Julie und die schwarzen Schafe - Franca Düwel - E-Book + Hörbuch

Julie und die schwarzen Schafe E-Book

Franca Düwel

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Beschreibung

Julies Leben ist eine Achterbahnfahrt. Mit ihrer großen Liebe aus Versehen in einem japanischen Sexfilm zu landen - diese Peinlichkeit kann sie ja gerade noch ausbügeln. Aber dann ist Ben davon überzeugt, dass Julie die perfekte neue Leadsängerin in seiner Band abgeben würde! Was er nicht ahnt: Seine Freundin kann nicht mal "Alle meine Entchen" singen. Höchste Zeit also für einen Original-Julie-Plan, garantiert ohne Tücken und Fallstricke. Doch wer Julie kennt, weiß, dass damit die Achterbahnfahrt der Höhe- und Tiefpunkte erst richtig anfängt.

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Seitenzahl: 318

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FRANCA DÜWEL

Julie

und die Schwarzen Schafe

Schlimmer geht’s immer

Mit Illustrationen von Katja Spitzer

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Franca Düwel, geboren 1967, studierte Literaturwissenschaften und Pädagogik. Nach diversen Stationen in der Filmbranche ist sie als Drehbuchautorin hocherfolgreich. Sie entwickelte unter anderem die Kinderserie »Die Pfefferkörner« und schrieb zahlreiche Folgen von »Berlin, Berlin«. Franca Düwel lebt mit ihrem Mann und ihren beiden Töchtern in der Nähe von Hamburg.

 

Weitere Titel der Reihe:Julie und Schneewittchen (Band 6407)* Julie und das Herzschlamassel (Band 6581)* Julie. Ein Notizbuch (Band 6623) Julie. Mein Tagebuch (Band 6424)

* Auch als Hörbuch bei Arena audio

5. Auflage 2013 © Arena Verlag GmbH, Würzburg © Text: Franca Düwel Coverillustration und Innenvignetten: Katja Spitzer Vermittelt durch die Agentur Susanne Koppe, Hamburg Innengestaltung: Georg Behringer, Umwerk München ISBN 978-3-401-80244-2

www.arena-verlag.de Mitreden unter forum.arena-verlag.dewww.julies-tagebuch.de

Inhaltsverzeichnis

Freitag, der 19. März

Montag der 22. März

Dienstag, der 23. März

Mittwoch, der 24. März

Donnerstag, der 25. März

Freitag, der 26. März

Samstag. der 27. März

Sonntag, der 28. März

Montag, der 29. März

Dienstag, der 30. März

Mittwoch, der 31. März

Donnerstag, der 1. April

Freitag, der 2. April (Karfreitag)

Samstag, der 3. April, Sondesborg, Dänemark

Ostersonntag, der 4. April

Ostermontag, der 5. April (Nacht)

Ostermontag, der 5. April (Tag)

Dienstag, der 6. April

Mittwoch, der 7. April

Donnerstag, der 8. April

Freitag, der 9. April!

Samstag, der 10. April

Donnerstag, der 22. April

 

 

 

 

 

Für Ingo

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Freitag, der 19. März

Höhepunkte

1) Hätte heute auf dem Schulweg fast einen Krokus zertreten. Scharina konnte mich grad noch wegschubsen. Der letzte schwarze Eisklumpen neben unserer Haustür ist auch verschwunden und es hat seit genau sieben Stunden und sechsundzwanzig Minuten nicht mehr geregnet. Das heißt, es wird Frühling! Yippie!!

2) Habe heute im Bio-Test eine Eins minus zurückbekommen. Musste dreimal überprüfen, ob es sich bei der Note nicht um eine Verwechslung handelt, aber Herr Clausen, unser neuer Klassenlehrer in der Siebten, meinte, das sei so richtig. Unglaublich!

3) Papa hat gesagt, dass er gar nicht gewusst hat, dass ich mich so für Biologie interessiere, und wenn ich ihm öfter bei der Gartenarbeit helfe, würde er sich das mit dem Haustier vielleicht noch einmal überlegen.

Tiefpunkte

1) Mama hat gesagt, die Eins sei super, aber wenn ein Tier ins Haus käme, zieht sie aus. (Manchmal würde ich sie wirklich gern gegen Sophies Mutter eintauschen!)

2) Ab morgen gibt es bei uns nur noch Brigitte-Diät. Für alle, außer meiner Schwester Otti. Weil Mama es für ungerecht hält, wenn Papa und ich uns dick Nutella aufs Brot schaufeln und sie nur drei Löffel Magerquark mit einer halben Kiwi essen darf. Finde, das ist total egoistisch von ihr!

Nicht nur, dass wir schon seit gefühlten hundertsechsundachtzig Tagen ihre schlechte Diät-Laune aushalten müssen, jetzt will sie uns auch noch zum Mithungern zwingen! Habe mich eben am Telefon bei meiner Oma darüber beschwert, woraufhin Mumi erwiderte, eine Rolle weniger am Bauch täte mir ganz gut. Ohne Worte! (Wenn ich demnächst magersüchtig werde, weiß ich wenigstens, wer daran schuld ist.)

Liebes Tagebuch,

habe die letzte halbe Stunde damit verbracht, mich über meine Mutter aufzuregen. Jette bekommt zwei Euro für jede Eins und Franzi sogar fünf, Sophie hat einen Hund und Ben immerhin einen Frosch und was hab ich? Eine dauersabbernde Babyschwester, einen Vater, der Geld als Belohnung für Noten »unpädagogisch« findet, und eine diätbesessene Mutter mit Haustierphobie. Na, herzlichen Glückwunsch!

