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Die neue U-Boot-Waffe ist der Stolz der japanischen Kriegsmarine. Die Jungfernfahrt des neuesten Bootes zieht nicht nur die Aufmerksamkeit des Kaiserhauses auf sich, sondern ist gleichzeitig eine Bewährungsprobe für die ausgesuchte Mannschaft. Doch kurz nach dem Auslaufen ereignet sich Mysteriöses: Das U-Boot scheint zu sinken und alle Besatzungsmitglieder verlieren das Bewusstsein. Als sie wieder erwachen, müssen sie mit Entsetzen feststellen, dass ihr Boot sein Element verlassen hat. Es ruht auf der Spitze eines gigantischen Grabmals für den König von Mutal, dem Herrn der größten Metropole der Maya, mitten auf dem mittelamerikanischen Festland, rund 1500 Jahre in der Vergangenheit. Die verwirrte Mannschaft gerät direkt in einen Krieg und steht vor der entscheidenden Frage, wohin ihr Weg nun führen soll – zu einem Imperium oder direkt in die Katastrophe?
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Seitenzahl: 473
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Epilog
Nachwort
Personenverzeichnis
Weitere Atlantis-Titel
Yumiko Hara zupfte am Revers ihres Sohnes herum, obgleich alle im Raum wussten, dass keine Macht der Welt den Sitz der Uniformjacke noch perfektionieren konnte. Das hielt die ältere Frau jedoch keinesfalls davon ab, es wieder und wieder zu versuchen, und ihr Sohn Aritomo ließ sie gewähren. Er wusste genau, dass diese Tätigkeit ihr half, die Tränen zurückzuhalten, die doch in Kürze frei fließen würden, wenn er aus dem kleinen Haus ins Freie trat, um seine Fahrt nach Yokosuka anzutreten. Seine Mutter würde weinen, seine beiden Schwestern würden weinen und der Einzige, der schweigen würde, war sein Vater, zumindest so lange, wie alle zusahen.
Aritomo sah aus den Augenwinkeln nach links und rechts. Im kleinen Wohnzimmer, auf dem Sofa, direkt unter dem großen Porträt des Tenno, hockten Akemi und Beniko, seine Schwestern. Akemis Hochzeit war der Anlass gewesen, der zu seiner Heimreise geführt hatte. Normalerweise bekam ein junger Offizier seines Alters kaum Heimaturlaub, aber die Hochzeit seiner älteren Schwester hatte ausgereicht, das Herz eines Vorgesetzten zu erweichen, dass dieser die notwendige Genehmigung erteilte. Sicher war die anstehende Mission dabei auch von Bedeutung gewesen. Wie bei allen Jungfernfahrten konnte bei dieser so einiges schiefgehen und dies galt umso mehr …
Sein Blick wanderte weiter, blieb an dem Porträt der Großeltern hängen, zwei verblassende Fotografien, auf denen man kaum etwas zu erkennen vermochte, und dann kam da auch schon der kleine Altar, der für die Ehrung der Vorfahren gedacht war. Das Wohnzimmer war der größte Raum im kleinen Haus, doch die gesamte Familie versammelt, war es hier sehr eng.
Es war schon immer sehr eng gewesen. Der starre Blick des Vaters, voller Erwartungen und Ausdruck beständiger Regeln, die sein Leben bestimmt hatten. Eng. Die Fürsorge der Mutter, überwältigend, wenn der Vater nicht hinsah, einzige Möglichkeit für sie, etwas anderes auszudrücken als Gehorsam gegenüber ihrem Ehemann. Eng. Die Schwester, verschüchtert, mit ständig auf den Boden gerichteten Augen, zusammenzuckend, wenn der Vater die Stimme erhob. Oder die Hand. Eng. Die alten Möbel mit ihrem Geruch nach Holz, der Odor von Spänen und Resten aus der Werkstatt, seltsam vermischt mit den Düften der Küche, alles zusammengestellt, Seite an Seite, mit allein dem Sessel des Vaters als einzig bequemem Sitzplatz, auf dem sich niemand außer ihm niederlassen durfte. Eng.
Die Bilder des Kaisers. An jeder Wand eines. Überlebensgroß fast, gerahmt.
Eng.
Es war albern, dass sich Aritomo Hara aus dieser Enge nur hatte befreien können, indem er sich zur Flotte gemeldet hatte, einer Hierarchie, die so erdrückend war wie die Herrschaft seines Vaters über die Familie, aber die Aussicht auf Befreiung versprach, so er die Ränge emporkletterte, ein eigenes Kommando erlangte und damit endlich begann, seiner Existenz eigene Gestaltungsmöglichkeiten zu geben, aus der Enge seine Enge zu machen und aus der Unterwerfung so etwas wie Verantwortung.
Und jetzt stand seine erste, die wichtigste Mission überhaupt bevor und der Abschied von der Familie war nicht bitter, er wirkte wie eine Entlassung aus einem Gefängnis, so herzlich er seinen Schwestern auch zugetan war.
Aritomo drängte sich, den Gedanken fortzuwischen. Er hatte niemandem sagen dürfen, worin die Mission bestand, und er hatte sich daran gehalten. Sein Vater stellte keine Fragen und hatte der Familie verboten, das Thema anzuschneiden. Er war sicher stolz auf seinen Sohn, mehr, als er jemals zum Ausdruck brachte. Für ihn war er gehorsam und fleißig, diszipliniert und ehrenvoll – und damit alles, was er jemals von ihm erwartet hatte, exakt dem Korsett entsprechend, das er über all die Jahre um die schmalen Schultern des heranwachsenden Jungen gelegt hatte. Es war die Beförderung Aritomos zum Kaigun Chui, zum Unterleutnant, gewesen, die es Akemi nun erlaubt hatte, die bereits langfristig ins Auge gefasste Heirat mit dem Sohn eines mittleren Beamten zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen. Ihre Befreiung. Sie war dermaßen froh darüber, dass sie bei der Nachricht hysterisch zu weinen begonnen hatte. Normalerweise wäre es einer einfachen Handwerkertochter verwehrt gewesen, diesen gesellschaftlichen Aufstieg auch nur zu erwägen. Doch als der prospektive Schwiegervater von der Aufnahme Aritomos an der Offiziersakademie gehört hatte, war bereits angedeutet worden, dass bei der ersten Beförderung vom Kadetten zum Unterleutnant die Familie Hara würdig genug sei. Akemi war sehr glücklich gewesen. Aritomo kannte den Gatten. Er war nicht halb so starr, unbeweglich und herrschsüchtig wie ihr Vater. Er würde ihr die Freiheit geben, die ein Mädchen aus einfachen Verhältnissen erwarten durfte, und das war alles, was Akemi benötigte, um in helle Freude auszubrechen. Nun würde sich auch für Beniko ein Ehemann finden lassen, dessen Status über dem eines Handwerkers lag. Die größte Hoffnung für Yumiko Hara aber war, dass ihr Sohn selbst, vielleicht nach erneuter Beförderung, sich mit einer Tochter aus einem der höheren Offiziershäuser vermählen würde, möglicherweise sogar aus dem Adel. Erfolgreichen Offizieren standen alle Wege offen, das wusste jeder. Das war der eine Punkt, an dem sich die Hoffnungen seiner Mutter mit der seines Vaters trafen, der eine Punkt, an dem sogar er selbst sich manchmal einredete, ein ernsthaftes Interesse zu haben.
Aritomo schwieg zu diesen Plänen. Er gedachte, sich erst einmal auf die Arbeit zu konzentrieren, die eine solche Beförderung ermöglichen würde. Und das bedurfte der tiefsten Konzentration, in etwa der gleichen, die seine Mutter der Uniformjacke angedeihen ließ.
»Du musst gut aussehen, mein Sohn.«
»Ja, Mutter.«
»Hast du alles eingepackt?«
»Ja, Mutter.«
Yumiko Hara hatte seinen Seesack mehrmals selbst überprüft. Sie hatte all seine Kleidung so sauber gewaschen und gestärkt, dass sie auf seltsame Art und Weise aus sich heraus zu schimmern schienen, wenn man sie genau betrachtete. Wahrscheinlich konnte man jedes Hemd aufrecht ins Regal stellen. Oder Nägel damit einschlagen.
»Ich habe dir Reiseproviant eingepackt, mein Sohn!«
»Danke, Mutter.«
Die kleine Umhängetasche war von Yumiko handgearbeitet worden, mit einer kunstvoll gestickten Fahne, der aufgehenden roten Sonne, der Flagge der kaiserlichen japanischen Kriegsmarine, der ihr Sohn diente. Und das sollte wirklich jedem auf der langen Zugfahrt nach Yokosuka auffallen. Der Inhalt der Tasche bestand aus in Ölpapier eingewickelten Köstlichkeiten, in die Yumiko Hara ihre ganze Schaffenskraft als Köchin gelegt hatte. Ihr Sohn würde auf der Reise sicher nicht darben. Möglicherweise würde anschließend die so perfekt sitzende Uniformjacke in der Bauchgegend etwas spannen. Aber Verhungern stand außer Frage.
