Karl May - Enis Maci - E-Book

Karl May E-Book

Enis Maci

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Beschreibung

Millionen sind mit Winnetou und Old Shatterhand aufgewachsen. Enis Maci und Mazlum Nergiz nicht. In diesem Band gehen sie der Sache auf den Grund: Was hat es auf sich mit dem Lügen und dem Überleben? Was trennt den Fake von seinem Vorbild? Und wann steht sie endlich, die Autobahn vom wilden Kurdistan bis ins Land der Skipetaren?

Mit dabei: ein Autor, der sich für den Helden seiner eigenen Romane hält. Gebirge, die in Sachsen liegen, aber Utah im Wilden Westen meinen. Und ein nichtabreißender Strom von Zerrbildern über das Fremde.

Karl May zoomt rein in Landschaften, die schöner nicht sein könnten. Alles Show, alles wahr.

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Seitenzahl: 107

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Cover

Titel

3Karl May

Von Enis Maci und Mazlum Nergiz  Mit Musik von Maximilian Weber

Suhrkamp

Impressum

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eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2024

Der vorliegende Text folgt der 1. Auflage der Ausgabe der edition suhrkamp 2806.

Erste Auflage 2024edition suhrkamp 2806Originalausgabe© Suhrkamp Verlag AG, Berlin, 2024Alle Rechte vorbehalten.Wir behalten uns auch eine Nutzung des Werks für Textund Data Mining im Sinne von § 44b UrhG vor.

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Umschlag gestaltet nach einem Konzept von Willy Fleckhaus: Rolf Staudt

Umschlagabbildung: Wassili Franko

eISBN 978-3-518-77909-5

www.suhrkamp.de

Übersicht

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Titel

Impressum

Inhalt

Informationen zum Buch

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Titel

Impressum

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Informationen zum Buch

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Karl May

7Es beginnt mit einem Wunsch: dass deine Geschichte wahr würde.

8Aus blauen Augen kühles Leuchten. Dann die Schlagzeile: Jeder Mann braucht einen Blutsbruder.

Das Jahr ist 2016. Ich lese nach: Karl May. Kleinkrimineller. Hochstapler. Deutschlands erfolgreichster Schriftsteller. Sein größtes Epos wurde neu verfilmt. Wotan Wilke Möhring spielt den Sachsen Old Shatterhand, und Nik Xhelilaj spielt den Apachen Winnetou. Ich schick dir einen Link.

Und ich – antworte dir mit einem Screenshot. Zwei Männer reiten einen mechanischen Bullen. Sie tragen nichts außer Cowboystiefel.

Als der Zug Stunden später in Dortmund einfährt, sind wir längst drin, tief drin im Hasenbau, der eigentlich ein Schacht ist, wie der Schacht einer Mine, sagen wir: in Guyana. Ein Loch im Boden, grade groß genug für eine Reihe schmalschultriger Jungen, die unten, am Grund, unter Lebensgefahr, Gold aus der Erde schlagen, wie man es einmal aus den Flüssen wusch, an der Frontier, in einem Land vor unserer Zeit. Nur dass es diesen Jungen, anders als den amerikanischen Glücksrittern, niemals gehören wird, das Gold – und ich bin mir nicht sicher, ob es uns denn überhaupt gehört, das, was wir hier finden, im Schacht, dessen winzigen Eingang ein Palmblatt notdürftig vor Regen schützt.

Mays Geschichten umspannen Kontinente und Jahrzehnte. Sein Orientzyklus ist längst veröffentlicht, als er seine einzige Reise dorthin antritt. Ein Nervenzusam9menbruch jagt den nächsten. Das Schiff verlässt er kaum. Amerika besucht er erst kurz vor seinem Tod. Und glaubt, ihn dort gefunden zu haben, den Nachweis des langsamen, aber sicheren Entstehens einer neuen germanisch-indianischen Rasse jenseits des Atlantic, deren Prototyp Winnetou ist.

Obwohl er sie nicht kannte, waren die Schauplätze seiner Romane May irgendwie vertraut: aus Landkarten und aus Lexika und vom rotglühenden Fels des Elbsandsteingebirges, den er meinte, wenn er vom Westen sprach. Vom einen sprechen und das andere meinen: Deutsche statt der Wilden. Statt der Helden sich, das zukunftslose Kind.

Der Erzähler bleibt derselbe, auch wenn er anders heißt: Es ist der Autor. Kara Ben Nemsi ist Old Shatterhand ist Karl May. Er hat das alles selbst erlebt. Es stimmt, es stimmt, auch wenn es gar nicht wahr ist.

