenso wie für Christen bedrängenden Fragen der Schoah zu sprechen kommen. Gleich zu Beginn meiner Tätigkeit kam es zu einer kontroversen Diskussion um die unmittelbar zuvor veröffentlichte Erklärung Wir erinnern. Eine Reflexion über die Schoah (1998).3 Sie war ein noch viel zu zögerlicher Anfang eines Gesprächs über das grauenhafte Geschehen der Schoah. Deshalb konnte sie nur das erste, aber keinesfalls das letzte Wort sein. Doch wer kann da schon das letzte Wort sagen?

Wir einigten uns, in den Dialogen nicht die bekannten und uns wohl bleibend trennenden Unterschiede zu diskutieren, die Fragen des Bekenntnisses zu Jesus dem Christus und des trinitarischen Gottesverständnisses, sondern von dem auszugehen, was uns gemeinsam ist, das Bekenntnis zu dem einen und einzigen Gott, dem Schöpfer der Welt und aller Menschen. Wir wollten versuchen, die „Zehn Worte“ (Zehn Gebote), die Juden und Christen gemeinsam sind, angesichts der Herausforderungen der gegenwärtigen Welt auszulegen und sie für eine bessere Welt (tikkum olam) fruchtbar zu machen.4 In ähnlicher Absicht nahmen wir seit 2003 Gespräche mit dem Großrabbinat in Jerusalem auf. Wir waren überzeugt, dass die Versöhnung von Juden und Christen nach Jahrhunderten der Verachtung, Unterdrückung und Verfolgung einen zeichenhaften Charakter für andere Konflikte in der Welt haben kann, weil sie zeigt, dass auch nach einer langen schwierigen Geschichte Versöhnung und Freundschaft wachsen können.

Die grundsätzlichen theologischen Fragen sind in diesen Jahren nicht zu kurz gekommen. Ermutigt wurden wir von der jüdischen Erklärung Dabru emet (Sage die Wahrheit) (2000) von über 200 jüdischen Vertretern .5 Zudem hat die Kommission für die religiösen Beziehungen zu den Juden 2006 einen unabhängigen internationalen Gesprächskreis jüdischer und christlicher Theologen auf den Weg gebracht, der 2011 bei meinem Abschied aus dem offiziellen Dialog den Band Christ Jesus and the Jewish People Today veröffentlichen konnte.6

Auch in den offiziellen Dialogen haben uns die Grundsatzfragen immer wieder eingeholt. Schon beim ersten Treffen, an dem ich teilnehmen konnte, in New York (2001) kam die Frage des Proselytismus, der christlichen Mission unter den Juden auf. In dieser Frage geht es für beide Seiten um grundsätzliche und letztlich unverzichtbare Positionen. Für Christen ist die Mission zu allen Völkern grundlegend (Mt 28,19 f.). Die Kirche ist ihrem Wesen nach missionarisch.7 Für die Juden bedeutet Mission unter Juden die Infragestellung ihrer bleibenden Erwählung als das Volk Gottes. Immer wieder wurde mir gesagt: Judenmission wäre ein Holocaust mit anderen Mitteln.

Die Debatte spitzte sich zu, als Papst Benedikt XVI. 2007 den nachtridentinischen Ritus der Messfeier wieder erlaubte. Sie enthielt in der Karfreitags-Liturgie die Fürbitte für die perfidi Iudaei, die schon seit Pius XII. mit „für die ungläubigen Juden“ übersetzt wurde. Doch auch in dieser Form war sie nach dem Konzil nicht mehr angemessen. Die Fürbitte, die Papst Benedikt jetzt für die wiederzugelassene Liturgie vorschlug, erregte auf jüdischer Seite erheblichen Unwillen, weil sie als Bitte um die Bekehrung und damit als Aufforderung zur Mission der Juden verstanden wurde. Zum Glück war in der Zwischenzeit die Vertrauensbasis zwischen uns gewachsen. So konnte die für beide Seiten akzeptable Formulierung gefunden werden, dass Christen auch vor Juden von ihrem Glauben an Jesus Christus Zeugnis geben sollen, aber eine gezielte Judenmission durch die Kirche ausgeschlossen ist, da die Juden den einen wahren Gott bekennen und nicht der Bekehrung von den Götzen zum einen wahren Gott bedürfen (1 Thess 1,9). Auf dieser Basis hat die Kommission für die religiösen Beziehungen mit den Juden 2015 aus Anlass von 50 Jahren Nostra aetate die Erklärung veröffentlicht Denn unwiderruflich sind Gnade und Berufung, die Gott gewährt (Röm 11,27).8 Die Frage einer Judenmission war damit vom Tisch.

