Juwelenwald 1.1 - Verena Binder - E-Book

Juwelenwald 1.1 E-Book

Verena Binder

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Beschreibung

Du, der du diese Zeilen liest, was würdest du tun, wenn es in deiner Hand läge, das Übel der Welt zu beseitigen? Diese Frage stellen sich die immer neu erwählten Hüter und Jäger der Macht. Ein Kampf entfacht alle hundert Jahre neu zwischen den Chahd'Rian - die die Welt durch Verstand und Geduld zum Guten bringen sollen - und den Chahd'Gair - die gnadenlos das Übel der Welt vernichten sollen. Die Mächte der Götter sollen ihnen dabei helfen. Doch nicht jeder, der die Macht erhält, will kämpfen oder kann hinter der Moral stehen, die ihm von den Göttern in die Wiege gelegt wurde. Als Helakus Rudel von einem alten Feind angriffen wird, flüchtet er mit seiner überlebenden Tochter Aleshanee in seine alte Heimat. Als Hüter der Blitze muss er nicht nur sich selbst auf den neuen Kampf vorbereiten, sondern auch seine Tochter, in der die elementare Kraft des Windes beherbergt ist. Sie muss lernen, damit und mit dem Verlust ihrer Liebsten umzugehen und die Stärke finden, ihren Weg zu bestreiten.

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Staffel 1 – Schrift 1 – Teil 1

Roman

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de/ abrufbar.

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte sind dem Autor vorbehalten, einschließlich der Vervielfältigung, Übersetzung, Mikrovorführung, Verfilmung, sowie Einspeicherung und Verarbeitung in elektronische Systeme.

Alle Charaktere und Handlungen sind frei erfunden.

Impressum

1. Auflage

Copyright © deutsche Originalausgabe 2023 by Verena Binder

Johann-Sebastian-Bach-Straße 10, 82538 Geretsried

Umschlaggestaltung: BinDer Buchsatz

Unmschlagillustration: Verena Binder

Charakterillustrationen: Renée Geburzky ( yt: @Ray_nee)

Lektorat/Korrektorat : Phantastorat

Buchsatz: BinDer Buchsatz

Veröffenlicht über: tolino media

Du, der du durch fremde Welten reist,

sie betrachtest und mit deinem Herzen antwortest.

Für dich sei diese Schrift.

Inhaltswarnung

Diese Geschichte enthält Gewaltbeschreibungen und behandelt emotionale Themen. Wenn du sensibel auf unterschiedliche Themen reagieren könntest, findest du eine nähere Ausführung in der „Inhaltswarnung“ auf Seite 79.

Aleshanee

Jarg Faol Kipa /

Mealleth

Ä624chd,

Farbähre An41

Helaku

Jarg Faol Kipa

Ä624chd,

Farbähre An41

Kahzuna

Jarg Awi

Ä624chd,

Farbähre An41

Vaughan

Jarg Scolin

Ä624chd,

Farbähre An41

Tesjan

Jarg Amrog

Ä486chd,

Sternentanz An12

Yahzi

Jarg Moar Atharra

Ä488chd,

Blumenfeuer An45

Chahghee

Baumgeister, wie sie im Volksmund auch genannt werden, bewohnen die Bäume der Welt. Man sagt, sie haben die Welt erbaut, den Kreaturen Leben eingehaucht und die Wanyanka erwählt, die die Elemente der Welt behüten. Sie sind neutrale Beobachter, die in der Regel nicht in die Welt und ihren Lauf eingreifen.

Prolog

Das ist es, was mich wach hält

Chahghee. Das ist der Name meiner Rasse.

Wir sind älter als jedes Wesen in unserer Welt,

mächtiger wohl auch, aber ich stellte meine Macht nie auf die Probe.

Nur die flüsternden Erzählungen des Windes lassen unsere Macht erahnen.

In unserer Welt gibt es Menschen, wie sie es in fast jeder Welt gibt.

Es gibt Tiere, tausende Arten, die so oder ähnlich in sehr vielen Welten zu finden sind.

Und es gibt Kreaturen, die meistens mächtiger,

größer und stärker sind als die anderen Wesen.

Ich habe ähnliche in Welten gesehen, wo sie

Häscher, Yokai oder Dämonen genannt werden.

Doch hier heißen sie Jarg.

