KATAR - Katharina Füllenbach - E-Book

KATAR E-Book

Katharina Füllenbach

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Beschreibung

Seit der FIFA-Entscheidung für die Austragung der Fußballweltmeisterschaft 2022 in Katar taucht das Land immer wieder mit schwierigen Themen in den westlichen Schlagzeilen auf und hat entsprechende Imageprobleme. Insbesondere der mediale Aufschrei über die Arbeitsbedingungen der ausländischen Arbeiter auf den unzähligen Baustellen hat stark dazu beigetragen, in der Öffentlichkeit wenig differenzierte Vorstellungen und eher dumpfe Ressentiments zu entwickeln, in denen Araber, ohne eigene Leistung reich geworden, ihre Lebensbedürfnisse von schlecht bis gar nicht bezahlten Arbeitssklaven aus der Dritten Welt verrichten lassen. Jenseits solcher Klischees erfährt man eigentlich so gut wie nichts über das Land. Aber wie sieht es da eigentlich aus? Wie leben die Menschen dort? Was beschäftigt sie? Und was nicht? Bisher gibt es so gut wie keine Berichterstattung über einen irgendwie gearteten Alltag oder Stimmungssammlungen jenseits der oben beschriebenen Arbeiter- und Baustellenthematik. Diesen Umstand empfand die Autorin Katharina Füllenbach als ein Manko und fuhr deswegen im Winter 2019 für einen Monat nach Katar, sah sich dort um und suchte den Kontakt und das Gespräch mit der einheimischen Bevölkerung. Ihre Erlebnisse, Eindrücke, Erfahrungen und manchmal erstaunlichen Erkenntnisse und Überlegungen hat sie nun in diesem unterhaltsamen und informativen Reisebericht zusammengefasst.

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KATHARINA FÜLLENBACH

KATAR

NOTIZEN ZU EINER REISE IM WINTER 2019

Reisepostillen Band 8

© 2019 Katharina Füllenbach

Umschlag, Illustration, Photos: Katharina Füllenbach

Technische Unterstützung: Johannes Lamberts

Verlag & Druck: tredition GmbH, Hamburg

ISBN

Paperback ISBN

978-3-7469-8380-6

Hardcover ISBN

978-3-7469-8381-3

e-Book ISBN

978-3-7469-8382-0

Das Werk einschließlich seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und der Autorin unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung und öffentliche Verbreitung.

Vorbemerkung

„Warum denn ausgerechnet Katar?“ war die häufige und etwas irritierte Reaktion meiner Freunde, als wir Ende letzten Jahres über meine diesjährigen Winterreisepläne sprachen.

Die Frage entbehrt vielleicht nicht einer gewissen Berechtigung, denn seit der FIFA-Entscheidung für die Austragung der Fußballweltmeisterschaft 2022 in Katar wollen die Diskussionen über dass Land nicht abreißen. Anfangs hieß es: Um Gottes Willen, dort ist es im Sommer für Fußball doch viel zu heiß. Kein Problem, antworteten darauf sinngemäß die Katari, wenn es gewünscht wird, können wir ganz Doha auch den Sommer über herunterkühlen. Vielleicht war es der FIFA zu heikel, einer solchen Energieorgie zuzustimmen, jedenfalls wurde am Ende der Debatte das Sportereignis auf die Wintermonate verlegt, mit der Konsequenz, dass erneut ein Aufschrei durch die Welt gellte, diesmal weil von dieser Entscheidung die meisten nationalen und internationalen Spielkalender betroffen waren und diese damit tüchtig durcheinander gewirbelt wurden.

Kurz bevor der FIFA-Strudel um Korruptionsvorwürfe und unsaubere Entscheidungsprozesse ihn in den Abgrund riss, murmelte Sepp Blatter schließlich noch den Gedankenfetzen in ein Mikro, dass die Entscheidung für Katar ein Fehler gewesen sei.

Ungefähr zeitgleich, und damit drohte die Stimmung endgültig zu kippen, wurden die Arbeitsbedingungen auf den diversen Stadienbaustellen in Katar medial thematisiert. Menschenrechtsorganisationen legten Statistiken mit über tausend toten Bauarbeitern vor, die Beschreibung der Lebensumstände der Gastarbeiter aus den ärmsten Ländern der Dritten Welt verknüpften sich mit Begriffen wie „Sklaverei“ und „Ausbeutung“, und das Projekt ‚Katar 2022‘ drohte vorzeitig in einem Imagedesaster zu verenden.

