Julia Gold Band 51 - Alexandra Sellers - E-Book

Julia Gold Band 51 E-Book

Alexandra Sellers

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Beschreibung

LIEBE - WIE IM MÄRCHEN von REID, MICHELLE Die Millionärstochter Evie und Scheich Raschid sind das Traumpaar der Boulevardpresse, ihre Familien allerdings finden diese Affäre äußerst unpassend - und kennen nur ein Ziel: Evie und Raschid müssen sich trennen! Aber so leicht lässt Evie sich ihr Glück nicht nehmen … DER PRINZ MIT DEN SANFTEN HÄNDEN von SELLERS, ALEXANDRA Clio Blake will von Liebe nichts mehr wissen. Wenn Prinz Jalal nur nicht so beunruhigend sinnlich wäre! Schließlich folgt sie ihren leidenschaftlichen Gefühlen und gibt sich Jalals Küssen hin. Nur warum flüstert er dabei "Zary"? Das ist doch der Name ihrer Schwester! PALAST DER TAUSEND WÜNSCHE von GORDON, LUCY Die Frauen liegen Scheich Ali Ben Saleem zu Füßen. Und dennoch beherrscht nur noch die umwerfende Alexis seine Gedanken. Um sie zu verführen, lockt er sie in seinen Traumpalast. Tatsächlich schmilzt Alexis in seinen Armen dahin - aber kann er auch ihr Herz gewinnen?

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Michelle Reid, Alexandra Sellers, Lucy Gordon

JULIA GOLD BAND 51

IMPRESSUM

JULIA GOLD erscheint in der Harlequin Enterprises GmbH

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: 040/60 09 09-361 Fax: 040/60 09 09-469 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Thomas BeckmannRedaktionsleitung:Claudia Wuttke (v. i. S. d. P.)Produktion:Christel BorgesGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© 1999 by Michelle Reid Originaltitel: „The Mistress Bride“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Deutsche Erstausgabe 2000 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg, in der Reihe: ROMANA, Band 1312 Übersetzung: Irmgard Sander

© 2000 by Alexandra Sellers Originaltitel: „Sheikh’s Honor“ erschienen bei: Silhouette Books, Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Deutsche Erstausgabe 2001 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg, in der Reihe: BACCARA, Band 1145 Übersetzung: Ursula Maria Röder

© 2000 by Lucy Gordon Originaltitel: „The Sheikh’s Reward“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Deutsche Erstausgabe 2001 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg, in der Reihe: ROMANA, Band 1379 Übersetzung: E. M. Simmet

Fotos: Harlequin Books S.A., Angelo Giampiccolo / Shutterstock

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIA GOLDBand 51 - 2013 by Harlequin Enterprises GmbH, Hamburg

Veröffentlicht im ePub Format in 07/2013 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

eBook-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 978-3-95446-762-4

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, ROMANA, HISTORICAL, MYSTERY, TIFFANY, STURM DER LIEBE

CORA Leser- und Nachbestellservice

Haben Sie Fragen? Rufen Sie uns an! Sie erreichen den CORA Leserservice montags bis freitags von 8.00 bis 19.00 Uhr:

CORA Leserservice

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07131 / 27 72 31

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www.cora.de

MICHELLE REID

Liebe – wie im Märchen

Evie hat ihren Traummann gefunden: den attraktiven Scheich Raschid Al Kadah. Aber ein dunkler Schatten schwebt über ihrer glücklichen Zukunft, denn beide Familien sind gegen diese Verbindung. Ausgerechnet auf der Hochzeit ihres Bruders erfährt Evie, dass ihr geliebter Raschid in seine Heimat zurückbeordert wurde, da er eine arabische Prinzessin heiraten soll…

ALEXANDRA SELLERS

Der Prinz mit den sanften Händen

Der gesamte Clan der Blakes heißt Prinz Jalal mit offenen Armen in Kanada willkommen – bis auf Clio. Bei jeder Gelegenheit zeigt sie ihm deutlich ihre Abneigung und scheint es kaum erwarten zu können, dass er nach dem Sommer wieder in sein Königreich zurückkehrt. Allerdings ist Jalal fest entschlossen, diese süße Wildkatze mit seinen sanften Händen zu zähmen!

LUCY GORDON

Palast der tausend Wünsche

Die junge Journalistin Alexis darf den pressescheuen Wüstensohn Ali Ben Saleem in sein Scheichtum Kamar begleiten. Doch statt ihr das versprochene Interview zu geben, bringt der Scheich sie in seinen luxuriösen Harem. Alexis schwankt zwischen Wut und Faszination. Sie spürt, dass es ihr schwerfallen wird, diesem unglaublich erotischen Mann zu widerstehen …

Liebe – wie im Märchen

1. KAPITEL

Es wurde allmählich spät. Schon fast zu spät, als dass man noch ausgehen konnte.

Trotzdem war Evie keine Verärgerung anzumerken, als sie am Fenster stand und auf die funkelnde nächtliche Silhouette von London blickte. Schließlich war es nichts Ungewöhnliches, dass ihr Geliebter sie warten ließ. Die Pflicht stand für ihn vor allem anderen in seinem Leben.

Das schloss auch seine Geliebte ein. Mochte sie auch noch so schön sein und ihm sehr viel bedeuten – wie er ihr immer wieder versicherte –, so wusste Evie doch, dass sie in seinem Leben stets hinter seinen Pflichten den zweiten Rang einnehmen würde. Also stand sie am Fenster des Salons in seinem luxuriösen Penthouse-Apartment wie eine kostbare Porzellanpuppe, eingehüllt in sinnliche weinrote Seide, und wartete. Seit einer Dreiviertelstunde wartete sie auf ihren Geliebten – ruhig, geduldig.

Zumindest hatte es den Anschein, denn ein strenges Elternhaus hatte sie gelehrt, nicht zu zeigen, was sie wirklich fühlte. Doch nur ein oberflächlicher Betrachter konnte ihre äußerliche Ruhe für bare Münze nehmen.

Scheich Raschid Al Kadah hätte sich nicht täuschen lassen, aber er war ja nicht da. Und die einzige Person, die versuchte, ihr Gesellschaft zu leisten, hob nur selten den Blick. Asim stand neben dem in weißem Marmor eingefassten Kamin, die Hände reglos vor der traditionellen Robe gekreuzt, und schwieg. Längst hatte er in kluger Einsicht jeglichen Versuch einer höflichen Konversation eingestellt, nachdem Raschids Verspätung ein unentschuldbares Ausmaß angenommen hatte.

Als Evie verstohlen einen Blick auf ihre zierliche goldene Armbanduhr warf, bemerkte Asim in der für ihn typischen sanften, diplomatischen Art: „Sicher wird er jetzt jeden Moment eintreffen. Manche Dinge sind leider unvermeidlich, wie zum Beispiel ein Anruf von seinem Vater.“

Oder ein Anruf aus New York, Paris oder Rom, ergänzte Evie insgeheim. Die Geschäftsinteressen der Al Kadahs waren breit gestreut und international. Und da Raschid als einziger Sohn seines Vaters seit einem Herzanfall des alten Herrn vor einem Jahr den Großteil der Verantwortung übernommen hatte, blieb ihm für Evie immer weniger Zeit.

Sie seufzte leise. Normalerweise hätte sie sich das in Anwesenheit eines anderen nicht erlaubt, doch an diesem Abend quälte sie ein drückendes persönliches Problem. Und das lange Warten machte es nicht leichter, zumal sie sich sowieso hatte überwinden müssen zu kommen. Denn sie wusste, dass es Raschid überhaupt nicht gefallen würde, was sie ihm zu sagen hatte.

Verdammt! dachte Evie und wollte sich gerade an die schmerzende Schläfe fassen, als am anderen Ende des Salons eine Tür geöffnet wurde. Sofort ließ Evie die Hand wieder sinken und ballte sie zur Faust. Ohne sich umzudrehen, spürte sie Raschids forschenden Blick in ihrem Nacken.

Scheich Raschid Al Kadah verharrte auf der Türschwelle seines verschwenderisch in Creme- und Goldtönen eingerichteten Salons und schätzte mit einem Blick die Stimmung der beiden Anwesenden ab. Evies betont kerzengerade, angespannte Haltung sprach für ihn Bände, und die Erleichterung seines Bediensteten bei seinem Anblick war ebenso offensichtlich.

Resigniert entließ Raschid Asim mit einer kleinen Kopfbewegung. Im Hinausgehen warf ihm sein kluger Diener einen warnenden Blick zu, der besagte: „Sie stecken in großen Schwierigkeiten, Scheich. Die Lady ist nicht erfreut.“

Langsam und zögernd drehte Evie sich zu Raschid um, was dieser als Zeichen ihrer Verärgerung missverstand.

Auch Raschid war nicht in bester Stimmung. Er hatte soeben eines der schlimmsten Telefongespräche mit seinem Vater hinter sich gebracht. Es war schon spät, und überhaupt schien sich plötzlich alles gegen ihn verschworen zu haben und sein ohnehin schon kompliziertes Leben gänzlich aus den Fugen zu geraten. Dennoch, als Raschid und Evie sich ansahen, schien für einen wundervollen Moment die Welt um sie her stillzustehen, und die Atmosphäre war von knisternder Erotik erfüllt. So war es von Anfang an zwischen ihnen gewesen.

Voller Stolz und Bewunderung ließ Raschid den Blick über Evie gleiten. Wie wunderschön sie doch war! Groß und gertenschlank und dennoch wohlgerundet an genau den richtigen Stellen, strahlte sie eine atemberaubende Sinnlichkeit aus. Ein makelloser Teint, der sich gegen die weinrote Seide ihres Kleides wie schimmernder Perlmutt abhob – und sich wie Samt anfühlte, was keiner so gut wusste wie er, Raschid. Langes goldblondes Haar, das ihr in glänzenden Kaskaden über die Schultern fiel und ihr zartes, hinreißend schönes Gesicht umrahmte: perfekt die zierliche, gerade Nase, verführerisch der herzförmige Mund und restlos betörend die klaren veilchenblauen Augen, deren Blick Raschid verriet, welch erregende Wirkung er wiederum trotz ihrer Verärgerung auch auf Evie ausübte.

