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Gerade im Job ist die Frage, was geht, und was nicht, besonders brisant: Wer sich nicht angemessen behandelt fühlt, handelt selbst nicht angemessen: ethisches Versagen ganzer Konzerne hat hier ihren Ursprung. Besonders mulmig wird es Unternehmern und Managern bei ihrer Vorbildfunktion, wenn es um Personalabbau und Entlassungen geht, wenn in Unternehmen eine doppelte Moral herrscht. Welche Tricks darf ich nutzen, um voranzukommen? Welche Grenzen gibt es für die Wahrnehmung meiner eigenen Interessen? Hier antworten u.a. Frank-Jürgen Weise, Wolfgang Clement, Roland Berger. Margaret Heckel und Ursula Weidenfeld ziehen die Quintessenz.
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Seitenzahl: 192
Margaret Heckel
Ursula Weidenfeld
Ich, mein Kollegeund sein Job
www.das-tut-man-nicht.de
KREUZ
© KREUZ VERLAG in der Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2010
Alle Rechte vorbehalten
www.herder.de
Datenkonvertierung eBook: le-tex publishing services GmbH, Leipzig
ISBN (E-Book) 978-3-7831-8147-0
ISBN (Buch) 978-3-7831-8046-6
So empört hatten wir unsere Freundin selten gesehen. »Die Firma, die ich im Moment berate, hat doch gerade alle Mitarbeiter gezwungen, die neuen Ethikregeln zu unterschreiben«, erzählte sie uns. »Unter anderem steht da drin, dass Familienangehörige auf keinen Fall zu Terminen mitgenommen werden dürfen.« Nun komme sie gerade von einem festlichen Dinner zurück, das die Firma für die besten Kunden organisiert habe. Und wen hätte einer der Vorstände dabeigehabt? »Trotz des Verbotes hatte er eine weibliche Begleitung im Schlepptau«, ereiferte sich die Freundin, »und dass es hundertprozentig nicht seine Frau war, macht die Sache um keinen Deut besser!« Dass dieses Verhalten weder den kurz zuvor aufgestellten Ethikregeln der eigenen Firma entspricht noch der Vorbildfunktion eines Vorstandes, ist offensichtlich.
Was uns dann aber wirklich verblüffte, war der Fortgang unseres Gespräches. Unsere Freundin hatte aufgrund einer Bombendrohung an ihrem Abflughafen ihren Flug verpasst und konnte erst zwei Stunden später als geplant los. So musste sie diverse Folgetermine verschieben, was ihren Ärger über den verpassten Flug noch verstärkte. Als sie wieder zu Hause angekommen war und ihr Parkhausticket bezahlen wollte, stellte sie fest, dass sie den günstigen 24-Stunden-Tarif überschritten hatte. Sie war ohnehin sauer über die Flugverschiebung, an der sie nicht schuld war und deren Folgen ihr niemand bezahlen würde. Und nun sollte sie zur Strafe auch noch weit mehr fürs Parken zahlen?
Das fand die freiberufliche Beraterin zutiefst unfair: »Ich hab einfach gesagt, ich hätte meinen Parkschein verloren«, erzählte sie, »die Parkwächter haben mir das 24-Stunden-Ticket abkassiert und ich bin davongefahren.« Als sie unsere leicht hochgezogenen Augenbrauen sah, schob sie ein »Hört mal, ich war an der Verspätung doch nicht schuld« hinterher. Der Nachsatz zeigte, dass auch unserer Freundin klar war, dass man das, was sie getan hatte, eigentlich nicht tut.
Doch was wiegt derartiges Verhalten gegen das des Vorstandes vom vorigen Abend? Ist es nicht vielleicht doch ein eher lässliches Vergehen? Zumal aufgrund der Vorgeschichte und dem Ärger um den gestrichenen Flug und die Terminänderungen?
