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AUCH EIN MILLIARDÄR BRAUCHT LIEBE von LEE, MIRANDA Liebe? Heiraten? Nichts für Milliardär Alex Kotana! Dafür genießt er sein Junggesellenleben viel zu sehr. Auch mit seiner hübschen Assistentin Harriet will er jetzt nicht mehr als eine leidenschaftliche Nacht im Luxushotel verbringen. Doch dann erfährt er von den süßen Folgen … SINNLICHE BLICKE AUS SAPHIRBLAUEN AUGEN von SHAW, CHANTELLE Die sinnlichen Küsse des geheimnisvollen Brasilianers Diego Cazorra sind so verlockend wie verboten für Clare. Denn sie hat sich als Nonne verkleidet, um ihre entführte Schwester zu retten. Da kann sie wohl schlecht eine Liebesaffäre beginnen! Sosehr sie Diego auch begehrt … KÜSS MICH IMMER WIEDER! von GREEN, ABBY Hoteltycoon Zac Valenti fühlt sich unwiderstehlich zu der atemberaubend schönen Fremden hingezogen, die er auf einem New Yorker Maskenball trifft. Aber kaum hat er sie geküsst, verschwindet sie spurlos wie Cinderella - und Zac muss fürchten, dass sie eine Hochstaplerin ist! VERFÜHRT UNTER GRIECHISCHEN STERNEN von WINTERS, REBECCA Der gut aussehende griechische Millionär Vasso Giannopoulos ist der faszinierendste Mann, der Zoe je begegnet ist. Doch während sie sich nach einer Nacht in seinen Armen eingesteht, dass sie unrettbar ihr Herz an ihn verloren hat, scheint er nur Mitleid für sie zu empfinden, oder? IV. Indexseite:
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Seitenzahl: 705
Miranda Lee, Chantelle Shaw, Abby Green, Rebecca Winters
JULIA EXTRA BAND 426
IMPRESSUM
JULIA EXTRA erscheint in der HarperCollins Germany GmbH
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIA EXTRABand 426 - 2017 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg
© 2016 by Miranda Lee Originaltitel: „The Billionaire’s Ruthless Affair“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London in der Reihe: MODERN ROMANCE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Valeska Schorling
© 2016 by Chantelle Shaw Originaltitel: „Master of Her Innocence“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London in der Reihe: MODERN ROMANCE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Dorothea Ghasemi
© 2016 by Abby Green Originaltitel: „An Heir to Make a Marriage“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London in der Reihe: MODERN ROMANCE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Bettina Röhricht
© 2015 by Rebecca Winters Originaltitel: „A Wedding for the Greek Tycoon“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London in der Reihe: ROMANCE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Dr. Susanne Hartmann
Abbildungen: Harlequin Books S.A., Creatas Images / Thinkstock, alle Rechte vorbehalten
Veröffentlicht im ePub Format in 01/2017 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783733708016
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, ROMANA, HISTORICAL, MYSTERY, TIFFANY
Eine Affäre mit ihrem Playboyboss Alex? Nichts für Harriet! Egal wie sexy sie ihn findet, sie muss ihm widerstehen. Sonst verliert sie nachher nicht nur ihr Herz, sondern womöglich auch noch den Job!
Ein Blick in Clares saphirblaue Augen, und Diego Cazorra gerät sofort in Versuchung. Doch er muss sich zügeln! Als Nonne ist Clare selbst für einen Frauenhelden wie ihn tabu. Was jetzt?
Rose schmilzt dahin, als sie in Zac Valentis Armen über die Tanzfläche des Ballsaals schwebt. Dabei weiß sie doch: Sobald Zac herausfindet, wer sie ist, wird er sie nur noch verachten!
Erst weckt die junge Zoe bloß Vassos Beschützerinstinkt. Doch als er ihr die schönsten Seiten seiner griechischen Heimat zeigt, kommt er ihr bald nahe wie keiner Frau vor ihr. Ist es etwa Liebe?
Eigentlich müsste ich besser drauf sein, dachte Alex, als er mit seinem Kaffeebecher auf die Terrasse seines Penthouse ging. Er erschauerte in der kühlen Morgenluft. Es würde jedoch bald wärmer werden, denn die Sonne ging bereits auf. Der Winter in Sydney war ein Picknick, verglichen mit dem in London. Er war froh, wieder zu Hause zu sein, aber aus irgendeinem Grund nicht wirklich glücklich.
Ich bin ein Idiot, dachte er, während er die Skyline der Stadt betrachtete. Schließlich hatte er alles erreicht, was er sich je vorgenommen hatte. Mit nur vierunddreißig Jahren hatte er genug Geld, um alle Wohltätigkeitsprojekte fördern zu können, die ihm am Herzen lagen.
Nach seinem Rhodes-Stipendium an der Universität von Oxford hatte er vor mehr als zehn Jahren ein Unternehmen in London gegründet – zusammen mit seinen zwei besten Freunden aus Oxford. Damals hatten sie eine völlig heruntergekommene Weinbar gekauft und damit den Grundstein für einen internationalen Konzern gelegt. Aus der einen Weinbar waren zwei geworden, dann drei, zehn und schließlich ein Franchise-Unternehmen.
Sergio war derjenige gewesen, der die Idee dazu gehabt hatte.
Zum ersten Mal an diesem Morgen musste Alex lächeln, wie immer, wenn er an Sergio dachte. Genauso ging es ihm bei Jeremy, so unterschiedlich die beiden auch waren. Sergio nahm das Leben manchmal viel zu ernst, während Jeremy … Großer Gott, wie sollte man ihn am besten beschreiben? Manche bezeichneten ihn als Playboy, doch Alex wusste, dass Jeremy im tiefsten Innern hochanständig, großzügig und loyal war, auch wenn er mehr Charme und Geld hatte, als gesund für ihn war. Und jetzt war er sogar noch reicher, nachdem der Verkauf ihres Franchise-Unternehmens sie alle zu Milliardären gemacht hatte.
Alex’ Lächeln erlosch, als ihm bewusst wurde, dass dieser Verkauf ihren engen Kontakt zerstört hatte. Er zweifelte nicht daran, dass sie Freunde bleiben würden, aber es würde nicht mehr so sein wie früher, als sie sich regelmäßig in London gesehen hatten. Sergio war inzwischen nach Mailand zurückgekehrt, um sich um die krisengeschüttelte Firma seiner Familie zu kümmern, während Alex keinen Grund mehr hatte, nach England zurückzukehren.
Aber so war das Leben nun einmal. Die Dinge veränderten sich ständig.
Er warf einen Blick auf die Armbanduhr. Schon fast acht. Er würde zu spät zur Arbeit kommen, etwas, das ihm eigentlich so gut wie nie passierte.
Harry fragte sich bestimmt schon, wo er steckte. Hoffentlich war sie wegen seiner schlechten Laune gestern nicht sauer auf ihn. Nicht, dass sie ihm das übel genommen zu haben schien. Sie war zwar noch relativ jung, aber trotzdem die professionellste und vernünftigste Assistentin, die er je gehabt hatte.
Alex trank seinen Kaffee aus und ging in die Wohnung zurück, um seinen Becher in den Geschirrspüler zu stellen. Er griff nach seinem Handy und den Schlüsseln und ging zum Fahrstuhl. Als die Fahrstuhltür aufglitt, klingelte sein Handy. Alex lächelte, als er sah, dass Jeremy am Apparat war.
Wenn man vom Teufel spricht!
„Was für ein Zufall! Ich musste gerade an dich denken.“ Alex betrat den Fahrstuhl und drückte auf den Knopf für die Tiefgarage.
„Das ist ja beunruhigend“, antwortete Jeremy mit jener tiefen männlichen Stimme, die bei seiner Statur viele Menschen verblüffte. „Hast du nichts Besseres zu tun? Du solltest damit beschäftigt sein, noch mehr Millionen zu scheffeln. Oder vielleicht auch nicht, du gibst sie ja doch nur wieder weg.“
Alex grinste. „Hast du getrunken?“ In London musste es später Abend sein.
„Kann man wohl sagen. Ich bin auf einer Party. Einer Verlobungsparty genau genommen.“
Alex unterdrückte ein Stöhnen. Vermutlich heiratete mal wieder einer von Jeremys Brüdern – vielleicht sogar seine Mutter oder sein Vater. Die Gründe für Jeremys negative Einstellung zur Ehe waren nicht schwer zu erraten. Er glaubte nicht daran, dass Gefühle von Dauer waren.
Alex hatte auch nichts mit der Institution Ehe am Hut, aber nicht, weil er ein Skeptiker oder Zyniker war. Er glaubte an die große Liebe, vorausgesetzt, man fand die Richtige. Er hatte nur kein Interesse an einer Seelenverwandten, und zwar aus persönlichen Gründen, allen voran das Versprechen, das er seiner Mutter auf dem Sterbebett gegeben hatte.
„Gott hat dich aus einem ganz bestimmten Grund so intelligent gemacht“, hatte sie zu ihm gesagt. „Versprich mir, dass du deine Talente nicht verschwendest. Nutze sie für etwas Positives. Tu Gutes.“
Und genau daran hatte Alex sich gehalten. Doch ein hingebungsvoller Philanthrop zu sein kostete viel Zeit und Energie – da blieb einfach nicht genug für eine Ehefrau und eine Familie übrig. Und ehrlich gesagt, gefiel es ihm, Junggeselle zu sein. Er lebte gern allein, frei von emotionalen Verpflichtungen und vermeintlichem Gefühlschaos.
„Und? Wer kommt diesmal unter die Haube?“, fragte er Jeremy auf dem Weg zu seinem SUV. „Doch hoffentlich nicht deine Mutter?“ Sie hatte sich letztes Jahr von ihrem dritten Mann scheiden lassen, nachdem sie herausgefunden hatte, dass er mit seiner Personal Trainerin schlief.
