Kampf um den Garten Gottes - Thomas Eich - E-Book

Kampf um den Garten Gottes E-Book

Thomas Eich

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Beschreibung

Es war schon immer etwas Geheimnisvolles um den Grauen Forst, jenen dunklen Wald im Osten des Reiches. Seit Menschengedenken gilt er als undurchdringlich. Deshalb hat der König sich auf Drängen seiner Minister entschlossen, den Forst roden zu lassen. Doch dann kommt alles ganz anders. Seit ein paar Tagen geht etwas vor im Grauen Forst. Er ist wie tot. Kein Leben regt sich. Keine Vögel, keine Tiere. Kein Laut ist zu hören. Beunruhigt steht Stefan, ein Handwerksbursche aus der Gegend, am Waldrand und schaut in das dichte Gehölz. Was mag hier vor sich gehen? An diesem Morgen bricht er auf, um ins Herz des Waldes vorzudringen. Doch was er erlebt, übersteigt alles, was er bis dahin kannte. Er verlässt den Wald mit einem Auftrag und zieht zum König. Der Graue Forst ist einer der letzten Gärten Gottes, er darf nicht abgeholzt werden. Stefan will es verhindern. Ein gefährliches Abenteuer beginnt. Stefan kämpft nicht nur um den Erhalt des Waldes, er druchschaut auch die geistigen Hintergründe der Schöpfung, begegnet Naturgeistern und erfährt von den „Großen Brüdern“, den geistigen Helfern der Menschheit. Der „Kampf um den Garten Gottes“ ist eine unterhaltsame Geschichte voller tiefgründiger Weisheit, ein buntes Abenteuer und eine spirituelle Reise, ein äußerer Kampf und ein inneres Ringen, Lesespaß und Erkenntnisgewinn. eine abenteuerliche Geschichte und ein Aufruf zu bewusstem und ehrfürchtigem Umgang mit der Natur.

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Seitenzahl: 363

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Thomas Eich

Kampf um den Garten Gottes

Roman

Eich-Verlag

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Das betrifft sowohl kommerzielle als auch nicht-kommerzielle Zwecke.

Danke für Ihr Verständnis.

1. E-Book-Auflage 2018

© Thomas Eich-Verlag, Werlenbach 2009

Alle Rechte vorbehalten

Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt.

Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig.

Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung durch elektronische Systeme.

Umschlagfoto: © .shock – Fotolia.com

Umschlaggestaltung und Satz und Datenkonvertierung E-Book: Thomas Eich

Besuchen Sie uns auch im Internet:

www.eich-verlag.de

ISBN 978-3-940964-40-3

Inhalt

Der Auftrag

1. Ein geheimnisvoller Wald

2. Der Entschluss

3. Einweihung und erste Zweifel

4. Aufbruch in die Welt

5. Tritte und davongejagt

Die große Stadt

6. Erste Schwierigkeiten

7. Eine Audienz beim König

8. Der alte Janosch

9. Im „Walzenden Stiefel“

10. Ein wichtiges Gespräch

11. Weihnachtsabend

Abenteuer im Schloss

12. Bei Hofe

13. Die lange Reise

14. Amanda

15. Böses Erwachen

16. Ein ungewöhnlicher Besuch

17. Intrigen und ein erster Sieg

18. Vergebung

19. Ein Spaziergang

Die Entscheidung

20. Der Hinterhalt

21. Der Kampf zwischen Gut und Böse

22. Auf der Flucht

23. Falke, Bär und Nachtigall

24. Der Garten Gottes

Nachwort

Meinen Kindern

Josua, Jara, Jasmin,

Laura und Lukas

in Liebe

Vor langer, langer Zeit raunte der Wind eine Geschichte übers Land, die vom Kampf zwischen Gut und Böse erzählt und in einem geheimnisvollen Wald beginnt.

Heute kennt kaum noch jemand die Sage vom Garten Gottes und auch nicht das Reich, von dem sie erzählt. Darum lüften wir den Schleier der Vergangenheit und erzählen neu, was schon so alt. Folgen wir den Geis­tern der Lüfte in jene Zeit, in der die Märchen noch lebendig waren.

Es war einmal ...

Der Auftrag

1. Kapitel

Ein geheimnisvoller Wald

Lautlos strich der Wind durch die dämmrigen Wipfel des Waldes. Die Blätter rauschten leise und die Majes­täten reck­ten ihre Häupter traumschwer in den dunk­len Himmel. Noch wehte nächtliches Schweigen durch den Thronsaal der Natur. Der Graue Forst lag in tiefem Schlaf.

Plötzlich regte sich Leben. Der Ruf eines Buchfinken durchbrach die Stille. Müde klang sein zaghaftes „Fuit-Fuit“ durch den anbrechenden Morgen. Dann brach es ab. Er lauschte, rief erneut und lauschte abermals. Alles blieb still. Kein Echo folgte dem leisen Sang, kein frohes Gezwitscher verabschiedete die schwindende Nacht.

Noch einmal rief der Fink, doch eisige Stille schlug ihm entgegen. Sein Ruf erstarb. Furchtsam flatterte er auf und entfloh der Lautlosigkeit des Gehölzes, hinaus aufs freie Feld.

Im Geäst einer einsamen Buche sank er nieder und rief verstört, fast fragend, sein nochmaliges „Guten Morgen“ in die kühle Luft. Lauschend harrte er aus. Da antwortete ihm das bunte Geschwätz eines Stares, gefolgt vom hohen Tirilieren einer unsichtbaren Feldlerche. Und dann setzte ein Singen ein, dass es eine Freude war.

Im Wald aber blieb es still. Kein Stimmchen warf mehr sein Lied in die schweigende Runde. Obwohl der Himmel sich langsam mit einem rosa Schleier überzog, blieb das morgendliche Erwachen aus. Gespenstische Stille umfing das dichte Grün.

Am Waldrand stand Stefan Herzberg, ein junger Tischlergeselle aus dem nahen Dorf, und starrte, die Hände tief in den Hosentaschen vergraben, in das Unterholz. Seit einigen Tagenhatte er schon beobachtet, dass im Grauen Forst, wie der Wald hier genannt wurde, etwas Unheimliches vor sich ging. Die Tie­re waren verschwunden, der Gesang der Vögel verstummt. Dumpfe Lautlosigkeit hatte ihren Mantel über das Gehölz ge­worfen. Wo sonst Eichhörnchen vergnügt umeinander sprangen, Eichelhäher und Zaunkönig sich geschwätzig unterhielten, lag eine bleierne Mauer des Schweigens.

Es war nun schon der dritte Morgen, den Stefan lauschend am Waldrand zubrachte, und immer noch lastete die beklemmende Stille über dem dichten Grün. Es schien, als würde sich das Leben verweigern. Kein Laut entrang sich dem dunklen Gehölz.

Stefan fröstelte. Die Stille dröhnte in seinen Ohren und das unheimliche Schweigen bohrte sich tief in sein Bewusstsein. Bleiern senkte es sich auf seine Schultern und färbte sein Ge­müt in dunkle Schwermut. Der Wald schien das Leben gebannt, den frohen Sang der Vögel geächtet zu haben.