Wie stets raubte ihr seine exotische, männliche Schönheit den Atem. Raschid war noch größer als sie, dazu breitschultrig und athletisch gebaut. Tiefschwarzes, modisch kurz geschnittenes Haar und ein samtener brauner Teint betonten sein markantes, unwiderstehlich attraktives Gesicht. Evie konnte sich gar nicht sattsehen an seiner schmalen, perfekt modellierten Nase, dem unglaublich ausdrucksvollen, sinnlichen Mund und den faszinierenden goldbraunen Augen, deren Blick sie förmlich einlud, sich ganz darin zu verlieren.

Ja, Evie und Raschid hätten gegensätzlicher nicht sein können: die zarte englische Schönheit und der dunkle Beduinenkrieger. Und doch waren sie nun schon seit zwei Jahren ein Paar, und die knisternde erotische Anziehung zwischen ihnen hatte seit dem ersten Moment ihrer Begegnung nichts von ihrer elementaren Heftigkeit eingebüßt. Andernfalls hätte ihre Beziehung die Missbilligung ihrer beiden grundverschiedenen stolzen Kulturen wohl kaum überlebt.

„Ich entschuldige mich.“ Raschid sprach zuerst, und seine Stimme war genauso warm und sanft wie der Blick seiner goldbraunen Augen. „Ich bin gerade erst aus meiner Botschaft zurückgekehrt.“

Was seine traditionelle Kleidung erklärte. Scheinbar kühl ließ Evie den Blick über die schlichte weiße Tunika schweifen, die er unter einer weiten dunkelblauen Robe trug. Allerdings hatte er sich die Zeit genommen, die arabische Kopfbedeckung abzulegen.

„Du bist richtig wütend auf mich.“ Es war eine Feststellung, keine Frage.

„Nein“, widersprach Evie. „Nur gelangweilt.“

„Ah, in der Stimmung sind wir also, ja?“ Raschid kam in den Raum und schloss die Tür hinter sich. „Was soll ich tun?“, erkundigte er sich betont höflich. „Dir die wunderschönen Füße küssen?“

Er liebte diese Art von Sarkasmus. Evie ließ sich nicht beeindrucken. „Im Moment würde ich es vorziehen, wenn du mir etwas zu essen besorgen würdest“, antwortete sie kühl. „Ich habe seit dem Frühstück nichts mehr gegessen, und jetzt ist es …“ Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. „… fast neun Uhr abends.“

„Du möchtest also doch, dass ich dir die Füße küsse.“

Evie war froh, dass es ihr offenbar gelungen war, ihre Angst und Verunsicherung vor ihm zu verbergen. Denn nun, da Raschid vor ihr stand, hatte sie plötzlich das Gefühl, noch mehr Zeit zu brauchen, bevor sie ihm sagen konnte, was sie ihm sagen musste. Kaum merklich zuckte sie kühl die Schultern, was Raschid mit einem kurzen Hochziehen der schwarzen Brauen quittierte – zwei scheinbar harmlose Gesten, die jedoch den Beginn einer unvermeidlichen Auseinandersetzung besiegelten.

Kein neuer Aspekt in ihrer Beziehung, sondern von Anfang an ein wesentlicher Teil davon. Genauso wie Evie sich weigerte, Raschids ausgeprägtem Ego zu schmeicheln, ließ er sich nicht davon beeindrucken, wenn sie die unnahbare Eisprinzessin spielte.

„Ich habe Verpflichtungen“, sagte er kurz angebunden.

„Ach ja?“

Seine Augen funkelten. „Ich kann nicht stets nach meinem Belieben über meine Zeit verfügen.“

„Es hat dir also nicht beliebt, mich fast eine ganze Stunde warten zu lassen?“, ahmte sie spöttisch seinen förmlichen Ton nach.

Raschid kam auf sie zu wie eine Raubkatze, die sich langsam und lautlos an ihr Opfer anschleicht. Seine Bewegungen waren von einer so wundervollen, natürlichen Anmut, dass Evie den Blick nicht von ihm abwenden konnte. Mit angehaltenem Atem beobachtete sie, wie er näher kam, und fühlte, wie das Blut heiß in ihren Adern pulsierte.

Das war der Grund, warum sie die Vorstellung, diesen Mann aufzugeben, nicht ertragen konnte! Raschid berührte etwas in ihr, was keinem Menschen je gelungen war.

Der herausfordernde Blick seiner goldbraunen Augen hielt sie in Bann, als Raschid sanft, aber unnachgiebig ihr Kinn umfasste. „Eine kleine Warnung“, flüsterte er. „Ich bin heute Abend nicht in Stimmung für Temperamentsausbrüche. Sei also klug, Darling, und hör auf, die Verstimmte zu spielen.“

„Aber ich bin verstimmt!“, trotzte Evie seiner Warnung. „Du behandelst mich wie einen Lakaien, und das gefällt mir nicht.“

„Weil ich ab und zu mal zu spät komme?“

„Du kommst öfter spät als früh“, entgegnete sie heftig.

Um seine Mundwinkel zuckte es amüsiert. „Und? Verzückt es dich nicht gewöhnlich, dass ich so spät komme?“, entgegnete er vielsagend.

Als Evie begriff, worauf er anspielte, entzog sie sich errötend seinem Griff. „Wir sprechen hier nicht von deinen Qualitäten als Liebhaber!“

Er seufzte theatralisch. „Wie schade!“

„Raschid!“ Sie warf ihm einen ärgerlichen Blick zu. „Ich bin nicht …“

In Stimmung dafür, hatte sie eigentlich sagen wollen, aber Raschid brachte sie mit einem Kuss zum Schweigen, wobei er sie in die Arme nahm und verlangend an sich presste.

Zu ihrer Schande musste Evie sich eingestehen, dass sie nicht einmal den Versuch machte, sich zu wehren, sondern sich willig an ihn schmiegte. Sie war einfach machtlos dagegen. Raschid entfachte in ihr eine Leidenschaft, die in den zwei Jahren, seit sie mit ihm zusammen war, nicht im Geringsten abgekühlt war. Zwei Jahre, in denen ihrer beider Familien ihre Beziehung mit unverändertem Missfallen beobachtet hatten und die Regenbogenpresse den Verlauf mit Argusaugen verfolgt hatte, immer im Hinblick auf die Frage, wer von ihnen beiden die Affäre schließlich beenden würde.

Denn jedem war klar, dass sie irgendwann würde enden müssen. Von dem einzigen Erben eines wohlhabenden Scheichtums erwartete man, dass er eines Tages eine Frau aus seinen Reihen heiraten würde. Evie wiederum hatte es sich bereits einmal mit ihrer Familie verdorben, als sie um Raschids willen den Antrag eines Marquis abgelehnt hatte. Dennoch wurde immer noch stetig Druck auf sie ausgeübt, das Richtige zu tun und innerhalb ihres Standes zu heiraten – mochte dieser Standesdünkel gemeinhin auch als noch so altmodisch und überkommen angesehen werden.

Doch gerade dieses Wissen, dass das Ende ihrer Beziehung früher oder später unausweichlich sein würde, entfachte ihre Leidenschaft füreinander nur noch mehr.

„Sollen wir also essen oder uns weiter bekämpfen?“, flüsterte Raschid zwischen heißen Küssen.

Wobei er mit ‚bekämpfen‘ natürlich ‚lieben‘ meinte, wie Evie sofort begriff, und sie musste nicht einen Moment überlegen, wonach sie sich in dieser Nacht sehnte. Sie brauchte ihn, brauchte ihn gerade heute Nacht so sehr! Sie brauchte seine Kraft, seine unwiderstehliche Sinnlichkeit, wollte sich ganz darin verlieren. Nur noch diese eine Nacht wollte sie so tun, als hätte sich nichts zwischen ihnen geändert … wollte sie die Frau sein, die er kannte, damit er für sie der Mann sein konnte, den sie so unendlich liebte.

Und was für ein Mann war er, ihr arabischer Geliebter! Ein Mann, der sie mit bloßen Blicken lieben konnte – was er genau in diesem Moment tat. Aufreizend genüsslich und verführerisch ließ er den Blick über sie schweifen, ganz im Bewusstsein der Macht, die er über ihre Gefühle besaß. Raschid wusste genau, wie sehr sie ihn begehrte.

„Hast du darunter überhaupt etwas an?“ Evie versuchte, Zeit zu gewinnen, indem sie die Hände verführerisch über seinen Körper gleiten ließ, dessen Wärme sie durch den Stoff der weißen Tunika spürte.

„Warum ziehst du sie mir nicht aus und siehst selber nach?“, flüsterte Raschid ihr einladend ins Ohr, wobei er ihr die schmalen Träger ihres weinroten Kleides sacht über die Schultern streifte.

„Damit dich alle Welt bei deinem Striptease bewundern kann?“, spottete Evie, denn immerhin standen sie vor einem hell erleuchteten Panoramafenster, sodass jedermann von Battersea bis Westminster ihr Tun verfolgen konnte.

Wortlos langte Raschid an ihr vorbei und zog den schweren Seidenbrokatvorhang vor das Fenster. Nun lag die Wahl wieder bei Evie, ob sie ihren Hunger nach Essen oder nach Raschids Liebe stillen wollte. Raschid gab sich keine Mühe, zu verbergen, wie sehr er sie begehrte, aber Evie wusste, dass er die endgültige Entscheidung ihr überließ. Andererseits verriet ihm ihre Reaktion, dass sie ihm letztlich nicht würde widerstehen können.

