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Neue berühmt-berüchtigte Karriere-Tipps aus dem HANDELSBLATT. Die Journalistin Ursula Weidenfeld kennt sie alle, die Mythen und Wahrheiten aus der Managerwelt, und sie enthüllt sie witzig-pointiert. Was tut das Personal in deutschen Chefetagen, Vorzimmern, Unterabteilungen und Kantinen? Wie fördert und wie stoppt man hier zu Lande seine Karriere erfolgreich? Die kritisch-humorvollen Themen schildern den ganz normalen Firmenwahnsinn und lassen kein Fettnäpfchen aus: After-Work-Small-Talk, Mitarbeitermotivation, das Unwesen der Projektarbeit und vieles mehr. "Karrieremacher - Karrierekiller" versammelt die heitersten Glanzstücke der Autorin, die regelmäßig im HANDELSBLATT schreibt. Ihre gekonnt formulierten Texte sind ganz nebenbei äußerst lehrreich.
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Seitenzahl: 176
Die besten Kolumnen aus dem Handelsblatt
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.ISBN: 978-3-636-01460-3 | Print-Ausgabe ISBN: 978-3-86881-147-6 | E-Book-Ausgabe (PDF)
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Dass Kinder die Karriere bremsen, ist das Thema in Kreisen ambitionierter, aber ein bisschen lahmer Frauen. Immer wieder maulen sie herum, dass sie es sind, die die Kinder in den Kindergarten bringen müssen, zum Kieferorthopäden schaffen, ihnen feuchte Wickel verpassen, wenn sie krank sind. Dass sie deshalb nicht ordentlich arbeiten können, keine Karriere machen dürfen und schon gar nicht, wenn sie Teilzeit arbeiten wollen, das Kind Schuppenflechte und Aufmerksamkeitssyndrome hat und überhaupt ein bisschen neben der Kappe ist, und dann ist da auch noch der Hund, der hat es an der Blase, weil er ein Familienhund ist, und einer muss ja hinter ihm herwischen, weil, alleine bleiben kann das arme Tier ja auch nicht, jetzt, wo der Pauli im Kindergarten ist. Nur, damit es hier kein Missverständnis gibt: Zu Recht klagen Frauen darüber, zu Recht!
Aber: Was sind diese Kleinigkeiten verglichen mit dem zerstörerischen Potenzial, das Kinder von Geburt an für die Karriere von Vätern haben? Nichts. Staub.
Das Firmen-Family-and-Friends-Fest im Garten des Chefs. Sie müssen, MÜSSEN, die Gattin und die Kinder mitbringen. Die Gattin hat Themen und Gesprächspartnerinnen schnell gefunden (siehe oben), sie ist kein Risiko. Aber das Kind. »Wann kommt denn dein Baby aus deinem Bauch?« fragt die aufgeschlossene Dreijährige die füllig geratene Gattin des Vertriebsvorstandes. Kindermund tut Wahrheit kund, trompetet schadenfroh der Controller. Das war’s. Sie können wieder gehen.
Und Sie sind trotzdem noch gut dran. Besser jedenfalls als der Diplomat, dessen Sohn es sich nicht abgewöhnen will, jedermann mit »Heil Hitler« zu begrüßen. Klar, dass so einer Probleme bekommt, wenn er wieder ins Ausland will. Klar auch, dass sich die Kollegen laut Gedanken darüber machen, wo der Junge das wohl herhat.
Oder der aufstrebende Sozialdemokrat, dessen wahlkampfbesessener Sohn auf dem Multikulti-Stadtteilfest im Anblick eines Afroamerikaners »Scheißschwarze, die wollen wir nicht nach oben kommen lassen« wütet. Egal, wie lang die abendlichen Gespräche über CDU-Anhänger mit weißer Hautfarbe, die man dennoch doofe Schwarze nennen darf, über politische Korrektheit, Toleranz und Eine-Welt-Feste mit Schwarzen, die man niemals Schwarze nennen darf, ausfallen, beim nächsten Metropolen-Marktplatzbesuch mit Karneval der Kulturen geht es wieder los: »Wir wollen keine Schwarzen hier«, ruft der Kleine aus, gelernt ist gelernt. Und der Vater weiß, dass er bei den Sozis nichts wird, solange der Junge noch zu Hause wohnt.
