ERITREA - Katharina Füllenbach - E-Book

ERITREA E-Book

Katharina Füllenbach

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Beschreibung

Mit ihrem Buch zu ERITREA legt Katharina Füllenbach nun, nach Reiseberichten über den Iran, Togo, Uganda, die Krim, Russland, Kirgistan, Usbekistan, Katar und die Osttürkei den zehnten Band der Reihe REISEPOSTILLEN vor. Waren die früheren Reiseziele bereits häufig nicht frei von politischen und gesellschaftlichen Ambivalenzen, so stellte Eritrea für die Autorin noch einmal eine besondere Herausforderung dar. Das Land, 1993 auf den Trümmern eines Jahrzehnte langen Befreiungskriegs gegründet, steht nach knapp dreißig Jahren neben gewaltigen Entwicklungsaufgaben auch immer wieder in der internationalen Kritik und wird medial zuweilen als 'afrikanisches Nordkorea' apostrophiert. Mit einer skeptischen Erwartungshaltung, die sich aus spärlichen Vorabinformationen speiste, reiste die Autorin daher im Februar 2020 in das Land und erlebte in vielerlei Hinsicht große und oftmals positive Überraschungen. Ihre Erfahrungen und Eindrücke hat Füllenbach in einem detailreichen Reisebericht zusammengefasst. Ohne dass die Niederschrift Anspuch auf Vollständigkeit oder Objektivität erhebt, mag sie vielleicht einen Anstoß geben zu einer differenzierten Wahrnehmung dieser geschichtsträchtigen und kulturell spannenden Region am Horn von Afrika.

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KATHARINA FÜLLENBACH

ERITREA

NOTIZEN ZU EINER REISE IM WINTER 2020

Reisepostillen Band 10

© 2020 Katharina Füllenbach

Umschlag, Illustration und Photos, sofern nicht anders gekennzeichnet: Katharina Füllenbach

Lektorat: Hans-Henner Becker, Dr. Hildegard Bodendiek-Engels

Verlag & Druck: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg

ISBN

 

Paperback

ISBN 978-3-7482-3181-3

Hardcover

ISBN 978-3-7482-3182-0

e-Book

ISBN 978-3-7482-3183-7

Das Werk einschließlich seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und der Autorin unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung und öffentliche Verbreitung.

Vorbemerkung und Dank

„Einmal hinfahren ist besser, als hundert Mal darüber lesen“ ist ein Erfahrungssatz, dessen Wahrheitsgehalt sich für mich in den letzten Jahren und bei verschiedensten Reisezielen schon häufig bestätigt hat. Dieses Mal war die Überraschung allerdings besonders groß, denn das in Veröffentlichungen überwiegend kreierte Szenario eines „afrikanischen Nordkoreas“ hatte bei der Reisevorbereitung seine Wirkung nicht verfehlt. Mit Skepsis, was mich wohl erwarten würde, war ich daher Anfang Februar losgefahren.

Noch nie habe ich dann die Diskrepanz zwischen angelesenen Informationen und vorgefundener Wirklichkeit als so gravierend empfunden, wie bei dieser jüngsten Reise nach Eritrea. Keines der im Kopf mitgebrachten dunklen Bilder wurde während meines Aufenthaltes tatsächlich bestätigt. Vielmehr habe ich ein Land vorgefunden, dass in seiner jungen Geschichte ganz sicher nicht frei von Mängeln ist, dessen aufrichtiges Bemühen um die Schaffung einer funktionierenden Zivilgesellschaft aber beeindruckt und ernst genommen werden muss.

Ich danke all den wundervollen, warmherzigen, sanften und hilfsbereiten Menschen, denen ich auf meiner Reise begegnet bin und mit denen ich in Bussen, Taxen, Geschäften, Cafés, auf Märkten und Landstraßen gesprochen habe. Sie waren fast ausnahmslos bereit, mir, der Fremden, von ihren Alltagssorgen, Wünschen, Hoffnungen und Träumen für die Zukunft zu erzählen, ohne dabei ihre Unzufriedenheiten oder Kritik an einzelnen Facetten der gegenwärtigen Lebensumstände zurückzuhalten. Ausnahmslos allen gemeinsam war aber auch eine große Verbundenheit mit ihrem Land und die Bereitschaft, seine Existenz auch zukünftig zu verteidigen. Sie alle haben mich tief beeindruckt und mit einer tiefen Bewunderung für ihren souveränen Umgang mit dem kulturellen Erbe und einem vollen Herzen heimkehren lassen.

