Kalte Schuld - Leo Born - E-Book

Kalte Schuld E-Book

Leo Born

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Beschreibung

Kurz und hochspannend - der neue Thriller mit Mara Billinsky!

Auf einem alten Fabrikgelände in Frankfurt werden in einer Stahltonne Teile einer Frauenleiche entdeckt. Alles deutet daraufhin, dass hier ein Mörder seine Trophäen "haltbar" gemacht hat, um sich auch Jahre nach der Tat an ihnen zu ergötzen. Hauptkommissar Klimmt befürchtet, es mit einem Serientäter zu tun zu haben. Mara Billinsky hingegen ist überzeugt, dass es sich hier um eine Einzeltat handelt. Doch wer hat recht? Maras Ermittlungen führen sie schließlich zu einem geheimen Liebhaber der Toten, aber die Kommissarin ist sich sicher, dass sie den wahren Täter noch nicht gefunden hat ...

"... jeder Thrillerfan sollte dieses Buch lesen" (Dakotamoon, Lesejury über "Blinde Rache")

"Wow. Einfach nur wow." (_Moni_loves_, Lesejury über "Blinde Rache")

eBooks von beTHRILLED - mörderisch gute Unterhaltung!


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Inhalt

Cover

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Über dieses Buch

Über den Autor

Titel

Impressum

– Vier Jahre zuvor –

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Leseprobe – Brennende Narben

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Lautlose Schreie

Brennende Narben

Blutige Gnade

Über dieses Buch

Auf einem alten Fabrikgelände in Frankfurt werden in einer Stahltonne Teile einer Frauenleiche entdeckt. Alles deutet darauf hin, dass hier ein Mörder seine Trophäen »haltbar« gemacht hat, um sich auch Jahre nach der Tat an ihnen zu ergötzen. Hauptkommissar Klimmt befürchtet, es mit einem Serientäter zu tun zu haben. Mara Billinsky hingegen ist überzeugt, dass es sich hier um eine Einzeltat handelt. Doch wer hat recht? Maras Ermittlungen führen sie schließlich zu einem geheimen Liebhaber der Toten, aber die Kommissarin ist sich sicher, dass sie den wahren Täter noch nicht gefunden hat ...

Über den Autor

Leo Born ist das Pseudonym eines deutschen Krimi- und Thriller-Autors, der bereits zahlreiche Bücher veröffentlicht hat. Der Autor lebt mit seiner Familie in Frankfurt am Main. Dort ermittelt auch – auf recht unkonventionelle Weise – seine Kommissarin Mara Billinsky.

Leo Born

Kalte Schuld

Ein Kurz-Thriller mit Mara Billinsky

beTHRILLED

Originalausgabe

»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG

Copyright © 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln

Textredaktion: Bernhard Stäber

Lektorat/Projektmanagement: Rebecca Schaarschmidt

Covergestaltung: Massimo Peter-Bille unter Verwendung von Motiven © shutterstock: KHIUS | Flik47 | Midiwaves

eBook-Erstellung: 3w+p GmbH, Rimpar

ISBN 978-3-7325-7651-7

Dieses eBook enthält eine Leseprobe des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes »Brennende Narben« von Leo Born.

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

– Vier Jahre zuvor –

»Ich habe zwei Karten für Schwanensee. In der Alten Oper.« Erwartungsvoll betrachtete er sie. »Na, wie sieht’s aus? Hast du Lust mitzukommen?«

Annalena lächelte gezwungen. »Och, ich hatte dir doch schon gesagt, dass ich es nicht schaffe.«

»Aber da hatte ich die Karten bereits.«

»Du findest bestimmt jemand anders, der mit dir hingehen wird.«

Ein feines Schmunzeln huschte über sein Gesicht. »Hm, eine ganz komische Ahnung sagt mir, dass wir Schwanensee doch noch gemeinsam erleben werden.«

»Na ja, wenn du meinst«, erwiderte sie. Sehr abfällig, wie ihr bewusst wurde. Er kapiert es einfach nicht, dachte sie, während sie eine Mücke mit der Hand verscheuchte. Sie hätte ihn vorhin abwimmeln sollen. Tja, zu spät. Schuld war nur diese bleierne Langeweile gewesen, die Annalena erfasst hatte. Eigentlich war sie mit einer Freundin verabredet gewesen, doch Carmen hatte absagen müssen. Und Annalena war die Decke auf den Kopf gefallen. Also war sie aufgebrochen, um eine Runde durch den Park zu drehen und sich vielleicht ein Eis zu kaufen. Kaum hatte sie das Haus verlassen, war er ihr entgegengeschlendert.