„Du bist unerträglich arrogant!“, protestierte Evie in einem halbherzigen Versuch, sich wenigstens einen Rest an Würde zu bewahren.

Raschid lächelte siegesgewiss. „Komm, sag es schon, oder ich bitte Asim, den Wagen vorzufahren.“

Resigniert fasste Evie ihn bei seiner blauen Robe, zog ihn zu sich heran und küsste ihn wild und leidenschaftlich.

Eine Stunde später kehrte Evie langsam aus einem Rausch der Lust in die Wirklichkeit zurück. Raschid lag nackt neben ihr im Bett, restlos befriedigt und entspannt, das schwarze Haar zerzaust, die Augen geschlossen, der sinnliche Mund halb geöffnet.

Lächelnd nutzte Evie die Gelegenheit, sich ohne sein Wissen an seinem Anblick zu erfreuen. Er war unglaublich sexy, wie er so dalag – gänzlich hemmungslos und im Bewusstsein seiner männlichen Schönheit. Vermutlich wäre ihm nicht einmal im Traum eingefallen, seine Blöße zu bedecken, wenn in diesem Moment ein Heer von Reportern in sein Schlafzimmer gestürmt wäre!

„Ich brauche etwas zu essen“, sagte Evie schließlich.

„Nimm den Telefonhörer, und sag Asim Bescheid“, schlug Raschid träge vor.

Seufzend beugte Evie sich über ihn und langte nach dem Telefon. Ihr goldblondes Haar fiel wie ein seidiger Schleier über Raschids Wange, während Evie über das Haustelefon mit seinem Diener sprach.

„Sandwiches sind okay.“ Sie lauschte Asims Erwiderung und fügte mit einem herausfordernden Blick auf Raschid hinzu: „Nachdem er mich so lange hat warten lassen, wird er das essen, was ich bestelle, Asim. Und ich würde hungers sterben, wenn ich darauf warten müsste, bis Sie etwas Warmes gekocht haben.“

Raschid betrachtete sie aufmerksam, als sie den Telefonhörer zurücklegte. Zärtlich ließ er die Finger über ihre Wange gleiten. „Warum hast du heute das Mittagessen verpasst?“

„Genau genommen habe ich es nicht verpasst. Mir haben nur die Begleitumstände nicht geschmeckt.“

Raschid horchte auf. „Die da waren?“

„Klein beigeben.“ Evie wandte sich seufzend von ihm ab. Die Wirklichkeit hatte sie wieder.

„Erklär das bitte genauer!“

Sie stand auf, hinreißend in ihrer Nacktheit. Anmutig hob sie Raschids blaue Robe vom Boden auf und zog sie sich über. Obwohl ihr die Robe natürlich viel zu groß war, sah Evie fantastisch darin aus. Entschlossen drehte sie sich zu Raschid um. „Mutter.“

Jede weitere Erklärung erübrigte sich. Raschid setzte sich auf und strich sich sichtlich verärgert durchs Haar. Evie verschwand im Bad, wobei sie die lange Robe wie eine königliche Schleppe hinter sich herzog.

Anders als Raschids Schlafzimmer, in dem moderne westliche Elemente auf meisterhafte Weise mit den leuchtenden Farben und kostbaren Stoffen seiner Kultur kombiniert worden waren, war das Badezimmer ein arabischer Traum aus Tausendundeiner Nacht. Zentrum des in strahlendem Weiß und Königsblau gefliesten Raumes bildete eine in ein Podest eingelassene Badewanne von der Größe eines kleinen Swimmingpools, darüber eine mit goldenen Ornamenten verzierte, verspiegelte Glaskuppel, die dem Ganzen einen pikanten Hauch von Dekadenz verlieh. Auch die Duschkabine besaß luxuriöse Ausmaße, wobei die mit goldenen Intarsien geschmückten Glastüren Kunstwerke waren.

Evie entschied sich für die Dusche. Während der warme Wasserstrahl ihren Körper massierte, verrieten ihr die Geräusche jenseits der Glastüren, dass Raschid ihr ins Bad gefolgt war. Doch er gesellte sich nicht wie sonst zu ihr in die Dusche, denn die Stimmung war verdorben. Ihre Mutter, sein Vater – einer der beiden schaffte es regelmäßig, ihre Laune zu dämpfen.

Nur wusste Raschid noch nicht, dass es noch schlimmer kommen sollte! Durch ihre Flucht ins Bad hatte Evie den Augenblick der Wahrheit nur aufgeschoben. Feigling! tadelte sie sich ärgerlich. Doch das, was sie ihm zu sagen hatte, rüttelte derart an den Festen ihrer Beziehung, dass sie nicht wusste, wie Raschid darauf reagieren würde.

Als Evie schließlich die Dusche verließ, hatte sie das Bad wieder für sich, doch Raschid war so aufmerksam gewesen, einen türkisfarbenen Seidenkaftan für sie herauszulegen, den er ihr einmal aus seiner Heimat mitgebracht hatte. Evie zog ihn an und löste ihr für die Dusche hochgestecktes Haar, sodass es ihr in seidigen, feuchten Kaskaden bis fast zur Taille fiel.

Sie fand Raschid an der Bar im Salon, wo er gerade zwei Gläser mit frisch gepresstem Orangensaft mit Mineralwasser auffüllte. Sie tranken beide nur sehr wenig Alkohol – Evie, weil sie sich nichts daraus machte, Raschid, weil es seine Religion verbot.

Raschid war mit einem Hemd und einer Hose bekleidet, was für Evie ein deutlicher Hinweis war, dass er vorhatte, sie später nach Hause zu fahren. Sie sollte die Nacht also nicht wie sonst bei ihm verbringen. Nun, vielleicht war es besser so. Evie kämpfte ihre Enttäuschung nieder. Was sie ihm zu sagen hatte, würde sowieso zumindest eine vorübergehende Trennung erforderlich machen, damit sie sich beide über die Bedeutung der neuen Situation klar werden könnten.

Bei ihrem Eintreten blickte Raschid lächelnd auf. „Ihr Essen ist serviert, Madam“, verkündete er neckend. „Sie können jetzt also auch Ihren anderen Hunger stillen.“

Es war als Scherz gemeint, aber Evie konnte nicht darüber lachen. Tatsächlich revoltierte ihr Magen beim Anblick der Köstlichkeiten, die Asim auf dem Couchtisch kunstvoll angerichtet hatte. Evie wurde plötzlich von kalter Angst gepackt, weil sie wusste, dass sie die Aussprache mit Raschid nicht länger aufschieben konnte.

„Raschid? Ich muss mit dir reden“, sagte sie heiser.

Aufhorchend drehte er sich mit dem Glas in der Hand zu ihr um. „Worum geht’s?“

Evie wich seinem forschenden Blick aus und ging zum Fenster. Dort zog sie den Vorhang beiseite und blickte starr hinaus auf die funkelnden Lichter der Stadt, während sie sich den Kopf zermarterte, wie sie beginnen sollte.

In der gespannten Stille spürte Evie förmlich, wie Raschids scharfer Verstand auf Hochtouren arbeitete. Spätestens jetzt war ihm zweifellos klar geworden, dass seine Geliebte etwas ernsthaft bedrückte. Schließlich stellte er sein Glas weg und kam langsam an ihre Seite. Doch er machte nicht den Versuch, sie zu berühren, als spürte er instinktiv, dass sie in diesem Moment Freiraum brauchte.

„Was ist los, Evie?“, fragte er sanft.

Ihre Augen füllten sich mit Tränen. „Wir haben ein Problem“, antwortete sie heiser, bevor sie erneut der Mut verließ.

Raschid schwieg und wartete geduldig. Evie sah sein Spiegelbild im Fenster. Seine ernste Miene verriet, dass er sich insgeheim bereits gegen schlechte Nachrichten wappnete. Verzweifelt stellte Evie fest, dass sie es einfach nicht über sich brachte. Raschid bedeutete ihr zu viel, sie liebte ihn zu sehr, als dass sie das Risiko hätte eingehen können, ihn zu verlieren.

Noch nicht, dachte sie unglücklich. Bitte, noch nicht!

Kurz entschlossen flüchtete sie sich in eine Halbwahrheit. „Meine Mutter möchte, dass du eine Ausrede findest, um an der Hochzeit meines Bruders nicht teilzunehmen.“

Raschid schwieg immer noch. Mit pochendem Herzen beobachtete Evie im Fenster, wie sich seine Miene nachdenklich verfinsterte. Raschid war kein Narr. Sein Gespür sagte ihm, dass sie etwas viel Schwerwiegenderes bedrückte als eine der üblichen Meinungsverschiedenheiten mit ihrer Mutter.

Trotzdem ist es nicht gelogen, dachte Evie trotzig. Ihre Mutter hatte während des gemeinsamen Mittagessens keinen Zweifel daran gelassen, wie sehr sie es vorziehen würde, wenn Scheich Raschid Julians Hochzeit, die in zwei Wochen in ganz großem Stil gefeiert werden sollte, fernbleiben würde.

„Eure beklagenswerte Berühmtheit wird dafür sorgen, dass ihr beide anstatt der Braut und des Bräutigams im Mittelpunkt des Interesses stehen werdet“, hatte Lucinda Delahaye als Hauptargument vorgetragen. „Wenn er auch nur eine Spur von Taktgefühl besäße, wäre ihm das selbst klar geworden, und er hätte die Einladung dankend abgelehnt. Da es ihm aber anscheinend an Taktgefühl fehlt, ist es, denke ich, an dir, ihm diesen Rat zu erteilen.“

Allerdings wussten sowohl ihre Mutter als auch Raschid, dass sie, Evie, für derartige Beeinflussungen nicht empfänglich war. Normalerweise hätte sie es nicht einmal für nötig befunden, ein solches Gespräch mit ihrer Mutter Raschid gegenüber zu erwähnen.