Katharina Füllenbach, Mai 2020

Asmara, 6. Februar 2020

Seit meiner Ankunft auf dem ‚Asmara International Airport’ morgens um sieben Uhr sind die Dinge erst einmal wie am Schnürchen gelaufen. Passkontrolle und Gepäckausgabe waren in weniger als einer halben Stunde erledigt und auch der Geldwechsel an einem kleinen Schalter der ‚Bank of Eritrea’ stellte kein Problem dar. Die Vermieterin meines Appartements hatte zudem von Washington D.C. aus jemanden organisiert, der mich abholte und in das Viertel etwas außerhalb des Stadtzentrums brachte, in dem ich für die nächsten zehn Tage eine Einzimmerwohnung gemietet habe.

Der Gebäudekomplex, in dem dieses Appartement liegt, wird in einem Internetartikel als eine der größten Wohnanlagen Afrikas beschrieben. Die fünfgeschossigen Wohnblöcke mit je zwei Treppenaufgängen und den drei von dort sich jeweils öffnenden Wohnungstüren wurden in den Neunzigerjahren von einer koreanischen Baugesellschaft errichtet. Knapp eintausenddreihundert Familien leben hier und profitieren von der damals gleich mitgeplanten und erbauten Infrastruktur, die Schulen, Kindergärten, kleine Geschäfte für die Alltagsversorgung und ein Krankenhaus umfasst.

Die angemietete Unterkunft ist ordentlich und der Hauptraum mit allem ausgestattet, was üblicherweise als wohnlich oder gemütlich angesehen wird. Neben Bett, Schrank und Esstisch mit sechs Stühlen dominiert eine üppige Polstergarnitur das Zimmer, in dessen hinterer Ecke ein einwandfrei funktionierender Fernseher mit DVBT-Anschluss und entsprechend vielen internationalen Programmen steht. Der Fußboden ist glatt gekachelt, die Wände wurden verputzt und in einem hellen Blau lackiert. Vor Fenster und Balkontür hängt bodenlang eine weiß-opake Gardine, die tagsüber das Licht durchlässt und nach Einbruch der Dunkelheit neugierige Blicke aus der Nachbarschaft abhält.

Die Küche ist mit der Sorte ältlich verschlissener Möbel bestückt, wie man sie in Wohnungen mit häufig wechselnden Bewohnern gerne antrifft. Mikrowelle und Kühlschrank stehen vor der einzigen Steckdose, die sich später als nicht funktionierend herausstellt und es gelingt mir erst im Laufe der Tage mit einer fußanglerischen Konstruktion aus Verlängerungskabeln quer durch die Wohnung, zumindest den Kühlschrank in Gang zu setzen.

Im Bad stößt man schließlich praktisch und konkret auf ein allseits bekanntes und gravierendes eritreisches Problem mit der Wasserversorgung, welches als fester Bestandteil des Lebens eine Reihe von alltäglichen Improvisationen und in diesem Appartement vor allem bei der Badezimmereinrichtung nach sich zieht. Zwar wurde die Siedlung ursprünglich sowohl mit einem modernen Leitungswasser- als auch Abwassersystem erbaut. Da die Wasserversorgung im ganzen Land jedoch starken Schwankungen unterworfen ist, wird sie wegen offenbar gravierender Versorgungsengpässe in der gesamten Wohnanlage immer wieder unterbrochen und hat, selbst wenn sie funktioniert, nicht genügend Leitungsdruck, um die sanitären Anlagen oder Heißwasserboiler der oberen Stockwerke ihren zugewiesenen Funktionen nachkommen zu lassen. Jede diesbezügliche Hebel- oder Drehbewegung in Küche oder Bad ist also maximal fruchtlos und lässt den gewöhnlichen Nachkriegseuropäer hilf- und ratlos vor einem Phänomen stehen, das er aus dem eigenen Lebensumfeld allenfalls vom Hörensagen kennt.

In meiner aktuellen Unterkunft steht ob dieser Umstände neben der Toilette ein Wassereimer, aus dem mit einer aufgeschnittenen ehemaligen Waschmittelflasche als Schöpfgefäß das WC gespült wird. An der Dusche findet sich eine weitere, freundlicherweise bei meiner Ankunft randvoll gefüllte Wassertonne für die Körperpflege, dazu ein elektrischer Schnellkocher, damit Haarewaschen und sonstige Hygienerituale nicht gar zu sportlich ausfallen.