War kurz davor, Mamas blödes Muttertagsgeschenk wieder aufzuribbeln (sie kriegt einen selbst gestrickten Schal mit Filzblüten dran, der eh ziemlich panne aussieht, weil ich mit dreißig Maschen angefangen habe und bei der Hälfte plötzlich einundvierzig hatte, keine Ahnung, warum), aber dann hat mich der Gedanke an die heutige Bio-Stunde doch noch davon abgehalten. Schließlich ist die Eins nicht nur meine erste Eins seit fast einem halben Jahr (im letzten Bio-Test hatte ich eine glatte Vier), sondern auch noch die EINZIGE Eins der ganzen Klasse. Ha! Wer hätte gedacht, dass ich so viel über den Knochenaufbau von Wirbeltieren weiß? Überlege zurzeit ernsthaft, in der Oberstufe statt des sprachlichen ein naturwissenschaftliches Profil zu wählen. Als Schriftstellerin ist es bestimmt hilfreich, sich in der Tierwelt auszukennen.1 Als Hintergrundwissen. Man muss ja nicht gleich einen Roman darüber schreiben. Andererseits … Eine Liebesgeschichte unter Einzellern wäre wenigstens was Besonderes. So nach dem Motto »Romeo und Julia in der Ursuppe«. Oder »Bis(s) zur nächsten Mikrobe«.

Okay, bevor ich mich daranmache, bringe ich dich aber erst mal wieder aufs Laufende. Schließlich hab ich mich ziemlich lange nicht gemeldet und in der Zwischenzeit ist so einiges passiert!

Das Wichtigste zuerst: Ich bin jetzt 131/4 Jahre alt und gehe in die siebte Klasse – YeahYeah!

Nach der Sechsten haben sie die Klassen neu zusammengewürfelt und jetzt bin ich mit meiner besten Freundin Scharina (= die tollste Manga-Zeichnerin der Welt), Sophie, Franzi und der dicken Jette, die seit den Winterferien sechs Kilo abgenommen hat und deshalb gar nicht mehr so dick ist, in der 7b, einer Lateinklasse. (Scharina ist Legasthenikerin und konnte kein Französisch nehmen wegen der Rechtschreibung und ich hab dann einfach auch Latein gewählt, weil ich auf alle Fälle mit ihr zusammenbleiben wollte. Auch wenn meine Eltern das bekloppt fanden.)

Katja und die fiese Hanna, die Scharina in der Sechsten immer Schneewittchen genannt hat (à la »Schneewittchen, Schneewittchen, kein Arsch und kein Tittchen«), gehen in die Parallelklasse und so müssen wir sie nur noch in den Pausen ertragen. Dafür ist uns der rothaarige Oliver (der, der mit seinen Hoden unter dem Tisch ständig Pingpong spielt) erhalten geblieben. Na ja, man kann nicht alles haben.

Abgesehen von Oliver und seinem neuen Spezi Hubertus Klewenhagen (einem abartig schleimigen Schönling, der mit seiner Familie aus Bayern nach Hamburg gezogen ist und mir immer auf den Busen starrt, wenn er denkt, ich merke es nicht), sind die anderen Jungs in unserer Klasse halbwegs in Ordnung. Okay, Cem, unser Mathe-Genie, geht einem mit seinem Macho-Getue ziemlich auf die Nerven, vor allem seit er sämtliche Mädchen »Babes« nennt, was absolut bescheuert klingt, aber dafür hat Silbergebiss-Jannick uns, das heißt Scharina, Franzi, Jette und mich, sogar zu seiner letzten Geburtstagsfeier eingeladen. Und das, obwohl Oliver vorher laut in der Klasse herumgegrölt hat, Mädchen einladen täten nur Schlappschwänze. (Dabei fällt mir ein, Scharina hat mich gebeten, Jannick nicht mehr Silbergebiss-Jannick zu nennen, weil er ja schon seit Monaten keine Klammer mehr hat und sie den Namen saudoof findet, aber ich vergesse das andauernd.)

In Sachen Jannick ist Scharina ohnehin etwas überempfindlich. Was wahrscheinlich daher kommt, dass sie schon ewig in ihn verknallt ist. Allmählich sollte ich mich daran gewöhnt haben, aber so ganz kann ich Scharinas Gefühle für Jannick noch immer nicht nachempfinden. Schließlich erinnert er mich mit seinen großen Füßen und seiner Tollpatschigkeit tierisch an Frodo aus »Herr der Ringe«. Aber wenigstens scheint Frodo-Jannick supertoll zu küssen. Zumindest laut Aussage von Scharina, die letzte Woche mit Jannick im Kino war, wonach ES (also der Kuss) dann passiert ist.

Seitdem schwebt meine sonst immer so coole beste Freundin auf Wolke sieben und ich komme mir jeden Tag abgeklärter vor. Weil bei ihr alles noch so frisch ist und ich schon seit einem Dreivierteljahr mit Ben zusammen bin. Gut, ich weiß, das hört sich jetzt doof an, weil ich mir vor Ben gar nicht vorstellen konnte, dass sich jemand so Tolles wie er überhaupt für mich interessieren könnte. Und weil Jette und Sophie noch nie einen festen Freund hatten und ich insofern jetzt, wo wir ein Paar sind, nur noch dankbar und glückstrahlend durch die Gegend laufen sollte, was ich ja im Grunde genommen auch tue.

Aber die anderen aus der Schule machen halt immer öfter blöde Sprüche. Als ob das nicht normal wäre, dass Ben und ich schon so lange zusammen sind. Und das nervt auf Dauer doch.

Erinnerst du dich überhaupt noch an Ben? Breite Schultern, blonde Locken, Grübchen in der linken Wange und immer ein Heft in der Hand, in das er gerade irgendeinen Song für seine Band reinkritzelt? Anders ausgedrückt: der netteste und sensibelste Neuntklässler, den es auf der ganzen Welt gibt! Eigentlich staune ich noch immer jeden Tag darüber, dass Ben sich ausgerechnet in mich verliebt hat. Ich mein, ich sehe nicht gerade aus wie Quasimodo, aber hey – wir sprechen hier von Ben! Früher hab ich immer geglaubt, seine Freundin müsste wie eine Gewinnerin von »Germany’s next Topmodel« aussehen. Oder wenigstens wie Scharina mit ihrer schwarzen Mähne und den Mandelaugen. Und nicht so wie ich, mit meinen straßenköterblonden Fisselhaaren, der Nofretete-Nase2 und den roten Wangen, bei denen sämtliche Freundinnen meiner Mutter immer gleich an Rotbäckchen-Saft denken müssen. Ganz abgesehen von meinen Waden. Papa sagt, ich hätte richtige Fußballerwaden und die seien viel besser als so dünne Streichholzbeinchen, aber wenn du mich fragst, sind sie einfach nur dick.