Nun kann man argumentieren, dass auch Papageien, Hunde und andere Haustiere die Kraft zum Karrierekiller haben. Haben sie auch. Auch Papageien sind zu rhetorischen Entgleisungen fähig, Hunde können beißen oder haben Blasenschwäche (siehe oben).
Aber: Verglichen damit, sind Kinder Atombomben. Sie haben strategische Bedeutung. Je weniger Kinder geboren werden, desto wichtiger werden sie als Accessoire bei CSR-Events, die sich die Firmen für uns ausgedacht haben. Niemand käme auf die Idee, eine »Wir-sind-gute-Bürger-unserer-Stadt-Party« auf dem Schäferhundedressurplatz zu veranstalten. Oder eine Marktplatz-der-Möglichkeiten-Vogelschau zu initiieren, damit sich die Mitarbeiter mit den Taubenzuchtvereinen der Kommune vernetzen können.
Nein, es müssen Kinder sein. Ihre eigenen ungezogenen, aufsässigen, unbestechlichen Kleinkinder – und das in der sensibelsten Phase des Berufslebens der Väter. Fremde wohlerzogene Kinder sind selten zur Hand, außerdem kaum auszuleihen.
An alle ambitionierten, müden Karrieremütter: Dagegen ist der Kieferorthopäde nichts. Oder?
Keine Frage nagt hartnäckiger an unserem Selbstbewusstsein, wühlt uns stärker auf, beherrscht unser Streben intensiver. Sie heißt: Warum bin ich nicht Kalif an Stelle des Kalifen?
Es ist ungerecht, oder? Immer gibt es nur einen Chef, dabei gibt es doch so viele, die es sein könnten. Wir zum Beispiel. Intelligent, fleißig, kreativ, teamfähig. Warum aber sind wir nicht ganz oben? Warum wird der eine Chef, all die vielen anderen aber nicht? Warum müssen die sich mit abgestandenen Titeln zufriedengeben wie Bereichsvorstand, Teamleiter, Zeichnungsberechtigter?
Die Wirtschaftswoche bringt uns der Antwort einen Schritt näher. Sie druckt Antwortbriefe. Antworten, die Deutschlands vornehmste Unternehmenslenker einer Schülerin gaben. Die gefragt hatte, wie sie es anstellen müsse, wenn sie möglichst flott Chef werden will.
Klar, dass viele Antworten nicht besonders originell sind. Wer wird schon mit der Coca-Cola-Formel des Erfolgs herausrücken, nur weil eine 18-jährige nicht börsennotierte Schülerin nach Orientierung verlangt? Da empfiehlt man lieber Bewährtes.
Metro-Chef Hans-Joachim Körber zum Beispiel empfiehlt Praktika, gern auch im Ausland. Da würde kaum jemand widersprechen. Linde-Boss Wolfgang Reitzle rät politisch korrekt dazu, immer das »Allerbeste« zu geben, was in einem steckt. Auch da gibt es wohl wenige im mittleren Management, die protestieren würden. Außer vielleicht, dass es lobenswert, aber nicht immer klug ist, immer das Allerbeste zu geben.
Der ehemalige Tchibo-Chef Dieter Ammer findet, dass man »Glück« braucht. Nur, wie man es bekommt, verrät er nicht. Das ist nicht gerade hilfreich für die Karriereplanung. Wirklich nicht. Den entscheidenden Hinweis dagegen liefert VW-Boss Martin Winterkorn. Der sagt: Keine Management-literatur lesen. Das verdirbt den Charakter und führt in die Irre. Und nicht immer daran denken, wie man Kalif wird an Stelle des Kalifen.
