Julie und die Frage, was Jungs wollen - Franca Düwel - E-Book

Julie und die Frage, was Jungs wollen E-Book

Franca Düwel

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Beschreibung

Warum muss das Leben mit vierzehn bloß so kompliziert sein? In letzter Zeit hat Julie zunehmend das Gefühl, dass alle um sie herum verrückt geworden sind. Was ist zum Beispiel mit ihrer Hippie-Oma los, die plötzlich eine Traumhochzeit von intergalaktischen Ausmaßen plant, und das ausgerechnet mit dem Vater ihres Klassenkameraden? Und was soll sie auf Bens Frage erwidern, ob sie bei ihm übernachten will? Um Ben nicht zu verletzen, flüchtet sie sich in Ausreden und steckt bald im schlimmsten Julie-Schlammassel aller Zeiten. Zu welchen Tiefpunkten ein Callboy aus dem Internet, ein verliebter gleichaltriger Onkel und eine aus dem Ruder gelaufene Party zusätzlich führen können, das ahnt Julie glücklicherweise noch nicht.

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Seitenzahl: 341

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FRANCA DÜWEL

Julie

und die Frage, was Jungs wollen

Schlimmer geht’s immer

Mit Illustrationen von Katja Spitzer

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Franca Düwel, geboren 1967, studierte Literaturwissenschaften und Pädagogik. Nach diversen Stationen in der Filmbranche ist sie als Drehbuchautorin hocherfolgreich. Sie entwickelte unter anderem die Kinderserie »Die Pfefferkörner« und schrieb zahlreiche Folgen von »Berlin, Berlin«. Franca Düwel lebt mit ihrem Mann und ihren beiden Töchtern in der Nähe von Hamburg.

Von Franca Düwel sind im Arena Verlag bereits erschienen: Julie und Schneewittchen,Julie und die schwarzen Schafe und Julieund das Herzschlamassel. Die gleichnamigen Hörbücher sind bei Arena audio veröffentlicht.

Mehr zu Julie unter www.julies-tagebuch.de.

 

 

 

 

 

1. Auflage 2014 © Arena Verlag GmbH, Würzburg © Text: Franca Düwel Coverillustration und Innenvignetten: Katja Spitzer Vermittelt durch die Agentur Susanne Koppe, Hamburg Innengestaltung: Georg Behringer · Umwerk München ISBN 978-3-401-80307-4

www.arena-verlag.de Mitreden unter forum.arena-verlag.de Das gleichnamige Hörbuch ist bei Arena audio erschienen

Inhaltsverzeichnis

Donnerstag, der 6. Dezember

Freitag, der 7. Dezember

Montag, der 10. Dezember

Dienstag, der 11. Dezember

Mittwoch, der 12. Dezember

Donnerstag, der 13. Dezember

Freitag, der 14. Dezember

Samstag, der 15. Dezember

Sonntag, der 16. Dezember (3. Advent)

Montag, der 17. Dezember

Dienstag, der 18. Dezember

Mittwoch, der 19. Dezember

Donnerstag, der 20. Dezember

Freitag, der 21. Dezember

Samstag, der 22. Dezember

Sonntag, der 23. Dezember (4. Advent)

Montag, der 24. Dezember (Heiligabend)

Dienstag, der 25. Dezember (1. Weihnachtstag)

Mittwoch, der 26. Dezember (2. Weihnachtstag)

Donnerstag, der 27. Dezember (D-Day50 minus vier Tage)

Freitag, der 28. Dezember (D-Day minus 3 Tage)

Samstag, der 29. Dezember (D-Day minus 2 Tage)

Sonntag, der 30. Dezember (D-Day minus einen Tag)

Montag, der 31. Dezember (Silvester und gleichzeitig D-Day!)

Dienstag, der 1. Januar (Neujahr)

Sonntag, der 4. März

 

 

 

 

Für meine Familie

 

 

 

 

 

Donnerstag, der 6. Dezember

Höhepunkte!

1) Es hat geschneit!

2) Nur noch 18 Tage bis Weihnachten!

3) Heute ist Nikolaus. Weil ich meinen Eltern schon vor Wochen erzählt habe, dass ich mir eine St.-Pauli-Mütze wünsche1, habe ich gestern Abend brav meine Stiefel vor die Tür gestellt …

Tiefpunkte!

1) … wo ich sie dank meiner völlig verpeilten Mutter heute Morgen eiskalt, steif gefroren und komplett leer wiedergefunden habe.

Ich sag nur: Finde den Fehler!

LIEBES TAGEBUCH, ob andere Mütter in der Prä-Wechseljahrsphase auch so planlos durchs Leben irren wie meine? Befürchte, nein.

Nachdem ich meine leeren Stiefel vor einer halben Stunde fassungslos ins Warme geholt habe, wo sie unter der Heizung gerade fiese Schneeränder entwickeln, die garantiert nie wieder rausgehen, habe ich auf dem Küchentresen einen Zettel von Mama gefunden: Milch ist alle. Kannst du welche mitbringen? Kann bestimmt wieder keine Mittagspause machen. Bis heute Abend. Kuss, M.

Kein Liebe Julie!. Oh, nein! Stattdessen: Milch ist alle.

Was ist das bitte schön für eine Begrüßung? Und kein Wort wegen Nikolaus! Das ist soooo typisch!! Sophies und Jettes Mütter haben sich garantiert wieder überschlagen und ihre Töchter mit Unmengen von Schokoweihnachtsmännern, Marzipanherzen und Dominosteinen beglückt, während meine eigene Mutter mit meiner Schwester auf dem Rücksitz wahrscheinlich gerade mal wieder völlig hektisch in Richtung Kita bzw. Buchladen düst, ohne auch nur den Hauch eines Gedankens daran, was für ein Tag heute ist.

Und das, obwohl ich sie gestern Nachmittag extra noch darauf hingewiesen habe!

Am liebsten würde ich sie jetzt auf dem Handy anrufen und ihr unter die Nase reiben, was für eine miserable Erziehungsberechtigte sie ist, aber leider weiß ich ziemlich genau, wohin das führt. Nämlich garantiert dazu, dass Mama mir mit tränenerstickter Stimme stundenlang erzählt, wie gestresst sie gerade ist, weil im Buchladen vor Weihnachten immer so viel los ist und weil meine Babyschwester Otti2 mal wieder nicht in der Kita bleiben wollte, und wie sehr sie meine Hilfe braucht, weil Papa ja noch immer in München ist und sie das allein gar nicht schafft. Und darauf hab ich nun wirklich keinen Bock! Nikolaus vergessen, Milch aufbrauchen und dann auch noch bemitleidet werden wollen – nee, echt nicht! Irgendwann ist auch mal Schluss!

