Die Legenden von Karinth (Band 1) - C. M. Spoerri - E-Book

Die Legenden von Karinth (Band 1) E-Book

C.M. Spoerri

4,7

Beschreibung

"Bringt die Prinzessin zurück!" So lautet der Befehl der Elfenkönigin, nachdem ihre Tochter aus der Elfenstadt geflohen ist. Für Leibwächter Maryo Vadorís eine auf den ersten Blick nicht unlösbare Aufgabe. Allerdings soll er den frischgebackenen Gemahl der Prinzessin mitnehmen, den er zutiefst verachtet. Als sein Weg auch noch den der Magierin Edana kreuzt, stellt der Elf fest, dass die Suche nach seiner Prinzessin doch nicht so einfach wird wie anfangs vermutet. In Edana steckt mehr, als sie ihm zunächst weismachen will, und womöglich könnte ihr Geheimnis Maryo sogar helfen, denn seine Reise verschlägt ihn auf einen unbekannten Kontinent: Karinth.

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Impressum

Widmung

Informationen zum Buch

Karte von Altra

Ausschnitt: Westen von Altra

Karte von Karinth

Auschnitt: Nordkarinth

Vorwort

Kapitel 1 – Maryo

Kapitel 2 – Maryo

Kapitel 3 – Maryo

Kapitel 4 – Maryo

Kapitel 5 – Edana

Kapitel 6 – Maryo

Kapitel 7 – Edana

Kapitel 8 – Maryo

Kapitel 9 – Edana

Kapitel 10 – Amyéna

Kapitel 11 – Amyéna

Kapitel 12 – Edana

Kapitel 13 – Maryo

Kapitel 14 – Maryo

Kapitel 15 – Edana

Kapitel 16 – Maryo

Kapitel 17 – Thesalis

Kapitel 18 – Thesalis

Kapitel 19 – Thesalis

Kapitel 20 – Amyéna

Kapitel 21 – Maryo

Kapitel 22 – Edana

Kapitel 23 – Amyéna

Kapitel 24 – Maryo

Kapitel 25 – Edana

Kapitel 26 – Thesalis

Kapitel 27 – Amyéna

Kapitel 28 – Amyéna

Kapitel 29 – Maryo

Kapitel 30 – Thesalis

Kapitel 31 – Edana

Kapitel 32 – Maryo

Kapitel 33 – Edana

Kapitel 34 – Edana

Kapitel 35 – Maryo

Kapitel 36 – Thesalis

Kapitel 37 – Maryo

Kapitel 38 – Maryo

Epilog

Glossar

Illustration zu Maryo

Dank

Über die Autorin

 

C. M. Spoerri

 

 

Die Legenden von Karinth

Band 1

 Fantasy

 

www.cmspoerri.ch | [email protected]

 

1. Auflage, September 2016

© Sternensand-Verlag GmbH, Zürich 2016

Umschlaggestaltung: Alexander Kopainski | alexanderkopainski.de

Landkarten: C. M. Spoerri 2016

Illustration: fotolia.de

Lektorat / Korrektorat: Wolma Krefting | bueropia.de

Satz: Sternensand Verlag GmbH

 

ISBN-13: 978-3-906829-20-3

ISBN-10: 3-906829-20-3

 

Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

Dies ist eine fiktive Geschichte. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

 

 

 

 

 

  

In zwanzig Jahren wirst du mehr enttäuscht sein

über die Dinge, die du nicht getan hast,

als über die Dinge, die du getan hast.

Also löse die Knoten, laufe aus dem sicheren Hafen

aus und erfasse mit deinen Segeln die Passatwinde.

 

 

Mark Twain

(1835 - 1910)

 

Die Legenden von Karinth (Band 1)

 

»Bringt die Prinzessin zurück!« So lautet der Befehl der Elfenkönigin, nachdem ihre Tochter aus der Elfenstadt geflohen ist. Für Leibwächter Maryo Vadorís eine auf den ersten Blick nicht unlösbare Aufgabe. Allerdings soll er den frischgebacke-nen Gemahl der Prinzessin mitnehmen, den er zutiefst verachtet. Als sein Weg auch noch den der Magierin Edana kreuzt, stellt der Elf fest, dass die Suche nach seiner Prinzessin doch nicht so einfach wird wie anfangs vermutet. In Edana steckt mehr, als sie ihm zunächst weismachen will, und womöglich könnte ihr Geheimnis Maryo sogar helfen, denn seine Reise verschlägt ihn auf einen unbekannten Kontinent: Karinth.

 

 

Die Autorin

C. M. Spoerri lebt in der Schweiz und schreibt in erster Linie Jugendromane im Fantasy-Genre. Ihre vierteilige Debüt-Reihe »Alia« eroberte bereits die Herzen vieler Leser, ebenso wie »Die Greifen-Saga«, die zweite Reihe, die in derselben Fantasy-Welt Altra spielt.

»Legenden von Karinth« ist der Auftakt einer neuen Reihe, die unabhängig von den bisher erschienenen Büchern gelesen werden kann.

 

 

Bei den anderen Büchern wird folgende Reihenfolge empfohlen:

 

Die Alia-Saga:

Band 1 – Der magische Zirkel

Band 2 – Der schwarze Stern

Band 3 – Das Land der Sonne

Band 4 – Das Auge des Drachen

Spin-Off – Die Magier von Altra

 

Die Greifen Saga:

Band 1 – Die Ratten von Chakas

Band 2 – Die Träne der Wüste

Band 3 – Die Stadt des Meeres

Vorwort

Diese Geschichte spielt in der ersten Epoche unserer Zeit. Damals lebten noch Wesen und Kreaturen auf unserem Planeten, die wir heute bloß noch aus Märchen und Sagen kennen.

Aber es gab sie – damals.

Die Legenden besagen, dass in der Zeit der ersten Epoche ein Land existierte, welches Altra hieß. In diesem Land gab es fünf große Völker: Menschen, Elfen, Zwerge, Gorkas und Drachen. Alle lebten sie friedlich nebeneinander, bis zu dem Tag, an dem die Menschen von den Göttern wertvolle Geschenke erhielten: die Elemente Feuer, Wasser, Luft, Erde – und Magie. Fortan bestimmten die Elemente ihren Alltag und ihre Fähigkeiten.

Aber die Gaben der Götter begannen, das Volk der Menschen zu verändern. Die Magier fingen an, Normalsterbliche, die keine Magie in sich trugen, zu unterdrücken, stahlen ihr Land und ihre Ernte.

Die mächtigste Zauberin unter ihnen vereinigte in einem Versuch, die aufkommende Arroganz unter Kontrolle zu halten, alle Magier von Altra in sechs Zirkeln. Dies geschah im Jahr 10 750 der ersten Epoche. Der größte und mächtigste Zirkel befand sich im Süden des Landes, wo die Gründerin herrschte.

Die anderen Völker – die Elfen, Zwerge, Gorkas und Drachen – beobachteten diese Veränderungen mit Unmut. Kein Volk und keine Rasse sollte über eine solche Macht verfügen. Sie sahen in den neuen Zirkeln eine Gefahr für das Land und erklärten dem Menschenvolk den Krieg. Dieser sollte hundert Jahre lang andauern – bis die oberste Zirklerin im Jahre 10 853 gestürzt wurde.

Als ein Magier namens Lesath die Herrschaft übernahm, schöpften die Völker von Altra neuen Mut. Sie atmeten nach dem langen Zeitalter des Krieges auf, hofften auf Besserung ihres Lebens. Lesath gelang es, die Zwerge und Drachen in die Berge zu verbannen sowie die Elfen und Gorkas in die Wälder. Er schloss mit denjenigen Elfenvölkern, die sich nicht vertreiben lassen wollten, einen Pakt und sorgte damit nach hundert Jahren endlich für Frieden in Altra.

 

Diese Geschichte, die Ihr nun in den Händen haltet, spielt zu einer Zeit, in der der Frieden zwischen den Völkern erst etwas mehr als drei Jahre Bestand hatte. Wir schreiben das Jahr 10 856 der ersten Epoche.

Einige von Euch werden dem Elfenkapitän Maryo Vadorís bereits in der Alia-Reihe oder Greifen-Saga begegnet sein. Nun möchte ich Euch seine eigene Geschichte erzählen. Denn er war nicht immer ein Kapitän.

 

Ich wünsche Euch viel Spaß beim Eintauchen in eine vergessene Welt voller Magie und Abenteuer.

 

Eine gute Reise und viel Vergnügen

Eure Corinne

Kapitel 1 – Maryo

 

Es war ein herrlicher Sommermorgen, wie er im Wald von Westend selten vorkam. Die Sonne schien warm auf die Pappelbäume, deren Blätter im Wind leise raschelten. Vögel zwitscherten, um den Morgen zu begrüßen und jedem, der es hören wollte – oder auch nicht – mit ihrem Gesang zu verkünden, dass sie die Nacht heil überstanden hatten.