Es gibt hunderte Arten von Jarg, hundert Arten ihrer Fähigkeiten,

hunderte Lebensweisen und hunderte Begegnungen.

Legendär war die Begegnung zweier Jarg, die uns Chahghee geweckt hat.

Ein Erschüttern der Erde, das beinahe den Boden aufgerissen,

die Feuerberge zum Lavaspucken gebracht und

den Himmel herabgestürzt hätte.

Zwei Jarg, so mächtig, dass die Chahghee es kaum glauben mochten.

Göttergleich prallten ihre Angriffe in ihrem unerbittlichen Zwist aufeinander

und schlugen die Pupille der Welt in deren Auge.

Dies geschah tief verborgen im uralten Wald, aus dem sich

alles Leben auf die Inseln der vier Himmelsrichtungen verteilt hatte.

Dort entstand ein kraftraubendes Energiefeld,

um das acht mit Juwelen besetzte Findlinge aus dem Boden stießen, welche die Energien der erbitterten Kontrahenten aufsogen.

Unsere Ältesten, die seit unzähligen Zeitaltern

die Entstehung der Rassen und die Spaltung des Kontinents beobachten,

erzählen, dass beide Jarg zu diesem Zeitpunkt verschwanden und Frieden einkehrte.

Ihr Kampf jedoch tobt weiter.

Von Zeit zu Zeit verteilen sich die Energien aus den Findlingen,

die wir Ingyang nennen, und verbreiten sich in den Körpern anderer Jarg,

die vom Zeitpunkt ihrer willkürlichen Geburt

dazu verpflichtet - oder verdammt - sind,

den Kampf der Hanyesha fortzuführen.

Den Kampf der Anwärter, der Welt Frieden zu bringen.

Das ist es, was mich wach hält und beobachten lässt.

Jarg Amrog

Grauhäutige, humanoide Wesen mit weißem, meist langem Haar, kleinen Hörnern an Stirn, Schultern und noch kleinere entlang der Wirbelsäule sowie drei dünnen, schwarzen, flexiblen Schweifen. Die türkisen Zeitmale an ihren Armen zeigen ihre übrige energetische Kraft.

Kapitel 1

Was ist die Strafe?

Ä788chd, Blumenfeuer An41

Die Elsbeere war gigantisch, uralt. Starke Äste teilten den Stamm in der Höhe, ließen Raum für zahllose Verzweigungen, deren längliche, gezackte Blätter in vollem Grün standen. Zwischen ihnen sprossen weiße Blüten als Antwort auf den warmen Frühling. Das Wesen, das vor ihr stand, hatte einen schlanken Körper und graue Haut. Sein eigenes Alter war ihm nicht anzusehen. Ein langer weißer Haarschopf hing zusammengebunden über seinem Rücken, aus dem entlang der Wirbelsäule kleine, hornartige Auswüchse ragten. Sie endeten am unteren Ende des Rückens, wo drei dünne, schwarze Schweife mit Pfeilspitzen rastlos wedelten.

„Hey. Wach auf.«

Sein rotes Augenpaar verdrehte sich genervt in den brauenlosen Augenhöhlen. Doch nichts regte sich an der dunklen, brüchigen Rinde.

„Wach auf!« Der Jarg hob seine Faust und boxte hart gegen den alten Baum, der durch die Wucht des Schlages, trotz seiner Masse, in ein kurzes Beben verfiel, das seine Äste schüttelte und vereinzelt die kleinen, grünen Blätter herabrieseln ließ.

Es war kaum zu glauben, dass dieser Baumgeist davon nicht wach wurde, aber jede noch so winzige Erschütterung des unsichtbaren Schicksals wahrnahm. Die Präsenzen, die sich um den Jarg zu regen begannen, ließen ihn sich umdrehen. Zwischen den Bäumen tauchten Köpfe aus dem Nichts auf, sahen ihn mit teils großen, neugierigen, teils verschlafenen Augen an. Ihre Gesichter wirkten schmal und knochig, ebenso wie die Körper, die sich langsam formten und Gestalt annahmen. Äste wuchsen wie schlanke Arme aus dem Rumpf, an denen neben drei fingerähnlichen Ausläufen ein paar Blätter wackelten. Rinde schmiegte sich partiell um die Wesen, deren Rümpfe in knorrigen Zipfeln endeten. Ihre Farben glichen den Stämmen der Bäume, aus denen sie hervorkamen.