Wer fragt mich eigentlich mal, ob ich das alles allein schaffe?? Niemand!!!Seit Papa seinen neuen Job als»Mr-Hairy-Botschafter« angetreten hat (was nichts anderes heißt, als dass er für ein neues Haarwuchsmittel modelt und Unmengen von Menschen ständig auf seinen Hinterkopf starren), fällt er quasi dauer-aus. Und Mumi, meine Lieblings-Oma, redet sowieso nur noch von ihrer bevorstehenden Hochzeit mit TT, dem »töpfernden Thorwald«. Was mich in Anbetracht der Tatsache, dass besagter Thorwald der Vater meines Klassenkameraden Jannick ist, auch nicht unbedingt in Begeisterungsstürme versetzt. Ich meine, wie viele Vierzehnjährige auf der Welt gibt es wohl, deren ehemalige Hippie-Oma sich ausgerechnet in den Vater eines Klassenkameraden verliebt und diesen – all ihren vorherigen Ansichten zum Trotz – auch noch HEIRATET?? Bestimmt noch nicht mal eine Handvoll! Das muss man sich nur mal vorstellen: Durch diese komische Hochzeit wird Jannick, der lockenköpfige Hobbit, der mich auf einer Klassenreise in der Sechsten mal mit einer Akkordeonvariante von »Dancing Queen« geweckt hat (was definitiv das gruseligste Weck-Erlebnis meines gesamten bisherigen Lebens war), zu meinem ANGEHEIRATETEN ONKEL!! Da fällt einem doch nichtsmehr zu ein!!!

Gut, zugegebenermaßen hatte Jannick in den letzten Monaten einen Wachstumsschub und sieht mit seinen inzwischen fast 1,80 m nicht mehr ganz so Frodo-mäßig aus wie früher, aber trotzdem. Selbst wenn Schari und Jette ihm inzwischen allen Ernstes eine gewisse Ähnlichkeit mit Ted, der Hauptfigur aus »How I met your mother«, attestieren – auf einen vierzehnjährigen Onkel, der in Englisch schnarchend vom Stuhl rutscht, weil er gestern mal wieder bis in die Puppen irgendein Ballerspiel am Computer gespielt hat, kann ich wirklich gut verzichten. Vor allem, wenn er so ätzend zu mir ist wie heute in der Schule. Vorhin hat er sogar mit dem rothaarigen Oliver den Platz getauscht, um bloß nicht mehr mit mir an einem Tisch sitzen zu müssen. Verstehe einfach nicht, was das soll. Ich kann schließlich nichts dafür, dass sich sein Vater ausgerechnet in meine Oma verliebt hat.

Na ja, und mit Schari, die immer noch meine beste Freundin ist (auch wenn ich in letzter Zeit öfter was mit Jette und Sophie mache), ist das im Moment auch so eine Sache. Seit ihre Mutter schwanger ist, hat Schari nämlich nicht nur die Hälfte ihrer Putzjobs übernommen, sondern ist außerdem auch noch ständig in Sachen Baby unterwegs, und das nervt allmählich schon. Natürlich kann ich verstehen, dass ihre Mutter sie jetzt braucht, wo sie doch alleinerziehend ist und nach wie vor niemand weiß, wer eigentlich der Vater des Kindes ist (selbst Scharina nicht), aber irgendwie hat Schari ja auch noch ein Leben. Was Scharis Mutter allerdings permanent zu vergessen scheint. Wie zum Beispiel letzte Woche, als wir eigentlich zum Kino verabredet waren und Schari wieder mal im letzten Moment absagen musste, weil ihre Mutter plötzlich so ein ziehendes Gefühl im Unterleib bekommen hat. Am liebsten hätte ich Schari gefragt, ob es in ihren Augen mit vierzehn normal ist, seine Freizeit hauptsächlich in Frauenarztpraxen und Geburtsvorbereitungskursen zu verbringen. Aber das hab ich mir dann doch noch verkniffen. Schließlich hat Schari wegen der vielen putzjobbedingten Unterrichtsfehlzeiten schon genug Ärger in der Schule – da kann ich als ihre beste Freundin nicht auch noch einen auf »Ich will dich aber auch mal wiedersehen, sonst bin ich ganz, ganz sauer!« machen. (Obwohl ich das manchmal schon gerne würde.)

Ach, irgendwie weiß ich auch nicht, was mit mir los ist. Ich glaube, im Moment wäre es einfach schön, wenn sich mal wieder jemand um mich kümmern würde und nicht immer nur um meine Schwester oder die Haarausfallprobleme älterer Männer oder die Schwangerschaft seiner Mutter oder den töpfernden Thorwald. Verdammt, jetzt fange ich gleich auch noch an zu heulen. Und das alles nur wegen ein paar fehlender Schokonikoläuse! Herr im Himmel! Vermute, die Tendenz zum Selbstmitleid ist definitiv erblich. Mama und ich sind, was das anbelangt, vermutlich ein Dreamteam.

Also, Schluss damit, Julie! Denk an die Höhepunkte.

Okay, wie wär’s damit: In anderen Familien sieht’s bestimmt auch nicht besser aus und übermorgen kommt Ben immerhin von seiner Klassenreise aus Berlin zurück! Und gestern am Telefon hat er zweimal angekündigt, dass er eine Nikolaus-Überraschung für mich hat! Yippie! (Wobei ich ehrlich gesagt befürchte, dass es sich bei der »Überraschung« um diese Indie-Punk-CD handelt, die er so toll findet und von der ich behauptet habe, dass ich sie auch toll finde, obwohl das glatt gelogen war.3) Aber wie sagt Mumi doch immer so schön: »Einem geschenkten Gaul guckt man nicht ins Maul.« Also, gehab dich wohl, liebes Tagebuch, bis morgen!

PS: Habe mir das eben noch einmal durchgelesen und fand auf einmal, dass das mit Bens Geschenk und dem geschenkten Gaul total herzlos klang. Dabei habe ich ja auch nur eine selbst gestrickte Handyhülle für ihn, die in Scharis Augen noch dazu aussieht wie eine eingelaufene Socke.4 Viel wichtiger als die ganze Schenkerei ist sowieso, dass wir noch immer zusammen sind. Und das, obwohl wir inzwischen als das dienstälteste Paar der gesamten Mittelstufe gelten und die Jungs aus seiner Band schon Wetten abgeschlossen haben, ob wir die Zwei-Jahres-Marke schaffen oder nicht. Diese Vollidioten!