Eine Biene flog von Blüte zu Blüte, von denen es hier in der Elfenstadt des Westendwalds eine Menge gab, da die Gärten und Plantagen sorgsam gepflegt wurden. Gerade hatte sie eine besonders ausladende Blume erspäht, die es wert schien, die nächsten Minuten auf Blütenstaub abgetastet zu werden. Das Tierchen flog zielstrebig darauf zu – und wurde mitten im Flug von einer Hand weggeschlagen, sodass das kleine Wesen mehrmals durch die Luft gewirbelt wurde, ehe es sich wieder fangen konnte.

Die Hand, die so wütend auf die Biene getroffen war, stammte von einem Elfen. Im Grunde hätte er, wie alle Angehörigen seines Volkes, anmutige Gesichtszüge besessen. Aber nun waren sie zu einer wütenden Fratze verzerrt. Er schritt zornig durch die Straßen der Elfenstadt, nahm keinerlei Rücksicht auf Hindernisse, sondern stieß sie vielmehr achtlos beiseite. Die empörten Rufe der Bewohner, die eilig ihr Hab und Gut vor ihm in Sicherheit brachten, ignorierte er.

Sein blondes Haar wehte offen hinter ihm her wie ein Unheil bringendes Banner. Er trug eine dunkelgraue Lederrüstung, deren Metallteile glänzten, als hätte er sie gerade erst polieren lassen. Kein Wunder, er kam direkt aus dem Palast, der in Form einer großen, goldenen Pyramide auf dem Hügel über der Stadt thronte.

Die Gebäude der Elfen von Westend waren aus Stein erbaut und besaßen mehrere Stockwerke, welche von weitläufigen Balkonen umgeben waren. Wasserfälle, die im Winter zu mystischen Eisskulpturen erstarrten, flossen an den Wänden herunter und verloren sich in Kanälen, die zwischen den Häusern verschwanden. Geschwungene Brücken sorgten dafür, dass man trockenen Fußes über das Wasser gelangte.

Auf den Kanälen schwammen Boote, die eine längliche, schmale Form aufwiesen. Speziell ausgebildete Elfen sorgten mit Ruderriemen dafür, dass der Bootsverkehr in geordneten Bahnen verlief. Sie standen jeweils hinten in einer der Gondeln und stießen die Gefährte von dem Kanalrand sowie von entgegenkommenden Booten weg.

Die Stadt wurde von einer hohen Mauer umgeben, auf welcher Tag und Nacht Soldaten patrouillierten und den Wald sowie die breiten Straßen überwachten, die an Gärten und Springbrunnen vorbeiführten.

Aber der Elf hatte keinerlei Interesse an der Schönheit der Elfenstadt von Westend. Für ihn gab es nur ein einziges Ziel: die Kneipe, die sich am anderen Ende der Siedlung befand und in der sich nur die untersten Schichten der Stadtbewohner aufhielten – und der Elf, den er suchte.

Als er dort ankam, stieß er die hölzerne Tür mit einer solchen Wucht auf, dass alle Gäste, die sich in dem Wirtsraum befanden, erschrocken herumfuhren. Der Elf ließ seinen zornigen Blick über die erstaunten Gesichter gleiten, bis er an jenem Mann hängen blieb, dessentwegen er hier war.

Jener war ein hochgewachsener, außergewöhnlich breitschultriger Elf, der sein dunkelbraunes Haar vorne zu mehreren Zöpfen geflochten hatte. Hinten fiel es ihm lang und offen über den Rücken. In der Dunkelheit des Raumes konnte man nicht erkennen, dass sein Haar bei Tageslicht einen leichten Rotstich bekam und in der Sonne glänzte, als würde ein inneres Feuer darin brennen. Auffallend waren vor allem seine goldfarbenen Augen, die nur wenige Elfen in Westend besaßen.

Er hockte an einem der Tische, die im hinteren Bereich der Taverne standen, und trank gerade Elfenwein, der bei den Menschen als rare Delikatesse galt. Hier in der Elfenstadt jedoch war es ein alltägliches Getränk, das sich auch die unteren Schichten leisten konnten.

»Maryo Vadorís!«, knurrte der blonde Elf, der die Tür aufgestoßen hatte, und machte ein paar wütende Schritte auf ihn zu.

Maryo hob den Kopf und erwiderte den Blick mit regloser Miene. »Was gibt’s, Seryl Némys?«, fragte er mit hochgezogenen Augenbrauen. »Ist Euch im Palast der Wein ausgegangen, dass Ihr Euch hierher bemühen müsst?«

»Wag es nicht, so mit mir zu sprechen, Bastard! Zeig deinem Prinzen gegenüber Respekt!«, knurrte Seryl und ließ die Faust auf Maryos Tisch niedersausen, sodass der Kelch umkippte. Der Wein wurde über die schmutzige Holzplatte verteilt und tropfte vom Tischrand auf den Boden.

»Ich spreche, wie es mir beliebt.« Maryo erhob sich in aller Ruhe von seinem Stuhl, aber das Gold in seinen Augen flammte gefährlich auf. Er war etwa einen Kopf größer als Seryl. »Euren Respekt habt Ihr Euch erst dann verdient, wenn Ihr mich mit ebensolchem behandelt. Bastard? Ich bin kein Bastard, merkt Euch das endlich. Nur weil ich meinen Vater nicht kenne, habt Ihr weder mich noch meine Mutter zu beleidigen! Und ja, ich fasse es als Beleidigung auf, wenn Ihr ihren oder meinen Namen derart in den Schmutz zieht!«

»Man kann nichts in den Schmutz ziehen, wenn es dort schon liegt. Du bist von verdorbenem Fleisch, ohne Herkunft und Stammbaum!« Seryls Augen, die von einem dunklen Violett waren, blitzten vor Wut. »Und ich nenne dich, wie es mir beliebt! Ich bin der Prinz der Elfen von Westend und dein zukünftiger Herrscher! Knie nieder und zoll mir den nötigen Respekt!«

Maryo verschränkte die Arme vor der Brust und schenkte ihm ein bittersüßes Lächeln, obwohl es in ihm drin ganz offensichtlich brodelte. »Ich würde nur zu gerne Eurer freundlichen Bitte nachkommen, aber Ihr habt gerade den Boden mit meinem Wein getränkt. Daher verzeiht bitte, wenn ich mich nicht hinknie. Es würde Tage dauern, bis ich den Wein wieder aus meinen Hosen entfernt hätte.« Er deutete mit einer Kopfbewegung nach unten, auf die hellen Leinenhosen, die er trug. »Und ein Mann von meiner Herkunft und ohne Stammbaum hat nun mal nicht das notwendige Kleingeld, sich einen Besuch in der Wäscherei zu leisten.«

»Dein vorlautes Mundwerk wird dir schon noch vergehen!«, knurrte der Prinz. »Du sollst sofort vor die Königin treten! Du hast deine Pflichten vernachlässigt und wirst für dein Vergehen bestraft.«

»Welche Pflichten? Ich habe heute meinen freien Tag und kann tun und lassen, was ich will. Außerdem«, Maryo legte den Kopf schief, »seit wann seid Ihr zum Laufburschen der Königin aufgestiegen?«

Seryl hatte seinen Dolch so rasch gezogen, dass ein menschliches Auge es kaum mitbekommen hätte. Er hielt die Klinge an Maryos Kehle, der jedoch nicht einmal mit der Wimper zuckte. »Du gehst zu weit!«, knurrte der Prinz. »Pass auf, was du sagst, sonst landest du im Reich der Toten!«

»Ich wusste ja, dass Ihr vermessen seid, Seryl Némys«, antwortete Maryo seelenruhig und schob die Klinge mit dem Zeigefinger von sich weg, »Aber glaubt mir, bis ich ins Reich der Toten reise, dauert es noch eine Weile – und dann wird es bestimmt nicht durch Eure Klinge geschehen.«

Der Prinz der Elfen von Westend wusste einen Augenblick lang nicht, was er tun oder sagen sollte.

Maryo war sehr wohl bewusst, dass Seryl eine solche Kaltschnäuzigkeit ansonsten von niemandem kannte. Nur er schaffte es immer wieder, den Prinzen bis aufs Blut zu reizen. Ihm war außerdem bekannt, dass dieser ihn lieber tot als lebendig gesehen hätte, doch noch stand Maryo unter dem Schutz der Königin.

»Du wirst nicht mehr so überheblich reden, wenn du erst hörst, was die Herrscherin dir vorwirft«, sagte Seryl und deutete mit der Dolchspitze auf Maryos breite Brust.

»So? Was denn?«, fragte dieser desinteressiert.

Seryls Gesicht nahm einen selbstgefälligen Ausdruck an. »Meine Gemahlin ist verschwunden und du bist der Letzte, der sie gesehen hat. Dafür wirst du hängen!«

Maryo ließ sich seine Überraschung nicht anmerken. »Amyéna ist weg?«, fragte er so beiläufig wie möglich. Aber in seinem Kopf jagte ein Gedanke den nächsten.

Was bei den Göttern hatte sich dieses sture Geschöpf bloß dabei gedacht?