»Verschwindet. Mit euch will ich nicht reden.«

Mit einem aggressiven Ausschlag seines rechten Arms brachte er die schweigsamen Wesen zum Zurückweichen. Ein paar verblassten wieder, andere versteckten sich hinter Bäumen. Mit einem genervten Ruck wandte der Jarg sich wieder der Elsbeere zu, zuckte unter einem kurzen Schocklaut zusammen und sprang zurück. Direkt vor seiner spitzen Nase hatte sich in der Rinde des Baumes ein Gesicht gebildet.

Das Gesicht in der Rinde gähnte. »Es ist noch nicht soweit, Tesjan.« Mühsam schälte sich hinter dem schmalen Gesicht mit großen Augen, die noch halb geschlossen waren, ein dürrer Körper aus dem Baum. Das Wesen wirkte, als sei es selbst aus dem Holz des Waldes geschnitzt worden wie auch die anderen Chahghee, die dem Schauspiel neugierig zusahen.

»Ich weiß, hab nicht viel Zeit.«

»Du hast alle Zeit der Welt, Tesjan. Oder fürchtest du dich vor der Awi?« Die Stimme klang tief und resonant, als ob sie aus den Wurzeln eines alten Baumes entsprungen wäre und die Weisheit unzähliger Zeitalter mit sich tragen würde.

»Klappe. Was ist die Strafe?« Die dunklen braunen Augen des Wesens öffneten sich weiter und sahen besorgt zu dem grauen Jarg.

»Die Strafe ...« Der Chahghee schwebte mit zunehmendem Abstand um Tesjan herum, der sich langsam mitdrehte. »... für was?«

Ohne ein Zögern oder einem Zucken der kalten Mimik sprach Tesjan seine Antwort aus: »Mord.«

»Es geschehen überall und jederzeit Morde, Tesjan. Clan und Sitte bestimmen, was ... oh.« Er unterbrach sich und kam wieder näher. Seine dürre Hand mit vier ebenso dürren Fingern hob sich an das Kinn des Jarg, verharrte dort keinen Yn1 entfernt.

1 Zentimeter

»... Dein Vater wäre nicht erfreut darüber, dass du dich um solche Wege scherst, Tesjan.«

»Ich bin nicht mein Vater.«

»Ein Amrog wie du sollte nicht darauf-«

»Die Strafe«, wurde Tesjan ungeduldig und schlug die dürre Hand von seinem Kinn, die wie der Zweig eines Astes knackend wegbrach.

Der Chahghee betrachtete den Stummel seiner Hand wehmütig, ehe dieser grün leuchtete und die Hand rasch mitsamt vier Zweigfingern nachwuchs. Ihn kümmerte weder Ungeduld noch Kraft oder Aggressivität seines Gegenübers.

Doch er seufzte.

»Tesjan. Dir die Strafe für etwas zu nennen, dessen Maß ich nicht im Detail kenne, kann ich nicht. Aber sie wird kommen. Und sie wird so sein, dass dein Stolz sie ertragen muss. Auch wenn dem ...«, die schwebende Gestalt musterte den grauen Jarg von Kopf bis Fuß, »... kaum mehr etwas zu nehmen ist.«

Tesjans Augen verengten sich, doch er schwieg.

Er wartete.

Hoffte, dass die Aussage doch noch genauer werden würde, ehe er weiter ausführte: »Helaku. Oder sein Rudel.«

»Helaku? Hast du es so eilig, ihn zu töten, nachdem du so lange schon gewartet hast?« Es war eine einfache, neutrale Frage ohne Wertung.

»Er wird immer stärker.«

»Du auch, oder nicht?«

Dass der Chahghee Tesjan nicht die Antwort gab, die er wollte, ließ ihn innerlich kochen.

»Das ist nicht der Punkt!«, spuckte der Jarg aus. Die Muskeln seines dünnen Körpers spannten sich an in seiner Wut.

»Einen Chahd‘Rian willentlich zu töten, wenn seine Kräfte erwacht sind, ist ein Regelbruch. Mehr sage ich dir nicht.« Der Chahghee schwebte zurück zum Baum und während sein spitzes Körperende sich bereits mit der Elsbeere vereinigte, griff Tesjan nach dem Rest des Körpers.