»Mutter, ich muss aufbrechen. Der Zug fährt bald.«
»Ja, ja, ich weiß.«
Yumikos Antwort klang etwas verloren, und als sie erneut, ein letztes Mal, an seinem Revers zupfte, sah Aritomo den weichen Schimmer erster Tränen in ihren Augen. Ohne Rücksicht auf den Sitz seiner Jacke nahm er die schmächtige Gestalt seiner Mutter in die Arme. Eine Woche hatte er mit seiner Familie verbracht. Er wusste, dass Jahre vergehen konnten, bis er sie wieder traf. Der Dienst eines Offiziers war anstrengend und aufreibend und es gab nur wenig Freizeit. Briefe zu schreiben, war alles, was ihnen blieb, und selbst diese Möglichkeit würde ihm aufgrund seiner Mission nicht allzu häufig zur Verfügung stehen.
Yumiko Hara löste sich aus der Umarmung und sah ihren Sohn unter einem Tränenschleier vorwurfsvoll an.
»Ich mache deine Jacke nass! Das ziemt sich nicht! Du musst auf deinen Auftritt achten, du bist ein Offizier!«
Aritomo ergab sich in sein Schicksal, ließ sich die kaum sichtbaren feuchten Flecken vom Stoff tupfen. Seine Mutter tat dies mit den schnellen, präzisen Handbewegungen, mit denen sie alles tat, was zu tun war, und die ihrem Sohn nur allzu vertraut waren.
»Lass ihn, es ist Zeit«, war die brummende Stimme ihres Mannes zu hören. Keine Umarmung hier, nur ein Griff an den Unterarm, ein kurzer Druck, der alles sagte, was ihm sein Vater sagen wollte, und der keiner weiteren Worte bedurfte.
Dann ging alles sehr schnell, barmherzig schnell. Sie hielten am Schrein, um gemeinsam die Ahnen um einen Segen für Aritomo zu bitten, und dann den Tenno, begleitet von einem der Mönche, den sie mit einer kleinen Spende zu einem speziellen Gebet bewegten. Die Zeremonie war kurz, aber ernsthaft, und die Gesichter seiner Familie waren voller Stolz und Respekt gewesen. Für sie war das, was der Sohn geschafft hatte, von außerordentlicher Bedeutung.
Sie fanden sich am Bahnhof wieder, wo trotz aller Selbstbeherrschung und Formalität zumindest die Mutter ein weiteres Mal stumm geweint hatte, sorgfältig durch die Körper ihrer Verwandten von der Öffentlichkeit verborgen. Aritomo hatte zweite Klasse gebucht und genoss den relativen Luxus einer ordentlichen Sitzbank. Sein Abteil war leer, als der Zug anrollte, aber das würde nicht lange so bleiben. Er winkte und schaute aus dem Fenster, bis der Bahnhof in der Ferne verschwunden war und nicht einmal die heftig wirbelnden weißen Taschentücher seiner Mutter noch auszumachen waren. Erst dann setzte er sich, wehmütig ob des Abschieds auf der einen Seite, voller Vorfreude auf die kommenden Herausforderungen auf der anderen.
Eine halbe Stunde genoss er die Stille, starrte aus dem Fenster, wie die Vororte Kobes langsam an ihm vorbeizogen und der Expresszug dann etwas Fahrt aufnahm. Beim nächsten Halt stiegen weitere Gäste zu, einige in sein Abteil, darunter ein alter Herr mit weißem Bart, stocksteif in seinem etwas abgewetzten Anzug, der sich kurz vor Aritomo verbeugte. Das war dem jungen Mann eher peinlich, aber er sagte sich, dass der Respekt seiner Uniform galt und nicht seinem rundlichen Milchgesicht, das er sich trotz seiner 26 Jahre immer noch bewahrt hatte und das möglicherweise dazu beitrug, dass er bei Frauen eher mütterliche als andere Gefühle auslöste. Dazu kamen zwei weitere Soldaten, die offenbar vom Urlaub heimkehrten, beide Infanteristen, beide ältere Männer, hohe Unteroffiziere, wie Aritomo erkannte. Sie begrüßten sich mit formeller Höflichkeit.
Um einem Gespräch unter Kameraden zu entgehen, nach dem ihm derzeit nicht zumute war, holte Aritomo die Zeitung hervor, die er sich am Bahnhof gekauft hatte. Er schaute kurz auf das Datum. Es war später August im Jahre Taisho 3 oder Koki 2574, ein Jahr, das die Mächte, die derzeit im fernen Europa damit beschäftigt waren, einen großen Krieg gegeneinander zu führen, als 1914 bezeichneten. Die Ereignisse jenes Krieges, der vor knapp zwei Monaten ausgebrochen war, beherrschten die Schlagzeilen. Aritomo hatte vor seinem Heimaturlaub bei einer Instruktion durch seine Vorgesetzten die offizielle Haltung Japans vermittelt bekommen: Man würde eigene berechtigte Interessen wahren – vor allem gegen Russland und China – und ansonsten höchstens den britischen Verbündeten helfen, etwa bei Geleitzügen, sollte sich dies als notwendig erweisen. Allgemein ging man aber davon aus, dass Japans Involvierung in diesen Krieg eher randständig sein würde. Aritomo hatte seine Erleichterung über diese Haltung für sich behalten – dafür hatten sich andere Offiziere, Vorgesetzte dazu, zu enttäuscht gezeigt – und fand in der Zeitung nichts, was diesen Eindruck änderte. Nach den Berichten hatte er das Gefühl, dass diese Auseinandersetzung länger dauern würde als erwartet, und wenn die imperiale Regierung unter der weisen Führung des Kaisers ihre Karten richtig spielte, konnte Japan aus diesem Durcheinander gestärkt hervorgehen.
Aritomo grübelte noch eine Zeit über die militärischen und strategischen Implikationen nach, blätterte durch den Rest der Zeitung, fand nichts Interessantes mehr und legte sie dann ordentlich zusammengefaltet auf seine Oberschenkel. Das Schaukeln des Zuges hatte etwas Beruhigendes. In der Nacht hatte er wenig geschlafen, wollte er doch den letzten Abend im Kreise der Familie auskosten, und hatte bis in die späte Nacht mit Eltern und Schwestern geredet, um heute Morgen dann in aller Frühe wieder aufzustehen, damit er den Zug nicht verpasste.
Aritomo schloss die Augen und beschloss, etwas zu schlafen.
Die Reise verlief glücklicherweise ereignislos. Zu den fehlenden Ereignissen gehörten unter anderem unangenehme und anstrengende Gespräche mit Mitreisenden, das Gefühl drängenden Hungers sowie ein schmerzender Rücken. Aritomo hatte großes Glück, was seine Reisegesellschaft anging, konnte sich mit den Vorräten seiner Mutter problemlos über Wasser halten und wusste überdies, warum er das Geld für eine Karte zweiter Klasse ausgegeben hatte. Als der Zug schließlich am Abend in den Bahnhof von Yokosuka einfuhr, war der junge Mann zwar müde und etwas verspannt, aber letztlich guter Dinge.
Vom Bahnhof aus fuhr ein Bus regelmäßig zum Marinearsenal, dem Stützpunkt, auf dem sich Aritomo am nächsten Morgen pünktlich zum Dienst zu melden hatte. Yokosuka war eine recht große Stadt mit einer ruhmreichen Geschichte, die bis in das Jahr 1063 zurückreichte. Hier war die erste moderne Schiffswerft Japans errichtet worden. Hier befand sich einer der zentralen Marinestützpunkte der Nippon Kaigun, der Marine des Kaiserreichs Groß-Japan, deren stolzes Mitglied Aritomo seit seinem 17. Lebensjahr war.
Noch diese eine Mission, so hatten ihm seine Vorgesetzten bedeutet, und die Beförderung zum Kaigun Daii, zum vollen Leutnant, stünde unmittelbar bevor. Aritomos Ehrgeiz war nicht maßlos. Er träumte nicht vom Admiralsstab, sondern im Grunde nur von seinem eigenen Kommando. Und dies würde er im Range eines Leutnants bereits bekommen können, denn der Flottenteil, in dem er eingesetzt war, bot ideale Voraussetzungen für eine Karriere. Leutnante waren bereits als kommandierende Offiziere eingesetzt worden und Aritomo selbst würde den Posten eines Ersten Offiziers wahrnehmen. Es gab nicht viele, die das in so jungen Jahren von sich behaupten konnten.
Doch in der kleinen, stetig wachsenden U-Boot-Flotte Japans war dies möglich.
Seine Papiere wurden gründlich untersucht, als er aus dem Bus stieg, und das, obgleich der wachhabende Offizier ein bekannter Kamerad von ihm war; er wechselte mit diesem einige freundliche Worte. Es war bereits dunkel, als Aritomo schließlich seine Unterkunft erreicht hatte, ein kleines Zimmer, nur spärlich erleuchtet durch eine Gaslampe, spartanisch eingerichtet.
