Kathleen: Dein Weg zu mir - C. M. Spoerri - E-Book

Kathleen: Dein Weg zu mir E-Book

C.M. Spoerri

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Beschreibung

Abschalten vom stressigen Alltag und eine unbeschwerte Zeit in paradiesischer Landschaft genießen. Das sind die Vorsätze von Kate, als sie für einige Wochen ins Napa Valley reist, um ihre Freundin Emilia zu besuchen. Da kommt ein Weinfest gerade gelegen - ebenso wie ein heißer Gutsherr namens Jordan in einem dunklen Weinkeller. Wäre dieser Kerl doch nur nicht so ein Griesgram ... aber hey, sie muss ihn ja nicht wiedersehen. Dass die Begegnung mit Jordan jedoch höhere Wellen schlägt als gedacht, erfährt sie kurze Zeit später. Denn das Leben des Weingutbesitzers ist nicht nur kompliziert, sondern auch düster.

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Informationen zum Buch

Impressum

Widmung

Kapitel 1 - Jordan

Kapitel 2 - Kathleen

Kapitel 3 - Kathleen

Kapitel 4 - Kathleen

Kapitel 5 - Jordan

Kapitel 6 - Kathleen

Kapitel 7 - Jordan

Kapitel 8 - Kathleen

Kapitel 9 - Jordan

Kapitel 10 - Kathleen

Kapitel 11 - Jordan

Kapitel 12 - Kathleen

Kapitel 13 - Jordan

Kapitel 14 - Kathleen

Kapitel 15 - Jordan

Kapitel 16 - Kathleen

Kapitel 17 - Kathleen

Kapitel 18 - Kathleen

Kapitel 19 - Kathleen

Kapitel 20 - Kathleen

Kapitel 21 - Jordan

Kapitel 22 - Kathleen

Kapitel 23 - Jordan

Kapitel 24 - Kathleen

Kapitel 25 - Jordan

Kapitel 26 - Kathleen

Kapitel 27 - Jordan

Kapitel 28 - Jordan

Kapitel 29 - Kathleen

Kapitel 30 - Jordan

Kapitel 31 - Kathleen

Kapitel 32 - Jordan

Kapitel 33 - Kathleen

Kapitel 34 - Kathleen

Kapitel 35 - Kathleen

Kapitel 36 - Jordan

Kapitel 37 - Kathleen

Kapitel 38 - Jordan

Kapitel 39 - Jordan

Kapitel 40 - Kathleen

Kapitel 41 - Jordan

Schlusswort

Weiterlesen ...

 

C. M. Spoerri

 

 

Kathleen

Dein Weg zu mir

 

 

New Adult Liebesroman

 

Kathleen – Dein Weg zu mir

Abschalten vom stressigen Alltag und eine unbeschwerte Zeit in paradiesischer Landschaft genießen. Das sind die Vorsätze von Kate, als sie für einige Wochen ins Napa Valley reist, um ihre Freundin Emilia zu besuchen. Da kommt ein Weinfest gerade gelegen – ebenso wie ein heißer Gutsherr namens Jordan in einem dunklen Weinkeller. Wäre dieser Kerl doch nur nicht so ein Griesgram … aber hey, sie muss ihn ja nicht wiedersehen. Dass die Begegnung mit Jordan jedoch höhere Wellen schlägt als gedacht, erfährt sie kurze Zeit später. Denn das Leben des Weingutbesitzers ist nicht nur kompliziert, sondern auch düster.

 

Die Autorin

C. M. Spoerri wurde 1983 geboren und lebt in der Schweiz. Sie studierte Psychologie und promovierte im Frühling 2013 in Klinischer Psychologie und Psychotherapie. Seit Ende 2014 hat sie sich jedoch voll und ganz dem Schreiben gewidmet. Ihre Fantasy-Jugendromane (›Alia-Saga‹, ›Greifen-Saga‹) wurden bereits tausendfach verkauft, zudem schreibt sie erfolgreich Liebesromane. Im Herbst 2015 gründete sie mit ihrem Mann den Sternensand Verlag.

www.sternensand-verlag.ch

[email protected]

 

1. Auflage, Dezember 2018

© Sternensand Verlag GmbH, Zürich 2018

Umschlaggestaltung: Rica Aitzetmüller

Korrektorat: Sternensand Verlag GmbH | Jennifer Papendick

Satz: Sternensand Verlag GmbH

 

ISBN (Taschenbuch): 978-3-03896-025-6

ISBN (epub): 978-3-03896-026-3

 

Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

Dies ist eine fiktive Geschichte. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

 

 

 

 

Für alle Paradiesvögel

und jene, die sich manchmal so vorkommen.

Bleibt, wie ihr seid,

denn ohne euch wäre die Welt um vieles farbloser.

 

Kapitel 1 - Jordan

 

»Papá! Hör auf! Bitte! «

Meine Schreie schienen ihn nicht zu erreichen – ebenso wenig wie meine Tränen. Ich kauerte in einer Ecke, die Arme schützend über meinen Kopf gelegt, versuchte, den Schmerz, der meinen ganzen Körper durchzuckte, nicht zu nahe an mich heranzulassen. Aber er ging nah. Sehr nah. Drang tief in mein Innerstes, setzte sich dort als zähe, dunkle Masse fest … würde mich von innen heraus zerfressen, alles abtöten. Zurück bleiben würde nur eine leere Hülle … doch der Schmerz würde nicht aufhören und in dieser Hülle widerhallen …

»Marco! Hör auf!«

Meine Mutter … sie winselte förmlich um Gnade, bettelte, schrie … aber mein Vater schlug nur noch härter zu. Ich spürte bereits die Striemen auf meinen Unterarmen und meinem Oberkörper, die ich trotz der heißen Temperaturen wieder mit einem langen Pullover verbergen müsste. Mein Vater zwang mich dazu … niemand sollte Verdacht schöpfen. Niemand wissen, was er Mamá und mir zu Hause antat …

Ich schloss die Augen und begann zu beten. Ich betete zum lieben Gott. Zur Heiligen Jungfrau. Zu Jesus. Doch keiner hörte mein Flehen. Die Schläge brachen nicht ab … sie dauerten so lange, bis ich bewusstlos wurde … so war es immer …

 

Ich keuchte laut auf und bemerkte, dass ich kerzengerade in meinem Bett saß. Mein ganzer Körper zitterte und mir war eiskalt, obwohl der Schweiß über mein Gesicht und meinen Rücken lief. Es dauerte eine Weile, bis ich begriff, dass ich nicht mehr fünf Jahre alt war … dass Papá mich nicht mehr mit seinem Gurt schlug.

Ich war erwachsen, ein junger Mann von siebenundzwanzig Jahren.

Mein Herz raste dennoch und mein Atem ging flach und unregelmäßig. Zum Glück brannte mein Nachtlicht (ohne Licht schlief ich nie), sodass ich sofort erkannte, wo ich mich befand.