»Das reicht mir ni-« Er stockte und blinzelte, als er ins Leere griff. Nein. Nicht ins Leere, sondern durch den Chahghee hindurch, der ihn nur mit ruhiger Strenge im Blick ansah.

»Töte keinen Chahd‘Rian, dessen Kräfte erwacht sind. Bis die Zeit gekommen ist.«

Damit verschmolz der Körper endgültig mit dem Baum und absolute Stille legte sich um Tesjan. Er drehte sich um. Auch die anderen Chahghee waren nicht mehr hier.

Jarg Faol Kipa

Humanoide Wolf-Jarg mit aufrechtem Gang und großen Wolfsohren, spitzen, stabilen Krallen an den Fingern und leicht gebeugten Knien, deren Anatomie ihnen erlaubt, leichtfüßig zu springen und agil zu sprinten. Sie sind in den Canyons Eniermhas beheimatet, was sich in ihrer sonnengegerbten, warm-rötlichen braunen Haut widerspiegelt. Sie leben in mittelgroßen Rudeln in klarer Hierarchie mit familiärem Umgang.

Kapitel 2

Ich komme nach

Ä790chd, Wellenlicht An35

Rasche Schritte nähern sich durch das dichte Gebüsch. Das Plätschern und Lachen verklingt, als die zwei Kinder dem Blick ihres Vaters folgen. Seine roten Augen sind aufmerksam auf das Grün des lichtdurchfluteten Waldes gerichtet, der den kleinen See umgibt, wie die pelzigen Ohren, die zwischen den dichten braunen Haaren zucken.

»Was ist, Pa?« Die Frage kommt von einem der beiden Mädchen, die mit ihm im angenehm kühlen Wasser herumgetollt hatten. Auch sie besitzen diese animalischen Ohren, aufgrund ihres Alters deutlich kleiner als seine, und auch ihre Augen sind nicht in dieses tiefe, etwas dunklere Rot getaucht, sondern braune Nuancen färben die Iris zur Hälfte.

»Aleshanee«, gibt er ruhig von sich und blickt erst kurz zu seiner Tochter rechts von ihm, dann nach links zu dem zweiten Mädchen. »Huyana. Geht aus dem Wasser. Zieht euch an.«

Seine Stimme ist stark, aber nicht gebieterisch.

Die beiden sehen sich unsicher an, nicken und folgen der Anweisung, greifen zögernd nach den Stoffen ihrer Gewandungen, die am Rand der Oase im strohigen Gras liegen.Er selbst beobachtet die Umgebung und zuckt mit dem Blick gen Osten, als seine Ohren achtsam auf ein lautes Knacken reagieren.

»Helaku!« Ein Junge, nach menschlichen Maßstäben geschätzt sechzehn bis achtzehn Lial2 alt, kämpft sich keuchend durch das Gebüsch der Steppe. Im Antlitz der untergehenden Sonne schirmt er seine Augen vor dem Licht ab.

2 Jahre

»Yoki schickt mich!«

Er kommt zum Stehen, stützt seine Hände auf die Knie und schluckt, während Helaku aus dem Wasser steigt. Dessen Körper ist gezeichnet von Narben unterschiedlicher Größe und Herkunft. Von tiefgehenden Kratzern und Bissen bis zu verätzten Stellen und Brandnarben, die ihn so stark verletzt hatten, dass selbst seine jargischen Selbstheilungskräfte nicht verhindern konnten, dass Spuren zurückgeblieben waren.

»Utatci. Was ist los?« Helakus feine Stupsnase und die aufmerksam zuckenden Wolfsohren verraten eine Ahnung, die eine wachsende Angst in ihm auslöst. Noch lässt er sich dieses Gefühl nicht anmerken.

»Lokni hat heute früh einen Moar Atharra gesehen. Er hats Ma gerade erst gesagt, weil er-« Seine Ohren klappen schlagartig zur Seite, als Helaku ihn an den Schultern packt. Die Bedeutung dieser Worte lässt die aufkommende Furcht in seinen weit geöffneten Augen sichtbar werden.

»Einen Moartharra? Hier? Utatci, nimm die Kleinen und zieh dich mit den Anderen in den Canyon zurück! Lauf!«

Hastig nickt der Junge und streckt seine Hände zu den beiden Mädchen aus, die nun ebenfalls von einer panischen Eile erfasst werden.