Trotz der langen Fahrt fühlte er eine gewisse Ruhelosigkeit in sich, die ihn nicht schlafen lassen würde. Er verstaute sein Gepäck, soweit dies angesichts seines baldigen Aufbruchs überhaupt notwendig war. Als Unterleutnant genoss er das Privileg, dass er einen Raum mit nur einem Kameraden zu teilen hatte, und derzeit war das zweite Bett sogar unbelegt. Ein Zimmer für sich allein, das war etwas, das ihn irritierte. Er hatte zu Hause keines gehabt, er hatte in der Ausbildung keines genossen und er würde auf einem U-Boot dienen, das ihm gerade einmal eine eigene Koje bescherte. Aritomo war Privatsphäre nicht gewöhnt. Sie machte ihn unruhig.
Er beschloss daher, seinem Geist durch einen abendlichen Spaziergang Ruhe zu verschaffen. Als er wieder ins Freie trat, lenkte er seine Schritte unbewusst in Richtung der Hafenanlage, wo Schiffe der Marine vertäut lagen. Er marschierte an den mächtigen Einheiten vorbei, ohne sie eines Blickes zu würdigen, bis er in jenen, wiederum durch Wachen kontrollierten Bereich kam, in dem die kleine U-Boot-Flotte des Reiches vorzufinden war. Sein Gesicht war bekannt, trotzdem wurden erneut seine Papiere gründlich begutachtet. Dann wurde er in den gesperrten Bezirk gelassen, der vor allem deswegen so gut bewacht wurde, weil Aritomos Boot hier angeleint war.
Er wanderte die schwarzen Schatten der kleinen Holland-Boote entlang, die immer noch das Rückgrat der winzigen Flotte ausmachten und auf denen er zu Beginn seiner Karriere gedient hatte. Er dachte gerne an diese Zeit zurück, trotz der sehr beengten Zustände an Bord der Einheiten und der Tatsache, dass diese amerikanischen Konstruktionen permanent mit allerlei technischen Problemen zu kämpfen hatten, die ihre Einsatzbereitschaft wie auch ihre Reichweite ziemlich beeinträchtigten. Aritomo hatte zum Schluss als Steuermann auf einem dieser beengten, dickbäuchigen Boote gedient, als eines von nur acht Besatzungsmitgliedern, und es war eine rechte Qual gewesen. Doch die Notwendigkeit des Aufbaus einer U-Boot-Waffe war an der Admiralität nicht vorbeigegangen und so hatte man sich an die Briten gewandt – die die Hollands als Lizenznehmer bauten – und sich dort nach Verbesserungen umgesehen.
Aritomos Blick fiel auf die ganz am Rande liegende Konstruktionshalle, halb an Land, halb im Wasser. Sie war besonders gesichert, mit zusätzlichen Wachen, und er würde zu diesem Zeitpunkt keinen Zugang erhalten, obgleich er morgen früh als Erster Offizier des Fahrzeugs antreten würde, das dort drin auf seine Jungfernfahrt wartete.
Ein großes Geheimnis, aber keines, das sich noch sehr lange geheim halten lassen würde. Aritomo fühlte eine tiefe Zufriedenheit darüber, dass es ihm gestattet war, an diesem historischen Moment beteiligt zu sein. Ging alles gut, würde er seine Nation und seine Eltern stolz machen, und wenn er seine Erfahrung als U-Boot-Offizier dadurch vergrößerte, war das eigene Kommando nur noch eine Formsache. Sein Ziel, danach auf der Marineakademie neue Offiziere auszubilden, würde sich früher oder später gleichfalls realisieren lassen. Er lehrte gerne und er lernte gerne. Eine Karriere als Instrukteur war neben dem eigenen Kommando das zentrale Ziel seiner Ambitionen.
Es sah gut aus.
Es entwickelte sich alles ganz wunderbar.
»Können Sie auch nicht schlafen?«
Aritomo drehte sich um, erkannte im Zwielicht Yuto Sarukazaki. Der Ittoheiso war das älteste Besatzungsmitglied seiner Mannschaft, der höchste Unteroffizier und gleichzeitig der Chefingenieur ihres Bootes. Mit seinen fast 40 Jahren war er eine Respekt einflößende Gestalt. Aritomo mochte den pragmatischen und effektiven Mann und er hörte durchaus gerne auf dessen Rat. Das stellte ihn in einen scharfen Kontrast zum Kapitän und gemeinsamen Vorgesetzten, Leutnant Inugami, der darauf bestand, die scharfe Linie zwischen Offizieren und dem Rest nicht durch informelles Verhalten und übertriebene Kameraderie zu überschreiten. Warum er gerade in der bedrückenden Enge eines U-Bootes auf derlei bestand? Hier, wo eine besondere Zusammenarbeit aller Soldaten notwendig war, wollte man sich nicht schnell entsetzlich auf die Nerven fallen? Aritomo wusste es nicht. Für ihn waren U-Boot-Leute ein besonderer Schlag, für den manche der sehr starren Regeln des Umgangs miteinander nicht galten. Eingesperrt in eine metallene Sardinenbüchse, bedroht durch einen besonders grausamen Tod, sollte dieses gemeinsame Schicksal – das reale und das potenzielle – eine andere Art von persönlicher Verbindung möglich machen.
Inugami hatte sich mit diesem Gedanken wohl nie richtig anfreunden können. Doch der schwierige Vorgesetzte würde eine Episode bleiben, etwas, das es zu ertragen galt auf einem Weg, der Aritomo an diesem vorbeiführen würde.
»Ich bin noch nicht müde«, erwiderte Aritomo und neigte den Kopf in Richtung der Werkhalle. »Ich kann es kaum abwarten.«
»Das kann ich gut verstehen. Aber es scheint, als würde morgen nicht alles so ablaufen wie geplant.«
Aritomo sah auf. »Was ist passiert?«
Sarukazaki hatte eine Zigarette in der Hand, deren rote Glut in der Dunkelheit gut zu erkennen war.
»Während Sie Heimaturlaub hatten, wurden die Pläne geändert. Ich kenne keine Details, bisher wurde nur Inugami informiert. Aber er sah dermaßen glücklich und erfreut aus, dass von einer wichtigen Änderung ausgegangen werden muss.«
Sarukazaki wollte offenbar noch etwas hinzufügen, besann sich dann aber eines Besseren und schwieg. Aritomo ahnte ohnehin, was er hatte sagen wollen: Alles, was ihren strengen Kommandanten erfreute, musste nicht auch für den Rest der Mannschaft positiv sein. Inugami war ungleich ehrgeiziger als sein Erster Offizier und bereit, alles zu geben, um sich in das rechte Licht zu rücken. Aritomo wusste, dass einige der Mannschaftsdienstgrade ihn hinter seinem Rücken »Leutnant Taisho« nannten und damit auf das klare Ziel des Mannes hinwiesen, möglichst rasch und effektiv in den Admiralsrang aufzusteigen.
Aritomo tat immer so, als würde er das nicht hören. Er konnte den Mann auch nicht gut leiden, aber er war ihm zum Gehorsam verpflichtet. Immerhin, Inugami war nur ein Jahr älter und daher war es für ihn nicht so selbstverständlich, Aritomo zu schlagen, wenn dieser nicht ganz das tat, was sich der Kommandant vorgestellt hatte. Bei den anderen Besatzungsmitgliedern, vielleicht noch mit der Ausnahme des so viel älteren Bootsmannes, ging er freizügig mit körperlicher Züchtigung um. Schläge ins Gesicht waren keine Seltenheit. Aritomo gehörte nicht zu der Fraktion unter den Flottenoffizieren, die diese Tradition für sinnvoll hielten. Er setzte sie nicht ein, wie es seine Freiheit als Offizier war.
Aber wer war er, die Traditionen grundsätzlich infrage zu stellen? Das war in der Tat eher die Aufgabe eines Admirals.
»Keine Gerüchte? Normalerweise wissen die unteren Dienstgrade doch schneller über alles Bescheid als wir«, bohrte Aritomo einmal nach.
Sarukazaki grinste und zeigte dabei seine makellosen weißen Zähne, um die ihn insgeheim ein jeder beneidete. Er sog ein letztes Mal an der Zigarette, ehe er den schimmernden Rest zu Boden fallen ließ und mit dem Schuhabsatz ausdrückte. Wie er als Raucher den Dienst auf einem U-Boot – und damit den Verzicht auf seine Sucht – auf Wochen hin aushielt, würde für Aritomo auf immer ein Rätsel bleiben.
»Sicherheitsmaßnahmen wurden verstärkt, es gibt extra Wachen, und unser Kommandant macht sich vor Freude nass – ich vermute, dass wir zur Jungfernfahrt richtig hohen Besuch erwarten. Wahrscheinlich jemanden vom Admiralsstab, wenn Sie mich fragen.«
Aritomo nickte. Diese Vermutung hatte in der Tat Hand und Fuß.
»Dann sollten wir bereit sein«, sagte er, atmete noch einmal die kühle Abendluft mit einem kräftigen Zug ein, ehe er sich umdrehte. »Ich werde jetzt versuchen, Schlaf zu finden. Ich darf Ihnen raten, es ähnlich zu halten, Ittoheiso Sarukazaki.«
Der Mann stand stramm und salutierte lächelnd.
»Jawohl, Herr Unterleutnant.«
Damit wandte er sich ab und verschwand in der Dunkelheit.