Hunter, der auf meinem Bett lag, hob träge blinzelnd den Kopf. Er war mir damals vor sechs Jahren als abgemagertes Kätzchen zugelaufen und vom ersten Moment an hatten wir einen Draht zueinander gehabt. Ich hatte ihn aufgepäppelt und großgezogen. Er übernachtete meist in meinem Bett und gab mir zumindest ein bisschen das Gefühl von Sicherheit … so auch jetzt. Ich strich ihm fahrig mit den Fingern durch den pechschwarzen Pelz, was ihn leise schnurren ließ.

Das Klopfen, das an der Tür ertönte, die nicht zu meinem Wohnzimmer, sondern zum Gang führte, ließ mich mit einem Keuchen zusammenfahren.

Verdammt … diese Schreckhaftigkeit … diese Hilflosigkeit … ich hasste sie! Ich hasste sie so sehr!

Langsam wurde die Tür geöffnet und das hellere Licht aus dem Flur dahinter drang durch den Spalt.

Ich konnte die Umrisse des Mannes erkennen, der zögernd mein Zimmer betrat und musste mich zusammenreißen, nicht panisch aus dem Bett zu springen.

Es war nicht mein leiblicher Vater, sondern Álvaro, der dort stand. Mein Stiefvater.

Mein Verstand wusste das, aber meine verbrannte Seele schrie mir zu, zu fliehen, so lange ich noch konnte.

Ich strich mir mit der Hand über die schweißnasse Stirn und vergrub die Finger dann wieder in Hunters Fell.

»Wieder Albträume?«, fragte Álvaro leise.

Ich stieß ein leises Stöhnen aus und schüttelte den Kopf. »Mir geht’s gut.«

Das war gelogen. Mir ging’s beschissen. Aber ich wollte meinen Stiefvater nicht mit meinen Sorgen behelligen. Er hatte genug um die Ohren mit den Ereignissen der vergangenen Wochen. Als sich mit einem Mal ein Mädchen bei ihm als seine leibliche Tochter vorgestellt hatte …

Noch immer spürte ich den Ärger, wenn ich daran dachte, wie sie sich aufspielte und ich kämpfte gegen den Drang, das zu verteidigen, was mir etwas bedeutete – auch vor ihr. Aber nach und nach versuchte ich, mich für Álvaro zu freuen. Er war seither wie ausgewechselt, lachte wieder, machte Scherze. Regungen, die ich bei ihm seit Mutters Tod nicht mehr gesehen hatte …

»Willst du darüber reden?« Die Silhouette meines Stiefvaters blieb unschlüssig in der Tür stehen.

Er war ein stattlicher Mann, doch sein Herz machte nicht mehr ganz so mit wie früher. Ansonsten war er aber kräftig und packte auf unserem Weingut an.

Erneut schüttelte ich den Kopf. »Geh schlafen, morgen wird ein anstrengender Tag.«

»Gut.« Ich vermeinte, ihn nicken zu sehen. »Aber wenn etwas ist, dann …«

»Dann komm ich zu dir«, vollendete ich seinen Satz. »Danke.«

»Ich liebe dich, Jordan«, murmelte er.

Ich starrte in die Dunkelheit und wartete, bis die Tür wieder geschlossen war, ehe ich mich zurück in die nassgeschwitzten Laken fallen ließ.

Ich liebe dich …

Worte, die ich nie irgendjemandem sagen würde. Nie. Denn LIEBE war das hässlichste Wort, das ich kannte. Es war hinterhältig, egoistisch, grausam …

Meine Mutter hatte meinen Vater geliebt. Sie hatte es immer wieder beteuert, wenn er sich voller Reue in ihrem Schoss ausgeheult hatte. Immer und immer wieder hatte sie ihm aus Liebe verziehen. Nur, um einige Tage später erneut von ihm geschlagen zu werden.

Wenn DAS Liebe war, dann wollte ich mit ihr nichts zu tun haben.

Wäre Álvaro damals nicht auf unser Weingut gekommen und hätte er meinen Vater nicht irgendwann aus dem Haus gejagt … wer wusste schon, wie lange Mamá und ich noch hätten leiden müssen? Vielleicht unser ganzes Leben … aber Álvaro hatte uns gerettet, hatte meine Mamá geheiratet und mit ihr Kevin, meinen jüngeren Bruder, bekommen.

Ja, ich mochte Álvaro. Und auch Kevin. Und ich würde sie mit allem, was ich hatte, beschützen. Aber LIEBE. Nein, die empfand ich nicht. Für niemanden. Und ich wäre auch nicht so dumm, mich jemals von jemandem so sehr um den Finger wickeln zu lassen wie Mamá es bei Papá getan hatte. Nie.

Ich atmete leise ein und aus, versuchte, in den Schlaf zurückzufinden. Aber meine Angst vor erneuten Albträumen verhinderte das.

Irgendwann sah ich auf den altmodischen Wecker, der auf meinem Nachttisch stand. Es war bereits vier Uhr früh. In zwei Stunden würde ich ohnehin aufstehen, das konnte ich auch jetzt gleich tun.

Mit einem Ächzen wälzte ich mich unter Hunters leise maunzendem Protest aus dem Bett und zog mir ein Hemd sowie eine Hose an. Ich tat es im Dunkeln, da ich meinen Körper nicht mochte. Die Striemen auf meinem Rücken und meinem Oberkörper waren das Einzige, was Vater mir hinterlassen hatte … er hatte mich gezeichnet. Mit seiner LIEBE. Und jedes Mal, wenn ich meine Narben ansah, spürte ich wieder diesen unbändigen Hass in mir, die Wut auf den Mann, dessen Lenden ich entsprungen war. Und den Ekel. Vor ihm, vor mir … nein, das wollte ich mir nicht geben.

Daher hatte ich mir angewöhnt, morgens im nahegelegenen Weiher eine Runde schwimmen zu gehen – egal bei welcher Temperatur, selbst im Winter. Denn dies war meine einzige Körperhygiene für den Tag, abgesehen von Deo und Rasierschaum. Mein Bruder Kevin lachte mich immer aus deswegen, aber der hatte ja auch nie das erlebt, was ich erdulden musste. Und ich würde alles daran setzen, dass das so blieb, denn sein Lachen war noch echt. Fröhlich. Glücklich. Gefühle, die ich niemals hatte und auch nie haben würde. Dafür war ich inzwischen zu kaputt.

Also stapfte ich aus dem Haus und schlang die Arme um den Körper, denn es war Spätherbst und wurde morgens merklich kühler. Wie immer hatte ich ein Handtuch über die Schulter geworfen und ging den schmalen Weg zwischen den Weinreben entlang, der zum See führte, in welchem ich schon als kleiner Junge gern badete. Die Vögel waren gerade dabei, zu erwachen und zwitscherten noch nicht so motiviert wie sonst – auch ihnen schien kalt zu sein.

Der Weg führte mich schließlich zu dem Gewässer, das von einigen Bäumen und Büschen umgeben war und mein Badezimmer ersetzte. Letzteres benutzte ich nur, um mich ab und an zu rasieren, mir war aber ohnehin egal, was die Leute über mein Aussehen dachten, also vergeudete ich selten Zeit im Bad.