Erst als das Rot des Himmels verblasste und das Taggestirn sich gebieterisch über dem Wald erhob, wandte Stefan sich um. Zu seinen Füßen umleuchtete eine weite Ebene den Saum des Waldes. Aufatmend blickte er in das warme Licht der Son­ne und fühlte, wie ihre Strahlen die Kälte aus seinen Gliedern vertrieben. Aus seiner Seele aber konnten sie das nächtliche Frösteln nicht verbannen.

Stefan trat einige Schritte aus dem Unterholz heraus und sog die Wärme des anbrechenden Tages in sich auf. Dann wandte er sich wieder dem Wald zu und schüttelte den Kopf. Er konnte nicht fassen, was hier vor sich ging. Was mochte passiert sein? Wo waren die Tiere?

Gedankenschwer wischte er sich über die Augen. Wie oft hatte er in den letzten Tagen von seiner Werkbank aufgeschaut und zum nahen Wald hinübergespäht. Wie war ihm jedesmal ein kalter Schauer über den Rücken gelaufen, wenn das dunkle Schweigen ihn drohend angestarrt. Das fröhliche Gezwitscher und Geraschel, das allmorgendlich in seine Stube gedrungen, war erstorben, die lebensfrohe Bewegung erstarrt.

Tiefe Gräben furchten sich in seine Stirn. Er senkte den Blick und begann nachdenklich auf- und abzugehen. Hier und da hielt er inne, blickte in das dunkle Grün und press­te die Lippen fest aufeinander.

Seit er damals von seiner Wanderschaft zurückgekehrt war, hatte er unzählige Male den Wald durchstreift und seine Schönheiten bewundert. So manches Mal hatte er stundenlang, in tiefes Schauen versunken, vor dem Blütenkelch eines Sauerklees, eines Scharbockskrautes oder einer großen Sternmiere gesessen, hatte jedes einzelne Blütenblatt betrachtet und die Erhabenheit der Schöpfung gepriesen.

Heiße Liebe hatte ihn in solchen Momenten durchglüht. Heiße Liebe für die Wunder der Natur, ihre Schönheit, ihre Anmut und – ihren Schöpfer. Wer mochte Er sein? Wo sich verbergen? Er, den die Schriften Gott und die Erleuchteten Vater nannten. Drängendes Sehnen hatte die Adern des jungen Tischlers durchpulst und ihn sich immer tiefer in die Geheimnisse des Waldes versenken lassen. Kein Grashalm, an dem er achtlos vorübergegangen wäre, kein Baum, den sein Herz nicht gegrüßt hätte.

Aber nicht nur die Pflanzen, auch die Tiere des Waldes hatte er lieb gewonnen. Nach und nach hatten sie alle Scheu verloren und sich mit ihm angefreundet.

Das Vorwitzigste von ihnen war Max, ein Eichhörnchen. Anfangs hatte es den jungen Tischler kaum beachtet, hatte höchstens, wenn es vor ihm über den Weg gehuscht, in der Bewegung innegehalten und ihn neugierig angeschaut. Mit der Zeit aber interessierte es sich immer mehr für ihn.

Wenn Stefan im weichen Moos lag und die wohlige Geborgenheit des Waldes genoss, huschte das kleine Kerlchen herbei und sah ihn spitzbübisch an. Lockte der junge Mann es dann mit einer Haselnuss, so kam es vorsichtig schnuppernd näher, griff die Nuss und sprang einen Baum hinauf. Doch schon bald sprang es nicht mehr fort, sondern hüpfte übermütig auf Stefans Bauch und Schulter und tollte mit dem großen Menschen durchs Gras. Er musste es dann ordentlich die kahlen Buchenstämme hinaufjagen, wollte er es wieder loswerden.

Selbst in die väterliche Werkstatt verfolgte ihn der buschige Geselle. Stand ein Fenster offen, so saß Max schon bald auf der Werkbank und blickte seinen Freund mit schiefgelegtem Kopf an. Erst wenn Stefan ihm lachend eine Eichel zuwarf, machte es sich mit seiner Beute davon. Doch die Aufdringlichkeit des kleinen Wesens war Stefan nicht unangenehm. Im Gegenteil. Er freute sich über das Zutrauen des lustigen Burschen.

Auch andere Tiere des Waldes, ein Hase, ein Specht und zwei Rehe, hatten sich mit dem Menschenbruder angefreundet. Doch nun waren auch sie verschwunden.

Mit ernster Miene wandte Stefan sich wieder dem Wald zu. Er wollte wissen, was passiert war, wollte das Geheimnis des Waldes erkunden. Noch an diesem Morgen wollte er aufbrechen.

Doch ehe er sich aufmachte, genoss er einige Augenblicke die wohltuende Wärme des jungen Tages. Es war ihm nicht leicht, sich abermals in das schaurige Dunkel vorzuwagen. Alte Geschichten kamen ihm in den Sinn. Hexen, Kobolde und finstere Schattenwesen tanzten durch seine Gedanken, längst vergessene Erzählungen der Kindheit wurden lebendig, und ein Schauer des Entsetzens legte sich wie ein dunkler Schleier über sein Gemüt.

Er zögerte. Was würde ihn erwarten? Vielleicht hatten tatsächlich Dämonen das Zepter ergriffen und einen Fluch in das weite Rund des Waldes geworfen. Er musste schlucken. Doch dann überwand er alle Furcht, schüttelte die Spukgestalten ab und machte sich auf den Weg.

Fahler Dämmerschein umfing ihn. Nur hier und da durchbrachen einzelne Sonnenstrahlen das dichte Blattwerk. Nichts regte sich. Das Knacken morscher Zweige unter seinen Füßen klang gespenstisch durch die Stille. Schritt für Schritt ging er weiter, immer tiefer in das Di­ckicht hinein.

Nach einer Weile blieb er stehen, wischte sich den Schweiß von der Stirn und blickte sich um. Drückende Fins­ternis umgab ihn. Das Gebüsch war immer dichter, dunkler und drohender geworden. So weit war er noch nie in den Wald eingedrungen, auch wenn er es oft versucht hatte.

Schon als Kind war er manches Mal an der Seite seines Freundes Schorsch abenteuerlustig durch das Dickicht gestreift und hatte Wege gesucht, um die dunklen Winkel des Waldes zu erkunden. Doch es war wie verhext: Sie waren nie mehr als einige hundert Meter weit gekommen. Das dichte Buschwerk hatte ein weiteres Vorwärtskommen unmöglich gemacht.

Nach solch misslungenen Erkundungszügen waren sie meist in ihr Baumhaus geklettert und hatten sich abenteuerliche Ge­schichten über Räuber, Hexen und Dämonen erzählt.

In den Dörfern rund um den Wald waren viele solcher Geschichten im Umlauf. Besonders an langen Winterabenden, wenn die Leute bei flackerndem Kerzenschein bis tief in die Nacht beisammensaßen, geisterten die Spukgestalten alter Sagen durch die Stuben, schlichen die Treppen hinauf und ließen manch furchsames Gemüt erst weit nach Mitternacht in unruhigen Schlaf fallen.