Außer vielleicht im Familienleben gibt es in keinem Bereich so viele ethische Entscheidungskonflikte wie im Arbeitsleben. Arbeitgeber wie Beschäftigte schlagen sich mit der Frage herum, ob sie fair handeln und fair behandelt werden. Viele der Fragen, die wir auf unserer Webseite www.das-tut-man-nicht.de bekommen, drehen sich deshalb um den Job. Oft werden sie so gestellt, dass es um Kollegen geht statt um die betreffende Person selber. Da wir diese Erfahrung auch bei Fragen zum Themenkreis Familie gemacht haben, haben wir uns entschieden, das vorliegende Buch »Ich, mein Kollege und sein Job« zu nennen. Ein weiterer Band »Ich, meine Freundin und ihre Familie« dreht sich um moralische Diskussionen zu Familienthemen.
Fragen zum Arbeitsleben haben in Deutschland eine besondere Brisanz. In kaum einem anderen Land sind die arbeitsrechtlichen Bestimmungen so dicht, ist das Miteinander in der Arbeit so stark rechtlich geregelt. Kann man sich in den USA oder in England vergleichsweise leicht von einem ungeliebten Mitarbeiter trennen, geht das in Deutschland nicht so einfach. Das ist auf der einen Seite natürlich gut für die Beschäftigten. Die Kehrseite des Kündigungsschutzes ist jedoch, dass hierzulande oft der informelle Umgang den Kündigungsschutz, die Gleichstellung oder die Reintegration Kranker in das Arbeitsleben aushebeln soll. Frei nach dem Motto: Kündigen können wir Dir nicht, aber das Leben können wir Dir schwer machen.
Richtiges und gerechtes Handeln ist ein Thema mit ungeheurer Sprengkraft. Denn, wer sich nicht angemessen behandelt fühlt, handelt selbst nicht angemessen. – Das ethische Versagen ganzer Konzerne hat hier seinen Ursprung.
Wir alle kennen die Skandale, die so ausgelöst wurden. Vor allem im vergangenen Jahrzehnt nahmen sie zu, scheinen die Sitten immer mehr zu verrohen: Kurz nach der Jahrtausendwende brechen Weltkonzerne wie Enron oder Worldcom aufgrund von betrügerischem Verhalten zusammen. Tausende von Mitarbeitern verlieren nicht nur den Job, sondern auch ihr gesamtes Erspartes. In Deutschland macht die Mannesmann-Affäre Negativschlagzeilen: Kann es richtig sein, einem Vorstandsvorsitzenden einen Millionen-Bonus zu bezahlen, nur weil er das Unternehmen an einen Konkurrenten verkauft, der dann hinterher jede Menge Jobs abbauen wird? Während der New Economy-Blase der Jahrtausendwende nehmen es etliche der neuen Börsenstars mit den Tatsachen nicht so genau, wie sich später zeigen wird.
Und mit der Globalisierung des vergangenen Jahrzehntes verrohte das Geschäftsgebaren dann immer weiter. Die Aktienkurse drehen nach oben, sobald eine Firma Massenentlassungen verkündet. Chefs und Manager genehmigen sich Boni, während sie die Zulagen der Mitarbeiter streichen. Ganze Fabriken werden nach Osteuropa verlagert, obwohl Betriebsrat und Beschäftigte Zugeständnisse bis jenseits der finanziellen und persönlichen Schmerzgrenzen machen. Gut ausgebildete Akademiker werden mit einem Praktikum nach dem anderen vertröstet, um dann später einen schlecht bezahlten, auf ein Jahr befristeten Job zu bekommen. Siemens, ein veritabler Eckpfeiler der deutschen Unternehmenskultur, muss zugeben, über Jahre Auftraggeber in allen Ecken der Welt geschmiert zu haben.
