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In diesem Roman mit zeitgeschichtlichem Background gibt es Mord und Totschlag, Verbrechen an Juden undKunstraub während der Nazizeit, eine Prostituierte, der nicht nur die Wandlung in eine angesehene Kunsthändlerin gelingt, sondern auch das jüngste Glied frappanter familiärer Verbindungen ist. Im Mittelpunkt des Geschehens steht ein angesehener Kölner Kunsthändler der eine skurille Idee für seine Nachfolge erfolgreich umsetzt und die kalte Seele seines verbrecherischen, vermeintlichen Vaters aufdeckt.Der Roman spielt in Köln, der Eifel und Jerusalem, In Israel streiten die rechtmässigen Erben der geraubten Gemälde mit allen Mitteln um die Rückgabe und schrecken nicht vor der Einschaltung von Mitarbeitern des Mossads zurück.Es zeigt sich, dass die auf verschiedenen Ebenen agierenden Beteiligten Berührungspunkte hatten oder haben. Die vorgesehene Rückgabe der Kunstwerke führt schliesslich zu einer überraschenden Lösung.Der Roman zeigt einen Abriss menschlicher Schwächen, Habgier und Skrupellosigkeit, aber auch die Erkenntnis, dass selbst scheinbar aussichtslose Situationen zu überwinden sind.
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Seitenzahl: 600
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Eduard Breimann
Kalte Seelen
Roman
Universal Frame
Alle Rechte
vorbehalten
All rights reserved
Copyright © 2010
Verlag Universal Frame GmbH, Zofingen
Umschlaggestaltung und Foto:
Werner Hense
ISBN 9783905960310
Für die,
die meine Seele nackt gesehen,
die alles Verborgene erkannt,
die sie zärtlich umhüllt und fortan
mit ihrer Liebe für immer schützt.
Worte sind der Seele Bild –
Nicht ein Bild! Sie sind ein Schatten!
Sagen herbe, deuten mild,
Was wir haben, was wir hatten. –
Was wir hatten, wo ist‘s hin?
Und was ist‘s denn, was wir haben? –
Nun, wir sprechen! Rasch im Fliehn
Haschen wir des Lebens Gaben
J. W. v. Goethe, Aussicht,
den 16. August 1815
„Nein. Wieso denn das? Quatsch! Ich hatte keine Angst.“
Ihre Stimme klang seltsam hohl aus der Gästetoilette. Sie hatte die Tür nur angelehnt und er konnte hören, wie sie Wasser ließ. Sie war sogleich verschwunden, als sie die Wohnung betreten hatten.
„Mensch, ich muss dringend; bestimmt wegen der Saukälte“, hatte sie gesagt und war dabei von einem Bein aufs andere gehüpft.
Er hatte sie lächelnd betrachtet, wie man ein ungeduldiges Kind anschaut, hatte in den Flur gezeigt und „hinten rechts“ gesagt. Und da war sie schon verschwunden.
Es war wirklich eisig kalt und vor allem windig gewesen. Er hatte seinen Mantelkragen hochschlagen müssen und den Hut tief in die Stirn gezogen. Trotzdem hatte die Kleidung den Wind nur unvollständig abhalten können. Es war ein eisiger Januartag, wie er hier am Rhein nur selten vorkam.
„Bin gleich fertig. Eh! Dein Spiegel ist cool. Sieht man jeden Scheißpickel drin.“
„Das dürfte ja nicht sehr ergiebig sein“, dachte er. „Ich muss aber unbedingt die Matten wieder hinlegen und die Gardinen aufhängen lassen von der Schmitz. Müsste doch schon alles trocken sein. Wie das schallt, so ohne“, dachte er und notierte „Anne Schmitz: Matten, Gardinen“ auf dem Notizblock, der neben dem Telefon lag.
In der letzten Zeit musste er sich alles notieren, sonst vergaß er, was er erledigen wollte. Er war es einfach nicht gewohnt, auf solche Dinge zu achten.