Gestern Abend noch hatte er mit ihr gesprochen und versucht, sie von ihrem Plan, die Stadt zu verlassen, abzuhalten und nun … war sie einfach so verschwunden?! Auch wenn er nicht daran zweifelte, dass er sie innerhalb eines Tages wieder in die Stadt zurückgeschleppt hätte, so musste er doch vor der Königin dafür geradestehen, dass er seine Pflichten als persönlicher Leibwächter vernachlässigt hatte.

Er hätte sie verdammt noch mal einsperren sollen, wenn er sie schon nicht dazu bringen konnte, von ihrem sinnlosen Vorhaben abzusehen.

Diese verwöhnte Prinzessin!

Es gab keinen Grund, der rechtfertigen würde, dass die zukünftige Königin von Westend ihr Volk verließ. Selbst die Tatsache, dass sie vor einer Woche diesen arroganten Prinzen Seryl hatte heiraten müssen, um die Macht der Elfen des Südens und jener des Nordens zu stärken, war nicht Anlass genug, die eigenen Untertanen im Stich zu lassen.

»Für dich immer noch Prinzessin Amyéna Némys!«, knurrte Seryl und betonte dabei jede Silbe. »Und jetzt komm mit und erklär dich!«

Maryo seufzte und sah auf den kleineren Elf hinunter. »Also gut, ich werde mit Euch mitkommen. Aber steckt diesen Zahnstocher wieder ein, sonst verletzt Ihr Euch noch.«

Seryl war einen Moment lang überrascht, dass Maryo keinen weiteren Widerstand zu leisten schien. Der zornige Ausdruck auf dem Gesicht des Prinzen wich einem überheblichen Grinsen. »Ich werde die Waffe so lange in der Hand halten, wie ich will«, sagte er und funkelte Maryo an.

Dieser zuckte gleichgültig mit den Schultern. »Nun gut, wie Ihr wollt. Ich will einfach keine Klagen hören, wenn Ihr morgen Muskelkater haben solltet.«

Ehe Seryl etwas erwidern konnte, holte Maryo einen Silberling hervor und legte ihn auf den Tisch. »Hier, für dich, Elyémar«, rief er dem Wirt zu, der wie die anderen Gäste die Szene neugierig verfolgt hatte. »Das sollte reichen, um die Weinflecken zu beseitigen, die dir unser … Prinz beschert hat.« Er warf einen flüchtigen Blick zu Seryl, der bereits die Lippen schürzte, um eine gehässige Bemerkung zu entgegnen.

Aber Maryo ging an ihm vorbei zur Tür, die immer noch offen stand, und trat ins Freie. Seryl folgte ihm so rasch er konnte, ohne sich nochmals zu den Gästen umzudrehen, die bereits zu tuscheln begannen. Die Nachricht, dass die Prinzessin verschwunden war, würde in der Elfenstadt wie ein Lauffeuer die Runde machen.

 

»Maryo Vadorís«, sprach die Königin streng. Der ansonsten helle Klang war fast gänzlich aus ihrer Stimme gewichen und hatte einem eisigen Ton Platz gemacht.

Sie saß auf ihrem goldenen Thron und sah mit zusammengezogenen Augenbrauen auf den dunkelhaarigen Elf herunter, der vor ihr auf dem Marmorboden kniete. Der Saal war weitläufig, quadratisch und mit goldenen Statuen geschmückt. Ein roter Teppich führte mitten hindurch, von der Flügeltür des Eingangs bis hin zum Thron. Mehrere Kerzenleuchter schenkten dem fensterlosen Raum ihr warmes Licht.

Die Schönheit der Königin war selbst für eine Elfin atemberaubend. Sie hatte langes, schwarzes Haar, das ihr offen und in weichen Wellen bis zu den Hüften fiel und jeden Lichtstrahl, der darauf traf, tausendfach zu reflektieren schien. Ihre Augen, die heller als Sterne glänzten, hatte sie auf den knienden Elf gerichtet.

»Königin Sylvara Némys.« Maryo hob langsam den Blick. »Ich habe gehört, was Eurer Tochter widerfahren ist.«

»Was habt Ihr zu Eurer Verteidigung vorzubringen?«, fragte die Königin.

Maryo sah der Elfin in die Augen, die ihn beinahe blendeten. »Nichts, meine Herrin. Ich habe alles getan, was in meiner Macht stand, um die Prinzessin davon abzuhalten, die Stadt zu verlassen.«

»Ihr gebt also zu, dass Ihr von ihren Plänen wusstet?« Ihre Augen weiteten sich kaum merklich, aber ihre Miene nahm dadurch einen gefährlichen Zug an.

»Ja, das tue ich«, nickte Maryo, ohne mit der Wimper zu zucken. »Aber ich wusste nicht, wie ernst es ihr damit war. Hätte ich es geahnt, glaubt mir, dann hätte ich alles dafür getan, dass sie keinen Fuß vor die Stadt setzen kann.«

Die Elfin lehnte sich ein wenig auf ihrem Thron zurück und seufzte. »Ich glaube Euch, Maryo Vadorís.« Sie fuhr sich mit der Hand über die Stirn. »Trotzdem muss ich Euch bestrafen.«

»Ich nehme jede Strafe entgegen, die Ihr über mich sprecht«, antwortete Maryo und senkte den Kopf. »Keine könnte so schwer sein wie das Wissen, dass ich am Verschwinden Eurer Tochter Mitschuld trage.«

»Ihr weiß, dass Euer Edelmut vor allem daher rührt, dass Ihr gewisse … Gefühle für meine Tochter hegt.« Sie hob eine Augenbraue.

Seryl, der danebenstand, sog scharf die Luft ein und funkelte Maryo zornig an. Dieser zuckte mit den Schultern, erwiderte jedoch nichts.

»Auch das leugnet Ihr also nicht?«, fragte die Königin.

»Nein«, antwortete Maryo schlicht.

»Meine Königin!«, rief Seryl aufgebracht und trat einen Schritt vor. »Ich verlange Genugtuung für diese Beleidigung! Ein Soldat, der sich anmaßt, so über die Prinzessin von Westend – meine Frau – zu sprechen, gehört an den Galgen!«

»Ich wusste nicht, dass es ein Verbrechen ist, seine zukünftige Königin zu lieben«, antwortete Maryo mit unschuldiger Miene. »Ist es nicht das, was jeder treue Untertan tun sollte?«

»Ihr treibt es zu weit!«, knurrte Seryl und wirbelte wütend zu dem immer noch knienden Elfen herum.

»Prinz Seryl Némys, ich bitte Euch, Eure Stimme zu zügeln«, sagte die Königin energisch und stand auf. An Maryo gewandt fuhr sie fort: »Ich verurteile Euch, Maryo Vadorís, zu der Aufgabe, meine Tochter zurückzubringen. Und wenn es Euer Leben kostet! Betrachtet Euch als Ausgestoßenen dieser Stadt, so lange, bis Amyéna wieder einen Fuß auf diesen Boden setzt.« Sie deutete mit ihrem schlanken Finger auf den hellen Marmor.

»Wie bitte?«, Seryl schnappte nach Luft. »Ihr wollt ihn nicht hinrichten?«

»Wagt es nie wieder, eine Entscheidung von mir infrage zu stellen!« Sylvara Némys‘ helle Augen durchbohrten den Elfenprinzen, der eilig den Blick senkte. »Ihr werdet Maryo Vadorís begleiten und dafür sorgen, dass er Eure Gemahlin wieder hierher zurückbringt. Nehmt zwei Dutzend meiner besten Männer mit. Wir wissen nicht, wohin Amyéna gegangen ist. Sie könnte überall sein und die Wälder wimmeln derzeit nur so von Gorkas und anderen Banditen, die keinen Kampf scheuen, seit die Menschen ihre Zirkel gegründet haben. Wenn meiner Tochter ein einziges Haar gekrümmt wird, werdet sowohl Ihr, Seryl Némys als auch Ihr, Maryo Vadorís zum Tode verurteilt.«

»Wie … warum ich?« Seryl stand mit offenem Mund da.

»Weil Ihr ebenso die Pflicht gehabt hättet, auf Eure Gemahlin aufzupassen.« Die Königin fixierte den blonden Elf mit schmalen Augen. »Ihr seid nicht weniger Schuld an ihrem Verschwinden als Maryo Vadorís. Und jetzt fort mit Euch, ich will keinen von Euch beiden mehr sehen, ehe Ihr mir nicht meine Tochter zurückgebracht habt!« Sie wandte sich ab und verließ hoch erhobenen Hauptes den Thronsaal.

»Na, das wird gewiss spaßig, mit Euch unterwegs zu sein«, murmelte Maryo und warf Seryl einen schiefen Blick zu, ehe er sich vom Boden erhob.

Seryl Némys stand immer noch an derselben Stelle und sah mit ungläubigem Blick der Königin hinterher, die gerade durch die breite Flügeltür verschwand.

»Mund zu, mein Prinz, sonst holt Ihr Euch noch eine Erkältung.« Maryo ging ebenfalls auf den Ausgang des Thronsaals zu.

Hinter ihm war wütendes Gemurmel zu hören, als Seryl ihm fluchend folgte.