Ich zog mich splitternackt aus und sprang ins kühle Wasser, ehe ich zu viel von meinem eigenen Körper sehen musste. Es tat gut, die Kälte in meine Poren dringen zu spüren. In diesen Momenten fühlte ich mich lebendiger als irgendwann sonst.

Zügig drehte ich eine Runde durch den Weiher, der ungefähr fünfhundert Fuß Durchmesser besaß. Am Ufer wuchs Schilf und ein kleiner Bootssteg war sogar zu finden – allerdings kein Boot, denn das war bei einem Unwetter gekentert und ich hatte keine Muse gefunden, es zu bergen oder ein neues zu kaufen. Nun diente der Steg dazu, dass ich mich hinsetzen und nachdenken konnte … über mich, mein Leben … die beschissene Vergangenheit … einfach alles. Hier störte mich niemand, da der Weiher zu unserem Grundstück gehörte, und meine Familie wusste, dass sie mich alleine lassen sollte, wenn ich mich hier aufhielt.

Es war wahrscheinlich der einzige Ort auf dieser Welt, an dem ich so etwas wie Frieden empfinden konnte. Und gerade heute hätte ich die Energie nötig, die ich hier tankte, denn Álvaro wollte zu Ehren seiner neuen Tochter ein Fest geben.

Ich hasste es, wenn irgendwelche Fremden im Haus waren, die sich aufführten, als wären sie unsere besten Freunde. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte es gereicht, im kleinen Kreis zu feiern. Nur mein Stiefvater, Kevin und meinetwegen auch Selena, die ja nun irgendwie dazugehörte.

Aber nein … Álvaro hatte das halbe Sonoma Valley eingeladen – und dazu noch die Freunde von Selena aus dem Napa Valley. Das einzig Gute daran war, dass auch Armando Pérez herkommen würde, einer der bekanntesten Weinhändler der Region. Mit ihm wollte ich mich ohnehin seit Wochen treffen, aber leider waren uns immer wieder Termine dazwischen gekommen. Er hatte vor einiger Zeit unseren neusten Jungwein für sich entdeckt und wollte ihn nun groß rausbringen. Es galt, ihn auch von unseren anderen Weinen zu überzeugen, denn Pérez hatte – trotz seines jungen Alters – Beziehungen weit über die Region hinaus und sogar nach Europa, wo man bisher meist nur die Weine aus dem Napa Valley kannte. Er hatte einfach ein Händchen für die richtigen Kunden und womöglich konnte er uns helfen, bekannter zu werden. Ich würde zumindest alles daran setzen, dass er unsere Trauben ebenso schätzen lernte wie ich.

Pérez war also der einzige Grund, wieso ich überhaupt zugesagt hatte, am Fest teilzunehmen. Normalerweise hielt ich mich von solchen Anlässen fern, suchte irgendeine Ausrede, wieso ich unpässlich war. Aber die Chance, die sich damit auftat, konnte ich nicht von der Hand weisen.

Fröstelnd verließ ich das Wasser und rubbelte meinen Körper trocken, ehe ich wieder in meine Kleider stieg. Es gab noch einiges zu tun, bis die Gäste ankamen und ich wollte Álvaro so gut es ging entlasten. Er sollte den heutigen Tag genießen und sich über seinen Besuch freuen – wenn ich es schon nicht tat.

Kapitel 2 - Kathleen

 

»Kate!«

Emilias Stimme hätte ich unter Tausenden erkannt, auch ohne ihr freudestrahlendes Lächeln zu sehen, das sie mir schenkte, als ich aus dem Taxi stieg und über den Innenhof auf sie zuging.

Das dunkle Haar trug sie zu einem Pferdeschwanz zusammen genommen, die ebenso dunklen Augen, die ihre lateinamerikanische Herkunft verrieten, glänzten vor Freude. Seit der Geburt ihres Sohnes Enrico hatte sie ein paar Kilos zugelegt, was ihr aber äußerst gut stand. Sie war früher meiner Meinung nach viel zu dünn gewesen.

»Emilia!« Ich stellte meinen Koffer mitten im Hof ab, breitete die Arme aus und rannte ihr das letzte Stück entgegen. »Waaah, wie ich mich freue, dich wiederzusehen!«

Als ich sie in meine Umarmung zog, spürte ich tatsächlich mein Herz schneller schlagen. Ich liebte Emilia von ganzem Herzen. Wir hatten uns in New York kennengelernt, wo sie ein paar Jahre verbracht hatte, ehe sie ins Napa Valley zurückkehrte, um das Weingut ihrer verstorbenen Eltern zu leiten.

Ich erinnerte mich noch ganz genau an den Abend, als wir in dieser Bar in New York saßen und sie die schreckliche Nachricht vom Autounfall erhielt. Damals hatte ich meiner Freundin beigestanden, war mit ihr ins Napa Valley gefahren und hatte geholfen, die Beerdigung zu organisieren. Auch wenn ich leider nur kurze Zeit bei ihr sein konnte, so hatte ich alles in meiner Macht stehende getan, um ihr zu helfen. Seither hatte ich sie besucht, wann immer mein Beruf es zuließ.

Und aktuell hatte ich mir kurzerhand eine Auszeit genommen, da ich endlich mal etwas Energie tanken musste. Die Arbeit war anstrengend und zehrte an meinen Kräften.

Die wenigsten, die mich sahen, hätten mir wohl zugetraut, dass ich eine erfolgreiche Kunsthändlerin war. Meine Frisur, deren Farbe ich alle paar Wochen wechselte, das Piercing in meiner Augenbraue und mein (zugegeben) verwegener Kleidungsstil, der wohl am besten als ›Punk, der in einen Regenbogen gepurzelt ist‹ beschrieben werden konnte, ließen aber auch eher auf eine exzentrische Künstlerin als eine Geschäftsfrau schließen.

Aber DAS war genau mein Ass im Ärmel. Viele unterschätzten mich, glaubten, ich würde nichts von dem verstehen, was ich tat – und genau denen konnte ich mit meinem Fachwissen imponieren. Es war nun mal beeindruckender, wenn eine junge hippe Frau einem die genauen Eckdaten eines ›Renoir‹ herunterbeten konnte, als wenn es ein verstaubter Frackträger tat.

Ich hatte zudem schon einige junge Künstler entdeckt und mit Ausstellungen in New York gefördert, sodass ich mir einen richtig guten Ruf in der Szene erarbeitet hatte. Außerdem besaß ich einen kleinen Kunstladen, in welchem ich seltene Sammlerstücke verkaufte. Er wurde von meinem treuen Mitarbeiter Hannes geleitet, der mir auch jetzt den Rücken freihielt, sodass ich meine Auszeit genießen konnte. Im Napa Valley bei meiner Freundin, die mich gerade so fest drückte, als wolle sie mich nie wieder loslassen.

»Wo hast du denn deinen sexy Latino?«, fragte ich lachend.