PPS: Wollte hier eigentlich noch ein aktuelles Foto von Ben einkleben, aber die meisten Fotos sind noch immer auf meinem Handy und ich vergesse immer, sie auszudrucken. Aber so viel hat sich seit dem letzten Bild auch nicht verändert.5 Außer vielleicht, dass man Ben neuerdings ansieht, dass er zweimal die Woche mit Fiete Wasserball spielt, und Franzi schon meinte, ich sollte im Sommer alle seine T-Shirts verstecken, damit sie in den Pausen auch mal was Schönes sehen würde. (Aber das mache ich natürlich nicht! Bens Oberkörper gehört schließlich nur mir!!!)

1 Du weißt schon, die mit dem Totenkopf.

2 Die eigentlich Eva heißt, aber inzwischen nennt niemand sie mehr so, außer Mama noch ab und zu.

3 Ich weiß, ich weiß, ich wollte so etwas wie Höflichkeitslügen nicht mehr machen, aber kurz vorher hat er durch Zufall mitgekriegt, dass ich diesen Titanic-Song von Celine Dion auf meinem I-Pod hab, und da musste ich einfach irgendetwas tun, damit er mir nicht wieder unterstellt, dass ich klammheimlich auf Kitsch stehe. (Dabei ist das überhaupt kein Kitsch!)

4 Obwohl ich mir echt viel Mühe gegeben hab, aber aus unerfindlichen Gründen mutieren meine Strickerzeugnisse immer zu merkwürdigen Gebilden. Genau wie meine Mütze neulich, die Papa charmanterweise für eine umhäkelte Klopapierrolle gehalten hat.

5 Das heißt, er hat noch immer blonde Locken und blaue Augen und das netteste Lächeln der Welt.

Freitag, der 7. Dezember

Höhepunkte!

1) Draußen liegt noch immer Schnee. Vielleicht kriegen wir ja weiße Weihnachten. (Ich liebe weiße Weihnachten!)

Mama hat sich gestern Abend, als sie mit Otti nach Hause gekommen ist, tausendmal bei mir entschuldigt und mir eine St.-Pauli-Mütze, ein Buch, in dem es um irgendwelche Wünsche an das Universum geht, und eine Tüte voll Naschkram mitgebracht. Und mittags war ein Päckchen von Papa aus München in der Post mitsamt einem Lebkuchenherz, auf dem »O’zapft is …« steht.6

2) Hatte gestern Abend noch einen tierischen Sehnsuchtsanfall nach Ben, aber blöderweise war sein Handy aus. Habe mir sonst etwas ausgemalt, aber zum Glück hat er mir eben eine SMS geschickt, in der stand, dass der Reichstag genauso öde wie vermutet ist und er mich total vermisst. Liebe ihn wirklich ganz schrecklich doll!

Tiefpunkte!

1) Unser neuer Deutsch-Referendar Herr Jansen (der, den Franzi so sexy findet, weil er wie ein französischer Adliger aussieht) ist heute morgen stocksauer in unsere Klasse gerauscht und hat uns mitgeteilt, dass wir uns das mit der Abendblatt-Aktion »Schüler machen Zeitung« erst einmal in die Haare schmieren können. Und zwar, weil sich ein paar Jungs aus der Klasse komplett danebenbenommen hätten. Ganz toll! Nur weil Hubertus, Cem und Co.mal wieder Mist gebaut haben, kann der Rest der Klasse eines der coolsten Projekte dieses Jahres gleich mit vergessen. Wenn das nicht unfair ist, weiß ich auch nicht!

2) Mama hat sich gerade mal wieder am Telefon mit Mumi gezofft. Ohne Worte! Finde, mit siebenunddreißig Jahren sollte man wirklich in der Lage sein, sich von den Marotten seiner Mutter nicht mehr ständig aus der Fassung bringen zu lassen. Für mich ist diese Hochzeit schließlich auch nicht gerade prickelnd, aber werde ich deshalb gleich hysterisch? Nein! Ob Mama eigentlich klar ist, was für ein beschissenes Vorbild sie damit abgibt? Ich meine, wer ist hier eigentlich in der Pubertät? Sie oder ich?

Als ich eben die Treppe runtergekommen bin, um zu gucken, ob Geli7 schon aus der Buchhandlung zurück ist und ich langsam mal mit dem Essen anfangen kann (freitags koche ich neuerdings immer, damit sie nicht so viel Stress hat), saß meine Mutter mit Leichenbittermiene am Küchentisch und ich habe beim Anblick des neben ihr liegenden Telefonhörers gleich geahnt, dass daran bestimmt mal wieder meine Oma schuld ist. Na, und genauso war’s natürlich auch.

»Und, was hat Mumi jetzt schon wieder gemacht?«

Während Otti im Wohnzimmer verzückt Papas CDs aus dem Regal geräumt hat(was sie umso lieber macht, seitdem sie weiß, dass sie das nicht darf), habe ich Mama fragend angesehen und sie hat wütend den Kopf geschüttelt und dann gemurmelt, dass sie allmählich wirklich überlegen würde, auf dieser Hochzeit gar nicht erst zu erscheinen.

»Im Ernst!Ich hab da überhaupt keine Lust zu!Du hättest Mumi mal hören müssen, als ich damals deinen Vater geheiratet habe! Monatelang hat sie mir damit in den Ohren gelegen, was für einen Fehler ich mache und dass sowieso nur Spießer heiraten. Aber jetzt, mit diesem komischen Thorwald und ihr, ist das natürlich auf einmal etwas ganz anderes.«

Mama hat ein zerknülltes Taschentuch aus ihrer Jeans gepfriemelt und so laut hineingeschnaubt, dass es sich anhörte, als hätte Benjamin Blümchen Verstopfung (Das macht sie immer, wenn sie Schnupfen hat, echt schrecklich!!), und dann hat sie mich gefragt, ob ich von Mumis neuester Hochzeitsidee gehört hätte. Woraufhin ich in Gedanken die roten Herzluftballons, die Kutsche und das absurd teure Designer-Hochzeitskleid durchgegangen bin und dann festgestellt habe, dass wir das alles schon letzte Woche hatten.

»Keine Ahnung. Weiße Tauben?«, habe ich gefragt und seufzend die Schultern gezuckt, weil mich bei dieser ganzen Hochzeitsgeschichte langsam überhaupt nichts mehr schockt (Welche Oma außer meiner heiratet schon in einem weißen, engen Hochzeitskleid mit Schleppe??), aber Mama hat trotzdem eine dramatische Pause eingelegt und danach verkündet, es handele sich um eine vierstöckige Hochzeitstorte mit Blattgoldverzierung.