Und schließlich die weltweite Finanzkrise: Ein paar überbezahlte, skrupellose Finanzmanager treiben mit ihren Finanzinstrumenten, die keiner mehr zu verstehen scheint, die gesamte Bankenwelt an den Rand des Kollapses – und müssen dann mit dem Geld der weltweiten Steuerzahler gerettet werden, weil sonst das System zusammenbrechen würde. Wer sich diese Entwicklung ansieht, kann sehr wohl den Eindruck bekommen, dass die moralischen Maßstäbe in der Wirtschaft und im Arbeitsleben schwer aus den Fugen geraten sind. Viele Firmen und Organisationen haben darauf reagiert, indem sie sich ganz bewusst mit Ethik beschäftigt und eigene Regeln aufgestellt haben.
So haben sich beispielsweise die Sozialpartner in der Chemie-Industrie im August 2008 auf einen gemeinsamen Ethikkodex verständigt. Schon ein Jahr zuvor hatten der Arbeitgeberverband BAVC und die Gewerkschaft IG BCE mit dem sogenannten »Wittenberger Prozess« eine Dialogreihe über verantwortliches Handeln in ihrer Branche initiiert.
Klaus Schwab kennt als Gründer des Weltwirtschaftsforums in Davos so ziemlich alle Mächtigen aus Politik und Wirtschaft. In einem selbstkritischen Appell, »Zeit für eine neue Wirtschaftsethik«, ging er 2009 mit Managern und Politikern ins Gericht. Keiner hätte sich verantwortlich oder handlungsfähig gefühlt, sagt er. Möglicherweise sei auch für die Welt der Wirtschaft eine Art »Eid des Hippokrates« notwendig: »Wenn es uns nicht gelingt, eine nachhaltige und langfristig wirkende Verantwortlichkeit der Wirtschaftsführer in allen Bereichen der Wirtschaft zu verankern, werden neue Regeln und Regularien nicht helfen, denn es wird immer Schlupflöcher geben.«
Wie aber kann erreicht werden, dass sich im Wirtschaftsleben alle verantwortungsvoll verhalten? Ein erster Schritt ist es sicherlich, anzuerkennen, dass ein möglicher ethischer Konflikt vorliegt. Schon das ist gar nicht so einfach, wie die beiden Professoren Rakesh Khurana und Nitin Nohria von der renommierten Harvard School of Business zugeben. In vielen Berufen, wie beispielsweise in der Medizin oder den Rechtswissenschaften, müssten die künftigen Doktoren oder Rechtsanwälte in verbindlichen Prüfungen ihr Wissen unter Beweis stellen. Bei Managern aber gebe es das nicht, kein Kanon regle die Werte der Zunft oder das Wissen der Absolventen. Beide forderten deshalb eine Art Selbstverpflichtung für Manager.
Zumindest ein Teil ihrer Studierenden ist dem inzwischen nachgekommen. Sie haben den »MBA Oath« entwickelt – einen Schwur für Betriebswirtschaftsstudierende: »Als Manager ist es meine Aufgabe, der Gesellschaft zu dienen«, schreiben sie in der Einleitung zu ihren acht Geboten. Sie wollen ihren Beruf »rechtschaffen, nachhaltig und ehrlich« ausüben, heißt es in den Geboten unter anderem.
Albert Norweb ist einer der Studierenden, der den MBA Oath unterschrieben hat und 2010 sein Studium in Harvard abschließen will. In einem Zeitungsbeitrag für die Washington Post erklärt er, warum. Darin erinnert er sich an die Schulzeit, als es auf jedem Pausenhof ein paar gab, die Ärger machten. Doch sobald es gelungen sei, aus den einzelnen Schülern eine Gemeinschaft zu formen, hätten die »Tu-Nicht-Gute« keine Chance mehr gehabt. Nun gehe es darum, auch in der Wirtschaft eine derartige Gemeinschaft aufzubauen.
Seit der MBA-Oath im Mai 2009 aufgeschrieben wurde, hätten bereits 1800 Studierende rund um den Globus unterschrieben. Für sie alle gibt es eine kleine Plastikkarte in Portemonnaie-Größe. »Jeden Tag werde ich an das Gelöbnis erinnert, wenn ich in mein Portemonnaie greife«, schreibt Norweb, »und es ist eine kleine Erinnerung, das Richtige zu tun.« Wenn genügend seiner Kollege das auch täten, könne vielleicht die nötige Gemeinschaft aufgebaut werden, um die schwarzen Schafe der Branche zur Seite zu schieben.