Okay, mal abgesehen von meiner etwas zu großen Nase und meinen Waden sehe ich, glaube ich, ziemlich normal aus.

Ben mochte mich schon im Kindergarten – behauptet er zumindest. Wie die meisten anderen Jungs auch, aber nicht, weil ich so hübsch war. Sondern eher, weil ich mit meinem Kugelbauch, den Latzhosen und dem Pisspott-Haarschnitt, den mir Mama verpasst hatte, selber aussah wie einer von ihnen, also wie ein kleiner dicker Junge. Und wahrscheinlich keiner meiner Freunde damals so richtig begriffen hatte, dass ich eigentlich ein Mädchen war.

Als ich mit zweieinhalb Jahren neu in die bunte Gruppe gekommen bin, hat Ben angeblich im ersten Moment geglaubt, ich sei Karlsson vom Dach. Und als er gesehen hat, dass ich keinen Hubschrauber-Rotor auf dem Rücken hatte, war er tierisch enttäuscht.

Letztlich hat er sich dann aber auch ohne Rotor in mich verliebt. Und insofern könnten mir die Sprüche der anderen (von wegen wir seien ja schon wie ein altes Ehepaar und so) eigentlich total egal sein. Aber …

Oh, Mama ruft. Ich soll das Fleisch zu Ende braten, weil Otti3mal wieder pünktlich zum Essen einen in die Hose gedrückt hat. Oh, Mann, das stinkt bis in mein Zimmer! Iiiiihh! Kenne niemanden, der so stinken kann wie meine Schwester. (Außer vielleicht Bens bester Freund Fiete mit seinen Käsefüßen, aber … egal.)

Muss mich sputen. Bis später!

1Das mit der Entwicklungshilfe als Berufswunsch habe ich nach einem Fernsehbericht über die diversen Spinnenarten, die es in Afrika gibt, gestrichen. Glaube, dafür bin ich doch ein zu großer Schisser.

2Nofretete war eine ägyptische Königin und aus unerfindlichen Gründen findet mein Vater sie und ihre Nase ganz toll.

3Otti heißt eigentlich Eva, aber spätestens wenn man einmal an ihrer Windel gerochen hat, ist klar, dass man sie unmöglich so nennen kann. Außerdem hätte sie, wenn sie ein Junge geworden wäre, Otto geheißen und ehrlich gesagt sieht sie akkurat wie ein Otto aus.

Montag der 22. März

Höhepunkte

1) Habe eben die tollste Neuigkeit aller Zeiten erfahren: Wir fahren mit Ben und seinen Eltern über Ostern zusammen in die Ja, ja, ja! Bens Eltern haben da ein Haus gemietet und Bens Mutter war heute Vormittag bei meiner Mutter und hat gefragt, ob wir nicht ganz spontan mit nach Italien kommen wollen. Weil das Haus so groß ist und sie schon lange nicht mehr mit Bekannten zusammen in den Urlaub gefahren sind und die Kinder (damit meinte sie Ben und mich, ohne Worte) sich bestimmt auch darüber freuen würden. Ich liebe Bens Eltern! Wenn Papa jetzt noch am Dienstag nach Ostern Urlaub kriegt, fahren wir alle zusammen. Ist das cool, oder was?

Tiefpunkte

1) Oma und Opa haben gestern Abend aus New York angerufen und mich gefragt, ob ich sie in den Sommerferien, wenn sie mit ihrem Segelschiff vor der kanadischen Küste liegen, für vier Wochen besuchen will. Sie haben gesagt, dass ich ganz ehrlich antworten soll, ob ich dazu Lust habe oder nicht. Irgendwie habe ich schon gewittert, dass das mit der ehrlichen Antwort eine Falle ist, aber dann habe ich doch gesagt, dass ich dazu eigentlich nicht so viel Lust hätte, weil ich lieber hier bei Ben bleiben würde. Anschließend herrschte erst mal Stille und danach hat Opa sich Papa geben lassen. Und als Papa aufgelegt hat, habe ich mir eine Gardinenpredigt à la »Musste das sein?« und »Sie hatten sich so darauf gefreut!« anhören müssen. So viel zum Thema »Du kannst ruhig ganz ehrlich antworten!«. Das nächste Mal fall ich nicht mehr darauf rein!

2) Mama zieht das mit der Diät voll durch. Habe das Haus gestern Abend verzweifelt nach Schokolade durchsucht, aber sie hat sämtliche (!) Schokoladenverstecke leer geräumt.

3) Ben hat heute früh nicht bei uns geklingelt, um mich zur Schule abzuholen.

Ben hat mich heute früh nicht zur ersten Stunde abgeholt, obwohl er das montags sonst immer tut. Vermutlich hat das nichts zu bedeuten (wahrscheinlich hat er einfach nur verschlafen), aber dummerweise grüble ich trotzdem die ganze Zeit darüber nach. Habe erst überlegt, unter irgendeinem Vorwand (z. B. wegen der Italienreise) bei ihm zu klingeln und ihn zu fragen, was heute früh los war,4 es dann aber doch gelassen. Nachher glaubt er noch, ich will ihn kontrollieren!

Bisher habe ich gedacht, die ganzen Sprüche der anderen können uns nichts ausmachen, aber vielleicht können sie das doch. Irgendwie ärgert es mich nämlich schon, wenn Jette und Franzi so tun, als wenn ich in Sachen Jungs nicht mehr mitreden könnte, nur weil ich wegen Ben quasi aus dem Rennen bin. Was Bens Freundeskreis anbelangt, so scheint es da mit den blöden Bemerkungen noch schlimmer zu sein. Ben hat erzählt, das ganze Macho-Gelaber von Marc und Steffen (das ist der neue Keyboarder seiner Band) würde ihm echt auf den Keks gehen. Und das war wohl noch untertrieben, denn Sophie hat mir unter dem Siegel strengster Verschwiegenheit berichtet, dass sie von Fiete, ihrem Bruder, weiß, dass Marc und Steffen sich neulich richtig mit Ben gefetzt haben. Weil Ben meinetwegen schon zwei Bandproben abgesagt hat und sie kurz davor waren, ihn vor die Alternative zu stellen: die Band oder Julie. Ich mein, geht’s noch???

