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Wer im Taumel des Glücks tanzt, vergisst schnell, die Augen auf den Horizont zu richten, und übersieht womöglich die dunklen Wolken, die ein nahendes Gewitter ankündigen. War es für Damaris vor wenigen Monaten noch unvorstellbar, in Chakas glücklich zu werden, so ist sie nun überwältigt von den Gefühlen, die ihr Herz beflügeln. Doch ehe sie diese zu genießen vermag, wird ihr Leben aus heiterem Himmel erschüttert. Denn die Intrigen, die in der Hafenstadt lauern, sind gewaltiger, als sie auf den ersten Blick scheinen – und stellen nicht nur ihre Liebe, sondern auch ihre Loyalität auf die Probe.
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Seitenzahl: 456
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Inhaltsverzeichnis
Titel
Informationen zum Buch
Impressum
Widmung
Landkarte Altra
Karte Stadt Chakas
Kapitel 1 - CILIAN
Kapitel 2 - DAMARIS
Kapitel 3 - CILIAN
Kapitel 4 - DAMARIS
Kapitel 5 - DAMARIS
Kapitel 6 - DAMARIS
Kapitel 7 - DAMARIS
Kapitel 8 - CILIAN
Kapitel 9 - DAMARIS
Kapitel 10 - DAMARIS
Kapitel 11 - CILIAN
Kapitel 12 - DAMARIS
Kapitel 13 - ADRIÉN
Kapitel 14 - DAMARIS
Kapitel 15 - ADRIÉN
Kapitel 16 - DAMARIS
Kapitel 17 - DAMARIS
Kapitel 18 - DAMARIS
Kapitel 19 - CILIAN
Kapitel 20 - DAMARIS
Kapitel 21 - DAMARIS
Kapitel 22 - DAMARIS
Kapitel 23 - ADRIÉN
Kapitel 24 - DAMARIS
Kapitel 25 - CILIAN
Kapitel 26 - ADRIÉN
Kapitel 27 - CILIAN
Kapitel 28 - DAMARIS
Kapitel 29 - CILIAN
Kapitel 30 - CILIAN
Kapitel 31 - CILIAN
Kapitel 32 - DAMARIS
Kapitel 33 - CILIAN
Kapitel 34 - DAMARIS
Kapitel 35 - DAMARIS
Kapitel 36 - CILIAN
Kapitel 37 - DAMARIS
Kapitel 38 - CILIAN
Kapitel 39 - DAMARIS
Kapitel 40 - CILIAN
Kapitel 41 - DAMARIS
Nachwort der Autorin
Glossar
C. M. SPOERRI
Damaris
Band 2: Der Ring des Fürsten
Fantasy
Damaris (Band 2): Der Ring des Fürsten
Wer im Taumel des Glücks tanzt, vergisst schnell, die Augen auf den Horizont zu richten, und übersieht womöglich die dunklen Wolken, die ein nahendes Gewitter ankündigen.
War es für Damaris vor wenigen Monaten noch unvorstellbar, in Chakas glücklich zu werden, so ist sie nun überwältigt von den Gefühlen, die ihr Herz beflügeln. Doch ehe sie diese zu genießen vermag, wird ihr Leben aus heiterem Himmel erschüttert. Denn die Intrigen, die in der Hafenstadt lauern, sind gewaltiger, als sie auf den ersten Blick scheinen – und stellen nicht nur ihre Liebe, sondern auch ihre Loyalität auf die Probe.
Die Autorin
C. M. Spoerri wurde 1983 geboren und lebt in der Schweiz. Sie studierte Psychologie und promovierte im Frühling 2013 in Klinischer Psychologie und Psychotherapie. Seit Ende 2014 hat sie sich jedoch voll und ganz dem Schreiben gewidmet. Ihre Fantasy-Jugendromane (›Alia-Saga‹, ›Greifen-Saga‹) wurden bereits tausendfach verkauft, zudem schreibt sie erfolgreich Liebesromane. Im Herbst 2015 gründete sie mit ihrem Mann den Sternensand Verlag.
www.sternensand-verlag.ch
1. Auflage, Oktober 2020
© Sternensand Verlag GmbH, Zürich 2020
Umschlaggestaltung: Alexander Kopainski
Korrektorat: Sternensand Verlag GmbH | Natalie Röllig
Korrektorat 2: Sternensand Verlag GmbH | Jennifer Papendick
Satz: Sternensand Verlag GmbH
ISBN (Taschenbuch): 978-3-03896-161-1
ISBN (epub): 978-3-03896-162-8
Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
Dies ist eine fiktive Geschichte. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Vertrauen und Liebe muss man sich verdienen.
Doch nur die Götter entscheiden,
ob man am Ende wirklich beides festzuhalten vermag.
C.
Altra
Stadt Chakas
Tag 2, Monat 9, 1 EP 10 923 – 333 Jahre zuvor …
Cilian, kommst du endlich? Das Abendessen wird kalt!«
Die Stimme, die an mein Ohr drang, ließ mich lächelnd das Buch über Wassermagie schließen, in welches ich seit Stunden versunken war. Ich hob den Blick und sah auf das Meer, das ruhig und still vor mir lag, fühlte den sanften Wind, der an meinem Haar zog und die Wärme etwas erträglicher machte. Das magische Licht, welches mir geholfen hatte, trotz der hereinbrechenden Dämmerung noch zu lesen, schwebte über mir, aber ich löschte es mit einer knappen Handbewegung aus, wandte mich in Richtung meines Hauses, das sich auf den Klippen, etwa eine Wegstunde von Chakas entfernt, befand.
Als mein Blick auf das helle Gebäude traf, das ich vor einem Jahr in aller Abgeschiedenheit hier hatte erbauen lassen, erkannte ich die schmale Silhouette meiner Gemahlin. So durfte ich sie seit sechs Monaten nennen und noch immer konnte ich mein Glück kaum fassen. Noch immer spürte ich dieses überwältigende Kribbeln im Bauch, wenn ich sie ansah. Vor allem, seit sie unter ihrem Herzen unser Kind trug.
Ja, die Götter hatten mich wahrlich gesegnet.
»Cilian!« Ihre Stimme wurde eindringlicher.
Ich erhob mich, ließ das Buch aber im Pavillon liegen – ich würde es morgen weiterlesen. »Bin schon unterwegs, Shaia!«, rief ich zurück und setzte mich in Bewegung.
Als ich näher kam, konnte ich das Funkeln in ihren wundervollen braunen Augen erkennen. Sie hatte die Arme vor der Brust verschränkt und sah mich tadelnd an. »Du und deine Bücher«, murmelte sie mit einem halbherzigen Lächeln. »Hätte ich gewusst, wie viel du liest, hätte ich …«
Ich unterbrach sie, indem ich sie an mich zog und auf den Mund küsste. »Was hättest du?«, raunte ich an ihren Lippen. »Mich nicht geheiratet?«
Sie stieß mich gespielt beleidigt von sich weg, aber ihr Lächeln wurde wärmer. »Als ob du das zugelassen hättest.«
»Hätte ich nicht.« Ich strich ihr mit dem Handrücken über die Wange, die stets etwas bleich wirkte und dadurch verriet, dass sie nicht aus Chakas stammte. Denn die Sonne bräunte sie nicht, sondern verbrannte sie. Ihr feuerrotes Haar bildete einen starken Kontrast zu ihrer hellen Hautfarbe, und ich hoffte sehr, dass unser gemeinsames Kind es von ihr erbte, denn ich mochte die Art, wie es im Sonnenschein funkelte. »Ich liebe dich, Shaia.«
»Ich dich auch«, antwortete sie, doch es kam zu schnell über ihre Lippen.
Mir war von Anfang an aufgefallen, dass ich sie mehr liebte als sie mich, aber das war mir gleichgültig. Solange sie an meiner Seite war, wusste ich, dass ich alles richtig machte, und nur das zählte.
»Komm rein, ich habe dein Lieblingsgericht gekocht«, sagte sie und wandte sich ab, um zurück ins Haus zu gehen.