In diese medienintensive Situation hinein platzte im Juni 2017 schließlich die für Außenstehende überraschend getroffene Entscheidung der Golfstaaten, die Grenzen nach Katar zu schließen, das Land so von der Außenwelt komplett abzuschotten und alle WM-Vorbereitungen durch die daraus entstehenden Versorgungsengpässe zu ersticken.

Mit all diesen Ereignissen und Informationen wird der westliche Zeitungsleser seitdem immer mal wieder konfrontiert, aber jenseits solcher Schlagzeilen erfährt man eigentlich nicht viel über das Land. Wie sieht es da aus? Wie leben die Menschen dort? Was beschäftigt sie? Und was nicht? Es gibt keine Berichterstattung über einen irgendwie gearteten Alltag oder Stimmungsbilder jenseits der Baustellenthematik. Ist es vielleicht nicht opportun, andere Themen aufzugreifen, solange die Arbeitsbedingungen der Gastarbeiter in Katar vermeintlich oder tatsächlich begründet immer wiederkehrende Aufregung verursachen? Man weiß es nicht.

Die Tatsache aber, dass wir im Westen abgesehen von Skandalüberschriften wenig bis gar nichts über Katar hören, trug maßgeblich zu meiner Entscheidung für die Reise bei, deren Erfahrungen in diesem Buch nun niedergeschrieben vorliegen.

An dieser Stelle muss einmal mehr darauf hingewiesen werden, dass es sich hierbei um einen Reisebericht handelt und nicht um einen Reiseführer oder eine umfassende politische Analyse. Diese Aufzeichnungen wurden nicht verfasst, um einen interessierten Leser in erster Linie sicher und pannenfrei durch das Land zu navigieren. Es werden also weder Empfehlungen gegeben, etwas Bestimmtes zu tun, noch Warnungen ausgesprochen, anderes zu lassen.

Nichts des hier Beschriebenen erhebt außerdem den Anspruch einer politikwissenschaftlich fundierten Betrachtung. Vielmehr sollte dieses Buch verstanden werden als eine Dokumentation von Eindrücken, Beobachtungen und Erlebnissen, die zusammengenommen ein Bild davon geben, wie ich das Land während meines einmonatigen Aufenthaltes erfahren habe. Das bedeutet auch, dass alles hier Beschriebene nicht mehr sein kann als eine Momentaufnahme und Umstände oder Sachverhalte, die sich in den Wochen dieser Reise so dargestellt haben, zu einem anderen Zeitpunkt anders daherkommen oder sich vollständig verändert haben mögen.

Trotz all dieser Einschränkungen hoffe ich, dem Leser eine Idee von Katar zu geben und ihm Lust zu machen, dieses wunderbare, widersprüchliche, multiethnische Land selbst zu bereisen und sich auf einen Alltag einzulassen, der uns in vielem fremd sein mag, dessen unendliche Gastfreundlichkeit den Besucher aber jederzeit auf Händen trägt.

Katharina Füllenbach im März 2019

Hamburg/ Istanbul/ Doha,1. und 2. Februar 2019

Nachdem eine Konferenzteilnahme in der Türkei im vergangenen Jahr von den einladenden türkischen Gastgebern für uns, die deutschen Teilnehmer, mit dem Hinweis auf ein potentielles Sicherheitsrisiko kurzfristig abgesagt worden war, habe ich diesmal lange überlegt, ob eine Reise mit Turkish Airlines via Istanbul nach Katar wirklich schlau sei. Die diesbezüglichen Reaktionen in meinem Umfeld reichten von „Bist du wahnsinnig? “ bis “Ist doch nur Transit ohne Einreise ins Land, was soll da schon passieren?“ Letztere Einschätzung obsiegte schließlich, und so bin ich heute von Hamburg über Istanbul Richtung Doha aufgebrochen.

Der Atatürk-Flughafen ist in jeder Hinsicht ein internationaler Knotenpunkt, den täglich zehntausende Reisende von überall her, nach überall hin frequentieren, und er wirkt beim schnellen Durchlauf von Gate zu Gate groß, elegant und unauffällig. Mit etwas Zeit und beim zweiten Hinschauen, und vielleicht auch mit dünnerer Haut aufgrund der eingangs skizzierten Vorgeschichte, fallen aber auch die ungezählten kurzgeschorenen Anzugträger auf, jeder mit Sprechfunkgerät in der Hand und Mitarbeiterausweis des Sicherheitsdienstes um den Hals. Sie stehen zu zweit oder zu dritt an den strategischen Laufpunkten, den Rolltreppen, den Aus- und Eingängen und sind sowohl unzählig als auch in ihrer Uniformität kaum voneinander zu unterscheiden. (Ein bisschen böswillig betrachtet, wirken sie wie eine türkische Version von Agent Smith aus der Matrix, aber das ist jetzt wirklich eine fiese Assoziation.)