Ausgerechnet er.

Er erzählte ihr, er habe ein kleines Nachmittagsdate im Park gehabt, sei allerdings versetzt worden. In seiner Hand trug er eine Kühltasche, wie für ein Picknick.

»Da sind ein kalter Prosecco und zwei Sektgläser drin«, hatte er gesagt. »Wie wär’s mit einem Schluck?«

»Eigentlich spiele ich nicht so gern den Ersatz«, hatte sie geantwortet. Und war dann doch auf seinen Vorschlag eingegangen.

Nie hätte sie einen Verdacht geschöpft, alles hatte ganz harmlos und zufällig gewirkt.

So saßen sie nun also da, ein träges halbes Stündchen später, er im Schneidersitz, sie mit ausgestreckten Beinen, nackt unter dem knappen Minirock. Die Sonne brannte auf der Haut. Sie befanden sich auf einem kleinen Rasenstück, durch dichte Büsche abgeschirmt von den Hauptwiesen des Günthersburgparks – und damit von der Masse an Leuten, die es an diesem Sonntagnachmittag ebenfalls ins pralle Sommerwetter gezogen hatte. Familien, Studenten, Kinder, die Fußball spielten, Rentner mit kleinen Hunden. Der Trubel, das Lachen, das Gekläff, alles drang nur gedämpft zu ihnen herüber.

Er redete immer noch über die Schwanensee-Aufführung, sie hörte nur halb hin. Nein, er begriff es einfach nicht. Dabei hatte sie doch unmissverständlich klargestellt, dass er sich keine Hoffnungen mehr machen sollte, was sie betraf. Warum ging das nicht in seinen Schädel?

Nach einer Weile erhob sie sich, um die öffentliche Toilette bei einem Kiosk aufzusuchen.

Als sie zurückkam, hatte er nachgeschenkt. Sie prosteten sich zu, sie tranken.

Annalena spielte an ihrem Handy herum und gab sich alle Mühe, ihn spüren zu lassen, dass sie sich langweilte. Du kleines Biest, sagte sie im Stillen zu sich selbst.

Plötzlich begann sich alles in ihrem Kopf zu drehen.

Annalena fasste sich an die Stirn.

Auch mit ihrem Magen stimmte etwas nicht. Er krampfte sich zusammen, tat weh. Musste sie sich etwa übergeben? Sie war doch immer kerngesund. Das Drehen im Kopf wurde heftiger, schneller, die Büsche verschwammen vor ihren Augen.

Besorgt erklang seine Stimme: »Geht es dir gut? Du bist auf einmal so blass.«

»Alles okay«, hörte sie sich antworten, ihre Zunge pelzig, die Kehle trocken.

»Vielleicht gehen wir einfach ein paar Meter«, schlug er vor. »Ein bisschen Bewegung hilft bestimmt.«

Sie stand auf, schwankte leicht.

Er war neben ihr und stützte sie mit der Hand. Schritt für Schritt gingen sie über das Gras, ganz dicht nebeneinander. Ihr war, als würde die Erde unter ihren Füßen nachgeben. Zwischen den Büschen hindurch, Zweige streiften sie, dann betraten sie Asphalt, einen grauen, von der Sonne aufgeheizten Streifen, auf dem Autos in einer langen Reihe geparkt waren.

»Du machst mir Sorgen«, sagte er.

»Scheiße!«, erwiderte sie nur.

»Mein Wagen steht gleich dort drüben, ich könnte dich nach Hause bringen.«

Nach Hause? Das war das Beste, was er an diesem Tag gesagt hatte.

Er stützte sie mit immer festerem Griff, ihre Beine wurden schwächer. Irgendwo in ihrem Kopf regte sich etwas. Sein Wagen? Wie kam es, dass das Auto hier stand, während er doch vorhin in ihrer Straße zu Fuß unterwegs war? Das passte nicht zusammen, das ergab keinen Sinn.