»Hühnereintopf mit Reis und eingelegten Früchten?«, fragte ich, während ich ihr folgte.
Sie warf mir einen Blick über die Schulter zu und ich erkannte, wie sie ihre Stupsnase kräuselte. »Das andere.«
Ich roch den Schmorbraten und mir lief das Wasser im Mund zusammen, während mein Bauch ein leises Knurren von sich gab.
Natürlich hatte sie den Laut gehört und schenkte mir ein Schmunzeln. »Ich dachte, wenn ich dich von deinen Büchern losreißen will, dann muss ich gute Argumente vorbringen.«
»Höre ich da einen leisen Vorwurf?« Ich hob die Augenbrauen und betrachtete ihren Rücken, während sie zum Herd ging, um den Topf zu holen. Ich war im Eingang der kleinen Küche stehen geblieben, lehnte mich in den Türrahmen.
»Kein Vorwurf«, erwiderte sie und kam mit dem Schmorbraten zurück, ging an mir vorbei ins Esszimmer, wo sie den Tisch bereits gedeckt hatte. »Nur eine Tatsache.« Sie stellte den Topf hin und sah mich mit ihren braunen Knopfaugen an. »Manchmal wünschte ich, dass du mehr Zeit mit mir statt mit deinen Büchern verbringen würdest. Das ist alles.«
Ich trat zu ihr, zog sie mit dem Rücken an meine Brust und strich ihr über den Bauch, in dem unser Kind heranwuchs. »Ich tue das doch vor allem für euch beide«, murmelte ich an ihrem Ohr.
Sie seufzte leise. »Ich weiß. Deine Verpflichtungen im Zirkel und deinem Vater gegenüber.« Ihre Hand legte sich über meine. »Ich dachte, dass wir so weit von ihnen weg wohnen, hätte etwas geändert. Aber irgendwie habe ich das Gefühl, dass ich dich mit jedem Tag, den wir ein Paar sind, mehr verliere.«
»Sag so etwas nicht.« Mein Herz zog sich zusammen und ich hielt sie fester. »Ich liebe dich und werde alles dafür tun, dass wir glücklich werden.«
Sie hob den Kopf ein wenig und sah mich an. »Versprochen?«
»Hoch und heilig.« Ich küsste sie auf die Wange, drehte sie zu mir herum und legte beide Hände an ihr Gesicht. »Sobald unser Kind da ist, gibt es nur noch euch beide in meinem Leben.«
Das Lächeln, das sich auf ihrem hübschen Mund ausbreitete, wärmte mein Innerstes. Oh ja, ich liebte sie. Liebte sie wie wahnsinnig. Und ich schwor mir, alles in meiner Macht Stehende zu tun, damit dieses Lächeln niemals erlöschen würde.
Was für ein Narr ich war …
Gegenwart
Es kommt mir wie ein Traum vor, als ich gähnend erwache und die Sonnenstrahlen betrachte, die sich langsam in den Pavillon schleichen. Noch immer liege ich auf den Kissen und Decken, welche Cilian hier ausgebreitet hat, ehe er mich verführte.
Der gestrige Abend war wunderschön. Zuerst wurde ich offiziell in den Greifenorden von Chakas aufgenommen und dann … Bei der Erinnerung, wie Cilian meinen Körper erkundete, stoße ich ein wohliges Stöhnen aus. Er hat mir gezeigt, was Liebe wirklich bedeutet, und ich kann es kaum erwarten, das zu wiederholen, was wir in der vergangenen Nacht getan haben.
Ich strecke mich wie eine Katze und drehe mich zur Seite, um Cilian anzusehen. Allerdings liegt er nicht neben mir, und auch als ich mich umsehe, kann ich ihn nirgendwo entdecken. Stirnrunzelnd setze ich mich auf, streiche mein zerzaustes Haar zurück und reibe mir die Augen.
Wie immer ist es hier in Chakas bereits morgens schon so warm, dass ich keine Kleider bräuchte, aber ich wickle das Laken, mit dem wir uns in der Nacht zugedeckt haben, um meinen Körper, da ich nicht weiß, ob wir auf den Klippen wirklich allein sind.
Als Cilian mich gestern Abend, nachdem die Aufnahmezeremonie im Greifenorden vorbei war, hergebracht hat, konnte ich zwar keine weiteren Häuser erkennen, aber es könnte durchaus sein, dass er irgendwelche Diener anwies, im Haus nach dem Rechten zu sehen oder für uns ein Frühstück vorzubereiten.
Mein Blick wandert über die Klippe zum Meer und da entdecke ich ihn. Eine einsame Gestalt, die seinem schwarzen Greif zusieht, welcher am Himmel seine Kreise zieht. Anscheinend ist Mondsichel auf der Jagd, denn immer mal wieder stößt er zu den Wellen hinunter, um Fische zu fangen.
Cilian trägt nur das weiße Untergewand seines Burnus und es weht schlackernd um seinen schlanken Körper. Wie er so am Rande der Felsen steht, die braunblonden Locken vom Wind verwuschelt, hat der Anblick beinahe etwas Poetisches.
Einen Moment lang betrachte ich ihn, versuche zu begreifen, dass dieser Mann nun zu mir gehört. Zu meinem Leben. Schmetterlinge breiten ihre Flügel in meinem Bauch aus, tanzen ihren Reigen. Er ist mir so nah wie noch kein Mann zuvor und ich hoffe, dass es für immer so bleibt.
Ja, ich habe mich in den Ordensleiter von Chakas verliebt. Und ich bete zu den Göttern, dass es ihm mit mir genauso geht.
Leise setze ich mich in Bewegung, gehe den schmalen Pfad entlang, der zu Cilian führt. Dicht hinter ihm bleibe ich stehen und strecke den Arm aus, berühre ihn sanft an der Schulter.
Er zuckt zusammen und dreht sich zu mir um. Für den Bruchteil einer Sekunde erkenne ich die Wehmut in seinen azurblauen Augen, die wohl bis eben noch seine Gedanken beherrscht hat, dann wischt ein warmes Lächeln diese Regung weg und er zieht mich an sich.
»Damaris«, murmelt er in mein Haar.
Es ist nur ein Wort, nur mein Name. Aber darin liegen so viel Liebe und Zuneigung, dass mein Herz sich weitet. Ich schlinge die Arme um ihn, drücke mich fest an ihn und spüre, wie er mich auf den Scheitel küsst.
Eine Weile bleiben wir so stehen, bevor er sich wieder von mir löst und mich gedankenversunken mustert. »Hast du gut geschlafen?«, fragt er leise. »Ich wollte dich nicht wecken, du sahst so friedlich aus.«
Ich nicke lächelnd. »Ich habe hervorragend geschlafen.« Dann lege ich den Kopf schief und sehe dunkle Schatten unter seinen Augen. »Du nicht?«
Er schließt kurz die Lider, atmet tief ein und aus. »Doch … aber die Nacht war etwas kurz.« Ein entschuldigendes Lächeln legt sich auf seine Lippen. »In solchen Momenten wird mir bewusst, dass ich nicht mehr der Jüngste bin.«
»Ach komm.« Ich stupse ihn mit dem Zeigefinger gegen die muskulöse Brust. »Du bist nicht alt, nur etwas eingerostet.«
Sein Lächeln wird breiter und seine Augen beginnen zu funkeln. »Eingerostet, ja?«
Ehe ich michs versehe, hat er mich gepackt und über seine Schulter geworfen. Ich stoße ein Quieken aus, das in Lachen endet, als ich merke, dass er mich zurück zum Pavillon trägt. Mit den Händen trommle ich auf seinen Rücken in einem halbherzigen Versuch, mich zu befreien, und wackle mit den Beinen in der Luft. Aber er setzt mich erst ab, als wir zurück bei den Kissen sind, und zieht gleichzeitig das Laken von meinem Körper, sodass ich wieder nackt vor ihm stehe.
