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Die große historische Römer-Saga von Pete Hackett!
Blutig, authentisch, packend!
Als im Osten ein gelber Schein über dem Horizont den Sonnenaufgang ankündigte, brachen wir auf. Jugurtha hatte darauf bestanden, dass ich ihn und die kleine Schar, die er ausgewählt hatte, begleitete. Über dem Fluss hingen weiße Nebelschwaden, der Mond stand als dünne Sichel im Südwesten, die Sterne verblassten und die ersten Vögel begrüßten mit ihrem Gezwitscher den Tagesanbruch.
Wir waren vierzehn Reiter. Bewaffnet war ein jeder von uns mit dem Krummschwert, einem Dolch, einer kurzen Lanze sowie Pfeilen und Bogen. Falls es zu einem Kampf kam, hatte jeder zu seinem Schutz einen kleinen, runden Schild am Sattel hängen.
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Veröffentlichungsjahr: 2019
Historisches Serial - Gesamtausgabe
von Pete Hackett
Der Umfang dieses Buchs entspricht 555 Taschenbuchseiten.
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker
© by Author
© dieser Ausgabe 2017 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen.
Alle Rechte vorbehalten.
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Liebe Leser, ich möchte Ihnen die Geschichte meines Herrn und Freundes Jugurtha erzählen. Geboren wurde er im Jahre 593 ab urbe condita (nach Gründung Roms – n.G.R.) als Sohn des Herrschers von Numidien, dessen Name Micipsa war. Schon bei seiner Geburt war klar, dass er niemals einen Anspruch auf den numidischen Thron erheben konnte, da er lediglich mit einer von Micipsas Nebenfrauen gezeugt worden war. Den Königsthron sollten sich nach des Königs Tod seine legitimen Söhne Adherbal und Hiempsal teilen.
Im Gegensatz zu Adherbal und Hiempsal war Jugurtha beim numidische Volk außerordentlich beliebt, was dem König natürlich nicht verborgen blieb. Und das Volk forderte, dass Jugurtha den beiden legitimen Söhnen des Herrschers ebenbürtig sein sollte. Also adoptierte ihn König Micipsas. Aber, um weitergehende Forderungen seines Volkes zu unterbinden, die zum Nachteil seiner rechtmäßigen Erben gereichen hätten können, entfernte er Jugurtha gewissermaßen aus dem Rampenlicht der Öffentlichkeit, indem er ihn in die römische Provinz Hispania schickte, damit er mit einer numidischen Kavallerieeinheit den Kampf der Römer unter Scipio Aemilianus gegen die Keltiberer unter ihrem Anführer Avarus unterstützte.
Das war darauf zurückzuführen, dass es sich bei unserem Land um ein römisches Vasallenkönigreich handelte und es der Kontrolle des Imperium Romanum unterstand. Es verfügte lediglich über eingeschränkte Eigenständigkeit, das heißt, König Micipsa durfte keine eigene Außenpolitik betreiben und war verpflichtet, dem Römischen Reich im Krieg Beistand zu leisten.
König Micipsa schlug zwei Fliegen mit einer Klappe. Zum einen stand er zu seiner Verpflichtung den Römern gegenüber, zum anderen nahm er Jugurtha aus dem Blickfeld des öffentlichen Interesses.
Jugurtha bestand darauf, dass ich ihn begleitete. Mein Name ist Gulupsa, und ich war im selben Jahr geboren wie Jugurtha. Ich war im Königspalast in Cirta aufgewachsen, weil mein Vater, sein Name war Gaupsal, ein enger Vertrauter von König Micipsa war. Als Jugurtha und ich im Jahre 619 nach Gründung Roms in der Provinz Hispania eintrafen, waren wir beide sechsundzwanzig Jahre alt.
Die Stadt lag auf einem Plateau zwischen zwei Flüssen, die ihr Bett in tiefe Schluchten gegraben hatten, und die Römer waren nach monatelanger Belagerung nahe daran, aufzugeben, denn die Stadt erwies sich für sie als uneinnehmbar. Doch damit wollte sich Scipio Aemilianus unter keinen Umständen abfinden, er wollte den Ruhm, Numantia in die Knie gezwungen zu haben, auf jeden Fall für sich beanspruchen. Ihm stand ein Heer von 40.000 Mann zur Verfügung, die Stadt konnte lediglich 4.000 Verteidiger aufbieten.
Die Römer hatten eine zusammenhängende Kette von Schanzen – es handelte sich um sieben Lager -, um die Stadt errichtet, um Ausfälle der Kelten zu verhindern und sich vor ihren Angriffen zu schützen. Diese Kette wurde von einem weiteren Befestigungsring eingeschlossen, der verhindern sollte, dass mögliche Entsatzheere den Belagerern in den Rücken fallen konnten.
Außerdem hatte man Wasser angestaut und Wachtürme errichtet, sodass die Stadt hermetisch gegen die Außenwelt abgeschlossen war.
Jugurtha war voller Tatendrang. Er wollte die Sympathie, die ihm das numidische Volk entgegenbrachte, vertiefen, sich der Dankbarkeit einflussreicher Römer versichern, vor allem aber wollte er seinem Vater beweisen, dass er der beste Mann aus dem numidischen Königshaus war und dass Numidien niemals auf ihn verzichten würde können. Und er war fester denn je ambitioniert, eines Tages den Thron in Cirta, der Hauptstadt Numidiens, zu besteigen und die Nachfolge Micipsas anzutreten.
Jugurtha war hochintelligent, besaß Charisma, war dank seiner Abstammung sehr reich, und – er war skrupellos. Lange Zeit waren ihm die Römer und die Götter wohlgesinnt.
Das Jahr 619 n.G.R. endete und Lucius Calpurnius Piso Frugi sowie Publius Mucius Scaevola wurden vom römischen Volks für ein Jahr zu Konsuln gewählt.
Seit über einem halben Jahr lagen wir nun schon vor Numantia. Es war Frühling, die Natur begann sich wieder grün zu verfärben und die Zugvögel waren aus Afrika zurückgekehrt. Den ganzen Tag über hatten die Katapulte der Römer mit Gesteinsbrocken und Brandsätzen die Stadt beschossen. Da aber der Fluss Durius (das war der Name des Flusses Duero in der Antike) mitten durch Numantia floss, hatten die Stadtbewohner ausreichend Wasser zur Verfügung, um Brände unverzüglich zu löschen.
Als die Nacht anbrach, wurde der Beschuss der Stadt eingestellt. In den Lagern der römischen Legionäre und der verbündeten Truppenverbände wurden Feuer angefacht, die Wachen wurden verstärkt, um Ausbruchsversuche zu vereiteln, die Legionäre und ihre Verbündeten holten sich ihr Essen ab. Für die Zubereitung der Mahlzeiten waren die Männer und Frauen zuständig, die zum Tross gehörten und die an den Kampfhandlungen nicht beteiligt wurden.
Schließlich hatten wir unser Essen hinuntergeschlungen. Wir saßen in einem Kreis um das niedrige Feuer herum, das mitten in dem großen Zelt brannte, in dem Jugurtha untergebracht war. Wenn ich sage ‚wir’, dann ist die Rede von unserem Feldherrn, Jugurtha also, von mir und fünf Offizieren unserer Reiterei. Die lodernden Flammen des Feuers warfen Licht- und Schattenreflexe gegen die Zeltwände, auf den Boden und über unsere Gestalten, das Feuer spiegelte sich in den Augen der Männer wider. Manchmal knackte ein Stück Holz in der glühenden Hitze.
„Lange werden die Krieger in Numantia nicht mehr standhalten“, meinte Jugurtha, indes er versonnen in die Flammen starrte. „Die Stadt ist von jeglichem Nachschub abgeschnitten, und Hilfe von außen hat sie kaum zu erwarten. Selbst wenn es uns nicht gelingt, sie kämpfend einzunehmen – der Hunger wird Avarus dazu treiben, aufzugeben.“
„Ja, das wird so sein“, pflichtete einer der Unterführer Jugurtha bei. „Wenn man alles glauben darf, was uns an Nachrichten aus der Stadt erreicht, dann haben die Stadtbewohner bereits so ziemlich alle Haustiere geschlachtet, um sich und die in der Stadt stationierten Krieger zu ernähren.“
„Dann ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis sie sich gegenseitig auffressen!“, stieß ein anderer der Unterführer hervor.