Doch bevor sie ihn darauf ansprechen konnte, löste sich alles vor ihren Augen auf, die Farben, die Umrisse, übrig blieb nur ein dumpfes Schwarz, das sie mit jäher Wucht umfing. Eine vollkommene Finsternis, die erst nach schier endlos langer Zeit durchlässiger wurde.

Ihr war, als hätte sie eine ganze Woche geschlafen, tiefer denn je, traumlos, völlig ungestört.

Sie blinzelte.

Es war ein Geräusch, das sie aufgeweckt hatte.

Nein, kein Geräusch, sondern Musik. Wunderschöne Musik.

Oboen, Klarinetten, Flöten.

Na klar. Schwanensee.

Sie lächelte. Endlich gelang es ihr, die Augen richtig aufzumachen.

Verwirrt starrte sie auf eine Wand, die ihr vollkommen fremd war. Ihr Lächeln verschwand.

Die Musik kam aus einem Smartphone, das ihr jemand vors Gesicht hielt.

»Hallo, Prinzessin!« Seine Stimme war ganz nah, seine Lippen berührten ihr Ohr.

Sie erschauerte.

»Siehst du, ich hatte recht. Nun erleben wir Schwanensee doch noch gemeinsam. Eine Sondervorstellung. Nur für uns zwei. Für dich und mich.«

Erst jetzt bemerkte Annalena, dass sie gefesselt war.

1

Am Rande eines trostlosen Industriegeländes: Schrottplätze, Lagerhallen, Speditionen, mittelständische Handwerksbetriebe. Eine von Graffiti verschmierte Wüste aus zumeist verwahrlosten Gebäuden, rostigen Tonnen, Abfall und Maschendrahtzäunen. Überall wucherte Unkraut.

In der Nähe ertönte das Rauschen des stetigen Autobahnverkehrs. Ansonsten herrschte Stille.

Eine riesige Wolke schob sich wie ein aschgraues Tuch über die Gegend. Wind trieb Nieselregen vor sich her. Es war kalt geworden.

Kommissarin Mara Billinsky ließ den Blick über das weitläufige, unübersichtliche Gebiet schweifen, dann steckte sie das Handy wieder in ihre Seitentasche. Sie hatte versucht, ihren Chef, Hauptkommissar Rainer Klimmt, zu erreichen, doch vergeblich – er nahm den Anruf nicht entgegen.

Noch einmal betrachtete sie den kreidebleichen, sichtlich mitgenommenen Mann, der etwas entfernt dastand und sich an seiner glimmenden Zigarette festhielt. Sein Name war Udo Hormel. Er trieb sich angeblich öfter hier herum und hatte den Fund gemeldet. Zuvor hatte er wohl das Vorhängeschloss des Schuppens geknackt – wahrscheinlich neugierig, was es hier geben mochte, das es wert war, gesichert zu sein. Über seine Absichten hüllte er sich jedenfalls in Schweigen, doch im Moment war das nicht wichtig. Mara würde ihn später erneut befragen.

Jetzt allerdings musste sie wieder den Schuppen betreten, der etwas versteckt am äußersten Rand des Gebiets lag und sich mit der Rückseite an verwildertes Dornengestrüpp drückte. Wellblechdach, ein mit Kunststofffolie abgedecktes Fenster ohne Scheibe, abgewetzte, mit Moos bedeckte Holzwände. Die Tür hing leicht schief in den Angeln. Eine pinkfarbene Krone war auf sie gemalt.

Die Streifenbeamten und die beiden Männer von der Spurensicherung machten Mara Billinsky Platz. »Weitere Kollegen sind schon auf dem Weg«, informierte sie einer von ihnen.

Das Tageslicht konnte sich kaum hineinzwängen. Ein düsterer, bedrückender Ort. Mara schnürte es die Kehle zu, und sie achtete darauf, dass man es ihr nicht anmerkte.