„Nein, Gott sei Dank nicht. Es wird dich überraschen zu hören, wer es ist.“
„Ach ja?“, fragte Alex verdutzt. „Warte mal einen Moment, ich steige gerade in meinen Wagen. Bin auf dem Weg zur Arbeit.“ Alex ließ sich hinter das Lenkrad gleiten und stellte eine Bluetooth-Verbindung für sein Handy her. „Okay, jetzt läuft alles“, sagte er, während er rückwärts aus der Parklücke fuhr.
„Machst du eigentlich auch mal etwas anderes als arbeiten?“, fragte Jeremy trocken.
„Klar. Ich esse auswärts, treibe Sport und habe jede Menge Sex. Ähnlich wie du, mein Freund.“
„Bist du immer noch mit dieser Lisa zusammen, von der du mir erzählt hast – dem Mädchen mit dem nervigen Kichern? Oder hast du mittlerweile Schluss mit ihr gemacht?“
„Ja, sie ist passé“, bestätigte Alex stirnrunzelnd. Lisa war immer noch ein wunder Punkt für ihn. Er hatte ihr letzte Woche taktvoll beibringen wollen, dass es vorbei war, doch sie hatte tatsächlich die Nerven gehabt, ihm zuvorzukommen. Anscheinend hatte sie einen Job auf einem Kreuzfahrtschiff angenommen.
„Ich will nicht über Lisa reden“, sagte er kurz angebunden. „Jetzt verrat mir endlich, wer heiratet.“
„Halt dich fest: Es ist Sergio.“
„Was ist so überraschend daran? Er hat mir schon erzählt, dass er sich nach seiner Rückkehr nach Italien eine Frau suchen will. Auch wenn ich nicht so schnell damit gerechnet hätte.“
Jeremy lachte. „Wenn du wüsstest! Die Hochzeit ist schon in gut zwei Wochen.“
„Großer Gott! Wozu die Eile? Die Braut kann ja wohl kaum schwanger sein. Sergio ist erst seit ein paar Wochen in Italien.“
„Soweit ich weiß, ist Bella nicht schwanger.“
Alex trat so heftig auf die Bremse, dass der Fahrer im Wagen hinter ihm wütend hupte. Alex riss sich zusammen und zwang sich, ruhig weiterzufahren, um keinen Unfall zu verursachen. „Du solltest mir so was nicht erzählen, während ich im Auto sitze“, schalt er seinen Freund. Schließlich war Bella die Bella, berühmter Broadwaystar und Sergios frühere Stiefschwester. Sergio hatte seinen Freunden vor zwei Jahren gestanden, dass er schon immer scharf auf sie gewesen war.
Selbstverständlich hatten sie ihm beide geraten, sie sofort zu vergessen.
Und genauso selbstverständlich hatte er ihren Rat nicht befolgt.
„Glaub mir, ich bin ebenso schockiert wie du. Noch viel verstörender war jedoch, Sergios verrückte Obsession mit eigenen Augen anzusehen.“
„Wie meinst du das?“
„Ich wusste, dass Sergio in seiner Villa am Comer See ist, also habe ich gestern beschlossen, ihn an seinem Geburtstag zu überraschen und rüberzufliegen.“
„Oh Gott, sein Geburtstag! Den habe ich ja total vergessen.“
„Du vergisst Geburtstage immer. Wie dem auch sei, ich bin natürlich davon ausgegangen, dass Sergio allein ist. Er hat gesagt, dass er vor der Übergabe der Firma seiner Familie Urlaub machen will, aber anscheinend hatte ich ihn missverstanden, denn als ich ankam, war er in Mailand und stattdessen Bella in der Villa. Sie hat behauptet, unter einem Burnout zu leiden und Sergio deshalb gefragt zu haben, ob sie seine Villa mieten kann. Natürlich hat er sie ihr kostenlos überlassen.“
Alex biss die Zähne zusammen. „Also hat sie sich wieder in Sergios Leben geschlichen und ihn verführt?“
„Sergio sagt etwas anderes. Dass er sie verführt hat nämlich.“
„Klingt nicht nach Sergio.“
„Sehe ich genauso, aber anscheinend hat es sich so abgespielt. Und dann hat der arme Idiot sich in sie verliebt.“
„Erwidert sie seine Gefühle, oder ist sie genauso wie ihre Mutter?“ Bellas Mutter war eine eiskalte und berechnende Frau, die Sergios verwitweten Vater geheiratet hatte, um die Gesangs- und Tanzkarriere ihrer Tochter zu finanzieren, und sich von ihm hatte scheiden lassen, als Bellas Karriere ins Rollen kam. „Weiß Bella, dass er inzwischen Milliardär ist?“
„Keine Ahnung. Das hier ist das reinste Irrenhaus.“
Genervt verdrehte Alex die Augen. „Du musst doch einen Eindruck von ihr haben. Ob sie ehrlich ist oder nicht.“
„Tja, so ungewöhnlich das bei einem Zyniker wie mir auch klingen mag, aber ich glaube, sie ist tatsächlich in ihn verliebt.“
„Vergiss nicht, dass sie Schauspielerin ist“, erwiderte Alex scharf.
„Wer ist hier jetzt der Zyniker? Wie dem auch sei, die Hochzeit ist am einunddreißigsten Juli. Ich nehme an, dass Sergio dir bald Bescheid sagen wird. Er will uns als Trauzeugen, und ich habe ihm gesagt, dass wir uns geehrt fühlen. Wenn er dich also anruft, versuch, enthusiastisch zu klingen, denn er wird seine Meinung nicht ändern. Der Mann ist völlig verrückt nach Bella. Wir können jetzt nichts weiter für ihn tun, als für ihn da zu sein und hinterher die Scherben einzusammeln, falls alles in die Brüche geht.“
Alex bezweifelte, dass er Sergio von Australien aus eine Hilfe sein konnte, doch er wäre gern sein Trauzeuge. Plötzlich hatte er einen Kloß im Hals und konnte für einen Moment nicht reden, doch Gott sei Dank kam Jeremy ihm zuvor.
„Ich muss jetzt auflegen, Claudia sucht schon nach mir. Vergiss nicht, einen Flug zu buchen, und mime um Himmels willen Begeisterung, wenn Sergio dich anruft. Ciao.“ Jeremy legte auf.
Alex stöhnte bei der Vorstellung, Begeisterung vortäuschen zu müssen, wenn Sergio ihn anrief, doch er würde es tun – seinem Freund zuliebe. Das Schicksal spielte ihm wirklich einen üblen Streich mit Bella. Alex’ Meinung nach konnte diese Ehe nur in einer Katastrophe enden.
Einmal mehr sah Alex sich in seinem Entschluss bestärkt, sich nie zu verlieben und zu heiraten. Jemanden zu lieben und dann zu verlieren – entweder durch Tod oder Scheidung – kam für ihn nicht infrage. Niemals würde er riskieren, wie sein Vater zu enden oder das Opfer irgendeiner gerissenen Glücksritterin zu werden. Deshalb war er grundsätzlich nur mit Frauen zusammen, bei denen er sein Herz nicht aufs Spiel setzte. Frauen, die einfach nur etwas Spaß haben wollten.
Leider würde er in den nächsten zwei Wochen keine Zeit für Spaß haben, da er rund um die Uhr arbeiten musste – vorausgesetzt, er kam endlich in seinem verdammten Büro an. Arme Harry. Sie war bestimmt schon kurz davor, einen Suchtrupp loszuschicken.
Harriet machte es nichts aus, dass ihr Chef sich verspätete. Sie musste ihm nämlich etwas mitteilen, das sie ihm schon nach seiner Rückkehr aus London hätte anvertrauen sollen. Doch da war alles noch so frisch gewesen, dass sie bestimmt vor ihm in Tränen ausgebrochen wäre, und das wäre ihm unter Garantie genauso unangenehm gewesen wie ihr.
Inzwischen waren mehrere Tage verstrichen, ohne dass sie ihm gestanden hatte, dass sie nicht mehr mit Dwayne verlobt war. Seitdem geriet sie mehr und mehr unter Druck. Insgeheim hatte sie gehofft, dass ihrem Chef ihr fehlender Verlobungsring auffallen würde, aber für solche Details hatte Alex leider keinen Blick. Wenn er arbeitete, nahm er nichts anderes um sich herum wahr.
Es ärgerte sie jedoch, dass es auch sonst niemandem bei Ark Properties aufgefallen war, was jedoch ihre Schuld war. Sie pflegte zwar einen freundlichen Umgang mit den Mitarbeitern, traf sich jedoch niemals privat mit ihnen. Ihr Freundeskreis hatte nichts mit der Arbeit zu tun.
Und bis vor Kurzem hatte sie natürlich auch Dwayne gehabt, der sich immer beschwert hatte, wenn sie spät von der Arbeit nach Hause gekommen war.
Hoffentlich würde ihr plötzlicher Singlestatus nichts an ihrer guten Arbeitsbeziehung mit Alex ändern. Er war ein toller Chef. Sie mochte ihn sehr und hatte den Eindruck, dass auch er sie mochte.
Beim Vorstellungsgespräch letztes Jahr hatte sie sich erst keine Chancen auf den Job ausgerechnet, so skeptisch hatte Alex sie von Kopf bis Fuß gemustert. Vielleicht hatte er befürchtet, dass sie sich an ihn heranmachen würde; immerhin war er einer der begehrtesten Junggesellen Sydneys. Als er jedoch erfahren hatte, dass sie verlobt war, hatte sein Verhalten sich schlagartig geändert. Ihre Antworten mussten ihm gefallen haben, denn er hatte sie vom Fleck weg engagiert.