Nun ließ sie mich doch los und grinste. »Der ist in den Weinreben. Als er hörte, dass du heute schon kommst, ist er geflohen und meinte, er wolle bei unseren Frauengesprächen nicht stören.«

Natürlich wusste ich, dass er es nicht so gemeint hatte. Alejandro und ich verstanden uns prächtig – zumindest wenn es nach mir ging. Ich hegte jedoch den Verdacht, dass er manchmal mit meiner unverblümten, direkten Art so seine Probleme hatte. Aber ich liebte es, wenn er mit seinem spanischen Akzent über Wein sprach. Oder über was auch immer. Von mir aus hätte er sogar aus der Bibel lesen können und ich wäre augenblicklich gläubig geworden.

»Und der Kleine?«, fragte ich, während wir zusammen zu meinem Koffer gingen.

»Miguel wickelt Enrico gerade. Er freut sich mindestens so sehr auf dich, wie ich.« Sie zwinkerte mir zu.

Ich lächelte. Miguel war der alte Hausdiener vom Weingut ›dos Santos‹ und ich hatte ihn bereits beim ersten Mal, als ich ihn sah, ins Herz geschlossen. Wie auch sein Neffe Alejandro, besaß Miguel mexikanische Wurzeln und eine Ausstrahlung, bei der man einfach nicht anders konnte, als sich in ihn zu verlieben. Auch wenn (oder gerade weil) er mein Großvater hätte sein können, vergötterte ich ihn.

Ein freudiges Bellen riss mich aus meinen Gedanken und als ich mich umblickte, sah ich die braune Mischlingshündin Princesa, das Maskottchen des ›dos Santos‹-Weingutes, auf mich zu humpeln. Ich ging in die Hocke und ließ meine Hand von der schwanzwedelnden Hündin ablecken. Princesa schien gar nicht mehr zu wissen, ob sie bellen, winseln oder jaulen sollte. Ein freudiges Fiepen war die Kombination ihrer Begrüßung und ließ mich auflachen.

»Sie hat dich wohl auch vermisst«, meinte Emilia schmunzelnd.

»Anscheinend«, grinste ich, während ich den Bauch des alten Hundes kraulte, der sich inzwischen vor mir auf den Rücken gelegt hatte.

»Wir sollten rein gehen, dann kannst du dich in deinem Zimmer einrichten und wir können nachher bei einem Glas Wein im Hinterhof sitzen, um über gute alte Zeiten zu plaudern«, schlug meine Freundin vor.

Ich wollte ihr gerade zustimmen, da rollte sich Princesa ruckartig wieder auf den Bauch und begann zu knurren. Ich hatte keine Ahnung, warum sie das tat, denn bisher hatte sie sich mir gegenüber immer friedfertig gezeigt. Als ich aber bemerkte, dass ihr Blick nicht auf mich, sondern hinter mich gerichtet war und dass Emilia ebenfalls mitten in der Bewegung innehielt, drehte ich mich auch um.

Wen ich dort sah, war der wahrgewordene Traum aller Schwiegermütter. Sein dunkelblondes Haar und das breite Grinsen erinnerten stark an Chris Hemsworth – ja, er hätte definitiv als Hollywood-Schauspieler Karriere machen können. Er war gerade aus seinem schwarzen Mercedes gestiegen, den ich gar nicht auf den Innenhof hatte fahren hören. Sein athletisch gebauter Körper steckte in einem piekfeinen Anzug, die smaragdfarbenen Augen waren auf Emilia und mich gerichtet, dennoch konnte ich eine Spur Zögern darin erkennen, die zweifellos auf das knurrende Hundemädchen zurückzuführen war.

»Armando!«, rief meine Freundin und ließ den Koffer los, den sie bis dahin gehalten hatte. »Was tust du denn hier?«

Ich wusste, dass zwischen ihr und dem gutaussehenden Weinhändler inzwischen alles geklärt war – und ich selbst hatte dazu beigetragen, dass ihre gemeinsame Vergangenheit nicht länger als nötig dauerte. Daher richtete ich mich nun ebenfalls mit einem freundlichen Schmunzeln auf und strich mein knallgrünes Kleid glatt, das ich mir von einem von New Yorks bekanntesten Designern hatte auf den Leib schneidern lassen.

»Zwei so bezaubernde Señoras«, grinste Armando und kam mit ausgebreiteten Armen auf uns zu, nicht ohne die weiterhin knurrende Hündin im Blick zu behalten.

Emilia schimpfte leise mit Princesa und schickte sie dann weg, was Armando sichtlich zu erleichtern schien.

»Ich wollte kurz mit dir wegen dem neuen Wein sprechen, Emilia.« Er warf mir einen raschen Blick zu, schien mich erst jetzt wirklich zu erkennen. »Kate!« Er stolperte kurz über seinen eigenen Charme, fing sich aber sofort wieder. »Emilia hat mir nicht erzählt, dass du herkommen wirst.«

»Sie ist dir wohl auch keine Rechenschaft schuldig«, lächelte ich und streckte ihm die Hand entgegen, die er artig schüttelte.

Mein Blick glitt forschend über sein attraktives Gesicht. Einen gewissen Beschützerinstinkt meiner Freundin gegenüber konnte ich einfach nicht unterdrücken, aber Armando schien so ausgelassen und gelöst, wie selten zu sein. Emilia hatte mir bei einem unserer letzten Skype-Gesprächen erzählt, dass er seit etwas mehr als einem Jahr eine feste Freundin hatte und sogar plante, mit ihr zusammenzuziehen. Etwas, das ich bei ihm als Letztes vermutet hätte. Aber Wege waren unergründlich – und womöglich hatte er seinen inzwischen wirklich im Napa Valley gefunden …

Das freute mich einerseits für ihn, andererseits trauerte ich auch mit einem weinenden Auge dem Ende seines Junggesellen-Daseins hinterher. Hey, man hatte schließlich nicht jeden Tag das Vergnügen, einen so hübschen Kerl kennenzulernen. Und jetzt war er vom Markt … tja.

»Schön dich wiederzusehen, Prinz Charming«, schmunzelte ich.

»Ebenso Bonita.« Er schenkte mir ein besonders charmantes Lächeln. »Ist eine Weile her, dass wir uns gesehen haben. Du bist gerade erst angekommen?« Er deutete auf den Koffer, der immer noch hinter mir und neben Emilia stand.