Auch Stefan kannte viele solcher Geschichten. Oft hatte er gebannt den schaurig-schönen Erzählungen des Hüttenhofbauern gelauscht, wenn der bei seinem Vater zu Gast war und von vergangenen Zeiten sprach. Mit geheimnisvoller Miene hatte sich der Alte weit über den Tisch gebeugt und mit leiser Stimme von jenen Wesen gesprochen, die nachts über dem Wald tanzten und mit dämonischer Zauberkraft die Menschen zu verderben suchten.

Stets hatte sich der alte Bauer Stefan zugewandt und ihn mit erhobenem Zeigefinger gemahnt, ja nicht zu tief in den Wald vorzudringen. Schon viele furchtlose Burschen hätten es versucht, aber nur wenige seien zurückgekommen. Und mit furcht­barer Miene hatte er im Flüsterton hinzugefügt:

„Der Wald ist verflucht und bringt jedem Unheil, der sein Geheimnis zu erkunden trachtet.“

Nun schlichen die Spukgestalten jener alten Sagen erneut an Stefan heran. Ängstlich lehnte er sich an den Stamm einer Eiche und lauschte. Grabesstille um ihn her. Kein Laut war zu hören. Er atmete schwer und wollte gerade weitergehen, als ein spitzer Schrei die Stille durchschnitt. Der junge Tischler zuckte zusammen. Er traute sich kaum zu atmen und duckte sich tief ins Gebüsch. Vorsichtig blickte er sich um.

Da sah er eine schwarze Dohle krächzend in die Höhe steigen und davonfliegen. Erleichtert atmete er auf und schloss die Augen. Er sah schon Gespenster.

Mit einem Ruck löste er sich vom Baum und versuchte, die schaurigen Gedanken zu vertreiben. Sollten die trüben Mären langer Winterabende nun seinen Mut brechen? Nein! Er wollte den Grund des düsteren Schweigens schon finden.

Aber unheimlich war es doch. Die neuerliche Stille bedrück­te ihn. Die Luft war heiß und stickig. Kein Windhauch regte sich. Modriger Gestank umfing den einsamen Wanderer. Er­neut zögerte er, doch irgendetwas trieb ihn weiter. Das fins­tere Dickicht zog ihn unwiderstehlich an.

Bald wurde das Buschwerk nahezu undurchdringlich. Nur mühsam kam er Schritt für Schritt voran, kletterte über umgestürzte Bäume und kroch unter tiefhängenden Ästen hindurch.

So war er eine ganze Weile unterwegs. Die Sonne musste schon hoch am Himmel stehen, da versperrte ihm plötzlich eine riesige Dornenhecke den Weg. Sie erstreckte sich in wuchtiger Breite und ließ keinen Durchschlupf erkennen. So sehr Stefan sich auch mühte: Er fand keine Möglichkeit, die Hecke zu überwinden noch sie zu umgehen. Seine Suche schien zu Ende.

Erschöpft sank er ins Moos und betrachtete das schier unüberwindliche Hindernis.

Nachdem er einige Augenblicke so gesessen hatte, sah er plötzlich einen fahlen Lichtschein durch die Hecke schimmern. Sofort sprang er auf und eilte auf die Helle zu. Es war eine winzige Öffnung, die einen Weg durch die Dornen zu weisen schien. Stefan zögerte. War der Spalt groß genug, ihn hindurchzulassen? Die Hecke war breit und die Dornen lang. Was, wenn er hängenblieb? Wer sollte ihn befreien?

Ratlos stand er vor dem engen Tunnel. Doch wieder zog es ihn unwiderstehlich weiter. Er wusste nicht, was es war, das ihn zog, aber er gab dem Drang nach und kroch in die Hecke hinein. Behutsam robbte er Zoll um Zoll vorwärts, entwand sich manch vorwitzigem Zweig, dessen scharfe Krallen nach ihm griffen, und kam schließlich wohlbehalten am anderen Ende an.

Doch wie überraschte ihn, was er hier sah. Er traute seinen Augen kaum. Von einem Moment zum nächsten war er in einer anderen Welt. Nichts war mehr düster und sti­ckig. Die Bäume standen in großzügiger Weite und die warmen Strahlen der Mittagssonne durchfluteten das milde Grün. Überall bedeckten Blumen, die er noch nie gesehen, den moosigen Teppich und überzogen die Waldung mit sanften Farben. Alles war licht und von überwältigender Schönheit.

Wie verzaubert stand Stefan, in andächtiges Schauen versunken, und vergaß Weg und Ziel. Zu unvorbereitet traf ihn der Anblick, zu mächtig war die Pracht. Er war nicht fähig, einzelne Eindrücke zu sondern, musste immerzu in die Runde schauen und das Bild in sich saugen, selbst Bild werden.

Erst nach unendlichen Minuten der Versenkung kehrte seine Seele zurück in den erstarrten Leib, vermochte sie sich von Bild und Pracht zu lösen. Langsam ging er weiter, schauend und staunend. Welch ein Anblick!

Doch trotz aller Schönheit herrschte auch hier jene bedrü­ckende Stille, die auf dem ganzen Wald lastete. Kein Vogel pries mit seinem Sang das schöne Bild, nicht einmal ein Falter umtänzelte liebkosend die Strahlen der Sonne. Nur der Wind strich warm über die Blüten und verfing sich schmunzelnd im Geäst der Bäume.

Noch eine ganze Weile schritt Stefan wie verzaubert weiter. Immer wieder blieb er stehen und ließ die Schönheiten auf sich wirken. Die Vielfalt an Farben und Formen ließ seine Seele erbeben. So etwas hatte er noch nie gesehen. Immer neue Blumen entdeckte er, immer berauschendere Düfte umwehten ihn. Das lastende Schweigen wich einer friedvollen Ruhe.

Dann stand er plötzlich vor einer großen Lichtung. Gleißende Helle schlug ihm entgegen. Nur mühsam gewöhnten sich seine Augen an das Licht. Doch was er dann sah, überwältigte ihn.

Auf der Lichtung waren alle Tiere des Waldes versammelt. Rehe, Hasen und Wildpferde lagen friedlich neben Füchsen und Wildschweinen. Eichhörnchen, Igel und Mäuse spielten arglos im Angesicht von Luchs und Uhu. Selbst ein Braunbär rekelte sich im kühlen Schatten einer Eiche und die Baumkronen neigten sich unter der Last der Vogelscharen zur Erde.

Auch Stefans Freunde waren da. Minz und Manz, die beiden Rehe, erhoben sich graziös und blickten freudig zu ihm hinüber. Max sprang von einem Ast zum nächsten und war im Nu bei ihm. Mit einem weiten Satz flog das Eichhörnchen Stefan auf die Schulter und schmiegte sich an seine Wange. Auch Kai, der Specht, war da, flatterte über Stefans Kopf und setzte sich auf einen nahen Ast.