Aritomo blieb noch einen Moment stehen, ehe er seiner eigenen Ankündigung Folge leistete. Wenn stimmte, was der Mann ihm gesagt hatte – und dass etwas im Schwange war, daran bestand kein Zweifel –, würde er morgen seine ganze Energie benötigen, um die notwendigen Vorbereitungen zu treffen.
Und um die schleimige Vorfreude seines Kommandanten zu ertragen.
Es war also Zeit, etwas Privatsphäre zu ertragen.
»Kameraden, uns steht eine großartige Zeit bevor!«
Kaigun Daii Tako Inugami wippte auf den Zehenspitzen und fast konnte man meinen, dass er die Mannschaft vor sich anlächelte. Das war unwahrscheinlich – Inugami lächelte nie –, aber er strahlte eine so sonnige Begeisterung aus, die keiner richtig glauben wollte.
Die dreißig Besatzungsmitglieder unter dem Kommando des Leutnants hatten sich in einem der Schulungsräume versammelt. Die Tatsache, dass sie sich sofort hatten setzen dürfen, sprach für die ausnehmend gute Laune ihres Vorgesetzten. Normalerweise hielt er erst einmal eine Ansprache, ohne sich um das Wohlbefinden seiner Männer zu kümmern. Inugami selbst stand gerne und ausdauernd, eine Leidenschaft, die nicht von jedem geteilt wurde.
»Ich habe vor einigen Tagen die Nachricht erhalten, dass die Jungfernfahrt unseres neuen Bootes die allerhöchste Aufmerksamkeit erhalten wird. Ich rede hier nicht von der Admiralität – obgleich diese natürlich an den Ergebnissen auch sehr interessiert ist –, sondern ich meine wirklich allerhöchste Aufmerksamkeit.« Inugami beugte sich nach vorne und senkte die Stimme auf eine andachtsvolle Lautstärke. »Ihre Kaiserliche Hoheit, Prinz Isamu, wird uns auf unserer Fahrt begleiten.«
Stille senkte sich über den Raum. Inugami genoss offenbar das ehrfürchtige Erschrecken, das seine Neuigkeit ausgelöst hatte. Aritomo verspürte widersprüchliche Gefühle. Natürlich, vom zweiten Sohn des Tenno besucht zu werden, ja seine Gegenwart mehr als nur flüchtig genießen zu dürfen, das war mehr als nur eine Ehre, es war ein Ereignis, von dem sie alle ihren Enkeln und Urenkeln noch erzählen würden. Aritomo war von tiefer Ehrfurcht gegenüber dem Kaiserhaus erfüllt und er hatte mit großer Freude an der Militärparade zur Amtseinführung des derzeitigen Tenno vor gut zwei Jahren teilgenommen. Isamu war kurz nach Hirohito geboren worden, dem Kronprinzen und Thronfolger, und seine Mutter war eine kaiserliche Konkubine, wie Tenno Taisho selbst Sohn einer Konkubine war. Daran war nichts Ehrenrühriges und die jeweiligen Gattinnen hatten diese Söhne rasch als rechtmäßige Mitglieder der Familie anerkannt. Isamu war jetzt dreizehn Jahre alt und galt als begeistert für alles, was mit der Seefahrt zu tun hatte. Im Gegensatz zu seinem Bruder besuchte er, wie man wusste, nicht die Gakushuin-Schule, in der die Sprösslinge des Adels gemeinhin ausgebildet wurden, sondern war auf einer der vorbereitenden Kadettenanstalten eingeschrieben, um anschließend sogleich den Weg eines Offiziers einschlagen zu können. Man sah den jungen Mann in der Öffentlichkeit niemals anders als in der Uniform eines Kadetten und niemand zweifelte daran, dass aus ihm einst ein wichtiger Militärführer werden würde.
Abgesehen davon galt er als verschlossen und zurückhaltend, schüchtern fast, ganz im Schatten seines nur um wenige Monate älteren Bruders, der aller Wahrscheinlichkeit den Thron erringen würde. Manche sagten, er sei neidisch, doch das waren nur Gerüchte. Aber die Beschreibungen des jungen Mannes als sehr ruhig und in sich gekehrt, als eher langsam und bedächtig hielten sich so hartnäckig, dass Aritomo bereit war, ihnen zumindest einen gewissen Glauben zu schenken.
Er räusperte sich.
»Aber Herr Leutnant, ist das weise? Eine so erlauchte Person auf der Jungfernfahrt eines neuen U-Bootes? Begibt er sich damit nicht in unnötige Gefahr?«
Inagumi warf Aritomo einen abschätzigen Blick zu, ehe er sich zu einer Antwort bequemte.
»Jungfernfahrt hin oder her, wir haben das Boot vorher ja schon ausgiebig getestet. Es funktioniert einwandfrei, wie die Werfterprobungsfahrten erwiesen haben. Der junge Prinz hat hier einen ausdrücklichen Wunsch geäußert und es sollte unser höchstes Bestreben sein, diesen auch zu erfüllen. Einige Stunden an Bord unseres neuen und großen Bootes können kein großes Risiko sein.«
Aritomo neigte den Kopf. »Ich verstehe. Wird die kaiserliche Hoheit alleine zu uns stoßen?«
»Nein, natürlich nicht«, erwiderte Inugami in einem Tonfall, der sehr deutlich zum Ausdruck brachte, für wie dumm er diese Frage hielt. »Sein persönlicher Privatlehrer wird ihn begleiten, ebenso zwei Leibwächter. Wir sind nicht lange unterwegs. Es dürfte kein Problem sein, vier zusätzliche Männer für die Dauer der Fahrt unterzubringen.«
»Natürlich nicht«, bestätigte Aritomo und salutierte.
»Ich möchte, dass das Boot heute geputzt wird, bis es nichts mehr zu putzen gibt«, wandte sich Inugami nun an alle. »Ich erwarte höchste Anstrengung! Ich werde morgen früh, ehe der höchste Gast zu uns kommt, eine sehr, sehr gründliche Inspektion vornehmen! Alles muss absolut makellos sein! Erkenne ich Schlamperei, wird diese auf das Schärfste bestraft! Und ich erwarte absolut perfektes Benehmen und hundertprozentige Disziplin an Bord! Niemand fällt aus der Rolle, alle arbeiten mit höchster Konzentration! Unterleutnant Hara, Sie beaufsichtigen dies. Sie berichten mir regelmäßig. Strafen Sie hart, wenn es Unterlassungen gibt. Ich stelle die höchsten Ansprüche!«
Daran bestand ganz sicher kein Zweifel, dachte Aritomo bei sich, blieb aber ansonsten nur stocksteif stehen und machte damit den dienstbeflissenen Eindruck, den sein Vorgesetzter von ihm erwartete.
Die Einweisung zog sich etwas in die Länge, da außer dem Ablauf der Jungfernfahrt – sie sollte insgesamt etwa zwei Stunden dauern, davon rund eine Stunde unter Wasser – die beständigen Ermahnungen Inugamis, sich auf jeden Fall der besonderen Situation bewusst zu sein und entsprechendes Verhalten an den Tag zu legen, sehr viel Zeit beanspruchten. Selbst ein tauber Soldat mit geringen geistigen Fähigkeiten würde es mittlerweile verstanden haben und die Mannschaft des Bootes bestand nun wirklich nicht aus Dummköpfen. Als die zermürbende Sitzung vorbei war und Inugami Aritomo abtreten ließ, konnte der sehr aufmerksame Beobachter Erleichterung in den Gesichtern der Männer erkennen. Der Kommandant hatte dafür kein Auge, denn er verabschiedete sich mit einem dringenden Termin. Aritomo zweifelte nicht daran, dass er mit der Führung des Stützpunktes noch einiges zu besprechen hatte, um die Ankunft des allerhöchsten Besuches umfassend vorzubereiten und dabei nichts dem Zufall zu überlassen. Andererseits ließ ihn das mit der aufreibenden Arbeit zurück, die nun anstand: die erneute Überprüfung aller Anlagen an Bord des U-Bootes sowie die detaillierte und sehr, sehr gründliche Reinigung. Dies war eine Tätigkeit, die keinem schmeckte, und so war die Stimmung bei den Männern auch nicht halb so euphorisch, wie Inugami sie sicher von ihnen allen erwartete.
Doch eigentlich war das auch egal.
Denn Aritomo war sehr gerne auf dem Boot.
Als er es vor sich am Kai im Wasser liegen sah, zur Präsentation aus der Werkshalle geschleppt, klopfte sein Herz unwillkürlich schneller. Der mächtige Leib des grauschwarzen Bootes war beeindruckend. Es war ein britisches Design, die sogenannte E-Klasse. Die britische Regierung hatte Japan erst vor Kurzem die Lizenz gegeben, dieses Fahrzeug zu bauen – auch das eher inoffiziell. Mit einer Länge von rund 54 Metern trug es acht Torpedos. Unter Wasser erreichte es mit seinen Elektromotoren eine Höchstgeschwindigkeit von fast zehn Knoten – etwas, das sie, ganz offiziell, bei der Jungfernfahrt ausprobieren würden. Es konnte, so meinten die Briten, bis zu 30 Meter tief tauchen, und das war etwas, was sie auch bei den Werfterprobungsfahrten noch nicht ausprobiert hatten. Aritomo war sich sicher, dass es noch einige Meter tiefer gehen konnte. Er war begierig darauf, die Grenzen des Bootes auszutesten, wenngleich er dies mit dem Prinzen an Bord sicher nicht würde tun dürfen.