„Ja, und schließlich werden sie kapitulieren“, knurrte Jugurtha. „Es ist eine reiche Stadt. Wir werden große Beute machen, und wir werden den Ruhm, sie erobert zu haben, auch für uns in Anspruch nehmen können.“
Vor dem Zelt waren Stimmen zu hören. Gleich darauf erschien einer der Wächter und sagte: „Ein Bote des römischen Feldherrn Scipio Aemilianus möchte dich sprechen, Herr. Er sagt, es sei wichtig.“
„Lass ihn eintreten“, gebot Jugurtha. Der Wächter verschwand wieder nach draußen, und gleich darauf betrat der Legionär das Zelt. Er legte die rechte Faust gegen die Brust, neigte den Kopf und sagte: „Mich schickt der Befehlshaber der römischen Truppen und all ihrer Verbündeten in der Provinz Hispania, Publius Cornelius Scipio Aemilianus. Er bittet dich, Jugurtha, Sohn des Micipsa von Numidien, dich unverzüglich in die Kommandantur zu begeben, um an einer Lagebesprechung teilzunehmen.“ Während er sprach, hatte er die Hand sinken lassen.
„Bestell dem Feldherrn, dass ich mich zusammen mit meinem Vertrauten sofort auf den Weg mache“, sagte Jugurtha. „Die Götter mögen mit ihm sein.“
„Auch dich mögen die Götter behüten“, versetzte der Bote, legte wieder die Faust gegen den Brustpanzer, verneigte sich und verließ das Zelt. Gleich darauf erklangen trommelnden Hufschläge, die verrieten, dass er seinen Weg fortsetzte, um weitere Führer der vor Numantia versammelten Truppen zu informieren.
Jugurtha erhob sich und sein Blick heftete sich auf mich. „Gehen wir“, stieß er hervor. „Es ist niemals gut, einen einflussreichen Römer warten zu lassen.“
Während ich mich auf die Beine kämpfte, legte ein Diener Jugurtha ein weich gegerbtes Gepardenfell um die breiten, muskulösen Schultern. Ein anderer reichte ihm seinen Gürtel mit dem reich verzierten Krummschwert.
Da es ein schönes Stück Weg bis zum Hauptlager mit der Kommandantur war, nahmen wir die Pferde. Die belagerte Stadt lag im Mond- und Sternenlicht, überragt von den Wachtürmen, die sich in regelmäßigen Abständen über die Wehren erhoben. Die Dunkelheit mutete bedrohlich und unheilvoll an. Aus einem Lager in der Nähe waren verworrene Geräusche zu vernehmen; Stimmendurcheinander, Gelächter, Grölen und Johlen, manchmal das girrende Lachen einer Hure, von denen etliche mit dem Tross reisten und die den Kämpfern das Leben ein wenig freudiger gestalten sollten.
Dumpf pochten die Hufe unserer Pferde. Ein süßlicher Geruch schwängerte die Nacht – es war der Geruch der erwachten Natur nach einem strengen Winter. Von irgendwoher erklang der schauerliche Ruf einer Eule. Er galt als schlechtes Vorzeichen und ich verspürte einen leichten Schauder.
Das Hauptlager mutete an wie eine kleine Stadt. Es war rechteckig angelegt worden und besaß zwei Hauptstraßen, genannt Via Principalis und Via Praetoria, die in einem rechten Winkel zueinander verliefen. An den Enden der Straßen gab es zwei bewachte Tore, nämlich das Haupttor Porta Praetoria sowie das hintere Tor Porta Decumana. Dort, wo sich die beiden Hauptstraßen kreuzten, befanden sich das Forum und die Kommandantur. Ein Erdwall friedete das gesamte Lager ein. Die Erde hierfür stammte aus einem etwa einen Meter tiefen Graben, die nach innen aufgeschichtet und deren Außenseite mit Rasenziegeln abgedeckt worden war. Auf der Krone dieses etwa einen guten halben Meter hohen Erdwalls waren Pila Muralia (Schanzpfähle aus zugespitzten Eichenbalken) eingegraben und mit Seilen verbunden worden, so dass ein über einen Meter hoher Palisadenzaun entstanden war.
Wir gaben uns den Wachposten bei der Porta Praetoria zu erkennen und durften passieren. Im Schritttempo trugen uns die Pferde die Lagerstraße hinunter und schließlich erreichten wir das Forum mit der Kommandantur. Hierbei handelte es sich um ein großes Zelt, in dem auch das Fahnenheiligtum, in dem der Legionsadler aufbewahrt wurde, untergebracht war sowie die Legionskasse gelagert wurde.
Auch hier standen zwei römische Legionäre als Wachposten. Wir saßen ab, übergaben die Pferde zwei Knechten, die sofort herbeigeeilt waren, und betraten das Zelt, in dem vier Feuer in eisernen Becken für ausreichend Licht sorgten. An einem großen, rechteckigen Tisch saßen bereits mehrere Offiziere des römischen Heeres und auch einige Feldherren verbündeter Truppen. Am Stirnende des Tisches hatte Scipio Aemilianus Platz genommen, der im Jahr zuvor – unter Umgehung gesetzlicher Vorschriften - zum Konsul gewählt worden und somit bis zum Jahresende erster Feldherr aller römischen Legionen gewesen war.
Es handelte sich um einen zweiundfünfzigjährigen Mann mit scharf geschnittenen Gesichtszügen, der eine bemerkenswerte Karriere hinter sich hatte. Nachdem Rom im Jahre 604 n.G.R. Karthago zum dritten Mal den Krieg erklärt hatte, zeichnete sich Scipio Aemilianus wiederholt durch seinen Scharfsinn und seine Tapferkeit aus, sodass man ihn zwei Jahre später zum Konsul – es handelte sich um sein erstes Konsulat - wählte, obwohl er das gesetzlich vorgeschriebene Mindestalter noch nicht erreicht hatte. Der römische Senat war daran interessiert, dass er das oberste Kommando im Dritten Punischen Krieg übernehmen konnte.
Er eroberte Karthago und zerstörte es bis auf die Grundmauern, was ihm anlässlich seiner Rückkehr nach Rom einen außergewöhnlichen Triumphzug zuteil werden ließ.
Publius Cornelius Scipio Aemilianus, so sein voller Name, dem man den Beinamen ‚Africanus’ verliehen hatte, war in jeder Beziehung ein Aristokrat. Er vermittelte Autorität, strahlte aber auch ein hohes Maß an Ruhe aus, verlieh Sicherheit und man fasste sofort Vertrauen zu ihm.
Während ich einen Schritt zurückblieb, legte Jugurtha die rechte Faust gegen die Brust und grüßte: „Salve, mein Feldherr. Mögen dir die Götter wohlwollend gesinnt sein.“
Scipio Aemilianus lächelte und erwiderte: „Es reicht, wenn mir Mars, der Gott des Krieges, wohl gesinnt ist. Setz dich zu uns an den Tisch, Jugurtha. Dein Begleiter soll bei seinesgleichen warten.“
Auf einigen Fellen in einer Ecke des Zeltes saßen bereits einige Männer. Auf diese Gruppe deutete der Konsul. Für mich war das das Zeichen, mich zu diesen Männern zu begeben und auf einem der Felle niederzulassen.
‚Meinesgleichen’ waren die persönlichen Vertrauten oder Leibwächter der verschiedenen Truppenbefehlshaber, die Scipio Aemilianus zu sich zitiert hatte.
Es dauerte noch einige Zeit, dann traf auch der letzte der hochrangigen Offiziere ein und Scipio Aemilianus begann zu sprechen: „Avarus, der Befehlshaber in Numantia, scheint aktiv zu werden.“ Der Konsul sprach mit präziser Stimme, die jenen zwingenden Klang inne hatte, wie ihn nur die Stimme eines Mannes haben konnte, der es gewöhnt ist, Befehle zu erteilen, anzutreiben, zu fordern, anzuordnen, zu überwachen, zu loben und zu tadeln.
Scipio warf einem der Männer einen auffordernden Blick zu. Ich kannte ihn. Sein Name war Gaius Marius, er war ungefähr Mitte zwanzig, und ich wusste, dass er vom Land kam und dem Ritterstand entstammte. Seine Familie war politisch nie in Erscheinung getreten. Doch während der Belagerung von Numantia hatte Marius sich mehrmals ausgezeichnet und sich die Anerkennung sowie den Respekt Scipios erworben.
Nun erhob er sich und rief: „Ein Überläufer hat uns berichtet, dass Avarus vor drei Nächten einen Mann losgeschickt hat, der bei den Arevakern und Vaccäern eine Armee ausheben soll, mit der er uns in den Rücken fallen, uns ablenken und den Verteidigern der Stadt einen Ausfall ermöglichen möchte. Der Name des Kriegers, den Avarus ausgesandt hat, ist Rhetogenes, und er soll einer der tapfersten und besten Krieger der Kelten in Numantia sein.“
„Wie konnte dieser Rhetogenes unsere Wachen überwinden?“, fragte Jugurtha leicht befremdet.