Kapitel 2 – Maryo

 

Jetzt lasst den Kopf nicht hängen, Prinz, das wird bestimmt eine amüsante Reise.« Maryo stand breitbeinig vor den Toren, die goldenen Augen auf Seryl gerichtet, der mit missmutiger Miene die Elfenstadt verließ.

Die Soldaten hatten eine Stunde gebraucht, um sich reisefertig zu machen. Nun waren sie alle mit Rucksäcken ausgerüstet und warteten in Reih und Glied darauf, dass die Suche nach der Prinzessin losging. Es fehlte nur noch ihr Gemahl, dem es jedoch sichtlich schwerfiel, sich von den Annehmlichkeiten der Elfenstadt zu verabschieden. Fünf Diener schleppten Seryls Reisegepäck, denn er hatte es sich nicht ausreden lassen, sein Zelt mitzunehmen – obwohl es im Wald zwischen den Bäumen kaum genug Platz geben würde, es aufzustellen.

Maryo schüttelte den Kopf über das eigenwillige Verhalten seines zukünftigen Königs. So langsam konnte er verstehen, warum Amyéna es nicht länger als eine Woche mit ihrem neuen Gemahl ausgehalten hatte und lieber in die Wälder geflohen war, als das Bett dieses Dummschwätzers zu wärmen. Schon beim Gedanken daran, wie sie bei dem arroganten Prinzen lag, spürte Maryo, dass sich seine Eingeweide zusammenzogen.

Amyéna war eine wunderschöne Elfin. Anmutig und von einer Eleganz, wie es nur eine Prinzessin sein konnte. Aber … sie hatte auch diese andere Seite. Eine Wildheit, die das Gemüt jeder Raubkatze in den Schatten stellte, und einen sturen Kopf, wie Maryo ihn nur selten erlebt hatte.

Doch gerade deswegen hegte er diese Zuneigung für sie. Er hatte es nie laut ausgesprochen, aber sie wusste dennoch von seinen Gefühlen … die sie nie erwidern würde. Selbst wenn sie hätte darüber hinwegsehen können, dass er mittellos war. Er blieb nun mal ein einfacher Soldat, von niedriger Geburt, während es Amyénas Bestimmung war, eines Tages das Elfenvolk von Westend zu regieren.

Nichtsdestotrotz hatte sie etwas Besseres verdient als diese Flasche von einem Prinzen, der sich aufplusterte, als sei er bereits jetzt schon der König von Westend.

Und trotzdem war Maryo dazu bereit, Amyéna für ihn zu suchen und zurück in die Stadt zu bringen. Warum, das konnte er sich selbst nicht erklären. Vielleicht war es auch einfach die Sorge, dass ihr etwas zustoßen könnte, die ihn in den Wald trieb. Er wusste zwar, dass sich eine grandiose Bogenschützin und Schwertkämpferin in ihr verbarg, jedoch gab es Gefahren, denen selbst eine Elfin nicht gewachsen war.

»Kommt jetzt!«, drängte Maryo ungeduldig und drehte sich zu den Elfenkriegern um, die ihn erwartungsvoll ansahen.

Sie alle trugen leichte Lederrüstungen, die an der Brust mit Metallteilen verstärkt waren, Arm- und Beinschutz sowie einen Helm aus Metall, Schwerter und Pfeilbogen. Alles andere würde sie im Wald nur behindern.

Maryo selbst hatte auf einen Helm verzichtet und seine Jagdrüstung angelegt, die aus weichem, dunklem Leder bestand, sowie einen dunkelgrünen Umhang mit dem königlichen Siegel darauf. An der Hüfte hatte er sein Schwert befestigt, während auf seinem Rücken das Reisegepäck geschultert war.

Sie hatten Proviant für zwei Wochen dabei. Maryo hoffte, dass das reichen würde. Vielleicht wären sie bloß ein paar Tage, womöglich aber gar wochenlang unterwegs. Aber Elfen überlebten immer im Wald – sie konnten jagen oder sich von Pflanzen ernähren, die den Menschen gänzlich unbekannt waren. Es blieb dennoch zu hoffen, dass sie nicht allzu lange weg sein würden, denn die Gefahren waren seit den Friedensverhandlungen zwar geringer geworden, jedoch zogen immer noch plündernde Banden durch das Land, die nicht wahrhaben wollten, dass der hundertjährige Krieg jetzt plötzlich zu Ende sein sollte.

Maryo hatte zwar eine Ahnung, wohin seine zukünftige Königin geflohen war, aber ihr Vorsprung betrug bereits eine Nacht, und er hatte ihr leider beigebracht, wie sie die Spuren so verwischen konnte, dass sogar ein Elf Mühe hatte, sie zu erkennen.

Dieses sture Mädchen!

Er atmete tief durch und richtete den Blick fest auf die Männer, die den Prinzen und ihn begleiten sollten. Es waren allesamt erprobte Krieger, die der Königinnengarde angehörten, welche nur aus Männern bestand. Keine Frau durfte der Königin dienen. Warum, das hatte Maryo bis heute nicht verstanden. Aber es war ihm im Grunde auch gleichgültig, ob er Elfinnen oder Elfen an seiner Seite hatte. Solange sie kämpfen, Befehle befolgen und den Mund halten konnten, sollte ihm beides recht sein.

»Wir werden uns nach Osten wenden«, sagte er mit lauter Stimme.

»Seit wann erteilst du die Befehle?«

Maryo seufzte und drehte sich zum Prinzen um, der inzwischen neben ihn getreten war und ihn wütend anfunkelte. »Weil ich den Wald besser kenne als Ihr – und wie es aussieht, kenne ich auch Eure Gemahlin besser. Sie wollte nach Osten, also gehen wir auch dorthin.«

»Woher willst du das so genau wissen?« Seryls violette Augen blitzten verärgert.

»Weil ich mich mit ihr unterhalte, statt bloß auf ihre Brüste zu starren«, fuhr Maryo ihn an. »Solange wir außerhalb Eures Wohlfühlbereichs namens ›königliche Gemächer‹ sind, werde ich das Kommando haben. Kommt jetzt, wir haben schon genug Zeit verloren!«

Seryl starrte mit offenem Mund auf den breiten Rücken des Elfen, der in den Wald davoneilte. So hatte noch nie jemand gewagt, mit ihm zu sprechen. Aber er würde sich wohl oder übel damit abfinden müssen, dass Maryo in den nächsten Tagen bestimmte, wohin sie gingen, denn selbst er musste ihm recht geben: So genau kannte Seryl diesen Wald noch nicht und vieles war ihm hier im Norden von Altra fremd.

Mit wutentbrannter Miene folgte er dem Elf, dessen Haar im Licht der Sonne, die zwischen den Ästen hindurchstrahlte, nun rötlich schimmerte.

 

»Dort drüben.« Maryo deutete zu einer Baumgruppe. Seine scharfen Elfenaugen hatten an einer Tannenrinde einen Faden erspäht. Mit zwei raschen Schritten war er bei dem Baum und löste das bläuliche Garn behutsam vom Stamm.

»Du entkommst mir nicht«, murmelte er siegessicher und ließ den Faden zwischen Daumen und Zeigefinger zwirbeln, während er ihn eingehend betrachtete.

Es war eindeutig die Farbe von Amyénas Umhang, den sie oft trug. Sie war also hier vorbeigekommen.

Maryo ließ den Blick über den Waldboden wandern und kniete sich hin, um die Erde zu untersuchen, die mit Laub und Tannenästen bedeckt war. Er schob ein paar Blätter zur Seite. Tatsächlich, ein leichter Fußabdruck war darunter zu erkennen, der jedoch gut verwischt worden war.

Dennoch – wenn Amyéna sich so viel Mühe gab, ihre Spuren zu verbergen, brauchte sie dafür Zeit. Viel Zeit. So geübt war sie auch wieder nicht darin.

Auf Maryos Gesicht erschien ein grimmiges Lächeln und er richtete sich auf. Es würde doch einfacher werden als gedacht, die Prinzessin zurückzubringen.

»Hier entlang!«, rief er den Elfen zu, die in einiger Entfernung gewartet hatten. »Sie ist in diese Richtung gegangen.«

»Wie viel Vorsprung hat sie?« Raelys Avarí, ein hochgewachsener, schlanker Elf mit rotblondem Haar trat neben ihn. Seine hellen Augen wiesen wie bei Maryo einen Goldstich auf. Er war der eigentliche Hauptmann der Königinnengarde, nun unterstand er jedoch Maryos Kommando, der von der Königin zum Kommandanten für diese Mission ernannt worden war.

Der Leibwächter der Prinzessin kannte sich von allen Elfen am besten in den Wäldern aus, da er viele Jahrzehnte hier verbracht hatte, ehe er in die Elfenstadt gekommen war.

Maryo sah mit zusammengekniffenen Augen in die Richtung, in welche Amyéna sich gewandt hatte. »Wir sollten sie entweder in der Nacht oder spätestens morgen früh eingeholt haben.«

»Falls sie sich einholen lässt …« Raelys warf ihm einen schiefen Blick zu.

»Keine Sorge, das überlass mir«, brummte Maryo und ließ seine Augen aufblitzen.