Auf dem erdigen Boden stand ein blaues, stählernes, von keinerlei Rostspuren befallenes Industriefass. Der Deckel, den Udo Hormel geöffnet hatte, lehnte dagegen. Mara zog von Neuem die Stabtaschenlampe aus der Innentasche. Sie presste die Lippen zusammen und leuchtete ins Innere des Fasses. Vorhin hatte sie nur kurz hineingesehen, doch das reichte nicht, ein genauerer Blick blieb ihr nicht erspart.

Zwei Oberschenkel, zwei Unterschenkel, zwei Arme mit den Händen daran. Alles umhüllt von einer farblosen Flüssigkeit. Die Haut wächsern, geisterhaft, beinahe unwirklich – und doch allzu real.

Der Nieselregen trommelte sanft, aber beständig auf das Dach.

Mara drehte sich zu einem der Streifenbeamten um: »Leisten Sie diesem Hormel Gesellschaft. Sie können sich bestimmt irgendwo unterstellen, ich brauche ihn noch.«

Offenbar ganz froh über die Anweisung verschwand der Mann nach draußen. Mara wandte sich zwei weiteren, wesentlich kleineren Stahlbehältern neben der Tonne zu. Sie waren noch ungeöffnet. Der Inhalt der Tonne hatte Udo Hormel wohl jegliche Lust auf weiteres Herumstöbern ausgetrieben.

»Aufmachen?«, fragte einer der beiden Männer von der Spurensicherung.

Mara nickte.

»Oder sollen wir warten, bis die ...«

»Nein«, unterbrach sie ihn. »Aufmachen.«

Er betrachtete kurz seine Hände, die in Schutzhandschuhen aus Kunststoff steckten, atmete einmal durch und drehte an dem großflächigen Deckel des ersten Behälters. Nach ein paar Sekunden war der Behälter offen. Der Mann spähte kurz hinein, dann trat er zur Seite. Er war ganz bleich.

Mara beugte sich nach vorn. Ihr Blick folgte dem Strahl der Lampe und fiel auf zwei Objekte, die ebenfalls in eine Flüssigkeit eingelegt waren.

Eines davon erkannte sie sofort: Es war ein menschliches Herz.

Schlagartig schien sich ihr eigenes Herz zusammenzuziehen.

Beim zweiten Objekt dauerte es länger, bis ihr klar wurde, um was es sich dabei handelte. Egal was man auch immer erlebt und gesehen haben mochte, egal wie abgehärtet man sein mochte, man war doch nie gewappnet für das, was einen in solchen Situationen erwartete.

Mara zwang sich, abermals hinzusehen, um sicher sein zu können. Nein, kein Zweifel. Sie knipste die Lampe aus und das Bild der seltsam schwerelos in der Flüssigkeit liegenden Vagina löste sich vor ihren Augen auf, blieb allerdings in ihrem Kopf.

Sie räusperte sich und wies mit der freien Hand auf den dritten Behälter, der wiederum etwas größer war als der zweite.

Niemand sagte ein Wort. Nur das Nieseln kratzte an der Stille.

Der Beamte öffnete den Drehverschluss des letzten Behälters. Erneut trat er beiseite, erneut leuchtete Mara nach unten ins Dunkel.

Ebenfalls diese träge wirkende, farblose Flüssigkeit. Darin lag ein Kopf, das Kinn leicht erhöht, wie in dem bizarren Versuch, nach oben zu schauen und festzustellen, wer da wiederum nach unten starrte. Die Augen waren glasig, das Haar braun oder dunkelblond, eine sorgsam drapierte fließende Masse, tote, verblasste Algen.

Mara konnte ihren Blick nicht von diesen Augen abwenden, sie musste sie weiter ansehen.

Diese Augen schienen zurückzublicken.

2

Der Nebel war wie eine Wand, seltsam körnig und abweisend, und als Chul Hong in der grauschwarzen Masse verschwand, glaubte er unsichtbar zu werden.

Ein gutes Gefühl.

Ein Gefühl, das ihm Sicherheit verlieh.

Die Umrisse der Honsellbrücke mit ihren wuchtigen Stahlfachwerkbögen zeichneten sich im kalten Dunst ab. Hong hielt inne, wartete noch ein wenig ab. Es war nach Mitternacht. Tagsüber herrschte hier viel Verkehr, jetzt jedoch war es still wie in einer Gruft. Die City mit ihren Wolkenkratzern war ein beträchtliches Stück entfernt.