Auch speziell und einer internationalen Drehscheibe des Flugverkehrs wenig angemessen ist der Umstand, dass es für ausländische Reisende nur sehr erschwert Zugang zum Flughafeninternet gibt. (Die entsprechende Anmeldeseite schickt den Besucher im Kreis und verlangt eine Mobilfunknummer, auf die eine Bestätigungsnachricht geschickt werden soll, die tatsächlich nie ankommt.) Befragte Flughafenmitarbeiter kommentieren achselzuckend oder mit resignativ nach oben drehenden Augen den Verdacht, dass die Nutzung - zumindest für Ausländer - offenbar nicht erwünscht ist, und schicken den Reisenden auf Nachfrage viele hundert Meter durch das vor Menschen wabernde Gebäude zum Foot- and Beveragebereich, in dem manche Gastronomien eventuell, aber vielleicht noch am ehesten freie Hotspots anbieten. Es dauert mehr als eine halbe Stunde, bis ein Starbucks gefunden ist, der seinen Gästen diesen an sich ja bisher nicht als Hexenwerk aufgefallenen Service anbietet.

Es fällt mir schwer auseinander zu dividieren, wo mein subjektiver Vorbehalt gegen den aktuellen türkischen Staat mit all seinen Gleichschaltungs- , Überwachungs- und Einschüchterungsstrukturen endet und eine objektiv wahrnehmbare ebensolche Struktur beginnt. Aber am Ende des Tages bin ich zum einen froh, von Starbucks nach einem Schweinsgalopp gerade noch rechtzeitig für das Boarding wieder am Gate zu sein, und zum anderen freue ich mich auch, dieses Land dann ohne Zwischenfälle schnell wieder zu verlassen. ( Und dabei ist es so schön und kulturbesetzt und wird zum großen Teil von ganz wunderbaren und gastfreundlichen Menschen bewohnt. Wirklich jammerschade. )

Später und in Doha angekommen, muss ich allerdings feststellen, dass man manchmal die Türkei nicht so schnell und einfach hinter sich lässt. Mein Koffer ist mit allen Alltagsnotwendigkeiten und vor allem mit aller Sommerkleidung in Istanbul stehen geblieben und wird bestenfalls morgen mit einer anderen Maschine nachgeschickt und ins Hotel gebracht werden. Dieses Missgeschick ist angesichts der am Körper getragenen deutschen Winterkleidung und der örtlichen Temperaturen doppelt unglücklich, erlaubt aber andererseits - so ganz ohne Ballast - eine Busfahrt inklusive Umsteigen vom Flughafen zum Hotel. Mit schwerem Koffer verkneift man sich so etwas ja auch gerne mal. Aber ohne? Wunderbar.

Im schließlich erreichten Hotel erbarmt man sich meiner und bucht mich in eine höhere Zimmerkategorie um, in deren Badezimmer alle existentiellen Artikel liegen, die eine vorläufige Hygieneimprovisation erlauben. Die Zeit bei 28 Grad in schwitziger Winterwolle zu verbringen, bleibt allerdings als Herausforderung bestehen, und das ist für die nächsten Tage auf gar keinen Fall ein akzeptabler Zustand. ▬

Doha, 3. Februar 2019

Mit den am Flughafen teuer gewechselten Geldscheinen der Landeswährung (Riyal) habe ich gestern als erstes eine lokale Simcard für’s Handy gekauft und so im Laufe des Tages mehrfach mit dem Lost-and-Found-Büro an ebenjenem Flughafen telefoniert. Heute Morgen um vier wurde schließlich der vergessene Koffer im Hotel abgegeben, und wahrscheinlich hätte das genauso stattgefunden, wenn ich mich weniger verhaltensauffällig geriert hätte, aber auf Wahrscheinlichkeiten verlasse ich mich in solchen Situationen lieber nicht. Jedenfalls ist der Hausrat jetzt wieder komplett, es gibt eigens mitgebrachten Kaffee zum Frühstück und für den Gang durch die Stadt leichte Sommerkleidung.