Der Oberhammer passierte allerdings heute früh. Hanna aus der 7a hat mich allein bei den Fahrradständern gesehen, ohne Ben, und hat prompt die Gelegenheit genutzt, mir eins reinzuwürgen.

»Oh, Julie, das tut mir aber leid. Kommt dein Lover heute später oder hat er endlich festgestellt, dass deine Waden genauso fett sind wie dein Hintern?«

Am liebsten hätte ich ihr etwas super Schlagfertiges erwidert, aber natürlich ist mir in dem Moment nichts eingefallen. (In solchen Situationen fällt mir NIE was Passendes ein! Ich hasse das!!) Also hab ich nur so getan, als wäre sie Luft für mich.

Katja (das ist ihre neue Busenfreundin, die früher, in einem anderen Leben, mal ganz nett war) hat gekichert und ich bin knallrot vor Wut geworden und hab wie eine Blöde an meinem Fahrradschloss herumgezerrt, das sich natürlich genau in diesem Augenblick am Sattel verhaken musste.

»Ach, Julie, dabei fällt mir ein, hat Ben dir eigentlich schon erzählt, dass er eine Neue in der Klasse hat? Also wenn nicht, würde ich mir an deiner Stelle ja so meine Gedanken machen …« Für eine Sekunde hab ich gedacht, wenn Hanna nicht gleich die Klappe hält, haue ich ihr das Schloss um die Ohren, aber zum Glück ist Scharina im selben Moment um die Ecke gebogen.

»Hi Julie, alles okay?«

Hanna hat sich zu ihr umgedreht und sie angewidert gemustert. »Scheinbar nicht. Sonst würde sie sich wohl kaum ausgerechnet mit dir abgeben.«

Hanna hat Scharina provozierend angeguckt, aber ehe sie noch irgendeine fiese Bemerkung über Scharinas gefärbte Haarsträhne oder ihre Klamotten machen konnte, ist Scharinas Blick schon zu Hannas rechtem Hosenbein gewandert.

»Äh, Hanna, kann es sein, dass dir da gerade was aus der Hose tropft? So was Grünes, Schleimiges …«

»Was?? Wo?«

Alle haben auf Hannas weiße Markenjeans gestarrt und Hanna hat sich hektisch um ihre eigene Achse gedreht, aber da war nichts.

Scharina hat mir grinsend zugezwinkert und erst da ist der Groschen bei Hanna gefallen und sie ist drohend auf Scharina zugekommen und eine Sekunde lang hab ich gedacht, gleich fährt sie ihr mit ihren langen Fingernägeln quer durchs Gesicht. Die Fünftklässler neben uns haben aufgehört, sich mit ihren Turnbeuteln zu beschmeißen, und stattdessen fasziniert von Hanna in ihren teuren Markenklamotten zu Scharina mit ihrer pink gefärbten Haarsträhne und den selbst gebastelten Ohrringen geguckt und für einen Augenblick war alles total westernlike.

Scharina und Hanna haben sich gemustert wie in einem Duell, kurz bevor der Sheriff und sein Widersacher ihre Pistolen ziehen, und ich hab überlegt, ob ich mich schützend vor Scharina werfen soll, aber dann hat Hanna sich ganz plötzlich in Richtung Schulgebäude umgedreht.

»Komm, Katja, wir gehen. Mit solchen Assis müssen wir uns nun wirklich nicht abgeben …«

Hanna und Katja sind ab in Richtung Tür, die Fünftklässler haben sich enttäuscht wieder ihren Turnbeuteln zugewendet und Silbergebiss-Jannick, der die Szene aus sicherer Entfernung beobachtet hat, ist näher gekommen und hat Scharina so bewundernd angestrahlt wie die Heldin in einem Superwoman-Comic. Und ich? Ich war einfach nur erleichtert. Okay, die Bemerkung über die Neue in Bens Klasse hat mich schon ein bisschen gewurmt, weil Ben mir davon wirklich nichts erzählt hat, aber das war nach zwei Sekunden wieder vorbei.

Der Rest des Vormittags war zum Glück ganz okay. (Mal abgesehen davon, dass es heute Mittag Hirsepfannkuchen mit Tofu-Gemüse gab. Würg.) Gleich kommt Mumi zu Besuch, was bedeutet, dass Mama ihre Diät vielleicht unterbricht und … Oh, es klingelt! Das ist sie bestimmt! Bis später!

19.32 Uhr.

Was für ein Nachmittag! Eigentlich hatte ich gehofft, dass es Käsekuchen gibt, weil Mama den häufig macht, wenn meine Oma uns zwischen ihren tausend Yoga- und Frauentreff-Terminen mal besucht. Aber das war leider der Satz mit x. Dabei hatte ich einen Bärenhunger! Mumi war zwar da, aber statt Käsekuchen gab es Knäckebrot mit Tomatenmark und dann klingelte auch noch das Telefon und Mama musste ganz schnell in ihren Buchladen, um eine Kollegin abzulösen, die einen Wasserrohrbruch zu Hause hatte.5

Und ich saß auf einmal mit Mumi und der schlafenden Otti alleine da. (Papa war natürlich nicht da. Wenn Mumi uns besucht, hat er immer einen ganz wichtigen Termin außerhalb.) Am Anfang war ich noch ganz froh, dass Mama noch mal wegmusste, weil ich gedacht hab, dass ich das Haus so wenigstens in Ruhe nach Schokolade durchforsten kann, aber dazu bin ich gar nicht gekommen. Kaum war Mama aus der Tür, hat Mumi sich nämlich schon auf mich gestürzt und mir einen Vortrag zum Thema Ben gehalten. Normalerweise mag ich Mumi wirklich gerne und verteidige sie auch immer vor Papa, aber nach heute bin ich mir nicht mehr so sicher, ob er nicht doch ein klitzekleines bisschen recht hat, wenn er sagt, dass sie nervt.