Ja, Stille. Auch sie verlieh ihm Sicherheit.

Nachdem er Lederhandschuhe angezogen hatte, setzte er sich wieder in Bewegung. Ohne Eile folgte er dem schnurgeraden Verlauf der Brücke. Er roch das Wasser des Mains, und das ließ ihn an das Fischspiel denken. Die Erinnerung traf ihn wie ein Blitz. Lange hatte er nicht mehr daran gedacht. Nicht nur an das Fischspiel, sondern ganz allgemein an früher. An seine Küstenheimat, an den Weg, den er im Leben gegangen war.

Erst als er die Umrisse des Mannes wahrnahm, der in der Mitte der Brücke auf ihn wartete, kehrte die Konzentration zurück.

Der Mann drehte sich zu ihm um, Hong sah dem Fremden die Anspannung an, die ihn ergriffen hatte. Mit Hongs Erscheinen verband er Hoffnungen, doch seine Wachsamkeit blieb gewahrt.

Das war verständlich, so war es immer. Hong hatte schon viele derartige Begegnungen miterlebt.

Sie standen da, umgeben von Stille und Nebel, und musterten einander.

Hong kannte den Namen seines Gegenübers nicht, aber dessen nordafrikanisch wirkendes Äußeres bestätigte, dass es sich um die Zielperson handelte. Wer sollte sich um diese Zeit auch sonst hier herumtreiben?

»Sie überbringen mir etwas, richtig?«, fragte der Mann leise.

Womöglich war er verblüfft, dass ein Asiate am Treffpunkt erschien, doch er zeigte es nicht. Die Welt war kleiner geworden, erst recht die Welt des Verbrechens. Landesgrenzen und Staatsangehörigkeiten verloren an Bedeutung, es gab immer mehr multinationale Verbindungen und Zweckbündnisse.

Hong nickte. Er wusste nicht, was der andere getan haben mochte, um den Zorn von Hongs Auftraggebern auf sich zu ziehen, es war ihm auch völlig egal. Sie hatten dem Nordafrikaner Geld und falsche Papiere zugesagt, damit er untertauchen konnte, doch das waren leere Versprechungen.

»Übergeben Sie mir jetzt bitte alles, ich möchte nicht zu viel Zeit verlieren.«

»Das will ich auch nicht«, erwiderte Hong mit seinem starken Akzent. Deutsch hatte ihm nie gelegen, seine Absprachen traf er meistens in Englisch.

»Umso besser.«

Hong nickte erneut, dann verschwand seine Hand im Kragenausschnitt des Mantels. »Allerdings habe ich nicht so viel Geld dabei, wie es angekündigt war.«

Der Mann starrte ihm verwundert ins Gesicht. Auch das war jedes Mal so, und als die Hand zum Vorschein kam, hatte er sie nicht mehr im Blick. Und damit auch nicht das Messer mit der langen, schmalen Klinge, mit dem Hong außerordentlich geschickt umgehen konnte.

Es passierte so verdammt schnell.

Ein präziser Stich – und fast im selben Moment weiteten sich die Augen des Opfers vor nackter, hilfloser Verblüffung. Chul Hong zog die Waffe aus dem Herzen des Nordafrikaners, der zu Boden sank, ein letztes Röcheln auf den Lippen.

Hong blickte emotionslos auf ihn herab.

Wie rasch es doch immer vorüber war, wie unspektakulär es ablief. Blut floss nun mal genau so wie andere Flüssigkeiten. Tote lagen da wie Schlafende. Und die Sonne würde auch nach einer Nacht, in der ein Mord geschehen war, wieder aufgehen.

Er säuberte die Klinge mit einem Tuch und schob es besonders sorgsam in die Manteltasche, damit es auf keinen Fall zurückblieb. Auch das Messer steckte er weg. Anschließend hob er den Toten an, um ihn über das Geländer zu wuchten. Mit einem Platschen landete der leblose Körper im Wasser.

Sofort herrschte wieder Stille.

Hong sah sich um.

Der Nebel war noch dichter geworden.