Sein Blick wird dunkel, als er mich voller Begierde betrachtet, und ich schaudere wohlig unter seiner Musterung. Gestern noch war es mir unangenehm, mich nackt vor ihm zu zeigen, aber heute erscheint es mir das Natürlichste der Welt.
Ich schlinge die Arme um seinen Nacken und er gibt nach, als ich ihn nach unten auf die Kissen ziehe. Unsere Lippen verschmelzen zu einem hungrigen Kuss, ehe er beginnt, meinen Körper zu liebkosen.
Ich schließe seufzend die Augen, gebe mich seiner Zärtlichkeit hin. Von ihm begehrt zu werden, ist so schön. So wunderschön. Und ich würde alles dafür tun, dass es niemals aufhört.
Als wir verschwitzt nebeneinander im Pavillon liegen, streichelt er mein Gesicht, zeichnet mit dem Finger die Konturen nach.
»Damaris, egal was geschieht, ich möchte, dass du weißt, wie viel du mir bedeutest«, murmelt er, während er mich liebevoll betrachtet.
»Ich glaube, das hast du mir gerade gezeigt.« Ich grinse ihn an.
Er schüttelt den Kopf, sodass seine Locken wippen, und senkt den Blick. »Damaris, ich muss dir etwas sagen, es hat …«
»Cilian!« Der Ruf einer männlichen Stimme, die vom Haus zu uns herüberdringt, lässt uns beide zusammenfahren und gehetzt einander anstarren.
»Verdammt, wer …« Cilian setzt sich auf und verengt die Augen, um besser sehen zu können, wer sich uns nähert. »Bleib unten«, sagt er leise und ich gehorche ihm ohne Widerspruch, während er aufsteht und rasch sein Untergewand überstreift.
Auch wenn ich es am liebsten in die ganze Welt hinausschreien möchte, dass Cilian und ich zusammen sind, so respektiere ich, dass er es anscheinend langsamer angehen will.
Ich beobachte, wie er den Pavillon verlässt und dem Neuankömmling entgegengeht. Bald schon kann ich ihn nicht mehr sehen, also erhebe ich mich nun doch ein wenig, da ich neugierig bin, wer uns in dieser Abgeschiedenheit aufsucht. Ich muss die Augen verengen, um gegen das Sonnenlicht anzublinzeln, dennoch erkenne ich den jungen rothaarigen Greifenreiter, mit dem ich gestern Abend nach meiner Aufnahme in den Greifenorden von Chakas getanzt habe. Serge hieß er, wie mir jetzt wieder einfällt.
Was tut er hier?
Cilian hat ihn inzwischen erreicht und Serge erzählt ihm etwas. Dabei gestikuliert er wild, was Cilian dazu bringt, sich mit einer Hand an den Hinterkopf zu greifen. Er wirft einen Blick zum Pavillon, sieht daraufhin den Greifenreiter wieder an und nickt. Dieser nickt ebenfalls, ehe er seinen Greif herruft und sich auf dessen Rücken in die Luft erhebt.
Der besorgte Ausdruck auf Cilians Gesicht, als er zum Pavillon zurückkommt, gefällt mir gar nicht.
»Was ist los?«, frage ich, nachdem er wieder bei mir angekommen ist.
»Zieh dich an, wir müssen zurück«, sagt er kurz angebunden und sucht mein Kleid unter den Kissen hervor, das er mir zuwirft. Der Stoff ist zerknittert, aber das ist mir im Moment gleichgültig.
»Rede mit mir«, fordere ich, während ich versuche, die Stoffbahnen um meinen Leib zu schlingen.
Cilian tritt zu mir und hilft dabei – er scheint Übung darin zu haben, denn er hat das Kleid im Handumdrehen um meinen Körper drapiert. Eine Tatsache, die mir einen kleinen Stich verpasst und mich daran erinnert, dass er zwar der erste Mann in meinem Leben, ich aber definitiv nicht die erste Frau in seinem bin.
Wieso wird mein Herz gerade schwer?
Da Cilian immer noch nichts sagt, als ich angezogen bin, halte ich seine Hand fest und zwinge ihn, mich anzusehen. »Was ist los?«, wiederhole ich meine Worte von vorhin. Dieses Mal eindringlicher.
»Ich … erkläre es dir, sobald wir im Zirkel sind«, weicht er aus. Er kann mich dabei nicht ansehen, was mich noch misstrauischer werden lässt. »Hier ist nicht der richtige Ort dafür und wir müssen zurück.«
Bevor ich etwas entgegnen kann, stößt er einen schrillen Pfiff aus und im nächsten Moment landet Mondsichel neben uns. Cilian greift nach seinem Burnus, wirft ihn über und deutet dann auf seinen Greif.
»Bitte steig auf, Damaris«, sagt er in ruhigem Tonfall, der nicht zu seinem aufgewühlten Blick passen will.
Ich zögere, nicke dann aber. Wenn er mir nicht sagen will, was los ist, bringt es nichts, es aus ihm herauskitzeln zu wollen. Mit einem flauen Gefühl im Magen schwinge ich mich auf den schwarzen Greif und warte, bis Cilian sich hinter mich gesetzt hat.
Den ganzen Flug zurück überlege ich, was es sein könnte, das ihn derart beunruhigt hat. Was hat ihm Serge gesagt? Wieso brechen wir Hals über Kopf auf, um in den Zirkel zurückzukehren?
Doch meine Fragen werden immer noch nicht beantwortet, als wir auf dem Balkon meiner Gemächer landen. Nur am Rande fällt mir auf, dass meine Dienerin Auralie anscheinend die Blumen, welche Cilian mir gestern Abend als Geburtstagsgeschenk ins Zimmer stellte, wieder weggeräumt hat. Viel mehr ist mein Blick auf den Ordensleiter gerichtet, der sich gerade fahrig mit der Hand durch die Locken streicht und mir nicht in die Augen sehen kann.
»Damaris … Lass mich noch kurz etwas klären, dann komme ich zu dir und erzähl dir alles, in Ordnung?« Er sieht mich flehend an.
Ich nicke langsam, auch wenn ich diese Geheimniskrämerei kaum aushalte. Er drückt mir einen raschen Kuss auf den Mund, ehe er sich wieder auf Mondsichel schwingt und davonfliegt.
Das leise Knurren, das hinter mir erklingt, lässt mich zusammenschrecken, doch dann merke ich, dass es Schneeflocke ist, der auf dem Bett liegt, und entspanne mich. Nur um im nächsten Moment erneut zusammenzufahren, denn die Tür meines Zimmers wird kurzerhand aufgerissen, und als ich den Mann sehe, der dort im Türrahmen steht, wird das flaue Gefühl in meinem Magen zu einem regelrechten Krampfanfall.
Es liegt nicht an der Art, wie er mich ansieht. Ich kenne dieses düstere Funkeln inzwischen. Auch nicht daran, dass sein einst langes schwarzes Haar nun kurz geschnitten ist, was seine kantigen Züge noch stärker betont. Nein, es ist die Tatsache, dass er überhaupt da ist. Im Zirkel. Obwohl Cilian ihm verboten hat, diesen zu betreten. Nicht nur das, der Ordensleiter hat ihn in die Stadt verbannt und von seinem Greif Silbersturm getrennt.
»Adrién«, hauche ich.
Sein Blick gleitet hinter mich, aber es ist unmöglich, dass er Cilian noch gesehen hat. Dann schaut er mich wieder an und stößt das Schnauben aus, das ich bereits von ihm gewohnt bin.
»Was hast du hier zu …«
»Suchen?«, unterbricht er mich und tritt nun endgültig in mein Zimmer, schließt die Tür hinter sich.
Schneeflockes Knurren wird lauter, da der Greif meine Anspannung spürt, und ich gebe ihm mit einer Handbewegung zu verstehen, dass er das lassen soll.
»Ich dachte, du lebst in der Stadt und …«
»Habe ich auch«, fällt er mir erneut ins Wort. »Doch jetzt bin ich wieder hier. Und ich wollte sehen, ob es wirklich stimmt, was meine Schwester Auralie mir erzählt hat.«
»Was stimmt?«, frage ich verwirrt.