Zuerst hat sie sich eine von ihren langen, dünnen Zigaretten angezündet und dann hat sie mich gefragt, ob es stimmen würde, dass ich den Besuch bei meinen anderen Großeltern abgesagt hätte, weil ich in den Sommerferien nicht so lange von Ben getrennt sein möchte. Und als ich genickt habe, hat sie schnaubend den Kopf geschüttelt und dabei finster den Rauch ausgestoßen.

»Herrgott, Julie, das darf doch nicht wahr sein! Schlimm genug, dass deine Mutter deinem Vater zuliebe ihre Karriere geopfert hat und nun für einen Sklavenlohn in einem Buchladen schuftet. Jetzt fängst du auch noch damit an! Kanada! Wenn mich jemand in deinem Alter zum Segeln nach Kanada eingeladen hätte … Ich hätte sofort meine Koffer gepackt. Sofort! Wie kannst du so eine Traum-Chance einfach sausen lassen? Und das für einen pubertierenden Jüngling, der dich bei so einem Angebot umgekehrt schneller stehen lassen würde, als du gucken kannst?«

»Würde er nicht! Und außerdem will ich gar nicht nach Kanada! Da, wo Oma und Opa sind, regnet es nämlich ständig, das haben sie selbst gesagt, und beim Segeln werde ich sowieso seekrank und …«

Ich wollte Mumi gerade erklären, dass es nicht im Mindesten mein Traum ist, vier Wochen auf einem schaukelnden Segelboot in Kanada zu hocken und mir umzingelt von Grizzlybären und Wölfen den Hintern abzufrieren, aber im selben Moment ist mir Mumi schon mit einem flammenden Blick ins Wort gefallen.

»Entschuldige bitte, aber so was höre ich mir gar nicht erst an. Schließlich habe ich nicht vor fünfunddreißig Jahren auf offener Straße meinen BH verbrannt,6 um jetzt tatenlos mit anzusehen, wie sich meine Enkeltochter aus Liebe zu dem erstbesten Penisträger ihr Leben versaut!«

Penisträger!!! Hat sie wirklich gesagt. Zuerst habe ich noch gehofft, sie macht einen Scherz, aber als ich versuchsweise zu lachen angefangen habe, hat sie mich angesehen, als wäre ich nicht mehr ganz richtig im Kopf. Also hab ich aus dem Lachen schnell einen Hustenanfall gemacht. Und dann hab ich ihr mit hochrotem Kopf erklärt, dass Ben a) kein »Penisträger« ist, sondern der Junge, den ich lieb habe, und dass er b) auch nicht der Erstbeste ist, weil ich ihn schließlich schon seit dem Kindergarten kenne. Anschließend war ich richtig stolz auf mich. Weil ich so vernünftig geblieben bin und Mumi nicht vor den Latz geballert habe, dass sie ja wohl einen Oberknall hat. Aber gebracht hat das Ruhigbleiben leider nichts. Mumi hat nur aufgeseufzt, einen Rauchring in die Luft geblasen und ihre dunkelrot gemalten Lippen anschließend zu einem mitleidigen Lächeln verzogen.

»Tut mir leid, deine Illusionen zerstören zu müssen, Julie, aber auch dein Ben wird nicht anders sein als die meisten Angehörigen seines Geschlechts. Erst schmalzen sie rum und man denkt, man hätte sonst ein sensibles Exemplar erwischt, aber wenn’s ans Sockenwaschen geht, dann ist es aus mit dem Süßholzgeraspel …«

»Aber …«

»Glaub mir, ich weiß, wovon ich rede. Ich hatte schließlich so einige Kerle, ehe ich mir mein Aussehen als bessere Putzfrau deines Großvaters ruiniert habe!«

Ich hab ein Stöhnen unterdrückt und dann noch mal versucht, ihr zu erklären, dass Ben nie Süßholz raspelt, sondern gnadenlos ehrlich ist und klug dazu, aber Mumi hat mir gar nicht zugehört.

»Das hat nichts mit klugen Köpfen zu tun, Julie. Meine Freundin Elli war mit einem Staatssekretär im Innenministerium verheiratet und musste ihm die schmutzigen Socken waschen, bis er sie gegen eine Jüngere eingetauscht hat, und dieser Niedersachse im Bundestag, dieser … wie heißt er noch, und selbst dieser schreckliche CSU-ler …«

Ich hab innerlich aufgestöhnt, weil ich wusste, wenn ich sie jetzt nicht bremse, dann ist sie gleich bei ihren Lieblingsthemen angelangt. Zuerst kommen bei ihr nämlich immer die Politiker (= schlimm, weil sie alle ihre Frauen betrügen), dann die Polizisten (= genauso schlimm, weil ein Polizist sie auf einer Frauenbefreiungsdemo vor dreißig Jahren mal zu Boden geschlagen hat), als Nächstes mein Großvater (= noch schlimmer, warum ist allerdings unklar) und zum Schluss mein Vater (= am schlimmsten, weil Mama seinetwegen ihr Volkswirtschaftsstudium abgebrochen und eine Buchhändlerlehre gemacht hat). Insofern habe ich sie lieber schnell unterbrochen.

»Also, ich wasche Ben definitiv nicht die Socken!«

»Und wer wäscht sie dann?«

»Äh … Zurzeit wahrscheinlich seine Mutter, aber …«

»Ha! Ich hab’sgewusst!«

»Hä?«

Ich hab Mumi Hilfe suchend angesehen, weil ich nicht ganz begriffen habe, warum sie mich plötzlich so triumphierend gemustert hat.