Das ist es. All die Pechvögel in der fünften, sechsten und siebten Etage, die denken immer nur daran, wie sie es in die achte schaffen. Kauen auf ihrem Bleistift herum und überlegen, ob es vielleicht besser ist, die Hausmitteilung selbst nach oben zu bringen, statt eine Mail zu schicken. Vielleicht ist Breuer ja dann zufällig auf dem Flur. Und sieht, wie Schmidt Stunden nach Dienstschluss noch arbeitet. Und könnte denken, der Schmidt, auf den muss man achten.
Oder Krämer aus der fünften Etage. Der soll schon mal in der siebten gesessen haben, im Eckbüro. Aber dann hat ihm jeder angesehen, dass er nur an das eine dachte: Wie komme ich jetzt diese verdammten zwanzig Stufen rauf? Wie???
Er hätte an etwas anderes denken müssen, dann hätte es sicher geklappt. Aus dem Fenster gucken zum Beispiel, vom Fliegen träumen. Leicht wie ein Vogel. Oder er hätte die Zeit nutzen können, um »Tiefenwissen zu bilden«, wie Winterkorn rät. Immer dann, wenn wieder einmal der alte Breuer über den Flur schlurfte und er, Krämer, ihn am liebsten sofort rechts und links … das Lateinbuch herausziehen und ein paar Vokabeln wiederholen. Das hilft.
Irgendwann, im entscheidenden Moment dann, hätte Krämer nach einer der üblichen ausufernden Präsentationen von Breuer sagen können: Quia longum iter est per praecepta, breve et efficax per exempla. Und Breuer hätte gesagt: Hä? Der frühere Aufsichtsratschef hätte sich schlapp gelacht und Krämer auf die Schulter gehauen. Alle hätten gestaunt und gedacht, sieh mal an, der Krämer. Total unehrgeizig, aber schlau. Und kennt Seneca. Der kommt noch groß raus.
Aber Krämer wollte es ja nicht anders. Jetzt sitzt er wieder im fünften Stock. Und guckt auf sein Regal mit den Managementbüchern.
Einer der bekanntesten Managementtheoretiker ist James March von der Stanford University. Der Wissenschaftler sagt, dass er, weil er Wissenschaftler sei, Managern keinen Rat geben könne. Deshalb schicke er jeden weg, der komme und Beratung haben wolle. Wissenschaftler und Manager lebten in zwei unterschiedlichen Sphären, würden unterschiedlich denken, argumentiert March. Warum also ist der Mann einer der berühmtesten Management-wissenschaftler dieser Zeit?
Weil er recht hat. 99 Prozent aller Management-Bestseller beruhen darauf, dass sie von Menschen gelesen werden, die sie nicht verstehen. Es ist eines der ungelösten Rätsel dieser Welt, warum die Auflage aller Managementbücher steigt und steigt – aber die Zahl derer, die sie tatsächlich gelesen haben, sich der Nulllinie annähert. Die einzige Erklärung: Managementbücher sind da, weil allein ihr Dasein einen Zweck erfüllt.
Im Kern ist das ein Glück. Niemand möchte wie ein Fisch in einem Fischladen behandelt werden, selbst wenn es ein guter ist. Allein die Vorstellung, ekelhaft. Noch verheerender sind all die Team- und Netzwerkbücher, in denen man dazu angehalten wird, auf langweiligen Stehempfängen herumzustehen und zu wichtigen Ereignissen der Branche zu eilen.
Die Managementbücher, die behaupten, dass dies der Firma nutzt, sind Legion. Das Buch, das nachweist, dass all das der Firma erstens nichts nutzt und zweitens schadet, indem es zweifelhafte Spesenrechnungen macht, wird nie geschrieben werden. Weil: Will man wirklich wissen, dass ein Essen mit Freunden auf Kosten der Firma der Firma schadet? Eben.
Das Geheimnis guter Management-Literatur ist: Man muss sie nicht lesen, um zu wissen, dass sie die eigenen Wünsche und Vorlieben rechtfertigt. Wer ernsthaft einen Rat für sein Tun will, der kauft kein Buch. Wer aber auf der Suche nach dem richtigen Namen für das ist, was er tut, der kann nichts Besseres kaufen als einen Titel wie »Seven Sigma einmal anders« oder »Kai Zen und die Kunst, auf ein Motorrad zu warten – die neuen Regeln für Service-Management«.