Es ist dunkel hier unten, dunkel und kühl erst, heiß dann. Plötzliche Wetterumschwünge. Kleine, glattpolierte Köttel und weit und breit kein Tier. Wurzeln, die wie Menschenleiber aussehen. Alles ähnelt etwas anderem. Fallen. Spuren. Hinweise. Wohin führt der rote Faden, wenn ich an ihm zieh? Ribbelt er sich auf, der Pullover, der mich wärmt? Demontier ich, was mich schützt? Oder ist das eine Blutspur? Und wer blutet da und warum und was macht dieses Messer eigentlich in meiner Hand?

10Wir, an den Originalschauplätzen. Schlafwandelnd in besseren Landschaften.

11Wenn das Licht schräg aufs Gestein fällt und die Kiefernnadeln in Glut sind und da Vögel rufen im abgezehrten, regenlosen Wald: dann weißt du nicht, ob das hier Sachsen ist oder Utah. Wenn der Morgen graut und blaues Licht dringt durch den Dschungel und Nebel haftet an den Bäumen: dann könnte das vor Jahrmillionen sein.

12Geiselwind

13Karl May kommt am 25. Februar 1842 in Ernstthal zur Welt. Er ist das fünfte von vierzehn Kindern. Seine Geschwister nähen Handschuhe und betteln um Kartoffelschalen. Die Eltern sind Weber.

Einer Infektionskrankheit wegen will May die ersten vier Jahre seines Lebens blind gewesen sein. Als er die Augen öffnet, sieht er: Atlanten. Rechenfibeln. Gebetsbücher. Er lernt sie auswendig. Der Vater fragt ihn ab. Er will, dass sein Sohn eine Zukunft hat. Karl soll Lehrer werden. Im Waldenburger Seminar stiehlt er sechs Kerzen. Er brauchte Licht zum Lernen. Verwarnung, dann Diplom.

Ab 1861 ist er Fabrikschullehrer. Die Spinnereien heißen Clauß und Solbrig. Sein Mitbewohner leiht ihm die Taschenuhr, außerdem Pfeife und Zigarrenspitze. Und gibt an, May habe sie gestohlen. Entzug der Lehrbefugnis.

1864 beginnt die Illegalität. Ein Jahr verbringt er auf der Flucht und sieben im Gefängnis. Mit Unterbrechungen, während derer er sich als Arzt ausgibt und als Pelzhändler. Als Polizist konfisziert er angebliches Falschgeld. Er behauptet, eine Kaffeeplantage in der Karibik zu besitzen.

Später sagt er: Ich vernahm unausgesetzt den inneren Befehl, an der menschlichen Gesellschaft Rache zu nehmen, und zwar dadurch Rache, daß ich mich an ihren Gesetzen vergriff.

14Im Gefängnis beginnt May zu schreiben. Kalendersprüche erst, dann Kurzgeschichten. Unter Pseudonym. Die Leute lieben das Zeug. Er schreibt, als ginge es um sein Leben, weil: Das tuts ja auch. Als er wieder draußen ist, erscheinen erste Romane, die Titel tragen wie Deutsche Herzen – deutsche Helden oder Die Verfolgung rund um die Erde. Der Autor bleibt ein anderer. Er rettet sich, indem er weiterlügt.

Endlich beginnt er, von denen zu erzählen, die ihn berühmt machen werden. Mittlerweile kriegt er Fanpost. Einer neugierigen Leserin antwortet er: Sehr geehrtes Fräulein! Winnetou war geboren 1840 und wurde erschossen am 2./9. 1874. Er war noch herrlicher, als ich ihn beschreiben kann! Herzlichen Gruß! Dr. Karl May. Einen Doktortitel hat er nie erworben.

Es folgen Jahrzehnte des Ruhms, mit astronomisch hohen Auflagen. Bis irgendwann Zweifel am Wahrheitsgehalt seiner Geschichten öffentlich werden.

Ab 1901 wird sein Frühwerk neu aufgelegt – gegen seinen Willen und unter Klarnamen. 1903 Scheidung von Emma und Heirat mit Klara. 1904 macht der Journalist Rudolf Lebius Mays Vorstrafen publik.

Die Angst, da zu landen, wo man einmal war, aber nie WIRKLICH gewesen ist, weil das Wirkliche das ist, was genauso gut hätte passieren können: eine Möglichkeit unter vielen.

15Man versucht ihn der Lüge zu überführen, doch May bleibt dabei: Das ist alles mehr als wahr. Das ist IHM geschehen. ER ist das. Er ist Kara Ben Nemsi, der Old Shatterhand ist, also: der Held.

16Und ich denk an Anna Delvey, die eigentlich Sorokin heißt. An Anna, die sich als Erbin ausgibt, als Trustfundbaby, das leider, leider noch nicht rankommt an die Kohle, die – ehrlich wahr, versprochen – auf einem Schweizer Konto vor sich hingammelt. Anna, die Urkundenfälscherin, die sich Geld von reichen Freunden leiht, um zu tun, was Reiche eben tun: eine Kunststiftung gründen. Selbst als Schecks geplatzt, Ermittlungen aufgenommen sind, gibt sie nicht auf.