„Er benutzte als Fluchtweg den Fluss“, versetzte Marius und fügte nach einer kurzen Pause hinzu: „Er muss ein ausgesprochen guter Schwimmer und Taucher sein. Anders ist es nicht zu erklären, dass er von unseren Wachposten auf den Türmen zu beiden Seiten des Flusses nicht bemerkt wurde.“
„Er ist in der Zwischenzeit sicher schon über alle Berge“, gab Jugurtha zu bedenken. „Wir werden also abwarten müssen, ob es ihm gelingt, genügend Krieger zu gewinnen, mit denen er es wagen kann, Avarus’ Plan in die Tat umzusetzen. Da Rhetogenes ein sehr durchtriebener Bursche zu sein scheint, heißt es für uns, die Augen offenzuhalten.“
„Das ist mir zu unsicher“, sagte nun Scipio Aemilianus und hielt den Blick auf Jugurtha gerichtet. „Wir müssen den Versuch dieses Rhetogenes, ein Entsatzheer auf die Beine zu stellen, im Keim ersticken.“
Fragend fixierte Jugurtha den Feldherrn.
Scipio Aemilianus fuhr fort: „Ich meine, es darf gar nicht erst soweit kommen, dass sich ein Entsatzheer bildet.“
Der Schimmer des Begreifens lief über Jugurthas scharf geschnittenes Gesicht, das von einer großen, leicht gekrümmten Nase und dunklen, stechenden Augen beherrscht wurde. „Ich verstehe. Rhetogenes muss abgefangen werden, ehe er aktiv wird.“
„So ist es“, stieß nun wieder Marius hervor, und er unterstrich die drei Worte mit mehrmaligem Nicken. „Wir wissen von unserem Informanten, dass er sich bei einem Bauern namens Belenus, der etwa drei Meilen südlich der Stadt am Fluss seinen Hof bewirtschaftet, ein Pferd beschaffen wollte.“
„Er ist längst beritten und irgendwo im Land unterwegs“, gab ein anderer der am Tisch Sitzenden, ein Centurio, zu bedenken.
„Sicher“, versetzte Marius. „Aber er wird dem Bauern verraten haben, zu welcher Ansiedlung ihn sein nächster Weg führen wird, in der er sich erhofft, Kämpfer rekrutieren zu können.“
„Wir müssen lediglich die Zunge des Bauern lockern“, mischte sich Scipio Aemilianus wieder ein. „Und diese Aufgabe sowie die Ausschaltung dieses Rhetogenes möchte ich gerne in deine Hände geben, Jugurtha. Der Grund hierfür ist ein ganz einfacher. Du verfügst über die besten Reiter unserer Armee, ihr seid auf euren Pferden schnell wie der Wind.“
„Wenn es dein Wunsch ist, mein Feldherr, dann werde ich meine besten Reiter und Kämpfer hinter Rhetogenes herschicken. Sie werden zu verhindern wissen, dass der Kelte ein Heer aufstellt, das uns gefährlich werden kann.“
„Die Angelegenheit ist viel zu wichtig, als dass ich sie irgendeinem deiner Offiziere überlassen möchte, Jughurtha“, gab Scipio Aemilianus zu verstehen. „Ich wünsche, dass du die Angelegenheit selbst in die Hand nimmst.“
Jugurthas Gesicht verschloss sich kaum wahrnehmbar, er presste einen Moment die Lippen zusammen, und in seinen Augen blitzte Zorn. Doch er behielt die Gewalt über seine Gefühle und antwortete: „Ich sehe es als besondere Ehre an, mein Feldherr, dass du mich persönlich mit dieser Mission betraust.“
„Nein“, versetzte Scipio und schürzte die Lippen. „Es ärgert dich, dass du einen Auftrag erfüllen sollst, der deiner Meinung nach unter deiner Würde ist. Doch du darfst eines nicht vergessen, Jugurtha: Wir führen seit über zwanzig Jahren Krieg gegen die keltiberischen Stämme Hispanias, die sich gegen die Besetzung ihrer Gebiete durch uns Römer wehrten. Es ist uns auch gelungen, das gesamte Land – abgesehen von Numantia – römischer Hoheit zu unterwerfen und es zu einer römischen Provinz zu machen. Aber es ist nicht so, dass die Kelten damit glücklich sind. Sie hassen uns Römer und würden uns gerne wieder los sein. Ich will damit sagen, dass uns im ganzen Land Feindseligkeit entgegengebracht wird, und so schließe ich nicht aus, dass Rhetogenes Verbündete findet, die ihm den Rücken freihalten. Daher muss die Aufgabe, den Plan Avarus’ und seines besten Kriegers, dieses Rhetogenes, zu durchkreuzen, in absolut verantwortungsvolle Hände gegeben werden. Und der Mann, der dies zu meiner vollen Zufriedenheit erledigen kann, bist du, Jugurtha. Vom Gelingen der Mission hängt viel – sehr viel ab. Ich denke, du verstehst.“
Jugurtha erhob sich, legte die rechte Hand flach gegen seine Brust und deutete eine Verneigung an. „Als ich eben erklärte, mein Feldherr, dass ich mich geehrt fühle, dann war das kein Lippenbekenntnis, sondern ich meinte es genauso, wie ich es sagte. Bei den Göttern – ich werde dich nicht enttäuschen.“
„Ich weiß, dass ich mich auf dich verlassen kann“, erklärte Scipio Aemilianus und fixierte Jugurtha dabei durchdringend, als versuchte er in dessen Zügen zu lesen. Ich war mir nicht sicher, ob seine Worte ehrlich gemeint waren. Aber ich hatte auch Jugurthas Bekenntnis vernommen und wusste nur zu gut, dass diese Worte geheuchelt waren. Aber Jugurtha war viel zu schlau, um sich durch Widerrede oder gar Ungehorsam die Missgunst des Feldherrn zuzuziehen. Er verfolgte ehrgeizige Pläne, und um sie umzusetzen, musste er sich der Gunst einflussreicher Römer versichern. Und das wichtigste Bindeglied zwischen ihm und dem römischen Senat war im Moment Scipio Aemilianus.
„Wir werden bei Sonnenaufgang aufbrechen“, sagte Jugurtha.
„Schalte Rhetogenes aus“, rief Scipio eindringlich, „und verhindere, dass viele römische Legionäre und Krieger unserer Verbündeten – auch Krieger aus Numidien – den Tod finden. Rom wird es dir danken, die Kunde von deiner Heldentat wird deinen Vater und sein Volk erreichen und man wird dir huldigen und den Namen Jugurtha preisen.“
Kaum, dass wir außer Sichtweite des Gehöfts waren, zerrte Jugurtha sein Pferd in den Stand, und als auch der Rest des Trupps die Tiere pariert hatte, rief er: „Sie hat uns angelogen. Ich denke, dass sie sofort ihren Sohn losschickt, damit dieser Rhetogenes einholt und ihn darüber informiert, dass wir seinen Plan kennen und ihn verfolgen. Wir beobachten den Hof, und wenn ich mit meinem Verdacht richtig liege, folgen wir dem Burschen. Er wird uns zu Rhetogenes führen.“
Während wir lagerten, beobachteten zwei unserer Männer den Bauernhof, und tatsächlich meldeten sie schon nach kurzer Zeit, dass ein Reiter im Galopp das Gehöft verlassen hatte. Wir warfen uns in die Sättel und folgten ihm. Sein Pferd hatte im hohen Gras deutliche Spuren hinterlassen. Das Terrain war überdies hügelig und dicht mit Strauchwerk bestückt, sodass es uns nicht schwer fiel, ungesehen zu bleiben. Es gab jedenfalls keinen Hinweis darauf, dass uns der Reiter bemerkt hatte.
Nach einer guten Stunde etwa stießen wir auf einen kleinen Weiler, der aus vier Bauernhöfen bestand. Sie muteten an wie ausgestorben, aber daran, dass in den Koppeln und Pferchen Nutztiere weideten, konnten wir erkennen, dass diese kleine Ansiedlung bewohnt war.
Wir schwärmten aus und nahmen auf Jugurthas Geheiß hin die Schilde und Schwerter zur Hand. Es konnte ein Hinterhalt sein. Im Schritttempo näherten wir uns den ärmlich wirkenden Gebäuden. Als war fast heran waren, traten hinter den Häusern, Ställen, Scheunen und Schuppen Männer hervor; sie waren langhaarig und bärtig, meistens von hochgewachsener, kräftiger Gestalt. Es waren mehr als ein Dutzend, Junge und Alte, und drei von ihnen hielten ein Schwert in der Faust. Die anderen hatten sich mit Dreschflegeln, Mistgabeln oder einfach nur armdicken, soliden Knüppeln bewaffnet.
Die Mienen waren von einer grimmigen Entschlossenheit geprägt.