»Was hast du gewusst?«

»Dein Ben. Er beutet seine Mutter aus.«

Ich hab Mumi angeguckt wie eine arme Irre. »Aber Mama wäscht doch meine Socken auch und das heißt ja wohl nicht …«

»Julie, darum geht es hier nicht. Es geht ums Prinzip!«

»Ich dachte, es geht um Socken.«

Mumi hat seufzend den Kopf geschüttelt. »Es geht um Macht. Es geht darum, dass Männer Frauen unterdrücken, indem sie sie zwingen, ihre Schmutzwäsche zu waschen. Männer wie dein Großvater und leider auch wie mein Herr Schwiegersohn …«

An der Stelle hat sie leidvoll aufgeseufzt und in dem Moment habe ich total nachvollziehen können, warum Papa immer einen ganz wichtigen Termin hat, wenn er Mumis Auto bei uns in der Auffahrt stehen sieht. Vor allem, weil er bei uns häufiger die Wäsche macht als Mama.

Ich hab mich schon darauf eingestellt, für Papa in die Bresche zu springen, aber nach dem Seufzer war Mumi aus unerfindlichen Gründen mit dem Sockenthema durch. Erst hab ich erleichtert aufgeatmet, aber da wusste ich noch nicht, was als Nächstes kommt.

Plötzlich wollte sie nämlich über weibliche Lust reden. Zuerst habe ich geglaubt, sie meint »Lust« im Sinne von »Hast du nicht auch Lust, das Haus nach Papas teuren Niederegger-Pralinen zu durchsuchen?«, aber Fehlanzeige. Sie meinte mit »Lust« so was wie Sex. Nachdem ich das geschnallt hatte, wäre ich am liebsten schreiend weggelaufen (Ich mein, hallo, sie ist meine OMA!), aber irgendwie habe ich es dann doch noch geschafft, ihr zu erklären, dass ich erst dreizehn bin und ganz bestimmt noch keinen Sex haben will. Hatte nicht das Gefühl, dass sie das wirklich kapiert hat, aber Gott sei Dank hat mich im selben Augenblick das Telefonklingeln gerettet und ich habe mich unter dem Vorwand, Scharina die Englisch-Hausaufgaben erklären zu müssen, in mein Zimmer geflüchtet.

Puh! Wenn Erwachsene schon auf einem anderen Planeten leben, dann befindet sich der Planet meiner Oma mindestens in einer anderen Galaxie. Ob Mumi wohl je richtig doll verliebt gewesen ist, als sie jung war? So wie ich in Ben? Kann ich mir eigentlich nicht vorstellen.

Auf jeden Fall ist das Ganze ziemlich traurig. Wenn ich daran denke, ich könnte später mal so werden wie Mumi, dann wird mir richtig elend. Aber ich glaube, Ben und mir kann das nicht passieren.

Weil Ben nämlich nicht nur der Junge ist, in den ich verliebt bin, sondern gleichzeitig auch so eine Art … Seelenverwandter. Jedes Mal, wenn ich in seine graublauen Augen mit den kleinen gelben Einsprengseln sehe, dann kommt es mir so vor, als würden wir uns schon ewig kennen.

Nicht nur seit der Kindergartenzeit, sondern noch länger. Als ob wir in einem früheren Leben schon zusammen gewesen wären. Okay, das ist jetzt kitschig, ich weiß, aber manchmal glaub ich das echt. Inzwischen kenne ich die blaue Ader über seiner Schläfe, die immer zu pochen anfängt, wenn er sich über irgendetwas aufregt, schon richtig gut. Und den Ausdruck in seinen Augen, wenn ihm etwas Sorgen macht, er aber nicht will, dass man das merkt. Aber das Schönste ist das Grübchen in seiner linken Wange, das man immer nur sieht, wenn er lacht. Und der Moment, wenn er mich zu sich hochhebt und durch die Luft wirbelt, als wenn ich so leicht wie eine Feder wäre. Und wenn ich daran denke, wie weich sein Blick wird, wenn er mich zu sich heranzieht, kurz bevor er mich küsst, dann wird mir ganz warm im Bauch und ich könnte zerfließen wie ein Stück Schokolade in der Mikrowelle.

Hmmmmm. Apropos Schokolade. Bekomme gerade einen tierischen Heißhunger auf was Süßes. Ob Ben noch die Marzipan-Ostereier hat, die ich neulich bei ihm auf dem Schreibtisch gesehen hab?

Denke, einen Versuch ist es wert. (Gott, ich bin echt abhängig von dem Zeug. Bekomme später bestimmt Größe 44, genau wie meine Mutter. Albtraum!!) Andererseits können vier, fünf klitzekleine Ostereierchen auch nicht sooo viele Kalorien haben, oder? Und morgen fahre ich ja wieder mit dem Rad in die Schule und verbrenne da ungeheuer viel Fett. Genau. Außerdem mögen Jungs abgemagerte Bohnenstangen gar nicht so gern. Hat Papa neulich erst gesagt. Denke, das ist das entscheidende Argument. Ostereier, ich komme! Bis morgen!

4Ben und ich wohnen nämlich in gegenüberliegenden Reihenhäusern.

5Seit Papa als freier Mitarbeiter nur noch eine Dreiviertelstelle hat, arbeitet Mama jetzt wieder drei volle Tage bei »Groth«, dem Buchladen, in dem sie schon vor Ottis Geburt angestellt war.

6Das mit dem BH-Verbrennen ist eine von Mumis Lieblingsgeschichten. Ehrlich gesagt habe ich nie ganz begriffen, warum Mumi und ihre Freundinnen früher so gegen BHs waren, aber irgendwie haben sie sich ohne die wohl freier und weniger von den Männern unterdrückt gefühlt (oder so ähnlich).

Dienstag, der 23. März

Höhepunkte

1) Nur noch zehn Tage, bis wir nach Italien fahren!

2) Ben war zwar gestern nicht da, aber dafür hat er mich heute wieder ganz normal zur Schule abgeholt. Er hatte gestern wirklich nur verschlafen! Morgen gehen wir zusammen ins Kino und anschließend will er mit mir noch etwas wegen der Italienreise besprechen. DAS sollte die bescheuerte Hanna mal hören!

3) Mama hat mir heute früh am Frühstückstisch versprochen, dass wir am Samstag im Einkaufszentrum ein paar neue Klamotten für mich kaufen. Weil ich aus den Sachen vom letzten Jahr total herausgewachsen bin. Bis eben nach der Schule habe ich mich riesig darauf gefreut. Normalerweise liebe ich es nämlich, shoppen zu gehen, aber …

Tiefpunkte

1) … leider hat mir meine Mutter vor fünf Minuten offenbart, was genau sie mit mir shoppen will. Ahhhhhhhhhhh!!! Hoffe, ich bin Samstag krank.