Lachend begrüßte der Umschwärmte die kleinen Burschen. Da kam auch schon Lemmi, der Hase, mit freudigen Sprüngen angehoppelt und gab nicht eher Ruhe, bis Stefan sich zu ihm niederbeugte und ihn warmherzig koste.

Als er nach dieser überschwänglichen Begrüßung aufschaute, merkte Stefan, dass die Lichtung noch andere Wesen beherbergte. Wie feine Nebelgestalten saßen sie im Schatten der Bäume und schienen auf etwas zu warten. Er erkannte sie sofort. Es waren Elfen, Gnome, kleine Berggeister, Moosmännlein und scheue Faune. Selbst einige Wassernixen waren dabei.

Stefan kam aus dem Staunen nicht heraus. Immer Wundervolleres erblickte er, immer märchenhafter wurde ihm der Wald. Vor seinen Augen wurden die Geister längst vergessener Legenden lebendig. Tief im Schatten ästen einige Einhörner, und selbst den flüchtigen Hauch einer Fee meinte der Staunende erspäht zu haben.

Nie zuvor hatte er solche Wesen gesehen, doch er wusste gleich, wer sie waren. Sie sahen genauso aus wie auf jenen Bildern, die er vor einigen Jahren in einem alten Buch gesehen hatte.

Meister Kleiber, der knorrige, alte Tischler, bei dem er in der Einsamkeit der rauen Bergwelt zwei Jahre in Dienst gestanden, hatte es eines Tages mit gewichtiger Miene hervorgeholt und ihm die alten Zeichnungen gezeigt.

„Genauso“, hatte er in weihevollem Ton gesprochen, „sehen die Naturgeister aus, die in Wahrheit das Wachsen und Gedeihen bewirken und die Seelen der Naturreiche sind.“

Neben Elfen und Gnomen waren auch Wind- und Feuergeister, Nebelfrauen und Undinen abgebildet.

Die Zeichnungen hatten großen Eindruck auf Stefan gemacht. Er glaubte dem greisen Tischler, hatte jener ihm doch den Blick für die Wunder der Natur geöffnet und aus dem wilden Abenteurer einen naturliebenden Wahrheitssucher gemacht.

Und nun stand er auf der Lichtung eines geheimnisvollen Waldes und sah die Naturgeister so deutlich wie all die anderen Geschöpfe auch. Wieder kam er aus dem Schauen und Staunen nicht heraus. Wie schön diese Wesen waren, wie fein geschnitten ihre Züge. Schauer der Ergriffenheit durchfluteten ihn. Alles Irdische um ihn versank. Er hatte nur noch Augen für die holden Wesen.

2. Kapitel

Der Entschluss

Sei mir gegrüßt, junger Freund.“ Von Stefan unbemerkt war eine Gestalt an ihn herangetreten und lächelte ihn freundlich an. Verwundert betrachteteStefan das fremde Wesen. Es war etwa halb so groß wie er selbst und allem Anschein nach ein Zwerg. Ein dichter, weißer Bart fiel ihm auf die Brust, und eine große Mütze bedeck­te sein Haupt.

„Ich freue mich, dich in unserem Wald begrüßen zu dürfen. Du bist seit vielen Jahren der erste Mensch, der seinen lichtvollen Teil betritt. Es ist lange her, dass jemand das Di­ckichtzu durchdringen und die Hecke zu überwinden vermochte. Sei uns willkommen.“

Er legte die Hand auf die Brust, verneigte sich leicht und gab Stefan ein Zeichen, ihm zu folgen. Gemächlich schritten sie über die Lichtung.

„Mein Name ist Gajo. Ich bin der Fürst der Zwerge dieses Waldes und ein Vertrauter Iseberts. Isebert ist der ältes­te Baumgeist und Herrscher dieses Waldes. Wenn es dir recht ist, führe ich dich zu ihm. Er erwartet dich bereits.“

„Er erwartet mich?“ Überrascht blieb Stefan stehen. „Woher weiß er denn, dass ich hier bin?“

„Er weiß so manches.“

„Aber es war der pure Zufall, der mich zu euch führte.“

„Nein Stefan. Es war kein Zufall. Es war Bestimmung.“

„Bestimmung?“

„Ja. Bestimmung“, geheimnisvoll blickte der Zwerg Stefan aus dunklen Augen an, „aber das soll Isebert dir selbst erklären. Komm!“

Zögernd folgte Stefan dem Zwerg. Was sollte das bedeuten? Kein Zufall? Bestimmung? Kopfschüttelnd betrachtete er die kleine Gestalt, die vor ihm her über die Lichtung ging. Was für ein sonderbares Wesen, was für ein wundersamer Wald!

Als sie die Lichtung überquert hatten, kamen sie zu einer großen Eiche. Die Arme über der Brust gekreuzt, verneigte sich Gajo vor dem mächtigen Baum und auch Stefan neigte ehrfürchtig sein Haupt. Der wohl noch aus Urzeittagen stammende Baumriese überragte selbst die höchsten Buchen, und neun Männer hätten ihn nur schwerlich umgreifen können.

Vor dem Baum aber stand eine Gestalt, die nicht minder ehrfurchtgebietend aussah. Sie war etwa einen Kopf größer als Stefan und aus ihrem Antlitz strahlte erhabene Weisheit. Die Augen leuchteten wie Sterne und die runenzerfurchte Stirn kündete von ehrwürdigem Alter.

Stefan starrte die Gestalt fassungslos an. In den letzten Minuten war so viel Fremdes auf ihn eingeströmt, dass er gar nicht fassen konnte, was er sah. Zwerge, Baumgeister, dieser himmlische Wald – war das alles Wirklichkeit oder nur ein schöner Traum?

„Du träumst nicht, Stefan.“ Der warme Klang von Iseberts Stimme schreckte ihn aus seinen Gedanken. „Was du hier siehst, ist keine schöne Traumlandschaft, sondern die Wirklichkeit. Dir ist die große Gnade zuteil geworden, das schauen zu dürfen, wofür die meisten Menschen blind geworden sind: die Geistwesen der Natur. Sie sind es, die in Wahrheit die Ordnung des Waldes hüten.