»Du hast immer noch keinen Plan, oder?« Seine Mundwinkel heben sich zu einem arroganten Grinsen. »Bist Greifenreiterin, schläfst mit dem Ordensleiter und trotzdem bist du die Letzte, die es erfährt.«
»Was erfährt?!«, fahre ich ihn an. So langsam habe ich die Schnauze wirklich voll davon, dass sogar Adrién über etwas Bescheid zu wissen scheint, was Cilian mir nicht sagen wollte.
»Dein werter Ordensleiter hat dich ans Messer geliefert.« Der Tonfall, in dem Adrién das sagt, lässt alles in mir gefrieren, noch ehe ich die Worte richtig begriffen habe. »Hast du wirklich geglaubt, du bedeutest ihm mehr als der Orden? Dass es reicht, die Beine für ihn breit zu machen, um …«
Weiter kommt er nicht, denn ich bin zu ihm getreten und verpasse ihm eine Ohrfeige, die so laut klatscht, dass selbst ich zusammenzucke.
Adrién greift mit der Hand an seine Wange, und sein Blick wird noch düsterer als ohnehin schon. »Das ist eine Angewohnheit, die du dir dringend wieder abgewöhnen solltest«, knurrt er. »Gewalt ist nie eine Lösung.«
»Aber sie bringt dich wenigstens zum Schweigen!«, erwidere ich nicht minder finster.
»Trotzdem ändert es nichts an den Tatsachen.« Er beugt sich zu mir herunter und ein paar seiner schwarzen Strähnen, die jetzt etwa noch so lang wie mein Daumen sind, fallen ihm in die Stirn.
»Du lügst doch, wenn du den Mund aufmachst!«, schreie ich ihn an.
»Ach, hab ich dich schon jemals angelogen?«, fragt er mit hochgezogenen Augenbrauen und beantwortet seine Frage direkt. »Hab ich nicht, denn das habe ich nicht nötig.«
Ich hole erneut aus, aber dieses Mal fängt er meinen Arm in der Luft ab, hält mein Handgelenk fest.
»Lass mich los!«, rufe ich erbost und Schneeflocke hinter mir knurrt wieder.
»Nein«, entgegnet er und seine grauen Iriden blitzen. »Du hast keine Ahnung, wo du da hineingeraten bist, und es ist an der Zeit, dass dir jemand die Augen öffnet.«
»Was verdammt noch mal ist los?«, will ich wissen und spüre, wie die Kraft, die mich eben noch durchflutet hat, aus meinem Körper weicht. »Was … sollen deine Worte … wieso hat Cilian … wie …« Dass Tränen meinen Blick verschleiern, fällt mir erst auf, als Adriéns Gesicht vor mir verschwimmt.
»Cilian hat eingewilligt, eine Art Wettkampf zwischen Greifenreitern und Magiern zu veranstalten«, erklärt er. Noch immer hält er mein Handgelenk fest, aber sein Griff lockert sich ein wenig. »Daher hat man mich in den Zirkel zurückgeholt, denn auch ich habe das Vergnügen, eine Marionette zu spielen. Ebenso wie du.«
»Was … bedeutet das?«, frage ich verstört.
»Das bedeutet, dass wir wieder einmal für die Machenschaften der Magier unsere Köpfe hinhalten dürfen«, antwortet er und lässt mich endlich los. »Sie wollen Beweise, dass der Greifenorden seine Daseinsberechtigung hat, und wir sollen sie liefern. Aber nicht in einem einfachen Zweikampf. Nein. Das wäre ja zu langweilig.« Er stößt ein Knurren aus, das jenem von Schneeflocke verdammt nahe kommt. »Wir sollen in die Wüste und dort irgendwelche Aufgaben erledigen.«
»In die Wüste?«, hake ich nach.
Ich begreife gar nichts mehr … Wann hat Cilian das entschieden? Gestern? Hat er es schon gewusst, als ich in den Greifenorden aufgenommen worden bin? Als er mit mir auf den Klippen die Nacht verbracht hat?
Wieso verdammt hat er mir nichts gesagt?!
Mein Kopf schwirrt vor Gedanken und ich gehe wie betäubt zu meinem Bett, setze mich darauf.
Adrién verschränkt die Arme vor der Brust. »Scheiße, du hattest wirklich keine Ahnung, oder?«, fragt er und sein Tonfall klingt fast schon mitleidig.
Mechanisch schüttle ich den Kopf, starre auf einen Punkt am Boden.
»Tut mir leid für dich«, murmelt er und ich spüre, wie sich die Matratze neben mir senkt, als er sich ebenfalls hinsetzt. »Aber ich habe dich gewarnt. Cilian …«
»Kannst du bitte damit aufhören?«, frage ich ihn matt. »Ich … ertrag das gerade nicht.«
Er stößt leise die Luft aus, sagt jedoch nichts mehr.
Eine Weile bleibt er noch neben mir sitzen, bevor er sich erhebt. »Ich weiß, wir sind keine Freunde oder so, aber wenn du jemanden zum Reden brauchst …«
Ich nicke, ohne ihn anzusehen.
Adrién zögert sichtlich, dann spüre ich seine Hand auf meiner Schulter. »Tut mir wirklich leid für dich«, wiederholt er, ehe er seufzt. »Ich schick meine Schwester zu dir, sie kann so was besser als ich …«
Nachdem er gegangen ist, lasse ich meinen Tränen freien Lauf.
Verdammt, verdammt, verdammt!
Marona, die Rätin des Feuerzirkels, hat keine Zeit verschwendet und bereits alles für die Wettkämpfe in die Wege geleitet – ohne meine Zustimmung!
Wann genau hat sie das geplant? Wieso konnte sie so gut vorbereitet sein? Es scheint, als hätte ich ihr mit meinem Vorschlag, einen Wettkampf zu veranstalten, ohne es zu ahnen, in die Hände gespielt.
Wütend schleudere ich eine Eiskugel gegen die Wand meines Arbeitszimmers und raufe mir das Haar.
Ich habe keine Ahnung, wie ich Damaris erklären soll, dass sie schon in wenigen Tagen in die Wüste aufbrechen muss, um vor Herausforderungen gestellt zu werden, die ihr Wissen bei Weitem übersteigen. Ich dachte, ich könnte es ihr schonend beibringen und die Aufgaben für den Wettkampf so auswählen, dass sie zumindest den Hauch einer Chance hat.
Nicht einmal meinem Vater gelang es, verflucht! Wie soll dann sie – eine unerfahrene Greifenreiterin – das schaffen?!
Doch jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt, um den Kopf in den Sand zu stecken. Ich muss das Schlimmste verhindern, nämlich dass sie die falschen Schlüsse daraus zieht.
So rasch ich kann, verlasse ich mein Arbeitszimmer, in welchem mir Serge die Pläne des Zirkelrates vorgelegt hat, die sich bestimmt rasend schnell im Zirkel verbreiten werden. Es sind noch keine Details bekannt, nur dass es sich um einen Wettkampf handelt. Wer sich den Aufgaben stellen soll, wurde allerdings bereits ausgelost und von den anderen Zirkelräten abgesegnet. Beim Gedanken daran gefriert alles in mir. Im letzten Moment konnte ich noch verhindern, dass viel zu viele Teilnehmer ausgewählt wurden. Fünf Magier, fünf Greifenreiter. Das muss genügen.
Und jetzt muss ich zu Damaris, um ihr alles zu beichten.
Als ich vor ihrer Zimmertür stehe und anklopfe, spüre ich, dass etwas nicht stimmt. Die Antwort, die von drinnen kommt, ist viel zu leise und klingt erstickt, fast so, als ob …
Noch ehe ich eintreten kann, wird die Tür geöffnet und ich sehe mich Auralie gegenüber. Die dunkelhaarige Dienerin bedenkt mich mit einem undurchsichtigen Blick, bevor sie die Lider senkt und ohne einen Gruß an mir vorbeigeht. Normalerweise eine Respektlosigkeit, die sich kein Diener erlauben dürfte, aber das ist mir gerade vollkommen gleichgültig. Denn aus Damaris’ Zimmer vernehme ich ein leises Schluchzen und trete, ohne zu zögern, ein.