Vor einer halben Stunde ist meine Mutter mit ihrem »Ach, ich bin ja so harmlos«-Blick in mein Zimmer reingekommen. Ich habe gleich befürchtet, dass jetzt etwas Peinliches kommt, und natürlich hatte ich recht. Als sie das letzte Mal so einen Blick aufgesetzt hat, waren gerade Jette, Scharina, Franzi und Sophie da und sie hat meinen Freundinnen zuerst eine heiße Schokolade angeboten und sich dann bei ihnen erkundigt, ob sie sich eigentlich schon die Achselhaare rasieren. Ich hab gedacht, ich sterbe! Lass mich bitte nie so werden, wenn ich fünfunddreißig bin! Nie, niemals!

Rein theoretisch liebe ich meine Eltern natürlich, aber rein praktisch wird ihr Verhalten jeden Monat unmöglicher. Keine Ahnung, woran das liegt. Vielleicht ist das so eine Art »Vor-Alzheimer«, bei dem man allmählich vergisst, was eklig ist und was nicht. Jette hat so was neulich von ihrer Uroma erzählt. Die war früher eine ganz feine Dame, die, wenn sie mal musste, immer nur davon geredet hat, dass sie sich die Nase pudern gehen würde. Aber im Altersheim hat sie ihr ganzes gutes Benehmen auf einmal vergessen. Und als Jette und ihre Eltern sie letzte Weihnachten besucht haben, hat sie ständig »Schwester, ich muss kacken!« gebrüllt. Ganz laut und so oft, dass Jettes Vater schon nach einer halben Stunde gesagt hat, sie müssten jetzt gehen. Richtig gruselig. Wer weiß, nachher endet meine Mutter genauso?

Okay, bisher habe ich Mama ganz selten »Kacke« sagen hören, (außer neulich, als sie den Autoschlüssel aus Versehen in den Altglascontainer geworfen hatte), aber dafür ist sie in die Tatsache, dass ich in der Pubertät bin, geradezu verknallt. Und das ist mindestens genauso peinlich.

Ständig fragt sie mich, ob zwischen Ben und mir noch alles in für mich zu kaufen, weil meine H&M-Bustiers inzwischen viel zu klein wären und nicht mehr genügend Halt bieten würden. Hat sie wirklich gesagt!!! Ich hab sie ziemlich geplättet angestarrt (ich mein, welche Mutter bringt es schon fertig, ihrer Tochter erst die zwei grässlichsten Lebensmittel der Welt anzubieten und ihr anschließend mitzuteilen, dass sie einen Hängebusen hat???), aber ehe ich noch etwas sagen konnte, hat sie mich schon mit einem verzückten »Ach, Julie, ich freu mich!« umarmt. »Pass auf, ich frag Papa, ob er Evchen nimmt, und dann machen wir uns einen richtigen Mädchentag, ja?«

Mama hat mich angestrahlt wie ein Honigkuchenpferd und ich habe bei dem Wort »Mädchentag« die Augenbrauen hochgezogen, aber sie hat überhaupt nicht geschaltet. Dabei hätte ihr eigentlich selbst auffallen müssen, dass man mit fast sechsunddreißig nun wirklich kein Mädchen mehr ist. Aber bei ihr – keine Reaktion. Anschließend hat sie mit dem Madonna-Song »I’m a virgin« auf den Lippen mein Zimmer verlassen.7 Wenn das nicht bezeichnend für einen Prä-Wechseljahre-Zustand ist, weiß ich auch nicht.

Als sie draußen war, habe ich mich entnervt auf mein Bett fallen lassen und überlegt, wie ich aus der Nummer wieder rauskomme, aber mir ist nichts eingefallen. Ich weiß, Scharina hält mich für bekloppt, weil sie BHs toll findet und schon seit anderthalb Jahren einen trägt, obwohl sie wirklich noch so gut wie gar keinen Busen hat. Aber ich will keinen richtigen BH. Beziehungsweise will ich keinen Busen. Das heißt, natürlich will ich einen Busen, aber keinen so riesigen, wie ich anscheinend kriege. Und mir macht es auch nichts aus, dass ich noch nicht meine Tage habe. Das alles ist peinlich und schrecklich, und wenn, dann will ich überhaupt nur einen ganz kleinen, straffen Busen und keine gigantischen Milchdrüsen wie Mama. (Ich weiß, das ist unfair, weil Mama ja nichts dafür kann, dass ihr Busen seit der Schwangerschaft mit Otti noch größer geworden ist, aber trotzdem.)

Okay, ich kann mir vorstellen, was du denkst. Das klingt jetzt so, als ob ich a) irre prüde wäre und b) ein Problem damit hätte, erwachsen zu werden. Aber das stimmt nicht. (Gut, das mit dem Prüdesein vielleicht, aber das andere nicht.) Ein Stück weit fühle ich mich nämlich schon total erwachsen, manchmal sogar erwachsener als meine Eltern (was allerdings auch nicht sonderlich schwer ist).

Aber manchmal kommt es mir auch so vor, als ob alle anderen das mit dem Erwachsenwerden viel eiliger hätten als ich. Zum Beispiel Zehra und Uta aus unserer Klasse, die schon vierzehn sind und in der Pause heimlich auf dem Klo rauchen. Oder Franzi, die neuerdings Stringtangas trägt.8 Von Hanna mit ihren Bergen von Schminke im Gesicht mal ganz zu schweigen.

Okay, mir macht Schminken auch Spaß, aber Sophie hat mir neulich erzählt, dass in unserer Parallelklasse kein Mädchen mehr ungeschminkt zur Schule kommt. Und das ist doch auch nicht mehr normal, oder?