Im Laufe meines Aufenthaltes wird sich herausstellen, dass es einiger Erfahrung und Übung bedarf, bis jemand wie ich mit dieser ungewohnten Situation zurechtkommt und beispielsweise nicht immer wieder zu geringe Mengen Wasser in die Toilettenschüssel kippt, ohne dass damit wirklich alles weggespült wird, dafür aber der Wasserspiegel insgesamt gefährlich ansteigt. Nach diesbezüglich allerlei frustrierenden Momenten weiß ich mittlerweile, mit welcher Wassermenge und welchem Schwung und Winkel man auf den Abfluss der Toilette zielen muss, damit der Rückstau vermieden und ein maximaler Abfluss herbeiführt wird.

Meine Gastgeber haben zudem auf dem Balkon eine Regentonne befüllt, wobei mir bei Ankunft noch nicht klar ist, wie deren Inhalt von sicherlich einhundert Litern in den dritten Stock des Hauses gelangt ist.

Später werde ich erfahren, dass die Zuleitungen in die Wohnungen schon seit Monaten nicht mehr funktionieren und die Bewohner der Siedlung vollständig auf die öffentlichen Zapfstellen an den Straßenecken angewiesen sind. Auch auf deren Hähne wird - für den Außenstehenden willkürlich, planlos und ohne erkennbare Vorankündigung - nur an manchen Tagen und dann auch nur halbstundenweise Wasser geleitet.

Dieser Umstand lehrt mich im Laufe meines Aufenthaltes, wie es sich anfühlt, wenn man ein- oder bestenfalls zweimal in der Woche morgens plötzlich unten an der Straße Wasser sprudeln hört und dann verzugslos und flinkfüßig seine Eimer oder Kanister zu greifen hat, um für die nächsten Tage versorgt zu sein. Selbstredend bin ich als Fremde da vollständig unbeholfen, mehrfach werde ich während meines Aufenthaltes diesen wichtigen Moment verpassen und kann dann nur noch ein Abschlussgetröpfel des Wasserhahns im Eimer auffangen, bevor der Zufluss wieder vollständig versiegt und es auf eine nächste Gelegenheit zu warten gilt.

Unklar bleibt bis zum Schluss, wie es sich mit den Abwasserleitungen in der gesamten Anlage verhält. In meinem Appartement gibt es da zuweilen ein kleines Problem und ich glaube, meinen Nachbarn geht es ähnlich. In der Innenstadt beobachte ich später immer wieder Männer dabei, wie sie verstopfte Leitungen in Wohnungen oder Geschäften bearbeiten. Dieses Problem erlebe ich in meiner Unterkunft – unvermissterweise und Gott sei Dank – die ganze Zeit über nicht. _

Bei meiner Ankunft hatte ich am Flughafen eine Reihe eritreischer Migranten getroffen, die aus dem Ausland anreisten, weil am Wochenende in Massawa, der geschichtsträchtigen Hafenstadt am Roten Meer, eine drei Tage dauernde Feierlichkeit anlässlich des dreißigsten Jahrestags der Unabhängigkeit stattfinden würde. Diese Information wirft den angedachten und gewohnten Reisebeginn komplett über den Haufen. Nichts ist es also mit einem langsamen Hineingleiten in das neue Umfeld. Stattdessen steht nach kurzem Ankommen, Auspacken und einem schnellen Morgenkaffee ein geschwinder Aufbruch zum Tourismusministerium in der Innenstadt auf dem Plan, um für den Besuch von Massawa am darauffolgenden Tag eine Genehmigung zu bekommen. Alle Ausländer müssen sich eine Fahrt weiter als zwanzig Kilometer hinaus aus Asmara vorab genehmigen lassen. Diese ‚Permissions‘ werden gegen Entgelt zentral vom Ministerium ausgegeben, müssen laut Internet zwei Tage im Voraus beantragt werden und es soll vorkommen, dass sie manchmal auch verweigert werden. Soweit die theoretische Informationslage. Meine Realität läuft im Gegensatz dazu wie folgt ab:

Das winzige Ministerialbüro gegenüber der Kathedrale von Asmara ist mit einem halben Dutzend zauberhafter junger Frauen besetzt, die alle Englisch sprechen und bei den Abläufen zwar nicht in allen Details sattelfest, auf der anderen Seite aber hilfsbereit, auskunftsfreudig und improvisationsfähig sind. Seit dem Friedensschluss mit Äthiopien hat sich Eritrea endgültig den Aufbau einer Tourismuswirtschaft auf die Fahnen geschrieben. Entsprechend hat offenbar heutzutage niemand mehr ein Interesse daran, die bisher wenigen Besucher des Landes mit all der Bürokratie zu behelligen, die zum jetzigen Zeitpunkt noch Standard ist. Und so bringen mich die Frauen - nach Rücksprache mit ihrem Vorgesetzten im Hinterzimmer - auf dem Papier kurzerhand in einem der üblichen Innenstadthotels unter, denn Privatunterkünfte, wie mein Appartement, werden als touristische Unterkünfte nicht anerkannt, womit eine entscheidende Voraussetzung für die Erteilung eines inländischen Reiseerlaubnis nicht gegeben ist.

Jenseits der Tatsache, dass sich für den Außenstehenden zwischen der Unterkunftsart in Asmara und der Erteilung einer solchen Erlaubnis kein rechter Zusammenhang erschließen will, ist die Umgehung der Vorschrift mit einer fingierten Hotelnennung bei meinem Antrag in mehrerlei Hinsicht bemerkenswert. Zum einen zeigt es, dass die Mitarbeiter des Ministeriums die Unterstützung des Tourismus über das Regelwerk einer Administration aus Kriegszeiten stellen, zum anderen kann man den Vorgang als Indiz dafür nehmen, dass später kein Mensch mehr die Angaben auf dem Antragsformular überprüfen wird.

Es dauert eine gute halbe Stunde, dann sind alle Formalitäten erledigt und ich halte eine Quittung über die zum Vorgang gehörenden Gebühren in der Hand, die Erlaubnis für eine Busfahrt nach Massawa im Gegensatz dazu aber einstweilen noch nicht. Sie muss von einer nächsthöheren Instanz zunächst geprüft und abgestempelt werden. Dafür verlässt das Formular mit Photokopien von Pass und Visum das Büro und Gebäude, wird von einem Boten über die Straße getragen und kann erst im Laufe des Nachmittags wieder abgeholt werden. Dann allerdings halte ich sie in Händen und sehe einem Ausflug nach Massawa am kommenden Morgen freudig entgegen. _

Weniger erfolgreich verläuft im Gegensatz dazu mein erster Anlauf, eine hiesige Simkarte für ein Mobiltelefon zu erwerben. Diese Anschaffung erscheint sinnvoll, auch wenn man mit einer solchen Karte keine W-Lan-Verbindung aufbauen kann, denn die meisten Kontakte hier im Land laufen über Telefonnummern und eine lokale Handynummer erleichtert erfahrungsgemäß das Leben bei kurzfristigen Hotelbuchungen oder Verabredungen ungemein.

Die Mädchen im Tourismusbüro schicken mich für die Beantragung zu einer Vertretung von Eritel, der eritreischen Telekommunikationsgesellschaft. Die dortigen Mitarbeiterinnen verweisen weiter auf die Firmenzentrale außerhalb des Stadtzentrums in der Nähe meiner Wohnanlage. Dort dirigiert man mich im ersten Durchgang in den zweiten Stock und auf einen

Büroflur, dessen Türen ausnahmslos verschlossen und die dahinterliegenden Dienstzimmer unbesetzt sind. Folglich verweist man mich daraufhin an das - ebenfalls nahegelegene - zentrale Hauptgebäude des bereits erwähnten Ministeriums für Tourismus. Auch hier treffe ich im ausgewiesenen siebten Stock niemanden an, im Erdgeschoss aber schließlich eine Sachbearbeiterin, die mit meinem Wunsch nach einem Simkartenantrag für Ausländer überhaupt nichts anfangen kann. Es dauert eine ziemlich lange Weile, bis einer ihrer Vorgesetzten gefunden ist, der sich als reizender älterer Herr erweist und schließlich das benötigte Dokument ausstellt. Diese Dienstleistung ist gebührenfrei, allerdings photokopiert er meinen Pass und mein eritreisches Visum für seine Akten und fügt einen weiteren Satz Kopien dem besagten Antrag bei.