1.2 Neue Problemstellungen

Im jüdisch-christlichen Gespräch ist man wohl bis zum Ende der Zeit nie am Ende. Papst em. Benedikt XVI. hat jüngst einige differenzierende und vertiefende Gesichtspunkte zum aktuellen Stand des jüdisch-christichen Dialogs vorgelegt.9 Sein Beitrag hat Irritationen ausgelöst und wurde von manchen Juden als Infragestellung der bisherigen Ergebnisse missverstanden. Doch niemand, der die Schriften und vor allem die Person von Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. kennt, kann ihm Antisemitismus und Infragestellung des Erreichten unterstellen.10 Gerade in schwierigen und angespannten Phasen des Dialogs konnte ich während seines Pontifikats mit ihm jeweils einvernehmliche Gespräche führen. So sollten seine sachkundigen Anmerkungen als Anregungen zur weiteren Klärung und zur fruchtbaren Weiterführung der bisherigen Dialoge verstanden werden.

Ein weiteres Motiv, nochmals grundsätzlich neu nachzudenken war die Veröffentlichung des Gesprächs zwischen Walter Homolka und Magnus Striet.11 In ihr begegnete ich einer anderen Richtung des jüdisch-christlichen Gesprächs, der ich bereits zuvor in der deutschen Rabbiner-Konferenz begegnet war. Während die offiziellen internationalen Gespräche mit orthodoxen (nicht zu verwechseln mit ultra- orthodoxen) und den ihnen nahestehenden konservativen jüdischen Kreisen geführt wurden, die in der großen rabbinisch talmudischen Tradition des Judentums stehen, geht es in der genannten Veröffentlichung um das Gespräch mit dem reformorientierten Strang des Judentums. Letztlich kann man die Öffnung für neuzeitliche Fragestellungen bis auf den berühmten Philosophen Baruch Spinoza (1632– 1677) und den Aufklärer und Talmudkenner Moses Mendelsohn (1729–1786) zurückführen. Im 19. Jahrhundert hat sich das Reformjudentum beziehungsweise das liberale oder auch progressive Judentum in unterschiedlichen Graden von der talmudischen Tradition emanzipiert und sich der modernen Kultur und dem modernen Denken, wie der historischen Interpretation der Bibel, geöffnet. In der deutschen jüdischen Tradition kam es zum Reformjudentum in der Tradition von Abraham Geiger (1810–1874) und Leo Baeck (1873–1956).

Während wir in den offiziellen internationalen Dialogen von der Gemeinsamkeit zwischen Juden und Christen ausgingen und dabei die unterschiedlichen Positionen, vor allem in der Christologie, gegenseitig respektierten, werden diese im Dialog mit dem Reformjudentum im Kontext des neuzeitlichen Gottes- und Menschen-Verständnisses diskutiert und auf den Prüfstand gestellt. So wird im Rahmen eines „ethischen Monotheismus“ die Messias-Vorstellung als Impuls zu einem zivilen und sozialen Engagement verstanden, in welchem die Vorstellung von einem Erlöser keine Verwendung hat.12

Die unterschiedlichen Ansätze zeigen, dass es keinen Dialog mit den Juden gibt, sondern nur mit jüdischen Vertretern unterschiedlicher Orientierung. Den Juden mag es ähnlich vorkommen, wenn sie mit dem Christentum in Dialog treten wollen und dabei nicht nur unterschiedlichen Konfessionen, sondern auch innerhalb der Konfessionen unterschiedlichen Gesprächspartnern begegnen. So wenig wie es den Juden und den Christen gibt, gibt es das neuzeitliche Denken, das für Juden und Christen der Kanon der Auslegung ihrer heiligen Schriften sein könnte. Was es gibt, sind große gemeinsame Herausforderungen, vor denen die Welt heute steht. Auf sie sollen Juden wie Christen auf der Grundlage ihres gemeinsamen Glaubens an den einen Gott und Schöpfer eine möglichst gemeinsame Antwort geben.

Im Folgenden möchte ich auf einige der Fragen eingehen, die sich mir im Abstand von fast zehn Jahren nach der Ausscheidung aus dem offiziellen Dialog stellen. Ich kann nur einzelne Punkte herausgreifen und keine neuen Forschungen vortragen. Ich möchte Überlegungen anstellen, die sich mir beim Lesen und Bedenken dessen, was andere erforscht und geschrieben haben, in der Zwischenzeit ergeben haben. Ich tue das in der Hoffnung, dass sie die künftigen Dialoge ein Stück weiterführen können.