Oder doch? Oh, Mist. Vielleicht bin ich ja auch die, die nicht mehr ganz normal ist. Hanna hat ja früher schon mal so was angedeutet. Von wegen, dass ich ein Spätzünder sei. Was mich dann zu einem Spätzünder mit Atombusen machen würde. (Klingt, finde ich, nach einer Mutation aus einem Science-Fiction-Film: oben Fisselhaare, unten dicke Waden, in der Mitte Monsterbusen und das alles garniert mit einer riesigen Nase. Wahrscheinlich kriege ich demnächst auch noch Pickel. Oh!!!! Mein!!!! Gott!!!!)

Ganz ruhig, Julie. Du bist nicht hässlich. Ganz bestimmt nicht. Du bist nur ein bisschen schlecht drauf, weil Ben heute so merkwürdig reserviert war und sich gar nicht so richtig über die Italienreise-Idee seiner Mutter gefreut hat. Genau. Das ist es. Ben ist schuld. (Vielleicht hat Mumis Die-Männer-sind-an-allem-schuld-Theorie doch was für sich???) Glaube, ich verkrieche mich jetzt mit Papas geheimem Pralinenvorrat (der war übrigens im Schuhputzregal versteckt) ins Bett. Ist unter den Umständen, dass man in einem Haushalt mit einer präwechseljahrehaften Mutter lebt und noch nicht alt genug ist, sich eine eigene Wohnung zu leisten, wahrscheinlich das Beste, was man machen kann!

18.43 Uhr.

Eigentlich wollte ich heute nichts mehr schreiben, aber eben hat mich Sophie wegen der Mathehausaufgaben angerufen und da ist mir Hannas Bemerkung über diese Neue in Bens Klasse wieder eingefallen – weil Fiete, Sophies Bruder, ja auch in die 9a geht. Also hab ich Sophie einfach mal danach gefragt, und wer sagt es denn … sie war über die Neue voll im Bilde.

Anscheinend sieht diese Linea megagut aus. Nicht so wie Hanna auf diese Heidi-Klum-Art, sondern irgendwie cooler. Sophie meinte, sie hätte ganz kurze weißblonde Haare und diese aufgeworfenen Lippen, die so aussehen, als hätte man die ganze Nacht geknutscht. Außerdem trägt sie laut Sophie die meiste Zeit eine uralte Lederjacke und so eine Art Schlangenlederstiefel (??), spielt E-Gitarre und – jetzt kommt’s – sie sitzt im Unterricht direkt neben Ben.

Warum hat er mir das nicht erzählt?? Schließlich erzählt er mir sonst ALLES, sogar, dass er neulich mit seinem Frosch zum Tierarzt musste, weil seine Mutter Heinz (den Frosch) aus Versehen in den Staubsauger gesaugt hat.

Objektiv gesehen gibt’s dafür eigentlich nur zwei Erklärungen. (Dafür, dass er mir das mit Linea nicht erzählt hat, nicht für die Sache mit Heinz.)

Erklärung 1: Er hat es schlicht und einfach vergessen, weil er sich die Doppelnull für irgendwelche superlässigen E-Gitarre-Spielerinnen in seiner Klasse interessiert, ob sie nun neben ihm sitzen oder nicht. Oder

Erklärung 2: Er hat es mir nicht erzählt, weil er befürchtet, dass ich vielleicht eifersüchtig reagieren könnte. Oder

Erklärung 3 (die mir gerade erst einfällt): Zwischen ihm und dieser Linea läuft irgendwas und … Nein. Das ist natürlich Quatsch. Vergiss es. Hmm …

Ehrlich gesagt, klingt Erklärung 2 irgendwie plausibler als Erklärung 1. Ich mein, welcher Junge reagiert schon unbeeindruckt, wenn sich jemand wie Pink neben ihn setzt?9

Ach, Blödsinn. Ich mein, selbst wenn sie wie Pink aussieht. Schließlich sprechen wir hier von Ben, meinem Ben!!! Und ich bin nicht eifersüchtig! So weit kommt’s noch. Außerdem hat das Ganze sowieso nur die fiese Hanna aufgebracht. Aber wenn sie denkt, dass ich ihr auf den Leim gehe, dann hat sie sich geschnitten! So einfach wie früher bin ich nämlich nicht mehr zu manipulieren! Pah, das wäre wirklich zu blöde! Ich, Julie Ahlberg, stehe über so was! Aber total!!!

7»I’m a virgin« heißt übersetzt »Ich bin eine Jungfrau« und mit Jungfrau meinte Madonna garantiert nicht ihr Sternzeichen.

8Das sind die, die am Po nur noch ein dünnes Band haben. Scharina nennt sie abfällig »Ritzenputzer«, aber Franzi meint, wir hätten einfach keine Ahnung und die seien voll bequem.

9Sophie meinte, so ähnlich sähe Linea nämlich aus, wie diese megacoole US-Sängerin Pink.

Mittwoch, der 24. März

Höhepunkte

1) Fiete (Er hat zwar keinen blassen Schimmer davon, aber er ist mein Höhepunkt des Tages. Definitiv!).

Tiefpunkte

1) Lebensweisheit Nr. 1: Antworte deiner Mutter nie ehrlich auf die Frage, ob sie zu dick ist oder nicht, denn sonst könnte es sein, dass sie eine Diät beginnt. (Heute Mittag gab es drei Stangen Kohlrabi auf zwei Blättern Chicorée. Kannte vorher weder das eine noch das andere, weiß jetzt aber, dass beides scheußlich schmeckt. Habe beschlossen, mich nächste Woche abwechselnd bei Scharina, Sophie und Franzi zum Mittagessen einzuladen.)

2) Lebensweisheit Nr. 2: Gehe niemals mit deinem Vater und deinem Freund in einen Kinofilm, bei dem du nicht genau weißt, wovon er handelt, denn sonst passiert dir das, was mir eben passiert ist, und – glaub mir – das willst du nicht!!!

Habe soeben den unglaublichsten Nachmittag meines Lebens hinter mich gebracht. Eigentlich war ich mit Ben ins Kino verabredet, aber eine Viertelstunde bevor ich loswollte, hat Papa mich gefragt, ob wir heute nicht zusammen nach Planten und Blomen auf die Eisbahn wollen. Er hätte sich den Nachmittag extra dafür freigenommen.