»Jap«, antwortete ich. »Du ebenso, wie mir scheint?«

Er war eine Sekunde verwirrt, da ich ihm einen zweideutigen Blick schenkte, und nickte dann. »Äh … Ja. Ich muss mit Emilia wegen diesem neuen Wein sprechen«, wiederholte er und wandte sich an meine Freundin. »Ich hatte eigentlich gehofft, dich nachher auf dem ›Camillo‹-Weingut zu sehen, aber mit deiner WhatsApp–Nachricht hast du meinen Hoffnungen einen Strich durch die Rechnung gemacht. Und da ich gerade in der Gegend war, dachte ich, ich komm kurz persönlich vorbei, ehe ich ins Sonoma Valley losfahre.«

Emilia lachte leise auf und trat neben mich. »Ich habe wirklich keine Zeit, zu dieser Feier zu kommen. Wie du siehst, ist meine Freundin her gefahren – sie verbringt die nächsten Wochen bei uns.«

Armandos Blick glitt wieder zu mir und er nickte. »Dann bring sie doch einfach mit?«

Ich sah Emilia fragend an. »Von was für einer Feier sprecht ihr denn?«

»Nun …« Emilia runzelte die Stirn. »Auf einem Weingut im Sonoma Valley hat gerade ein befreundeter Weinbauer seine Tochter wiedergefunden. Er und mein Vater waren enge Freunde und ich stehe immer noch in Kontakt mit ihm. Sehr netter Mann, er heißt Álvaro. Jedenfalls … seiner Tochter zu Ehren veranstaltet er ein riesiges Fest und hat uns eingeladen. Aber da du dort niemanden kennst, und wir uns schon so lange nicht mehr gesehen …«

»Du bist echt zu einem Weinfest eingeladen und willst nicht hin?!«, unterbrach ich sie mit großen Augen. »Emi, das geht doch nicht! Ich bin gerade erst angekommen, ja. Aber wir müssen zu diesem Fest! Das klingt nach Spaß, Drama und … viel Wein.«

Emilia verzog ihr Gesicht, als ich sie mit ihrem Spitznamen ansprach, den sie nicht mochte (ich hatte ihn von ihrem Mann Alejandro abgeguckt, wenn dieser sie ärgern wollte) und wollte etwas erwidern, aber da kam ihr Armando zuvor.

»Meine Rede«, pflichtete er mir grinsend bei. »Zudem ist es eines der besten Weingüter des Sonoma Valleys.«

»Echt?« Ich wandte mich dem dunkelblonden Weinhändler zu. »Na dann umso mehr.«

»Ich kann doch Enrico und Alejandro nicht einfach alleine lassen«, meinte meine Freundin ausweichend. »Die meisten Gäste übernachten dort …«

»Noch besser, dann können wir trinken, bis der Arzt kommt«, grinste ich.

»Aber ich habe ein Baby, um das ich mich kümmern …«

»Ach, Alejandro schafft das auch ohne dich«, warf ich mit möglichst überzeugender Miene ein. »Komm schon, lass uns Spaß haben! Wir fahren zu diesem Weingut, feiern die verloren geglaubte Tochter und lassen uns für einen Abend zurück in die guten alten New Yorker Zeiten katapultieren! Einfach mit viel romantischerer Atmosphäre und Wein statt Cocktails. Das wird super, glaub mir.«

Emilia sah mich zögernd an, aber ich wusste, dass ich sie bereits in der Tasche hatte. Früher, als wir noch in New York zusammen gelebt hatten, war sie keiner Party aus dem Weg gegangen. Ich hatte sie oft versucht, mit irgendwelchen Typen zu verkuppeln – Kontakte hatte ich eine Menge, aber nie war einer gut genug für sie gewesen. Seit sie Alejandro jedoch in ihr Leben gelassen hatte, vermisste ich meine alte Freundin, die immer zu einem Spaß bereit gewesen war. Sie war irgendwie … verklemmter geworden.

Ja, ich freute mich, dass sie ihr Glück gefunden und eine Familie gegründet hatte. Aber von ihrem Feuer, das ich damals spürte, war unter all den Verpflichtungen kaum ein Glimmen übrig geblieben. Sie war nun eine treusorgende Ehefrau und liebende Mutter – und musste zu jedem Abenteuer überredet werden.

Aber diese Nacht auf dem Weinfest … die hatte sie sich einfach verdient. Jede Mutter brauchte ab und an einen Abend, wo sie einfach Frau sein konnte. Mädchen. Freundin. Partygirl. Und diese Nacht wäre der perfekte Einstieg in meinen Urlaub hier im Napa Valley. Es war an der Zeit, die alte Emilia hervorzukitzeln – und zusammen mit Armando würde es mir gelingen. Das hatte ich im Gefühl.

Kapitel 3 - Kathleen

 

Okay, wie viel Überredungskunst es gegenüber Emilias Ehemann bedeutete, sie auf das Weinfest gehen zu lassen, hatte ich zugegebenermaßen unterschätzt. Alejandro war zwar ein netter Typ, aber er war auch äußerst besorgt und sein Beschützerinstinkt fast schon nervtötend. Dass er Armando, der neben mir saß, nicht sonderlich mochte, half auch nicht gerade, seinen sexy Lippen ein ›Sí‹ zu entlocken.

Er war vor wenigen Minuten von den Weinreben zurückgekehrt und stand nun im Kaminzimmer, wo Armando und ich es uns in den bequemen Sesseln gemütlich gemacht hatten.

Alejandro trug noch sein weißes ärmelloses Shirt, das zusammen mit einer kalten Cola prima zu einem Werbespott gepasst hätte. Seine gebräunte Haut war verschwitzt und das schwarze Haar hing ihm strähnig in die Stirn.

Joah, so in etwa würde Enrique Iglesias aussehen, wenn er ein Weingut hier im Napa Valley besäße …

Seine dunklen Augen blitzten mit seinem ganzen Latino-Heißblut gerade Emilia an, die ihm erklärte, wie er Enrico ins Bett zu bringen hatte. Dabei funkelte er immer mal wieder zu Armando, als sei der Schuld daran, dass Emilia mit einem Mal zu diesem Weinfest fahren und dort auch noch übernachten wollte (okay, war er ja auch irgendwie – und ich ebenso).

Der Weinhändler ließ sich jedoch nicht aus der Ruhe bringen, nippte an seinem Cabernet und beobachtete amüsiert, wie das junge Elternpaar versuchte, sich zu einigen, ob ihr Kind nun Frottee- oder Baumwoll-Strampler zum Schlafen anziehen sollte. Immer wieder wechselten sie ins Spanische, was es mir erschwerte, dem Gespräch zu folgen. Aber ich bekam auch so mit, dass Alejandro nicht eine Sekunde lang eine Chance gehabt hatte, Einwände gegen Emilias Plan einzubringen. Dennoch brauchte sie ihr ganzes Überredungsgeschick, um ihm klar zu machen, dass er als junger Vater gut auch einmal eine Nacht alleine mit seinem Sohn verbringen konnte. Anscheinend war es die erste Nacht überhaupt, in welcher Emilia nicht zu Hause war.

Auch ich hatte ein Glas des neusten Weins in der Hand, wegen dem Armando extra hergefahren war. Ein wirklich edler Tropfen, aber das verwunderte mich bei dem ›dos Santos‹-Weingut nicht. Jedes Mal, wenn ich hier war, erstaunte es mich aufs Neue, wie intensiv der Geschmack wirkte. Wie Emilia das schaffte, war mir ein Rätsel.

Noch während sie diskutierten, kam der alte Hausdiener Miguel, Alejandros Onkel, ins Kaminzimmer. Auf seinen Armen hatte er das Baby. Als er mich entdeckte, breitete sich ein freundliches Lächeln auf seinem Gesicht aus, welches von einem grau melierten Dreitagebart eingerahmt wurde. Seine schwarzen Locken fielen ihm offen bis zu den Schultern und ich entdeckte ein paar Silberfäden mehr darin, als bei meinem letzten Besuch.

Notiz ans Universum: In dreißig Jahren hätte ich gern genau so einen gut aussehenden Mann mit dunklen gütigen Augen an meiner Seite.