»Direkt eingeflogen aus Wien. Weil Thorwald ja so gerne Sachertorte isst. Herrgott! Da hat sie mir dreißig Jahre lang eingeredet, Heiraten sei der Anfang vom Ende, und jetzt, mit über sechzig, plant sie auf einmal eine Event-Hochzeit mit einhundertfünfzig Gästen! Einhundertfünfzig!! Mal ganz davon abgesehen, wie absurd das alles ist, hast du bitte schön eine Ahnung, was das kostet??«

Mama hat sich schnaubend zu mir umgedreht und ich habe vorsichtig »Ein paar Tausend Euro?« gemurmelt, aber das hat ihr nur ein bitteres Lachen entlockt. Na, und dann hat sie mir erzählt, dass Mumi bei ihrer Bank einen Kredit über fünfzigtausend Euro für die Hochzeit aufgenommen hat. Und das hat mich dann doch geschockt. Fünfzigtausend Euro! Das ist wirklich eine ganze Stange Geld!! Auch wenn ich Mumis Hochzeitspläne vor Mama bisher immer verteidigt habe – dass meine Oma, die Schuldenmachen bisher genauso gehasst hat wie Politiker und ihre Krampfadern, plötzlich einen so hohen Kredit aufnimmt, nur um etwas zu feiern, was sie bis vor ein paar Monaten noch völlig daneben fand, finde selbst ich ziemlich merkwürdig.

»Fünfzigtausend!! Bist du dir da sicher?? Aber das passt überhaupt nicht zu Mumi …« Ich habe Mama irritiert angeguckt, aber ehe sie noch antworten konnte, hat Otti im Wohnzimmer angefangen, wie am Spieß zu brüllen, und Mama ist natürlich gleich aufgesprungen und hektisch zu ihr hingelaufen.

»Oh, Mäuschen, was hast du denn? Hast du Aua gemacht?«

»Schnulli!«

»Hast du deinen Schnulli verloren? Na, wo ist er denn, der Schnulli? Wo hat das kleine Mäuschen ihn denn hingetan?«

Ich hab leise aufgestöhnt, weil »Mäuschen«Punkt a)so ziemlich die unpassendste Bezeichnung ist, die man sich für meine kleine dicke Schwester nur vorstellen kann (Rollmops würde es da wesentlich besser treffen), und Mamas Babysprechweise Punkt b) allmählich wirklich nervt8, aber das hat Geli natürlich nicht davon abgehalten, sofort auf die Knie zu gehen und unter Ottis Regie wie eine Blöde auf dem Fußboden herumzukriechen.

»Wo kann er denn sein, der Schnulli? Hm, Evchen? Wo ist der Schnulli?«

Otti hat mit ausgestrecktem Zeigefinger auf den Spalt zwischen Kommode und Wand gezeigt und dabei ein vorwurfsvolles »Schnulli da!« hervorgestoßen, und während Mama auf allen vieren pflichtschuldig angefangen hat, nach dem verschwundenen Schnuller zu angeln, habe ich innerlich nur die Augen verdreht. Oh, Mann. Wenn meine Schwester eins gut kann, dann alle nach ihrer Pfeife tanzen zu lassen. Vor allem meine Mutter, der noch kein einziges Mal aufgefallen ist, dass Otti ihren Schnuller immer genau dann »verliert«, wenn Mamas Aufmerksamkeit mal fünf Minuten nicht auf sie gerichtet ist. Aber egal. Sich darüber aufzuregen, bringt ohnehin nichts, weil Mama mir dann eh nur wieder unterstellt, dass ich eifersüchtig bin und den Sermon von wegen »Das musst du doch nicht!« und »Ich hab dich doch genauso lieb!« muss ich mir wirklich nicht noch mal anhören.

Gefühlte drei Stunden später hat Mama Ottis blöden Schnuller auf jeden Fall in einem Wust von Staubmäusen hinter der Kommode hervorgefischt und ich habe uns eine tiefgekühlte vegetarische Spätzlepfanne heiß gemacht9, die laut Packungsanweisung nur 387 Kalorien hat, und mehr ist bisher nicht passiert. (Außer dass mir das mit Mumis Hochzeitskredit nach wie vor nicht aus dem Kopf geht. Aber ändern kann man daran wohl nichts. Schließlich lässt Mumi sich von mir genauso wenig sagen wie von Mama. Und Papa ist, seit er den neuen Job hat, in ihren Augen sowieso nur noch »das Modell«. Ein Wort, das sie genauso angewidert ausspricht wie »Schleimbeutel« und »Milbenkot«.)

Hoffe, Schari hat nachher noch Zeit vorbeizukommen, weil wir unbedingt noch dieses Empire-State-Building-Modell für Kunst fertig basteln müssen und ich außerdem dringend ein neues Profilbild für Facebook brauche und ihre Fotos einfach die besten sind. Aber vorher muss ich noch diesen blöden Text für Latein übersetzen, den ich sowieso nicht verstehe und … Oh, unten klingelt das Telefon. Ist vielleicht Ben. Bis morgen! (Oder übermorgen, falls ich nicht dazu komme.)

6 Hab zwar keine Ahnung, was das heißen soll (vielleicht »O-Saft ist ...«, obwohl das irgendwie keinen Sinn macht), aber immerhin. Finde, die Geste zählt.

7 Habe mir angewöhnt, meine Mutter ab und zu beim Vornamen zu nennen, auch wenn sie das hasst. Das Leben ist halt kein Wunschkonzert.

8 Neulich, als wir zum Einkaufen los wollten, hat sie allen Ernstes gesagt, sie müsse erst noch mal »pieschern« gehen.

9 Ich bin nämlich seit zweieinhalb Wochen Vegetarierin!

Montag, der 10. Dezember

Höhepunkte!

1) Auf der Buchsbaumhecke neben unserer Haustür liegen jetzt bestimmt schon fünf Zentimeter Schnee! White Christmas – we’re coming!

2) Habe mir heute in der kleinen Pause ein Herz gefasst und unserem Deutsch-Referendar gesagt, dass ich die Absage bei »Schüler machen Zeitung« unfair gegenüber den anderen in der Klasse finde, die nichts getan haben. Schließlich hatten Zehra und ich uns schon richtig darauf gefreut, einen Artikel für das Abendblatt zu schreiben, weil wir beide später Journalistinnen werden wollen10, und Herr Jansen hat erwidert, der Gedanke sei ihm auch schon gekommen (also nicht, dass wir Journalistinnen werden wollen, sondern dass das ungerecht ist) und deswegen hätte er heute früh noch mal mit Frau Horrowitz über die Sache gesprochen. Vielleicht haben wir ja Glück und es klappt doch noch!