Diese und andere Erinnerungsposten hat früher die Weingarten für ihn notiert und erledigt. Als sie vor einem halben Jahr starb sie hatte ihren Kummer, von dem er nichts gewusst hatte, im Rheinwasser ertränkt da erst vermisste er sie, diesen „guten Geist“, wie er sie manchmal nannte, wenn sie ihn vor einem Reinfall bewahrt hatte. Sie war wie diese große, teure Vitrine in der Galerie. Fragte man ihn, wie lange es die schon dort gäbe, dann sagte er „Schon immer.“ Die Weingarten war ein Stück aus der Galerie. Sie gab es schon immer. Auch wenn sie erst 1957 von Kurt Holländer eingestellt worden war. Das wusste er aus ihrer Personalakte. Siebzehn war sie damals gewesen und hatte als Ungelernte sich langsam zur guten Seele der Galerie hoch gearbeitet.
„Nein“, gestand er sich manchmal, „nicht sie, nicht sie als Mensch; aber ihr unauffälliges Wirken, mit dem sie mich unterstützte das war der gute Geist.“
Ihre Sorgfalt bei Terminen und Problemen, damit nur ja nichts vergessen wurde, was für ihn und das Geschäft wichtig war, das genau war es, was er nach ihrem Verschwinden aus dem täglichen Leben am meisten vermisste; aber auch ihren morgendlichen Tee mit braunem Kandis, genau so, wie sie ihn schon seinem Vater gebracht hatte.
Nur dass der ihn nie angerührt hatte, ihn stehen ließ und kein Wort sagte, wenn sie den kalten Tee am Abend aus dem Büro holte und in den Ausguss schüttete. Er aber trank ihn, heiß und süß.
„Ob der was zu ihr gesagt hätte, wenn sie ihn einmal nicht auf seinen Schreibtisch gestellt hätte? Ob er das überhaupt bemerkt hätte?“
Die Weingarten war wichtig, sogar unverzichtbar, aber ohne jede persönliche Beziehung. Sie war „die Weingarten“, hatte in seinem Kopf nicht einmal einen Vornamen. Er wusste zwar, dass sie Elisabeth hieß, aber er dachte und sagte nie „Elisabeth Weingarten“. Oh nein, es war immer nur „die Weingarten“, die vergessen hatte, das Licht im Büro zu löschen, „die Weingarten“, die gerade nicht da war, wenn er sie brauchte.
Er hatte nicht bemerkt, dass sie Sorgen oder gar Liebeskummer hatte. Wie denn auch? Warum sonst aber, hatte er sich gefragt, springt eine Frau ins Wasser? Wegen eines Mannes? Hatte sie einer sitzengelassen? Wer denn? Unsinn, dachte er. Sie traf sich doch nie mit jemandem. Außer ihn kannte sie ja wohl keinen Mann; auch privat und außerhalb der Galerie nicht. Mindestens hatte sie das mehrfach betont, wenn sie von ihrer Schwester erzählte, die schon mehrfach den Mann gewechselt hatte.
„Ich brauche keinen Mann. Ich bin ganz anders als meine Schwester; ich lebe gerne alleine“, sagte sie, als er sich nach ihrer Schwester erkundigt hatte, nachdem die in der Galerie eine Miniatur erworben hatte. Doch die Weingarten wirkte bei diesen Worten seltsam bedrückt trotz der lächelnden Augen.
Dann war sie für immer gegangen. Ohne auf ihn und seine Bedürfnisse, seine Abhängigkeit was er sich nur ungern eingestand Rücksicht zu nehmen. An einem späten Abend im letzten Spätsommer, als nur noch wenige Leute unterwegs waren, ist sie von der Hohenzollern gesprungen. Es gab einen Zeugen, der den Sprung von der Eisenbrücke beobachtete und die Polizei rief. Sie hätte geweint und etwas geschrien, das wie Seelenloser geklungen habe, sagte der Mann, ein Obdachloser, der bedauerte, dass er zu weit weg gewesen war um sie aufzuhalten.