Ohne ein Wort zu verlieren begannen sie zu laufen, und als sie sich uns auf wenige Schritte genähert hatten, begannen sie schrille, aggressive Schreie auszustoßen, die uns wahrscheinlich erschrecken oder verunsichern sollten.
„Macht sie nieder!“, brüllte Jugurtha und spornte sein Pferd an. Das blinkende Schwert schwingend ritt er einen der Angreifer nieder und als ihm ein zweiter in die Quere kam, spaltete er ihm den Schädel.
Ich schlug mit dem Schwert eine Mistgabel zur Seite, deren Zinken auf meine Brust zustießen, trat nach dem Burschen, der sie mit beiden Händen hielt, und als er stürzte, sprang ich vom Pferd und rammte ihm die scharfe Klinge in den Leib. Aber da sah ich aus den Augenwinkeln einen weiteren Gegner heranspringen, riss das Schwert aus dem zuckenden Leib und wandte mich dem Burschen zu. Er schwang einen soliden Knüppel und hätte mir sicher den Schädel zertrümmert, wenn ich mich nicht im letzten Moment zur Seite geworfen hätte. Aber da donnerte schon Jugurtha auf seinem Pferd heran und enthauptete ihn mit einem wilden Streich. Ein Schwall Blut ergoss sich über mich.
Pferde wieherten, Männer brüllten, die Schwerter klirrten. Die Bauern kämpften zwar wie besessen, aber wir waren im Zweikampf ausgebildet, und so hatten sie keine echte Chance. Es dauerte nur wenige Minuten, dann hatten wir sie niedergekämpft. Nur noch drei von ihnen waren am Leben, und auch sie waren ziemlich übel verletzt worden.
Einer von ihnen sprach Latein. Jugurtha ging bei ihm in die Hocke, ich blieb hinter unserem Anführer stehen, sodass mein Schatten auf ihn und den verwundeten Kelten fiel. Der Mann atmete rasselnd, sein Gesicht war mit dem Blut seiner Gefährten besudelt, das Blut vermischte sich auf seiner Haut mit seinem Schweiß.
„Warum habt ihr uns angegriffen?“, fragte Jugurtha.
Ich wurde abgelenkt, denn jetzt zeigten sich bei den Höfen Frauen und Kinder. Zaghaft näherten sie sich. Ich sah bleiche Gesichter, schreckensgeweitete Augen und zuckende Lippen.
„Wir – wir wollten euch daran hindern, dem Sohn des Belenus zu folgen“, erwiderte der Kelte mit schwacher, kaum verständlicher Stimme. In seinen Augen wütete der Schmerz, in seinem von Wind, Sonne und Regen gegerbten Gesicht zuckten die Muskeln. Mit jedem seiner Herzschläge pulsierte Blut aus der Wunde in seiner rechten Brustseite.
„Was ist sein Ziel?“
„Er – er will Rhetogenes warnen.“
„Zu wem reitet Rhetogenes?“
„Er – er wollte nach … nach …“ Die Stimme des Verwundeten brach und nur noch unverständliches Gemurmel kam über seine trockenen, rissigen Lippen.
Jetzt waren auch die Frauen und Kinder heran, einige unserer Leute aber umstellten sie und einer gebot ihnen, sich auf den Boden zu setzen. Sie gehorchten. Leises Weinen war zu hören.
„Wohin wollte er?“, fragte Jugurtha mit Nachdruck in der Stimme. Er rüttelte den Verletzten leicht, doch der schien ihn nicht mehr wahrzunehmen. Er bäumte sich auf, ein Röcheln stieg in seiner Brust empor und erstickte in seiner Kehle, haltlos fiel er zurück und seine Augen brachen.
Die beiden anderen Verwundeten verstanden kein Latein, und unsere Sprache schon gar nicht. Dasselbe galt für die Frauen. Wir erfuhren also nicht, wo wir Rhetogenes suchen mussten.
Jugurtha ließ die beiden Überlebenden des Kampfes, der uns aufgezwungen worden war, töten, wir brannten den Weiler nieder, um ein Exempel zu statuieren und entschlossen uns, weiterhin der Spur des jungen Belenus zu folgen.
Das Leben der Frauen und Kinder hatten wir verschont. Wir konnten sie auch nicht mit uns nehmen, um sie zu versklaven, denn sie wären uns nur ein Klotz am Bein gewesen.
Am Abend erreichten wir einen Fluss, und an seinem Ufer verloren wir die Spur. Wir lagerten. Die Dunkelheit kam schnell. Es war eine klare, kühle Nacht und am Himmel flimmerten Myriaden von Sternen.
Ich lag neben Jugurtha in eine dünne Decke gehüllt am Boden. Wir konnten uns einigermaßen sicher fühlen, denn wir hatten Wachen aufgestellt. Die Pferde hatten wir am Ufergebüsch angebunden, und zwar so, dass sie sowohl grasen als auch saufen konnten.
Tiefe, gleichmäßige Atemzüge und auch leises Schnarchen verrieten mir, dass die Krieger, die lang ausgestreckt um uns herum lagen, schliefen. Als ich einmal zu Jugurtha hinüberschaute, sah ich seine Augen im Sternenlicht glitzern. Er hatte sie also geöffnet, was bedeutete, dass er wach war.
„Warum schläfst du nicht?“, fragte ich leise.
„Ich denke nach“, bekam ich als Antwort.
„Worüber?“
„Ich frage mich, was wir tun, wenn es uns nicht mehr gelingt, die Spur des Knaben aufzunehmen.“
„Darüber habe ich auch schon nachgedacht“, erklärte ich und wälzte mich auf die Seite, sodass ich ihn sah, ohne den Kopf drehen zu müssen. „Darum schlage ich vor, dass wir trotz allem nach Segonita ziehen und die Besatzer dort informieren, dass im Land etwas im Gange ist, dass möglicherweise eine Armee von Keltiberern ausgehoben wird, die den Belagerungsring um Numantia sprengen soll. Von Segonita aus sollen Boten die anderen Garnisonen aufsuchen und sie alarmieren. Uns bleibt dann nichts anderes übrig, als umzukehren und abzuwarten.“
„Scipio Aemilianus wird von mir enttäuscht sein“, verlieh Jugurtha seiner Befürchtung Ausdruck. „Es wird meinen Ruf schädigen.“
„Warum hast du so große Furcht davor, bei den Römern in Ungunsten zu fallen?“, fragte ich, einer jähen Eingebung folgend. Es war in der Tat so: Jugurtha tat alles, um in den Augen der Römer Glanz und Gloria zu verbreiten, und das Schlimmste für ihn war wohl, dass der Eindruck entstehen könnte, er hätte in irgendeiner Hinsicht versagt.
„Ich denke, dass ich die Römer noch brauche“, erwiderte Jugurtha nach kurzer Überlegung. „Darum muss ich mir ihre Sympathien sichern. Männer wie Scipio Aemilianus können eines Tages sehr wichtig für mich sein. Mein Vater ist alt – seine Brüder, mit denen er sich die Herrschaft teilte, sind bereits gestorben. Wenn auch mein Vater stirbt, wird die Herrschaft wieder drei Brüdern obliegen – nämlich Adherbal, Hiempsal und mir. Wobei die beiden einiges dagegen haben werden, dass ich als illegitimer Sohn Micipsas ihnen gleichgestellt werde.“
„Der König hat dich adoptiert“, wandte ich ein. „Damit stehst du im Rang eines legitimen Thronfolgers.“
„Adherbal und Hiempsal haben das nie akzeptiert. Da sie den König jedoch fürchten wagen sie jedoch nicht, dies zu verlautbaren. Sobald aber Micipsas tot sein wird …“
Den Rest ließ Jugurtha offen, doch ich konnte mir an fünf Fingern abzählen, was sein Schweigen zum Ausdruck brachte.
Mir lag die Frage auf der Zunge, ob er dann den Spieß umzudrehen wollte, insofern, als er Adherbal und Hiempsal auszuschalten gedachte und sich hierfür die Rückendeckung der Römer sichern musste. Aber Jugurtha und ich waren nicht nur Freunde. Er war mein Herr, und wenn ich mir ihm gegenüber auch Dinge herausnehmen durfte, die anderen verwehrt waren, so musste ich dennoch akribisch darauf achten, ihn nicht zu verärgern. Sich den Zorn seines Herrn zuzuziehen konnte schnell den Kopf kosten.
In dieser Nacht konnte keiner von uns ahnen, dass bis zu König Micipsas Tod noch fünfzehn Jahre ins Land ziehen sollten. Eine lange Zeit, in der Jugurthas Pläne reifen und sich verfestigen würden. Der Tod des Königs sollte schließlich den Auftakt zu einem Drama darstellen, das Numidien und auch Rom viele blutige Jahre bescheren würde.