»Ich komme nach!«, ruft Helaku, greift selbst nach seinem grünen Stoff, den er sich als Gewandung überzieht, und sieht seinen drei Vertrauten nach, ehe er sich umdreht. Sein Blick fällt auf ein grinsendes Fuchsgesicht, einige Ow-Yn3 von ihm entfernt.

3 Meter

»Lang, lang ist’s her.« Fast tadelnd klingt die dunkle Stimme der kleinen, pelzigen Kreatur mit pupillenlosen roten Augen und langen, braunen Fuchsohren.

Den grausigen Schauer, den Helaku empfindet, kann er nicht verbergen. Er kriecht Helaku über die Haut und fesselt ihn gnadenlos. Auch wenn das kleine Wesen auf dem niedrigen Felsen dem über 22 Ake-Yn4 hoch gewachsenen Mann nicht einmal bis zu den Knien reicht, zeigt es keinerlei Anzeichen von Angst oder Respekt. Frech und angriffslustig grinst das Fuchsgesicht dem Faol entgegen.

4 Dezimeter

»Was willst du hier?«, faucht dieser mit eng angelegten Ohren und stechendem Blick, während er nach seinem hellen, grau-braunen Schuppengeflecht greift und es wie eine leichte Rüstung über den Stoff legt. »Es ist noch genug Zeit!«

Ich komm nur mal hier vorbei.« Ein raues Glucksen entweicht dem kleinen Jarg, der sich auf den kurzen Beinen erhebt und seine drei bauschigen Schweife hin- und herwedeln. »Sehe, was du so machst. Ob du uns auch nicht vergisst und - OH!« Sein Kopf dreht sich, wodurch die langen Ohren dank der Schwerkraft aus ihrer aufrechten Position zur Seite kippen. »Ich hab gehört, du hast Kinder. Welpen quasi? Sehr interessant.«

»Lass sie da raus! Du und Tesjan wisst genauso gut wie ich, dass mein Rudel nichts damit zu tun hat!«

Helakus Stimme birgt ein tiefes Knurren und Grollen.

»Dummer, dummer Wolf«, tadelt der Fuchs unter einem Gähnen, ehe er prompt wegspringt, als Helaku mit seiner Faust ausholt und einen Sekundenbruchteil später den Stein zum Bersten bringt.

»Oh ... musst du denn so aggressiv werden?« Der Fuchs betrachtet den übrig gebliebenen Stummel seines ehemaligen Sitzplatzes sowie die Kiesel und abgesplitterten Brocken, die in einem beachtlichen Radius abgesprengt wurden. Die Faust des Faol zeigt keine Verwundung durch den harten Aufschlag.

»Halt die Klappe, Yazhi! Verschwinde!«

»Ist ja gut, Wölfchen.«

Die schmalen Pfoten schieben einen der Brocken hin und her, dann hebt Yazhi seinen Kopf, grinst und schmeißt Helaku den Stein entgegen. Kräftig. Zu kräftig für so einen kleinen Kerl. Das Geschoss verfehlt das Gesicht des Faols haarscharf und schlägt in einen der Baumstämme einige Meter entfernt ein. Ein Loch schmückt das Holz nun, in dem der Stein vollständig versunken ist.

»Sei dir nur bewusst, dass du sehr interessante Töchter hast, Wölfchen.« In seiner gelassenen Haltung zeigt der Fuchsjarg eine selbstgefällige Miene. Sein breites Grinsen zeigt große, spitze Zähne.

»Lass sie in Ruhe!«, grollt Helaku im Versuch, Yazhi zu fassen, der seinerseits erstaunt mit den langen Ohren zuckt und so schnell beiseite springt, dass der Faol in seinem Schwung ins Taumeln gerät.

»Ich muss gehen!«

Und ehe Helaku sich umgedreht hat, ist Yazhi verschwunden. Ein lautes, wütendes Fluchen entflieht ihm. Ohne ein weiteres Zögern verlässt er die Oase. Er weiß genau, er muss sich beeilen. Und so klar es ihm in seinem Verstand ist, in dem Wut und Furcht wie ein gewaltiges Feuer brennen, so schnell tragen ihn seine Füße über den sandigen Steppenboden. Er nähert sich dem Ende der Klippe, auf deren Mittelebene die Oase zu finden ist. Einer Legende nach hatte Bornbazine, ein gigantischer Jarg Atogal in Form einer geflügelten Krustenechse und Elementhüter des Feuers, die Furchen und Schluchten des Canyons gegraben.