Aber was ist an diesem Tag schon normal gewesen? fragte sie sich bedrückt, während sie im Fenster Raschids wachsende Verärgerung beobachtete. Kurz nach dem Aufstehen war ihre Welt aus den Fugen geraten, und seitdem hatte Evie sich die meiste Zeit wie unter Schock gefühlt. Lediglich die eine Stunde, in der sie sich ganz in Raschids leidenschaftlicher Liebe verloren hatte, hatte sie aus ihrer dumpfen Starre gerissen, doch nun hatte die grausame Wirklichkeit sie wieder eingeholt. Raschid stand hinter ihr und sah sie vorwurfsvoll an, als hätte sie ihn zutiefst enttäuscht.

„Ist das alles?“, fragte er schließlich.

„Ja“, flüsterte sie und verachtete sich für ihre Feigheit.

„Dann scher dich zum Teufel!“ Er wandte sich ab.

Evies Herz klopfte zum Zerspringen. Raschid hatte natürlich gespürt, dass sie gerade vor irgendetwas gekniffen hatte. Sie drehte sich ebenfalls um und blickte ihm besorgt nach. „Raschid, du …“

„Ich weigere mich, darüber zu diskutieren“, unterbrach er sie so verärgert, ja, angewidert, dass sie sich angstvoll fragte, wie er wohl reagiert hätte, wenn sie ihm das gesagt hätte, was ihr wirklich auf der Seele brannte. „Deine Mutter hat dir nichts zu sagen und mir schon gar nicht!“

„Ihre Bitte ist nur fair.“ Evie wusste selbst nicht genau, warum sie plötzlich ihre Mutter verteidigte. Wahrscheinlich war es leichter, als Raschid wirklich die Wahrheit zu gestehen. „Du weißt genau, welche Aufmerksamkeit wir erregen, sobald wir irgendwo zusammen auftauchen. Meine Mutter muss in diesem Fall an Julian und Christina denken und nicht an deine oder meine Gefühle.“

„Mein Vater ist ein sehr enger Freund von Christinas Vater“, entgegnete Raschid kühl. „Lord Beverley hat meinem Vater wie kein anderer geholfen, einige schwierige politische und diplomatische Hindernisse im Zuge der Reformierung und Modernisierung unseres Landes zu überwinden. Und ich werde Christinas Vater nicht durch meine Absage beleidigen, nur weil deine Mutter es wünscht.“ Raschid sah Evie herausfordernd an, den Kopf stolz erhoben. Ihr leidenschaftlicher Liebhaber war jetzt ganz der edle Prinz. „Da die Gesundheit meines Vaters seine Teilnahme an der Hochzeit nicht erlaubt, ist es meine Pflicht als sein Stellvertreter, dort zu erscheinen.“

Seine Pflicht. Evie brauchte in dieser Hinsicht keine Belehrungen. Nur schade, dass sich Raschids Pflichtgefühl anscheinend nicht auf seine Geliebte erstreckte! „Sei’s drum“, sagte sie betont kalt. „Es darf dich aber dann nicht überraschen, wenn ich mithilfe eines Ausweichplans dafür sorgen werde, dass jeglicher Klatsch auf ein Minimum reduziert wird.“

Er horchte auf. „Was soll das heißen?“

Evie zuckte die Schultern. „Pflicht“, hielt sie ihm nun ihrerseits entgegen. „Es ist meine Pflicht, dafür zu sorgen, dass mein Bruder und seine Braut an ihrer Hochzeit im Mittelpunkt des Interesses stehen.“

„Und wie willst du das schaffen?“, fragte Raschid spöttisch. „Indem du vielleicht so tust, als wäre ich überhaupt nicht da?“

„Würdest du es bemerken?“, erwiderte Evie heftig und hätte sich im nächsten Moment am liebsten auf die Zunge gebissen.

Zu spät. Raschids Augen leuchteten wissend auf. „Ist es das? War diese Bemerkung vielleicht der entscheidende Hinweis auf das, was heute Abend wirklich an dir nagt, Evie? Dass ich dir nicht genügend Aufmerksamkeit schenke?“

Wenn er geahnt hätte, wie weit er von der Wahrheit entfernt war! Evie entschied sich, ihn auf dieser falschen Fährte zu halten. „Und wenn es so wäre, würde es dir etwas ausmachen?“ Sein Schweigen war Antwort genug. „Ich bin müde“, sagte sie plötzlich resigniert. „Es ist wohl das Beste, wenn ich jetzt nach Hause fahre …“

Nicht einmal damit konnte sie Raschid provozieren. „Ich muss morgen abreisen und werde ungefähr eine Woche fort sein“, informierte er sie kühl. „Wenn ich zurückkomme, müssen wir wohl miteinander reden.“

Evie jagte ein Schauer über den Rücken. „Schön“, antwortete sie förmlich und ging zur Tür.

Raschid folgte ihr mit aufmerksamen Blicken. Seinem scharfen Verstand konnte nicht entgehen, dass sie etwas Entscheidendes vor ihm verbarg. „Evie …“

Sie blieb auf der Türschwelle stehen, ohne sich umzudrehen. Das Schweigen drohte unerträglich zu werden. Überwältigt von all den unterdrückten Gefühlen, die plötzlich mit Macht an die Oberfläche drängten, kämpfte sie mit den Tränen.

„Es würde mir etwas ausmachen, Evie“, sagte Raschid rau.

Das war zu viel. Aufschluchzend drehte Evie sich um und lief zu ihm. Ich liebe dich so sehr! hätte sie am liebsten ausgerufen, hielt sich aber zurück, aus Angst, mit diesen Worten eine Lawine loszutreten, die ihre Liebe spurlos unter sich begraben hätte. Deshalb schmiegte sie sich stumm an Raschid und suchte Trost in seiner liebevollen Umarmung.

Ich werde es ihm nach Julians Hochzeit sagen, versprach sie sich unglücklich. Bis dahin konnte es noch warten …

2. KAPITEL

Das Ereignis galt als die „Hochzeit des Jahres“, und von jedem, der etwas auf sich hielt, wurde erwartet, dass er dabei war, wenn Sir Julian Delahaye und Lady Christina Beverley den Bund fürs Leben schlossen: die Reichen, die Berühmten, die Adeligen, ganz zu schweigen von der großen Anzahl ausländischer Würdenträger, die Christinas Vater ihre Referenz erwiesen, der sich im diplomatischen Dienst überall auf der Welt Freunde fürs Leben geschaffen hatte.

Das Wetter war herrlich, der Ort ein malerisches englisches Schloss inmitten eines idyllischen Anwesens im Herzen von Royal Berkshire. Etwas Romantischeres hätte man sich nicht vorstellen können. Kein Wunder, dass so mancher bereit war, seine Seele zu verkaufen, um eine der begehrten Einladungen zu ergattern. Wodurch Evie an diesem Tag einmal mehr zur Außenseiterin wurde, denn sie hätte alles dafür gegeben, nicht dabei sein zu müssen.

Tatsächlich hätte sie das Gefolge der sechs reizenden Brautjungfern anführen sollen. Sie hatte die Einladung ausgeschlagen, aber … Seufzend blickte sie in den Spiegel des Frisiertisches, an dem sie saß.

Sie hatte es dem glücklichen Brautpaar nicht antun können. Wie viel Pech hätten die beiden förmlich herausgefordert, wenn sie zugelassen hätten, dass das schwarze Schaf der Familie eine Hauptrolle auf ihrer Hochzeit gespielt hätte? Nein, es wäre nicht gut gegangen, das war ihnen allen klar gewesen – weshalb Christinas Mutter ihre Erleichterung kaum hatte verbergen können, als Evie die Bitte dankend abgelehnt hatte.

Ganz allerdings konnte sie ihrer Pflicht nicht entgehen. Als Schwester des Bräutigams war sie natürlich verpflichtet, an der Hochzeit teilzunehmen – und sei es nur Julian zuliebe. Schwarzes Schaf oder nicht, sie würde ihren Bruder nicht enttäuschen, dazu liebte und achtete sie ihn zu sehr.

Deshalb saß sie jetzt hier in dem Raum, den ihr die Beverleys im Ostflügel ihres wunderschönen Stammsitzes zugewiesen hatten, und bereitete sich auf das große Ereignis vor. Dabei war sie sich sehr bewusst, dass ihre Mutter in einem anderen Raum genau das Gleiche tat – vermutlich nicht allzu weit entfernt, denn Evie glaubte ihren Groll selbst durch die dicken Mauern des Schlosses zu spüren.

Warum grollte ihre Mutter ihr so? Weil Lady Lucinda Delahaye einst der Chance beraubt worden war, eine ebensolche Märchenhochzeit für ihre Tochter auszurichten, als Evie den Heiratsantrag eines Marquis abgelehnt hatte, um mit ihrem Geliebten zusammen zu sein.

„Er wird dich nicht heiraten!“, hatte ihre Mutter sie vor zwei Jahren ärgerlich gewarnt. „Du liebe Güte, er ist ein arabischer Prinz! Und anders als du kennt er seine Pflichten. Wenn es an der Zeit ist, wird er sich von dir abwenden und eine Frau aus seinen Reihen heiraten. Denk an meine Worte, Evie!“

Sie hatte an die Worte ihrer Mutter gedacht, dachte eigentlich ständig daran, und inzwischen rückte der Zeitpunkt ihrer endgültigen Trennung von Raschid derart bedrohlich nahe, dass sie an kaum etwas anderes denken konnte.

Du hattest zwei lange, unselige Wochen, um den Mut aufzubringen, Raschid das zu sagen, was du ihm sagen musst, tadelte Evie ihr Spiegelbild. Und was hast du getan? Du hast ihn für eine Woche nach Behran fliegen lassen und dich in der zweiten Woche nicht einmal in seine Nähe gewagt!