Auch in Deutschland sind Arbeitnehmer selbst aktiv geworden. So hat der Bundesverband Deutscher Volks- und Betriebswirte im Januar 2010 gemeinsam mit dem Aktionskreis Leistungsträger (AKL) zehn Thesen zu Wirtschaft und Ethik vorgestellt: »Wie kann man als Einzelner in einer großen wirtschaftlichen Einheit einen moralischen Kompass behalten?«, ist darin die Leitfrage.
Eine andere Gruppe sind die sogenannten Young Global Leaders des Weltwirtschaftsforums in Davos. Dabei handelt es sich um weltweit tätige Nachwuchsführungskräfte, die alle unter 40 Jahre alt sind. Etliche von ihnen haben das »Davoser Gelöbnis / Globale Prinzipien für Führungskräfte« abgelegt. Der Kern ist die Anerkenntnis, dass »Unternehmen dem Allgemeingut verpflichtet sind«, »mein Tun weitreichende Folgen für viele Menschen haben kann«, und »es nicht leicht sein wird, stets das Rechte zu tun.«
In der Tat: Allen Regeln, Regularien und Wertekodices der Firmen zum Trotz, bleiben unzählige Fragen darüber, was richtiges Handeln bedeutet, täglich offen. Doch die gute Nachricht ist, dass immer mehr Menschen im Wirtschaftsleben diese Fragen stellen und nach Antworten suchen. Dabei soll dieses Buch auch Sie begleiten. Es ist in neun Kapiteln aufgebaut, die nicht chronologisch gelesen werden müssen. Sie können jederzeit von einem Kapitel zum anderen springen oder querlesen. Jedes Kapitel sammelt die Fragen und Antworten rund um einen bestimmten Themenkreis. Begonnen haben wir mit dem, was viele im Arbeitsalltag am meisten beschäftigt – ihre Karriere.
Die meisten Menschen arbeiten sehr hart für ihre Karriere. Doch wenn die Aufstiegschancen da sind, kommen mit ihnen oft unangenehme Fragen auf: Was, wenn der Preis für den besseren Job der schlechtere Umgang mit den Kollegen ist? Oder wenn der Chef Dinge von einer zukünftigen Führungskraft fordert, die diese für moralisch nicht einwandfrei hält? Welche Kompromisse kann man eingehen, wo aber muss man Nein sagen?
Wir treffen Anna, die zwei Mitarbeiter wegmobben soll, damit sie die Teamleitung übernehmen kann. Und eine Teamleiterin, die feststellt, dass sich ihre beste Freundin ebenfalls auf die Abteilungsleiterstelle beworben hat. Michael will wissen, ob er seinen besten Freund zu seinem Stellvertreter machen kann. Um Insiderkonflikte geht es bei der Frage von Leonore, die erfahren hat, dass eine Kollegin trotz besserer Leistungen nicht zum Zuge bei der Vergabe eines höherrangigen Jobs kommt.
Gleich mehrere Fragen erreichten uns zur Moral einer Frauenquote, die derzeit heiß diskutiert wird. Prominente Antwortgeberinnen sind die Bundesfamilienministerin Kristina Schröder und die Vizepräsidentin des Europäischen Parlamentes, Silvana Koch-Mehrin, die ihre jeweilige Einschätzung zur »Frauenquote« geben.
Nur wenige Mitarbeiter sagen von sich, dass sie ihren Chef wirklich gut finden. Wahrscheinlicher ist das Gegenteil: Der Chef oder die Chefin nervt. Was also tun? Kann man sich trauen, seine Kritik offen zu äußern? Ist es ok, sich heimlich zu rächen?