3

Hauptkommissar Klimmt blickte kaum auf, als Mara Billinsky sein Büro betrat und sich vor seinen Schreibtisch stellte.

»Ich nehme an, Sie haben ein paar unappetitliche Details für mich.«

»Richtig«, erwiderte sie.

Breit und massig füllte er den Drehstuhl aus. Seine Augen waren gerötet, unter dem ungepflegten Walrossschnauzbart wölbte sich ein kräftiges Kinn.

»Dann setzen Sie sich hin, und schießen Sie los, Billinsky.«

Sein Blick streifte ihre Doc-Martens-Stiefel, die abgewetzte Lederjacke, ihr auffallend blasses Gesicht mit den Piercings und den ebenso auffallend schwarzen langen Haaren. Anfangs hatte er keine Gelegenheit ausgelassen, ihr Erscheinungsbild zu kritisieren und praktisch jedes einzelne Wort, das aus ihrem Mund kam. Er hatte sie loswerden, wieder nach Düsseldorf schicken wollen, wo sie die letzten vier Jahre vor ihrer Rückkehr zur Frankfurter Mordkommission gelebt und gearbeitet hatte.

Aber Mara Billinsky, die Krähe, hatte sich durchgebissen.

Und inzwischen herrschte zwischen ihr und ihrem Vorgesetzten eine Art wachsamer gegenseitiger Respekt. Auch wenn es nach wie vor zwischen den beiden krachte, ab und zu jedenfalls.

Mara begann mit ihrem Bericht: »Es sieht alles danach aus, dass ein Mörder in diesem Schuppen seine Trophäen haltbar gemacht hat, um sich auch lange Zeit nach der Tat daran zu ergötzen.«

Erst jetzt nahm sie Platz. Und erst jetzt sah Klimmt ihr ins Gesicht. Etwas Düsteres lag in seinem Blick. »Weiter«, sagte er, knapp wie immer.

Mit betont sachlicher Stimme listete sie auf, was in der Industrietonne und den beiden übrigen Behältern gefunden worden war.

»Wie lange werden die Leichenteile dort schon aufbewahrt?«

»Monate, Jahre.« Sie machte eine vage Geste. »Die Spezialisten wollen sich nicht festlegen. In Formalin gelagerte Leichen oder Leichenteile sind offenbar auch nach zwanzig Jahren noch überraschend ansehnlich, um es mal so zu sagen.«

»Wer ist die Tote?«

»Das wissen wir noch nicht.«

»Was sagt unser Frankenstein denn zu der widerlichen Sache?«

Das war der heimliche Spitzname von Dr. Tsobanelis, dem Rechtsmediziner, der sich des Falles angenommen hatte.

»Wie üblich hat er sehr viel zu sagen.« Mara äußerte das mit ironischem Ton, da sie die narzisstische Art des Arztes nicht leiden konnte. »Aber immerhin ist auch etwas Hilfreiches dabei. So ist er zum Beispiel überzeugt, dass der Täter kein Fachmann ist. Ich meine damit, dass er höchstwahrscheinlich keine chirurgischen Kenntnisse besitzt und auch keine entsprechenden Instrumente eingesetzt hat. Also kein Skalpell, keine Knochensäge.«

»Wie kann er so sicher sein? Vor allem was den letzten Punkt betrifft.«

»Tsobanelis hat mich lange genug die Abtrennflächen der Leichenteile anschauen lassen. Und mir dazu wortreich erklärt, dass daran nicht gesägt oder geschnitten, sondern gerissen und gehackt wurde. Aber es wird noch schlimmer.«

»Inwiefern?«, fragte Klimmt.

»Der Kopf, das Organ, das Geschlechtsteil und die Amputate müssen kurz nach Eintritt des Todes der Frau in Formalin eingelegt worden sein. An ihnen finden sich keine Fäulnis- oder Verwesungsspuren. Außerdem wurde aufgrund von Rückständen in den Blutgefäßen festgestellt, dass die Frau hochdosierte Amphetaminmengen erhalten hat. Passend dazu weist sie Einstichstellen in einem Oberarm auf.«

Klimmt nickte finster vor sich hin. »Um sie wach zu halten. Immer wenn die Möglichkeit bestand, Schmerz und Erschöpfung könnten die Frau ohnmächtig werden lassen ...«

«... verabreichte man ihr eine Ladung Wachmacher«, vollendete Mara den Satz für ihn.