Natürlich war ihr Lebenslauf auch hervorragend – abgesehen von ihrem schlechten Highschoolabschluss. Alex hatte jedoch großzügig darüber hinweggesehen, nachdem sie ihm erklärt hatte, dass ihr Vater damals seinen Arbeitsplatz verloren und sie deshalb drei Jobs hatte annehmen müssen, damit ihre Familie über die Runden kam. Eine kleine Notlüge, wegen der sie jedoch keine Schuldgefühle hatte. Ihre Kindheit und Jugend gingen den Chef von Ark Properties nichts an.
Ihre Arbeitsmoral und ihre Karriere in der Immobilienbranche hatten ihn tief beeindruckt. Es hatte ihn noch nicht einmal gestört, dass sie bis dahin noch nie als Assistentin gearbeitet hatte. Er brauchte jemanden, der während seiner Abwesenheit das Büro übernehmen konnte, was wegen seiner geschäftlichen Verbindungen nach England bis vor Kurzem oft der Fall gewesen war. Er redete jedoch nicht viel darüber. Manchmal konnte er ganz schön geheimniskrämerisch sein.
Doch anscheinend waren diese Verbindungen jetzt beendet, und er blieb dauerhaft in Sydney. Harriet hätte sich darüber gefreut, wenn ihr das längst überfällige Gespräch mit Alex nicht so schwer im Magen liegen würde. Die Aussicht darauf machte sie so nervös, dass sie kaum noch schlafen konnte. Also hatte sie letzte Nacht beschlossen, endlich in den sauren Apfel zu beißen und Alex gleich am nächsten Morgen die Wahrheit zu sagen.
Beim Anblick von Alex’ immer noch leerem Büro stieß sie einen ungeduldigen Seufzer aus und ging in den Pausenraum, um den Wasserkocher anzustellen. Alex wollte nach seiner Ankunft im Büro immer einen Becher schwarzen Kaffee. Vermutlich würde er sie auch losschicken, um einen Bagel zu holen. Der Mann war süchtig nach Bagels! Vielleicht sollte sie mit ihrer Neuigkeit warten, bis er etwas im Magen hatte, denn vorher war er oft mies gelaunt.
Sie öffnete den Schrank und nahm eine der kleinen Dosen teuren Katzenfutters heraus, die sie dort aufbewahrte. Beim Schnappgeräusch des sich öffnenden Deckels schoss eine große Katze ins Zimmer und strich schnurrend um Harriets Beine.
„Hast du Hunger, Romany?“ Harriet gab das Futter auf eine Untertasse und stellte sie auf den Fußboden. Das Tier stürzte sich auf das Fressen wie ein Verhungernder.
„Sie verwöhnen dieses Viech.“
Beim Klang von Alex’ Stimme drehte Harriet sich überrascht um. Sie hatte ihn gar nicht reinkommen hören. Mit seinem dunkelblauen Anzug, der die Farbe seiner Augen betonte und einen Kontrast zu seinem hellen Haar bildete, sah er wie immer fantastisch aus. Sein Hemd war strahlend weiß, und er trug eine schicke blau silber gestreifte Krawatte.
„Sie haben gut reden“, gab sie zurück. „Darf ich Sie daran erinnern, dass Sie derjenige waren, der darauf bestanden hat, dass ich all diese teuren Katzenaccessoires kaufe?“
„Ich musste schließlich verhindern, dass meine Assistentin sich die Augen aus dem Kopf heult.“
„Das habe ich keineswegs.“
„Aber Sie waren kurz davor.“
Mag sein, dachte Harriet. Sie nahm die leere Untertasse, spülte sie gründlich ab und stellte sie weg, damit sich niemand vom Personal über den Geruch des Katzenfutters beschwerte. Nicht, dass das wahrscheinlich war, denn alle liebten Romany.
Nicht so Dwayne. Er hatte sich lauthals beschwert, als Harriet das arme Tier vor ein paar Monaten miauend unter ihrem Auto hockend gefunden und mit nach Hause genommen hatte. Er hatte darauf bestanden, dass sie das Tier gleich am nächsten Tag ins Tierheim brachte, was sie auch getan hatte – in der Hoffnung, dass sich ein gutes Zuhause finden würde.
Doch dazu bestand keine Chance, hatte man ihr versichert. Niemand wollte eine so alte Katze wie Romany. Da Harriet es nicht übers Herz gebracht hatte, sie einschläfern zu lassen, hatte sie sie mit zur Arbeit genommen, um sich zu erkundigen, ob sie jemand aufnehmen konnte. Als sich niemand gemeldet hatte, hatte Alex den Kater kurzerhand zum Büromaskottchen erklärt, sofort eine Katzenklappe zum Lagerraum installieren lassen und Harriet losgeschickt, um alles Nötige zu besorgen.
Seine Gutmütigkeit und Großzügigkeit hatten sie damals tief beeindruckt, vor allem weil sie in so krassem Gegensatz zu Dwaynes herzlosem Verhalten gestanden hatten. Sie bückte sich und nahm den Kater auf den Arm. Der Vorfall mit Romany war der Anfang vom Ende ihrer Beziehung mit Dwayne gewesen. Danach hatte sie ihn mit anderen Augen gesehen. Die rosarote Brille war definitiv weg gewesen.
Seine beharrliche Weigerung, Geld für wohltätige Zwecke zu spenden, war ohnehin schon ein wunder Punkt gewesen, genauso wie die Tatsache, dass er sich nicht an der Hausarbeit beteiligte. Als sie sich einmal bei ihrer besten Freundin Emily darüber beschwert hatte, hatte die nur gelacht und gesagt, dass Harry zu viel von Männern erwarte. „Sie wollen, dass wir uns um sie kümmern“, hatte sie erklärt. „Das ist genetisch. Sie sind die Beschützer und Versorger, während ihre Frauen für ein behagliches Zuhause sorgen.“
Harriet sah das anders. Sie wollte beides – einen interessanten Beruf und einen Ehemann, der sämtliche Punkte auf ihrer Mister-Right-Checkliste erfüllte. Dwayne hatte nur die ersten Punkte erfüllt, aber nicht den Rest. Sein Vorschlag, ein gebrauchtes Hochzeitskleid im Internet zu erstehen, hatte das Fass endgültig zum Überlaufen gebracht.
„Und? Hat das Wasser schon gekocht?“, riss Alex sie aus ihren nicht allzu angenehmen Gedanken.
„Ja, es müsste schon heiß sein.“
Sanft setzte sie die Katze auf den Fliesen ab und nahm zwei Becher aus dem Schrank. „Es ist eigentlich gar nicht Ihre Art, zu spät zu kommen“, fügte sie hinzu und versuchte ihr Bestes, ihren nervösen Magen zu ignorieren. Vielleicht würde sie Alex heute doch noch nicht von Dwayne erzählen …
„Ich habe verschlafen“, erklärte Alex. „Und der Verkehr war die reinste Katastrophe. Ich hätte übrigens gern einen Bagel zu meinem Kaffee.“
„Wird erledigt. Ach, und Alex …“, begann sie, bevor er die Chance hatte, das Zimmer zu verlassen. „Haben Sie kurz Zeit? Ich … also … ich muss mit Ihnen reden.“
Er seufzte. „Hören Sie, Harry, wenn Sie sich wegen gestern beschweren wollen, können Sie sich das sparen, okay? Es tut mir leid. Ich habe meine schlechte Laune an Ihnen ausgelassen, was unverzeihlich war, aber ich bin auch nur ein Mensch. Wenn Sie es genau wissen wollen – ich habe am Wochenende mit Lisa Schluss gemacht.“
„Ach.“ Harriet überraschte das nicht wirklich. Von den drei Frauen, mit denen Alex während des letzten Jahres zusammen gewesen war, hatte Lisa sie am meisten genervt. Nicht nur wegen ihres albernen Lachens, sondern auch, weil sie ständig unangemeldet im Büro vorbeigekommen war. Alex hatte das genauso wenig gefallen wie Harriet. „Das tut mir leid“, fügte sie etwas verspätet hinzu.
„Mir nicht. Nicht wirklich.“ Alex musterte sie scharf. „Sie wollen doch nicht etwa kündigen, oder?“
Ihr schockierter Gesichtsausdruck schien ihn zu beruhigen, denn sein Blick wurde sofort sanfter. Das bestätigte Harriets Eindruck, dass Alex es nicht mochte, wenn man ihm in die Quere kam. Sie hatte ihn zwar noch nie ernstlich wütend erlebt, vermutete aber, dass er sehr aufbrausend sein konnte, wenn ihm etwas gegen den Strich ging. „Nein, nichts dergleichen“, versicherte sie ihm hastig.
„Dann raus mit der Sprache, Harriet. Ich bringe schlechte Nachrichten immer gern hinter mich.“
„So schlimm ist es gar nicht.“ Es versetzte ihr einen kleinen Schreck, dass Alex sie plötzlich Harriet nannte. Sonst sprach er sie nur mit Harry an, was ihr gefiel. Der Spitzname hatte fast etwas Intimes und gab ihr das Gefühl, nicht nur Alex’ Assistentin, sondern auch seine Freundin zu sein. Doch offensichtlich hatte sie sich das nur eingebildet.
„Na ja, zumindest nicht für Sie“, fügte sie hinzu, während sie versuchte, die Traurigkeit zu ignorieren, die plötzlich in ihr aufstieg. Sie schluckte. „Die Sache ist die, Alex. Ich … ich habe meine Verlobung mit Dwayne gelöst.“
Im ersten Moment wirkte Alex schockiert, doch dann sah er Harriet voller Mitgefühl an.