II. Jesus als Jude – Licht für die Völker und Herrlichkeit für Israel

2.1 Heimholung Jesu ins Judentum

Das 20. Jahrhundert war das Jahrhundert der Schoah, die das Judentum auslöschen wollte. Es war auch das Jahrhundert, in dem ganz unerwartet etwas der Schoah Entgegengesetztes geschah, nämlich die Heimholung Jesu ins Judentum. In all den Jahrhunderten zuvor gingen die Urteile von Juden und Christen über Jesus diametral auseinander. Für die Christen war und ist Jesus der Christus, das heißt der von Gott verheißene und mit dem Heiligen Geist gesalbte Messias, der Sohn Gottes. Das Urteil der Juden war über Jahrhunderte vom babylonischen Talmud bestimmt, der Jesus als falschen Propheten und als Verführer Israels bezeichnet.

Heute wird Jesus von vielen Juden als einer der Ihren, als Angehöriger ihres Volkes und ihres jüdischen Glaubens, entdeckt.13 Martin Buber (1878–1965), einer der großen jüdischen Gestalten des letzten Jahrhunderts, hat es so ausgedrückt: „Jesus habe ich von Jugend auf als meinen großen Bruder empfunden“. So ist ihm gewiss, dass Jesus „ein großer Platz in der Glaubensgeschichte Israels zukommt, und dass dieser Platz durch keine der üblichen Kategorien umschrieben werden kann.“14 An anderer Stelle fügt er hinzu: „Ich glaube ebenso fest daran, dass wir Jesus nie als gekommenen Messias anerkennen werden, weil dies dem innersten Sinn unserer messianischen Leidenschaft … widersprechen würde … Für uns gibt es keine Sache Jesu, nur eine Sache Gottes gibt es für uns.“15 Schalom Ben-Chorin hat es auf die bekannte Formel gebracht: „Der Glaube Jesu eint uns, der Glaube an Jesus Christus trennt uns.“16

Buber ging es um die Grunddifferenz zweier Glaubensweisen: Glaube als emuna, das heißt als ganzmenschliches existentielles Vertrauen und Sichverlassen auf Gott, und Glaube als pistis, als inhaltliche Zustimmung zu Gott, zu Glaubenswahrheiten und zu Person und Heilswerk Jesu Christi. Die erstere Glaubensweise ist für ihn die urjüdische, die auch Jesus teilte, die zweite ist die des hellenistischen Diasporajudentums und des hellenistischen Diasporachristentums. Damit hat Buber die Frage des Verhältnisses von Judentum und Christentum jenseits bisherigen Kontroversen und Polemiken theologisch neu gestellt und sehr zurückhaltend die Hoffnung auf eine mögliche künftige Begegnung von Juden und Christen geäußert.

2.2 Jesus – ein gemeinsamer Ausgangspunkt?

Die Heimholung Jesu ins Judentum geschah auf der Grundlage der modernen Jesusforschung, die zwischen dem Jesus der Geschichte und dem Christus des urchristlichen Glaubens unterscheidet. Die Evangelien sind ja keine rein historischen Berichte. Sie wurden auf der Grundlage älterer Traditionen erst Jahrzehnte nach Jesu Tod im Licht des Glaubens an die Auferweckung Jesu niedergeschrieben. Namhafte Forscher haben jedoch inzwischen gezeigt, dass sich die Grundzüge der Botschaft des geschichtlichen Jesus zuverlässig aus den Quellen erheben und klar aufzeigen lassen.17

Jesus war Jude, von einer jüdischen Mutter, Maria, geboren (Lk 2,1–20; Mk 6,3). Er wurde gemäß dem Gesetz am achten Tag nach seiner Geburt beschnitten. Dabei wurde ihm der Name Jesus gegeben (Lk 2,21). Die Beschneidung war und ist Zeichen jüdischer Identität nicht nur im ethnischen Sinne, sondern auch im Sinne der Zugehörigkeit zur Nachkommenschaft Abrahams (Gen 17,10). Über Jahrhunderte und bis zur jüngsten Liturgiereform haben die Christen am 1. Januar, das ist am achten Tag nach Weihnachten, das Geburtsfest Jesu, die „Beschneidung des Herrn“, liturgisch gefeiert. Sie haben damit zum Ausdruck gebracht, dass das Judesein Jesu für Christen nicht nur etwas über Jesu ethnische Herkunft sagt, sondern als Zeichen bleibender Verbundenheit der Christen mit dem Bundesvolk des Alten Bundes von theologischer Bedeutung ist (vgl. Gal 4,4).18