»Scheiße«, stieß er kaum hörbar hervor.

»Ja, es besteht kein Zweifel. Laut Frankenstein lässt sich auch aus den Einblutungen an den Abtrennstellen ablesen, dass das Opfer während der Eingriffe tatsächlich am Leben war.«

Klimmts Miene blieb ausdruckslos. Er äußerte keinen Ton.

Maras Worte schienen noch in der Luft zu stehen, als könnte man sie mit den Händen ergreifen. Der grauenvolle Anblick im Schuppen drängte sich ihr erneut auf. Nichts auf der Welt war derart entwaffnend und unbarmherzig, wie dem Tod gegenübertreten zu müssen. Erst recht, wenn er sich auf diese Weise zeigte.

»Sonst noch etwas?«, wollte Klimmt wissen.

»Es gab auch Rückstände, die auf Schlaf- oder Beruhigungsmittel schließen lassen. Und zwar ...« Mara zog einen Block mit Notizen hervor, die sie sich während des Gesprächs mit Tsobanelis gemacht hatte. »Benzodiazepine. Wie man sie für die sogenannten K.-o.-Tropfen verwendet.«

»Man hat das Opfer erst mal bewusstlos gemacht, um es in seine Gewalt zu bringen.«

»Das war der Auftakt«, sagte Mara bitter.

»Ist der Fundort der Tatort?«

»Ja. Im Boden des Schuppens konnten viele Blutreste gefunden werden. Er muss regelrecht getränkt gewesen sein.«

Klimmt wartete ein wenig, bis er seine nächste Frage stellte: »Irgendwelche Täterspuren?«

Mara schüttelte den Kopf. »Bis jetzt nicht. Gut möglich, dass er eine Art Schutzanzug und Handschuhe getragen hat.«

»Ob und auf welche Art sie vorher sexuell misshandelt wurde, lässt sich wohl nicht mehr ermitteln.«

»Keine Chance. Aber bei einem Serientäter, der so vorgeht, wie es hier der Fall zu sein scheint, ist es durchaus möglich, dass ihn der tatsächliche Geschlechtsakt gar nicht interessiert, sondern ausschließlich das Ausüben von völliger Kontrolle über das Opfer.«

Er räusperte sich. »Wenn er bestimmte Leichenteile konserviert und aufbewahrt, um in Erinnerungen zu schwelgen, dann kommt er doch wohl immer wieder an diesen Ort zurück.«

»Klar, deshalb wird der Schuppen ab jetzt überwacht. Aber es ist natürlich auch möglich, dass der Täter Wind von dem Fund bekommen hat. Ein paar Presseheinis sind nämlich bald nach uns dort aufgetaucht.«

»Ein oder mehrere Killer? Was denken Sie»

»Das Tatmuster deutet auf einen Einzeltäter hin.«

»Vor allem auf einen Täter, der so etwas nicht nur einmal im Leben macht, um es mal auszuprobieren wie eine neue Weinsorte.« Er erhob sich, machte das Fenster auf und hielt seine Zigarettenschachtel in die Höhe. »Immer noch Nichtraucherin?«

Mara stand auf und stellte sich neben ihn. »Sagen wir eher: immer wieder.« Sie ließ sich von ihm eine Zigarette reichen und Feuer geben.

»Billinsky, wir sollten uns darauf einstellen, dass wir es mit einem Serientäter zu tun haben.«

Genau wie Klimmt stieß sie den Qualm ins Freie hinaus. Das Rauchverbot hatte ihn nie sonderlich gekümmert – und manchmal lud er sie ein, ihm Gesellschaft zu leisten. Seltene Momente eines gelassenen Einvernehmens zwischen ihnen.

»Sie haben schon recht«, sagte Mara. »Nur Serienkiller inszenieren so etwas. Aber die Leichenteile gehören mit absoluter Sicherheit lediglich zu einer einzigen Frau. Hm ...« Sie verstummte.

»Was ist los, Billinsky?«

»Ein Gefühl sagt mir, dass es um eine Einzeltat geht.«