Panik stieg in ihr auf, als sie spürte, dass ihr die Tränen in die Augen schossen.
„Tut mir leid, das zu hören, Harry“, sagte er sanft. „Wahnsinnig leid.“
Dass er sie wieder Harry nannte, gab Harriet endgültig den Rest. Jetzt konnte sie sich nicht länger beherrschen und brach in Tränen aus.
Alex’ Schock über Harriets Neuigkeit wurde von ihrem Tränenausbruch überschattet. Seitdem sie für ihn arbeitete, hatte sie nicht ein einziges Mal geweint, noch nicht mal ansatzweise, außer vielleicht wegen der Katze. Sie war der Inbegriff von Vernunft, Gelassenheit und Pragmatismus, auch unter starkem Druck. Sogar wenn er sie anfuhr – so wie gestern –, ignorierte sie ihn einfach und arbeitete weiter. Er bewunderte diese Haltung zutiefst.
Frauen, die bei jeder Gelegenheit in Tränen ausbrachen oder einen mit ihren Tränen manipulieren wollten, waren ihm zuwider. Seine Mutter hatte sich nie über irgendetwas beschwert oder geweint.
„Weinen bringt einen nicht weiter“, hatte sie ihren Kindern immer wieder eingebläut.
Sie hatte jedoch geweint, als sie erfahren hatte, dass sie unheilbar an Gebärmutterhalskrebs litt, weil man diese Krankheit nicht früh genug diagnostiziert hatte.
Denk nicht daran zurück, Alex. Konzentrier dich auf das Hier und Jetzt. Und hier vor dir steht deine sonst immer so gelassene Assistentin und weint sich die Seele aus dem Leib.
Alex blieb eine Weile unschlüssig in der Tür stehen. Wie hatte er nur vergessen können, dass Harry eine Frau und daher empfindsam war? Kurz entschlossen durchquerte er das Zimmer und nahm sie in die Arme. „Ganz ruhig“, sagte er sanft und strich ihr über das weiche braune Haar.
Sie schluchzte sogar noch lauter. Ihre Schultern zuckten, und sie presste die zu Fäusten geballten Hände an seine Brust. Romany miaute kläglich zu Alex’ Füßen. Offensichtlich spürte er, dass Harriet gerade traurig war.
„Hören Sie auf zu weinen“, sagte Alex unbeholfen. „Sie beunruhigen die Katze.“
Doch Harriet hörte nicht auf zu weinen, und Romany lief davon, dieser unsensible Deserteur. Alex wünschte, er könnte es genauso machen. Es war ihm nicht besonders angenehm, Harry im Arm zu halten. Mit unkontrollierbaren Emotionen konnte er nicht umgehen. Außerdem mochte er keine Berührungen. Er kam einer Frau nur nahe, wenn er mit ihr schlafen wollte.
„Oh! Sorry.“
Ruckartig wandte Alex den Kopf, als er Audreys überraschte Entschuldigung hörte. Audrey war seine vierzigjährige, geschiedene und zynische Empfangsdame. Ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, ging sie davon aus, dass zwischen ihrem Chef und seiner Assistentin gerade etwas Unanständiges lief. Er musste diese Fehleinschätzung im Keim ersticken, bevor irgendwelche Gerüchte die Runde machten.
„Harriet ist etwas durcheinander“, erklärte er schroff. „Sie hat ihre Verlobung mit Dwayne gelöst.“
Audrey hob die schmal gezupften Augenbrauen noch höher. „Tatsächlich? Was hat er ausgefressen?“
Genervt verdrehte Alex die Augen. Wie gefühllos von Audrey. Sie interessierte sich nur für die schmutzigen Details. Obwohl … wenn er es recht bedachte, würde auch er gern mehr erfahren. Er konnte sich nicht vorstellen, dass Dwayne untreu gewesen war, der Typ war er nicht. Nicht, dass Alex ihn gut kannte, er war ihm nur zweimal begegnet.
Harriets Verlobter hatte ihn, ehrlich gesagt, überrascht. Sie war eine sehr attraktive und hochintelligente Frau, während Dwayne nur … na ja, einfach nur gewöhnlich war, sowohl äußerlich als auch intellektuell. Alex hatte ihn ziemlich langweilig gefunden. Von einem Geschichtslehrer hätte er mehr erwartet, aber Dwayne schien sich nur für sein Gehalt und die Ferien zu interessieren. „Mehr Zeit zum Golfspielen“, hatte er erklärt.
Vielleicht hatte Harriet ja deshalb Schluss gemacht. Vielleicht hatte Dwayne mehr Zeit auf dem Golfplatz als im Bett mit seiner Verlobten verbracht. Wenn Alex mit Harriet verlobt wäre, würde er oft mit ihr schlafen. Sie in den Armen zu halten machte ihm wieder bewusst, was für eine tolle Figur sie hatte.
Als seine Lenden zu kribbeln begannen, beschloss er, Harriet loszulassen. Er trat einen Schritt zurück, nahm eine Handvoll Kosmetiktücher aus der Schachtel auf der Arbeitsplatte und hielt sie ihr hin. „Wischen Sie sich die Tränen ab.“
Sie gehorchte und putzte sich lautstark die Nase.
Alex drehte sich zu Audrey um. „Ich gehe jetzt mit Harriet Kaffee trinken“, teilt er ihr mit. „Wir werden eine Weile weg sein. Sagen Sie den anderen Bescheid?“
„Mach ich.“
„Ich … ich würde mich gern etwas frisch machen, bevor ich nach draußen gehe“, wandte Harriet ein.
„Kein Problem. Wir treffen uns in fünf Minuten am Fahrstuhl.“
Harriet holte ihre Handtasche und ging zur Damentoilette, die Gott sei Dank leer war. Als sie ihr gerötetes Gesicht und ihre geschwollenen Augen sah, stöhnte sie frustriert auf. Gut, dass sie tagsüber kein Augen-Make-up trug, sonst würde sie jetzt wie ein Waschbär aussehen.
Sie griff nach ein paar Papiertüchern und trocknete sich das Gesicht, bevor sie ihren Lippenstift auffrischte und sich das schulterlange braune Haar kämmte, das ihr wie ein glänzender Vorhang um die Schultern fiel. Ihr monatlicher Termin bei einem von Sydneys Topstylisten war wirklich jeden Cent wert, denn ihr Haarschnitt saß perfekt und ersparte ihr jeden Morgen und in Situationen wie dieser viel Zeit. Wenn Alex nämlich fünf Minuten sagte, meinte er fünf Minuten. Geduld gehörte nicht gerade zu seinen Stärken. Freundlichkeit jedoch schon. Und Mitgefühl. Er hatte beides Romany gegenüber gezeigt und jetzt auch bei ihr.
Eigentlich hätte sie sich gleich denken können, dass er so verständnisvoll reagieren würde.
Mit seiner Umarmung hätte sie allerdings nicht gerechnet, die hatte sie genauso überrascht wie ihr Tränenausbruch. Eigentlich war sie nicht besonders dicht am Wasser gebaut, aber ihre Zukunftsträume wurden ja auch nicht jeden Tag zunichtegemacht.
Wenn sie sich nach der Trennung von Dwayne ausgeweint hätte, wäre das alles vielleicht nie passiert, aber Harriet hatte ihre Gefühle einfach verdrängt und sich stattdessen überflüssige Sorgen wegen ihres Jobs gemacht. Als ob Alex so grausam wäre, sie zu feuern, nur weil sie plötzlich Single war!
Nach einem letzten prüfenden Blick in den Spiegel eilte Harriet zum Fahrstuhl. Alex wartete dort schon auf sie und musterte sie eingehend. Vermutlich wollte er sich vergewissern, dass sie sich wieder im Griff hatte, bevor er mit ihr Kaffee trinken ging. Sie lächelte ihm beruhigend zu, doch er erwiderte ihr Lächeln nicht.
„Geht es Ihnen jetzt besser?“, fragte er.
„Viel besser. Sie brauchen übrigens nicht mit mir ins Café zu gehen“, fügte sie hinzu, obwohl sie sehr gern mit ihm Kaffee trinken gehen wollte. „Wir können auch genauso gut ins Büro zurückgehen und dort einen Kaffee trinken.“
„Kommt gar nicht infrage. Audrey und die anderen können hier die Stellung halten.“
Die Fahrstuhltür glitt auf, und mehrere Angestellte strömten heraus.
„Und? Wann haben Sie sich getrennt?“, erkundigte sich Alex, als Harriet und er einstiegen.
„An dem Wochenende, als Sie aus London zurückgekehrt sind.“
Er warf ihr einen Blick über die Schulter zu, während er auf den Knopf für das Erdgeschoss drückte. „Warum haben Sie mir das nicht gleich erzählt?“ Bevor ihr eine passende Antwort darauf einfiel, fuhr er fort: „Wollten Sie sich vorbehalten, Ihre Meinung zu ändern? Oder Dwayne eine Chance geben, noch mal mit Ihnen zu reden?“
„Nein, wenn ich so eine Entscheidung erst mal getroffen habe, bleibe ich auch dabei. Dwayne hat sich ebenfalls nicht mehr gemeldet. Nach unserem letzten Streit war alles vorbei.“
„Das muss ja eine heftige Auseinandersetzung gewesen sein.“
„Das war es.“ Harriet lächelte schuldbewusst. Was würde Alex wohl sagen, wenn er wüsste, dass er der Auslöser dieses Streits gewesen war?
Alex musterte sie aus schmalen Augen. „Wollen Sie darüber reden?“
Sie sah ihn an und schüttelte den Kopf. „Ich glaube, das wäre keine gute Idee.“
„Ich finde schon.“ Als sich die Fahrstuhltür im Erdgeschoss öffnete, fasste er Harriet am Arm und führte sie durch die Lobby und die Drehtür auf die Straße. „Welches der beiden bevorzugen Sie?“, fragte er und nickte in Richtung der beiden Cafés, die den Eingang zu ihrem Gebäude flankierten.