»Señora Kate«, begrüßte er mich, als ich meinen Wein hinstellte und mich erhob, um zu ihm hinzugehen. »Como estas? Ich freue mich sehr, Sie wiederzusehen. Hola Señor Armando.« Er nickte dem Weinhändler zu, der seinen Gruß erwiderte.

»Ich freue mich auch, dich wiederzusehen, Miguel«, lächelte ich und umarmte ihn vorsichtig, um das Baby nicht aufzuwecken.

Enrico war im Halbschlaf und blinzelte mich an, schien jedoch nicht zu bemerken, dass da jemand Fremdes vor ihm stand. Er hatte dieselben schwarzen Haare wie seine Eltern, unglaublich lange Wimpern und war seit dem letzten Mal, als ich ihn gesehen hatte, bereits wieder um einiges gewachsen.

Oh ja, der Kleine würde irgendwann reihenweise Mädchenherzen brechen, das konnte ich ihm jetzt schon ansehen.

Miguel drückte ihn Alejandro in die Arme, der sein Gespräch mit Emilia unterbrochen hatte, als sein Sohn hereingebracht wurde. Allein dieser Anblick hätte wohl gereicht, um die Hälfte der Frauen einen Eisprung haben zu lassen. Auch ich war nahe daran, zu seufzen, denn es sah einfach nur goldig aus, wie Alejandro in seinem verschwitzten Hemd das friedlich schlafende Baby hielt.

Vielleicht doch keine Cola … Baby war noch um einiges besser …

»Wir fahren nachher ins Sonoma Valley zum Weinfest«, erklärte Emilia an Miguel gerichtet.

»Ach, das ist ja schön, da wird sich Álvaro bestimmt freuen«, meinte der alte Hausdiener lächelnd. »Soll ich auf Enrico aufpassen?«

Emilia schüttelte den Kopf und warf einen Blick zu ihrem Göttergatten. »Das wird er übernehmen, du solltest dich besser ein wenig ausruhen.«

»Ich bin alt, kein Pflegefall«, erwiderte Miguel mit schiefem Schmunzeln. »Aber bueno, mir soll’s recht sein, wenn wir mal einen Männerabend zu dritt haben.«

Alejandro sah von seinem Kind auf, das gerade seine ganze Aufmerksamkeit beansprucht hatte, und stieß ein Brummen aus. »Du hast Glück, dass ich dich so liebe«, murmelte er, beugte sich vor und drückte Emilia einen Kuss auf die Wange.

Wie schnell die Augen meiner Freundin zu leuchten beginnen konnten, war mir nicht klar gewesen. Aber Alejandro knipste bei ihr immer ein Licht an, für das niemand sonst den Schalter fand. Ja, sie waren echt ein schönes Paar. Beide hatten lateinamerikanische Wurzeln und strotzten vor Temperament und Leidenschaft.

Ich beneidete sie ein wenig. Bisher hatte ich selbst noch nicht den Richtigen gefunden, obwohl ich kein Kind von Traurigkeit war. Ich hatte viele Dates, lernte viele Männer kennen, hatte entsprechend viel Sex und One-Night-Stands. Aber mit meinen fünfundzwanzig Jahren war ich ja auch in einem Alter, wo die meisten nur Spaß und keine Verpflichtungen suchten. Was okay war, ich war noch jung und hatte Zeit. Das redete ich mir jedenfalls jeden Abend vor dem Schlafengehen ein.

Mein Blick glitt zu Armando, der in seinem Sessel saß und gerade auf seinem Handy herumtippte. »Kommt deine Freundin auch?«, fragte ich ihn.

Er hob den Kopf und grinste. »Ich versuche sie gerade zu überreden. Melinda ist manchmal etwas schüchtern und hat tausend Ausreden, um nicht an solche Feste zu müssen, aber ich krieg sie schon noch dazu. Wir fahren nachher kurz bei ihr vorbei und holen sie ab.«

Oh, das konnte ja interessant werden.

Ich war wirklich gespannt darauf, welche Frau dem Playboy des Napa Valleys eine Leine verpasst hatte.

»Dann können wir los?«, fragte ich an Emilia gewandt.

»Willst du nicht erst auspacken und ein paar Sachen zum Übernachten heraussuchen?« Meine Freundin sah mich verblüfft an.

»Ich hab alles Wichtige zum Übernachten in meiner Tasche.« Ich deutete auf meine Handtasche, die ich neben mir abgestellt hatte und welche zugegebenermaßen etwas größere Dimensionen als eine durchschnittliche Frauenhandtasche besaß. Aber hey, darin war ja auch mein ganzes Leben, denn ich war oft unterwegs, um zu irgendwelchen Kunden zu fahren. Da war es praktisch, für jede Eventualität gerüstet zu sein.

»Ich muss noch rasch ein paar Sachen packen, bin gleich wieder da.« Emilia warf ihrem Mann einen kurzen Blick zu, dann rauschte sie aus dem Wohnzimmer.

Jetzt war ich mit dem Baby und den drei Männern (von denen sich zwei nicht ausstehen konnten) alleine. Ehe sich eine peinliche Stille breitmachen konnte, ging ich wieder zu meinem Weinglas und hob es in die Höhe. »Na dann, auf meinen Urlaub.«

Armando prostete mir ebenfalls zu, während Miguel und Alejandro mir ein freundliches Lächeln schenkten.

Ging doch …

»Ich finde es toll, dass du Emilia so viel Freiraum lässt«, meinte ich an Alejandro gerichtet. »Sie blüht an deiner Seite förmlich auf.«

»Sie bedeutet alles für mich«, nickte der dunkelhaarige Schönling und blickte dann auf sein Kind herunter. »Ich bring ihn dann mal ins Bett, das dauert immer eine Weile.«

»Brauchst du Hilfe?«, fragte Miguel.

»Geht schon.« Alejandro wandte sich noch einmal zu mir. »Na, dann sehen wir uns wahrscheinlich morgen, oder?«

Ich nickte. »Ja, auf jeden Fall.«

Er erwiderte mein Nicken. »Ich wünsche euch einen schönen Abend auf dem ›Camillo‹-Weingut.«

Damit wandte er sich zum Gehen und verließ das Wohnzimmer durch dieselbe Tür wie Emilia.

Da waren’s nur noch drei …

»Möchten Sie noch etwas essen?«, fragte Miguel. »Die Fahrt ins Sonoma Valley dauert eine Weile und Sie sind gerade erst angekommen, Señora Kate.«

»Danke, ich hab keinen Hunger. Aber Sie müssen nicht hier mit uns warten, Miguel. Armando und ich kommen alleine zurecht.«

Der Weinhändler nickte und prostete Miguel zu. »Danke für den tollen Wein. Ich werde morgen eine Mail schicken und meine Bestellung aufgeben. Konnte da einen neuen Kunden überzeugen.«

»Das ist schön zu hören«, nickte Miguel. »Dann ziehe ich mich mal zurück. Viel Vergnügen Ihnen beiden und bis morgen, Señora Kate.«

»Bis morgen.«

Ich ließ mich wieder neben Armando in den Sessel plumpsen und nippte an meinem Wein, als ich mit einem Mal ein schmatzendes Geräusch zu meiner Rechten hörte. Ich blickte nach unten und sprang auf die Füße.