»Wie du meinst, Kommandant«, schmunzelte der Hauptmann, während er mit den Schultern zuckte.

»Die Kleine hat keine Chance gegen mich.« Maryo setzte seinen Weg fort, während die anderen ihm folgten. »Sie kennt den Wald zwar gut, aber ich kenne ihn besser. Wenn sie erfolgreich hätte fliehen wollen, hätte sie mich schon mitnehmen müssen.«

»Du bist sehr überzeugt von deinen Fähigkeiten.« Über Raelys’ Gesicht glitt ein Lächeln. »Ich kenne die Prinzessin, seit sie ein kleines Mädchen war und ich weiß, dass du sie nicht unterschätzen solltest.«

»Glaub mir, mein Freund.« Maryo blieb stehen und sah den Soldaten wissend an. »Ich kenne sie ebenfalls sehr gut. Und wenn ich sage, ich hole sie ein und bringe sie nach Hause, dann tu ich das auch.«

»Das werden wir ja sehen«, murmelte Raelys.

»Das wirst du«, sagte Maryo energisch und schritt weiter durch den Wald. Dabei gab er sich nicht besonders Mühe, leise zu sein, denn Elfen bewegten sich ohnehin fast lautlos.

 

Gegen Mittag erreichten sie eine Lichtung, auf der jemand ganz offensichtlich gelagert hatte. Das Gras zwischen den Büschen war niedergetrampelt und an einer Stelle waren die Überreste eines Lagerfeuers sichtbar.

»Sie wird unvorsichtig«, bemerkte Raelys.

»Nein, das war nicht sie«, entgegnete Maryo und musterte stirnrunzelnd den Boden. »Das waren mehrere Leute. Und auf keinen Fall Elfen.«

»Gorkas?« Seryl trat neben den Kommandanten, um die Lichtung genauer zu untersuchen.

»Prinz, das waren keine Gorkas. Seit wann gibt sich die Brut die Mühe, ihr Lagerfeuer mit Pisse zu löschen?« Maryo rümpfte die Nase, als er in Richtung der erkalteten Kohle nickte.

»Du hast einen guten Riecher«, sagte Raelys, dem der beißende Gestank nun auch auffiel. »Dann müssen es Menschen gewesen sein.«

»Ja, ungefähr acht. Fünf davon entweder sehr groß, sehr dick oder mit Eisenharnischen versehen.« Maryo ging ein paar Schritte auf der Lichtung umher, den Blick aufmerksam auf den Boden geheftet. »Mit denen werden wir locker fertig, sollten es Feinde sein.«

»In diesem Land ist jedes Volk ein Feind.« Seryl spuckte auf den Boden. 

Maryo hob den Blick und sah den Prinzen mit zusammengezogenen Augenbrauen an. »Wusste gar nicht, dass Ihr zu solchen Gesten fähig seid – das war nicht gerade prinzenhaft. Vielleicht werdet Ihr mir doch noch sympathisch.«

»Ich scheiß auf deine Sympathie, Soldat!«, knurrte Seryl, während seine dunkelvioletten Augen förmlich Blitze versprühten.

»Ja … doch … ich glaube, mit dieser Seite von Euch könnte ich leben.« Maryo legte den Kopf schief und grinste breiter.

»Bevor du unseren zukünftigen König weiter bedrängst, könnten wir überlegen, was zu tun ist?« Raelys boxte Maryo in die Seite, sodass dieser seine Aufmerksamkeit von dem immer noch mürrisch dreinblickenden Prinzen abwandte.

»Nun, ich hoffe, dass Amyéna …«, Maryo warf Seryl einen schrägen Blick zu, »Verzeihung, Prinzessin Amyéna, einen Bogen um diese Menschen gemacht hat. Um wen auch immer es sich handeln mag, ich bezweifle, dass sie mit ehrenwerten Absichten unterwegs sind. Sie sind bewaffnet.« Er deutete mit dem Kinn zu einem Baum, an dem jemand offenbar Schwertübungen gemacht hatte. »Und sie geben sich keine Mühe, ihre Spuren zu verwischen. In diesen Zeiten kann das nur zwei Gründe haben: Entweder sie sind eine solch große Truppe, dass sie keine Gegner zu fürchten brauchen – was sie jedoch nicht sind – oder, und das scheint mir überzeugender zu sein, sie sind auf Krawall aus. Wahrscheinlich irgendwelche Söldner, die im Krieg Blut geleckt haben und nun auf Streifzug sind.«

»Der Krieg ist bereits seit drei Jahren vorbei«, warf Seryl ein.

»Mag sein, dennoch ziehen immer noch solche Banden durch das Land.« Maryo schnaubte und seine Augen funkelten angriffslustig. »Ihr solltet vielleicht mal Eure goldenen Pantoffeln gegen festes Schuhwerk tauschen und etwas in Eurem zukünftigen Königreich herumreisen, statt nur in der behüteten Elfenstadt wie ein Pfau zu stolzieren. Dann wäre Euch längst aufgefallen, dass der Frieden noch nicht jeden Winkel in Altra erreicht hat, wie uns dieses Magierpack weismachen will.«

»Wie redest du mit mir?!«, fuhr Seryl den Kommandanten an.

»In Lormisch«, entgegnete Maryo schlagfertig. »Der Landessprache, die wir hier in Lormir sprechen. Warum, habe ich zu rasch geredet? Konntet Ihr mir etwa nicht folgen?«

»Maryo!«, unterbrach ihn Raelys warnend. »Wir müssen uns auf unsere Aufgabe konzentrieren: die Prinzessin zu finden. Wenn du recht behältst und tatsächlich eine Söldnerbande hier ihr Unwesen treibt, dann sollten wir uns beeilen, Amyéna Némys zurückzuholen.«

Maryo sah seinen Freund mit schmalen Augen an. »Es stimmt ja, was du sagst, aber es macht einfach viel zu viel Freude zu sehen, wie unser Prinz die Gesichtsfarben wechseln kann.« Er grunzte, als Seryl zu seinem Schwertknauf griff, um dem aufsässigen Soldaten eine Lektion zu erteilen. »Steckt Eure Stricknadel wieder ein, Seryl Némys, Ihr verletzt Euch noch und dann muss ich mich zusätzlich zum Verschwinden Eurer Gemahlin für eine verunstaltete Prinzenhand verantworten – wo Ihr sie doch so dringend braucht, um Euren Allerwertesten abzuwischen. Denn ich bezweifle, dass Ihr dafür schon einen Diener gefunden habt …«

Ein lautes Knurren des Prinzen war die Folge, der wutschnaubend und mit gezücktem Schwert auf Maryo losstürmte.

»Das reicht! Genug jetzt!«, rief Raelys mit überraschender Schärfe in der Stimme.

Selbst Seryl hielt in seinem Vorhaben inne, Maryo um den Kopf zu kürzen, den er ihn überragte, und sah den Hauptmann überrascht an.

»Du hast zwar das Kommando, weil du der Leibwächter der Prinzessin bist und dich in diesen Wäldern verdammt gut auskennst«, fuhr Raelys an Maryo gewandt fort. »Aber wenn du weiterhin Zeit damit vergeudest, den Prinzen zu beleidigen, statt dich auf deine Aufgabe zu besinnen, werde ich dich absetzen und …«

»Du willst mich absetzen?« Maryo verschränkte die Arme vor der Brust und zog die Augenbrauen in die Höhe. »Na, das will ich ja mal sehen.«

»Überspann den Bogen nicht!« Raelys trat nahe vor den um eine Handbreit größeren Elf und verengte die hellen Augen. »Du weißt, dass ich dir in jedem Kampf ebenbürtig bin.«

Eine Weile herrschte angespanntes Schweigen, dann zuckte Maryo mit den Schultern. »Ist ja gut, kein Grund wie ein kleines Mädchen zu zicken«, erwiderte er. »Also, hier ist mein Plan: Wir behalten die Fährte dieser Bande im Auge und schicken einige Kundschafter voraus, um zu sehen, wohin sie gegangen sind. Weit können sie noch nicht gekommen sein, das Lager wurde vor weniger als vier Stunden verlassen. Wenn sie sich in eine andere Richtung gewandt haben als unsere Prinzessin, werden wir sie nicht weiter behelligen. Sollten sie jedoch nach Osten unterwegs sein, werden wir sie angreifen. Ich will nicht, dass sich solches Gesindel in der Nähe von Amyéna aufhält.«

»Gut.« Raelys schien erleichtert darüber, dass Maryo den Prinzen nicht weiter provozierte. »Avanthyl und Talary, ihr werdet die Menschen verfolgen«, richtete er das Wort an zwei Soldaten, die ein geschultes Auge für Fährten hatten und sich außerdem besonders lautlos fortbewegen konnten. »Beobachtet sie aus sicherer Entfernung. Wir folgen euch mit etwas Abstand. Sobald ihr wisst, wer diese Fremden sind, kommt ihr zu uns zurück und erstattet Bericht.«

»Zu Befehl, Hauptmann!« Die beiden Elfen machten sich sofort auf den Weg in die Richtung, in die die Menschen gegangen waren.