Solche Sachen müssen in den Regalen hinter den Chefsesseln stehen. Neben Clausewitz natürlich und zwei oder drei Studien zum Markt in China. Dazu noch ein Buch über faszinierende Rennwagen und eines über Zigarren. Schon signalisiert die Bibliothek deutlich: Ich weiß, was ich tue.
Ein bisschen verzweifelt sehen sie neuerdings tatsächlich aus, die Vorstandsassistenten und Trainees, die Assistentinnen und Junior Managers. Sie sorgen sich, dass sie es nie nach ganz oben schaffen werden. Zu Recht. Sie werden es nicht nach ganz oben schaffen. Jedenfalls nicht in den nächsten 20 Jahren. Nicht, weil sie es nicht könnten. Sie wissen, sie könnten es. Und ihre Chefs wissen es auch. Sie wären super, wenn sie Chefs wären. Sie hätten die allerbesten Ideen, geniale Projekte in der Tasche, sie könnten den Verein hier in null Komma nix umkrempeln. Wie jede neue Generation, die man endlich ans Ruder lässt.
Aber man lässt sie ja nicht.
Wir wollen es nicht beschreien. Aber sie sorgen sich mit gutem Grund, die Hochbegabten und Berufsanfänger, die Assessment-Center-Sieger und Nachwuchsführungskräfte. Denn über ihnen sitzt eine Generation aus Beton. Sie weicht und wankt nicht, und wenn es einen von ihnen erwischt, dann tritt einfach der Nächste an seine Stelle: Es gibt so viele von ihnen, dass immer noch jemand übrig ist, der das Steuer übernehmen kann (und will), wenn es den Kapitän über Bord spült. Die 40- bis 55-Jährigen haben die Macht übernommen. Und sie denken nicht daran, sie jemals wieder herzugeben.
Geschickter als je eine andere Generation halten sie die potenziellen Nachfolger in Unmündigkeit. Wer es schafft, der extra für die unter dreißigjährigen Hochschulabsolventen erfundenen Generation Praktikum zu entrinnen, wird in den HR-Abteilungen mit Work-Life-Balance-Versprechen umgarnt und kleingekuschelt.
Wenn er dann um 20 Uhr nach Hause geht und ehrenamtliche Kinder-gartenvereinskassiererarbeiten erledigt, legen die anderen, die einsamen grauen Wölfe, erst los. Sie wissen: Jedes Ehrenamt außerhalb des Rotary Clubs gehört den Hausfrauen und Müttern. Bürgerschaftliches Engagement ist prima – solange es die anderen machen.
Bis spät abends sitzen sie selbst da und schneiden die Firma unter Überschriften wie »Erfahrungswissen – immer wichtiger« heimlich wieder auf sich zu. Sie machen die Chefetage kindersicher, sozusagen. Sie denken sich neue partizipative Projektgruppen aus, die als Feld der Bewährung für Nachwuchsführungskräfte ausgerufen werden – und die mit Sicherheit niemals ergebnisrelevant werden.
Das Ziel: die Eine-Generation-Firma. Der Weg: unumkehrbar. Das Recruiting: fällt aus – alle, die in Frage kommen, sind schon da. Die Perspektive: Sucht in den Kindergärten von heute die Chefs von morgen! Vorher wird es nichts mit dem Generationenwechsel.
Beunruhigende Nachrichten von der Umfragefront: Manager, so offenbart es uns die Wirtschaftswoche, stehen besonders auf Rolex, Familie, Porsche, Freizeit und Fremdsprachen. Das habe eine ausführliche Umfrage unter den Spitzenleuten der deutschen Wirtschaft ergeben, und das seien richtig gute Nachrichten. Herausgekommen ist nämlich so etwas wie eine binomische Formel für den Standort: Partnerschaft plus Kinder mal Leistung plus Kreativität gleich Zukunft. Zufriedene Menschen übernehmen Verantwortung und bringen die Firma und die Volkswirtschaft voran. Oder so ähnlich.