Sie zeigte auf das Café zu ihrer Linken. „Da gibt es bessere Bagels.“
„Dann gehen wir da rein.“
Er suchte ihnen einen leeren Tisch am Fenster und bat Harriet, sich zu setzen, bevor er zum Tresen ging. Harriet fand es seltsam, ihn Schlange stehen zu sehen. Das tat er bestimmt nicht oft. Doch dann fiel ihr wieder ein, dass er nicht immer reich und erfolgreich gewesen war.
Vor ihrem Vorstellungsgespräch mit ihm hatte sie sich im Internet über ihn informiert, aber nicht viel gefunden. Am hilfreichsten war noch ein älterer Artikel in einem Männermagazin gewesen, in dem zu ihrer Überraschung gestanden hatte, dass Alex aus einer verarmten Einwandererfamilie stammte und in einer Sozialbausiedlung in einem Vorort von Sydney aufgewachsen war. Wegen seines überragend hohen IQs hatte er einen Platz auf einer Schule für Hochbegabte, später ein Universitätsstipendium und schließlich das Rhodes-Stipendium bekommen.
In dem Artikel wurde seine Laufbahn als Makler in Sydney geschildert, aber weder irgendwelche Geschäftsverbindungen nach England oder sein Privatleben erwähnt.
Harriet verdrehte genervt die Augen, als Alex vorn in der Schlange ankam und die sehr hübsche junge Brünette hinterm Tresen schamlos mit ihm flirtete, während sie seine Bestellung entgegennahm. Harriet irritierte das maßlos. Hatte Alex etwa schon einen Ersatz für die dämliche Lisa gefunden?
Sie bekam einen Schreck, als ihr bewusst wurde, wie sie gerade reagierte. War sie etwa eifersüchtig? Lächerliche Vorstellung! Auf wen denn? Und weswegen? Und vor allem: warum?
Verwirrt runzelte Harriet die Stirn. Hatte Alex’ Umarmung vorhin womöglich irgendwelche Gefühle in ihr freigesetzt, die sie immer schon gehabt, aber bisher erfolgreich verdrängt hatte? Sie konnte nicht abstreiten, dass es ihr gefallen hatte, in seinen Armen zu liegen.
Als er sich vom Tresen abwandte und auf sie zukam, sah sie ihn plötzlich mit ganz anderen Augen als sonst – mit denselben weit geöffneten Augen, mit denen sie Dwayne angesehen und ihm den Laufpass gegeben hatte.
Letzteres war bei dem Chef von Ark Properties leider nicht sehr wahrscheinlich. Er hatte alles, was eine Frau sich nur wünschen konnte … allerdings bei einem Freund, nicht einem Ehemann.
Also ignorier die Wirkung, die er auf dich hat, und sieh dich nach einem passenderen Lebensgefährten um. Alex Kotana wird das nämlich niemals werden!
Doch als er sich an ihren Tisch setzte, hörte sie sich zu ihrem Entsetzen spitz sagen: „Ich vermute, so was passiert Ihnen öfter?“
„Was denn?“
Harriet hätte sich am liebsten geohrfeigt. Schnell zwang sie sich zu einem belustigten Lächeln. „Die Brünette hinter dem Tresen hat sich Ihnen förmlich an den Hals geworfen“, erklärte sie betont locker.
Alex grinste. „Nicht wahr? Schade, dass sie nicht mein Typ ist.“
„Sie stehen nicht auf Brünette?“ Wenn Harriet es recht bedachte, waren seine letzten beiden Freundinnen Blondinen gewesen.
Alex hielt ihrem Blick eine ganze Weile stand, was ihr sehr unangenehm war. Hoffentlich merkte er ihr ihre Eifersucht nicht an, denn falls ja, würde er sie womöglich feuern, und diese Vorstellung war unerträglich. Ihr Job bedeutete ihr sehr viel. Er war interessant, abwechslungsreich und sehr gut bezahlt. Und jetzt, da Dwayne aus ihrem Leben verschwunden war, war sie mehr denn je auf ihn angewiesen.
„Sorry“, fügte sie hastig hinzu. „Ich sollte Ihnen nicht so persönliche Fragen stellen. Es geht mich schließlich nichts an.“
Alex zuckte die Achseln. „Kein Problem. Ich werde Ihnen nämlich jetzt auch eine oder zwei persönliche Fragen stellen.“
„Ach ja?“
„Kommen Sie schon, Harry, Sie können sich doch denken, dass ich wegen Ihrer Trennung von Dwayne neugierig bin. Nur deshalb bin ich mit Ihnen hierhergegangen. Ich will sämtliche schmutzigen Details erfahren.“
Harriet seufzte. „Es gibt keine schmutzigen Details. Nur ganz banale.“
„Dann ist Dwayne also kein heimlicher Trinker oder drogensüchtig?“
„Nein!“
„Sie sind nicht nach Hause gekommen und haben ihn mit Ihrer besten Freundin im Bett erwischt?“
Harriet musste lachen. „Großer Gott, nein!“
„Was, um alles in der Welt, hat der Mann denn dann verbrochen?“
Harriet wusste nicht, wie sie Alex das erklären sollte, ohne wie eine Verrückte dazustehen, aber sie musste es zumindest versuchen. Wenn Alex sich erst einmal in etwas verbiss, ließ er nicht so schnell locker.
„Er taugte einfach nicht zum Ehemann.“
„Ach so“, sagte Alex, als wisse er genau, wovon sie sprach. „Ich hätte eher gedacht, dass seine Passion für das Golfspiel dafür verantwortlich war.“
Verdutzt sah Harriet ihn an. „Ich hatte kein Problem mit Dwaynes Hobby. Obwohl es mir nicht gefiel, dass er sich ein teures Set Schläger gekauft hat und mir am selben Tag vorschlug, ein gebrauchtes Hochzeitskleid im Internet zu ersteigern.“
Alex hob die Augenbrauen. „Ach so“, wiederholte er wissend.
Harriet war erleichtert, dass ihr Chef sie zu verstehen schien. „Mein Vater war sehr knauserig“, hörte sie sich ihm zu ihrer Überraschung anvertrauen. „Ich habe mir daher schon als Teenager geschworen, niemals einen Geizhals zu heiraten.“
„Ich stimme Ihnen voll zu. Aber wussten Sie das bei Dwayne nicht schon von Anfang an?“
„Am Anfang war er nicht so. Er war sehr aufmerksam und hat mich in die besten Restaurants und tollsten Konzerte eingeladen.“
„Tja, ein Mann wie Dwayne muss eben sämtliche Register ziehen, um ein Mädchen wie Sie zu erobern. Und es ist ihm auch gelungen, oder? Sie haben sich in ihn verliebt und seinen Heiratsantrag angenommen. Doch kaum hatten Sie seinen Ring am Finger, hat er sich keine Mühe mehr gegeben, stimmt’s?“
„Genau.“ Harriet runzelte verwirrt die Stirn. „Was meinen Sie mit ‚ein Mädchen wie mich‘?“
Alex grinste schief. „Es muss ganz schön frustrierend gewesen sein herauszufinden, dass Ihr Traumprinz nichts weiter als ein Frosch ist. Ich will damit sagen, dass Dwayne Ihnen nicht das Wasser reichen kann, weder was Ihr Aussehen noch was Ihre Intelligenz und Persönlichkeit angeht. Er muss schon bei Ihrer ersten Begegnung gemerkt haben, dass er sich gewaltig anstrengen muss, um das Herz der schönen Harriet McKenna zu erobern. Aber der Idiot ist nicht am Ball geblieben, was häufiger passiert, wenn man außerhalb seiner Liga spielt.“
Harriet errötete heftig, als sie diese Komplimente hörte. Sie wusste jedoch nicht, ob Alex das wirklich ernst meinte. Er neigte manchmal dazu, Menschen mit seinem Charme einzuwickeln, allerdings eher Kunden und nicht sie.
„Was hat letztlich den Ausschlag gegeben?“, fragte Alex weiter. „Das Hochzeitskleid oder etwas anderes?“
„Die Sache mit dem Hochzeitskleid hat den Prozess beschleunigt, aber ich war schon länger nicht mehr glücklich. Dwayne war offensichtlich nicht der Mann, für den ich ihn anfangs gehalten habe. Jedenfalls anders als zu der Zeit, als ich mich in ihn verliebte. Er machte nichts mehr im Haushalt. Und er vernachlässigte mich.“
„Sie meinen, Ihr Sexleben hat gelitten?“
Harriet lachte verlegen. „Welches Sexleben?“
„Der Mann ist ein Idiot. Hat er denn wirklich geglaubt, dass Sie sich das alles gefallen lassen?“
„Keine Ahnung.“ Harriet seufzte. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass Alex seine Freundinnen im Bett vernachlässigen würde. Der Mann strotzte förmlich vor Testosteron. „Er hat jedenfalls nicht damit gerechnet, dass ich die Verlobung löse. Er wollte es erst gar nicht glauben. Als ich ihm die Gründe genannt habe, flippte er völlig aus und warf mir die absurdesten Dinge vor.“
„Was denn?“
Harriet zögerte. „Dass ich ihn nicht mehr liebe, weil ich mich in Sie verliebt habe. Als wäre ich so dämlich“, fuhr sie hastig fort, bevor Alex womöglich noch die falschen Schlüsse zog.