Auch halfen sie dir, den Weg hierher zu finden. Ohne ihre geistige Hilfe hättest du nie in das Innere unseres Waldes gelangen können. Menschen dürfen zurzeit nur den düsteren Teil betreten, nicht aber den lichtvollen. Es ist ihnen nicht gewährt.“

„Wa-Warum aber bin ich dann hier?“, stotterte Stefan etwas ungelenk, nachdem er nur mühsam seine Sprache wiedergefunden hatte. „Warum ist mir erlaubt, was anderen verboten ist?“

„Deine Liebe zur Natur und dein ehrliches Streben nach Gotterkenntnis gefielen dem Erhabenen so sehr, dass Er dir gewährte, die Pracht und Schönheit unseres Waldes zu schauen. Du sollst wissen, wie der Schöpfer die Erde gedacht und welche Herrlichkeiten Er ihr bestimmt hat.“

„Wie kommt es aber“, fragte Stefan schon etwas mutiger, „dass über eurem Wald seit Tagen jene unheimliche Stille las­tet, und warum sind alle Tiere und Naturgeister hier auf der Lichtung versammelt?“

Unergründlich ruhten Iseberts Augen auf dem Fragenden. Lange blickte er ihn schweigend an, als wollte er die geheims­ten Winkel seiner Seele erforschen. Dann legte sich ein warmes Lächeln auf seine Züge, und er entgegnete gütig:

„Mein lieber Stefan“ – erst jetzt fiel dem Tischler auf, dass der Baumgeist ihn beim Namen nannte – „schon seit vielen Jahren kenne ich dich. Bereits in der Nacht deiner Geburt gab mir der Ewige zu wissen, dass sich unsere Wege einmal kreuzen würden und dass du erwählt bist, am großen Werk der Erlösung mitzuarbeiten.“

Stefan verstand kein Wort. Ungläubig sah er Isebert an und schüttelte verständnislos den Kopf.

„Heute nun ist die Stunde“, fuhr der greise Baumgeist fort, „in der deine Bestimmung sich erfüllt. Dein Schicksal ist eng mit dem unseren verknüpft.

Du musst wissen, dass unser Wald kein gewöhnlicher Wald ist. Er ist ein Überbleibsel jener längst versunkenen Zeit, in der die Menschen noch in Einheit mit Gott lebten und die Erde als Paradies empfanden. Unser Wald hat sich jene Ursprünglichkeit bewahrt, die den meisten Landstrichen verloren gegangen ist.

Als die Menschen aus der göttlichen Ordnung fielen und sich von Gott abwandten, verschwand mit und mit das Paradiesische von der Erde. Nur wenige Flecken heiligen Landes verblieben in ihrer einstigen Pracht. So auch unser Wald: Er ist ein Garten Gottes. Doch um ihn vor der Willkür unwissender Menschen zu schützen, mussten wir eine finstere Randzone um ihn wachsen lassen, die kein Unbefugter zu durchdringen vermag.

Lange Zeit war der Wald durch diesen finsteren Bereich geschützt, doch nun haben die Menschen einen teuflischen Plan ersonnen. Sie beabsichtigen, das Gebiet, auf dem er liegt, zu kultivieren und den Wald zu roden. Schon im nächsten Frühjahr sollen die Arbeiten beginnen. Die Vorbereitungen sind bereits in vollem Gange.

Aus diesem Grunde habe ich vor einigen Tagen den großen Rat der Tiere und Waldgeister einberufen und hier versammelt. Alle sollen den Ernst der Lage kennen, denn es geht sie alle an, die großen Waldgeister genauso wie die feinen Wiesenelfen, die Sperlinge oder die kleinen Falter. Alle sind betroffen.

Nachdem ich die Versammelten in alles eingeweiht hatte, neigten wir in stiller Andacht die Häupter und beteten zu unserem Schöpfer, flehten Ihn und die allweise Mutter Natur um Hilfe an und baten sie, uns einen Weg aus der Bedrohung zu weisen.

Als wir so in innigem Gebet verharrten, öffneten sich die Tore des Himmels, und der Allliebende sprach zu uns. Er versicherte uns, alles werde ein gutes Ende nehmen. Jedoch, so fuhr Er fort, müsse zuvor ein harter Kampf gegen die Mächte der Finsternis geführt werden.

Dann lenkte der Erhabene mein Auge durch die Räume der Unendlichkeit zu einer kleinen Hütte, auf deren Schwelle ein junger Mensch stand und besorgt zum nahen Waldrand hinüber sah. ‚Dies‘, sprach der Ewige, ‚ist euer Helfer. Ihn habe Ich erwählt, den Kampf zu führen.‘

Dieser Mensch warst du, Stefan, ein junger Tischlergeselle aus einem weltvergessenen Dorf, den der Allmächtige sich zum Werkzeug erwählt hat.

Sofort sandte ich eine Schar Zwerge zum Waldrand mit dem Auftrag, dich hierherzuführen. Was so lange keinem Menschen mehr gewährt wurde, dir sollte es zuteil werden: Du solltest den Garten Gottes betreten dürfen.

Den großen Rat beließ ich unterdessen hier. Ich wusste, dass dich das lastende Schweigen des Waldes nicht loslassen würde. Und nun bist du hier.“

Isebert schwieg. Ernst sah er den jungen Tischler an, doch Stefan brachte keinen Laut hervor. Die Worte des Baumgeis­tes wirbelten durch seine Gedanken wie die Wasser der Schneeschmelze durch das Geröll eines Bergbachs.

„Du bist erwählt, Stefan“, fuhr Isebert fort, „und so frage ich dich nun im Namen aller Wesen dieses Waldes: Willst du uns helfen? Wir haben alles getan, was in unserer Macht stand, nun brauchen wir die Hilfe eines Menschen – eines Menschen, der zum König geht und ihn von der Sinnlosigkeit seines Plans überzeugt. Willst du dieser Mensch sein?“

Entgeistert starrte Stefan den Baumgeist an. Wirr liefen seine Gedanken durcheinander. Die Macht des Gehörten und die vielen neuen Eindrücke drohten, ihn zu überwältigen. Es dau­erte einige Augenblicke, eh er wieder klar denken konnte und sich bewusst wurde, worum Isebert ihn gebeten hatte.

Konnte er diese Bitte erfüllen? Zum König? Wie sollte das gehen? Lang genug war er in der Welt umhergezogen, um zu wissen, wie es dort zugeht. Er kannte den Hochmut, mit dem die hohen Herren auf das einfache Volk herabblickten. Wie sollte ein kleiner Tischlergeselle an den König herankommen, wie ihn umstimmen?

Doch was würde mit dem Garten Gottes geschehen, wenn er dem Baumgeist seine Hilfe verweigern würde? Könnte er es verantworten, an der Rodung des Waldes mitschuldig zu sein?

Müde setzte sich Stefan auf einen Schemel, den Gajo ihm zuschob. Ein Zwerg reichte ihm einen Trunk, ein anderer eine Schale mit Beeren.

Die ganze Lichtung verharrte in gespanntem Lauschen. Wie würde sich der Mensch entscheiden? Er war ihre letzte Hoffnung. Würde er ablehnen, wären sie alle verloren. Ungeduldig scharrte ein Einhorn im weichen Waldboden. Max und Kai saßen in den Ästen der riesigen Eiche und trauten sich kaum zu atmen. Isebert blickte mitfühlend auf Stefan. Er wusste, was in ihm vorging, und ließ ihm Zeit, sich zu entscheiden.

Unendliche Sekunden zähen Ringens durchpflügten Stefans Seele. Immer wieder suchte er nach Wegen, seiner Bestimmung zu entgehen. Doch je mehr er suchte, desto klarer wurde ihm, dass es keinen anderen Weg gab. Entweder er nahm den Auftrag an und kämpfte für den Erhalt des Waldes oder der Garten Gottes würde vernichtet werden. Er wusste plötzlich: Es war seine Aufgabe.