Ausreden. In jüngster Zeit war ihr Leben zu einer Reihe verlogener Ausreden verkommen. Seufzend betrachtete sie die Schatten unter ihren Augen, die selbst das perfekte Make-up nicht ganz verdecken konnte. Das ewige Grübeln und der fehlende Schlaf forderten ihren Tribut. Feigling! tadelte Evie sich erneut verächtlich.

Ein Klopfen an der Tür ließ Evie aus ihren Gedanken aufschrecken. Auf ihr „Herein“ hin wurde die schwere Eichentür geöffnet, und ihr Bruder Julian betrat das Zimmer. Er sah fantastisch aus, bekleidet mit einem förmlichen grauen Cut, silbergrauer Seidenweste und – krawatte.

„Hi“, begrüßte er Evie. „Wie fühlst du dich?“

Evie blickte lächelnd zu ihrem Bruder auf. „Das sollte ich dich fragen.“

Julian zuckte gelassen die Schultern, offenbar nicht im Geringsten nervös. Schließlich war dies keine sorgfältig arrangierte Hochzeit zwischen zwei Adelshäusern, sondern er liebte Christina aufrichtig, und sie vergötterte ihn. „Mutter hat gerade einen panischen Anfall, weil ihr Hut nicht richtig sitzt“, sagte er trocken. „Deshalb dachte ich, ich könnte mich hier verstecken.“

„Aber gern.“ Evie blickte ihm verständnisvoll nach, als er zum Fenster ging. Ihre Mutter konnte eine schreckliche Tyrannin sein, wenn sie im Stress oder verärgert war. An einem Tag wie diesem stand sie natürlich unter ungeheurem Druck, als Mutter des attraktiven, adeligen Bräutigams ihren Stand angemessen zu repräsentieren.

„Ich kann nicht glauben, dass man dich hier in der hintersten Ecke des Hauses untergebracht hat.“ Julian blickte ärgerlich auf die Stallungen unterhalb des Fensters, deren Hof man für den Tag zum Parkplatz umfunktioniert hatte.

Das geräumige Schloss hatte fünfzig Schlafzimmer, wobei die Gäste des Bräutigams im Ostflügel, die der Braut im Westflügel untergebracht worden waren. Je weiter man nach Osten vordrang, desto kleiner wurden die Zimmer – bis hin zu diesem Raum, der fast ganz von dem alten Himmelbett eingenommen wurde und zu dem ein winziges Bad mit uralten Installationen gehörte, eine unübersehbare Botschaft an das gefürchtete schwarze Schaf.

Evie drehte sich wieder zum Spiegel um. „Man hat mich hier untergebracht, weil es unübersehbar ein Einzelzimmer ist“, erklärte sie spöttisch, wobei sie genau die Worte benutzte, mit denen Christinas Mutter sie am frühen Morgen steif lächelnd in diesen Raum geführt hatte. „Und ich bin ja so unübersehbar alleinstehend.“

„Verdammte Heuchler!“, stieß Julian hervor. „Von mir aus können sie ja missbilligen, was du in deinem Privatleben machst, aber müssen sie es so offensichtlich tun? Und dann hatten sie auch noch die Stirn, ihn einzuladen!“

„Nicht für mich.“

„Oh nein“, räumte ihr Bruder ärgerlich ein. „Weil sie es sich nicht leisten können, seinen Vater zu brüskieren.“

„Und Raschid hat die Taktlosigkeit besessen, die Einladung anzunehmen!“, warf Evie ein.

„Dein Werk?“

„Nein“, wehrte sie ehrlich ab. „Tatsächlich habe ich ihn gebeten, nicht zu kommen.“ Und er hat mich gebeten, mich zum Teufel zu scheren, fügte sie insgeheim hinzu. Raschid besaß eine angeborene Arroganz, die ihn alles ignorieren ließ, was er nicht sehen wollte.

Wobei Evie es ihm nicht ernsthaft verübeln konnte, dass er die Tatsache übersah, dass seine Gegenwart bei dieser Hochzeit von ihrer Mutter als peinlich empfunden wurde. Denn wer verurteilte heutzutage noch allen Ernstes die Beziehung zwischen einem Mann und einer Frau, solange beide alleinstehend und ungebunden waren?

Alleinstehend und ungebunden, was für ein abgedroschenes Klischee! Raschid und sie waren in ihrer Beziehung keineswegs frei und ungebunden, sondern hatten beide an Respekt in ihren Familien und an privater Ungestörtheit eingebüßt. Und Evie hatte sich, seit sie Raschid kannte, nicht einen Tag mehr als alleinstehend empfunden. Weshalb sie auch das, was sie ihm früher oder später würde sagen müssen, immer weiter aufgeschoben hatte.

Heute nicht, sagte sie sich energisch und drehte sich zu ihrem Bruder um. Dieser Tag gehörte Christina und Julian, der immer noch sichtlich verärgert am Fenster stand. Evie wollte nicht, dass er verärgert war. Heute sollte er nur strahlend und glücklich aussehen – denn man würde ihr die Schuld geben, wenn es anders war.

„He!“ Sie stand auf, ging zu ihm und hakte sich bei ihm ein. „Hör auf zu grollen. Es verschandelt dein hübsches Gesicht.“

Julians jungenhaftes Lächeln wärmte ihr das Herz. Sie liebte ihren großen Bruder über die Maßen und wusste, dass er ihre Liebe erwiderte.

„Du siehst umwerfend aus“, sagte er jetzt. „Das Kleid gefällt mir.“

„Danke. Ich habe es speziell für diesen Anlass gekauft.“ Und nicht zuletzt, um damit eine unübersehbare Erklärung abzugeben – dass sie, Evie, zwar darauf verzichtet habe, bei dieser Hochzeit eine führende Rolle zu übernehmen, aber keineswegs die Absicht habe, gänzlich unterzutauchen, wie es vermutlich viele vorgezogen hätten.

Das Kleid war kurz und eng und aus einem feinen Seidenjersey, der ihre atemberaubende Figur umschmeichelte und reichlich Blick auf ihre hinreißenden Beine freigab. Und es war rot, dramatisch und kompromisslos leuchtend rot. Ein schmaler Goldgürtel betonte ihre zierliche Taille, an den Füßen trug sie dazu passend sehr hohe goldfarbene Riemchensandaletten. Auf dem Bett lag noch ein winziges Bolerojäckchen im gleichen Rot wie das Kleid – nicht zu vergessen der Hut, unter dessen breiter goldener Krempe Evie sich etwas verstecken zu können hoffte, um diesen schwierigen Tag irgendwie zu überstehen.

„Man wird deine Anwesenheit kaum übersehen“, bemerkte Julian treffend. Er kannte sie zu gut.

„Die lasterhafte Lady in Rot“, bestätigte Evie lächelnd. „Ich kann sowieso nichts gegen meine Kritiker ausrichten. Was bleibt mir also übrig, als mich ihrem Urteil anzuschließen?“

„Macht es ihm nichts aus, dass du so öffentlich gegen sie antrittst?“

Evie zuckte die Schultern. „Raschid ist mein Geliebter, aber nicht mein Vormund.“

„Ah, ich wittere Ärger.“ Julian seufzte. „Ist das deine Strafe für ihn, weil er sich geweigert hat, der Hochzeit fernzubleiben?“

Sie nahm ihre Hand vom Arm ihres Bruders und setzte sich wieder an den Frisiertisch. Für einen Moment herrschte angespanntes Schweigen.

„Evie …“

„Nein“, fiel sie ihm ins Wort, „ich möchte nicht darüber reden. Nicht heute, Julian. Was zwischen Raschid und mir ist, geht nur uns etwas an. Halt dich da raus.“

„Ich frage mich, ob du das auch unserer lieben Mutter gesagt hast …“

„Bist du deshalb gekommen, Julian? Um herauszufinden, ob ich die Ursache für ihre schlechte Laune bin?“

„Bist du es?“

„Ich habe sie nicht mehr gesehen, seit sie mich heute früh hierhergefahren hat, und da hatten wir noch andere Gäste im Auto.“

„Das ist es also.“ Julian nickte. „Die Ärmste ist frustriert, weil sie keine Gelegenheit hatte, ihre große Moralpredigt loszuwerden.“

„Du meinst die, dass wohlerzogene junge Damen nicht mit lasterhaften Arabern schlafen sollten?“, fragte Evie arglos.

Julian seufzte. „Sie besitzt einen unverbesserlichen Standesdünkel.“

„Es ist ein kultureller Dünkel“, verbesserte Evie ihn. „Denn wenn es nur ein Standesdünkel wäre, würde sie alles daran­setzen, diesen schrecklichen Araber dazu zu bewegen, mich zu heiraten. Immerhin ist er ein echter Prinz, der im Geld schwimmt, besser als ein verarmter Marquis – gesellschaftlich betrachtet.“

„Tatsächlich meinte ich nicht diese Predigt“, gestand Julian, „sondern die, dass ihr beide die Familie nicht in Verlegenheit bringen solltet, indem ihr heute in aller Öffentlichkeit umeinander herumscharwenzelt.“

Evie lachte ehrlich belustigt. „Der Tag muss erst noch kommen, an dem Raschid um irgendjemanden herumscharwenzelt – öffentlich oder nicht! Er ist viel zu arrogant, um so tief zu sinken. Eigentlich seltsam, dass Mutter ihn nicht ausstehen kann, denn in dieser Hinsicht sind die beiden sich sehr ähnlich.“

Ein erneutes Klopfen an der Tür unterbrach das Gespräch zwischen Bruder und Schwester. Ihre Mutter betrat das Zimmer. Groß, schlank und blond wie die beiden und bekleidet mit einem klassischen hellblauen Chanel-Kostüm, war sie gewiss die eleganteste Bräutigam-Mutter, die man sich vorstellen konnte.