Konrad Holländer schüttelte den Kopf, warf die Weingarten und alles andere aus seinen Gedanken.
„Vorbei!“, murmelte er.
Da hinten im Flur, in der Gästetoilette, da war sie. Sie, die mehr als ein Ersatz werden sollte. Sie, die ihm helfen würde. Sie, die ein fester Bestandteil seiner Pläne war.
„Angst solltest du aber haben; es gibt eine Menge Schweinehunde“, rief er laut, um das Rauschen der Spülung zu übertönen.
„Ach ja? Und? Biste so einer?“
„Ich? Nein, Silvia, vor mir brauchst du keine Angst zu haben.“
„Ich heiße nicht Silvia! Angst hab ich auch nicht. Hab nie vor nichts Angst.“
Er lächelte über diesen Satz, der alles umkehrte, was sie tatsächlich meinte. Für solche Sprachschnitzer hatte er früher kein Verständnis gehabt, außer bei der Weingarten, die es natürlich fand, am Abend, wenn er die Galerie abschloss, zu sagen: „Sie schließen die Hintertür nie nicht richtig zu.“
Dann half es auch nicht, dass er antwortete: „Dafür haben Sie es noch nie nicht vergessen.“
„Jawoll!“, sagte sie dann nur.
„Die Weingarten!“, dachte er verblüfft. Er bekam sie einfach nicht aus den Gedanken raus. „Ist ja wie verhext. Was soll da?“, fragte er sich und wusste, dass da mehr war, als er sich eingestehen wollte.
Ach ja, die Weingarten, deren Vornamen er nie gesprochen, nicht einmal gedacht hatte, die hatte zu seinem Leben gehört. Sonst gab es niemanden, dem er ein solches Kompliment machen konnte. Bisher wenigstens, aber das würde sich nun ändern.
Das Mädchen kam noch nicht zurück. „So lange braucht man doch nicht, um sich zu waschen“, dachte er.
Die Weingarten war vier Jahre älter gewesen als er, aber das sah man ihr nicht an; sie pflegte sich, wirkte wesentlich jünger als sie es laut Ausweis war.
1957, mit 17 Jahren, hatte sie bei seinem Vater angefangen und als der ihn in sein Haus übernahm und später in der Galerie als Lehrling beschäftigte, hatte sie, die nicht ganz fünf Jahr älter war, sofort damit begonnen den „mutterlosen Jungen“ zu betütteln und zu verhätscheln. Er hatte sie auf Distanz gehalten, ließ nie Nähe zu. Weder am Anfang, als er noch ein Schuljunge und dann ein Lehrjunge war, noch später, als er ihr Chef wurde. Er hatte es von Anfang an nicht erklären können, was ihn zu diesem Abstandhalten bewog. Zuerst war es wohl altersbedingt gewesen. Sie war für ihn eine alte Frau, als er sie, gerade mal zwölf Jahre alt, kennen lernte. Aber dann, später war es etwas anderes. Oft stieß ihn die eigentümliche Vertrautheit zwischen ihr und Kurt Holländer, seinem Vater, ab. Und genau so oft wunderte er sich über ihr Erschrecken, wenn Kurt Holländer sie berührte. Er verstand sie nicht und wollte es auch gar nicht. Oft lag er stundenlang wach in seinem Bett, dachte an den Tag, an den nörgelnden Vater, an die schöne Weingarten. Einmal, er hatte tief in ihren Ausschnitt blicken können, als sie vor ihm kniete und etwas vom Boden hob, da hatte ihn der Anblick ziemlich erregt. Im Bett liegend nannte er sich einen Arsch und war wütend über die Erregung, die er noch immer spürte und die ihm keine Ruhe ließ. Später, als Kurt Holländer tot war, vermied er jeden, selbst den kleinsten Körperkontakt mit ihr.