Obwohl die Schlucht zwischen den beiden sandfarbenen Canyons mit einer Breite von fünf Ow-Yn gewaltig ist, nimmt Helaku den Sprung an die andere Steinwand als sei sie kein Hindernis, stemmt sich mit Händen und Füßen an die unsauberen Vorsprünge und hievt sich mit ein paar raschen Zügen die Wand hinauf, um auf der höheren Ebene weiterzulaufen. Nach Norden. Er muss in den Norden. Aleshanee und Huyana hatten mit Utatci den einfacheren Weg zwischen den Schluchten genommen, versteckter und weniger anstrengend. Doch für Helaku ist das hier eine Abkürzung. Ohne einen Funken Zweifel oder Furcht rennt er auf die nächste Klippe zu und springt mit einem gewaltigen Stoß ab. Sein Herz beginnt schneller zu schlagen, zu rasen. Seine Augen erfassen einen Wald, der sich über ein paar Etappen einer relativ nahen Treppenschlucht zieht, und Helaku stürzt darauf zu. Auf den höheren Ebenen wird sein Flug durch einige Palmen gedämpft, die sich unter der Wucht seines Aufpralls verbiegen und knarzen, und ehe sich ihr elastisches Rindengeflecht schwungvoll zurück stemmt, stößt sich Helaku erneut in Richtung des Waldes ab. Er liegt genau auf der anderen Seite jenes Berges, auf dem sich die Oase befindet, an der er mit seinen Töchtern gebadet hatte. Von hier oben hat er nur eine bedeutend bessere Aussicht auf das durchfurchte Tal und die wenigen Baumgruppen. Und Yazhi?

Helaku sieht keinen kleinen Fuchs, nicht von hier oben.

Doch er sucht auch nicht nach einem kleinen Fuchs. Der Anblick, der sich ihm stattdessen bietet, lässt ihn vor Entsetzen zusammenzucken und ihn beinahe vergessen, dass er auf den Boden zustürzt. Gerade, als er die drei Flüchtigen eine der Felstreppen hinaufspringen sieht, hebt sich ein brauner Gigant aus dem Wald, noch ein paar Ow-Yn von ihnen entfernt. Lange, braun befellte Ohren mit markanter roter Markierung, die sich den breiten Rücken entlang fortsetzt, ragen aus dem riesig gewordenen Fuchsgesicht.

Wenige Momente später hat der Riese jenen Felsen erreicht, in den die geräumige Höhle des Rudels eingegraben ist. Gleichauf mit den Wipfeln der Canyonbäume, hebt er seine Klaue und schlägt sie in die Felswand, in der seine Töchter nur Augenblicke zuvor Zuflucht gesucht hatten. Krachend brechen Stücke aus dieser heraus, Staub wütet in einem kurzen Luftstoß in der Luft.

»NEIN!«, brüllt Helaku aus der Ferne, erneut eine Palme als Sprungstütze nutzend, durch die er sich das letzte Stück katapultiert und in Richtung des Fuchs stürzt.

Sein gehetzter Blick sieht einen Schatten aus dem Nebel die Wand hinauf springen und im Canyon verschwinden und vier weitere Schatten, mit kürzerer Distanz, immer klarer werden. Yoki, Utatci, Adahy und Adsila, zählt Helaku die Namen seiner Kameraden, Freunde, seiner Familie auf, die dort, von ihm beobachtet, den riesigen Jarg angreifen.

Greift nicht an!

Wartet!

Nur noch ein bisschen!

Seine Gedanken rasen. Angespannt zieht Helaku im Sprung seine Klaue an den Körper. Jeder seiner Finger wird von funkelnden Blitzen umzuckt, die sich bald in ein energievolles Gewirr um seine Hand vereinen.

Yazhi - fast in Reichweite.

Die vier Schatten stoßen einen mächtigen Kampfschrei aus, der von dem Riesenwandler nur mit einem Grinsen kommentiert wird, das seine scharfen Zähne zeigt. Es ist nur ein Hieb seiner Klaue, deren Krallen die Körper der Jarg Faol so leicht durchschneiden, dass Yazhi sich mit dem Schwung seiner Bewegung zu Helaku weiterdreht, der seine mit Blitzen umflammte Hand mit wütendem Ausruf voran reißt.