Die zuerst im russischen Domodedowo und dann bei Aachen Aufgewachsene, deren Missetaten kürzlich verfilmt wurden, ging nach Haftende gleich wieder in den Knast, und zwar freiwillig, in den amerikanischen Abschiebeknast, weil alles besser ist als NRW, das Kriegsgebiet ihrer Seele, das sie niemals wiedersehen wollte, in dem sie, wie sie sich sieht, ja ohnehin nie WIRKLICH existiert hat. Sich an den sprichwörtlichen boot straps, am Münchhausen'schen Zopf aus dem Schmutz ziehen – das war die Idee.

Und ich denk an Xatar, den Rapper. Sein Debütalbum ist draußen, nur er sitzt noch im Knast, auf derselben Bettdecke, unter der er seine Tracks aufgenommen hat. Und der Goldraub? Ein Taschenspielertrick in Uniform, wenn man dem Drehbuch folgt, denn auch sein Leben, wie es war oder hätte sein können, ist mittlerweile verfilmt.

Popkornknistern und Gelächter im Kino, das nach der roten Festung heißt: Cineplex Alhambra. Ich schau die Jugendlichen an, die mit mir Rheingold schauen. Und denke, klar, an mich.

17Ich bin siebzehn Jahre alt und überzeugt, dass meine Geschichte wahr werden wird. Ich weiß nur noch nicht WIE. Auf der Suche nach einem Hinweis les ich die Zeitung. Und find Helene Hegemann, die ein Jahr älter ist als ich, die das alles gar nicht selbst erlebt hat, den Exzess, das Heroin, wie unverschämt. Sie schaut mich an vom Recyclingpapier, der helle Vorhang ihres Haars, und sie dahinter, auf der anderen Seite. Auf dieser hier schütten erwachsene Männer Grausamkeiten aus gegen sie. Eine schmutzige Flutwelle, die von Berlin bis Gelsenkirchen schwappt. Vorsichtig berühr ich meinen Pony. Oder ihren. Und ich versteh: Was dir hilft, das fickt dich. Es gibt Erwartungen. Wenn du nicht echt genug bist, dich nicht anständig zu Markte trägst – dann hagelts Konsequenzen. Und darum gehts hier ja, ums Wirklichwahre: den überfallenen Transporter, die frisierten Kontoauszüge, die eigenhändig geretteten Apachen.

18Hallo? Wer ist da?

Bist du es, Noah?

Ich war es.

Utnapischti?

Ich war es.

19Wassili hat Donuts mitgebracht, Geheimtipp vom Hamburger Stadtrand. Er ist süchtig nach diesen Lokalfernsehclips, in denen man sowas erfährt. Moin-Moin-Content sagt er dazu. Auch auf diese Reise hat er sich mithilfe des NDR vorbereitet. Wir fahren nach Bad Segeberg. Die Karten hast du schon vor Monaten gekauft.

Mit vollen Mündern versuchen wir Wassili den Diskurs zu erklären. Ravensburger hat sich entschieden, das Merchandise zu Der junge Häuptling Winnetou noch vor Kinostart zurückzuziehen. Presseschau des nationalen Notstands: Darf man May noch lesen? Schöne Kindheitserinnerung oder Kolonialismusapologie? Markus Söder und Sigmar Gabriel lassen sich ihren Helden nicht schlechtreden. Die Bild-Zeitung befragt ein paar Hinterbänkler. Wir brauchen den Winnetou-Gipfel im Kanzleramt.

Mittlerweile sind wir in Schleswig-Holstein und in Rage. Krümel fliegen durchs Abteil. Ein Mann prüft den Reißverschluss, der seine Trekkinghose jederzeit in eine Bermuda verwandeln kann. »Der Film«, schmatzt du, »hat doch sowieso das übelste Glaubwürdigkeitsproblem – Old Shatterhand ist längst erwachsen, als er nach Amerika geht. Wie soll er Winnetou als Kind schon kennen?«

Ob wir schon gehört haben, fragt Wassili. Bald kommt Das Kanu des Manitu. Jahrzehnte nach dem Schuh. Die debile Mischung zwischen Ich-nix-deutsch und Gendergaga prickelt mir schon am Gaumen wie der Beginn eines schlechten Trips. Ich suche den wolkenlosen Himmel ab, als hätte ich etwas verloren. Die norddeutsche Trostlosig20keit weckt erfolgreich verdrängte Erinnerungen. Mein Vater und ich in der Imbissbude. Er flüstert mit dem Besitzer. Ich bekomme eine Fanta zum Döner, und im Bilderrahmen rauscht stumm der Wasserfall. Roter Klinker, asbestverseuchte Schulen. Verlassene Mehrzweckhallen in der Nähe ehemaliger Konzentrationslager.