Clemens zum Beispiel hat eine getürkte Spesenabrechnung seines Chefs entdeckt. Soll er sie benutzen, um dem Vorgesetzten die Gemeinheiten der vergangenen Jahre heimzuzahlen? Marianne hat einen Chef, den sie eigentlich gern mag und mit dem sie gut auskommt. Doch auf Kritik reagiert er gar nicht gut. Nun fragt sie sich, ob sie darüber mit ihm reden soll. Und wie reagiert man, wenn die immer so genaue und fordernde Chefin Kraftausdrücke benutzt, die man seinen eigenen Kindern sicher verbieten würde?
In diesem Kapitel werden die Fragen diskutiert, die rund um das Verhältnis zwischen Mitarbeitern und Chef entstehen können. Prominenter Antwortgeber ist in diesem Kapitel der frühere Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement.
Viele Menschen arbeiten heutzutage in Teams. Das tun sie in den seltensten Fällen freiwillig. Aber Teams sind nun einmal das, was Managementberater als besonders effizient und produktiv anpreisen. Doch nur wenige Teams finden sich selbst, die meisten setzt irgendjemand nach wenig durchsichtigen Kriterien zusammen. Dass dabei Konflikte und moralische Fragen entstehen, ist fast unausweichlich.
Annette beispielsweise fragt sich, ob sie den Anweisungen ihres Chefs folgen, und neue Mitarbeiter nur befristet ins Team holen soll, obwohl alle anderen unbefristet angestellt sind. Tanja will einem Mitarbeiter eigentlich nicht das von ihm geforderte positive Arbeitszeugnis schreiben, sondern ein ehrliches. Und eine Frage dreht sich um den unvermeidlichen Störer, den es in fast jedem Großraumbüro gibt. Robert wiederum ärgert sich über die vielen Fremdnutzer in der Kantine, die die Warteschlange verlängern und fragt sich, ob man die nicht einfach aussperren kann.
Die Fragen, die in diesem Kapitel bearbeitet werden, sind so bunt wie das Thema Kollegen selbst. Viele Menschen verbringen mit ihren Kollegen mehr Zeit als mit ihrer Familie – Grund genug, dies möglichst konfliktfrei und so anständig wie möglich zu tun.
Dieses Kapitel widmet sich den moralischen Fragen während der Ausbildungszeit: Ist »ein bisschen« Schummeln erlaubt? Was, wenn all die anderen Studierenden um einen selbst herum diverse Hilfsmittel benutzen? Kann man sich krankschreiben lassen, wenn man nicht richtig auf die Prüfung vorbereitet ist und »alle« das tun? Wie steht es insgesamt um die Ethik in Schule, Ausbildung und Studium? Warum sollte man Lehrern folgen, die sich selbst nicht ethisch verhalten? Gibt es eine unterschiedliche Ethik je nach Lebenslage und Lebensalter?
Gerade in den prägenden Jahren der Ausbildung wird die Grundlage gelegt für das spätere Verhalten in der Firma. Doch für die ethischen Konflikte rund um die Ausbildung gibt es eigentlich nirgendwo Ansprechpartner. Wir merken das oft an den Fragen, die wir zu diesem Themenkomplex bekommen – und hoffen, mit dieser Diskussion zumindest ein wenig daran zu verändern.
Der Berufsstart ist ein Bereich, in dem oft Beziehungen der einen oder anderen Art eingesetzt werden. Inwieweit ist das ok? Wann wird »Vitamin B« zu einer Hypothek für das Berufsleben? Und was mache ich, wenn sich die hehren Ethik-Sätze aus der Unternehmensbroschüre als Schall und Rauch entpuppen?
Der Berufsstart ist für viele eine der schwierigsten Zeiten im Leben. So viel Neues stürzt auf die Anfänger ein. Jede Firma hat ihre ungeschriebenen Gesetze, die es zu enträtseln gilt. Wer hat wirklich die Macht auf der Büro-Etage? Wie sehr muss man sich anpassen, ohne sich zu verbiegen? Die ethischen Konflikte zu Beginn des Berufslebens sind oftmals fundamental und, aufgrund der fehlenden Erfahrung, schwer zu lösen. Deshalb kann es sehr hilfreich sein, anhand der Antworten unserer Experten und Nutzer einzelne Leitplanken für den Start ins Berufsleben einzuziehen.