Nach einer Zeit des Schweigens sagte Jugurtha: „Dein Vorschlag ist gut. Wir ziehen morgen weiter nach Segonita.“
Als der Tag anbrach, saßen wir wieder auf den Pferden. Stunde um Stunde zogen wir durch die Wildnis. Manches Mal passierten wir Bauernhöfe, Weiler oder kleine Dörfer, doch wir hielten uns nicht mehr damit auf, Fragen zu stellen. Um Ärger aus dem Weg zu gehen machten wir einen weiten Bogen um die jeweiligen Ansiedlungen.
Einige Tage später kamen wir nach Segonita, hielten uns dort ein paar Tage auf und machten uns schließlich auf den Rückweg nach Numantia.
Es war um die hora sexta (sechste Stunde), um die Mittagszeit also, als wir eine Woche später Numantia erreichten. Das Wetter hatte in der Zwischenzeit umgeschlagen. Es war regnerisch und trüb, graue, tiefhängende Wolken bedeckten den Himmel, ein kalter Wind pfiff von Osten her, der hin und wieder Regenschauer mit sich brachte. Der Boden war aufgeweicht und sumpfig und die Pferdehufe sanken tief ein. Wir waren durchnässt, die Übergewänder hingen schwer an uns, unsere Stimmung war auf dem Nullpunkt.
Die Verhältnisse vor Numantia hatten sich in keiner Weise verändert. Wie jeden Tag schleuderten auch an diesem die Katapulte Steinbrocken und Brandsätze über die Wehren in die Stadt.
Wir ritten sofort das Hauptlager mit der Kommandantur an und Jugurtha ließ sich bei Scipio Aemilianus anmelden. Als ihn einer der Wachposten wenig später aufforderte, das Stabszelt zu betreten, saß Jugurtha ab, gab mir einen Wink, ihm zu folgen, und betrat schließlich vor mir das Zelt. Scipio saß in einem schweren Stuhl mit gepolsterten Armlehnen und musterte den numidischen Prinzen voller Erwartung. Bei ihm war Gaius Marius, der Offizier aus dem römischen Ritterstand, der zu einem engen Vertrauten des Konsuls avanciert zu sein schien.
Jugurtha hielt an, legte die rechte Faust gegen die Brust und grüßte: „Salve, mein Feldherr.“
„Auch dir Heil, Gesundheit und körperliche Unversehrtheit, Jugurtha. Du warst lange fort. Was hast du mir zu melden?“
„Wenig Erfreuliches, mein Feldherr“, antwortete der Numidier. „Ich muss dir gestehen, dass wir die Spur dieses Rhetogenes leider verloren haben.“
Ein Schatten schien Scipio Aemilianus’ Züge zu verdüstern, sein Blick wurde stechend. „Das ist in der Tat keine gute Nachricht“, stieß der Militärtribun hervor.
„Wie konnte das geschehen?“, fragte Marius.
„Man hat uns auf eine falsche Spur gelockt“, antwortete Jugurtha. „Aber wir haben Vorsorge getroffen …“ Jugurtha erzählte von unserem Aufenthalt in Segonita und der Aussendung von Boten in die anderen größeren Ansiedlungen, in denen es römische Garnisonen gab. „Nur in den Städten besteht für Rhetogenes die Möglichkeit, auf die Schnelle ein großes, schlagkräftiges Heer auf die Beine zu stellen“, erklärte er. „Und wenn die Besatzer dort die Augen offenhalten, können sie das im Keim ersticken.“
Scipio Aemilianus begann an seiner Unterlippe zu nagen. Kein Zug in seinem Gesicht verriet, was hinter seiner Stirn vorging. Schließlich war es wieder Marius, der das Wort ergriff, indem er sagte: „Du hast klug und umsichtig gehandelt, Jugurtha. Ja, wenn unsere Offiziere in den Städten nicht schlafen, können sie die Aushebung eines Heeres durch Rhetogenes verhindern. Und sollte ihnen das nicht gelingen, werden sie uns zumindest informieren, dass es ein solches Heer gibt, sodass wir hier Maßnahmen ergreifen können.“
„Dies zu erreichen war meine Absicht“, gab der Numidier zu verstehen. „Und es freut mich, Gaius Marius, dass du meine Entscheidung gutheißt.“ Er heftete den Blick auf Scipio Aemilianus und fuhr fort: „Einmal wurden wir angegriffen. Es waren einige Bauern, die verhindern wollten, dass wir einen Jungen einholen, der auf dem Weg war, um Rhetogenes vor uns zu warnen. Aber wir waren sehr schnell Herr der Situation und haben die Angreifer getötet.“
„Jeder, der die Hand gegen Rom oder seine Verbündeten erhebt, muss sterben“, knurrte der Konsul. „Auch jene, die in Numantia nach wie vor Widerstand leisten, werden sterben oder in die Sklaverei gehen. Es ist sicher nur noch eine Frage der Zeit. Wenn wir richtig unterrichtet sind, dann leiden die Verteidiger der Stadt und die übrige Bevölkerung Hunger. Der Hunger ist unser wirksamster Verbündeter. Irgendwann in nächster Zeit wird er Avarus zur Aufgabe zwingen. Und dann ist die letzte Bastion, die sich der Herrschaft Roms entziehen wollte, gefallen und der langjährige Aufstand der Keltiberer ist mit der Eroberung der Stadt endgültig niedergeworfen. Ich werde im Triumphzug in Rom einziehen.“
„Und wir werden an deinem Triumph teilhaben dürfen, mein Feldherr“, beeilte sich Jugurtha zu sagen. „Meinen Vater wird die Kunde in Numidien erreichen und er wird meinen Namen nur noch mit Stolz aussprechen.“
„So wird es sein, Jugurtha“, versetzte Scipio Aemilianus lächelnd. „Im Übrigen gibt es Neuigkeiten aus Rom zu vermelden. Tiberius Sempronius Gracchus, der Führer der Partei der Popularen, wurde samt seinen Gesinnungsgenossen von Anhängern der Senatspartei erschlagen. Außerdem soll Attalos, der dritte seines Namens und König von Pergamon, im Sterben liegen. Er hat verfügt, dass er nach seinem Tod sein Reich an Rom vererbt.“
„Gracchus ist als Volkstribun mit seinem Plan von einer Landreform, die die Macht der Großgrundbesitzer beschränken und die Lage der Kleinbauern und städtischen Proletarier verbessern sollte, kläglich gescheitert“, gab Marius zu verstehen. „Ob es Gaius Sempronius Gracchus gelingt, die Arbeit seines Bruders erfolgreich weiterzuführen und dessen Absichten durchzusetzen, ist fraglich.“
„Mit dieser Frage brauchen wir uns in unserer Situation auch gar nicht beschäftigen“, sagte Scipio Aemilianus. „Ich will endlich diesen unleidigen Krieg beenden und die Provinz Hispania für alle Zeiten befrieden.“
„Dir dabei jedwede Unterstützung zu gewähren, mein Feldherr, ist mein vornehmlichstes Bestreben“, versicherte Jugurtha. „Kann ich gehen?“
Scipio Aemilianus hob huldvoll die rechte Hand – Zeichen dafür, dass der Numidier entlassen war.
Als wir zu unserem Lager ritten, sagte Jugurtha: „Der Senat Roms vernichtet seine Feinde rigoros und ohne Skrupel. Darum ist es sehr wichtig, den einen oder anderen Senator für sich wohlwollend zu stimmen.“
„Wenn Numantia fällt“, versetzte ich, „wird Scipio Aemilianus in einem feierlichen Triumphzug in Rom als Imperator das Pomerium überschreiten und man wird ihm die Corona Triumphalis aufs Haupt drücken. Alle anderen jedoch, die an seinem Sieg maßgeblich beteiligt waren, so auch du, werden kaum Beachtung finden. Die meisten der Senatoren werden deinen Namen vielleicht hören – ihn aber schnell wieder vergessen. Du bist kein Römer, und daher giltst du in ihren Augen nichts.“
„Ich habe mir sagen lassen, dass es kaum einen Senator gibt, der großen Geldgeschenken abgeneigt ist“, stieß Jugurtha hervor. „Und ich verfüge über Geld – sehr viel Geld. Und ich werde mich nicht scheuen, es einzusetzen.“
Mehrere Wochen verstrichen, ohne dass die Belagerer Numantias auch nur einen Schritt weitergekommen wären. Der Beschuss der Stadt mit den Katapulten erfolgte von früh morgens bis zum Einbruch der Nacht. In den Lagern der Römer wurde schon gemunkelt, dass die Eingeschlossenen ihre Toten kochten und aßen.
Wir schlugen die Tage mehr oder weniger tot, übten uns im Zweikampf mit den verschiedenen Waffen und im Bogenschießen, veranstalteten Reiterspiele und warteten darauf, dass etwas geschah – etwas, das eine Wende dieses täglichen Einerleis einläuten würde.