»Princesa! Aus!«

Die alte Mischlingshündin hatte sich klammheimlich an mich ran geschlichen und steckte mit ihrem Kopf in meiner Handtasche. Ihr Schwanz wedelte, als hätte sie ein Steak darin entdeckt.

Armandos Lachen begleitete mich, während ich meinen Wein auf den kleinen Beistelltisch stellte, Princesa am Halsband packte, wegzog und meine Tasche rettete. Ein kurzer Blick hinein zeigte mir, dass sie nichts Wertvolles angeknabbert hatte – zumindest mein Beutel mit den Ersatzkleidern war noch heil. Dennoch fuhr sie sich mit der Zunge über die Schnauze, als hätte sie die Wurst des Jahres gegessen.

»Böses Mädchen«, schimpfte ich. Aber ein Blick in ihre dunklen treuen Augen ließ mein Herz gleich wieder dahinschmelzen. »Los, geh zu Miguel.« Ich deutete in die Richtung, in die der alte Hausdiener davongegangen war.

Princesa folgte meiner Handbewegung mit dem Kopf und sah mich dann wieder an. In ihrem Blick lag eindeutig die Frage ›wieso genau sollte ich dort hin, wenn du ein Steak in deiner Tasche hast?‹.

»Ich habe kein Steak in meiner Tasche, da sind nur … Frauensachen drin«, erklärte ich dem Hund.

»Sprichst du gerade mit ihr, als sei sie ein Mensch?«, fragte Armando, was den Blick von Princesa und mir auf ihn lenkte. Die Hündin stieß ein leises Knurren aus, trollte sich dann aber. Wahrscheinlich wollte sie sich nicht noch einmal mit Emilia anlegen, die bald zurück käme.

Ich ließ mich wieder auf den Sessel nieder und griff nach meinem Wein. »Wo übernachten wir denn eigentlich?«, stellte ich eine Frage, die ich vielleicht schon früher hätte stellen sollen.

»Das ›Camillo‹-Weingut hat ein Gästehaus«, antwortete Armando. »Ich schreib kurz eine Nachricht, dass noch zwei Gäste mehr dort übernachten werden. Kostet glaub ich um die hundert Dollar oder so pro Person.«

»Na, dann erwarte ich aber mindestens eine Luxus-Suite«, bemerkte ich. Für New Yorker Verhältnisse war das nicht teuer, aber für hier schon.

Armando schmunzelte sein Handy an, während er wahrscheinlich gerade eine Nachricht ans ›Camillo‹-Weingut schickte. »Oh, Álvaro und seine Mitarbeiter werden dafür sorgen, dass es ihren Gästen an nichts mangelt. Ich war bisher nur ein paar Mal kurz dort, aber ihre Gastfreundschaft wird von allen hoch gelobt. Und das Weingut ist eines der schönsten, das du je zu Gesicht bekommen wirst.«

»Klingt gut«, nickte ich. »Was weißt du denn über diese Tochter, die mit einem Mal bei ihnen aufgetaucht ist?«

Armando legte den Kopf schief. »Sie heißt Selena und ist vor einigen Wochen im Napa Valley angekommen. Geht aufs College wie meine Freundin und ist ihre Mitbewohnerin.«

»Die Welt ist klein«, bemerkte ich, während ich meinen Wein leer trank und das Glas hinstellte.

»Das kannst du laut sagen.« Armando steckte sein Handy wieder ein und trank seinen Wein ebenfalls aus. »Du wirst Selena mögen, sie ist direkt und unkompliziert. Ihr Freund Nick ist Psychiater in der Klinik, die der Vater meiner Freundin leitet. Netter Kerl, hat Melinda und mir den Arsch gerettet – im wahrsten Sinn des Wortes. Vielleicht kommt sein Mitbewohner Cley auch mit ans Fest, den kenne ich aus dem Fitness-Center.«

»Wow, das ist ja die reinste Clique«, lächelte ich beeindruckt und freute mich nun umso mehr auf den bevorstehenden Abend.

»Es geht noch weiter«, meinte Armando. »Meine Freundin hatte mal was mit Selenas jüngerem Bruder Kevin.« Sein Gesicht verfinsterte sich für einen kurzen Moment. »Der Kleine war jedoch nicht wirklich ihre Kragenweite. Und seit wir zusammen sind, kuscht er vor mir, als wäre ich Darth Vader persönlich.«

Jetzt lachte ich laut auf. Die Vorstellung war einfach zu köstlich.

»Kevin, Selena und Melinda gehen alle aufs Napa Valley College«, fuhr Armando fort.

»Oookay, keine Ahnung, ob ich mir diese Informationen alle merken kann«, gab ich zu. »Aber gut zu wissen, dass jeder hier jeden über paar Ecken zu kennen scheint. War mir bisher gar nicht so bewusst.«

»Das Napa Valley ist quasi eine einzige große Familie«, erklang in dem Moment Emilias Stimme, die mit einem kleinen Koffer wieder im Wohnzimmer erschien. »Wir lieben und fetzen uns auch wie eine. Die reinste Sitcom sag ich dir.«

Ich erhob mich grinsend und schulterte meine Handtasche. »Na dann, lasst Season vier starten.«

Die beiden fielen in mein Lachen ein, während wir das Haus verließen und zu Armandos schwarzem Mercedes schlenderten.

Kapitel 4 - Kathleen

 

Auf der Fahrt ins Sonoma Valley hielten wir noch bei den Studentenwohnungen des Napa Valley Colleges an, um Melinda abzuholen. Ein hübsches blondes Mädchen, das auch als Model hätte arbeiten können, wäre sie nicht so schüchtern gewesen. Meine blau-grünen Haare irritierten sie sichtlich bei der Begrüßung, aber in Armandos Händen wurde die Kleine zu Wachs mit zwei Brüsten. Ja, die sexuelle Anspielung musste sein, denn die Funken zwischen den beiden flogen förmlich nur so durch die Luft. Im erotischen Sinn.

Jetzt saß Melinda auf dem Beifahrersitz neben Armando und er hatte eine Hand auf ihren Oberschenkel gelegt, was ihr sichtlich unangenehm war vor Emilia und mir, die hinten saßen und beste Aussicht auf die Streicheleinheiten hatten, die er seiner Freundin zuteilwerden ließ. Nichts Unanständiges, aber Melinda schien es dennoch nicht recht zu sein, dass er das so ungeniert vor uns tat.

Viele Frauen hätten sich wohlig unter Armandos Berührung geräkelt und noch einen Blick über die Schulter zu uns nach hinten geworfen à la ›schaut her, das ist mein Schatzzzz, er gehört miiiir allein‹. Melinda jedoch war weit von solchen Provokationen entfernt. Womöglich war genau das der Grund, warum Armando sie so vergötterte. Sie hatte etwas … Reines, Unberührtes, Unschuldiges an sich. Zu langweilig für meinen Geschmack, aber hey, ich war ja nicht diejenige, die irgendetwas zu beurteilen hatte. Wenn die zwei sich liebten – perfekt. Ich freute mich für jeden, der seinen Seelenpartner gefunden hatte. Und das hatten Melinda und Armando auf jeden Fall ebenso wie Emilia und Alejandro.