Mit dem nun vollständigen Formular nebst Anlagen gehe ich zurück zur Eritel-Zentrale. Hier bittet man mich jetzt an Kassenschalter zwei und dort um umgerechnet knapp vierzig Euro für die Sim und ein erstes Gesprächsguthaben, insgesamt rund fünf Euro mehr, als ein Einheimischer für so ein Paket bezahlt. Mit der Quittung stehe ich anschließend zum x-ten Mal vor dem Schreibtisch der jungen Frau, mit der ich mich inzwischen seit fast drei Stunden immer wieder treffe, um von ihr immer neue administrative Entdeckungstouren zur Erlangung einer Telefonkarte auferlegt zu bekommen. Theoretisch hätte es jetzt klappen können, wäre ihr nicht im letzten Moment aufgefallen, dass dem Antrag auf Simkartenkauf auch ein Passphoto beigelegt werden muss. Im Original und nicht als Photokopie, wie von mir vorgeschlagen. Sie beharrt eisern auf einem richtigen Photo und schlägt mir ob der inzwischen fortgeschrittenen Tageszeit vor, am nächsten Tag - mit einem Photo - noch einmal wiederzukommen. Ich lasse mir entsprechend missgelaunt meine bereits bezahlten sechshundertvierzig Nakfa wieder auszahlen und gehe um einige bürokratischen Erfahrungen reicher, aber fürs Erste ohne Telefonkarte nach Hause. _

Zwei Tage später

Der gestrige Ausritt per Bus nach Massawa anlässlich der Dreißig-Jahr-Feier zur eritreischen Unabhängigkeit war von einem maximalen Misserfolg hinsichtlich des genannten Anlasses gekennzeichnet. Das für Außenstehende, welche die eritreische Unabhängigkeit im Jahr 1993 verorten, irritierende Datum basiert auf der entscheidenden dreitägigen Schlacht zwischen dem achten und zehnten Februar 1990, die unter der Bezeichnung ‚Operation Fenkil’ in die Geschichte Eritreas eingegangen ist und mit der Befreiung Massawas von der äthiopischen Besetzung endete. Für Eritreer markiert der Ausgang dieser schweren dreitätigen Gefechte einen Wendepunkt im Kampf um die Unabhängigkeit und entsprechend wird das Datum im kollektiven Bewusstsein des Landes besonders hochgehalten.

Entgegen aller Auskünfte in Asmara, die Feier dauere von Freitag bis Sonntag, stellte sich vor Ort leider heraus, dass zwar tatsächlich Freitag alle Vorbereitungen getroffen wurden, der offizielle Festakt und das Rahmenprogramm aber nur Samstag und Sonntag stattfinden würden. Das war eine wirklich frustrierende Wendung der Abläufe, passte aber zu allen übrigen Widersprüchen bei Planung und Ausführung der Exkursion.

Für die rund einhundertzwanzig Kilometer lange Fahrt zwischen Asmara und Massawa benötigte der Bus alles in allem nicht - wie Informationen im Vorfeld behauptet hatten – zwei, sondern insgesamt mehr als drei Stunden. Basierend auf der falschen Auskunft hatte ich geplant, um sieben Uhr morgens zu starten, gegen neun in Massawa zu sein, dort bis in den späten Nachmittag den Ereignissen zuzuschauen und dann nach Asmara zurückzukehren. Da ich ein paar Kilometer außerhalb des Zentrums wohne, galt zudem vorab die Anfahrt zum zentralen Busbahnhof zu klären und auch hierfür war auf die Frage nach öffentlichen Verkehrsmitteln vor Sonnenaufgang ein vielstimmiges „No problem“ zu hören gewesen.

Tatsächlich fand sich jedoch kurz vor sechs Uhr morgens kein einziges Sammeltaxi auf der Straße und Busse fuhren aus unerfindlichen Gründen nur in die Gegenrichtung, sodass ich mich schließlich mit eisernem Tippeln zu Fuß Richtung Asmara Zentrum aufmachte. Ich war damit quasi der einzige Fußgänger, aber trotzdem bei weitem nicht allein auf der Straße. Viele Dutzend Fahrradfahrer waren zu früher Stunde unterwegs, auf alten Klappermöhren aus Zeiten der Unabhängigkeitskämpfe ebenso wie auf modernen Mountainbikes oder manchmal sogar Rennrädern. Ich kann meinen Neid auf dieses Fortbewegungsmittel seitdem nicht vollständig unterdrücken und überlege nun, ob es Sinn macht, sich für ein paar Wochen ein gebrauchtes Fahrrad zu kaufen und am Ende des Aufenthaltes wieder zu verkaufen. Aber das nur am Rande.