Mit einem Ruck erhob er sich und straffte seine Glieder. Ja, er wollte seiner Bestimmung nachgehen und die Bitte Iseberts erfüllen. Auch wenn er vieles von dem, was der Baumgeist gesagt hatte, nicht verstand, so wollte er doch alles tun, um den lieblichen Wesen dieses geheimnisvollen Waldes zu helfen. Er wollte für seinen Erhalt kämpfen und sich allen Widrigkeiten stellen. Mit hocherhobenem Haupt sah er Isebert an. Seine Augen funkelten in wilder Entschlossenheit, und mit fester Stimme sprach er:

„Großer Herrscher dieses wundersamen Waldes, gern möchte ich deine Bitte erfüllen. Es ist mir eine Ehre, euch helfen zu dürfen. Was in meinen Kräften steht, will ich tun, um eine Rodung eures Himmelswaldes zu verhindern. Möge Gott mir beistehen.“

Kaum hatte Stefan geendet, als unter den Tieren und Waldgeistern ein unbeschreiblicher Jubel losbrach. Die Angespanntheit der letzten Tage löste sich in heitere Ausgelassenheit. Elfen lagen sich lachend in den Armen, Moosmännlein und Steingeister sprangen wild durcheinander, und die behäbigen Zwerge tanzten einen ihrer lustigsten Tänze. Selbst die zurück­haltenden Waldfaune stimmten in die Jubelrufe ein. Alles rief, sang und lachte. Einzig Isebert bewahrte seine Haltung. Ohne eine Miene zu verziehen, stand er vor der mächtigen Eiche. Doch was seinem Gebaren nicht zu entnehmen war, das sprudelte umso beredter aus seinen Augen. Sie leuchteten in unirdischer Freude und lächelten den jungen Tischler dankbar an. Nach einigen Minuten hob er die Arme und gebot Ruhe.

„Lieber Stefan“, ergriff er das Wort, „deine Entscheidung erfüllt uns alle mit Freude und Dankbarkeit. Möge der Höchs­te dir helfen, dein Werk zu tun. Doch ehe du nun unseren Wald verlassen wirst, möchte ich dir noch einiges mit auf den Weg geben.

Dieser Gotteswald ist einer der letzten seiner Art. In der Urzeit war die ganze Erde mit solcher Herrlichkeit geschmückt, doch als die Menschen sich von Gott abwandten und bösen Gedanken folgten, verschwand das Paradiesische von der Erde. Die Verbindung zwischen Gott und Mensch zerriss, und die Zerstörung der Natur begann. Eigennutz und Egoismus regierten der Menschen einst so edle Herzen. Sie verloren den Sinn für die Schönheiten der Natur und die Geheimnisse, die sie barg. Statt sich auf die Wunder der Schöpfung zu besinnen, zerstörten sie sie mehr und mehr.

Heute gibt es nur noch drei jener Gärten Gottes. Unser Wald ist einer von ihnen. Sie wurden auf Erden belassen, weil sie eine besondere Aufgabe haben. Sie sind in ihrer Ursprünglichkeit unerschöpfliche Kraftreservoirs und verströmen göttliche Energie über die Erde. Ihr segenspendendes Dasein kommt allen Lebewesen zugute und ist für das natürliche Gleichgewicht unseres Planeten unentbehrlich.

Es geht also nicht nur darum, einen schönen Wald vor der Rodung zu bewahren. Es geht um viel mehr. Aus diesem Grundhat die böse Macht alles aufgeboten, unseren Wald zu vernichten, und ihr Werk scheint fast gelungen. Doch Gott wird es nicht zulassen. Er hat dich erwählt, für den Erhalt des Waldes zu kämpfen. Glaube immer an Seine Hilfe und bitte Ihn um Seinen Segen, dann wird dir alles gelingen. Wir sind alle Diener des Höchsten und Sein Wille ist uns heilig!

Und nun: Lebe wohl! Gajo wird dich nach Hause geleiten und dich in den nächsten Tagen in manches einweihen, was du zur Erfüllung deiner Aufgabe benötigen wirst. Gott schütze dich!“

Segnend hob Isebert die Hände über Stefan und sah ihn durchdringend an, dann wandte er sich um und löste sich im Schatten der Eiche auf. Auch die Geistwesen, die eben noch auf der Lichtung gejubelt hatten, entschwanden, die Tiere zerstreuten sich, und nach wenigen Augenblicken stand Stefan allein mit Gajo vor dem riesigen Baum.

Einige Minuten blieben sie regungslos stehen. Dann führte der Zwerg den Tischlergesellen auf geheimen Wegen aus dem Wald hinaus und mahnte ihn, das Erlebte für sich zu behalten. Als sie den Waldrand erreichten, verabschiedete er sich freundlich und verschwand im dichten Unterholz. Stefan blick­te ihm noch lange nach, eh er sich der freien Ebene zuwandte und nach Hause ging.

Hinter dem Wald aber, seine Kronen in leuchtendes Gold tauchend, versank die Sonne und überließ die Welt der liebevollen Hut ihres Schöpfers.

3. Kapitel

Einweihung und erste Zweifel

Schon fast eine Stunde stand Stefan im Schatten einer ausladenden Feldulme und spähte in den Wald hinein. Es war kurz nach Sonnenaufgang, das Morgenrot war gerade verblasst und geschäftiges Treiben hatte eingesetzt. Bie­nen summten auf der Wiese am Waldrand, hier und da raschelte es im Laub, und über allem lag wie ein zarter Schleier der Gesang der Vögel.

Stefan merkte von all dem nichts. Obwohl er gewohnt war, sich in die Schönheiten der Natur zu versenken, ließ ihn das warme Lächeln des anbrechenden Tages kalt. Zwei Gedanken hielten ihn gefangen: der an die Aufgabe und der an das mögliche Erscheinen Gajos. Würde der Zwerg wirklich kommen? Ungeduldig ging Stefan etwas weiter in den Wald hinein, spähte hierhin und dorthin und wäre fast über eine im Laub verborgene Wurzel gestolpert.

Unwillig wandte er sich ab und wollte gerade hinaus auf die Wiese gehen, als es neben ihm im Unterholz knackte. Er fuhr herum.

„Du musst lernen, dich zu gedulden, Stefan. Geduld, Durch­haltevermögen und der Glaube an dein Ziel: Das sind Tugenden, die du brauchen wirst, um deinen Auftrag zu erfüllen.“

Gajo trat aus dem Unterholz heraus und verneigte sich.

„Sei mir gegrüßt, junger Menschenfreund.“

„Sei mir gegrüßt.“ Auch Stefan verneigte sich. „Ich dachte schon, du kämst gar nicht mehr.“

„Ich sagte ja: Geduld! Geduld, Stefan, Geduld und innere Ruhe.