In seinem öffentlichen Auftreten zeigte sich Jesus als gläubiger, praktizierender Jude. Er lebte aus der Frömmigkeit der hebräischen Bibel, besonders der Psalmen und der Botschaft der Propheten. Er brachte in seiner Verkündigung das Judentum in seinen besten und zentralen Gehalten neu zum Leuchten. Das Vaterunser, das er seine Jünger lehrte (Mt 6,9–14; Lk 11,2–4), ist ein ganz aus der Frömmigkeit des Alten Testaments geschöpftes Gebet, das auch heute Juden und Christen gemeinsam beten können.19 Am Sabbat hat Jesus regelmäßig am Synagogen-Gottesdienst teilgenommen, die jüdischen Gebete seiner Zeit mitgesprochen und als Rabbi die Heilige Schrift ausgelegt (Mk 1,21.39; Lk 4,15 u. a.).

Im Zentrum von Jesu Verkündigung stand die Botschaft vom Kommen des Königtums Gottes. Dabei rief er auf zu Umkehr, das heißt zu radikaler Hinkehr zu Gott und seinem Königtum (Mk 1,15) und zu einem Glauben, dem von Gott her alles möglich ist (Mk 10,27). Mit dieser Botschaft verkündete er die anbrechende Erfüllung der Verheißung der Propheten und der Hoffnung der Frommen Israels. Das Volk war zunächst begeistert und staunte über Jesu Lehre, denn er lehrte anders als die damaligen Schriftgelehrten. Er lehrte mit göttlicher Vollmacht (Mk 1,21 f.27; 2,10 u.  a.).

Jesus bekräftige seine Botschaft mit staunenerregenden Wunderzeichen. Die Heilung von Kranken und die Austreibung von Dämonen20 sind Zeichen, dass mit dem Kommen des Königtums Gottes die schöpfungswidrigen, lebensfeindlichen Mächte der alten Welt überwunden sind. Die Wundertaten sind Zeichen des Anbruchs der messianischen Heilszeit (Mt 12,28; Lk 11,20). Reich Gottes und Leben sind in den Evangelien austauschbare Begriffe. Die Botschaft vom Kommen des Reiches Gottes ist Botschaft vom Leben.

Diese Botschaft wirkte befreiend und erregte zugleich Anstoß. Das zeigen die Auseinandersetzungen um Jesu Auslegung des Sabbatgebotes. Über eine strenge oder mildere Auslegung gingen die Meinungen der damaligen rabbinischen Schulen auseinander.21 Jesus behandelt nun das Problem grundsätzlich: „Der Sabbat ist für den Menschen da, nicht der Mensch für den Sabbat“ (Mk 2,27). Selbstverständlich geht es nicht um eine willkürliche Auslegung je nach Lust und Laune. Für Jesus wird die Liebe und die Barmherzigkeit zur Auslegungsnorm und zum entscheidenden Maßstab. Gott will Barmherzigkeit und nicht Opfer (Hos 6,6; Mt 12,7). So fragt er: Ist es erlaubt am Sabbat Gutes zu tun? (Mt 12,12).22 Die anwesenden Schriftgelehrten und Pharisäer hielten diese Auslegung und die Heilung am Sabbat für ein Ärgernis (Ex 31,14 f.) und suchten ihn zu vernichten (Mk 3,6; Mt 12,14; Lk 6,11).23

Zu ähnlichen Konflikten kam es wegen der jüdischen Fastenvorschriften (Mk 2,18–22) und der jüdischen Speise- und Reinheitsvorschriften (Mk 7,1–23).24 Wieder geht es Jesus um das Wesentliche. „Nichts, was von außen in den Menschen hineinkommt, macht ihn unrein, sondern was aus dem Menschen [d. h. aus seinem Herzen] herauskommt, das macht ihn unrein“ (Mk 7,15). Als besonders anstößig erschienen den Gegnern Jesu sein Umgang und seine Mahlgemeinschaft mit Menschen, welche damals als Sünder galten. Für Jesus dagegen waren die „Sündermähler“ Vorfeiern des Reiches Gottes (Mk 2,15–17 u. a.). In ihnen zeigte sich die allen Menschen, besonders den Kleinen, Demütigen und Armen, zugewandte Liebe und Barmherzigkeit Gottes (Lk 15).

So war das Evangelium vom kommenden Königtum Gottes, wie von den Propheten vorausverkündet, Evangelium der Freude (Jes 52,7; 61,1). Es war kein Bruch, sondern die alles überbietende Erfüllung. In der eschatologischen Heilszeit ist nicht etwas ganz Anderes und ganz Neues, sondern das verheißene und erhoffte, alles Erwarten übersteigende eschatologisch Neue gekommen.25