Mit seinen insgesamt 31 Besatzungsmitgliedern war das Boot so umfangreich besetzt, dass es, im Gegensatz zu den älteren und viel kleineren Einheiten, zwei Offiziere verdiente. Dazu gab es vier Unteroffiziere, meist mit Spezialisierungen wie der erfahrene Sarukazaki. Somit blieben 25 Mannschaftsdienstgrade. An Bord dieses Bootes würden keine Frischlinge und Rekruten sein, sondern nur Matrosen, die bereits Erfahrungen gesammelt hatten. Für Experimente war dieses Exemplar viel zu wertvoll. Es waren Veteranen, soweit die junge U-Boot-Flotte des Kaiserreiches überhaupt über solche verfügte. Aritomo hatte genug Gelegenheit gehabt, sich mit den Männern vertraut zu machen. Es waren alles disziplinierte Experten, Männer mit großem persönlichen Mut und genau dem Maß an Opferbereitschaft, das notwendig war, um sich in einer engen Metallhülle den Gefahren einer Fahrt unter der Wasseroberfläche auszusetzen. Wie auch immer die Jungfernfahrt ablaufen würde, die Crew würde alles tun, damit sie erfolgreich war, ob nun mit einem Prinzen als Gast oder nicht.
Mit Bolzen vor dem Turm festgemacht stand die zweite Waffe des Bootes neben den Torpedos, ein Zwölfpfünder. Für diese Kanone hatten sie vier ausgebildete Kanoniere an Bord und sie alle hatten zumindest eine Einweisung darin bekommen. Das war nur eine der zentralen Neuerungen gegenüber den alten Booten der Kriegsmarine, die sich ausschließlich auf ihre Torpedos hatten verlassen können. Es waren diese und andere Innovationen, die bis auf Weiteres vor Japans Feinden verborgen bleiben sollten und die dazu geführt hatten, dieses neue Boot nicht in der Flottenbasis bei Kure zu stationieren, sondern vielmehr hier in Yokosuka. Sobald die Existenz des Bootes offiziell zugegeben wurde, würde es nach Kure verlegt werden, um den Grundstock der zweiten U-Boot-Flottille zu legen, die die alten Holland-Boote, inklusive ihrer durch Kawasaki verbesserten Nachfolger, obsolet machen würde.
Vorher aber gab es profanere Aufgaben, vor allem jetzt, und die wichtigste war, das Boot Nr. 8 zu schrubben und zu polieren, sodass es trotz seiner dunkelgrauen Farbe glänzte wie Silberbesteck. Der Prinz durfte keinerlei Anlass zur Klage haben, darin war sich Aritomo mit seinem Kommandanten durchaus einig.
Als die Männer mit der aufgetragenen Arbeit begannen, war sich Unterleutnant Hara nicht zu schade, während er die gemeinsame Anstrengung beaufsichtigte, auch selbst einen Lappen zur Hand zu nehmen.
An ihm, so nahm er sich vor, sollte es nicht liegen, wenn etwas nicht absolut perfekt wurde.
An ihm ganz sicher nicht.
Es gab keine Kapelle und keinen großen Aufmarsch.
Prinz hin oder her, es sollten noch nicht so viele Leute wissen, über was für ein großartiges neues U-Boot die japanische Flotte nunmehr verfügte. Also hielt man sich bedeckt, soweit das beim Besuch eines Mitglieds des kaiserlichen Hofes überhaupt möglich war. Eine Kolonne von vier Autos war vorgefahren und neben der Mannschaft des Bootes war auch eine Ehrenkompanie angetreten, voll herausgeputzt und damit im starken Kontrast zu den U-Boot-Männern, deren Uniformen zwar sauber, aber der Mission entsprechend zweckmäßig waren.
Inugami hatte das Boot am späten Abend abgenommen und war ausnahmsweise mal zufrieden gewesen. Trotz intensiver Kontrolle war ihm nichts Negatives aufgefallen, was er mit einem seltenen Lob quittierte. Alle hatten das mit Erleichterung zur Kenntnis genommen, denn Aritomo konnte bezeugen, dass sie sich wirklich Mühe gegeben hatten.
Dafür hatte Inugami ihnen mitgeteilt, dass sich die Gruppe der Fahrgäste noch um eine weitere Person erweitern würde. Ein Ingenieur von Kawasaki würde an der Jungfernfahrt teilnehmen, offiziell, um für Erklärungen zur Verfügung zu stehen, inoffiziell, um im Fall von Problemen zusätzlichen Sachverstand an Bord zu haben.
Das war logisch und nachvollziehbar, sogar eine willkommene Entwicklung, wie der Erste Offizier insgeheim dachte, trotz der drangvollen Enge, die sich nun an Bord ergeben würde.
Probleme konnten immer auftreten. Aritomo erinnerte sich, wie alle seine Kameraden, an das Schicksal von Boot Nr. 6, das bei einer Fahrt in nur zehn Meter Tiefe aufgrund eines technischen Defekts in einem Hafenbecken nicht mehr hatte auftauchen können. Die alten Holland-Boote hatten keine Vorrichtung vorgesehen, durch die die Mannschaft ihr Gefängnis in getauchtem Zustand hätte verlassen können. So hatten die Männer auf ihren Posten ausgeharrt, bis sie erstickt waren, und das nur wenige Meter vom rettenden Ufer entfernt. Erst am nächsten Tag war es gelungen, das Boot zu heben und die Leichen der Helden zu bergen.
Das Boot war nun ein Mahnmal. Es erinnerte an die Gefahren dieser neuen Technik.
Aritomos Blick wanderte über die Hülle von Boot Nr. 8. Der neue Entwurf machte es möglich, soweit die Tauchtiefe es zuließ, dass die Männer das Boot verließen, wenn es nicht mehr zu retten war und die Oberfläche nicht zu weit entfernt. Dieses Schicksal würden sie also hoffentlich nicht teilen.
Trotzdem kam der Mann von Kawasaki mit. Er war, wie man hörte, am Bau dieses Bootes von Anfang bis Ende beteiligt gewesen und kannte es noch besser als der gute Sarukazaki, der sich mit allem sehr intensiv befasst hatte. Aritomo wollte es nicht zugeben, aber die Tatsache, dass der Ingenieur mitfuhr, hatte schon etwas Beruhigendes. Und das neue Boot war so viel größer als die alten Holland-Einheiten. Sie würden sich für die kurze Fahrt, die geplant war, ganz sicher arrangieren können. Befehle wurden gerufen. Die Ehrenkompanie präsentierte die Gewehre. Die U-Boot-Männer standen kerzengerade auf dem blitzsauberen Rumpf ihres Bootes, nur Aritomo und Inugami hatten sich vor dem Fallreep positioniert, über das der Prinz schreiten würde.
Als dieser das Auto verließ, herrschte unvermittelt eine ehrfürchtige Stimmung, die alle Männer wie eine Lähmung ergriff. Ein Spross des göttlichen Tenno war und blieb etwas ganz Besonderes und niemand konnte sich dem Charisma des japanischen Kaiserhauses entziehen. Der junge Mann – der Junge eigentlich – sah perfekt aus in seiner Kadettenuniform, die wie angegossen saß. Die Züge seines erlauchten Vaters waren auf seinem Gesicht erkennbar, sofern man es wagte, es lange genug anzusehen. Seine Wangen waren noch etwas rundlich, doch sein Blick wirkte so hoheitsvoll und durchdringend, wie man es zu erwarten hatte. Seine Begleiter kamen wie angekündigt: ein älterer Herr, bei dem es sich um den Privatlehrer handeln musste, zwei drahtige, in eine schmucklose schwarze Uniform gekleidete Soldaten, die ohne Zweifel die Leibwächter waren – bewaffnet mit Pistole und Schwert, auf dem Rücken ein Gewehr, wie Aritomo registrierte –, und dann ein Mann in ziviler Kleidung, nicht sehr viel älter als Inugami, der eine große, schwarze Aktentasche mit sich trug. Der Ingenieur von Kawasaki.
Aritomos Augen weiteten sich.
Ein Gaijin.
Der Offizier beherrschte sich. Natürlich. Das hätte er sich auch denken können. Das Boot war basierend auf Plänen der britischen Hersteller gebaut worden. Es gab eine lange Tradition der Kooperation zwischen Großbritannien und Japan, gerade bei der Entwicklung der Seestreitkräfte. Und es liefen des Öfteren britische Ingenieure auf den großen Werften herum, alle unter Vertrag der japanischen Regierung, um bei der Weiterentwicklung oder beim Transfer neuer Technologie zu helfen. Es war daher logisch, ja vorhersehbar, dass bei diesem neuen Stück Technik, dem Höhepunkt britischer Bootsbaukunst, ein Ingenieur aus dem fernen Europa nach dem Rechten sehen würde.
Aritomo schalt sich einen Narren ob seiner ersten, ablehnenden Reaktion.