3) Ben hat mir heute in der Schule mein Nikolausgeschenk gegeben. Ich habe mich tierisch darüber gefreut und eigentlich könnte jetzt auch alles ganz wunderbar sein …

Tiefpunkte!

1)… wenn Ben mir nicht anschließend eine absolute Hyper-Megascheißfrage gestellt hätte. Verdammt!

Ben hat mir heute in der Pause eine ziemliche Kack-Frage gestellt und ich habe eben versucht, Schari, Franzi oder Jette auf Facebook zu erreichen, um mit ihnen darüber zu sprechen, aber keine der drei war on. Typisch. Wenn man dringend jemand zum Reden braucht, ist natürlich kein Schwein da. (Bei Sophie hab ich’s nicht versucht, aber Sophie könnte mir, denke ich, sowieso nicht helfen, weil sie bei dem Thema einfach noch zu unerfahren ist.)

War anschließend so durch den Wind, dass ich in einem Anfall von »Ich-brauche-jetzt-sofort-Schokolade« Papas teuren Pralinen-Adventskalender geplündert habe, und fühle mich jetzt noch schlechter als vorher. Nicht nur, dass Papa garantiert stocksauer ist, wenn er das mitkriegt – im Moment ist mir auch noch speiübel. Und außerdem kann ich förmlich spüren, wie sich die Pralinen in meinem Magen gerade in wabbeliges Fett verwandeln! Ahhhrggg!!!Warum kann ich schokoladentechnisch nicht so diszipliniert sein wie Franzi oder Sophie? Warum nicht, warum nicht, warum nicht???

Okay, Julie, ganz ruhig. Am besten sortiere ich die Dinge erst einmal. Also, es war so …

Bens Nikolaus-Überraschung vorhin in der Schule war zum Glück keine Indie-Punk-CD, sondern eine total abgefahrene Tasche, die er aus alten Langspielplatten extra für mich zusammengelötet hat. Als ich das Geschenkpapier abgemacht hatte, wusste ich zuerst gar nicht, was das sein sollte, aber dann hat Ben mir den Reißverschluss zwischen den beiden Schallplatten gezeigt und dass man da sein Handy und das Portemonnaie und so weiter reinstecken kann, und da war ich richtig hin und weg. Zum einen, weil ich nie auf die Idee gekommen wäre, so etwas zu bauen (Ben hat, was kreative Handwerksdinge anbelangt, einfach ein paar Gehirnwindungen mehr als ich), und zum anderen, weil ich sofort gesehen hab, dass er da ziemlich lang dran gesessen haben muss. Und als mir das bewusst geworden ist, hat mir meine ganze Meckerei, von wegen, dass er immer nur mit den Jungs aus der Band zusammen ist und kaum noch Zeit für mich hat (ja, ich weiß, ich hab das noch nicht erwähnt, aber das war in letzter Zeit doch ziemlich oft Thema zwischen uns), auf einmal megaleidgetan und ich hab ihn kurzerhand zu mir herangezogen und geküsst.

Ben hat ein bisschen überrascht gewirkt, aber dann hat er mich zurückgeküsst und in dem Moment habe ich Trottel überhaupt erst gemerkt, dass meine Klassenlehrerin, Frau Horrowitz, zwei Meter entfernt von Ben mit einem völlig angewiderten Gesichtsausdruck zu uns herübergestarrt hat. Uaahhh! Voll der Horror! Im wahrsten Sinne des Wortes!! Im ersten Augenblick hätte ich Ben vor lauter Schreck fast losgelassen und früher wäre ich in so einer Situation garantiert auch hochrot weggelaufen, aber vorhin war es irgendwie anders. Auf einmal musste ich nämlich daran denken, wie der Horror Franzi mit ihrem fiesen Verhalten vor ein paar Monaten fast aus der Klasse gegrault hat und wie sehr ich es hasse, dass sie uns alle immer behandelt, als wären wir Kleinkinder, die nicht die geringste Ahnung vom Leben haben. Und da hat sich bei mir so eine Art innerer Schalter umgelegt und ich hab beim Anblick ihrer geschockten Miene nur noch »Rache ist Blutwurst« gedacht. Und deshalb hab ich, statt peinlich berührt aufzuhören, einfach weitergemacht mit dem Küssen. So, als ob die Horrowitz gar nicht da wäre. Tja, und das hat sie dann erst so richtig wütend gemacht. Das konnte man total sehen. Und deshalb hab ich noch zusätzlich angefangen, mich beim Küssen so richtig ins Zeug zu legen. Am liebsten hätte ich noch eins draufgelegt und meine Hand so lange unter Bens Sweatshirt geschoben, bis sie Schnappatmung kriegt (schließlich ist Knutschen auf dem Schulhof ja nicht verboten, auch wenn die Horrowitz das bestimmt gern hätte), aber leider hat Ben genau im selben Moment einen Hustenanfall bekommen und die Horrowitz hat sich mit einem angewiderten Kopfschütteln abgewandt. Schade aber auch.

»Alles in Ordnung?«

Während Ben sich die halbe Lunge aus dem Leib gehustet hat, habe ich ihn besorgt angeguckt und er hat keuchend genickt.

»Ja. Es ist nur …«

Ben hat noch einmal gehustet und ich habe ihn fragend angesehen.

»Soll ich dir ein Glas Wasser besorgen?«

»Nein. Lass nur. Geht schon. Wäre nur ganz nett, wenn du …«

Ben hat schwer atmend den Kopf geschüttelt und dann ist sein Husten, während ich ihn irritiert angesehen habe, in ein breites Grinsen übergegangen.

»Wäre nur nett, wenn du das nächste Mal, wenn du mich so plötzlich küssen willst, vorher das Kaugummi aus dem Mund nehmen würdest.«

»Das … Kaugummi? Oh, Scheiße …«

Flash!!!!

Mann. Ich glaube, ich bin so rot geworden wie eine Tomate. Wie grottig ist das denn? Zehn Sekunden vorher bin ich mir noch vorgekommen wie die große Verführerin und jetzt …

»Oh, Gott! Tut mir leid! Ich hab mich nur so gefreut über das Geschenk und da hab ich völlig vergessen, dass Sophie mir so’n blödes Kaugummi …«

»Hey, schon in Ordnung. Macht doch nichts. Ich leb ja noch.«

Während Ben mich lächelnd in den Arm genommen und dabei gemeint hat, dass er ernsthaft überlegen würde, fortan nur noch mit Kaugummi im Mund zu küssen, weil das wirklich eine ausgesprochen interessante Erfahrung gewesen sei, bin ich noch röter im Gesicht geworden als vorher, aber das hat ihn nur noch mehr angestachelt.