Scipio Aemilianus war fest davon überzeugt, dass der Hunger die in der Stadt Eingeschlossenen dazu treiben würde, einen Ausfall zu unternehmen und den Belagerungsgürtel zu sprengen, diese Blockade, die Numantia von jedwedem Nachschub abschnitt.
Marius hingegen war skeptisch. Er vermutete, dass Avarus allen Widernissen und Widerständen zum Trotz auf das Entsatzheer wartete, das auf die Beine zu stellen er Rhetogenes ausgesandt hatte.
Die Ungeduld bei der römischen Führung wuchs mit jedem Tag, der verstrich, ohne dass man einen Schritt weitergekommen wäre. An einem regnerischen Tag zitierte Scipio Aemilianus Jugurtha wieder einmal wegen einer Besprechung zu sich. Jugurtha forderte mich auf, mit ihm zu kommen. Bei Scipio war bereits der gesamte Stab des römischen Heeres versammelt. Nach dem Begrüßungszeremoniell und nachdem Jugurtha Platz genommen hatte, erhob Scipio Aemilianus die Stimme, indem er sagte: „Ich will es kurz machen: Ich habe den Entschluss gefasst, Numantia stürmen zu lassen. Wir sind den Kelten – gemessen an unserer Truppenstärke -, um das sieben- oder achtfache, vielleicht sogar um das zehnfache überlegen.“
Da Scipio Aemilianus, während er gesprochen hatte, Jugurtha ansah, fühlte sich dieser aufgefordert, zu antworten. Er sagte: „Unsere Truppen haben bereits mehrere Anläufe unternommen, um die Stadt zu erstürmen, und wir wurden jedes Mal zurückgeschlagen, wobei wir große Verluste an Soldaten und Material hinnehmen mussten. Die Bogenschützen, Schleuderer und Speerwerfer der Kelten verstehen es zu treffen.“
„Ich habe euch, meine Feldherren und Offiziere, zusammengerufen, um mit euch den Schlachtplan zu besprechen, den Gaius Marius und ich beschlossen haben“, gab Scipio zu verstehen. „Der Senat und das römische Volk erwarten einen Erfolg. Seit mehr als zwanzig Jahren führen wir hier in Hispania Krieg gegen die Kelten. Numantia ist das letzte Zentrum des Widerstandes gegen Rom. Die Sache muss endlich abgeschlossen werden, sie muss ein für alle Mal beendet werden. Daher beabsichtige ich, jetzt alles auf eine Karte zu setzen und solange gegen die Wehren der Stadt anzustürmen, bis sie fallen. Ich will nämlich nicht, dass es mir wie Hostilius Mancinus ergeht.“
Ich kannte die Geschichte des Mannes, der vor vier Jahren als Konsul hier in der Provinz Hispania agierte. Er wurde mit seinem Heer von den Kelten in einem Engpass umstellt und schloss, um sich und seine Soldaten zu retten, einen für die Kelten ausgesprochen günstigen Frieden. In Rom erkannte der Senat den Friedensvertrag jedoch nicht an, und es erging der Befehl, den Konsul an den Feind auszuliefern. Doch die Kelten wollten ihn gar nicht. So stand der entmachtete Feldherr, nackt und mit gefesselten Händen, einen ganzen Tag lang vor den feindlichen Linien, bis ihn die Römer zurückholten.
Mancinus überlebte, wurde aber aus dem Senat gestoßen. Außerdem war das Ansehen seiner Familie so nachhaltig beschmutzt, dass kein Hostilier mehr in Rom Bedeutung erlangte.
„Außerdem brennt uns die Zeit unter den Nägeln“, fügte Marius den Ausführungen Scipios hinzu. „Wir haben keine Ahnung, ob es Rhetogenes gelungen ist, ein Heer zu rekrutieren. Falls ja, wissen wir nicht, wie stark es gegebenenfalls ist. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Kelten einen kaum bezwingbaren Verbündeten haben. Sein Name ist Hass, er ist unberechenbar und gefährlich. Darum muss Numantia fallen, ehe uns Rhetogenes mit einem schlagkräftigen Truppenverband in den Rücken fallen kann. Andernfalls müssen wir uns gegebenenfalls nach zwei Seiten verteidigen, was auf jeden Fall vermieden werden soll.“
„Wir haben die Stadt schon mehrmals im Sturm zu erobern versucht“, wandte Jugurtha ein. „Und jeder Angriff ist kläglich gescheitert. Warum warten wir nicht ab. In der Stadt herrscht schon große Hungersnot. Menschen verhungern, und bald werden Seuchen ausbrechen. Und Avarus wird schließlich nicht umhin kommen, zu kapitulieren. Es würde uns im Gegensatz zu einem weiteren Angriff keine oder nur wenige Soldaten kosten.“
„Ich will nicht länger warten“, versetzte Scipio mit Entschiedenheit im Tonfall. „Die Stadt muss innerhalb des nächsten Monats fallen.“
Er schoss Marius einen auffordernden Blick zu, und Gaius Marius übernahm es sofort, den Feldherrn und Offizieren in der Runde den Schlachtplan im Detail zu erläutern. Er sprach lange und ausführlich und vergaß nichts. Sehr schnell war deutlich geworden, dass Scipio und er sich nicht scheuten, einen hohen Blutzoll zu riskieren, um einen endgültigen Erfolg hier in der Provinz Hispania zu erringen.
Schließlich endete Marius mit der Frage: „Hat jemand Einwände vorzubringen?“ Er schaute herausfordernd in die Runde.
Dieser Mann war noch jung, er stand am Anfang seiner Karriere. Immer wieder hatte ich versucht, ihn einzuschätzen. Und ich hatte mir schließlich ein Bild von ihm gemacht. Er war ein Mann, der in der Lage war, seinen Wünschen und Absichten rigoros Geltung zu verschaffen. Von ihm ging eine starke, zwingende und unduldsame Strömung aus.
Es gab keine Einwände, obwohl jedem der Anwesenden klar sein musste, dass die Aussichten, Numantia in einem erneuten Sturmangriff einzunehmen, gering waren. Aber Scipio war im Dritten Punischen Krieg der Bezwinger Karthagos, nachdem die Karthager unter ihrem Feldherrn Hasdrubal ein Jahr lang verzweifelt Widerstand leisteten. Auf Anordnung des Senats zerstörte er die Stadt bis auf die Grundmauern. Bei seiner Rückkehr nach Rom wurde ihm ein außergewöhnlicher Triumphzug zuteil, und wie sein Adoptivgroßvater erhielt er den Beinamen Africanus. Er musste diesem Erfolg einen weiteren folgen lassen, um den Glorienschein, der ihn umgab, aufrechtzuerhalten. Er befand sich sozusagen in Zugzwang. Und das ließ ihn sämtliche Bedenken über Bord werfen.
Nachdem wir das Stabszelt verlassen hatten und auf dem Weg zu unserem Lager waren, sagte Jugurtha: „Bei dem Angriff auf die Stadt werden nach Scipios Plan zunächst die römischen Legionäre gefordert sein. Unsere Reiterei tritt erst auf den Plan, wenn die Tore Numantias geöffnet sind und es nur noch darum geht, in der Stadt letzte Widerstände niederzukämpfen.“
Nachdem wir ein ganzes Stück geritten waren, erhob er noch einmal die Stimme und sagte: „Scipio ist ein Mann ganz nach meinem Geschmack. Er scheut keine Mittel und Wege, um den Ruf, den er sich erworben hat, aufrechtzuerhalten.“
„Du meinst“, murmelte ich, „ihm ist nichts heilig, wenn es darum geht, sich beim Senat und beim römischen Volk ins rechte Licht zu setzen.“
„Manchmal muss man diesen Weg beschreiten“, versetzte Jugurtha bedeutungsvoll. „Senatus Populusque Romanus - der Senat und das römische Volk – das sind die beiden Größen, in deren Dienst er sich und sein gesamtes Handeln gestellt hat. Denn nur sie können ihn fördern.“
„Das gilt auch für König Micipsa, für dich und für deine Brüder“, versetzte ich.
„Ja, das ist richtig“, gab Jugurtha zu. „Man behauptet zwar, dass nach dem Sieg über Hannibal Masinissas den numidischen Staat errichtet hat, tatsächlich aber ist er eine Schöpfung Roms. Numidien existiert nur kraft römischen Willens, was aber auch bedeutet, dass Rom die Verantwortung für das zu tragen hat, was sich in unserem Land abspielt. Auch mein Vater, der Masinissas nachfolgte, ist nur eine Marionette Roms. Und der, der einmal nach ihm den numidischen Thron besteigt, wahrscheinlich ebenfalls.“
„Wer wird das sein?“, fragte ich und fixierte Jugurthas Gesicht von der Seite.