In Deutschland war kein einziger Reiseführer zu Katar zu bekommen, und die Verkaufsfachkraft bei ‚Dr.Götze Land&Karte‘ ( Der schönste Buchladen für Reiseliteratur in Hamburg und dem Rest der Welt) erklärte dieses Phänomen mit dem Hinweis, dort werde ständig so viel gebaut und neu entwickelt, dass ein Reiseführer schon veraltet sei, wenn er nach ein paar Monaten Produktionszeit schließlich auf den Markt käme. Ich habe das für Dönschnack gehalten, nach den ersten zu Fuß verbummelten Stunden durch Doha macht die buchhändlerische Erklärung allerdings vollständig Sinn. Überall, und das im wörtlichsten Sinn des Ausdrucks, wirklich überall wird hier gebaut und anscheinend im großen Stil nachverdichtet, d.h. ältere, aber keinesfalls alte, ein- oder zweigeschossige Gebäude werden abgerissen und an ihrer Stelle mindestens sieben Stockwerke neu errichtet. Man erlebt kaum einen Straßenzug, der ohne viele, viele Meter vorbeiziehenden Bauzaun passierbar ist, kein Trottoir, über dem nicht ein Baukran seine Lasten hin- und herschwingt, und kein schweifender Blick, der nicht von vielfachen gelben Westenpunkten unzähliger Arbeiter gelöchert würde. Manche Straßenabschnitte sind wegen der Vielzahl gleichzeitiger Baumaßnahmen und aus Sicherheitsgründen sogar komplett gesperrt, und extra abgestelltes Wachpersonal trägt dafür Sorge, dass kein Unbefugter dort entlang läuft.

Auch eine städtische U-Bahn ist im Werden. Die Haltestellen sind sichtbar im Stadtbild verstreut, und man erzählt, es werde mit Volldampf darauf hingearbeitet, den ersten Streckenabschnitt Ende dieses Monats zu eröffnen.

Es scheint, die ganze Stadt ist im Bauaufruhr begriffen und wird von einer gigantischen Investitions- und Schaffensenergie zum x-ten Mal neu erfunden bzw. weiterentwickelt. Finanzielle Ressourcen limitieren diesen Fortschrittsfuror offensichtlich in keiner Weise, denn die bereits fertig gestellten neuen Gebäude wirken sämtlich hochwertig und mit feinem Sinn für die Details errichtet: Die Architektur ist modern, schafft es aber mit einzelnen Dekorelementen, eine Brücke in ihr arabisch-orientalisches Umfeld zu schlagen.

Stadionbau in der Education City, Doha

Baustelle in Doha

All diese Projekte und Baustellen werden ausschließlich mit Arbeitern aus Pakistan, Bangladesch, Nepal und diversen afrikanischen Ländern bewerkstelligt, und, glaubt man den Zahlen von Wikipedia, dann sind von den rund drei Millionen Einwohnern Katars nur 300.000 Menschen tatsächlich Bürger dieses Landes und die übrigen 2,7 Millionen Arbeitsmigranten aus den oben genannten Weltgegenden.

Dieses Bevölkerungsverhältnis ist vielleicht auch mit ein Grund, warum arabisch zwar die offizielle Amtssprache ist, das tägliche Leben aber nahezu komplett in Englisch stattfindet. Auf diese Sprache konnte man sich dank der Briten wohl historisch und kulturell am leichtesten einigen und damit ein halbwegs funktionierendes Miteinander organisieren. Dass diese gesellschaftliche Übereinkunft für den westlichen Besucher das Leben stark vereinfacht (nicht zuletzt, weil sämtliche Straßen- und Hinweisschilder, Geschäftsbezeichnungen, Informationen und öffentliche Verlautbarungen zweisprachig daherkommen), ist hierbei ein willkommener Nebeneffekt. ▬

Doha, 4. Februar 2019

Der Souq von Doha gliedert sich in mehrere, großzügig angelegte, einstöckige Gebäude, die durch breitere Flanierstraßen mit Restaurants, Cafés und kleinen Boutiquehotels verbunden sind. Hier präsentiert die Polizei die Staatsgewalt hoch zu Pferd, indem sie zu zweit oder zu dritt langsamen Schritts zwischen den Menschen hindurchreitet. Diese Patrouillen werden jeweils gefolgt von einem Mann mit Kehrblech, der eventuell herabfallende Pferdeäpfel sofort einsammelt und auch sonst ist das gesamte Areal dieses Basars peinlichst sauber gepflegt: Die gepflasterten Wege werden nicht nur gekehrt, sondern feucht gewischt und kleinste, festgetretene Schmutzspuren mit Sand und speziellen Steinen vom Pflaster geschmirgelt.