»Vielleicht sollten wir es das nächste Mal gleich mit einem Lolli im Mund versuchen. Ist bestimmt auch nicht schlecht. Oder mit ein paar Weingummis … Hey! Nicht schlagen!«

»Blödmann!«

Ich hab Ben eine volle Breitseite verpasst und er hat sich lachend weggeduckt, nur um mich dann durchzukitzeln.

»Nein, Ben, wehe …«

Ich habe versucht wegzulaufen, aber da Ben eine Eins in Sport hat und ich neuerdings nur noch eine Drei minus (wobei ich das Minus einzig und allein diesem Kack-Aufschwung am Reck zu verdanken habe), hatte er mich am Ende des Flurs natürlich gleich wieder eingeholt.

»Dir ist schon klar, was dir jetzt blüht, oder?«

»Kerker oder Rübe ab?«

»Hmm. Stimmt genau. Oder vierteilen. Dann hab ich immerhin mehr von dir …«

Ben hat sich langsam zu mir heruntergebeugt und mir dabei zärtlich eine Haarsträhne aus dem Gesicht gestrichen.

»Hey, Julie Ahlberg, hab ich dir eigentlich schon mal gesagt, dass ich dich liebe?«

Ich habe auf das kleine Grübchen in Bens linker Wange gestarrt, das man immer nur sieht, wenn er lächelt, und meine Stimme hat plötzlich ganz rau geklungen.

»Ich glaub schon.«

»Dann ist ja gut.«

Ben hat mich mit seinen blauen Augen mit den kleinen gelben Einsprengseln ganz lange angesehen und unter seinem Blick ist mir ganz warm geworden vor lauter Glück. Für einen Moment habe ich ganz genau gewusst, dass ich den klügsten, nettesten, begabtesten und bestaussehenden Jungen dieser Welt als Freund habe. Aber dann hat der klügste, netteste, begabteste und bestaussehende Junge leider etwas gesagt, das mich ziemlich aus dem Konzept gebracht hat.

»Ach, ja, eh ich’s vergesse … Meine Mutter fährt am Wochenende zu meiner Tante nach Berlin und mein Vater ist auf einer Geschäftsreise und na ja deswegen wollte ich dich fragen …«

Ben hat abgebrochen und für eine Sekunde merkwürdig zögernd gewirkt.

»Tja also, auf eine Party hab ich eigentlich keinen Bock. Die hatte ich ja auch erst zu meinem Sechzehnten und deshalb habe ich mich gefragt, ob du vielleicht Lust hättest, dass wir uns an dem Samstag einen netten Abend machen. Ich würde was zum Kochen besorgen und dann könnten wir uns ein, zwei gute Filme angucken und am nächsten Morgen vielleicht zusammen frühstücken, so ganz in Ruhe halt …«

Ich glaube, Ben hat noch irgendetwas von Croissants erzählt, die sie in der Gefriertruhe hätten, und davon, dass ich meinen Eltern ja sagen könnte, dass noch andere bei ihm übernachten, wenn das sonst bei mir zu Hause Stress geben würde, aber ich habe das Ganze gar nicht mehr so richtig mitgekriegt, weil es in meinen Ohren inzwischen so laut zu rauschen angefangen hatte, als stünde ich direkt neben einem Wasserfall.

Oh, Mann, ich sag dir. Ich muss ausgesehen haben wie jemand, dem gerade Voldemort persönlich erschienen ist. Was Ben allerdings nicht bemerkt hat. Zum Glück. Als es ein paar Sekunden später nämlich zum Unterricht geklingelt hat, hat er mich nur noch gefragt, ob wir an dem Samstag vielleicht indisch kochen wollen, weil er neulich ein Rezept für ein ziemlich leckeres vegetarisches Gericht aus Indien gefunden hätte. Na, und dann ist er in Richtung seines Klassenraums gesprintet, weil sie in der nächsten Stunde Erdkunde geschrieben haben, und ich bin wie paralysiert an Ort und Stelle stehen geblieben und hab nur noch eins gedacht. Nämlich: Oh, Scheiße.

Irgendwann, gefühlte drei Stunden später, bin ich dann wie fremdgesteuert in meine Klasse zurückgewankt, wo Sophie und Jette schon auf mich gewartet haben, um mich irgendetwas wegen den Mathehausaufgaben zu fragen, und ich musste erst mal so tun, als ob alles in bester Ordnung wäre. Aber ein paar Minuten später sind sie dann zum Glück wieder auf ihre Plätze zurückgegangen und ich war endlich allein mit meinem Rauschen in den Ohren und den Gedanken in meinem Kopf.

Verflixt! Wenn ich jetzt sagen würde, Bens Vorschlag hätte mich kalt erwischt, wäre das die Untertreibung des Jahrhunderts. Schließlich war mir schon in dem Augenblick, als ich mit Ben auf dem Flur stand, total klar, was er mich da gefragt hat: Er hat mich gefragt, ob ich bei ihm übernachten würde – genauso wie Franzis komischer Exfreund Noah sie vor ein paar Monaten gefragt hat, ob sie bei ihm übernachten will, und wie Papa Mama vor zwanzig Jahren gefragt hat, ob sie nicht lieber bei ihm übernachten will, anstatt im Regen den langen Weg nach Hause zurückzuradeln.

Wobei übernachten natürlich für etwas ganz anderes steht. Ist ja logisch. ODER? ODER ETWA NICHT?? Oh, shit! Vielleicht hat Ben ja wirklich nur übernachten gemeint, im Sinne von »bei Freunden übernachten«??

Aber warum hat er dann so nervös gewirkt? Oder hat er vielleicht gar nicht nervös gewirkt und die Einzige, die wirklich nervös war, weil sie alles falsch verstanden hat, war ich?? Ahhh!!!! Versteh einer Jungs!!! Wie soll man auf so etwas bloß reagieren?? Ich meine, klar, Ben und ich sind seit über anderthalb Jahren zusammen und wir kuscheln natürlich auch (und auch ein bisschen mehr, du weißt schon), aber … Ich kann doch nicht mit ihm schlafen! Ich bin erst vierzehn!!! Und auch wenn wir uns schon seit dem Kindergarten kennen, wo er der große Ben mit den coolen Turnschuhen und ich die kleine Julie mit der Karlsson-vom-Dach-Latzhose war, die ihn schon damals unbedingt heiraten wollte (vor allem, nachdem er den fiesen Till aus der orangen Gruppe in den Mülleimer gestopft hatte, weil der immer so gemein zu mir gewesen ist) – das geht einfach nicht! So weit bin ich noch nicht! Jette, Schari, Franzi, Sophie und ich haben neulich erst darüber gesprochen und da habe ich gesagt, dass ich frühestens mit sechzehn mit jemandem schlafen will. Wenn überhaupt. Aber um was anderes geht’s bei der Einladung wahrscheinlich nicht, oder? Oh, Gott!!!!