»Wir sind gleich da«, erklärte Armando nun, als wir die breite Straße entlangfuhren, die rechts und links mit Weinreben bepflanzt war.

Wunderschön, die Landschaft, wirklich. Ich konnte mir gut vorstellen, warum sich alle hier so wohl fühlten und genoss den Gedanken, dass ich nun die nächsten Wochen dieses Gefühl mit ihnen allen teilen durfte.

Inzwischen war die Sonne dabei, unterzugehen und tauchte alles in ein unwirkliches Blutrot, sodass ich meine Sonnenbrille sogar abnahm, um herauszufinden, ob das meinen Gläsern oder wirklich der Natur zu verdanken war. Natur. Definitiv.

Als wir in die Einfahrt des Weingutes bogen, staunte ich nicht schlecht über dessen Größe. Ich hatte Emilias Gut eigentlich schon als ziemlich ausladend empfunden, aber das ›Camillo‹-Weingut schien für den Tourismus gebaut worden zu sein. Armando hielt auf einem riesigen Parkplatz mit Dutzenden Autos an und ich schulterte meine Handtasche, die ich um kein Geld der Welt in seinem Wagen gelassen hätte. Ganz gleichgültig, wie schwer sie sein mochte, ich hielt es nicht länger als zwei Minuten ohne meine Tasche aus.

Wir mussten noch ein kurzes Stück laufen, ehe wir das Gutshaus erblickten.

Das Anwesen war wunderschön erbaut – modern, mit viel Glas und Holz. Neben dem Haupteingang lag ein kleines Café, das nun mit Gästen überfüllt war. Ein künstlich angelegter Teich mit goldenen Fischen sorgte dafür, dass die warmen Temperaturen im Sommer erträglich waren. Überhaupt hatte irgendein begnadeter Landschaftsgärtner die Umgebung des Gutes bis aufs kleinste Detail geplant, sodass die vielen Rosenbüsche mit den Blumen, den Palmen und dem Schilf harmonierten.

Fröhliche Musik drang uns entgegen, als wir uns der Gästeschar näherten. Da die Sonne inzwischen untergegangen war, wurde es merklich kühler. Aber die Gastgeber hatten vorgesorgt und überall Heizstrahler aufgestellt.

Ein groß gewachsener, schlanker Mann mit Anzug, schwarzem nach hinten gegeltem Haar und auffallend bleicher Haut, die nicht wirklich zu seinem lateinamerikanischen Aussehen passen wollte, löste sich aus der Menge und kam – ein Weinglas schwenkend – auf uns zu. Ein arrogantes Lächeln spielte um seinen Mund, das mit seinen eisblauen Augen harmonierte.

»Na, sieh an, je später die Stunde, desto schöner die Gäste«, rief er uns zu. »War ja klar, dass du mit einem ganzen Harem eintrudelst, Armando.«

»Nick!«, riefen Melinda und Emilia fast schon im Chor, was das Lächeln des dunkelhaarigen Mannes breiter werden ließ.

Er war inzwischen bei uns angekommen und begrüßte erst Emilia, dann Melinda mit einer herzlichen Umarmung. Schließlich schlug er mit Armando im typischen Männer-Style mitsamt Schulterkollision ab und richtete dann die hellen Augen neugierig auf mich.

Nun fiel mir eine Narbe an seiner Oberlippe auf, die blass wurde, als er wieder lächelte. »Hi, ich bin Nick, der Freund von Selena.«

Ich versuchte, in meinem Hirn nach den Informationen zu suchen, die Armando mir gegeben hatte, während ich seine Hand schüttelte. Selena war die Tochter, weswegen diese ganze Feier abgehalten wurde. Und Nick war … Arzt? Ja, irgend so etwas hatte Armando erwähnt.

»Hi, ich bin Kate, eine langjährige Freundin von Emilia«, lächelte ich.

So aus der Nähe schien er gar nicht mehr so arrogant zu sein, wie ich ihn auf den ersten Blick eingeschätzt hatte. Seine Augen waren zwar eisblau, blickten aber freundlich – und das überhebliche Schmunzeln schien er nicht wirklich unter Kontrolle zu haben. Es wirkte, als könne er gar nicht anders, als auf diese Weise zu lächeln.

»Du kommst aus New York?«, fragte Nick, da er meinen Akzent erkannt zu haben schien.

»Ja. Wir haben uns dort kennengelernt, Emilia und ich.«

»Ah, dann warst du eine derjenigen, die unseren Sonnenschein im Norden behalten haben«, meinte Nick mit hochgezogener Augenbraue und breitem Grinsen. »Schön, dass wir sie wieder hier haben dürfen. Bleibst du länger?«

»Ein paar Wochen.«

»Kommt, bei einem Glas Wein plaudert es sich besser«, unterbrach uns Emilia und zog mich mit sich mit. »Ich möchte Selena endlich kennenlernen, bisher hast du sie uns noch vorenthalten.« Sie warf einen gespielt beleidigten Blick zu Nick, den dieser mit einem Lachen abtat.

»Haltet einfach nach einer Frau mit Feuermähne neben einem Wikinger Ausschau, Cley und sie sind nicht zu übersehen«, rief er, während wir uns unter die Gäste mischten.

Es war erstaunlich, wie viele Menschen sich an einem einzigen Ort versammeln konnten. Wir mussten uns förmlich durch die Menge quetschen, fast wie bei einem Konzert – und aufpassen, dass wir niemanden anrempelten, der ein Weinglas in der Hand hielt. Der Gutsbesitzer schien wirklich die halbe Region eingeladen zu haben.

Endlich rief Nick, der hinter mir ging, über die Menge Selenas Namen, woraufhin sich eine hübsche Rothaarige zu uns umdrehte, die neben einem wahren Hünen mit dunkelblonder Löwenmähne stand. Der Wikinger. Auf Selenas ebenfalls rot geschminkten Lippen lag ein Lächeln, als sie ihren Freund hinter mir erblickte und sie kam auf uns zu. Wir hatten es irgendwie geschafft, eine kleine freie Fläche zu erreichen, sodass Emilia und ich Nick an uns vorbeilassen konnten.

Er legte die Hand um die Hüfte seiner Freundin und zog sie an sich, um ihr einen Kuss auf die Wange zu drücken. »Selena, das sind Emilia und … Kate.« Er musste kurz überlegen, wie mein Name nochmal war.

Selenas Lächeln wurde förmlicher, als sie sich uns zuwandte und die Hand schüttelte.

»Endlich lernen wir uns kennen«, meinte Emilia.

»Ja, das wurde wirklich Zeit«, antwortete die Rothaarige. Ihre Stimme klang für eine Frau ungewohnt rauchig, aber warm. »Hi Kate.« Sie schüttelte auch meine Hand.

»Hi.«