Gravierende moralische Konflikte reißen immer dann auf, wenn Firmen Mitarbeiter entlassen müssen. Um sie geht es in diesem Kapitel. Zum Beispiel der langjährige Mitarbeiter Klaus, der gefragt wird, ob er nicht bald einem Jüngeren Platz machen könnte, indem er sich frühverrenten lässt. Wie geht man mit diesem Druck um? Gibt man ihm nach? Oder kämpft man um den geliebten Job? Nicht immer haben Arbeitnehmer die Möglichkeit, selbst zu entscheiden, ob und wann sie ihr Unternehmen verlassen wollen. Oft werden sie alternativlos einfach entlassen. Weil die Firma dichtmacht. Oder die Fabrik woanders hin verlegt wird. Oder der Vorstand sich verspekuliert hat. Schuldet man dann für die wenigen Wochen noch seine Arbeitskraft? Oder kann man sich einfach krankschreiben lassen? Das fragte uns Gabriela.
Peter arbeitet bei Opel und ist sauer. Die Banken habe die Politik gerettet, doch bei Opel kneife sie. Nun fragt er sich, ob er alles mitnehmen darf, was er kriegen kann? Darf er nun die Systeme ausnutzen, die er schließlich über die Jahrzehnte mit seinen Beiträgen auch gefüllt hat? Renate ist schon gefeuert worden, aber immerhin noch mit einer guten Abfindung. Die zweite und dritte Welle der Gekündigten in ihrer Firma hat keine so guten Konditionen mehr bekommen. Nun fragt sie sich, ob sie sich dafür schuldig fühlen muss.
In einem ähnlichen Fall haben wir Frank-Jürgen Weise, den Chef der Bundesagentur für Arbeit, befragt: Soll jemand, der eigentlich genügend hat, trotzdem staatliche Leistungen in Anspruch nehmen, wenn sie ihm angeboten werden?
In diesem Kapitel geht es um ein moralisch extrem heikles Thema – die Kompensation für die eigene Arbeit, vor allem aber auch um die Kompensation der Arbeit der anderen. Dass es dabei immer gerecht zugeht, wird kaum ein Arbeitnehmer finden. Was aber ist noch akzeptabel, was geht gar nicht? – Die Fragen rund ums Geld sind äußerst vielfältig und sie berühren häufig auch Grundsätzliches.
Andrea beispielsweise, die ihre Tochter mit auf eine Dienstreise nimmt. Das Kind verursacht zwar keine Kosten, dennoch fragt sie sich: Ist das moralisch in Ordnung? Wie geht man damit um, wenn der Mensch, der einen Bürostuhl weiter arbeitet, deutlich mehr verdient als man selbst, dafür aber nicht mehr arbeitet? Daran schließt die grundsätzliche Frage an: Kann es eine gerechte Bezahlung überhaupt geben?
In diesem Kapitel werden aber auch gesellschaftlich wichtige Fragen jenseits des eigenen Lohnes, wie Steuerhinterziehung oder zu Unrecht bezogene Leistungen zur Debatte gestellt. Soll man Hartz-IV-Betrüger anzeigen oder lieber doch vorher mahnend mit ihnen reden? Für die Bewertung eines besonders krassen Falls haben wir uns an die frühere Bundesfamilienministerin und Sozialdemokratin Renate Schmidt gewandt: Wie geht man damit um, wenn die Freundin, die als alleinerziehende Mutter über zehn Jahre lang Sozialhilfe bezogen hat, gleichzeitig aber schwarz gearbeitet und so insgesamt 180 000 Euro am Finanzamt und den Sozialbehörden vorbeigeschleust hat?