Wir sind nicht ganz so sicher. Immer, wenn uns einer begegnet, der sagt, dass ihm Partnerschaft und Kinder echt wichtig sind, ahnen wir, dass er heute um fünf nach Hause will. Und immer, wenn wir einen treffen, der behauptet, dass ihn Leistung und Kreativität schon morgens in aller Herrgottsfrühe aus dem Bett treiben, dann hat er entweder keine Kinder, oder sie kriegen gerade Zähne, und wir müssen fürchten, dass so einer in unser Team versetzt wird – und alle zwingt, sich nur noch in Powerpoint mit ihm zu unterhalten. Alles zusammen ergibt ein klares Bekenntnis zu Work-Life-Balance und ein ebenso fröhliches Nein zu allen Bemühungen, den Standort ernsthaft, wirklich, durch sehr harte Arbeit voranzubringen.
Seien wir ehrlich: Partnerschaft und Kinder mögen für die langfristige demografische Entwicklung dieses Landstrichs kriegsentscheidend sein – für die Arbeit heute und morgen sind sie eher lästig. Und wenn es wirklich so ist, dass der deutsche Manager sich neben dem Familienidyll für eine Rolex und einen Porsche zerreißen würde, tja, dann haben wir ein echtes Problem. Als Kollegen.
Nicht nur, dass Frank jeden Morgen zu spät und mit breibeschmierter Krawatte auftaucht, »Die Kinder, wisst ihr, sie wollten nicht in den Kindergarten«, und abends wieder früh weg muss, »Der Ladenschluss, wisst ihr, und wir brauchen noch Milch und Windeln«. Nein, Frank will auch den Porsche von Klaus, die Rolex von Karl und Urlaub in Asien wie Brigitte – und er findet es total ungerecht, dass er einen praktischen Kombi fährt, während die anderen ihre Rolex-und-Porsche-Träume ausleben können.
Das schadet dem Standort – und wie! Wer glaubt, dass zufriedene Familienväter und -mütter das Land und den Konsum nach vorn treiben, der spinnt. Es sind die Ledigen und die Singles, die wirklich hart arbeiten – und das Salär dafür dann auch noch auf den Kopf hauen.
Deshalb ist es schlecht, wenn man alles auf einmal haben will. Immer hübsch eins nach dem anderen, das muss die Botschaft sein. Sagen wir mal so: zuerst Überstunden und Porsche mal Leistung und Kreativität, dann Familie und Deutschland mal Verantwortung und Beständigkeit, und dann Porsche und Rolex mal Asien und Aufsichtsratsmandat. Das ist eine gelungene Lebensplanung. Und dem Standort nützt sie auch.
Was waren das für Zeiten: Dunkler Anzug, schwarze Strümpfe, schwarze Schuhe, helles Hemd, mutige Krawatte – und fertig war der kreative dynamische Boss mit klarer Ambition. Wer etwas werden wollte, der sah so aus, als käme er frisch aus der Kühlung. Und er benahm sich auch so. So war es immer. Und es war gut so.
Und jetzt? Das große Rollenspiel, es ist vorbei. Neuerdings will niemand mehr ein Chef sein, der aus der Retorte kommt, berechenbar und gleichförmig. Neuerdings sind alle, auch die Chefs, authentisch. Authentisch sein heißt, dass man ein bisschen anders ist als die anderen. Dass man auf die Menschen zugehen kann zum Beispiel und dennoch zu außerordentlicher Härte fähig ist.