Ä790chd, Wellenlicht An42

Das Knacken einiger Äste weckte ihn aus dem Albtraum des Abends, von dem ihn eine erschöpfende Reise und fünf Sonnenkreise trennten. In der Dunkelheit der tiefen Nacht, umgeben von dichtem Wald mit großen, dicken Bäumen, half ihm nur das sanft knisternde Feuer, um die sich nähernde Gestalt mit den Augen auszumachen.

Er hatte sie lange nicht gesehen.

Fünfzig Lial war es her. Verändert hatte sich ihr Aussehen kaum. Wie früher ragten dunkellilafarbene, stachelige Haare in das hellhäutige Gesicht, verdeckten jedoch nicht die roten Augen, die stechend und ernst auf den Faol herabsahen. Spitze Ohren an den Kopfseiten waren in ein dunkles Grau getaucht, das den Nacken, den Unterkiefer mit Wangen bis zum Kinn und den Torso des Jarg einnahm. Brüste waren nur als leichte Erhebung angedeutet - üblich für ihre Rasse. Abschätzig rümpfte die Gestalt ihre Nase, als sie herangetreten war.

»An dich kommt man nich’ ran, ohne bemerkt zu werden, Helaku.« Das Grinsen, das die Jarg zeigte, war zwar aufrichtig amüsiert, aber keines, das man einem Freund entgegenbrachte. »Schade, wieder keine Gelegenheit, um dich loszuwerden.«

Helaku hatte wenig Lust auf diese Spielchen, doch wenn er ehrlich war, konnte er gerade das im Moment gut gebrauchen. So schmunzelte er, als die Jarg sich ihm gegenüber am Lagerfeuer niederließ.

Das rücksichtslose, plumpe Setzen gab den Flammen einen Windstoß, der sie aufgeregt tanzen ließ.

»He. Nicht mal im Tod könnte ich deine Schritte überhören, Kahzuna.«

Die angesprochene Person brach in ein Lachen aus.

»Was Anderes hätte ich von dir auch nicht erwartet, Wölfchen. Aber …«, sie wurde ernster, »… was machst du hier?«

Einen Moment lang schwieg Helaku, sah trüb ins Feuer, während Kahzuna mit ihrer Klaue über ihr Knie scharrte. Die ungeduldige Gestik lenkte Helakus Aufmerksamkeit auf die Hände und Füße der Awi, deren Krallen nicht weniger gefährlich wirkten als früher. Kurzes Gefieder schlang sich die über die Hälfte ihrer Extremitäten und endete an je drei gewundenen hornartigen Auswüchsen, die Helaku in all den Übungskämpfen unzählige Wunden zugefügt hatten.

Kahzuna war keine gute Gesellschaft, aber sie würde ihm zuhören. Und er musste sie über die Ereignisse aufklären.

»Yazhi«, brachte der Faol schließlich heraus, »einer der Chahd‘Gair-«

»Ich weiß, wer der Kerl ist. Red weiter.«

Helaku seufzte. »... hat mein Rudel attackiert und dabei fast alle getötet. Aleshanee, meine Tochter …«, führte er seine Erzählung weiter aus, hielt inne und zeigte auf eine Höhle, die sich einige Meter neben ihnen in eine Felswand grub, »und ich haben überlebt.«

»Tragisch«, kommentierte Kahzuna tonlos und pulte teilnahmslos in ihrem Ohr.

Der kühle Blick von Helaku prallte an ihr ab.

»Yoki und Huyana, meine andere Tochter, konnten zwar auch fliehen, aber sie stürzten an einer der Sternenschluchten an den Drochailean Tretaiar ab.«

»Pf. Zu blöd zum Laufen, schätze ich.« Es war ein trockener, zynischer Kommentar, der einen abgrundtief missbilligenden Blick von Helaku erntete.

»Naja. Is’ wirklich schon so viel Zeit vergangen?«, überging Kahzuna die Geschichte Helakus, während sie ihre Krallen dafür benutzte, den Dreck der anderen Krallen wegzukratzen.