Ohne die Briten – und andere befreundete europäische Mächte – gäbe es die kaiserliche Flotte in ihrer derzeitigen Form gar nicht. Das mochte wie ein Makel erscheinen, es war aber auch ein Fakt. Der Ingenieur aus dem britischen Empire war eine Hilfe, keine Bedrohung. Das musste er sich klar vor Augen halten. Der Mann war hier, weil die Admiralität es für notwendig hielt.
Aritomo Hara würde diese Entscheidung nicht infrage stellen.
Er holte tief Luft. Sie waren vollzählig. Der große Moment stand unmittelbar bevor.
Der Prinz stellte sich in Positur, wie es von ihm erwartet wurde, wirkte dabei aber seltsam unauffällig, beinahe schon schüchtern. Anstatt selbst etwas zu sagen, ergriff sein Lehrer das Wort. Aritomo hörte der Ansprache nur mit halbem Ohr zu. Der alte Mann begrüßte die Soldaten und bedankte sich. Er wies darauf hin, dass sich der Prinz der Enge an Bord des Bootes bewusst sei und auch unachtsame Berührungen oder andere Bedrängnisse nicht als Beleidigung oder unbotmäßiges Verhalten ausgelegt werden würden. Er sprach seine Hoffnung aus, dass die Jungfernfahrt frei von Problemen sein würde, und lobte die Soldaten für ihre Pflichterfüllung. Eine kleine Rede, die der allgemeinen Beruhigung dienen sollte. Aritomo stellte zu seinem Erstaunen fest, dass sie trotz seiner nur oberflächlichen Aufmerksamkeit ihre Wirkung erfüllte. Er fühlte sich etwas entspannter und konnte dies an subtilen Zeichen auch bei seinen Männer erkennen. Alle hatten sie Angst gehabt, unabsichtlich einen bösen Fehler zu begehen, so in unmittelbarer Nähe einer derart exaltierten Person. Diese Angst war dem Besucher offensichtlich bewusst gewesen und er hatte versucht, etwas dagegen zu tun.
Aritomo runzelte unwillkürlich die Stirn.
Wozu bedurfte ein Kadett, der von morgens bis abends auf einer Kadettenschule lebte und lernte, eigentlich eines Privatlehrers?
Er schaute den jungen Prinzen an, der mit unbeteiligtem Gesicht neben seinem sprechenden Mentor stand, weder zustimmte noch ablehnte, sondern genauso stoisch zuhörte wie die stramm dastehenden Soldaten. Für einen Moment aber sah er auf, bewegte den Kopf leicht und ließ den Blick über die Reihe der Männer wandern, blieb auch kurz bei den Augen Aritomos stehen, der hervorgehoben wurde durch seinen Standort vorne am Kai und seine Offiziersuniform. Ihre Blicke trafen sich nicht lange, aber für den Offizier war dieser Moment eher unangenehm – und das nicht, weil ihn plötzliche Ehrfurcht überkam oder doch etwas von der Angst, die der Lehrer gerade zu zerstreuen versucht hatte.
Sondern weil er den Eindruck hatte, dass dieser Blick des jungen Prinzen so furchtbar … leer gewesen war.
Aritomo blinzelte. Inugami bellte einen Befehl. Das Boot war zu bemannen. Alle Männer wurden auf ihren Stationen erwartet, ehe die Gäste hinzukamen. Keine Risiken. Es kam Bewegung in die Sache.
Aritomo verscheuchte den Gedanken, den er eben noch gehabt hatte. Er war närrisch. Anmaßend dazu. Nichts, was ihn zu beschäftigen hatte. Seine Pflichten lagen ganz woanders und er nahm diese Erkenntnis dankbar auf und konzentrierte sich darauf, diese Fahrt seines geliebten Bootes zu einem großen Erfolg zu machen.
Für Japan.
Für den Kaiser.
Für sich.
Als Erstes kam der Rundgang. Es war eng, es wurde leicht stickig und trotz aller Worte des alten Lehrers fühlte sich jeder etwas unwohl so in unmittelbarer Nähe des Prinzen. Die etwas mehr als 50 Meter des Bootes waren aber schnell durchschritten: vorderer Torpedoraum, die Maschinenabteilung mit den Diesel- und Elektromotoren, die enge Schlafstätte der Offiziere – alle anderen Besatzungsmitglieder schliefen an ihren Stationen, so gut sie konnten –, der Kontrollraum unter der Brücke auf dem Turm, der mittlere Torpedoraum, von dem aus das Boot auch seitwärts Torpedos abschießen konnte, und die kleine Messe, in der vorbereitete Nahrungskonserven erhitzt sowie Tee gekocht werden konnten. Immerhin war das Boot so breit, das an einigen Stellen bis zu drei Männer nebeneinander stehen konnten.
Der britische Ingenieur – Robert Lengsley war sein Name und er hatte sich höflich verhalten, freundlich, sprach sogar etwas Japanisch, was darauf hinwies, dass er sich schon länger hier aufhielt – war dann gleich bei Sarukazaki im Maschinenraum geblieben.
Nachdem alles gezeigt worden war, atmete Aritomo erleichtert aus. Leutnant Inugami hatte sich wie ein Gockel in einem Hühnerstall aufgeführt, sich in endlosen Erklärungen verloren und beinahe den Eindruck erweckt, als hätte er allein dieses Boot konstruiert, es selbst gebaut und könnte es auch ganz alleine navigieren, wenn man ihn nur ließe. Dass der junge Prinz diese Elogen mit disziplinierter Ruhe über sich hatte ergehen lassen, sprach für die Leidensfähigkeit des jungen Mannes, die möglicherweise ihre Wurzeln in der harten Erziehung bei Hofe hatte. Der alte Lehrer hatte anfangs noch ein paar höfliche Fragen gestellt, dann aber wohl eingesehen, dass Inugami jede weitere Frage nur als Anlass für ein erneutes Referat nahm, und es war allzu offensichtlich, dass der Mann sich in der Enge des Bootes nicht sehr wohlfühlte.
Inugami befahl schließlich, welch Erlösung, dass das Boot auslaufen solle. Der Prinz wollte diesen Prozess draußen, vom Turm aus beobachteten, was allgemeine Zustimmung fand, denn es bedeutete, dass er und seine Begleiter nicht zur Enge an Bord des Schiffes beitragen würden. Der Kommandant selbst ließ es sich nicht nehmen, den jungen Mann nach draußen zu begleiten. Erstaunlicherweise blieb der alte Lehrer unten auf der Brücke. Er schien die Begrenztheit des Bootes für das kleinere Übel zu halten, als weitere Vorträge Inugamis erdulden zu müssen, und freute sich sichtlich, als ihm eine Tasse Tee gereicht wurde.
Aritomo verbeugte sich vor dem Herrn. »Ich hoffe, dass Ihnen das Boot nicht zu eng wird, Lehrer«, sprach er ihn an.
»Mein Name ist Daiki Sawada, Herr Unterleutnant. Ich würde mich freuen, wenn Sie mich einfach als Herr Sawada ansprechen würden. Das ewige Katzbuckeln ist in einem so begrenzten Raum irgendwie fehl am Platze. Man stößt sich leicht.«
Aritomo lächelte und verbeugte sich erneut. »Natürlich, Herr Sawada. Euer Schüler scheint sehr gelehrig zu sein. Er hat den Vorträgen aufmerksam gelauscht.«
Der Blick des alten Mannes verschleierte sich ein wenig, als ob er nach der richtigen Antwort auf diese Behauptung suchte. Seine Not wurde durch den Befehl zum Ablegen beendet. Auf der Brücke gab es dabei noch nicht viel zu tun. Nur der Steuermann leitete die Befehle des Kommandanten an den Maschinenraum weiter. Das leise Vibrieren der Dieselmotoren erfüllte den Leib des Bootes, als es mit majestätischer Gelassenheit – oder großer Vorsicht, je nach Sichtweise – vom Kai wegtrieb und dann langsam Fahrt aufnahm. Es war kein übertrieben kühler Morgen, sodass der Fahrtwind sicher auch bei höherer Geschwindigkeit zu ertragen gewesen wäre, aber Inugami verband das Auslaufen offensichtlich mit einer kleinen Hafenrundfahrt für den Prinzen.
Von Land her erscholl Militärmusik und die angetretene Ehrenkompanie rief laut: »Banzai!«
Aritomo schloss für einen Moment die Augen, spürte die feinen Bewegungen des Bootes unter seinen Füßen und die potenzielle, derzeit noch gebändigte, ruhende Macht, die ihnen zu Gebote stand. Es war ein erhebendes Gefühl und es war alle Mühsal wert.
Das Wetter spielte mit. Die See war ruhig. Aritomo betrachtete die Instrumente vor ihm, den Drehzahlmesser der Dieselmotoren, den Kompass, die Geschwindigkeitsanzeige. Er spürte das ruhige Geräusch, die perfekte Lage des Bootes im Wasser. Alles passte so wunderbar zusammen. Es war ein Wunderwerk der Technik.
»Alle Anzeigen hier sind auf Englisch«, murmelte Sawada, als er ebenfalls die endlose Reihe an Kontrollen und Hebeln und Knöpfen betrachtete, die die Wand der Brücke bedeckte, und die Arbeit der Steuerleute beobachtete.