Da ihre Gemächer nicht wie meine über ein Wohnzimmer verfügen, das sich vom Schlafzimmer abgrenzt, fällt mein Blick direkt auf das Mädchen mit den kurzen schwarzen Haaren, das den Kopf in den Händen vergraben hat und auf dem Bett sitzt. Damaris’ Schultern beben. Sie weint …
Verflucht … hat sie … wie ist das … hat Auralie …?
Ich schließe die Tür, damit wir keine ungebetenen Zuhörer haben. Ihr weißer Greif sitzt hinter ihr auf dem Bett und hebt aufmerksam den Kopf, sieht mich mit seinen roten Adleraugen prüfend an.
»Damaris«, sage ich vorsichtig und höre, dass meine Stimme heiser klingt.
Sie zuckt zusammen, als ich ihren Namen nenne, reißt den Kopf hoch und starrt mich mit geröteten Augen an, ehe sie aufspringt und mir mit wütenden Schritten entgegenkommt.
Knapp vor mir bleibt sie stehen und ich sehe ihre Hand zucken, erwarte beinahe schon eine Ohrfeige, aber sie stößt ihre Finger stattdessen hart gegen meine Brust, sodass ich leise aufkeuche. So viel Kraft hätte ich in diesem zarten Körper nicht erwartet.
»Wann?!«, schreit sie mich an. »Wann hast du entschieden, mich in deine Machenschaften zu verstricken?!«
Ich hebe beschwichtigend die Hände. »Damaris, ich …«
»Ich will keine Ausflüchte hören!«, unterbricht sie mich und ihre Augen sind nun grün vor Zorn. »Raus mit der Sprache! War es, bevor oder nachdem du mich in den Greifenorden aufgenommen hast? Bevor oder nachdem du mich entjungfert hast? Wann?!«
Ich spüre einen Stich in meiner Brust bei diesen harschen Worten. »Hör zu, ich …«
»Keine weiteren Lügen!«, fällt sie mir erneut ins Wort. »Ich bin kein kleines naives Kind, das du mit belanglosen Floskeln beruhigen kannst, kapiert?! Und ich will die Wahrheit hören: Wann hast du entschieden, dass ich eine verfluchte Marionette von dir werden soll?!«
Ich hole leise Luft und versuche, ihr in die Augen zu sehen – was mir verdammt schwer fällt. Denn dieser Zorn, der auf mich gerichtet ist, trifft mich bis ins Innerste. Schon einmal hat mich eine Frau mit so viel Wut und Enttäuschung angesehen … und was darauf folgte, werde ich mir nie verzeihen.
»Wusstest du es?«, fährt sie fort, als ich nicht antworte. »Wusstest du es, als du mit mir geschlafen hast?!«
Mein Nicken fällt knapp aus und ich richte den Blick zu Boden. Die Ohrfeige, die mich nun doch noch trifft, fühlt sich fast schon wie eine Erlösung an, trotzdem brennt mein Herz stärker als meine Wange.
»Ich wollte dich nicht mit solch einer Nachricht beunruhigen«, murmle ich. »Ich wollte …«
»Mich beschützen?« Sie speit mir das Wort entgegen. »Das ist es doch, was du die ganze Zeit behauptest! Und trotzdem spannst du mich, ohne mit der Wimper zu zucken, für deine Zwecke ein. War es das, was du von Anfang an geplant hast? War das der Grund, wieso du mich so intensiv trainiert hast, obwohl du immer sagst, du hättest keine Zeit für solche Dinge? War das der Grund, wieso du mich trotz meiner Verfehlungen und Unfähigkeiten im Zirkel geduldet hast?!«
Ich schüttle entsetzt den Kopf und sehe sie wieder an. »Nein«, entgegne ich mit Bestimmtheit. »Ich hatte nie vor, dich …«
»Zu verletzen? Zu enttäuschen?!« Sie verzieht ihren schönen Mund, und der Blick, den sie mir schenkt, ist eisig. »Tja, dann habe ich Neuigkeiten für dich, Cilian: Dein Plan ist reichlich in die Hose gegangen! Du willst mich testen? Wie wäre es, wenn ich einfach abhaue und nie mehr wiederkehre? Wirst du mich dann verfolgen und töten lassen? Oder hast du auch dazu nicht den Mumm?!«
Die Kälte, mit der sie spricht, zerschneidet meine Seele wie eisige Dolche. »Damaris, ich bitte dich«, beginne ich mit matter Stimme, aber sie unterbricht mich erneut.
»Auralie hat mir erzählt, was ihr mit den Greifenreitern und Magiern vorhabt. Es geht das Gerücht, dass die Aufgaben, die ihr uns stellt, unseren Tod bedeuten könnten. Ist dir das bewusst?! Und du behauptest, dass du mich liebst – einen Scheiß tust du! Man liefert nicht die Frau, die man liebt, ans Messer. Oder ist das hier in Chakas so üblich?! Wenn man eine Frau im Bett hatte, lässt man sie in den Tod gehen? Bist du wirklich so krank? So verdammt herzlos?!«
Ich halte ihre harten Anschuldigungen nicht länger aus, ergreife ihre Schultern. »Bitte hör mir endlich zu«, fordere ich energisch. »Es war nie meine Absicht, dass du dich solchen Aufgaben stellst. Das musst du mir bitte glauben! Ich liebe dich und würde dir niemals …«
»Hast du aber!«, fährt sie mich an und entwindet sich meinem Griff. »Du hast mir wehgetan, und zwar verdammt fest!« In ihren Augen bilden sich wieder Tränen und sie wischt sie unwirsch weg, als sie ihr über die Wangen rinnen.
»Ich wollte nicht, dass so etwas geschieht«, sage ich kraftlos.
»Ach? Dann war es etwa nicht deine Idee?« Sie zieht die Augenbrauen hoch und schnaubt abfällig. »Auralie sagte mir, dass dieser ganze Scheiß auf deinem Mist gewachsen ist. Stimmt das etwa nicht?«
Ich lasse die Schultern sinken und weiche ihrem Blick aus.
»Das ist mir Antwort genug«, bemerkt sie in messerscharfem Tonfall. »Wenn du mich wirklich liebst, dann sorge dafür, dass ich nicht in diese verdammte Wüste muss. Denn sollte das der Fall sein, verspreche ich dir hier und jetzt, dass ich keine Sekunde lang daran denken werde, mitzuspielen. Ich werde in die Talmeren zurückkehren und weder dir noch dem Greifenorden eine Träne nachweinen!«
Verflucht noch mal … ich kann ihr diesen Wunsch nicht erfüllen. Nicht ohne den Greifenorden zu verlieren, denn ihre Teilnahme ist daran gebunden.
Sie stellt mich gerade vor eine Wahl, die Marona wohl einkalkuliert hat. Wenn ich Damaris von der Teilnahme befreie, wird der Greifenorden für immer geschlossen, und das ganze Herzblut, das ich in so vielen Jahrzehnten hineingesteckt habe, war umsonst. Die Magier werden irgendwann wieder unkontrolliert über die nicht magischen Menschen herrschen und das Schicksal Altras wird sich wiederholen. Ganz zu schweigen davon, dass ich keine Ahnung habe, was aus den Greifenreitern und den Tieren werden soll.
Aber wenn ich Damaris in den Wettkampf ziehen lasse, verliere ich sie. Was schlimmer ist, vermag ich gar nicht zu sagen.
Die Machtlosigkeit, die mich ergreift, ist überwältigend.
Ich habe schon jetzt verloren. So oder so – ich kann nicht die richtige Entscheidung treffen. Aber vielleicht kann ich Damaris beschützen und ihr irgendwann alles erklären. Wenn sie nicht mehr so wütend auf mich ist. Wenn ich die Möglichkeit erhalte, in Ruhe nochmals mit ihr zu sprechen. Womöglich kann sie mir verzeihen und …
Ich erkenne selbst, wie dämlich sich diese Gedanken anhören. Aber eine andere Wahl bleibt mir nicht.