»Na, dann hoffen wir mal, dass du dich täuschst«, sagte Raelys an Maryo gewandt.

»Warum? Ein kleiner Kampf mit menschlichen Söldnern käme mir gerade recht«, entgegnete dieser mit einem mordlüsternen Funkeln im Blick, das Raelys unvermittelt eine Gänsehaut bescherte.

 

Eine Weile untersuchte Maryo den Waldboden um die Lichtung herum, ehe er an einer Stelle in die Hocke ging, um das Gras abzutasten.

»Und, etwas Interessantes?«, fragte Raelys und schlenderte zu ihm.

Maryo schob die Augenbrauen zusammen, sah ihn jedoch nicht an, als er antwortete. »Wie ich bereits gesagt habe: Acht Menschen, bewaffnet, zum Teil mit schweren Rüstungen. Hab nie verstanden, warum Menschen sich das antun. Eisenharnische schränken doch vor allem hier im Wald die Bewegungsfreiheit ein. Zudem kann man nicht mehr aufstehen, wenn man einmal hingefallen ist. Ein komisches Volk, das sich freiwillig zu behinderten Krüppeln im Kampf macht.«

»Sie sind nicht nur stumpfsinnig, auch wenn sie kaum lang genug leben, um die Welt und ihre Wunder tatsächlich zu begreifen«, entgegnete Raelys, der jetzt neben Maryo kniete. »Wir dürfen sie nicht unterschätzen.«

»Bist du schon jemals einem Menschen begegnet, der es wert war, dass man sich länger als zwei Minuten mit ihm beschäftigte?« Maryo legte den Kopf in den Nacken und sah in das Blätterdach hinauf, das sich über ihnen ausbreitete.

»Ja, das bin ich. Und du wirst das auch noch, glaub mir.« Raelys sah ihn vielsagend an und stand auf. »Komm, wir gehen weiter. Je rascher wir vorankommen, desto eher finden wir Amyéna und können sie nach Hause bringen.«

Maryo sah seinen Freund skeptisch an. »Hast du dir noch nie überlegt, dass vielleicht gerade das das Falsche für sie sein könnte?«

Kapitel 3 – Maryo

 

Es dauerte keine zwei Stunden, bis die Elfen, die Raelys ausgeschickt hatte, wieder zurückkehrten.

»Was gibt’s?«, rief Maryo ihnen entgegen, noch ehe sie bei ihm angekommen waren.

»Kommandant Vadorís, ein paar Wegstunden von hier befindet sich ein Lager voller menschlicher Söldner«, antwortete der eine Späher, der auf den Namen Avanthyl hörte. Er war etwa gleich groß wie Raelys, sein schwarzes Haar hatte er zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Die Augen, die nun aufmerksam auf Maryo gerichtet waren, glitzerten wie Sterne. Er war ein naher Verwandter der Königin.

»Welche Idioten errichten ein Lager so nahe bei einer Elfenstadt?«, fragte Maryo gereizt. »Wie viele sind es?«

»Wir konnten sie nicht zählen, da die Zelte, die sie aufgeschlagen haben, sich zwischen den Bäumen verlieren«, antwortete Avanthyl mit entschuldigendem Gesichtsausdruck. »Aber es müssen mehrere Dutzend, wenn nicht über hundert Mann sein.«

»Verdammt noch mal, das ist eine Menge. In welcher Richtung liegt das Lager?«

»Richtung Osten, Kommandant Vadorís.«

Abermals entfuhr Maryo ein herzhafter Fluch. »Da ist die Richtung, die Amyéna genommen hat. Offenbar bestand der Söldnertrupp, dessen Lager wir gefunden haben, aus Nachzüglern. Sie scheinen nach Winsor unterwegs zu sein. Wir können nicht riskieren, dass sie weiterziehen und damit vielleicht Amyénas Weg kreuzen …« Er fuhr sich mit der Hand über das Kinn.

»Maryo, ich weiß, was du vorhast«, sagte Raelys, der sich das Ganze bisher stumm angehört hatte. »Aber es ist keine gute Idee, gegen eine Übermacht zu kämpfen, zumal unsere Befehle nicht lauten, dass wir Söldner in den Wäldern von Westend verprügeln sollen. Unsere Aufgabe ist es, die Prinzessin nach Hause zu bringen.«

Maryo warf dem Hauptmann einen eisigen Blick zu. »Zum hundertsten Mal: Ich befehlige diese Truppe! Weder du noch unser hochwohlgeborener Schnösel!« Er sah zurück zum Prinzen, der sich glücklicherweise gerade mit seinen Dienern abmühte und die Beleidigung nicht gehört hatte. »Wir werden diesen Söldnern einen Strich durch ihren Plan machen.«

»Was versprichst du dir davon?« Raelys musterte Maryo skeptisch.

»Ich will nicht, dass Amyéna etwas zustößt. Und das Beste, um das zu verhindern, ist, potenzielle Gefahren – in diesem Fall die Söldner – aus dem Weg zu räumen. Wer weiß, vielleicht haben sie die Prinzessin sogar bereits gefunden und gefangen genommen. Ich muss wissen, dass sie in Sicherheit ist.«

Raelys seufzte. »Ich fände es besser, wenn wir die Menschen noch ein paar Stunden verfolgen, bis wir wirklich sicher sind, dass sie Amyéna nicht in die Quere kommen. Falls doch, können wir einen Angriff ins Auge fassen. Bedenke jedoch«, er sah Maryo vielsagend an, »wenn sie tatsächlich in dieselbe Richtung unterwegs sind wie die Prinzessin und wir, kann uns das nur von Vorteil sein. Sie werden gegen Gorkas sowie andere Feinde kämpfen, mit deren Blut wir sonst unsere eigenen Hände beschmutzen müssten.«

Maryo warf ihm einen nachdenklichen Blick zu. »Das ist ein Argument«, sagte er langsam. »Na gut, dann verfolgen wir sie. Ihr zwei«, er deutete auf die beiden Späher, »behaltet sie im Auge. Falls noch mehr Söldner dazukommen, will ich das sofort wissen, kapiert? Und falls ihr Amyéna bei ihnen erblicken solltet …«, seine goldenen Augen verdunkelten sich, »dann möge Gott Ferys euch gnädig sein, wenn ihr nicht so schnell zu mir rennt, wie eure Beine euch tragen und mir Bericht erstattet! Habt ihr mich verstanden?!«

Die beiden Späher nickten respektvoll und brachen sofort wieder auf.

Maryo richtete die Augen währenddessen wieder auf den Waldboden. Seit einer Stunde bereits waren von Amyéna keine Spuren mehr zu erkennen. Offenbar hatte die Elfin sich ab hier noch größere Mühe gegeben, nicht entdeckt zu werden.

Verdammt noch mal, sie konnte sich doch nicht in Luft aufgelöst haben!

Er hob den Kopf und starrte in die Baumkronen. Es sei denn, sie war ab hier durch das Geäst der Bäume weitergegangen. Er wusste, wie gut sie klettern konnte. Es wäre ein Leichtes für sie, wie ein Eichhörnchen von Ast zu Ast zu springen. Vielleicht hatte sie auch die Söldner entdeckt und wollte auf Nummer sicher gehen. Oder sie war tatsächlich von ihnen gefangen genommen worden.

Maryos Magen zog sich zusammen und Übelkeit stieg in ihm hoch, als er daran dachte, was diese Bastarde mit ihr anstellen würden, sollten sie sie in die Finger bekommen. Eine schöne Elfin, ganz alleine, einer Horde gelangweilter Söldnern ausgeliefert … er brauchte nicht viel Fantasie, um zu wissen, was sie mit ihr tun würden.

Nein, verflucht! Sie würden sie nicht kriegen!

Rasch verbarg er seine Angst hinter einer gleichgültigen Miene. Es fehlte noch, dass Raelys oder gar der Prinz mitbekämen, wie groß seine Sorgen um Amyéna in Wirklichkeit waren. Sie wussten alle schon viel zu gut, wie sehr sie ihm am Herzen lag, da brauchte er nicht noch zusätzliche Schwäche zu zeigen.

»Los, weiter!«, brummte er und ging den Kriegern voran, Richtung Osten.

 

Am späteren Nachmittag stießen sie auf die beiden Späher, die sie losgeschickt hatten … oder auf das, was von ihnen übrig geblieben war.

Maryo stürzte zu dem Baum, an dem ihre Leiber aufgehängt worden waren.

»Bei allen verfluchten …« Seine Stimme versagte und er starrte mit weit aufgerissenen Augen auf die zwei Soldaten, die einem wahren Gemetzel zum Opfer gefallen waren.

Ihre Bäuche waren aufgeschlitzt, die Gedärme hingen heraus. Hände und Füße hatten die Söldner abgetrennt, die spitzen Ohren, die alle Elfen besaßen, ebenso. Die Körperteile waren nirgends zu sehen, wahrscheinlich hatten die Menschen sie ihren Hunden zum Fraß vorgeworfen. Blut tränkte den Waldboden und verströmte einen übelkeiterregenden Eisengeruch, der sich mit dem der Exkremente der Elfen vermischte.