Die Ankunft der Brünetten mit dem Kaffee und den Bagels hätte nicht gelegener kommen können. Sie gab Alex die Gelegenheit, seinen Ärger über Harriets abfällige Bemerkung bezüglich Dwaynes Vorwurf zu verbergen. Ein ziemlich fragwürdiger Ärger, wenn man bedachte, dass er nicht wollte, dass eine Frau sich in ihn verliebte. Trotzdem war ihre Bemerkung nicht gerade schmeichelhaft!
Dass er der Kellnerin ein charmantes Lächeln zuwarf, war eher seinem verletzten Ego zuzuschreiben als der Absicht, ihr Hoffnungen zu machen. Sie war tatsächlich nicht sein Typ, dafür war ihr Interesse an ihm viel zu offensichtlich. Er bevorzugte unabhängige Frauen, die nicht vor ihm katzbuckelten und die es vor allem nicht auf sein Geld abgesehen hatten. Auf die Brünette traf das offensichtlich nicht zu.
„Kann ich noch etwas für Sie tun, Sir?“, fragte sie, nachdem sie den Kaffee und die Bagels auf den Tisch gestellt hatte. Sie hatte die Aufmerksamkeit voll auf ihn gerichtet und würdigte Harriet keines Blickes.
„Nein danke.“ Er widerstand dem Impuls, ihr ein Trinkgeld zu geben. Harriet wirkte auch so schon irritiert genug.
Als die Kellnerin ging, grinste Harriet ihn an.
„Ich weiß, ich weiß“, sagte er. „So etwas passiert mir ständig. Aber sie ist immer noch nicht mein Typ.“
„Dann hätten Sie vielleicht nicht mit ihr flirten sollen.“
Alex fiel es schwer, seinen Ärger zu verbergen. „Dann sollten Sie mir vielleicht verraten, warum Sie mich für so wenig liebenswert halten!“
Harriet blinzelte überrascht, bevor sie den Blick senkte und Zucker in ihren Kaffee rührte. Sie blickte wieder hoch. „Das habe ich nie gesagt, Alex. Ich habe nur erklärt, dass ich nicht so dumm bin, mich in Sie zu verlieben. Das ist etwas ganz anderes.“
Alex’ angekratztes Ego war nicht so leicht zu besänftigen. „Würden Sie mir das bitte näher erläutern? Warum wäre es dumm, sich in mich zu verlieben?“
„Abgesehen davon, dass ich Ihre Assistentin bin, meinen Sie?“, schoss sie zurück.
Alex musste zugeben, dass das ein ausgezeichneter Grund war. Es war nie klug, Geschäft und Vergnügen zu vermischen – ein Grundsatz, den er selbst gerade zu vergessen schien.
„Da haben Sie natürlich recht. Ist das der einzige Grund?“
Harriets abschätziger Blick irritierte ihn maßlos. So kannte er sie gar nicht. Bis heute war sie die perfekte Assistentin gewesen. Sie hatte sich weder beschwert noch ihn kritisiert, sondern klaglos jeden seiner Wünsche erfüllt und seine Anordnungen ausgeführt. Noch nie hatte sie ihn so prüfend angesehen wie jetzt. Das gefiel ihm nicht. Ganz und gar nicht.
Da war es ihm sogar lieber, wenn sie in seinen Armen weinte.
„Sie essen Ihren Bagel ja gar nicht“, stellte sie sachlich fest und rührte ihren Milchkaffee um. „Außerdem wird Ihr Kaffee kalt, und Sie mögen keinen lauwarmen Kaffee.“
„Ich mag es auch nicht, wenn man meine Fragen nicht beantwortet“, entgegnete er gereizt, griff nach seinem schwarzen Kaffee und funkelte Harriet wütend über den Rand seines Bechers hinweg an.
Harriet spürte, dass sie Alex verärgert hatte. Anscheinend hatte er ihre Bemerkung persönlich genommen. Es war ein Fehler von ihr gewesen, ihm von Dwaynes Vorwurf zu erzählen, aber jetzt war es zu spät. Irgendwie musste sie ihm erklären, wie sie das gemeint hatte, ohne seine Gefühle noch mehr zu verletzen.
Spiel das Ganze irgendwie runter, Mädchen. Dreh es so hin, dass du die Schuldige bist und nicht er. Und wiederhole bloß nicht das Wort „dumm“ in Zusammenhang mit ihm. Kein Wunder, dass er gekränkt ist!
„Die Sache ist die“, sagte sie betont locker. „Vor ein paar Jahren wurde mir bewusst, dass ich nicht mit einem bestimmten Typ Mann zusammen sein darf, wenn ich heiraten und Kinder kriegen will. Ich …“
„Und was für ein Typ Mann wäre das?“, unterbrach Alex sie.
„Na ja, Sie wissen schon. Ihr Typ.“
„Mein Typ?“
Oje, sie redete sich schon wieder um Kopf und Kragen. „Na ja, nicht genau Ihr Typ, Alex“, wiegelte sie unschuldig lächelnd ab. „Sie sind ziemlich einzigartig. Aber wie Sie wissen, arbeite ich seit meinem zwanzigsten Lebensjahr in der Immobilienbranche und war daher öfter mit Immobilienmaklern zusammen. Sie alle waren groß, gut aussehend und nicht um Worte verlegen, aber sie waren nicht gerade treu.“
„Ich verstehe.“ Nachdenklich schüttelte Alex den Kopf. „Fahren Sie fort.“
Harriet war erleichtert, dass Alex nicht mehr wütend zu sein schien. „Als ich dann siebenundzwanzig wurde, nahm ich mir vor, meine Zeit nicht mehr mit solchen Männern zu verschwenden. Also habe ich mich hingesetzt und eine Liste mit Eigenschaften erstellt, die ich mir bei einem Mann wünsche.“
„Eine Liste?“, wiederholte Alex überrascht und belustigt zugleich.
„Lachen Sie nur. Emily tut das ebenfalls.“
„Wer ist Emily? Ihre Schwester?“
„Nein, meine beste Freundin. Wir haben eine Weile zusammengewohnt. Ich habe Dwayne durch sie kennengelernt.“
„Ich habe mich schon gefragt, wo Sie beide sich begegnet sind. Ehrlich gesagt, fand ich noch nie, dass Sie gut zusammenpassen. Aber am Anfang muss er Ihren Vorstellungen ja entsprochen haben.“
Harriet seufzte. „Das dachte ich jedenfalls, bis er bei mir einzog und sein wahres Ich offenbarte. Es ist anscheinend unmöglich, einen Mann wirklich kennenzulernen, bevor man nicht mit ihm zusammenlebt. Dwayne hat jedenfalls die ersten drei Bedingungen erfüllt. Als ich die Liste machte, beschloss ich, nie wieder mit einem Mann auszugehen, der nicht mindestens die ersten drei Punkte erfüllt, um mich nicht wieder in die Falschen zu verlieben.“
Alex fand die Vorstellung, dass Harriet eine Liste hatte, was ihren künftigen Partner anging, tatsächlich urkomisch. Fragte sich nur, warum. Hatte er nicht selbst eine Liste im Kopf, wenn es um Frauen ging? Sie mussten Anfang zwanzig, hübsch und locker drauf sein. Er vermutete jedoch, dass Harriets Liste spannender war. Und erheblich komischer.
„Erzählen Sie mir mehr“, sagte er, während er versuchte, ernst zu bleiben.
„Versprechen Sie mir, dass Sie nicht lachen.“
„Ich verspreche es.“ Mühsam unterdrückte er ein Grinsen.
„Okay, die erste Anforderung ist, dass er nicht zu groß und nicht zu klein sein darf. Ich finde große Männer sehr attraktiv, habe aber festgestellt, dass sie oft arrogant sind, während kleine Männer nicht selten unter einem Napoleon-Komplex leiden.“
Alex wurde bewusst, dass er mit seinen Einsdreiundneunzig in die erste Kategorie gehörte. „Finden Sie mich arrogant?“, fragte er.
„Ein bisschen. Aber nicht unangenehm.“
„Na Gott sei Dank. Und was ist Anforderung Nummer zwei?“
„Er darf weder zu attraktiv noch zu hässlich sein.“
Tja … Harriet würde ihn bestimmt wieder in die erste Kategorie einordnen. „Und Nummer drei?“
„Nicht zu reich und nicht zu arm.“
„Okay.“ Also, damit schied er schon mal als Kandidat für Harriet aus. Nicht, dass er je etwas mit ihr anfangen würde, das wäre total verrückt.
Doch als er ihr in die großen braunen Augen sah, wurde ihm zu seinem Schreck bewusst, dass er genau das wollte. Etwas mit ihr anfangen … und vor allem mit ihr schlafen.
Ganz schlechte Idee, dachte er und stopfte sich den Mund mit Bagel voll, während er herauszufinden versuchte, wo dieses potenziell selbstzerstörerische Verlangen so plötzlich herkam. Schließlich erfüllte Harriet die Punkte seiner Liste genauso wenig wie er die ihrer!
Doch er brauchte nicht lange, um sich einzugestehen, dass er insgeheim schon mit ihr schlafen wollte, seitdem er sie vor zehn Monaten eingestellt hatte. Er hatte sich vom ersten Augenblick an zu der nervösen jungen Frau in dem engen schwarzen Kostüm über sehr weiblichen Kurven hingezogen gefühlt. Mit der akkuraten Hochsteckfrisur hatte sie auf den ersten Blick einen prüden Eindruck gemacht, doch ihr knallroter Lippenstift hatte ihr wahres Naturell verraten.
Also hatte er trotz ihres exzellenten Lebenslaufs beschlossen, sie auf keinen Fall einzustellen – bis er erfahren hatte, dass sie verlobt war, und er sich eingeredet hatte, dass er seine Hormone ignorieren konnte.