„Ich dachte mir, dass ich dich hier finde, Julian. Deine Gäste treffen allmählich ein, und es ist Zeit, dass du deinen Platz einnimmst.“

Mit anderen Worten, sie wollte mit Evie allein sein, um die erwartete Predigt doch noch loszuwerden. Evie, die sah, dass ihr Bruder es ihr ausreden wollte, drückte ihm warnend die Hand. Widerstrebend gab er sich geschlagen. Julian wusste genauso gut wie Evie, dass es nur Ärger eingebracht hätte, ihre Mutter ausgerechnet an diesem Tag aufzuregen. Deshalb küsste er Evie liebevoll auf die Wange und verließ das Zimmer, wobei er es sich allerdings nicht verkneifen konnte, seiner Mutter im Hinausgehen einen warnenden Blick zuzuwerfen, bevor er die Tür hinter sich schloss.

Schlagartig wurde die Atmosphäre im Raum fühlbar frostig. „Hast du vor, das anzuziehen?“, fragte Lucinda Delahaye.

Evie atmete tief ein. „Ja.“

„Nicht ganz das, was ich als angemessen bezeichnen würde, Evie“, erwiderte ihre Mutter missbilligend. „Hättest du nicht etwas weniger … Auffälliges wählen können?“

„Ich verspreche, Christina nicht in den Schatten zu stellen“, sagte Evie kühl lächelnd. „Aber du siehst wundervoll aus, Mutter. Der Inbegriff an Anmut und Eleganz.“

„Ja …“ Lucinda Delahaye ging zum Kleiderschrank ihrer Tochter, öffnete ihn und begutachtete ungnädig die wenigen Kleidungstücke darin. Evie wusste genau, dass ihre Mutter nach einer Alternative für das rote Kleid suchte – weshalb Evie dafür Sorge getragen hatte, nichts anderes mitzunehmen, was sie zur Hochzeit ihres Bruders hätte anziehen können. Immerhin erlebte sie eine solche Szene nicht zum ersten Mal.

„Ich sehe hier ja nichts für den großen Ball heute Abend“, stellte Lucinda schließlich fest.

Traurig fragte Evie sich, ob ihre Mutter ihr je vergeben würde, dass sie sich in den falschen Mann verliebt hatte. Wahrscheinlich nicht. Sonst hätte Lucinda wohl kaum ganz bewusst die lange goldene Seidenrobe übersehen, deren Herkunft auf Raschid verwies.

Er hatte sie ihr, Evie, vor einigen Wochen von einem Besuch in Behran von einem Einkaufsbummel mit Ranya mitgebracht. Ranya war Raschids Schwester, der Evie sich sehr nahe fühlte, obwohl sie ihr noch nie persönlich begegnet war. Aber sie war genauso alt wie Evie, und Raschid sprach sehr oft von ihr. Zweifellos bewunderte er Ranyas vorbehaltloses Pflichtgefühl – wobei Evie sich nicht sicher war, ob er es auch als bewundernswert empfand, dass Ranyas Mann in London eine heimliche Geliebte hatte. Raschid reagierte meist wie ein typischer Araber und unnahbar, wenn Evie dieses Thema ansprach – was gewöhnlich nur geschah, wenn sie sich wieder einmal darüber stritten, wie sehr ihre Familien ihre Beziehung missbilligten.

Die lange goldene Robe war jedenfalls eine hinreißende Kreation aus hauchzartem Seidenchiffon. Mit langen, engen Ärmeln, einem tiefen Ausschnitt und in der Taille gerafft, umschmeichelte sie Evies aufregende Figur auf betörende Weise.

„Gib es auf, Mutter.“ Evie seufzte. „Raschid wird nicht verschwinden, nur weil du ihn ignorierst.“

„Was könnte ihn denn veranlassen zu verschwinden?“

„Nichts, solange ich es kaum ertragen kann, von ihm getrennt zu sein“, antwortete Evie ehrlich.

Woraufhin ihre Mutter sich seufzend abwandte, ans Fenster ging und trostlos hinausblickte. Gewissensbisse regten sich in Evie. Wie Julian wollte sie ihre Mutter an diesem Tag nur glückstrahlend sehen. Deshalb ging sie zu ihr und küsste sie sanft auf die Wange.

„Ich liebe dich, Mutter.“

„Aber ihn liebst du mehr.“

Was hätte sie darauf antworten sollen? „Ich verspreche dir“, sagte Evie, „dass ich dir heute keine Schande mache.“

Ihre Mutter nickte und schien ihr zu glauben. Dankbar küsste Evie sie erneut auf die Wange, bevor sie zum Bett ging, um ihren Bolero zu holen.

„Harry ist hier.“

Evie bückte sich nach dem roten Jäckchen. „Ja. Ich weiß.“

„Er hat dich nie vergessen.“

„Das ist nur eine Frage der Zeit und der richtigen Frau.“

„Du warst die Richtige!“, sagte Lucinda heftig. „Hast du mit ihm gesprochen, seit du ihm den Laufpass gegeben hast?“

„Ich habe ihm nicht den Laufpass gegeben“, widersprach Evie. „Er hat mir einen Heiratsantrag gemacht, den ich abgelehnt habe.“ Sie war mit ihrer Geduld am Ende. „Harry hat diese Ablehnung vor zwei Jahren großmütig akzeptiert – warum kannst du es nicht auch, Mutter?“

„Weil ich immer noch das Bild vor Augen habe, wie glücklich ihr beiden zusammen wart, bis Scheich Raschid aufgetaucht ist und alles kaputtgemacht hat.“

„Er hat vielleicht deine Pläne kaputtgemacht“, entgegnete Evie ungehalten, „aber gewiss nicht meine. Ich liebe Raschid! Ich vergöttere ihn! Ich bin dankbar für jeden Tag, den ich mit ihm zusammen verbringen kann. Ist das deutlich genug?“

„Und was ist, wenn der Tag kommt, an dem er dich nicht länger in seinem Leben gebrauchen kann?“, fragte ihre Mutter unbeirrt. „Was bleibt dir dann, Evie?“

Mehr, als du dir jetzt vorstellen kannst, dachte Evie unglücklich. „Warum kannst du dich nicht einfach freuen, dass ich glücklich bin?“, fragte sie verzweifelt.

„Weil du nicht glücklich bist! In letzter Zeit siehst du sogar alles andere als glücklich aus, Evie. Würdest du mir den Grund dafür nennen, wo du doch angeblich im siebten Himmel schwebst?“

War es so offensichtlich? „Ich weiß nicht, wovon du sprichst.“ Evie wandte sich ab, bevor ihre Mutter ihren entsetzten Gesichtsausdruck sehen konnte.

„Ach nein?“ Ihre Mutter ging langsam zur Tür. „Nun, ich denke, wir werden bald die Wahrheit erfahren. Sorg bitte nur dafür, dass du heute vor allen Leuten nicht allzu viel Aufhebens um deine Affäre mit ihm machst“, fügte sie hinzu, womit sie den eigentlichen Grund ihres Kommens ansprach. „Es werden Vertreter sämtlicher arabischer Staaten anwesend sein. Ich will nicht, dass der Name meiner Tochter im gesamten Nahen Osten als der einer Frau mit lockerem Lebenswandel gehandelt wird.“

Evie sah zu, wie sich die Zimmertür hinter ihrer Mutter schloss, und hätte Lucinda am liebsten etwas hinterhergeworfen. Stattdessen ließ sie sich resigniert auf die Bettkante sinken. Dieser Tag würde die Hölle für sie werden, und das nicht nur wegen der spießigen Einstellung ihrer Mutter. Die Missbilligung würde ihr von allen Seiten entgegenschlagen. Da draußen erwartete sie ein Spießrutenlauf, an dem Araber und Engländer gleichermaßen beteiligt sein würden!

Verdammt! Wenn auch nur einer von ihnen ein schlichter Niemand gewesen wäre, hätte ihre Beziehung keinerlei Aufmerksamkeit erregt. Warum musste Raschid der reiche Erbe einer der vornehmsten arabischen Familien sein und sie die Tochter aus einem der ältesten Adelsgeschlechter Englands? Und dann war da natürlich noch die beunruhigende Tatsache, dass ihre Beziehung nun schon so lange Bestand hatte – das musste auf allen Seiten Missfallen wecken.

Ein Missfallen, das sich in naher Zukunft zu einem ernsthaften Konflikt auszuweiten drohte. Verdammt! Evie stand auf und machte sich bereit für die bevorstehende Schlacht.

3. KAPITEL

Draußen auf den gepflegten Rasenflächen, die sich vom Burggraben bis hinunter zu einem malerischen See erstreckten, hatten die mit der Bewirtung der Gäste beauftragten Unternehmen die Regie übernommen. Der Blick auf den See war jetzt durch ein riesiges Festzelt versperrt, und für den Fall eines Wetterumschwungs war der große Ballsaal mit einem Meer von Blumen geschmückt worden.

Doch das Wetter war dem Brautpaar wohlgesinnt. Die Sonne schien, der Duft von Rosen erfüllte die warme Sommerluft, und eine Militärkapelle spielte ein Medley gefälliger Melodien. Die Wege zwischen Schloss, Festzelt und dem Baldachin, unter dem die Trauung stattfinden sollte, waren mit grünen Teppichläufern ausgelegt. Die Schlosskapelle war zu klein, um die vielen Hochzeitsgäste aufzunehmen. Deshalb hatte man über dem steinernen Eingangsportal einen weißen Baldachin aufgestellt und direkt unter dem Portalbogen vor dem Hintergrund des kunstvollen Buntglasfensters der Kapelle einen Altar errichtet, vor dem das Brautpaar sich auf geweihtem Boden das Jawort geben würde.