„Es wird den Göttern obliegen, die richtige Wahl zu treffen. Den Göttern, und – den Römern. Sie werden den Mann fördern, den sie für den besten halten.“
Und das ist ohne Frage der Mann, der sie am meisten beeindruckt, dachte ich, verlieh diesem Gedanken aber keinen Ausdruck. Allzu vorlaute Äußerungen hätten meine Position bei Jugurtha gefährden können. Von der Gesinnung her waren er und Scipio gewissermaßen Brüder.
In den folgenden Wochen waren viele der römischen Legionäre nur damit beschäftigt, unter Anleitung der Fachleute Belagerungstürme, Sturmleitern, Rammböcke und Katapulte zu bauen. Außerdem wurden eine Vielzahl sogenannter ‚Schildkröten’ erstellt, wobei es sich um fahrbare Dächer handelte, in deren Schutz sich die Krieger den Wehren der Stadt nähern konnten.
Schließlich waren die Truppen des Scipio Aemilianus bereit zum alles entscheidenden Angriff. Rund um die Stadt wurden in sicherer Entfernung die Belagerungstürme und Rammböcke aufgefahren, die Katapulte wurden in Stellung gebracht. Im Morgengrauen nahmen die Krieger Aufstellung. Scipio schickte einen kleinen Trupp von Parlamentären zum Haupttor der Stadt und ließ Avarus die letztmalige Chance anbieten, zu kapitulieren.
Keltische Bogenschützen schossen die römischen Boten ohne jede Vorwarnung von den Pferden. „Lieber sterben wir, als Sklaven Roms zu sein!“, brüllte einer der Kelten von der Stadtmauer.
Auf einer Fanfare wurde das Signal zum Angriff geblasen, es setzte sich fort und schließlich war es auch bei den abgelegensten Truppenverbänden angelangt. Die Belagerungstürme und Rammböcke wurden in Bewegung gesetzt. Die Krieger, die sie schoben, waren von den ‚Schildkröten’, mit denen die Belagerungs- und Sturmgeräte versehen waren, geschützt. Weitere Gruppen, die Sturmleitern trugen, rückten auf die Stadt zu.
Unterstützt wurde der Angriff von den Katapulten, die unablässig Felsbrocken und Brandsätze gegen und über die Wehren Numantias schleuderten.
Ein Hagel von Pfeilen schlug unseren Kriegern entgegen. Die wenigsten der Pfeile fanden jedoch ihr Ziel. Sie bohrten sich, ohne Schaden anzurichten, in die Dächer der ‚Schildkröten’ oder in die Schutzwände der Belagerungstürme und Rammböcke. Die Männer, die unter der römischen Standarte kämpften, brüllten, fluchten und feuerten sich gegenseitig an. Und weit hinten, außerhalb des Schusssektors der Bögen, warteten die Sturmtruppen auf ihren Einsatz. Sie hatten in den vergangenen Tagen den Göttern, vor allem Mars, eine Vielzahl von Opfern dargebracht – und in dem Bewusstsein, insbesondere den Kriegsgott gnädig gestimmt zu haben, warteten sie darauf, endlich losstürmen zu dürfen.
Bleich, hager, tückisch und wütend wie ein hungriger Raubvogel schwebte Mors, die Göttin, die den Tod personifizierte, über Angreifern und Verteidigern, und sie würde unerbittlich zuschlagen.
Die Angreifer rückten unaufhaltsam näher. Nun schossen die Kelten mit Brandpfeilen, doch die Belagerungsgeräte der Römer waren aus frischem Holz gefertigt, das nicht so leicht anbrannte, außerdem waren sie mit in Wasser eingeweichten Rinderhäuten behängt, sodass die Brandpfeile keine Wirkung erzielten. Als die Angreifer nahe genug heran waren, traten auf den Stadtmauern die Speerwerfer und Schleuderer in Aktion. Bis zu faustgroße Steine knallten gegen die Brustwehren der Belagerungstürme und Rammböcke, Speere bohrten sich mit trockenem Schlag in das Holz und blieben stecken.
Auf den obersten Plattformen der Belagerungstürme, die ein ganzes Stück höher waren als der anzugreifende Mauerabschnitt, befanden sich Bogenschützen. Und sie jagten ihre Pfeile in die Körper der auf den Wehren postierten keltischen Krieger, da die Brustwehren kaum ausreichten, gegen die aus erhöhter Warte verschossenen Pfeile zu schützen.
Felsbrocken krachten mit Wucht gegen die Mauer, zerschellten und Wolken von Staub bildeten sich. Unten waren die Rammböcke bei den Toren und den wenigen Mauerabschnitten angelangt, vor denen es das Gelände ermöglichte, das schwere Gerät heranzuschieben. Die mit schweren Eisenköpfen verstehen Baumstämme knallten gegen die eisenbeschlagenen Tore und die solide errichteten Mauern. Kochendes Wasser und siedendes Pech wurden von der Mauer geschüttet, Felsbrocken, die so schwer waren, dass sie ein Mann alleine nicht heben konnte, wurden in die Tiefe geschleudert.
Der Lärm der Schlacht war frenetisch. Dunkler Rauch ballte sich zu Schwaden und diese hingen über diesem Schauplatz der brutalen Gewalt, gegen diesen Strom anzuschwimmen es kaum einem der Beteiligten möglich war.
Die ersten Rammböcke und Belagerungstürme begannen zu brennen. Noch mehr Rauch entwickelte sich. Grässliche Todesschreie verschmolzen mit dem übrigen Lärm.
Die untere Plattform eines jeden Turms, die sogenannte Sturmebene, hatte die Höhe der Mauerkrone. Sobald der Belagerungsturm die gegnerische Mauer erreicht hatte, wurde eine Klappe nach unten gelassen, die auf der Mauerkrone auflag, und die auf der Plattform verharrenden Kämpfer konnten die Wehrgänge erstürmen, während die Bogenschützen auf der oberen Plattform weiterhin auf die Verteidiger schossen.
In der Zwischenzeit waren auch Sturmleitern angelegt worden und die ersten Kämpfer stiegen sie behände nach oben. Aber die Kelten hatte lange Stangen bereitliegen, mit denen sie die Leitern von der Mauer wegdrücken und umstoßen konnten. Die Männer auf der Leiter hatten keine Chance und stürzten zu Tode.
Mors hielt grausame Ernte; unersättlich in ihrer Gier holte sie sich Kelten und Römer und die Krieger der Verbündeten Roms.
Jugurtha, seine Offiziere und ich beobachteten alles aus sicherer Entfernung. Die Pferde unserer Krieger waren gesattelt und gezäumt und jeder unserer Männer befand sich bei seinem Pferd. Unsere Reiterei wäre innerhalb weniger Sekunden marschbereit gewesen.
Aber die Tore und Mauern der Stadt hielten stand, die Legionäre, die von den Belagerungstürmen aus auf die Stadtmauer gelangten, wurden regelrecht abgeschlachtet. Die Kelten kämpften mit dem Mut der Verzweiflung, ihre Frauen, Kinder und Alten löschten eifrig die Brandherde in der Stadt, und ich begann mich zu fragen, wessen Götter die Stärkeren waren; die der Römer, oder die der Kelten.
Stunde um Stunde verstrich, vor der Stadtmauer häuften sich die Toten, ihr Blut tränkte die Erde, dazwischen standen die Gerippe verbrannter Belagerungstürme und Rammböcke. Brenzliger Geruch hing in der Luft und Schwärme von Fliegen stürzten sich auf blutigen Leichen.
Und das gegenseitige Abschlachten nahm kein Ende. Mors war allgegenwärtig.
„Ich habe es geahnt“, murmelte Jugurtha immer wieder. „Aber ich habe Scipio gewarnt. Warum sollte diesem Angriff Erfolg beschieden sein, nachdem alle anderen Angriffe vorher scheiterten? Nur weil Scipio und Marius von der Idee, die Stadt endlich einzunehmen, besessen sind?“
Was sollte ich darauf antworten? Er hatte recht, und mein Schweigen war nichts anderes als eine Bestätigung seiner Aussage. Es war der Irrsinn brutalster Gewalt – der Tribut, den Scipio seinem Geltungsbedürfnis zu zollen hatte, war ein hoher, und ich begann mir schon auszumalen, wie er als in Ungnade gefallener Heerführer degradiert, nackt und mit gefesselten Händen – wie einige Jahre zuvor Hostilius Mancinus -, vor dem Haupttor Numantias stand und darauf wartete, dass ihn sich die Kelten holten, um ihm ein schändliches Ende zu bereiten, indem sie ihn ihren Göttern opferten.