Befürchte, wenn nicht bald eine meiner Freundinnen nach Hause kommt, drehe ich noch vollkommen durch. Früher konnte ich über so etwas wenigstens noch mit Scharina reden, aber seit Schari eine Schwester bekommt, denkt sie beim Thema Sex immer gleich an Schwangerschaften, und das kann ich jetzt wirklich nicht gebrauchen. Wobei mir gerade einfällt, dass ich mir, wenn ich doch bei Ben übernachten würde, ja auch die Pille besorgen müsste. Was wiederum bedeutet, dass ich dafür zu einer Frauenärztin gehen müsste. Uahh! (Franzi sagt, ohne ärztliches Rezept bekommt man die nicht, und der Arzt, zu dem sie geht, ist ein Mann und zu einem Mann gehe ich bestimmt nicht. Never ever!) Wenn, würde ich nur zu einer Frau gehen, aber leider kenne ich überhaupt keine Frauenärztinnen (mit Ausnahme von Bens Mutter, ha, ha, ha). Und außerdem WILL ich überhaupt nicht zum Frauenarzt gehen und auf diesen schrecklichen Stuhl steigen, damit mir eine wildfremde Frau sonst wohin guckt. Und ich will auch keine Pillen schlucken, die einen nur dick machen, damit man mit seinem Freund schlafen kann, was ich ja sowieso nicht will! Aber Kondome allein sind mir auch wieder zu unsicher. Ahhhrrggg!!! Eigentlich will ich das alles nicht!

Eigentlich will ich nur, dass ich mir das alles eingebildet habe! Und dass Ben mich einzig und allein deshalb gefragt hat, ob ich bei ihm übernachten will, weil er es nett fände, mit mir am Morgen leckere Croissants zu frühstücken. Genau! Denke, das ist es. Ben und ich gucken ein paar Filme, lachen uns schlapp, schlafen Hand in Hand ein und ziehen uns am Morgen warme Croissants mit Erdbeermarmelade und Nutella rein. Das ist definitiv das Einzige, was ich will!!!!!!!!!

10 Was nicht heißt, dass ich nicht mehr Schriftstellerin werden will. Das will ich schon, aber neulich hat uns ein Autor bei einer Lesung erzählt, dass kaum ein Roman-Autor von dem Geld leben kann, das er verdient, es sei denn, er schreibt einen Bestseller, aber wer schreibt schon gleich als Erstes einen Bestseller? Und deshalb habe ich mir gedacht, kann ich ja erst einmal Journalistin werden und danach, wenn ich genug verdient habe, noch immer Romane schreiben.

Dienstag, der 11. Dezember

Höhepunkte!

1) Habe letzte Nacht, als ich nicht schlafen konnte, noch in diesem Buch über das Universum gelesen, das Mama mir zum Nikolaus geschenkt hat, und dabei beschlossen, das mit dem Wünschen einfach mal auszuprobieren. Vielleicht klappt’s ja.

2) Bin Ben bisher erfolgreich ausgewichen. Vorhin in der großen Pause hätte er mich fast allein in der Cafeteria erwischt, aber ehe er mich noch umarmen konnte, habe ich so getan, als hätte Schari mich gerade auf dem Handy angerufen. Musste deshalb zwar geschlagene dreizehneinhalb Minuten so tun, als würde ich mit Schari ein superwichtiges Gespräch über den zukünftigen Namen ihrer Schwester führen, aber immerhin konnte er mich so nicht noch mal nach Samstag fragen. Puh!

Tiefpunkte!

1) Ben hat während meines Telefonats kurzzeitig ziemlich merkwürdig geguckt. Hoffe, ich bilde mir das nur ein, aber erinnere mich daran, dass ich nachprüfe, ob wir in der Cafeteria überhaupt ein Netz haben.

Fühle mich im Moment wie ein Zombie im Mixer. Was daran liegen könnte, dass ich letzte Nacht wegen dieser blöden Übernachtungsgeschichte kaum geschlafen habe. Gestern Abend war Jette zwar gegen neun Uhr wieder on, aber irgendwie wollte ich dann doch nicht mehr mit ihr über das Ganze reden. Schließlich ist die Sache doch sehr … na ja, persönlich. Und ich würde ja auch nicht wollen, dass Ben über so etwas mit Fiete oder Steffen spricht. Die Einzige, mit der ich wirklich reden möchte, ist Schari. Aber als ich sie heute nach der Sechsten gefragt habe, ob sie Lust hat, am Nachmittag zu mir zu kommen, haben Franzi und Jette das blöderweise mitgekriegt und prompt gefragt, ob sie nicht auch kommen könnten, und am Ende vom Lied habe ich mich sagen hören, dass wir ja auch noch Sophie Bescheid sagen könnten. Verdammt! Mumi hat echt recht. Das Gegenteil von »durchsetzungsstark« heißt definitiv Julie Ahlberg.

Zu allem Überfluss hat Schari dann auch noch vor einer halben Stunde abgesagt, aber diesmal nicht wegen irgendeinem Babyklamottenkauf oder weil ihre Mutter Herzrasen hat, sondern weil sie vergessen hatte, dass sie sich vorgestern mit Cem, Zehra und Jannick an der Pipe zum Skateboarden verabredet hat. Was auch völlig in Ordnung ist, weil Skateboardfahren nicht wirklich mein Ding ist, und insofern bin ich auch nicht beleidigt oder so was. Aber ein bisschen ätzend ist es schon, weil ich sie einfach gern dabeigehabt hätte, wenn die anderen gleich kommen. Allein schon, weil sie mich bestimmt davor bewahren würde, mich, was die Übernachtungssache anbelangt, doch noch zu verquatschen. Das darf mir gleich echt nicht passieren!! Schließlich kann ich mir Franzis Kommentar dazu jetzt schon leibhaftig vorstellen. Franzi würde garantiert sagen, dass das ja wohl gar keine Frage ist. Weil das mit dem Miteinanderschlafen bei einer so langen Beziehung einfach dazugehört. Verdammt!Und Jette macht in Franzis Gegenwart auch immer einen auf supererfahren, obwohl eigentlich jeder weiß, dass sie noch nie einen Jungen geküsst hat. (Außer Cem auf der letzten Klassenreise, aber das zählt im Grunde nicht, weil Cem laut Aussage von Sophie beim Küssen nie den Mund aufmacht, was dazu führt, dass einem vom vielen Lippenaufeinanderpressen nur die Vorderzähne wehtun. Sagt zumindest Sophie.)