Für den Moment jedoch war ich gezwungenermaßen per pedes unterwegs und es dauerte rund zwei Kilometer, bis schließlich ein Linienbus vorbeirumpelte und ca. fünfzig Meter vor mir an einer Haltestelle hielt. Ich bin eigentlich zu alt, um hinter einem öffentlichen Verkehrsmittel herzulaufen und meine Bewegungen entbehren bei dieser Aktivität inzwischen jeder Grazie und Anmut. In der aktuellen Situation war die

Maßnahme jedoch alternativlos und ersparte mir weitere drei Kilometer Fußmarsch.

Um Punkt sieben Uhr stand ich an einem der drei Busbahnhöfe Asmaras an der Haltestelle nach Massawa, um halb neun konnte ich schließlich in einen Bus klettern, der in diese Richtung aufbrach. Dem vorausgegangen war eine Vorkontrolle der Wartenden, bei der jeder zugelassene Passagier mit einem Filzstift auf der Hand markiert und damit zum Besteigen des Busses ausgewählt wurde. Was beim Lesen jetzt wahrscheinlich ein wenig seltsam klingt, hat in der Realität den praktischen und begrüßenswerten Effekt, dass immer nur so viele Fahrgäste einsteigen, wie der Bus Sitzplätze hat. Niemand steht im Gang oder sitzt auf dem Fußboden. Wenn alle Plätze besetzt sind, ist der Bus ausgebucht und fährt los. Diese vernünftig anmutende Regelung gilt – wie sich am Abend auf der Rückfahrt herausstellen sollte - nicht für Minibusse, die die Strecke ebenfalls befahren. In diese Gefährte werden Menschen hineingestopft, bis allen der Erstickungstod droht. Und da auf dem Dach weitere Ladeflächen existieren, stapelt man dort noch allerhand Waren in Kisten und Säcken, die gegen Entgelt auf die Fahrt mitgenommen werden.

Angeblich brauchen diese Kleinbusse deutlich weniger Zeit für die Strecke als die großen Linienbusse. Nach der gestrigen Versuchsanordnung kann ich verifiziert sagen, dass dies nicht der Fall ist. Im Gegenteil. Wahrscheinlich weil vom Dach herunter immer wieder etwas aus- und abgeliefert werden muss und zudem permanent Passagiere auf der Strecke ein- und aussteigen, dauert die Fahrt alles in allem eine halbe Stunde länger.

Insgesamt war ich bei diesem Tagesausflug mit einem vierstündigen Aufenthalt in der Stadt selbst, hin und zurück also sieben bis acht Stunden im Bus mit einem Höhenunterschied von gut zweitausendfünfhundert Metern vom Hochland ans Rote Meer und wieder zurück unterwegs. In dieser Zeit habe ich einen wunderbaren ersten Eindruck von Massawa bekommen, über das an anderer Stelle noch ausführlich berichtet werden soll. Die Festlichkeiten zur Befreiung Eritreas sind jedoch vollständig an mir vorübergegangen und ich habe, ob der Besonderheit der Situation, überlegt, vielleicht sonntags für den letzten Tag der Festivitäten diese Affentour noch einmal zu wiederholen. Eventuell diesmal sogar mit ein paar Programmdaten, was an dem Tag stattfindet. Für deren Recherche treffe ich am nächsten Tag im Tourismusbüro neuerlich auf hinreißende junge Menschen, die bisher weder ein Programm der Massawa-Feier gesehen haben, noch wissen, wo man es bekommen kann. Sie merken selbst, dass hier wohl noch Raum für Verbesserungen des Dienstleistungsangebots besteht und bekunden mehrfach ihr Bedauern, keine Auskunft geben zu können. Das hilft mir aber aktuell nicht weiter und es bleibt für mehrere Stunden die spannende Frage, ob, wo und wie ich Informationen bekomme, um zu entscheiden, inwiefern der neuerliche Gewaltakt einer Busfahrt nach Massawa angezeigt ist.