»Das wollte ich nicht«, murmle ich. »Das musst du mir glauben.«
Dann wende ich mich um und verlasse schnellen Schrittes das Zimmer, während mein Herz um die Liebe weint, die ich gerade verloren habe.
Aber ich werde Damaris mit allem, was ich habe, beschützen, das schwöre ich, während ich die Treppen hinuntereile.
Ich spüre, wie jeder Schritt, den ich mich von ihr entferne, das zarte Band, das wir in den vergangenen Monaten zwischen uns geknüpft hatten, zerreißen lässt.
Noch lange stehe ich da und starre zur Tür, durch die Cilian fluchtartig verschwunden ist. Mein Inneres ist taub. Da ist keine Wut mehr. Keine Trauer. Nur noch Fassungslosigkeit.
War das derselbe Mann, in den ich glaubte, mich verliebt zu haben? War das derselbe Mann, der mir vor wenigen Stunden noch auf den Klippen gezeigt hat, wie ekstatisch sich Liebe anfühlen kann? War das überhaupt Liebe?
Mein Kopf schwirrt, während mein Herz versucht, die vielen Teile, in die es zerrissen wurde, zusammenzukratzen, um weiterzuschlagen. Wie konnte ich mich nur so in Cilian täuschen? Wieso habe ich mich von seiner strahlenden, attraktiven Fassade so blenden lassen?
Adrién hatte die ganze Zeit recht: Cilian ist ein Magier und folgt nur seinen eigenen Interessen. Er geht über Leichen. Im wahrsten Sinn des Wortes.
Ich komme mir vor wie ein dummes kleines Mädchen, das ich wahrscheinlich auch bin. Ich habe geglaubt, dass Cilian mir den Himmel auf Erden zu Füßen legt, dabei hat er die ganze Zeit nur nach seinen eigenen Interessen gehandelt.
Ja, ich weiß, dass das Bestehen des Greifenordens an meine Teilnahme bei den Wettkämpfen geknüpft ist. Auralie hat es mir erzählt, da sie das von einer anderen Dienerin aufgeschnappt hat. Wenn ich nicht teilnehme, wird der Greifenorden so oder so geschlossen. Doch das ändert nichts an der Tatsache, dass ich gehofft hatte, Cilian würde sich, ohne mit der Wimper zu zucken, für mich – für uns – entscheiden.
Es ist nur ein verdammter Orden. Ich glaubte, das, was wir beide hatten, wäre viel mächtiger gewesen. Viel bedeutender.
War das naiv? Egoistisch? Überheblich? Verblendet?
Wahrscheinlich alles miteinander. Aber die Vorstellung, dass ich in die Wüste gehe und irgendwelche Aufgaben erledige, die meinen Tod bedeuten könnten, da ich noch zu wenig Erfahrung habe, ist ebenso absurd.
Cilian entschied sich für den Greifenorden und gegen mich. Ich konnte es in seinen Augen sehen. Den Kampf, den er in seinem Inneren für die Dauer eines Wimpernschlags ausfocht. Und aus dem ich als Verliererin hervorging.
Ein leises Gurren hinter mir lässt mich zusammenzucken, und das Bild eines Edelweiß – Schneeflockes Lieblingsblume – erscheint in meinem Geist.
Ich atme tief ein und aus. Was jetzt noch zählt, ist Schneeflocke. Denn seine Liebe ist bedingungslos und die werde ich niemals verlieren.
»Dann ist es entschieden«, murmle ich und wende mich meinem Greif zu, der mich mit seinen roten Adleraugen mustert. »Wir verlassen diesen verdammten Ort. Dieses Mal wirklich.«
So rasch ich kann, suche ich meine Siebensachen zusammen, ziehe die Reisekleidung an, die ich in einer Truhe verstaut hatte, und trete auf den Balkon. Mir ist es gleichgültig, wenn mich alle davonfliegen sehen. Wie wollen sie mich daran hindern, den Zirkel zu verlassen? Mit Feuerbällen auf mich schießen?
Ich lächle grimmig. Das sollen sie mal ruhig probieren, Schneeflocke wird jedem von ihnen ausweichen.
Mein Greif wartet, bis ich auf seinen Rücken aufgestiegen bin, dann erhebt er sich in die Lüfte. Als seine Pfoten vom Balkon abstoßen, wird der Druck in meinem Herzen geringer.
In einigen Wochen werde ich zurück in den Talmeren sein und das alles, was ich hier erlebt habe, wird sich wie ein böser Traum anfühlen. Ein böser Traum mit bittersüßen Erinnerungen, aber ich werde wieder in meinem alten Leben sein. Ohne Magier und Ordensleiter, die mich für irgendwelche Intrigen einspannen wollen.
Ein befreites Lachen entweicht meiner Kehle, als wir die Zirkelmauern überfliegen und Schneeflocke sich den Spaß erlaubt, seinen Darm direkt über dem Eingang zu entleeren.
»Wir scheißen auf euch! Ihr könnt uns alle mal!«, rufe ich nach unten, auch wenn ich ziemlich sicher bin, dass mich niemand hören kann, denn dafür sind wir bereits zu weit entfernt.
Schneeflocke beschreibt eine Kurve in Richtung Süden, um an der Küste entlangzufliegen, und ich lege den Kopf in den Nacken, schließe die Augen und atme tief durch.
Ja, so fühlt sich Freiheit an – und diesen Zirkel hinter mir zu lassen, ist die beste Entscheidung meines Lebens.
Ich habe genug gelernt, um niemanden mehr in Gefahr zu bringen.
Jetzt bin ich dran. Mein Leben.
Und das werde ich definitiv ohne irgendeinen Cilian führen, der mich bei der erstbesten Gelegenheit an den Galgen liefert und unsere Liebe verrät.
Wir fliegen zwei Stunden, ehe wir an einem Fluss an der Küste landen. Das Gewässer schlängelt sich zwischen einer kargen Steppenlandschaft in Richtung Meer, das zu unserer Rechten liegt. Ein paar Bäume sowie höhere Sträucher befinden sich in der Nähe, und der Strand mit hellem Sand lädt zum Verweilen ein. Es ist alles so friedlich und ruhig, dass ich kaum glauben kann, erst gerade noch im magischen Zirkel von Chakas gewesen zu sein.
Ich lösche meinen Durst am Fluss. Zwar könnte ich auch mit meiner Magie Wasser aus dem Boden holen, aber das ist zeitaufwendig und anstrengend. Und ich werde meine Kräfte noch für den Rest der Reise benötigen. Unser Weg wird nach Süden bis zu den ersten Ausläufern der Talmeren führen und danach in Richtung Osten über das Gebirge zurück nach Oshema. Zurück nach Hause.
Nachdem ich fertig getrunken habe, gibt mein Magen ein leises Knurren von sich und erinnert mich daran, dass ich mich in den vergangenen Monaten viel zu sehr an regelmäßige Mahlzeiten gewöhnt habe. Es ist zwar erst eine Nacht her, seit ich etwas aß, doch der Hunger nagt an mir.
Ich habe keinen Proviant mitgenommen – dafür war meine Abreise zu überstürzt –, doch sowohl Schneeflocke als auch ich mussten noch nie Hunger leiden, weil wir uns nicht zu helfen wussten.
Auch wenn ich kein Blut oder frische Wunden sehen kann, so hatte ich glücklicherweise bei erlegtem Wild bisher keine Probleme. Das scheint eine Art Schutzmechanismus von mir zu sein, dass ich Tiere, die ich zum Verzehr gejagt habe, ausnehmen kann, ohne dass mir schwarz vor Augen wird oder ich mich übergeben muss. Vielleicht hängt es auch damit zusammen, dass ich von klein auf gelernt habe, zu jagen und damit Essen auf den Tisch zu bringen. Essen darf bluten. Wieso auch immer mein Gehirn das begriffen hat – ich bin froh darüber, dass es Ausnahmen machen kann. Sonst würde ich wohl auch einmal im Monat für mehrere Tage dauerohnmächtig werden, wenn ich meine Menstruation habe. Und dass das sinnbefreit ist, hat sogar mein kaputter Kopf begriffen.