Was das für die wirklich Ambitionierten bedeutet? Leben umkrempeln, mal wieder, und zwar flott! Retortenartige Anzüge, Schuhe, Hemden, Armbanduhr und Blackberry: Alles muss auf den Prüfstand. Handelt es sich um authentizitätsfreundliche, authentizitätsneutrale oder authentizitätsfeindliche Utensilien? Ein Blackberry ist entschieden sehr authentizitätsfeindlich. Authentisch im guten Sinn dagegen ist eine kunstvoll angekrumpelte Hose, ein Hemd mit Bügelknicken im Ärmel, ein klitzekleines Zeichen, dass der warme Frühlingstag nicht auf einen teflonbeschichteten Androiden getroffen ist. Wahlweise geht auch ein bisschen Bein zwischen Strumpf und Hose – keinesfalls aber so viel, dass man Sie für einen Architekten halten könnte.
Business-authentisch erfordert viel mehr Aufwand als Business-Standard, das ist schon mal klar. Schlimmer noch ist das neuerdings erforderliche ganz authentische Leben. Business-Standard ist: Zweitfrau, drei Kinder, zwei aus der ersten, eins aus der zweiten Ehe, alles super vom Scheidungsanwalt geregelt, alle zufrieden. Authentisch ist: unverheiratet mit der Assistentin, spätere mögliche Eheschließung und Kinderwunsch ebenfalls im Schwebezustand, Kinder aus erster Ehe ein bisschen problematisch, Aufsichtsrat auch, weil väterlicher Freund der ersten Frau. So etwas professionell zu managen und dabei offen, ehrlich, nur ein bisschen verschwitzt und ganz authentisch zu sein, das muss man erst mal hinkriegen.
Und dann kommt eines Tages einer und sagt: Sei doch einfach mal du selbst, weißt du, authentisch kann jeder, aber du selbst sein, das ist nötig und mutig jetzt. Was das heißt? Leben umkrempeln. Mal wieder. Und zwar flott.
Auch schon dabei? Noch nicht? Dann sollten Sie sich Gedanken machen. Ihre Firma hinkt hinterher. Immer mehr Unternehmen halten ihre Mitarbeiter an, ein eigenes, möglichst humorvolles Webtagebuch zu füllen, das dem Ruf des Mitarbeiters und der Firma extrem zuträglich sein soll. »Total wichtig so was«, sagt Kerner, der Marketingchef. »Wenn wir da nicht mitkommen, dann können wir alles vergessen, was wir je mit Guerilla-Marketing vorhatten.« Personalchef Schmidt fragt: »Sollen wirklich alle ein Internettagebuch führen dürfen? Auch die Betriebsräte?« Vorstandschef Habelschwerdt sagt, dass er anfangen wird mit dem Bloggen, »damit die Mitarbeiter ihre Ängste verlieren«.
Berater kommen ins Haus. Sie erklären, was zu tun ist, wenn man ein echter Corporate-Blogger werden will. Locker bleiben. »Schreiben Sie alles ins Webtagebuch, was Sie so bewegt. Es muss authentisch sein, das ist wichtig«, sagen die Berater zu Habelschwerdt. »Alles reinschreiben?«, fragt der. Erste Zweifel wachsen. Was, wenn einer von den Ingenieuren reinschreibt, dass die Produktion stockt? Wenn einer von den Call-Center-Leuten postet, dass er diese ständigen Reklamationen wegen der Schlamperei im Lager satt hat. Und dass er ihn, Habelschwerdt, für einen inkompetenten Schwachkopf hält?