Alle waren sehr beeindruckt, einschließlich Evie, die bewusst so spät wie möglich nach draußen gekommen war. Allerdings hatten die Gäste noch nicht ihre Plätze eingenommen, um den Einzug der Braut mit ihrem Gefolge zu erwarten. Man stand in kleinen Gruppen in der Sonne, unterhielt sich, lachte, tauschte Höflichkeiten aus. Eine bunte Gästeschar aus aller Welt, darunter berühmte und bedeutende Persönlichkeiten, die sich an diesem Tag bereitwillig von den anwesenden offiziellen Fotografen ablichten ließen – obwohl auch einige ausgesuchte Leute von der Presse darunter waren, die die Auflage erhalten hatten, sich unaufdringlich im Hintergrund zu halten.

Die herzliche, festliche Atmosphäre zauberte ein Lächeln auf Evies Gesicht, als sie über den grünen Teppich auf den Hochzeitsbaldachin zuging. Die Leute um sie herum blickten auf, lächelten, gaben ihr die Hand oder küssten sie auf die Wange – je nachdem, wie vertraut sie mit ihr waren. Manche blickten ihr auch nur neugierig nach, denn obwohl sie ihrer Mutter versprochen hatte, die Braut nicht zu überstrahlen, fiel Evangeline Delahaye allein durch ihre Schönheit in jeder Gesellschaft auf.

Zudem war sie die berühmte Geliebte eines arabischen Prinzen von unvorstellbarem Reichtum und Einfluss, der auch noch ein überaus attraktiver Mann war, was der Sache eine pikant-romantische Note verlieh. Es war die Liebesaffäre des Jahrzehnts. Die Leute von der Presse stürzten sich begeistert darauf, die Familien der beiden Beteiligten machten keinen Hehl aus ihrem Missfallen, und die übrige Welt spekulierte fleißig, was die Zukunft den beiden bringen würde. Das Liebespaar selbst ignorierte standhaft all das Gerede um ihre Affäre – egal, von welcher Seite.

Das wiederum rückte Evie und Raschid bei gesellschaftlichen Anlässen wie diesem ins Zentrum der Neugier. Vor allem wenn es so offensichtlich war, dass sie zwar beide als Gäste zu dieser Hochzeit geladen waren, aber nicht als Paar.

Unter dem Hochzeitsbaldachin sah Evie schon einige Leute versammelt. Ihr Bruder plauderte beneidenswert locker mit Sir Robert Malvern, seinem Trauzeugen und besten Freund. Hinter den beiden saß ihre Mutter bereits an ihrem Platz und lauschte angespannt Großtante Celia, die eindringlich auf sie einredete.

Vermutlich gibt die alte Dame ihr Ratschläge, wie sie mit mir fertigwerden soll, dachte Evie spöttisch. Langsam ließ sie den Blick auf die andere Seite des Mittelgangs schweifen und entdeckte Raschid. Sofort setzte ihr Herz einen Schlag aus, und ihre blauen Augen verloren für einen Moment den bewusst gleichmütigen Ausdruck, als sie den Mann betrachtete, der ihr alles bedeutete.

Raschid stand inmitten einer Schar von arabischen Würdenträgern, die allesamt in ihre traditionellen arabischen Roben gekleidet waren. Doch er ragte nicht nur durch seine Körpergröße, sondern auch durch seine unglaublich männliche Ausstrahlung aus dieser Gruppe hervor. Gemäß seinem königlichen Stand war sein Gewand aus weißer Seide und wurde in der Taille von einer goldenen Schärpe gehalten, so wie seine schlichte weiße Kopfbedeckung ein dreifaches goldenes Band zierte.

Er schien gespürt zu haben, dass Evie ihn ansah, denn er blickte mitten im Gespräch mit seinem Nachbarn auf und sah sie an. Urplötzlich lag eine knisternde Spannung in der Luft, die alle anderen unter dem Baldachin aufmerksam werden ließ. Gespräche verstummten, Köpfe drehten sich zu den beiden um, neugierige Blicke schweiften zwischen ihnen hin und her.

Julian bemerkte die plötzliche Stille, drehte sich um und verzog resigniert das Gesicht. Die Wangen seiner Mutter aber färbten sich rot vor Zorn. Demonstrativ kehrte sie ihrer Tochter den Rücken zu, während der Araber an Raschids Seite den Arm des Scheichs berührte und leise auf ihn einredete.

Der Bann war gebrochen. Raschid wandte seine Aufmerksamkeit wieder seinem Begleiter zu, und Evie ging, um einige Worte mit ihrem Bruder zu wechseln, bevor sie neben ihrer Mutter Platz nahm. Hinter ihnen begann sich der Raum unter dem Baldachin zu füllen, als die übrigen Gäste nach und nach ihre Plätze einnahmen. Als die sichtlich nervöse Brautmutter von einem der Bediensteten zu ihrem Platz geleitet wurde, legte sich eine erwartungsvolle Stille über die nun vollzählig versammelte Hochzeitsgemeinde.

Aus dem Innern der kleinen Kapelle stimmte die Orgel den Hochzeitsmarsch an. Ein Raunen ging durch die Reihen und kündete die Ankunft der Braut an. Auch Evie konnte der Versuchung nicht widerstehen, sich umzudrehen. Sie sah eine strahlende Braut, die am Arm ihres stolzen Vaters langsam den Mittelgang heraufkam.

Christina sah bezaubernd aus in dem schulterfreien, langen Brautkleid aus zarter weißer Chantillyspitze. In dem dunklen Haar trug sie einen Kranz aus zartrosa Rosen, in ihrer Hand einen Brautstrauß aus den gleichen Rosen, und auch die hübschen Organzakleider der fünf Brautjungfern waren in dem gleichen Zartrosa gewählt.

Die Braut lächelte glücklich und gelöst. Christina war sich ihrer Liebe zu Julian und seiner Liebe zu ihr so sicher, dass sie überhaupt nicht nervös war. Gerührt drehte Evie sich zu ihrem Bruder um. Julians Gesicht strahlte genauso vor Freude und Stolz, als er zusah, wie seine Braut ihm zugeführt wurde.

Ich wünschte … Evie verbot sich, den Gedanken zu Ende zu denken, und war froh, dass Raschid einige Reihen hinter ihr saß und ihren wehmütigen Gesichtsausdruck nicht sehen konnte. Aber spürte er vielleicht, was in ihr vorging? Verglich er in Anbetracht dieser sehr englischen Hochzeit das, was Christina und Julian hier taten, mit dem, was es für sie, Raschid und Evie, nie geben würde?

Sie liebten sich, Evie zweifelte nicht einen Moment daran. Und allein durch die Tatsache, dass sie entgegen allen Widerständen so lange zueinandergestanden hatten, hatten sie sich mutiger als manch andere zu ihrer Liebe bekannt. Dennoch ließ sich diese mutige Liebe nicht mit dem ehelichen Bund vor Gott vergleichen. Sie blieb eine vage Sache, ohne rechtliche Bindung und ohne Segen – gleichgültig, von welchem Gott.

„Wir haben uns heute hier versammelt, um Zeuge zu werden, wie dieser Mann und diese Frau den heiligen Bund der Ehe schließen …“

Evie spürte, wie ihre Mutter sich die Augen mit einem Spitzentaschentuch abtupfte, und wurde von quälenden Gewissensbissen bestürmt. Mehr denn je war sie sich bewusst, wie sehr sie ihre Mutter enttäuscht hatte, denn Lucinda würde niemals wie Christinas Mutter voller Stolz und Befriedigung zusehen können, wie ihre Tochter eine derart gute und standesgemäße Partie machte.

Verdammt! dachte Evie unglücklich. Impulsiv nahm sie die Hand ihrer Mutter, hob sie an ihre Lippen und küsste sie. Sie wusste selbst nicht, warum – vielleicht war es eine stumme Geste der Entschuldigung. Wie auch immer, ihre Mutter wies diese Geste schroff zurück, indem sie Evie energisch ihre Hand entzog.

Das tat so weh, dass Evie den Rest der Zeremonie nur noch wie durch einen Nebelschleier mitbekam – verloren im trostlosen Gefühl ihrer eigenen Unzulänglichkeit. Nicht nur als Tochter hatte sie versagt, sondern auch noch die Erwartungen eines anderen Menschen, der heute hier anwesend war, enttäuscht – nur dass der noch nichts davon ahnte.

Gebete, Gesänge, Gelübde … Evie reagierte rein mechanisch und versteckte sich hinter einem nichtssagenden Lächeln, hinter dem nur wenige eine zutiefst unglückliche Frau vermutet hätten.

Scheich Raschid Al Kadah zählte zu diesen wenigen. Er saß einige Reihen schräg hinter Evie und hielt den Kopf meist gesenkt, während er mit seinem besonderen Gespür für die Frau, die er liebte, Evies beunruhigende Stimmung aufnahm. Ein verstohlener Blick verriet ihm, dass sie äußerlich ruhig und gefasst wirkte wie stets, wenn sie sich in der Öffentlichkeit bewegte. Und doch sagte ihm sein Gefühl etwas ganz anderes.

Es muss diese verdammte Hochzeit sein! dachte er. Denn welche Frau träumte nicht davon, mit dem Mann, den sie liebte, so wie heute Christina Beverley den Bund fürs Leben zu schließen? Und welcher Mann würde die Gelegenheit ausschlagen, sich nach Recht und Gesetz an eine Frau wie Evie zu binden, wenn sich ihm die Chance dazu böte?

Raschid spürte Zorn und Unzufriedenheit in sich aufwallen, weil er unfähig war, Evie diese Sicherheit an seiner Seite zu bieten. Er war froh, als die Trauung endlich zu Ende war und das Brautpaar mit seinem Gefolge in der Kapelle verschwand, um die Heiratsurkunde zu unterschreiben.

„Wie es aussieht, unterscheidet sich eine christliche Heirat gar nicht so sehr von unserer, wenn man von den religiösen Schlussfolgerungen absieht“, bemerkte Raschids Begleiter.