Maryo hielt sich seine Hand vor Mund und Nase, um nicht zu würgen. Solch ein Anblick zwang selbst den stärksten Mann in die Knie …

»Das waren meine Soldaten«, presste Raelys hervor, der ebenso fassungslos neben Maryo stand. »Diese verdammten Hurensöhne!«

Maryo warf ihm einen Blick zu und sah, dass Raelys Tränen in die Augen traten, die er jedoch rasch wegblinzelte. Doch die Trauer zeichnete dennoch seine Gesichtszüge.

Maryo wusste, dass dieser Anblick Raelys bis ins Herz traf. Der Hauptmann der Königinnengarde hatte die beiden Elfen viele Jahrzehnte lang ausgebildet. Es waren seine Kampfgefährten, seine Brüder und Freunde gewesen. Seine Familie.

Denn Raelys hatte keine eigene Familie mehr. Alle waren im Hundertjährigen Krieg gegen die Zirkel gefallen. Er alleine war übrig geblieben und Maryo wusste, dass er sich geschworen hatte, sein Leben dem Kampf und dem Wohle seines Volkes zu widmen.

Raelys war es zu verdanken gewesen, dass der Zirkel von Lormir die Elfen von Westend irgendwann in Ruhe ließ, weil die Streitmacht zu starken Widerstand leistete und es den Magiern schlussendlich die Mühe nicht wert schien, den Westendwald zu erobern.

Und jetzt stand Raelys wieder vor zwei Freunden, deren Tod durch die Hand von Menschen verursacht worden war.

Mit zusammengepressten Lippen begann der rotblonde Hauptmann, die toten Elfen von dem Ast zu schneiden. Maryo und ein paar andere Soldaten beeilten sich, ihm dabei zur Hand zu gehen.

»Wir müssen sie begraben, sonst werden sie von wilden Tieren gefressen«, sagte Raelys, als die toten Krieger vor ihnen auf dem Laub des Waldbodens lagen.

»Wir haben keine Zeit, sie in den heiligen Hain zu bringen«, bemerkte Maryo. »Wir werden hier an dieser Stelle ein notdürftiges Grab errichten und holen sie, sobald wir die Prinzessin gefunden haben.«

Raelys nickte, ohne ihn anzusehen.

»Was für eine Grausamkeit muss in diesen Menschenbastarden stecken …«, murmelte Maryo, als er half, mittels Magie ein Loch aus der Erde zu heben, in welches sie die beiden Leichen legen wollen. »Ich hoffe, Amyéna wurde nicht von ihnen gefangen genommen.« Bei diesem Gedanken zog sich sein Herz schmerzhaft zusammen und er verdrängte ihn sofort wieder … das war der falsche Zeitpunkt.

»Das hoffe ich auch«, sagte Raelys leise.

Nachdem die toten Körper begraben waren, besprachen Maryo, Raelys und Seryl das weitere Vorgehen.

»Ich bin dafür, dass wir diesen Schweinen eine Lektion erteilen«, schlug Maryo mit zornig funkelnden Augen vor, was mit einem bitteren Nicken von Raelys kommentiert wurde.

»Keinesfalls! Wir werden nicht gegen eine Übermacht kämpfen!«, hielt Seryl dagegen. »Wir sollen meine Gemahlin finden, nicht unseren eigenen Tod!«

»Aber es könnte sein, dass sich Eure werte Gemahlin in den dreckigen Fingern dieser Scheißkerle befindet!«, fuhr Maryo ihn gereizt an. »Es spricht zumindest viel dafür. Wir haben ihre Spuren nicht mehr gefunden und sie schrecken offensichtlich nicht davor zurück, Elfen kaltblütig zu meucheln und auf den sogenannten Friedenspakt zu pfeifen. Was ist Euch mehr wert? Euer eigenes Leben oder das Eurer Gemahlin?«

Seryl starrte einen Moment lang unentschlossen in die goldenen Augen des breitschultrigen Elfen, dann senkte er den Blick, ohne etwas zu antworten.

»Ich nehme das als Einwilligung!«, sagte Maryo mit grimmiger Genugtuung.

»In einem Punkt gebe ich dem Prinzen recht«, wandte Raelys ein. »Wir sollten nicht planlos gegen die Übermacht kämpfen. Zumal das die Sicherheit der Prinzessin gefährden könnte, sollte sie tatsächlich von ihnen gefangen genommen worden sein. Wer garantiert uns, dass diese Bastarde ihr nicht die Kehle durchschneiden, wenn sie uns sehen – falls sie überhaupt noch lebt? Nein, das ist zu gefährlich.«

»Wir wissen nicht mit Gewissheit, dass Amyéna von ihnen gefangen genommen wurde«, nickte Seryl. »Es kann sein, dass sie sie nicht entdeckt haben.«

»Gut«, meinte Maryo gedehnt. »Wir werden uns in der Nacht zu ihrem Lager schleichen und erkunden, ob sie Amyéna in ihrer Gewalt haben. Sie müssen hier irgendwo in der Nähe sein, denn Avanthyl hat davon gesprochen, dass sie ein paar Wegstunden von dem ersten Lager ihr Hauptlager haben. Falls Amyéna ihre Gefangene ist, werden wir sie befreien. Und wenn das bedeutet, dass wir diese Menschen angreifen, dann ist das eben so.«

»Und was, wenn Amyéna nicht bei ihnen ist?«, fragte Seryl mit schief gelegtem Kopf.

»Dann werdet Ihr Eure kostbaren Stiefel noch etwas stärker abnutzen müssen, weil wir sie dann weiterhin im Wald suchen werden«, knurrte Maryo.

 

Als die Dämmerung hereinbrach, schlugen die Elfen ihr Lager zwischen hohen Büschen auf. Die Nächte konnten hier in Altra im Spätsommer kühl werden, und auch wenn Elfen über mehr Körperwärme als Menschen verfügten, so mussten sie doch dafür sorgen, dass sie es warm genug hatten.

Da sie nicht unnötige Aufmerksamkeit auf sich ziehen wollten, entfachten sie kein Feuer, sondern suchten Laub zusammen, um sich darauf zu setzen und somit gegen die nächtliche Kälte des Bodens zu wappnen. Ihre heilende Elfenmagie vermochte zwar leichtere Erkältungen zu lindern, jedoch wollten sie ihre Kräfte für einen möglichen Kampf gegen die Söldner aufsparen. Selbst Elfenmagie war nicht unerschöpflich.

»Wir werden nur zu zweit losgehen.« Maryo setzte sich neben Raelys, der an einem Stück Trockenfleisch kaute. Der dunkelhaarige Elf sprach mit gedämpfter Stimme, damit die anderen ihn nicht hören konnten.

Der Hauptmann wandte ihm überrascht den Kopf zu. »Hältst du das für eine gute Idee?«, fragte er ebenso leise.

Zur Antwort erhielt er ein knappes Nicken. »Sonst würde ich es nicht vorschlagen.« Maryo holte seinen Wasserschlauch hervor und trank einen Schluck. »Je mehr wir sind, desto größer ist die Gefahr, dass wir entdeckt werden. Ich werde es nachher den anderen mitteilen. Du und ich – wir gehen los, um herauszufinden, ob Amyéna im Lager gefangen gehalten wird. Falls dem so ist, kehren wir zurück und besprechen das weitere Vorgehen. Falls nicht, gehen wir in dieser Nacht noch weiter. Wenn die ersten Sterne am Himmel erscheinen, brechen wir auf. Sieh zu, dass du dich bereithältst.«

Raelys sah den Kommandanten nachdenklich an. »Also gut, lass es uns so machen. Ich bin froh, dass du nicht mehr darauf aus bist, die Söldner sinnlos niederzumetzeln. Auch wenn ich selbst ihren Tod mehr als alles andere wünsche, seit sie meine Männer auf derart grausame Art und Weise umgebracht haben. Aber es ist keine gute Idee, unnötig einen Kampf zu riskieren.«

Maryo nickte bestätigend. »Das hab ich jetzt auch eingesehen. Also, ich werde es den anderen sagen.« Er stand auf und steckte den Wasserschlauch wieder in die Halterung an seinem Gurt. »Bis nachher.«

Raelys blieb sitzen, während Maryo zu den anderen Kriegern schlenderte und ihnen knapp den Plan erklärte. Wie zu erwarten war, sprang Seryl auf, nachdem Maryo geendet hatte, und sah den größeren Elf herausfordernd an. »Ich werde bestimmt nicht hier tatenlos herumsitzen, während ihr meine Gemahlin sucht«, rief er.

»Euch wird nichts anderes übrig bleiben, weil wir Euch nämlich nicht mitnehmen werden«, antwortete Maryo ruhig. »Ihr seid ein Hochlandelf und damit zu unerfahren, was den Wald angeht. Ihr würdet uns nur behindern.«

Der Prinz wollte etwas entgegnen, aber Maryo schnitt ihm mit einer unwirschen Geste das Wort ab. »Wenn Ihr weiter so herumschreit, werdet Ihr die Menschen auf uns aufmerksam machen«, knurrte er leise. »Entweder Ihr akzeptiert meinen Vorschlag oder ich fessle Euch an den nächsten Baum – das ist mein voller Ernst.«

Es war Seryl anzusehen, dass er etwas einwenden wollte. Dennoch biss er sich stattdessen auf die Unterlippe und starrte den dunkelhaarigen Elf zornig an. Er schien zu wissen, dass jeder Widerspruch zwecklos sein würde und Maryo seine Drohung nicht nebenbei ausgesprochen hatte. Der Prinz rang sich schließlich ein kurzes Nicken ab.