Viele Firmen beschäftigen sich heute ausführlich mit Fragen des ethischen Handelns und stellen hierzu oft eigene Moralkodices auf. Was aber, wenn die Realität in der Firma eine ganz andere ist? Oder wenn sich der Vorgesetzte selbst nicht an die Vorgaben hält, von seinen Mitarbeitern aber erwartet, dass sie es tun? So ist es Felix ergangen, der von seinem Chef auf ein Golf-Wochenende geschickt wurde, das er eigentlich gar nicht besuchen dürfte. Melanie will wissen, wie sie dem schleichenden Zerfall der von der Firma aufgestellten Ethikregeln begegnen kann.
In diesem Kapitel geht es sowohl um Fragen, die Arbeitnehmer und Führungskräfte in Zusammenhang mit der Moral ihrer Firma haben, als auch um Fragen, die Unternehmenseigentümer zu ihrem eigenen Betrieb haben. Andreas arbeitet in einer Firma, die sehr auf Umweltschutz und Nachhaltigkeit achtet. Doch ausgerechnet der Chef verhält sich in seinem Privatleben ganz anders, fährt Lamborghini und lässt die Lichter in seiner Villa die ganze Nacht brennen. Oder wie verhält es sich beispielsweise mit dem Dienstwagen, wenn es der Firma schlecht geht? Kann sich der Chef dann trotzdem die große Karosse leisten oder verzichtet er zu Gunsten der Firma darauf? Diese Frage hat uns Manfred geschickt, der einen kleinen Betrieb mit zehn Mitarbeitern führt.
Dem früheren Präsidenten des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Michael Rogowski, haben wir einen Fall vorgelegt, in dem sich ein Unternehmenschef zwischen der Auszahlung der versprochenen Boni an seine Mitarbeiter und der Schaffung von zwei neuen Jobs entscheiden musste.
Petra wollte von uns wissen, ob sie ihre Rechnungen pünktlich bezahlen soll, obwohl es ihrer kleinen Firma schlecht geht und ihre Kunden selbst auch nicht termingerecht zahlen. Und Karin fragt sich, ob sie einen Auftrag annehmen soll, für den sie eigentlich nicht das nötige Know-how hat, ohne den sie aber Mitarbeiter entlassen muss. In diesem Kapitel dreht sich viel um das Thema Vertrauen und darum, wie leicht es im betrieblichen Alltag verspielt werden kann.
Im letzten Kapitel des Buches schlagen wir die Brücke vom Job zur Familie, die Thema des zweiten Das-tut-man-nicht-Buchs, »Meine Familie, meine Freundin und ich«, ist.
Peter wird zu Wort kommen, der viele Jahre Teilzeit gearbeitet hat, um seine Töchter zu betreuen. Nun sind sie in der Schule und seine Frau, die bisherige Hauptverdienerin, möchte, dass er wieder Vollzeit arbeitet. Doch Peter weigert sich und fragt sich nun, ob er das zu Recht tut.
Wie die Frage von Peter bereits zeigt, geht es in diesem Kapitel häufig um veränderte Rollenbilder. Auch Melanie stellt eine Frage in diese Richtung: Sie ist Junior-Professorin und will sich mit ihrem Mann die Kindererziehung teilen. Beide haben vor, in Elternzeit zu gehen. Danach wollen sie ihr Kind in eine Krippe geben. Doch Melanie wehrt sich gegen den gesellschaftlichen Druck, danach sofort wieder Vollzeit zu arbeiten.
Ungewöhnlich ist auch die Frage von Sebastian, dessen Frau seit Jahren den Lebensunterhalt finanziert. Nun hat sie ein tolles Jobangebot aus den USA bekommen, doch Sebastian will nicht mit ihr auswandern – und fragt sich, ob sich tatsächlich weigern kann. Clemens hingegen möchte wissen, ob er seiner Freundin ein Karriere-Coaching schenken kann.
Die Auswahl der in diesem Buch diskutierten Fragen zeigt die Bandbreite der moralischen Konflikte im Job und im Arbeitsleben. Sie sind spannend, weil sie oft grundsätzlich sind. Es lohnt sich, länger darüber nachzudenken. Oft entspinnt sich darüber auf den Seiten unserer Homepage eine rege, häufig auch sehr emotionale Diskussion der Nutzer.