Was ihm auch gelungen war … bis heute.
Und es wäre ihm auch weiter gelungen, wenn sie nicht mit Dwayne Schluss gemacht hätte. Wenn sie nicht geweint und er sie in die Arme genommen hätte. Damit hatte er etwas in Gang gesetzt, das ihn jetzt in Versuchung führte, eine gravierende Dummheit zu begehen.
Gott sei Dank war es bisher nicht mehr als das: eine Versuchung. Das hieß noch lange nicht, dass er ihr erliegen musste. Oder sich der Demütigung von Harriets Zurückweisung aussetzen musste, weil er nicht nur ihr Chef war, sondern auch zu groß, zu attraktiv und zu reich. Er prustete los.
Vorwurfsvoll sah Harriet ihn an. „Sie haben mir versprochen, nicht zu lachen!“
„Sorry, aber ich kann nicht anders.“
„Wenn das so ist, verrate ich Ihnen nicht, was noch auf meiner Liste steht. Sonst kriegen Sie sich womöglich gar nicht wieder ein.“
„Da könnten Sie recht haben. Sparen wir uns den Rest also für ein anderes Mal auf. Jetzt sollten wir uns wieder an die Arbeit machen.“
Seufzend setzte Harriet sich wieder an ihren Schreibtisch und stellte den Computer an. Sie wollte nicht zurück an die Arbeit. Es hatte ihr Spaß gemacht, mit Alex Kaffee zu trinken, obwohl sie in ein Fettnäpfchen nach dem anderen getreten war. Es hatte ihr noch nicht einmal etwas ausgemacht, dass er über ihre Liste gelacht hatte, die zugegebenermaßen tatsächlich komisch war. So etwas war gut, um einem bewusst zu machen, was man wollte, in der Realität funktionierte das allerdings genauso wenig wie diese albernen Fragen, die man auf Dating-Websites ausfüllen musste, um seinen Traumpartner zu finden.
Nächstes Jahr wurde sie dreißig. Dann wurde es immer schwieriger, einen netten Mann zu finden, weil die Guten dann alle vergeben waren. Noch nicht mal durchschnittliche Männer wie Dwayne waren leicht zu finden. Vielleicht war es voreilig von ihr gewesen, mit ihm Schluss zu machen. Vielleicht hätte sie seine Fehler einfach übersehen und akzeptieren sollen, dass er nun mal nicht perfekt war …
Harriet grübelte immer noch darüber nach, als Alex aus seinem Büro schlenderte und sich auf die Kante ihres Gott sei Dank großen Schreibtisches setzte.
„Ich wollte noch ein paar Dinge besprechen, zu denen ich vorhin nicht gekommen bin“, sagte er. „Erstens möchte ich Sie bitten, mir für den neunundzwanzigsten Juli einen Flug nach Mailand zu buchen.“
„Mailand?“, wiederholte Harriet, obwohl es nicht ihre Aufgabe war, ihrem Chef Fragen zu stellen, sondern einfach zu tun, um was er sie bat.
„Ja, Mailand. Italien. Einer meiner besten Freunde aus Oxford heiratet am einunddreißigsten. Ich soll schon zwei Tage vorher da sein, damit man mich angemessen als Trauzeuge ausstaffieren kann. Der andere Trauzeuge befürchtet offensichtlich, dass ich sonst in Jeans und T-Shirt auftauche.“
Harriet blinzelte überrascht. Diese Vorstellung war absolut lächerlich. „Sie sind einer der bestangezogenen Männer, denen ich je begegnet bin.“
„Sie haben mich noch nicht in meiner Freizeit gesehen. Im Gegensatz zu Jeremy.“
„Jeremy?“
„Der andere Trauzeuge und wahrscheinlich der bestangezogene Wüstling Londons.“
Überrascht sah Harriet Alex an. „Ihr bester Freund ist ein Wüstling?“
„Gleich und Gleich gesellt sich eben gern.“
„Sie sind kein Wüstling“, widersprach sie. „Sie suchen sich nur die falschen Frauen aus. Ihre Beziehungen halten deshalb nicht, weil Sie sich zu schnell langweilen.“
Alex starrte Harriet verblüfft an. Sie hatte völlig recht. Seine Freundinnen langweilten ihn tatsächlich ziemlich schnell, aber genau das gab ihm ein Gefühl der Sicherheit. Sie ließen ihn emotional kalt. Wenn es vorbei war, berührte ihn das nicht. Trotzdem würde er zur Abwechslung gern mal ein vernünftiges Gespräch mit einer Frau führen.
Harriet hatte ihn heute Morgen im Café nicht gelangweilt. Er war nacheinander genervt, wütend, belustigt und schließlich … na ja, angetörnt gewesen. Eine ganze Palette von Emotionen und Empfindungen. Seitdem konnte er sich nicht auf seine Arbeit konzentrieren, sondern hatte einen Vorwand gesucht, sein Büro zu verlassen und wieder mit Harriet zu reden. Den Flug nach Mailand hätte er genauso gut selbst buchen können.
Anscheinend würde er es nicht schaffen, der Versuchung zu widerstehen, Risiko hin oder her. Außerdem hatte er das Gefühl, dass Harriet ihn nicht zurückweisen würde. Die sexuelle Anziehung zwischen ihnen beruhte auf Gegenseitigkeit, davon war er fest überzeugt, spätestens seit ihrer genervten Reaktion auf die flirtende brünette Kellnerin.
Alex zögerte jedoch, Harriet um ein Date zu bitten. Dafür war es noch zu früh. Die Trennung von Dwayne steckte ihr bestimmt noch in den Knochen, und außerdem war sie seine Assistentin – einer der vielen Gründe, die sie ihm genannt hatte, warum sie sich nicht in ihn verlieben wollte. Aber er interessierte sich nicht für ihre Zuneigung, sondern für ihren Körper. Ehrlich gesagt, legte er keinen Wert auf eine Beziehung mit ihr. Er wollte nur eine Affäre. Und zwar eine rein sexuelle.
Eigentlich müsste ihn das anwidern, doch er beruhigte sein schlechtes Gewissen damit, dass er Harry nie wehtun würde. Stattdessen würde er ihr etwas Spaß bieten. Aber wie sollte er ihr das vermitteln, ohne sie zu kränken?
Er beschloss, das Risiko einzugehen. Es war schon sehr lange her, dass er etwas riskiert hatte, und die Vorstellung war irgendwie erregend. Harriet erregte ihn.
Er suchte ihren Blick, um sich zu vergewissern, dass er ihre Reaktion im Café vorhin richtig gedeutet hatte. Ihr leichtes Erröten bestätigte seinen Verdacht.
„Die Italienreise könnte nicht ungelegener kommen“, sagte er und versuchte, besorgt dreinzublicken. „Ich muss mich eigentlich rund um die Uhr um den Golfplatz kümmern, wenn er bis Weihnachten eröffnet werden soll. Jemand sollte dort jede Woche nach dem Rechten sehen. Während meiner Abwesenheit müssen Sie das übernehmen, Harry.“
„Ich?“
„Ja, Sie“, beharrte er. „Ich habe Sie mit unseren Bauunternehmern telefonieren hören, wenn die uns Ärger machen. Sie können knallhart sein, wenn Sie wollen.“
„Gibt es dafür nicht Vorarbeiter?“
„Ja, aber auch der beste Vorarbeiter wird nachlässig, wenn der Chef weit weg ist. Wäre ich nicht regelmäßig zur Baustelle gefahren, würden wir jetzt noch weiter im Rückstand liegen als ohnehin schon. Ich will keine weiteren Verzögerungen riskieren.“
„Okay“, sagte sie zögernd.
„Ich dachte, wir könnten vielleicht diesen Freitag dorthin fahren, über Nacht bleiben und Samstag zurückkehren. Buchen Sie uns ein Apartment mit zwei Schlafzimmern in einem Fünf-Sterne-Hotel in Coffs Harbour, das liegt nur eine halbe Stunde vom Golfplatz entfernt. Möglichst mit Balkon und Meerblick. Und achten Sie darauf, dass es dort ein anständiges Restaurant gibt. Vielleicht sollten wir gleich bis Sonntag bleiben. Sie verdienen eine Pause, nach allem, was Sie durchgemacht haben.“
Harriet wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie war bisher erst einmal mit Alex verreist, um ein paar potenzielle Auftraggeber für den neuen Golfplatz zu treffen, doch damals hatten sie in unterschiedlichen Hotelzimmern übernachtet. Die Vorstellung, mit ihrem allzu sexy Chef ein Apartment zu teilen, und dann auch noch für zwei Nächte, machte sie … tja, was eigentlich?
„Panisch“ traf ihren Zustand am ehesten.
Bis zum heutigen Tag hätte Harriet Stein und Bein geschworen, dass Alex bei ihr nie einen Annäherungsversuch unternehmen würde, doch inzwischen hatte sich einiges verändert. Lisa war Vergangenheit, genauso wie Dwayne. Es gab da plötzlich diese Nähe zwischen ihnen, erst bei seiner Umarmung und dann im Café, wo sie einander Privates anvertraut hatten. Harriet wusste, dass Männer auf sie standen. Warum sollte ihr Chef eine Ausnahme sein?
Und dann war da sie selbst. Sie hatte sich immer schon blind zu Männern hingezogen gefühlt, die groß, gut aussehend und … na ja, megaerfolgreich waren – eine Schwäche, an deren Überwindung sie hart arbeitete. Außerdem war sie gerade sehr verletzlich, Alex war der Letzte, der ihr in dieser Situation guttun würde. Mit ihm in einem Apartment zu übernachten würde ihr nichts als Ärger bringen. Und sie brauchte keinen Ärger, sondern ihren Job.