Du hast dich entschieden, einen Auftrag auszuführen, der dir alles abverlangen wird. Vor dir liegt ein Weg voller Höhen und Tiefen, voller Seligkeit und Enttäuschung. Vieles wirst du erleben, das dir die Tränen seligen Glücks in die Augen treiben wird, anderes, das dich am Leben verzweifeln lassen will. Die Täler der Verzweiflung werden dunkel und aussichtslos erscheinen, doch du musst sie durchschreiten. Um die Höhen wahren Gotterlebens erklimmen zu können, musst du die Tiefen der Finsternis kennen.

Glaube nicht, das Schloss würde seine Pforten öffnen, sobald du vor ihnen stehst, oder der König dich mit offenen Armen empfangen, wenn er dich erblickt. Nein. Dort wartet niemand auf dich. Niemand kennt dich und niemand will etwas für dich tun. Es wird nicht leicht sein, das Herz des Königs zu gewinnen und ihn von seinem Vorhaben abzubringen. Darum noch einmal: Geduld, Geduld, Geduld!“

Ernst blickte der Zwerg Stefan an. Dann glitt ein Lächeln über seine Züge und er führte den jungen Tischler zum nahen Waldsaum.

Der Glanz des anbrechenden Tages hatte sich warm über die Felder gelegt. Ein goldener Teppich wogender Ähren schmiegte sich dicht an den Wald.

Sie setzten sich auf einen umgestürzten Baumstamm und sahen hinaus in die weite Ebene. Die Sonne stieg höher, die Luft wurde wärmer und die Augen der Suchenden badeten in der freundlichen Helle des Sommers. Lange saßen sie schweigend nebeneinander. Gajo sprach kein Wort und Stefan wartete. Er wollte dem Zwerg zeigen, dass er sich sehr wohl in Geduld üben konnte. Doch die Minuten rannen dahin. Fünf, zehn, fünfzehn, eine halbe Stunde, eine Stunde; und je höher die Sonne stieg, umso ungeduldiger wurde Stefan. Wo blieb nun der verheißene Unterricht? Im Wald sitzen und sich die Natur anschauen konnte er auch allein. Das hatte er schon oft genug gemacht.

„Denke nicht, was vor dir liegt, sei ein Spaziergang.“

Unvermittelt durchbrach der Zwerg die Stille.

„Es wird nicht leicht sein. Es wird dich ganz in Anspruch nehmen. Du wirst mit jeder Faser deines Seins bei der Sache sein müssen, wirst deine Kraftreserven bis zum Letzten ausschöpfen und deinen Glauben festigen müssen. Sonst wirst du keine Chance haben.

Halbherzig und ohne Glauben an ein Gelingen brauchst du gar nicht erst loszugehen. Du würdest nichts erreichen.

Darum lerne als zweite Lektion auf deinem Weg zum König: Der Glaube ist die Kraft, die dich trägt, der Stab, der dich stützt, und die Macht, die dir zum Sieg verhilft. Festige deinen Glauben!

Gegen allen Misserfolg, alle Enttäuschung, alle Aussichtslosigkeit muss dein Glaube bestehen können. Kein Sturm darf ihn erschüttern, denn du wirst gesandt in den Sturm, in den Sturm der geistigen Gegenkräfte.“

Gajo stand auf und wies in die Ebene hinaus.

„Auch wenn du dort Felder, Wiesen und Wälder siehst, fruchtbaren Boden – dort draußen liegt deine Wüste, Stefan. Dein Geist wird dürsten, deine Seele hungern und dein Herz nach Labung schreien.

Du wirst an die Front geschickt. An die Front im geistigen Kampf zwischen Gut und Böse. Die negativen Kräfte werden an dir reißen, die Gedanken dich jagen und die Gefühle dich zu Boden drücken.

Glaube ihnen nicht! Sie haben keine Daseinsberechtigung. Sie entspringen dem Geist des Widersachers. Er selbst ist es, der deine Mission zunichte machen will.

Darum glaube an den Sieg des Guten und nicht an die Einflüsterungen des Bösen. Werde stark im geistigen Kampf, dann wird dir alles gelingen.“

Er setzte sich und schwieg. Stefan wischte sich über den Mund. Gajos Worte hatten ihre Wirkung nicht verfehlt. Stefans Hand zitterte und seine Gedanken liefen wirr durcheinander. Worauf hatte er sich nur eingelassen? Was würde ihn erwarten? Es dauerte eine Weile, ehe wieder Ruhe in ihn einkehrte. Und Gajo ließ ihm die Zeit. Lange saßen sie schweigend nebeneinander. Die Wärme des sonnigen Tages legte sich wohltuend auf Stefans Seele und die dunklen Schatten künftiger Kämpfe verflüchtigten sich langsam.

Gajo sah mitfühlend zu ihm hinüber und lächelte wohlwollend.

„Ich musste dir dies alles sagen, Stefan, damit dir der Ernst der Lage bewusst wird, bevor wir mit dem eigentlichen Unterricht beginnen. Doch nun komm“, er erhob sich, „lass uns dort den Hügel und auf ihm die lichten Pfade des geistigen Reiches erklimmen.“

Er wies auf eine bewaldete Kuppe, die sanft aus dem wogenden Meer des Waldes herausragte. Stefan erhob sich ebenfalls und sie gingen zum Hügel hinüber. Auf einer kleinen Lich­tung am Hang setzten sie sich zu den zirpenden Grillen ins Gras und genossen die warmen Strahlen der Mittagssonne. Es war ein klarer Tag. Am Horizont konnte man sogar den mächtigen Arm des großen Stromes erahnen. Gajo blinzelte mit gerunzelter Stirn in die helle Weite hinaus.

„Das geistige Reich ist endlos. Es dehnt sich so weit in die Unendlichkeit, dass wir nie all seine Winkel durchstreifen, nie seine letzten Geheimnisse erforschen können.“ Und in die weite Ebene zu ihren Füßen deutend, fuhr er fort: „Je höher wir steigen, desto mehr können wir sehen, umso größere Herrlichkeiten erschließen sich unserem Blick.“

Er schwieg. Eine ganze Weile saßen sie so versonnen nebeneinander und sahen hinaus in die Ebene. Dann ergriff Stefan das Wort.

„Darf ich dich etwas fragen, Gajo.“

„Nur zu.“

„Isebert sprach gestern davon, er habe eine Schar Zwerge zum Waldrand geschickt, um mich in das Innere des Waldes zu führen. Ich habe aber keinen einzigen Zwerg gesehen. Weder dich noch einen anderen. Weder hat mich einer aufgefordert, ihm zu folgen, noch hat mir einer den Weg gewiesen. Was meinte Isebert?“

„Gesehen hast du uns freilich nicht“, schmunzelte der Zwerg, „aber hast du nicht jenen merkwürdigen Drang empfunden, der dich fast unwiderstehlich weitertrieb? War dir nicht, als zöge das Dickicht dich magisch an? Und ist es nicht eigenartig, dass sich dir trotz aller Unwegsamkeit immer wieder ein Pfad eröffnete, selbst vor der großen Hecke?