Shit! Gerade hat Mama von unten hochgerufen, dass das Auto von Jettes Mutter in unsere Straße eingebogen ist. Das heißt, ich muss mir wohl oder übel gleich stundenlang anhören, wie Jette und Franzi (Sophie konnte nicht) über die ultraspannende Frage diskutieren, ob Franzis R.d.B.11 Herr Jansen unter seinem Sakko nun ein Sixpack hat oder nicht. Himmel, hilf! Oder mit anderen Worten: Bis nachher!

18.34 Uhr.

Oh, Mann! Gerade eben sind Jette und Franzi gegangen und du glaubst nicht, was sie mir erzählt haben. Den unglaublichsten Klatsch aus der 8b, den ich seit Langem gehört habe! Dabei habe ich sogar fast das ganze Drama mit Bens Übernachtungsfrage vergessen.

Jette hat nämlich rausgekriegt, warum Herr Jansen heute früh so sauer auf die Jungs in unserer Klasse war, und ich muss sagen, der Grund dafür ist wirklich un-fass-bar!!!!

Erst habe ich gedacht, Franzi und Jette spinnen, aber da Jettes Mutter Elternvertreterin ist und Jette mit eigenen Ohren gehört hat, wie ihre Mutter und unsere Klassenlehrerin Frau Horrowitz darüber am Telefon geredet haben, scheint es wirklich zu stimmen. Okay, also jetzt kommt’s:

Herr Jansen und Frau Horrowitz wollen unsere Teilnahme bei »Schüler machen Zeitung« absagen, weil Hubertus, unser Siegelring tragender Schnösel aus Bayern, Cems türkischem Vater aus Versehen einen – halt dich fest – Sexfilm auf sein Handy geschickt hat! Tatatata!

Hab ich’s nicht gesagt?? Einfach unglaublich!

Franzi hat, nachdem Jette ihr die Story am Telefon erzählt hat, gleich bei Cem angerufen, weil sich die beiden ganz gut verstehen und Cem Franzi auch Mathe-Nachhilfe gibt und so, und der hat ihr die ganze Geschichte brühwarm bestätigt. Anscheinend hat unser Bonzenkind Hubertus nämlich zum Geburtstag das allerneueste Smartphone geschenkt bekommen, und weil er das natürlich gleich ausprobieren musste, hat er sich aus dem Netz einen Zwei-Minuten-Porno mit dem Titel »Da jodelt’s in der Lederhose« oder so ähnlich heruntergeladen und den an den rothaarigen Oliver gesandt. Na ja, und Oliver, dieser Spinner, war von dem Jodel-Film anscheinend so begeistert, dass er ihn gleich an Cem weitergeschickt hat, aber dummerweise war das Handy, das Cem neulich mit in der Schule hatte, gar nicht seines, sondern das seines Vaters. Und insofern hat Cem die Nachricht auch nicht gekriegt, sondern sein Vater, der den Film anscheinend komplett ahnungslos beim Abendessen geöffnet hat, als seine Frau ihm gerade Hackfleisch aufgefüllt hat, und danach war wohl nicht nur das Hack, sondern auch die Kacke so richtig am Dampfen. Cems Vater ist vor Empörung fast kollabiert und dann hat er bei unserer Klassenlehrerin angerufen und Konsequenzen verlangt, und eine dieser Konsequenzen ist jetzt, dass die gesamte Klasse nicht an der »Schüler machen Zeitung«-Aktion teilnehmen darf, obwohl wir das Thema seit Wochen vorbereitet haben und auch schon bei einer echten Redaktionskonferenz dabei waren. Und das alles nur, weil Hubsi und Oliver hormongesteuerte Perverslinge sind, deren IQ sich auf demselben Level wie der von Himbeermarmelade befindet. Ahhhhrrrgghhh!!!!!!

Ich hab Franzi und Jette gefragt, ob sie je vermutet hätten, dass Hubertus und Oliver dermaßen abartig veranlagt seien, was in meinen Augen eine ziemlich naheliegende Bemerkung war, aber Franzi hat mich daraufhin ganz merkwürdig angeguckt, so, als könne sie gar nicht glauben, wie irgendjemand so etwas Grenzdebiles von sich geben könne. Na, und dann hat sie gemeint, dass sie sich genauso wie ich auch über diese Zeitungssache aufregen würde, aber das müsste ja nun nicht gleich bedeuten, dass Hubsi und Oliver abartig seien.

»Das glaubst du doch auch nicht wirklich, oder?? Ich meine, diese Filme werden ja wohl nur gemacht, weil jede Menge Leute sie sich ansehen, und deswegen kann man da wohl kaum von abartig sprechen, sondern eher von normal …«

Franzi hat mir einen ihrer »Ich große, coole Frau, du kleines, dummes Mädchen«-Blicke zugeworfen und ich habe ein genervtes Stöhnen unterdrückt, weil ich diesen Blick schon kenne. Und dann habe ich ihr geantwortet, dass das in meinen Augen nur Wortklauberei ist, weil sie ja wohl genau wisse, was ich meine, nämlich, dass solche Filme einfach widerlich sind und alle, die sich so etwas angucken, mit ziemlicher Sicherheit ein gewaltiges Rad abhaben.

»Oder siehst du das etwa anders?« Ich hab Franzi gereizt angesehen, weil ich es hasse, wenn sie so gönnerhaft überlegen tut, aber sie hat nur in gespielter Verzweiflung aufgeseufzt, genauso wie unsere Klassenlehrerin Frau Horrowitz immer seufzt, wenn wieder einmal ein Drittel der Klasse seine Hausaufgaben vergessen hat. Und anschließend hat sie gesagt, vielleicht müsse man die Sache ja nur aus einem anderen Blickwinkel betrachten und nicht gleich so spießerhaft verklemmt darauf reagieren wie ich. (Spießerhaft verklemmt … Hat sie wirklich gesagt! Na, schönen Dank auch!)

»Ich meine, woher wollen wir denn wissen, dass Pornofilme grundsätzlich widerlich sind? Hm? Eventuell gibt’s da ja auch ein paar ganz gute und …«

»Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder? Du hast nicht wirklich gerade gesagt, dass es auch gute Pornos gibt, ODER??«

Ich hab Franzi ungläubig angeguckt, aber die hat mich, statt einen Rückzieher zu machen, nur stöhnend gemustert.

»Herrgott, Julie, wir reden hier ja nicht über Vergewaltigung oder so was! Wir reden nur über ein paar lächerliche Pornos, die …«