Die Rate für ihre Wohnung war auch so schon kaum zu zahlen, jetzt, da sie allein war. Eine Affäre mit ihrem Chef war der direkte Weg in die Arbeitslosigkeit. Harriet hatte genug Lebenserfahrung, um zu wissen, wie so etwas endete.
„Danke für Ihr Angebot“, sagte sie so geschäftsmäßig wie möglich. „Aber ich kann nicht zwei Nächte lang wegbleiben. Emily kommt Samstag aus Bali zurück, und wir sind Sonntagmittag verabredet.“ Das war eine glatte Lüge. Emily war noch zwei Monate weg, aber Harriet brauchte eine glaubhafte Entschuldigung. Alex akzeptierte nicht gern ein Nein.
„Schade“, murmelte er und zuckte die Achseln. Seine gleichgültige Reaktion ließ darauf schließen, dass er doch keinerlei Hintergedanken hatte, was sie anging. Er wollte wahrscheinlich einfach nur nett sein. Anscheinend war ihre Fantasie mit ihr durchgegangen, als sie ihm unterstellt hatte, er wolle sie verführen – eine Aussicht, die sie erschreckend verlockend fand … und sehr schmeichelhaft.
Oje … Sie wünschte, er würde endlich von ihrem Schreibtisch aufstehen. Sie war sich seiner Nähe nämlich nur allzu bewusst … und seines sehr attraktiven männlichen Körpers.
Harriet nahm einen Kugelschreiber, um so zu tun, als wolle sie sich Notizen machen, damit sie Alex nicht ansehen musste. „Ich werde den Flug sofort buchen“, sagte sie. „Ich nehme an, Sie fliegen erster Klasse?“ Flüchtig hob sie den Blick.
Er lächelte ihr zu. „Natürlich.“
Als Harriets Herz einen Schlag aussetzte, befahl sie sich, immun gegen Alex zu sein. Doch sie hätte genauso gut versuchen können, die Gezeiten aufzuhalten. Warum, oh, warum nur war Alex auch so verdammt attraktiv? Seine Wirkung auf sie war vermutlich irgendetwas Archaisches. Als Frau fühlte sie sich eben grundsätzlich zu Alphamännern hingezogen, weil die Natur das nun einmal so eingerichtet hatte. Leider half ihr diese Erkenntnis jetzt auch nicht weiter.
„Wann fliegen Sie zurück?“, fragte sie kurz angebunden.
„Hm, keine Ahnung. Ich werde nach der Hochzeit vielleicht einen oder zwei Tage mit Jeremy in London verbringen, da ist jetzt Sommer. Wissen Sie was? Buchen Sie mir einfach einen Hinflug nach Mailand, den Rückflug organisiere ich mir dann später selbst.“
„Gut. Ich werde mich mal nach dem günstigsten Erste-Klasse-Ticket umsehen, aber zuerst buche ich das Hotel“, fuhr sie fort und tippte Hotelanlagen in Coffs Harbour in die Suchmaschine ihres Computers. „Hm … Meerblick, haben Sie gesagt? Mit Balkon? Jetzt im Winter bezweifle ich, dass wir viel Zeit auf dem Balkon verbringen werden.“
„Wahrscheinlich nicht“, räumte er ein. „Aber ich mag Apartments mit Balkonen. Sie sind meistens größer und heller.“
„Dann also mit Balkon. Ich habe hier etwas Passendes gefunden, das „Pacific View Resort“ südlich von Coffs Harbour. Für Freitagnacht ist dort eine Suite mit zwei Schlafzimmern, Balkon und Meerblick frei.“
„Und was wird dort noch angeboten?“
„Alles, was das Herz begehrt. Es gibt einen beheizten Swimmingpool, einen Fitnessraum und nicht nur eins, sondern zwei Restaurants – ein Bistro und eins à la carte.“
„Klingt gut.“
„Dann soll ich also buchen?“
„Auf jeden Fall. Ach, Harry?“, fügte Alex hinzu und stand vom Schreibtisch auf. Endlich. „Vielleicht wäre es besser, den anderen gegenüber nicht zu erwähnen, wo wir übernachten, vor allem nicht gegenüber Audrey. Sie zieht dann vielleicht die falschen Schlüsse, so wie heute Morgen, als sie gesehen hat, wie ich Sie umarmt habe. Wir wollen ja nicht die Gerüchteküche in Gang setzen, oder?“
„Niemals. Sie haben völlig recht, Chef. Ich schweige wie ein Grab.“
„Braves Mädchen“, lobte er sie und ging zurück in sein Büro.
Harriet musste fast lachen, denn plötzlich hatte sie gar keine Lust mehr, ein braves Mädchen zu sein. Sie wollte böse sein. Mit Alex.
Der Ausflug zum Golfplatz würde ihr bestimmt Spaß machen, wenn sie nicht diese völlig unangemessenen Gefühle für Alex hätte. Gott sei Dank schaffte sie es inzwischen, solchen selbstzerstörerischen Begierden zu widerstehen. Sie kannte jetzt ihre Schwächen, was das andere Geschlecht – und Sex – anging. Mit der Zeit würden ihre Gefühle nachlassen, und sie würde jemandem begegnen, der sie sowohl sexuell befriedigte als auch zumindest ein paar Punkte von ihrer Liste erfüllte – jemandem, der besser zu ihr passte als der Chef von Ark Properties.
Besagter Chef tauchte plötzlich wieder vor ihrem Schreibtisch auf. „Ich muss noch mal los, eine dringende Familienangelegenheit. Halten Sie hier bitte die Stellung, bis ich wieder zurück bin.“
Verwirrt sah Harriet ihm hinterher. Familienangelegenheit? Bisher hatte er seine Familie ihr gegenüber kaum erwähnt. Sie wusste nur, dass sein Vater noch lebte und er eine ältere Schwester mit zwei Kindern hatte. Harriet hatte nämlich für die beiden Weihnachts- und Geburtstagsgeschenke besorgt. Vielleicht sollte sie ihn während der langen Autofahrt am Freitag nach seiner Familie fragen.
Oder auch nicht.
Alex brauchte fast eine Stunde, bis er bei Sarah in North Rocks ankam. Der Verkehr wurde jedes Jahr schlimmer, ganz egal, wie viele neue Straßen gebaut wurden. Doch seine Frustration hatte nichts mit dem Verkehr zu tun.
Er sprang aus dem Wagen und ging an der Tür des Hauses vorbei, das er Sarah vor ein paar Jahren gekauft hatte – direkt zum Eingang der Einliegerwohnung, in der sein Vater wohnte. Oder vielmehr sein nichtsnutziger Trunkenbold von einem Vater, den Sarah, gutmütig wie sie war, bei sich aufgenommen hatte und der Alex mal wieder den letzten Nerv raubte. Er war nur hier, weil Sarah ihn darum gebeten hatte.
Sie wartete schon in der Tür auf ihn. Alex erschrak, als ihm die Ähnlichkeit mit ihrer Mutter auffiel. Beide Frauen waren zierlich und dunkelhaarig und hatten blaue Augen. Auch charakterlich ähnelte Sarah ihrer Mutter, unabhängig und pragmatisch wie sie war. Alex liebte sie sehr und würde alles für sie tun. „Wo ist er?“
„Auf dem Fußboden im Schlafzimmer.“ Sarah trat einen Schritt zurück, um ihn reinzulassen.
Alex fand den Anblick seines auf dem Rücken neben dem Bett liegenden Vaters unglaublich deprimierend. Er war nicht nur sturzbetrunken, sondern sah auch völlig verlebt aus. Der einstige blonde Hüne, von dem Alex sein gutes Aussehen geerbt hatte, war nur noch ein Schatten seiner selbst. Früher mal hatte Alex gut nachvollziehen können, warum seine Mutter sich auf den ersten Blick in ihn verliebt hatte, doch jetzt war nichts mehr an ihm attraktiv. Absolut nichts.
„Großer Gott.“ Kopfschüttelnd betrachtete Alex das menschliche Wrack zu seinen Füßen. „Was machen wir bloß mit ihm?“
„Es ist nicht seine Schuld, Alex“, verteidigte Sarah ihren Vater voller Mitgefühl. „Er hat mit dem Trinken angefangen, um zu vergessen, und jetzt kann er nicht wieder aufhören. Er ist Alkoholiker. Das ist eine Krankheit.“
„Dann soll er doch eine Entziehungskur machen.“ Alex wusste nicht mehr, wie oft er seinem Vater diesen Vorschlag gemacht hatte, doch bisher war er damit nur auf taube Ohren gestoßen. „Schade, dass wir ihn nicht zwangseinweisen lassen können.“
„Ich weiß, aber das funktioniert nun mal nicht. Er muss freiwillig gehen. Komm schon, hilf mir, ihn aufs Bett zu legen. Ich hätte das ja allein versucht, aber er ist mir einfach zu schwer, und ich will mir nicht wieder den Rücken verrenken.“
Alex runzelte die Stirn. „Du hast ihn schon mal allein hochgehoben?“
„Nur einmal. Du warst weg, und ich wollte Vernon nicht fragen.“ Vernon war Sarahs Mann, von dem Alex nicht viel hielt.
„Mach das nie wieder, Sarah. Ruf einen Krankenwagen, wenn es sein muss.“
Alex hob seinen Vater mühelos hoch und legte ihn aufs Bett. Der Alte regte sich etwas und schnarchte einmal laut auf, bevor er wieder wegdöste, den Mund weit gehöffnet. Sein Atem stank genauso wie er selbst. Er brauchte dringend ein Bad und dann eine klare Ansage. So konnte es nicht weitergehen. Das war Sarah gegenüber einfach nicht fair.
„Ich muss gleich zur Arbeit, Alex.“