»Richtig. Auf allen Schiffen der japanischen Kriegsmarine sind die Beschriftungen und Anzeigen auf Englisch«, erklärte ihm Aritomo. »Unsere ersten Schiffe waren größtenteils Bauten britischer Werften, viele der Berater waren Briten und viele der ersten Ausbilder gleichfalls. Wir haben sehr viel von der Royal Navy gelernt, und das hat sich darin niedergeschlagen, dass alle unsere Neubauten weiterhin an der englischen Sprache festhalten. Jeder Offizier muss Englisch lernen, wenngleich viele sich nur das Nötigste aneignen.«
Sawada sah den jungen Mann forschend an. »Es gibt genug unter uns, die immer noch der Ansicht sind, dass es unter unserer Würde sei, eine Fremdsprache zu lernen.«
Aritomo nickte. »Ja, und viele Offiziere zählen sich zu dieser Gruppe. Aber wir hätten keine Flotte, wenn es uns nicht gelungen wäre, ausländisches Wissen aufzunehmen. Und wir hätten nur Feinde im Ausland, wenn wir uns weigern würden, andere Sprachen als die unsere zu akzeptieren.«
Sawada lächelte. »Bündnisse sind oft nur vorübergehend.«
»Sie wissen sicher mehr über diese Dinge als ich. Ich bin nur ein Unterleutnant. Ich führe die Befehle jener aus, die über all dies besser Bescheid wissen und uns anführen.«
»Aber ich möchte vermuten, Unterleutnant Hara, dass Sie Ihre Englischlektionen ernst genommen haben.«
Aritomo nickte. »Ich habe jede meiner Lektionen ernst genommen, Herr Sawada. Ich stamme aus einer armen Handwerkerfamilie und die Offizierskarriere war eine einmalige Möglichkeit für mich, etwas anderes zu tun. Ich war Klassenbester in der Schule und erhielt ein Stipendium für die Oberschule. Ich war Dritter in meinem Jahrgang auf der Akademie. Ich hätte einen Posten auf einem der großen Kreuzer bekommen können. Aber ich wollte die U-Boote.«
Ehe der alte Mann etwas sagen konnte, hörten sie Bewegung von oben und Beine tauchten auf der Leiter auf. Augenblicke später waren Inugami sowie der Prinz unten angelangt. Es folgten die beiden Leibwächter, die die ganze Zeit nicht ein Wort gesagt hatten.
»Bereit machen zum Tauchen!«, befahl der Kommandant, nachdem er selbst das Schott nach oben gründlich verschlossen hatte. »Bereit zum Anblasen!«
Es brach keine Hektik aus. Jeder wusste, was zu tun war. Es war eine ausgezeichnete Mannschaft.
Dennoch verspürte Aritomo Aufregung und Spannung und er war da möglicherweise nicht der Einzige.
Es ging in die Tiefe hinab.
Das Boot war in seinem Element.
Und Unterleutnant Aritomo Hara war es auch.
»Wir sind jetzt in einer Tiefe von 15 Metern angelangt«, erklärte Inugami mit unterwürfigem Tonfall auf eine leise geäußerte Frage des Prinzen. Es war die erste artikulierte Frage, die er selbst gestellt hatte, anstatt die Nachforschungen seines Lehrers nickend zu begleiten. Aritomo betrachtete die Szene nur am Rande. Während der Leutnant den Fremdenführer spielte, hatte er als Erster Offizier die Aufgabe, die Fahrt des Bootes zu überwachen. Es erwies sich als schwierig, die Gäste zu unterhalten und gleichzeitig ein Boot zu führen. In ihrer Arbeitsteilung hatte sich Inugami daher ganz auf den Prinzen konzentriert und den Rest Aritomo überlassen.
Das war diesem nur recht.
Das Boot funktionierte ganz hervorragend. Der Tauchgang war reibungslos verlaufen. Sobald die Tanks sich mit Seewasser gefüllt hatten, waren die Dieselmotoren verstummt. Völlig lautlos war der Leib des Bootes unter die Wasseroberfläche geglitten, dann hatten die Elektromotoren ihre Arbeit begonnen.
»Möchte der Prinz, dass wir wieder auftauchen? Nicht jeder fühlt sich in der Tiefe wohl«, hörte Aritomo die Frage des Kommandanten. Das antwortende Gewisper des jungen Mannes war kaum zu verstehen, aber da kein Befehl zum Auftauchen kam, stand zu vermuten, dass er es noch eine Weile aushalten würde. Wenn Aritomo dies aus den Augenwinkeln richtig mitbekam, wirkte der Prinz alles andere als bedrückt oder verängstigt. Seit sie getaucht waren, schienen seine Bewegungen aktiver, seine Augen glänzten. Der Junge war begeistert über diese Technik und froh, sie in Aktion zu sehen. Aritomo begann, sich für den Prinzen zu erwärmen, denn er konnte dessen kindliche Faszination sehr gut nachvollziehen.
Aritomo schaute sich um. Alle Besatzungsmitglieder strahlten die ruhige Kompetenz erfahrener U-Boot-Leute aus. Alle von ihnen hatten auf den alten Holland-Booten gedient. Im Vergleich dazu musste ihr neues Zuhause ihnen wie ein großer Luxus erscheinen, geräumig wie eine Festhalle und sogar mit einer richtigen Toilette, die mit starkem Luftdruck Fäkalien nach außen ins Wasser schoss. Auf den Holland-Booten hatte es nicht mehr als einen Eimer gegeben, den man füllte und beim nächsten Auftauchen über die Bordseite ins Wasser auskippte. Das war nichts, an das sich Aritomo wirklich gerne zurückerinnerte.
»Wir gehen jetzt auf Periskoptiefe«, kündigte Inugami an und warf Aritomo einen bedeutungsvollen Blick zu. Doch dieser hatte schon verstanden und flüsterte der Mannschaft im Kontrollraum Befehle zu. Es war kaum zu spüren, wie das Boot reagierte, folgsam, ohne Abweichung, mit einem Gefühl von Eleganz und Sicherheit.
»Periskoptiefe, Kapitän!«, meldete Aritomo nur wenige Augenblicke später.
Inugami fuhr das Sehrohr aus und ließ den Prinzen eine Weile hindurchblicken, während er selbst nichts weiter tat, als möglichst selbstzufrieden dreinzuschauen. Es lief alles nach Plan. Wenn diese Fahrt hier vorüber war, würde der Blick der Admiralität mit höchstem Wohlwollen auf Leutnant Inugami ruhen.
»Ich kann nicht viel sehen«, sagte der Prinz leise und drehte das Sehrohr etwas nach links und rechts. »Es ist sehr neblig.«
Inugami warf Aritomo einen verwirrten Blick zu. »Neblig, Hoheit?«
Sie waren am späten Vormittag aufgebrochen, bei strahlendem Sonnenschein und ruhiger See. Als sie kurz vor dem Abtauchen ein letztes Mal den Horizont betrachtet hatten, war weit und breit kein Anzeichen von Nebel zu erkennen gewesen.
»Wenn Ihr gestattet …?«, bat Inugami und der Prinz trat zur Seite, um ihm Platz zu machen. Es dauerte keine Minute, dann löste der Leutnant seine Augen vom Okular und überließ es Aritomo.
»Wir tauchen besser wieder ab«, erklärte der Kapitän. »Wir wollen nicht aus Versehen jemanden rammen. Einige Seemeilen weiter sollte der Nebel verschwunden sein.«
Aritomo erkannte sofort den Sinn im Befehl Inugamis. In der Tat, das Boot steckte erstaunlicherweise plötzlich in einer tiefen Suppe. Woher diese so unerwartet und angesichts dieser Wetterverhältnisse gekommen war – das war sehr rätselhaft. Ihm jedenfalls war so etwas vorher noch nie passiert.
Hier in relativer Nähe zur japanischen Küste gab es einen regen Schiffsverkehr. Es war in der Tat besser, wieder an Tiefe zu gewinnen und damit der Gefahr einer Kollision aus dem Weg zu gehen. Nicht jeder nahm die regelmäßige Betätigung des Nebelhorns ernst und innerhalb des Boots konnte einem dieser Laut auch leicht entgehen.
»Danke für den wertvollen Hinweis, Hoheit«, bedankte sich Aritomo artig, als er das Periskop wieder eingefahren hatte. Der Prinz deutete ein Lächeln an. Damit sah er plötzlich wieder sehr, sehr jung aus, wie ein Kind, das er im Grunde ja auch noch war. Einen weiteren Kommentar verkniff sich der Erste Offizier. Er hatte keinesfalls die Absicht, mit seinem Vorgesetzten um die kaiserliche Gunst zu buhlen.
Außerdem gab es wieder Arbeit.
Das Boot sank vorsichtig in die Tiefe. Bei etwa zwanzig Metern stabilisierten sie es und die Elektromotoren schoben es mit halber Kraft durch die Fluten. Fünf Knoten waren keine hohe Geschwindigkeit, aber genug, um das Boot stabil zu halten und langsam aus dem Gebiet der so überraschend aufgetretenen Nebelbänke zu befreien. Inugami hatte befohlen, diese Fahrt eine halbe Stunde lang beizubehalten, um dann erneut aufzutauchen und sich zu orientieren. Obgleich eigentlich nicht weiter gefährlich, erzeugte diese Planänderung eine gewisse Spannung unter den Männern und gab dem Kommandanten die Gelegenheit, seine Fähigkeiten als Führungsoffizier unter Beweis zu stellen.