Das würden Sie nicht sagen, wenn ich soeben Evie geheiratet hätte, dachte Raschid verächtlich. Orgelklänge, gefolgt von den schmelzenden Tönen einer Tenorarie, ersparten ihm zu seiner Erleichterung eine höfliche Antwort. Stattdessen blickte er erneut verstohlen zu Evie. Sie saß kerzengerade und nun sichtlich angespannt da, während sie der alten Dame in Lila lauschte, die mit strenger Miene auf sie einredete. Ihre Mutter war verschwunden, vermutlich verfolgte sie in der Kapelle die Unterzeichnung der Heiratsurkunde inmitten einer Schar von Auserwählten – zu der Evie offensichtlich nicht zählte.

Aus eigenem Entschluss, das wusste Raschid, doch das erleichterte ihm nicht seine Gewissensbisse. Evie hatte es bewusst vermieden, sich bei dieser Hochzeit in den Vordergrund zu spielen, weil dies Julians und Christinas großer Tag war. Nicht „die schöne Evangeline Delahaye und ihr arabischer Prinz“ sollten die Schlagzeilen der Presse einnehmen. Sie wollte ihrem Bruder und seiner Braut nicht die Schau stehlen.

Deshalb hatte sie ihn, Raschid, auch gebeten, nicht an der Hochzeit teilzunehmen, doch er hatte ihr diese Bitte arrogant abgeschlagen. Nun aber, als er zusah, wie Evie von etwas ausgeschlossen wurde, an dem sie zu Recht hätte teilhaben sollen, wurde ihm bewusst, wie egoistisch er gehandelt hatte.

Die alte Lady redete immer noch und mit wachsendem Missfallen auf Evie ein. Plötzlich blickte Evie auf und erwiderte etwas. Es konnte nur ein einziges Wort gewesen sein. Daraufhin erhob sich die alte Dame sichtlich empört, entgegnete etwas mit feindseliger Miene und rauschte zornig davon, um sich einige Reihen dahinter wieder hinzusetzen. Evie blieb allein an ihrem Platz zurück.

Raschid wurde überwältigt von dem Wunsch, zu ihr zu gehen und ihr, deren einziger Fehler es war, den falschen Mann zu lieben, in aller Öffentlichkeit seine Unterstützung zu geben. Aber genau das würde sie nicht wollen, denn damit würde nur ausgelöst, was Evie so krampfhaft zu vermeiden suchte: Gerede und Klatsch um ihre Person an diesem Tag, der ihrem Bruder und seiner Braut gehörte.

Verdammt, sie sah so furchtbar verloren und unglücklich aus! Raschid hasste sich dafür, dass er dieser wunderschönen und wundervollen Frau nicht mehr zu bieten hatte.

Evie spürte die neugierigen Blicke auf sich, als Großtante Celia sie allein sitzen ließ. Sie musste all ihre Kraft aufbieten, um äußerlich gefasst und ruhig zu bleiben.

„Da sitzt er, umgeben von seinesgleichen“, hatte die Großtante ihr zugeraunt. „Gibt sich den Anstrich eines zivilisierten Mannes, dabei ist er nichts weiter als ein barbarischer Weiber­held!“

Evie war fast versucht gewesen, über diese Worte zu lachen, aber Großtante Celia war noch nicht fertig, und ihr nächster Stich war überhaupt nicht mehr komisch. „Während du schamlose kleine Göre den Namen der Delahayes zusammen mit ihm in den Schmutz ziehst! Schämst du dich überhaupt nicht?“

„Nein“, hatte Evie kühl geantwortet.

An diesem Punkt war die alte Dame empört davongestürmt, wobei ihre letzten Worte Evie immer noch in den Ohren klangen: „Du hättest eine Marquise sein können, doch du bist lieber eine Hure!“

Evie nahm an, dass Raschid diese kleine Auseinandersetzung von seinem Platz aus beobachtet hatte. Sie hoffte inständig, dass er nicht zu ihr kommen würde, um ihr seine Unterstützung zu gewähren. Das hätte an diesem Tag alles nur noch schlimmer gemacht. Doch die kränkenden Worte ihrer Großtante hatten sie tief getroffen, und sie war froh, dass die breite Krempe ihres Huts ihren bestürzten Blick verbarg.

Glücklicherweise kam im nächsten Moment das Brautpaar mit seinem Gefolge aus der Kapelle zurück, und die gesamte Hochzeitsgesellschaft erhob sich, um den frisch Vermählten zu applaudieren, die strahlend den Mittelgang hinunterschritten.

Evie klatschte mit den anderen, Tränen der Rührung in den Augen. Erst als die Gäste nach und nach hinter dem Brautpaar her in die Sonne hinaustraten, bemerkte sie, dass jemand dicht hinter ihr stand. Vorsichtig drehte sie den Kopf und blickte direkt in Raschids markantes dunkles Gesicht.

Er lächelte sie an, aber seine schönen goldbraunen Augen blickten so ernst und mitfühlend, dass Evie sich seufzend wieder abwandte, um den Nachzüglern der Hochzeitsgesellschaft hinterherzuschauen.

„Du siehst wunderschön aus“, sagte Raschid leise. „Aber unendlich traurig.“

„Am liebsten würde ich davonlaufen und mich für immer verstecken“, gestand sie. „Glaubst du, meine Mutter würde es bemerken?“

„Nein“, antwortete er ehrlich. „Aber ich.“

Sie lächelte trotz ihrer bedrückten Stimmung. „Nur weil du so verrückt nach mir bist, wohingegen meine Mutter mich überhaupt nicht mag – schon gar nicht als Tochter.“

„Dann hat sie keinen Geschmack.“

„Ach herrje! Ob sie das wohl weiß?“

„Möchtest du, dass ich es ihr sage?“, erbot Raschid sich freundlich.

Sie seufzte sehnsüchtig. „Nein, Scheich Raschid, ich wünschte, du würdest mich auf deinem weißen Hengst von hier fortbringen.“

„Jetzt gleich?“ Er umfasste sacht ihre Taille und drehte sie zu sich herum. Sein ernster Blick strafte das scherzhafte Geplänkel zwischen ihnen Lügen. „Sag nur ein Wort, und ich entführe dich in meinen Palast in der Wüste und schließe dich dort für immer ein.“

Evie sah ihn schmollend an. „Ein schlimmeres Schicksal als der Tod! Sicher gibt es dort dunkle, schreckliche Verliese, in denen man nie das Tageslicht erblickt.“

„Aber auch wunderschöne Räume mit Blick auf die exotischen Gärten. Ich könnte dir eins dieser Zimmer überlassen“, bot Raschid großzügig an. „Dort würde ich dich dann besuchen und mit kostbaren Geschenken und Komplimenten überschütten.“

„Dürfte ich mich in deinem Wüstenpalast frei bewegen?“

Er schüttelte ernst den Kopf. „Du wärst meine Gefangene, und Wachen an deiner Tür würden dafür sorgen, dass du nicht entfliehst.“

„Und was, wenn ich bei einem deiner Wachen etwas Ablenkung suche?“

„Es wären natürlich Eunuchen“, erwiderte er sofort.

„Dann will ich nicht in deinen Wüstenpalast“, entschied Evie. „Ich wäre dort unglücklicher als hier.“

„Gutes Kind.“ Raschid zog sie dichter zu sich heran. „In Situationen wie dieser ist es gut, wenn man das, was man hat, zu schätzen weiß.“

Evie lachte, und Raschid lächelte sie an, zufrieden, dass es ihm gelungen war, die Traurigkeit aus ihrem schönen Gesicht zu verbannen. Spontan beugte er sich herab und küsste sie.

Obwohl sie inzwischen ganz allein unter dem Hochzeitsbaldachin waren, entzog sich Evie Raschids Umarmung, kaum dass sich ihre Lippen berührt hatten. „Willst du mich hier am helllichten Tag verführen, Scheich?“, tadelte sie ihn scherzhaft.

Doch Raschid ging nicht auf ihren Ton ein. „Nein“, entgegnete er ernst. „Ich wollte lediglich demonstrieren, wie viel du mir bedeutest.“

„Was – hier, vor einem christlichen Altar?“, spottete Evie. „Was wird dein Gott dazu sagen? Oder hat dich das Zeltdach für einen Moment vergessen lassen, wo du dich befindest?“

„Mein Gott ist der gleiche Gott wie deiner, Evie“, erwiderte Raschid heftig.

„Nur für den Fall, dass du dich irrst, verschwinde ich jetzt lieber, bevor wir noch von einem Blitz getroffen werden“, sagte sie, immer noch scherzend. „Bis später …“

„Evie.“

Sie hatte sich schon abgewandt, doch die Art, wie er ihren Namen sagte, veranlasste sie, stehen zu bleiben. Raschid war nicht dumm. Natürlich hatte er durchschaut, dass ihr eigentlich gar nicht nach Spaßen zu Mute war. „Was noch?“

Raschid schwieg. Sie spürte seinen forschenden Blick in ihrem Nacken und schloss verzweifelt die Augen.

„Was ist los mit dir?“, fragte er schließlich.

„Nichts.“

„Dasselbe ‚Nichts‘, das dich veranlasst hat, mir in den letzten beiden Wochen aus dem Weg zu gehen?“

„Du warst sehr beschäftigt, ich auch.“

„Du hast dich versteckt“, verbesserte er sie. „Und du versteckst dich immer noch.“

Evie seufzte. „Ich möchte einfach nur diesen Tag überstehen, ohne meine Würde zu verlieren.“

„Und du meinst, es verletzt deine Würde, wenn ich dich hier küsse?“, fragte er hörbar gekränkt.

„Ich hatte dich gewarnt, besser nicht hierherzukommen.“

„Und weil ich mich geweigert habe, mich zu verstecken, wie du es tust, werde ich bestraft, ja?“