»Eben nicht.« Helaku ließ sich fallen. Rücklings auf den Waldboden, fühlte sich schlapp und starrte trist in den sternklaren Himmel, wenngleich er nur einen Teil davon durch die hohen Baumwipfel sehen konnte. »Ich wollte im nächsten Lial mein Rudel verlassen und mich hier die übrigen Ake-Lial5auf den Kampf vorbereiten.« Er schüttelte den Kopf. »Dass er einfach verschwunden ist …«

5 Jahrzehnt / zehn Jahre

»Ach.« Kahzuna war merklich amüsiert. »Hat Yazhi Angst bekommen?«

»Mach dich nicht lächerlich. Das wird eine Anweisung von Tesjan gewesen sein. Er hat Yazhi wieder zurückgerufen«, erklärte Helaku schulterzuckend und erinnerte sich an die Gestalt, die aus dem Nichts auf der Schulter des Riesenwandlers aufgetaucht und im nächsten Moment mitsamt des Monsters verschwunden war.

»Wie früher.«

Helaku linste nur kurz zu seiner alten Gefährtin, die das Ergebnis ihrer Dreckwegkratzerei an ihren Krallen betrachtete.

»Ich weiß, dir wird das nicht gefallen, Kahzuna. Ich glaube, dass er es nicht zwangsläufig auf mich abgesehen hatte.«

Kahzunas Augen verengten sich zu Schlitzen.

»Sondern viel mehr … auf meine Töchter.«

»Was willst du mir damit sagen?«

Kahzunas Stimme reduzierte sich auf ein Knurren.

»Dass die beiden - Aleshanee und Huyana - Chahd‘Rian sind.« Er stockte kurz, ergänzte dann leise: »War … Huyana … war..«

»Das ist ein Witz, oder?« Wütend blaffte die Lilahaarige den Faol an und stand abrupt auf, ihre fedrigen Hände zu Fäusten geballt, ihr Gesicht zu einer zornigen Fratze verzogen.

»Kahzuna, beruhige dich.« Betont ruhig, dennoch ernst versuchte Helaku die Wut seiner alten Kampfgefährtin zu beschwichtigen.

»Ich soll mich beruhigen?! Es sollte mir, meinem Blut, zustehen, Halter der Macht zu sein!«

»Kahzuna, sei ruhig. Das hat nichts mit dem Blut zu tun.«

Die Angesprochene hielt in einer Drehung inne.

Ihre Stimme wurde ruhiger, jedoch nicht weniger wütend, dann rümpfte sie die Nase und verschränkte die Arme. »Warum sollten deine Töchter Chahd‘Rian sein?!«

Helaku starrte einige Augenblicke in das knisternde Feuer, warf ein paar trockene Äste hinein und lehnte sich rücklings an den Baum hinter sich.

»Als ich nach Yazhi bei unserem Sommerplatz angelangt war, sah ich nur noch, wie sich Yoki, Utatci, Adahy und Adsila auf ihn stürzten – entgegen meiner Anweisung, sich zu verstecken. Logisch, dass die drei Grünschnäbel wegen ihrer Unerfahrenheit ihr Leben ließen.« Er hielt kurz inne, um seinen eigenen Sarkasmus zu all der Übelkeit hinunterzuschlucken. Seine Hände ballten sich zusammen. »Yoki, diese Idiotin, kannte die Stärke dieses Chahd‘Gairs und trotzdem hat sie sie zu diesem Angriff ermuntert. Sie konnte Yazhis Gegenangriff als Einzige abblocken. Und ich …« Helaku hob seine Hand, um die sich sanfte, kleine Blitze legten. »Ich konnte auch nichts ausrichten.«

»Bumm. Alle tot. Ah da«, murrte die Awi beiläufig und hob einen dünnen Ast auf, den sie mit ihren Federfingern abwischte, was Helaku nur zu einem Augenrollen brachte.

»Irgendetwas schleuderte Yazhi in die Luft.«

Mit dem grob abgewischten Zweig begann die Awi, in ihrem Ohr zu pulen und etwas Schmalz herauszuschieben, den sie wegschnippte. »Und was?«

Kaum hatte sie ihre Frage beendet, entflammten die kleinen Lichter um Helakus Hand zu zischenden, aufflackernden Blitzen und Kahzuna hielt das erste Mal in ihrem desinteressierten Tun inne.

---ENDE DER LESEPROBE---