Nein, Stefan, gesehen hast du uns nicht, aber wir waren die ganze Zeit um dich und geleiteten dich durch das finstere Gehölz. Wir führten dich auf geheimen Zwergenwegen, die nie zuvor ein Mensch beschritten hatte. Wir ließen dich auch da noch Wege finden, wo eigentlich keine mehr waren. Du standest während der ganzen Zeit in unserer Führung.“

„Aber wie kann mich jemand führen, den ich nicht sehe, von dem ich nicht einmal weiß, dass er da ist?“

„Du darfst nicht vergessen, dass wir Geistwesen und als solche den meisten Menschen unsichtbar sind. Nur wenigen ist es gegeben, uns zu schauen. Auch die Lichtwesen des Himmels sind euch unsichtbar und doch sind sie da, helfen, führen und schützen. Sie wirken geistig auf euch ein, senden euch Gedanken und sprechen euer Gefühl an.

Genauso haben wir dich gestern zu Isebert geführt. Zunächst erweckten wir in dir den Wunsch, dem Geheimnis des Waldes auf den Grund zu gehen, dann leiteten wir dich geis­tig durch das Dickicht und lenkten deine Aufmerksamkeit stets auf den richtigen Durchschlupf.“

Wohlwollend lächelte der Zwerg den staunenden Tischler an. Da raschelte es in den Zweigen über ihnen, und aus dem Blätterdach lugte Max hervor. Vergnügt sprang er Stefan auf die Schulter und begrüßte ihn übermütig. Der junge Tischler konnte sich der Zuneigung des kleinen Wesens kaum erwehren und musste erst eine Weile mit ihm spielen, eh er sich wieder Gajo zuwenden konnte. Nach einigen Minuten war Max zufrieden, zog sich in höhere Regionen zurück und begab sich auf Futtersuche. Nun begann der Unterricht.

„Um deine Aufgabe erfüllen zu können, Stefan, musst du lernen, auf dein Gefühl zu achten. Die meisten Menschen folgen ausschließlich den Eingebungen ihres Verstandes und lassen ihr Empfinden verkümmern. Sie beachten nicht, was sie fühlen, sondern folgen kalter Logik. Nicht das Herz, sondern der Kopf bestimmt ihr Leben. Das aber ist falsch. Der Mensch ist so geschaffen, dass er über sein Gefühl die Verbindung zu Gott hat. Es ist euch Menschen bestimmt, nicht nur von Zwergen oder anderen Geistwesen geführt zu werden, sondern von Gott selbst. Er spricht zu euch, ihr müsst nur auf Seine Stimme lauschen. Er will euch führen, doch ihr müsst euch führen lassen. Und das, Stefan, sollst du nun lernen.“

Mit zusammengezogenen Brauen blickte Gajo in die Ebene hinaus und strich sich über den Bart. Wie in Gedanken fuhr er fort:

„Das Wichtigste ist die Stille. Du musst dir die Zeit nehmen, in die Stille zu gehen und in dich hineinzulauschen. Wenn du das lernst, wirst du in deinem Herzen hören, wie Gott zu dir spricht. Du wirst merken, dass dein Gefühl jenes Medium ist, über das Er dir Seinen Willen kundtun will.“

Und dann lehrte der Zwerg den jungen Tischler die Kunst des Lauschens und führte ihn auf den Pfaden des Schweigens in die unergründlichen Tiefen seiner eigenen Seele.

Die Sonne hatte ihren Zenit längst überschritten, als Gajo sich verabschiedete. Für den Morgen des nächsten Tages kündigte er sein neuerliches Erscheinen an und verschwand.

Stefan blieb noch eine Weile im Gras sitzen und blickte versonnen in die Ebene hinaus. Ganz neue Welten hatte der Zwerg ihm eröffnet. In ehernes Lauschen versunken schwebte seine Seele über das weite Land und schwang sich empor in die lichtvollen Regionen der Windgeister, ahnend, dass alles Sein verbunden, alle Kreatur verschwistert ist.

Als Stefan sich erhob und langsam nach Hause ging, durchbebten die Klänge eines mächtigen Dankchorals seine Seele. Sein Herz neigte sich ergriffen vor der Erhabenheit des Schöpfers.

*

In den nächsten Wochen kam Gajo jeden Morgen kurz nach Sonnenaufgang und weihte Stefan in Schöpfungsgeheimnisse ein, die nur wenigen Menschen bekannt sind. Vor seinem inneren Auge entfaltete sich eine Welt, die ihn mit Licht und Schönheit derart überflutete, dass man einen Abglanz davon aus seinen Augen leuchten sah. Immer deutlicher erkannte er die Einheit allen Lebens. Er spürte, dass das geistige Reich nicht weit weg war, sondern alles durchdrang. Und er erkannte: Wo Leben ist, ist Gott. Gott ist das Leben selbst.

Unvergessliche Stunden erlebte Stefan an der Seite des Zwerges, oft rannen Tränen des Glücks über seine Wangen, und Momente der Seligkeit erfüllten sein Dasein mit ungeahnten Wonnen.

Eines Tages jedoch – sie saßen unter einer großen Eiche und lauschten auf das Wispern des Waldes – wurde Gajo plötzlich sehr ernst. Die Stirn in Falten gelegt, sprach er:

„Mein lieber Stefan, in den letzten Wochen hat sich dir eine Welt erschlossen, die den meisten Menschen ihr Leben lang verborgen bleibt. Du hast die Zusammenhänge erfasst, welche die sichtbare materielle Welt mit dem unsichtbaren geistigen Reich verbinden. Nun ist der Tag gekommen, da ich dich nichts mehr lehren kann, und es heißt Abschied nehmen. Was dir noch an Erkenntnis und Erfahrung fehlt, kann dir niemand mehr geben, das musst du dir selbst erringen.

Doch wisse: Nicht umsonst wurde gerade dir diese Aufgabe zuteil. Nicht umsonst wurdest gerade du erwählt, für den Garten Gottes zu kämpfen. Auch wenn dein Körper noch jung ist, deine Seele ist alt und weise. Sie hat eine große innere Reife und trägt alles in sich, um ein Helfer Gottes sein zu können. Denke daran, wenn Zweifel dich drücken und das Ziel so fern erscheint! Wenn der Sturm dir ins Gesicht bläst und die Wüste nach dir greift. Du hast nun dein Rüstzeug. Jetzt wird es ernst.“

Mild sah er Stefan an, doch der blickte betrübt zu Boden. Der plötzlich so nahe Abschied legte sich wie eine dunkle Wolke über sein Gemüt. Nun würde die glückliche Zeit bald ein Ende haben. Er fühlte sich vom Himmel hinuntergestoßen in die kalte Welt.

Gajo fuhr fort:

„Nun beginnt deine Aufgabe und sie lautet: Ziehe hinaus in die Welt! Geh zum König und bringe ihn von seinem Plan ab, rette den Garten Gottes!“

„Aber wie soll ich das machen?“, fiel Stefan dem Zwerg ins Wort. „Wie soll ich an den König herankommen, wie ihn von seinem Plan abbringen? Wie soll ich die Aufgabe bewältigen, wenn ich ganz allein auf mich gestellt in einer fremden Stadt sein werde?“