»Natürlich gibt es Regeln. Schließlich soll das Web-Tagebuch dem Ruf der Firma nutzen und nicht schaden«, beruhigen die Berater. »Wir machen eine Blog-Policy, da steht dann drin, was geht und was nicht.« Schmidt findet das suuuper wichtig: »In die Blog-Policy schreiben wir rein, dass nur Gutes über die Firma geschrieben werden darf, dass niemand niemanden beleidigen darf, dass Produktionsprobleme tabu sind und dass niemand seine letzte Abmahnung diskutieren darf.« Schmidt überlegt kurz: »Und natürlich, dass niemand in der Arbeitszeit bloggt.«
Habelschwerdt sitzt vor seinem Bildschirm, überlegt. Und postet: »Durchbruch in der digital gesteuerten Gelenkwellentechnik.« Das sei suuuuper, aber noch nicht so richtig spontan, kritisieren die Berater. Habelschwerdt schreibt: »Hurra. Durchbruch in der digital gesteuerten Gelenkwellentechnik.« Marketingmann Kerner findet das suuuper, aber noch nicht ganz authentisch. Habelschwerdt schreibt: »Hurra. Mir ist der Durchbruch in der digital gesteuerten Gelenkwellentechnik gelungen.«
Fern, ganz weit weg in der Forschungsabteilung, sitzen zwei Gelenkwellentechniker und starren auf die Entwicklungen im Intranet. Einer murmelt: »Arschloch.« Der andere sagt: »Komm, wir gehen in die Kantine, zu den Kollegen. Und regen uns ein bisschen auf.«
Angela Merkel bekam zum Abschluss der Koalitionsverhandlungen Ende 2005 ein Mercedes-Cabrio geschenkt. Von der Frauenunion, die sich silber-pfeilmäßig darüber freut, dass nun eine Frau die Nummer eins im Land geworden ist. Jürgen Thumann, der Chef des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, bekam zum Amtsantritt von seinen Unternehmerfreunden ein echtes reinrassiges weißes Araber-Pferd geschenkt. Der frühere McKinsey-Chef und engagierte Kletterer Herbert Henzler erhielt von seinen Leuten zum Abschied aus dem Amt einen Kletterurlaub für zwei. In Patagonien.
Und Gerhard Schröder? Gerhard Schröder bekam von Tony Blair zum Abschied ein grün eingewickeltes Geschenk, von dem nicht näher bekannt ist, was darin war: Es war so klein, dass er es vorsichtshalber erst einmal nicht auspackte. Außerdem gab es bisher ein paar Flaschen Wein, ein paar Zigarrenkisten.
Wir sehen: Je opulenter das Geschenk, desto größer sind die Erwartungen. Geschenke zum Start sind Vorschusslorbeeren, die – in andauernder Dankbarkeit zum großzügigen Spender – später verdient werden müssen. Je anspruchsvoller der Gedanke, desto riskanter wird das Präsent für den Empfänger. Dass Herbert Henzler beispielsweise problemlos jederzeit bis ins hohe Alter in der Lage sein wird, ohne Sauerstoffmaske selbst die höchsten Berge zu erklimmen, darf als gesichert gelten. Aber: Wissen wir auch, wie fit seine Gattin ist? Ob sie gerne klettert? Oder ob sie es eher mit Paris als mit Patagonien hat?
Hat Angela Merkel einen Führerschein? Muss sie ihn jetzt machen? Darf sie das Auto behalten? Wenn nicht, welcher wohltätigen Organisation der Welt kann man ein Mercedes-Cabrio schenken, das nicht einmal eine Anhängerkupplung für Hilfslieferungen hat?
Wir wissen es nicht. Weihnachtsgeschenke von den Lieben daheim kann man zur Not umtauschen, Begrüßungs-, Abschieds- und Kollegen-machendir-eine-Freude-zur-Hochzeit-Geschenke nicht. Die sind da. Sie bleiben da. Sie graben sich ins Gedächtnis ein, weil sie zu klein, zu groß, zu angeberisch, zu aufdringlich, zu nett sind. Immer.
Der frühere Bundeskanzler wird, wenn er künftig Tony Blair sieht, an grün eingewickelte Geschenke denken. Hans Eichel, der ein neues Sparschwein für seine Sammlung bekam, wird immer sagen, dieses wunderschöne Schwein haben mir meine EU-Kollegen gegeben, kein Wunder, sie wussten, was sie an mir hatten. Und denken wird er sich: wie phantasielos, wie herzlos, ein bisschen hätten sie sich schon für mich ins Zeug legen können, wo ich doch schon so viele Sparschweine habe, wo soll ich die nur alle hintun, vielleicht nimmt mir das Haus der Geschichte eins ab, schließlich gehe ich doch auch jetzt in die Geschichte ein – und das war nur ein Sparschwein wert?