Ein zufriedenes Schmunzeln legte sich auf Maryos Lippen und er hörte auf, den Prinzen mit seinen Blicken zu taxieren. »Gut, dann wäre das geklärt.«

Seryl stampfte wütend davon, während Maryo einen Blick zu Raelys warf, der ihn kopfschüttelnd musterte.

Kapitel 4 – Maryo

 

»Wie schätzt du die Lage ein?«, flüsterte Raelys.

»Hm.« Maryo kniff die Augen zusammen und studierte das Zeltlager.

Beide Elfen lagen flach auf dem Boden im Schutz einiger Sträucher und beobachteten die Menschen, die sich vollkommen sicher zu fühlen schienen.

Die Soldaten hatten mehrere Lagerfeuer errichtet und machten sich nicht die Mühe, leise zu sein. Im Gegenteil, sie grölten laut, lachten und rissen derbe Scherze. Sie waren nicht nur grausame Elfenmeuchler, sondern auch noch so dumm, in der Nähe einer Elfenstadt auf jegliche Sicherheitsmaßnahmen zu verzichten.

Maryo verzog angewidert den Mund. Er hatte Menschen noch nie gemocht und die Szene, die er gerade beobachtete, führte keinesfalls dazu, dass sich seine Meinung über diese Rundohren so rasch ändern würde.  

»Wenn Amyéna hier ist, dann wird sie wahrscheinlich in einem der Zelte in der Mitte des Lagers gefangen gehalten«, sagte er ebenso leise zu seinem Freund.

»Ich denke, der da drüben hat das Kommando.« Raelys deutete mit dem Kinn in Richtung eines breitschultrigen Kriegers, der eine schwere Kettenrüstung trug.

An seiner Seite hing eine Axt, deren geschliffene Klinge im Schein des Feuers aufblitzte. Feurig glühende Runen waren in das Metall eingraviert. Die Waffe stammte eindeutig aus einer Zwergenschmiede und war wahrscheinlich Kriegsbeute. Denn die Zwerge trieben seit Beginn des hundertjährigen Krieges keinen Handel mehr mit den Menschen und hatten sich mit dem Ende der Schlachten in ihre Städte, tief in den Bergen von Altra, zurückgezogen.

Dass der breitschultrige Kämpfer eine solche Waffe besaß, ließ schlussfolgern, dass er einen höheren Rang bekleiden musste.

»Gut möglich«, murmelte Maryo, während er den Kämpfer beobachtete, der sich jetzt von seinen Kameraden abwandte und zu einem der größeren Zelte schritt. »Sie scheinen keine Magier dabei zu haben.«

»Oder aber die Magier haben sich nicht zu den Soldaten gesellen wollen«, mutmaßte Raelys.

»Kann ich ihnen nicht verdenken«, bemerkte Maryo mit einem bitteren Zug um den Mund.

Diese lauten, stinkenden Männer waren einfach nur verabscheuungswürdig!

»Was hast du vor?« Raelys hielt seinen Freund am Arm fest, als dieser Anstalten machte, unter dem Busch hervor in den schützenden Schatten des nächsten Zeltes zu schleichen.

»Ich werde den Kerl verfolgen«, brummte er.

Raelys zog die Augenbrauen zusammen. Maryo konnte ihm ansehen, dass ihm sein Plan nicht behagte, aber schließlich nickte der Hauptmann. Da Elfenaugen auch in der größten Dunkelheit noch gut sehen konnten, entging Maryo der resignierte Zug um den Mund seines Freundes dennoch nicht.

»Gut, aber pass auf dich auf«, bat Raelys. »Ich werde hier die Stellung halten und dich warnen, sollte sich etwas zusammenbrauen. Wenn du den Ruf einer Schleiereule hörst, kommst du auf der Stelle zurück.«

»Du scheinst zu vergessen, dass ich nicht mehr unter deinem Kommando stehe, sondern vielmehr das Sagen in dieser Mission habe«, knurrte Maryo leise.

Es widerstrebte ihm, Befehle entgegenzunehmen – selbst wenn sie von seinem Freund kamen. Aber er hatte immer schon Mühe gehabt, sich jemandem unterzuordnen, wenn er keinen Sinn darin sah.

Raelys schnaubte. »Es ist vollkommen unerheblich, ob du noch ein Rekrut bist oder nicht. Du bist in erster Linie mein Freund. Und ich werde nicht zulassen, dass du dich unnötig in Gefahr begibst.«

»Von ›unnötig‹ wird wohl kaum die Rede sein, wenn diese Kerle tatsächlich Amyéna gefangen genommen haben«, erwiderte Maryo unwirsch.

Raelys seufzte. »Es wäre besser, wenn ich den Anführer verfolgen würde. Deine Gefühle für unsere Prinzessin vernebeln dir die Sinne und vor allem verzerren sie deine Urteilsfähigkeit.«

Maryo wollte etwas erwidern, aber Raelys hob eine Hand in die Luft. »Schon gut, geh. Ich weiß, dass es nichts bringt, dich aufhalten zu wollen.«

Der dunkelhaarige Elf nickte und schlich ohne ein weiteres Wort in die Richtung davon, die der breitschultrige Krieger eingeschlagen hatte. Dabei hielt er sich gekonnt im Schatten der Zelte verborgen, sodass die Soldaten ihn nicht einmal gesehen hätten, wenn sie in Alarmbereitschaft gewesen wären.

Aber diese dummen Menschen fühlten sich so sicher, dass sie nicht einmal genügend Wachen aufgestellt hatten. Es war schon ein Leichtes gewesen, sich an das Lager heranzupirschen. Und es würde ebenfalls nicht schwer werden, die Prinzessin zu befreien, sollte sie diesen Grobianen wirklich in die Hände gefallen sein.

Maryo schlich um eines der größeren Zelte herum und achtete darauf, den breitschultrigen Kämpfer im Auge zu behalten. Dieser schien sich vollkommen unbeobachtet zu fühlen, so zielstrebig, wie er durch das Lager schritt.

Einfältige, selbstgefällige Menschen …

Wie vermutet, hielt der Hüne bei einem der größten Zelte an und schlug die Plane zur Seite. Maryo kniff die Augen stärker zusammen, um etwas erkennen zu können. Im Zeltinneren brannte eine kleine Laterne, die für einen kurzen Augenblick eine Szene erhellte, die ihn die Luft anhalten ließ.

Auf dem Boden, mitten im Zelt, saß eine Gestalt. Sie musste an den Holzmast in der Mitte gefesselt worden sein, so wie ihre Arme nach hinten gestreckt waren. Ihr langes, dunkles Haar fiel ihr über das Gesicht, aber die schlanke Figur ließ keinen Zweifel daran, dass es eine Frau sein musste.

Dann fiel die Plane hinter dem Hünen zurück und verbarg den Anblick vor Maryos Augen.

Der Elf biss sich wütend auf die Unterlippe.

Verdammt noch mal … diese Bastarde hatten tatsächlich Amyéna gefangen!

Er hatte die Frau zwar nur für den Bruchteil einer Sekunde gesehen, aber deren zierliche Statur passte zum Aussehen der Elfenprinzessin, ebenso wie ihr dunkles Haar.

Für einen Moment erlaubte er sich, innerlich alle derben Verwünschungen herunterzufluchen, die er kannte.

Dann atmete er tief durch und seine Gedanken überschlugen sich, um einen Plan zu schmieden, wie er Amyéna dort herausbringen konnte, ohne dass das ganze Lager in Aufruhr geriet.

Zwar traute er sich ohne Weiteres zu, gegen mehrere Soldaten zu kämpfen – schließlich waren es Menschen! – aber er wusste auch, dass er keine Chance hatte, gleichzeitig seine Männer zu beschützen. Und die würden sich auf jeden Fall einmischen, wenn sie den Kampflärm hören würden.

Doch ihm blieb keine Zeit, lange zu überlegen, denn er hörte aus dem Zeltinneren einen Frauenschrei, der sein Herz einen Moment lang erstarren und dann umso schneller weiterschlagen ließ.

In der Stimme lagen Angst und Schmerz.

Das reichte, um seine Wut auf diese Hurensöhne ins Grenzenlose zu steigern und jede Vernunft, die ihm riet, einen handfesten Plan auszudenken, in den Wind zu schießen.

Leise wie ein Schatten glitt Maryo zum Zelteingang und hob die Plane ein wenig an, um ins Innere sehen zu können. Eine Hand hatte er um den Griff des Dolches gelegt, den er an seinem Hüftgurt trug.

Der Anblick, der sich ihm bot, ließ sein Blut in den Adern gefrieren.