Die Dunkelheit kam, die Fanfaren erschallten und die Kampfhandlungen wurden eingestellt. Die Männer, die den ganzen Tag gekämpft und getötet hatten, zogen sich blutend und am Ende ihrer Kräfte zurück und suchten ihre Lagerplätze auf.
Ein Bote Scipio Aemilianus’ erschien in unserem Lager und forderte Jugurtha auf, zur Lagebesprechung bei dem römischen Feldherrn zu erscheinen. Jugurtha gebot mir, ihn zu begleiten. Als wir das Zelt Scipios betraten, herrschte dort eine fast fiebrige Unruhe. Einer der hohen Offiziere, ein Tribunus militaris, rief: „Soeben haben unsere Späher gemeldet, dass Rhetogenes mit einem Keltenheer von Nordosten her im Anmarsch ist.“
Mir entging nicht Jugurthas Betroffenheit. Er warf mir einen geradezu entsetzten Blick zu. Um seine Fassungslosigkeit zu überspielen fragte ich: „Wie weit ist dieses Keltenheer noch entfernt? Und – wie stark ist es?“
„Zweieinhalb Tagesmärsche“, antwortete der Tribun. „Bezüglich der Truppenstärke konnten die Späher keine Auskunft geben. Sie waren von der Vorhut der Kelten aufgestöbert worden und mussten fliehen.“
Scipio rief grollend: „Die Maßnahmen, die du eingeleitet hast, Jugurtha, um zu verhindern, dass uns Rhetogenes mit einem schlagkräftigen Heer in den Rücken fällt, waren scheinbar nicht ausreichend.“
Der Vorwurf in seiner Stimme war nicht zu überhören. Es klang wie eine Anklage.
Jugurthas dunkle Augen funkelten ärgerlich und sein Gesicht mutete nach der Rüge wie versteinert an. Doch er hielt sich eisern unter Kontrolle und stieß hervor: „Vielleicht habe ich Fehler gemacht, mein Feldherr. Gib mir Gelegenheit, sie wieder auszumerzen, und lass mich mit meinen Kriegern Rhetogenes und seinem Heer entgegenreiten.“
„Du kennst die Truppenstärke nicht“, gab Marius zu bedenken.
„Wir werden ihren Vormarsch zum Stoppen bringen“, versicherte Jugurtha, „und sie festnageln. Sollten sie uns derart überlegen sein, dass wir uns nicht auf den Kampf mit ihnen einlassen können, dann werde ich dich um Verstärkung bitten, mein Feldherr.“
„Ein guter Vorschlag“, lobte Marius.
Scipio kaute auf seiner Unterlippe herum und fixierte Jugurtha mit unergründlichem Blick. Schließlich nickte er: „Ja, das finde ich auch. Doch solltest du dieses Mal jedweden Fehler vermeiden. Ich muss dir sicher nicht sagen, dass wir uns in dieser Situation keine Fehler leisten können.“
In seinen Worten hatte eine nicht zu überhörende Drohung gelegen.
Wir brachen am frühen Morgen des folgenden Tages auf und ritten zwei Tage nach Nordosten. Die Nacht verbrachten wir zwischen Felsen. Nachdem wir am Morgen des dritten Tages aufgebrochen und etwa anderthalb Stunden geritten waren, kamen zwei Krieger unseres Spähtrupps zurück, der sozusagen unsere Vorhut bildete.
„Wir haben das – Heer gesehen“, meldete einer der Männer, nachdem wir angehalten hatten und die beiden Späher Jugurtha ehrfurchtsvoll gegrüßt hatten. Er hatte seiner Stimme einen ziemlich spöttischen Klang verliehen.
Es war Jugurtha nicht verborgen geblieben. Er kniff die Augen etwas zusammen. „Was hat es mit dem Heer auf sich?“
„Es ist ein bunt zusammengewürfelter Haufen Halbwüchsiger, und es handelt sich allerhöchstens um vierhundert Mann. Rhetogenes führt sie an. Man kann ihn leicht erkennen unter der Schar, die ihm folgt. Denn er ist der einzige, dem ein Bart gewachsen ist.“
Der Bote grinste fast belustigt.
„Wie weit sind sie noch entfernt?“, fragte ich.
„Sie werden in einer Stunde etwa hier sein.“
„Führt uns“, stieß Jugurtha entschlossen hervor. „Wir legen ihnen einen Hinterhalt und zwingen sie, die Waffen zu strecken. Und dann bringen wir das – hm, Heer zu Scipio.“
„Wenn das wirklich alles ist, was Rhetogenes auf die Beine zu stellen in der Lage war“, sagte ich, „dann wird das Avarus sicherlich zum Nachdenken anregen. Und wenn er begreift, dass er von außen keine Hilfe mehr zu erwarten hat, gibt er vielleicht auf.“
Die beiden Späher zerrten die Pferde herum und ritten an. Jugurtha gab den Befehl, den Marsch fortzusetzen. Rund um eine staubige Senke, durch die Rhetogenes mit den rekrutierten Männern kommen musste, verbargen sich schließlich unsere Leute, nachdem wir etwa eine halbe Stunde marschiert waren. Unsere Reiterei bestand aus fünf Hundertschaften, und so waren wir den Kelten allein schon zahlenmäßig überlegen. Ganz zu schweigen von der Kampferfahrung. Denn das, was sich uns näherte, waren – wenn man den Spähern glauben durfte – alles andere als kampferprobte Krieger. Sie waren wohl kaum den Kinderschuhen entwachsen.
Unsere Geduld wurde auf keine allzu lange Probe gestellt, dann kam die Vorhut der Kelten, eine Gruppe von etwas zwanzig Reitern, und wenig später zog der Rest des Heeres, angeführt von einem älteren Krieger, in die Senke. Die Hufe der Pferde rissen kleine Staubwolken in die Luft. Das Pochen der Hufe, das sich zu einem monotonen Rumoren vermischte, rollte vor ihnen her. Schließlich befand sich das gesamte Heer in der Mulde, um die herum wir auf den Anhöhen unsere Reiter im Schutz der Felsen postiert hatten.
Die Bewaffnung der Jünglinge war mehr als dürftig. Die einen trugen Schwerter, andere lediglich einen Speer. Schilde waren fast überhaupt nicht zu sehen. Ebenso wenig trugen die Burschen Kettenhemden beziehungsweise Panzer oder Helme.
Diese halben Kinder in einen tödlichen Kampf gegen tausende von römischen Legionären zu führen war lächerlich und verantwortungslos. War es diesem Rhetogenes denn egal, dass er sie in den sicheren Tod führte?
Ich dachte nicht länger darüber nach. Sie waren unsere Feinde, und ihnen Gefühle wie Mitleid oder Nachsicht entgegenzubringen, wäre fehl am Platz gewesen.
Jugurtha stieß einen Pfiff aus, der sich fortpflanzte und durch die Reihen unserer Reiter ging, bis ihn auch der letzte Krieger erreicht hatte. Es war das Zeichen, in Erscheinung zu treten. Unsere Leute trieben ihre Pferde aus der Deckung der Felsen. Viele hielten die Bogen schussbereit, andere ihre Speere, einige hatten auch nur die Schwerter gezogen. Für die Kelten musste es ein erschreckendes Bild von vernichtender Stärke und tödlicher Entschlossenheit sein, das sich ihnen bot.
Der Zug in der Senke kam zum Stehen, aufgewirbelter Staub senkte sich auf die Erde zurück.
Die Kelten waren eingekreist. Unwillkürlich griff Rhetogenes nach dem Langschwert an seiner linken Seite. Seine Rechte verkrampfte sich um den Griff der Waffe, sein unruhiger Blick schweifte über die Kämme der Anhöhen ringsum. Dabei drehte er sein Pferd auf der Stelle.
Bei den Kelten wurden Rufe laut, in den Zug geriet Unordnung, manche der Jünglinge griffen zu den Waffen.
Jugurtha wandte sich an die kleine Gruppe von Kriegern, die so etwas wie unsere Leibwache bildete. Er rief drei Namen, die Männer trieben ihre Pferde nach vorn und vernahmen Jugurthas Befehl: „Fordert Rhetogenes in meinem Namen und im Namen Roms auf, die Waffen kampflos zu strecken. Und erklärt ihm, dass er keine Zeit hat, über meine Forderung nachzudenken. Entweder bedingungslose, unverzügliche Kapitulation – oder wir schicken ihn und all diese jungen Leute in dieser Mulde in den Tod.“
Die drei Reiter setzten ihre Pferde in Gang und galoppierten in die Senke. Rhetogenes wandte sich ihnen zu und zog mit einem Ruck sein Schwert. Dann trieb er sein Pferd an und ritt den drei Parlamentären Jugurthas entgegen.
Ich warf einen schnellen Seitenblick in Jugurthas Gesicht und mir entging nicht die Anspannung, die jeden seiner Züge prägte.