Nun schicke ich Schneeflocke in Gedanken ein Bild von einem Hasen und er versteht, fliegt mit einem Laut los, der an das Bellen eines Hundes erinnert, um nach einer Mahlzeit für uns zu suchen.
Da es hier unten am Meer viel heißer als oben in der Luft ist, ziehe ich die Weste aus, die mir den Wind auf dem Greifenrücken vom Leib hält, sodass ich nun nur noch meine lederne Hose sowie mein geschnürtes Hemd trage, welches aus dichtem Stoff besteht.
Dann beginne ich, ein paar Beeren zu sammeln, die an struppigen Sträuchern in Küstennähe wachsen und die ich mit Magie trocknen werde, damit wir sie für später mitnehmen können. Ich lege sie fein säuberlich auf ein Tuch, das ich auf den Steppengräsern neben dem Fluss ausbreite, greife nach meiner Zauberkraft und ziehe vorsichtig das Wasser aus den kleinen Früchten.
Etwas, das mir nun, da ich meine Kräfte besser beherrsche, problemlos gelingt. Früher habe ich oft zu viel Magie gewirkt, sodass die Früchte ungenießbar wurden, weil sie trocken wie Staub waren. Aber nun schaffe ich es, gerade genügend Wasser drin zu lassen, damit wir sie später auf unserer Reise verzehren können.
Just als ich fertig bin, fällt mein Blick auf eine kleine Schildkröte, die in Flussnähe durch das Steppengras krabbelt und wohl ebenfalls ihren Durst stillen möchte. Oder aber sie hat sich verirrt, denn wahrscheinlich sollte sie im Meer schwimmen.
Eine Weile beobachte ich das Tierchen, ehe ich seufze. Wenn ich eine Schildkröte wäre, bestände mein größtes Problem darin, Steppengras zur Seite zu schieben. Welch erstrebenswertes Leben.
Gedankenversunken tauche ich meine Hände ins kühle Wasser des Flusses und benetze meinen Nacken, Gesicht und Hals, denn es ist bald Mittag und daher inzwischen erdrückend heiß geworden.
Ich bin so abgelenkt, dass ich die Präsenz, die mich wohl die ganze Zeit betrachtet hat, zu spät bemerke. Nämlich erst, als eine schattenartige Gestalt hinter einem der höheren Büsche, die den Fluss säumen, hervorprescht. Direkt auf mich zu.
Vor lauter Schrecken fehlt mir die Zeit, um festzustellen, worum es sich genau handelt – aber das Knurren, das die Kreatur ausstößt, ist Grund genug, einen Schutzschild zu bilden. Keine Sekunde zu früh, denn schon schabt eine krallenbestückte Klaue zwei Mal quer über meine Brust, genau an der Stelle, wo mein Herz sitzt.
Ohne Schutzschild wäre ich jetzt aufgeschlitzt!
Keuchend stolpere ich nach hinten und kann gerade so das Gleichgewicht halten. Dass ich dabei das Tuch mit den Beeren mit mir reiße, bekomme ich nur am Rande mit.
Nachdem ich den ersten Schock überwunden habe, fokussiere ich den Blick auf das Wesen, das mich angriff, und erschaudere. Es handelt sich um eine Art Echse, die jedoch auf zwei Beinen geht und einen schwarz geschuppten Körper besitzt, der dem eines Menschen nicht unähnlich scheint. Was mich allerdings am meisten erschreckt, ist, dass rund um ihre Gestalt ein nebelartiger Schleier weht, der aussieht, als würden Schattenwesen um sie herum ihre Finger ausstrecken. Diese Schatten verschlingen jegliches Sonnenlicht, das auf die Kreatur fallen würde, und lassen die dunklen Schuppen an ihrem Körper stumpf wirken.
Ich habe keine Ahnung, was mir da gegenübersteht, aber auch keine Zeit, zu überlegen, denn die rot glühenden Echsenaugen richten sich auf mich, und der Hass, der darin brennt, lässt eine Gänsehaut über meinen Rücken rinnen.
Dieses Wesen ist nicht von dieser Welt – ganz sicher nicht …
Gerade so weiche ich einer zweiten Attacke aus, ehe ich zum Gegenangriff übergehe. Ich forme mit meiner Magie Wasserpfeile und schleudere drei davon auf die Kreatur. Doch statt das Wesen zu verletzen, fliegen die Geschosse einfach durch es hindurch. Meine Augen weiten sich, als ich merke, dass ich ihm keinerlei Schaden zufügen kann. Denn auch meine Eispfeile verfehlen jegliche Wirkung.
Wenn das Wesen so etwas wie Lippen besitzt, dann grinst es jetzt und setzt zum Sprung an. Es trifft mich so hart mit den Beinen, die es mir in den Bauch stößt, dass ich mit einem schmerzerfüllten Laut zu Boden gehe. Nur mein Schutzschild verhindert, dass die Klauen, die auf meinen Kopf schlagen, mir nicht Schlimmeres als dröhnende Kopfschmerzen verpassen.
Ich schirme mit meinen Armen weitere Angriffe ab, doch mein Schutzschild wird nicht ewig halten, solange Schneeflocke noch nicht zurück von der Jagd ist. Und das kann eine Weile dauern, wie ich weiß, denn mein Greif neigt dazu, mit seiner Beute erst ausgiebig zu spielen, ehe er sie erlegt. Ich versuche, ihn in Gedanken zu erreichen, aber er ist schon zu weit entfernt, um meinen Ruf zu hören.
Die Kreatur hat sich nun über mir aufgebaut und lässt ihre Krallen fast schon genüsslich über meinen Schild gleiten. Dabei stößt sie einen kehligen Laut aus, der sowohl Knurren als auch hämisches Lachen sein könnte.
Wo wir gerade bei Spielen sind …
Ich schließe die Augen und konzentriere mich einzig und allein auf meinen Schutzschild. Ohne ihn werde ich in den nächsten Minuten sterben, so viel ist gewiss. Denn dieses Monster wird nicht aufgeben, ehe ich meinen letzten Atemzug getan habe. Das war in seinen hasserfüllten Augen deutlich zu sehen.
Noch einmal mobilisiere ich all meine Kräfte, bäume mich auf und stoße mit beiden Händen gegen die beschuppten Arme des Monsters, um es von mir wegzudrücken. Doch wie meine Pfeile vorhin gleiten meine Finger einfach durch die Kreatur hindurch. Was man von ihren eigenen Klauen allerdings nicht behaupten kann, denn diese dringen mit einem Mal in meinen Schutzschild und reißen mir die Haut an der Brust auf. Ein brennendes Gefühl breitet sich dort aus, wo sie mich verletzt, und ich schreie vor Schmerz. Blut quillt aus den Wunden hervor und ehe ich michs versehe, wird mir speiübel und schwummrig.
Ich hasse Blut …
Das ist der letzte Gedanke, bevor ich merke, wie mein Schutzschild aufflimmert und erlischt, da ich mich nicht mehr darauf konzentrieren kann.
Ich starre der Gestalt entgegen, die sich über mich beugt, und nun kann ich tatsächlich so etwas wie einen Mund in dem schattenhaften Echsengesicht ausmachen. Allerdings einen ohne Lippen, dafür aber mit messerscharfen, spitzen Zähnen, die sich darauf freuen, in mein Fleisch zu beißen. Erneut treibt mir die Kreatur die Klauen in die Brust, dieses Mal auf der anderen Seite.
»Götter, helft mir«, flehe ich, ehe ich die Augen schließe.
Ich spüre den heißen Atem der Bestie, der mein Gesicht streift, und rieche den bestialischen Gestank, der von seinem Schlund ausgeht. Nach faulen Eiern und Eisen. Eine Kombination, die mich noch stärker würgen lässt.