Aritomo runzelte die Stirn. Es mochte etwas Spannung geben, aber offenbar nicht genug, um die Männer wach zu halten. Er beobachtete, wie einer der Steuerleute plötzlich gähnte und sich über die Augen wischte. Das war auch für den Ersten Offizier ein wenig zu viel an Gelassenheit und er setzte einen strafenden Blick auf. Alle waren doch bestens ausgeschlafen für diese Reise! Ehe er etwas sagen konnte, spürte Aritomo, wie auch von ihm eine plötzliche Ermattung Besitz ergriff. Unwillkürlich fuhr er sich mit den Händen durch das kurz geschorene Haar und blinzelte.
Tee. Er brauchte vielleicht einen starken Tee. Er gähnte unwillkürlich, sein Blick wanderte fast automatisch zur Kohlendioxidanzeige. Der Zeiger hatte sich nicht bewegt. Aber war das Instrument in Ordnung?
Er sah sich um. Bei allen Männern die gleichen Symptome. Gähnen. Blinzeln. Der Prinz bedeckte gerade seinen weit geöffneten Mund mit der behandschuhten Hand.
Kohlendioxidvergiftung!, schoss es ihm durch den Kopf. Inugami sah ihn an, die gleiche Erkenntnis stand auch in seinen Augen. Irgendwas musste mit der Luftversorgung nicht in Ordnung sein. Das Adrenalin belebte ihn.
»Auftauchen!«, befahl er. »Sofort auftauchen und Luken auf!«
Das Boot erzitterte. Die Ballasttanks pumpten das Wasser heraus. Aritomo spürte, wie sich der Bug nach oben neigte, unmerklich, und starrte auf den Tiefenmesser. Fünfzehn Meter. Sein Blick verschwamm. Er wischte sich über die Augen. Zehn Meter. Er musste sich gegen seinen Willen an der Wand festhalten, als ihm die Knie weich wurden. So schnell … so schnell wirkte auch keine solche Vergiftung.
Das war nicht normal. Er fühlte sich so furchtbar schwach, ihm war sehr schwindelig, etwas übel vielleicht …
Er sah, wie auch Inugami schwankte. Der alte Sawada war bereits auf dem Boden zusammengesackt, da glitt der Prinz nach unten, hielt sich kurz an der Wand fest, als wolle er sich noch etwas kaiserliche Würde bewahren, stieß einen sanften, kaum hörbaren Wehlaut aus. Aritomo versuchte, den Blick wieder auf den Tiefenmesser zu fixieren. Fünf Meter. Das Boot würde jeden Moment die Wasseroberfläche durchbrechen. Wenn er nur lange genug durchhielt – oder einer der anderen Männer –, um die Luken zu öffnen, zumindest eine, die an der Brücke … Die frische Luft würde …
Aritomos Gedanken verwirbelten, er verlor jede Konzentration. Inugami lag am Boden, bewegte sich nicht. Die Steuerleute sanken über ihren Instrumenten zusammen. Mit übermenschlicher Anstrengung machte er einen Schritt auf die Leiter zu, die hoch zur Luke führte, dann klammerte er sich für einen Moment an die Sprossen, riss mit aller Kraft die Augen auf, versuchte, die tanzenden schwarzen Schleier zu ignorieren.
Es gelang ihm nicht.
Er spürte noch, wie das Boot mit einem sanften Schwung auftauchte, doch dann verließ ihn jede Kraft und er sank bewusstlos zu Boden.
Es gab niemanden mehr an Bord, der eine Luke hätte öffnen können.
Aritomo kam direkt neben dem Prinzen zu liegen und war dann so still wie alle anderen.
K’an Chitam schaute den Tempel hinauf und fragte sich, ob es das alles wert war. Die über 30 Meter hohe Konstruktion war noch nicht fertig, aber das war auch nicht nötig. Die zahlreichen Arbeiter, die unter der Aufsicht des großen Architekten Chaak tätig waren, hatten Zeit. Ihr aller Herrscher, der mächtige Siyaj Chan K’awiil II, König von Yax Mutal und Nachkomme des Yax Nuun Ayiin, war nicht nur am Leben, sondern erfreute sich auch weiterhin bester Gesundheit. Für Chitam war das eine mehrfach gute Nachricht: Sie bedeutete, dass sein eigener Krönungsritus noch recht weit in der Zukunft lag, und sie führte dazu, dass er trotz aller höfischen Pflichten noch ein relativ sorgenfreies Leben führte. Als ältester Sohn des Königs genoss er eine Reihe von Privilegien, darunter unter anderem die Tatsache, dass sich keine junge Frau Mutals seinen Avancen erwehren konnte, ein Umstand, den der mittlerweile 25 Jahre alte Prinz ausgiebig nutzte, Ehefrau hin oder her. Solange er seine sonstigen Pflichten erfüllte, unterlag er keinerlei weiteren Restriktionen vonseiten seines Vaters, der ohnehin mit anderen Dingen beschäftigt war. Damit genoss Chitam ein besonderes Privileg. Normalerweise war Ehebruch keine Sache, die sein Volk leichtfertig hinnahm. Doch der Thronfolger war nicht nur der nächste König, er war auch ein Mann mit einem sonnigen Gemüt, immer freundlich, großzügig, witzig, und es fehlte ihm an der Arroganz vieler Adliger, die sich durchweg für etwas Besseres hielten.
Chitam war natürlich etwas Besseres.
Er war allerdings nicht der Auffassung, dass er das auch jedem unter die Nase reiben musste. Und die schöne Bauerstochter war auch viel eher geneigt, seinen Annäherungsversuchen mit einer gewissen Leidenschaft zu begegnen, wenn er sich nicht wie der letzte Arsch verhielt, sondern zeigte, dass er einfach nur ein netter, gut aussehender, steinreicher und mächtiger Kerl war, der in wenigen Jahren das Sagen haben würde.
Man musste seine Qualitäten nur richtig zur Geltung bringen.
K’an Chitam schaute seufzend auf die Kunsthandwerker in seiner Nähe, die mit großer Sorgfalt und Inbrunst auf die Stelensteine einhämmerten. Obgleich sein Vater, der König, ein direkter Nachkomme jenes Herrschers war, den die Eroberer aus dem fernen Teotihuacan eingesetzt hatten, war er nun bemüht, sich von der Erinnerung dieses Feldzuges und seiner Folgen zu lösen und wieder eine wahrhaftig lokale Dynastie aufzubauen. Zwar gab es auch in den Stelen, die Siyaj in Auftrag gab, noch vage Hinweise auf die Herkunft und eigentliche Legitimierung ihrer Herrschaft, andererseits war der Feldzug nun schon mehr als 30 Jahre her und seitdem hatte kein Soldat aus Teotihuacan wieder den Boden Yax Mutals betreten. Es war Zeit, sich wieder auf das zu besinnen, was unmittelbar vor ihnen lag und greifbar war. Es galt, dem Volk zu zeigen, dass Siyaj und sein Sohn Chitam Herrscher aus eigenem Recht waren, erwählt von den Göttern, und damit deren Sprachrohr und Verbindung zur Welt der Sterblichen.
Chitam fand dieses Ansinnen seines verehrten Vaters höchst anerkennenswert, bereitete er damit doch auch die stabile und respektierte Herrschaft seines Sohnes vor. Aber gerade an diesem Morgen, nach einer durchzechten Nacht, in der der Prinz zusammen mit seinen Freunden auf sehr unheilige Art Unmengen an heiligem Chi konsumiert hatte, war das Gehämmere der Handwerker kaum zu ertragen. Da ihm aber sein Vater aufgetragen hatte, den Fortgang der Arbeiten selbst zu überwachen, musste er sich notgedrungen in seine Pflicht fügen. Dass er mit seinen Kumpanen Chi gesoffen hatte, weniger, um damit spirituelle Nähe zu den Göttern zu erlangen, sondern einfach nur, um sich gut zu amüsieren, missfiel den Priestern bei Hofe mindestens genauso sehr wie seinem Vater. Allzu große Aufmüpfigkeit unter Beweis zu stellen, zahlte sich heute daher nicht aus. Außerdem war dies eine gute Gelegenheit, der Lady Tzutz zu entkommen, seinem Weibe, das seinen nächtlichen Aktivitäten gleichfalls nur wenig Sympathie entgegenbrachte.
Chitam kannte seine Grenzen – wenn auch nicht in Bezug auf den Alkoholkonsum. Es war aber auch so verdammt schwierig, richtig betrunken zu werden, wenn in Chi doch so wenig Kraft steckte. Literweise musste er das Zeug in sich hineinschütten. So war zumindest hilfreich, dass der manchmal etwas strenge Geschmack mit zunehmendem Rausch nicht mehr so zutage trat – oder er ihn schlicht nicht mehr so wahrnahm.