Das ist eine gute Entwicklung. Denn sie zeigt, dass die jeweiligen Fragesteller mit ihren Dilemmata nicht allein sind. Es gibt viele, die diese Themen umtreiben. Menschen, die nach moralischen »Leitplanken« für ihr Handeln suchen und die sich nicht mit schnellen Antworten zufriedengeben wollen. Lassen Sie uns deshalb noch ein wenig bei der Frage der Leitplanken für das moderne soziale Leben verweilen, bevor wir uns den einzelnen Fragen widmen. Wie können, wie sollen derartige Leitplanken beschaffen sein?
»Wir alle haben ein Bild von uns im Idealzustand«, heißt es in einer Einführung in die Ethik des Markkula Center for Applied Ethics an der Jesuitenschule Santa Clara University in der gleichnamigen kalifornischen Stadt. Das Markkula Center ist eines der weltweit renommiertesten Forschungsinstitute zum Thema Ethik.
Dasselbe gelte für unser Bild einer »ethischen Gemeinschaft, eines ethischen Unternehmens, einer ethischen Regierung oder einer ethischen Gesellschaft.« Die Frage, was Ethik eigentlich sei, beantworten die Autoren wie folgt: »So einfach wie möglich gesagt, bezieht sich Ethik auf verschiedene Verhaltensstandards, die beschreiben, wie Menschen in den vielen Situationen reagieren sollten, die sie als Freunde, Eltern, Bürger, Angestellte, und so weiter erleben.«
Diese Erklärung zeigt schon, wie schwer sich selbst die Wissenschaftler des Markkula Centers tun, den Begriff Ethik zu definieren. Sie ergänzen ihren Definitionsversuch daher zusätzlich mit einem Fünf-Punkte-Katalog, der erklärt, was Ethik nicht ist.
So sei Ethik »nicht das Gleiche wie Gefühle«. Gefühle seien zwar eine gute Basis für ethische Entscheidungen, denn manche Menschen hätten Verhaltensmuster entwickelt, die ihnen klar signalisierten, wenn sie moralisch falsch handelten. Andere aber würden sich auch dann gut fühlen, wenn sie das Falsche täten.
Ethik meint auch nicht Religion. Das ist einleuchtend, obwohl moralische Werte und religiöse Inhalte oft miteinander gleichgesetzt werden: Während nur ein Teil der Bevölkerung religiös gebunden ist, gehen ethische Standards und Fragestellungen jeden an.
Auch die jeweils gültigen Gesetze können nicht als Maß für ethisches Verhalten herangezogen werden. Zwar genügen viele Gesetze in freiheitlichen, demokratischen Staaten auch ethischen Standards, doch kann es immer wieder auch zum Gegenteil kommen. In totalitären Gesellschaften wird man beispielsweise Gesetze finden, die zutiefst unethisch sind. Zudem können Gesetze missbraucht werden, um die Ziele kleiner Gruppen von einflussreichen Gesetzesmachern zu befördern. Ein anderes Problem ist die Zeitverzögerung: Oftmals reagieren Gesetze nur sehr langsam auf gesellschaftliche Ungleichgewichte und Probleme. Sie dienen demnach als Ordnungsregeln des sozialen Zusammenlebens, sind jedoch nicht gleichzusetzen mit einer allgemeingültigen, universalen Ethik.
Ethik hat auch nichts mit Wissenschaft zu tun. Zwar können sowohl die Geistes- als auch die Naturwissenschaften wichtige Erkenntnisse liefern, um ethische Entscheidungen treffen zu können. Doch die Wissenschaft allein kann uns nicht sagen, was zu tun ist. Sie kann im besten Fall erklären, wie Menschen sind. Ethik aber liefert Hilfestellungen für die Beantwortung der Frage, wie Menschen im Idealfall sein müssten.