Hastig drehe ich den Kopf zur Seite, um mich nicht an meinem Erbrochenen zu verschlucken, und übergebe meinen Mageninhalt dem Steppenboden. Tränen schießen mir in die Augen, als ich ein drittes Mal Krallen spüre, die meinen Oberarm aufschlitzen. Langsam, beinahe genießerisch, zerreißen sie mein Oberteil und ritzen die Haut darunter auf.
Erneut schießt ein feuriger Schmerz durch meinen Körper, und ich wimmere vor Qual, reiße die Augen wieder auf. Nur um in das Gesicht der Kreatur zu blicken, die mich in den nächsten Sekunden töten wird.
Das Blut ist überall. Mein Blut. Doch mein Blick fällt auf etwas, das ich kaum gehofft hatte, noch einmal zu sehen. Einen dunklen Punkt am Himmel über uns.
»Schneeflocke«, hauche ich und versuche sofort, eine Verbindung zu ihm herzustellen.
Aber mein Geist ist zu schwach – oder es liegt daran, dass die Dunkelheit an mir nagt, mich zu sich holen will. Es gelingt mir nicht.
Ein letztes Mal starre ich zu Schneeflocke empor. Er soll das letzte Lebewesen sein, das ich vor meinem Tod erblicke. Nicht dieses grässliche Ungeheuer, das mich in den nächsten Sekunden verschlingen wird.
Tränen verschleiern meine Sicht, verformen den dunklen Punkt über mir zu einem breiten Fleck. Dann schließe ich die Augen und lasse mich in die Dunkelheit fallen, die schon die ganze Zeit darauf wartet, mich zu sich zu holen.
Wenn man stirbt, ist einem vor allem eines: hundeelend. Mein Magen rebelliert immer noch, als ich im Totenreich erwache. Da, wo ich nun für immer bleiben werde.
Ich liege auf einer Decke, starre zu den leuchtenden Sternen empor und neben mir brennt ein Lagerfeuer.
Eigentlich gar nicht so schlimm, wäre da nicht diese Übelkeit, die in mir nachhallt. Und der Schmerz an meinem Oberarm sowie quer über der Brust, der mich fast wahnsinnig macht.
»Da bist du ja endlich«, höre ich eine tiefe Stimme und fahre zusammen, als ich den Kopf drehe und ausgerechnet in das Gesicht schaue, das ich noch weniger sehen wollte als jenes von Cilian.
»Adrién«, murmle ich krächzend, da sich mein Hals rau anfühlt.
»Trink.«
Im nächsten Moment spüre ich, wie ein Wasserschlauch an meine Lippen gedrückt wird, und schlucke reflexartig die Flüssigkeit, die in meinen Mund fließt. Sie ist viel zu warm, aber es ist Wasser und benetzt meine trockene Kehle.
Dass ich wieder mal nicht tot bin, ist mir natürlich klar. Adrién muss mich vor diesem Wesen – was auch immer es war – gerettet haben. Wahrscheinlich ist er mir nachgeflogen, um mich zurück in den Zirkel zu bringen. Die Tatsache, dass Cilian nicht einmal die Eier hat, dies selbst zu tun, verpasst mir einen Stich in der Brust, der beinahe noch mehr wehtut als die Verletzung der Kreatur.
Aber wieso hat Adrién mich an den Strand gebracht und auf eine Decke gelegt, wenn er mich geradeso gut hätte zurückbringen können?
Ich richte mich ein wenig auf und spüre Schneeflocke schon in meinem Geist, ehe ich ihn neben dem Lagerfeuer liegen sehe. Er hat den Kopf gehoben und mustert mich mit seinen roten Adleraugen, bevor er ein leises Seufzen von sich gibt und mir das Bild einer Ente schickt zum Zeichen, was er davon hält, dass ich schon wieder ohnmächtig geworden bin. Beinahe kann ich ihn »Tollpatsch« murmeln hören. Aber ich kann ihm nicht böse sein, ich liebe ihn über alles und bin einfach nur froh, dass er unversehrt wieder bei mir ist.
Der Duft von frischem Braten dringt in meine Nase und als ich den Kopf wende, erblicke ich einen Hasen, der über dem Feuer gebraten wird. Schneeflocke war bei seiner Jagd also erfolgreich und Adrién hat dafür gesorgt, dass wir bald etwas zu essen haben.
Mein Magen wird flau, als ich an meinen blutverschmierten, zerrissenen Kleidern herunterblicke. Allerdings ist das Blut nun getrocknet und dadurch etwas besser zu ertragen.
Adrién hat sich inzwischen wieder erhoben und sticht gerade seinen Dolch in den Hasenbraten, um zu prüfen, ob das Fleisch schon durch ist.
»Wieso bin ich noch hier?«, frage ich, während ich seinen Rücken mustere.
»Weil ich dich gerettet habe«, antwortet er, ohne sich zu mir umzudrehen.
Ich hole leise Luft. »Ich meine … wieso bin ich am Strand und nicht im Zirkel? Du bist doch gekommen, um mich zurückzuholen, oder?« Ich versuche, das schmerzhafte Brennen meiner Verletzungen zu ignorieren, das entsteht, als ich mich etwas aufrechter hinsetze.
Jetzt wirft er mir doch noch einen Blick über die Schulter zu. »Wieso glaubst du das?«
»Weil du mir gefolgt bist, vielleicht?« Ich verdrehe die Augen und keuche, da ich mich aus Versehen auf dem verletzten Arm abstütze. »Könntest du mich mal bitte heilen? Und ehe du rumnörgelst – ich habe das ›Zauberwort‹ benutzt.«
Er wendet sich mir zu und verschränkt die Arme vor der Brust. »Erstens wäre ein ›Danke‹ angemessener, als mich dumm anzumachen, denn ich habe dir das Leben gerettet. Zweitens bin ich dir nicht gefolgt, um dich zurückzuholen, sondern um dafür zu sorgen, dass du nicht hirnlos in der Gegend rumfliegst, nur weil dir dein kleines Herzchen gebrochen wurde. Und drittens kann ich das da …« Er deutet auf meinen Oberkörper. »… nicht heilen, solange du das Oberteil anhast. So ausgefeilt sind meine Heilkünste dann auch wieder nicht. Und wenn ich es dir ausgezogen hätte, während du bewusstlos warst, hättest du mich danach verdroschen, oder?«
Ich verenge die Augen und mustere ihn mit mindestens so einem finsteren Blick wie er mich. »Erstens: Stimmt, ein bisschen Dankbarkeit wäre durchaus angebracht. Also: Danke. Zweitens: Ich brauche keinen Beschütz…« Adrién hebt beide Augenbrauen. »Gut, das nehme ich zurück. Aber dass dieses … Ding … mich angriff, hat nichts damit zu tun, dass ich ›hirnlos‹ rumgeflogen bin. Und drittens: Ich hätte dich nicht nur verdroschen, sondern dir die Eier abgeschnitten. Mit einem stumpfen Messer.«
Adrién stößt ein kehliges Lachen aus, ehe er in die Hocke geht und mit mir auf Augenhöhe ist. »Schade, dass dir das ›Ding‹ nicht deine Kratzbürstigkeit herausgeschnitten hat.« Ich schnaube entrüstet, was ihn schmunzeln lässt. »Da du jetzt wach bist, kann ich dich heilen.« Er macht eine kunstvolle Pause, und sein Blick gleitet über mein Gesicht nach unten zu meinem Oberkörper. »Dir ist klar, dass ich gleich deine Brüste sehen werde?« Das Funkeln, das in seinen Iriden aufleuchtet, als er mir wieder in die Augen sieht, bereitet mir eine Gänsehaut. Ob von der guten oder schlechten Sorte, kann ich nicht sagen, denn dafür bin ich zu sehr von dem Grinsen abgelenkt, das sich auf seine Lippen legt. »Zieh dich aus. Dann werde ich mir deine … Wunden genauer ansehen.«
»Du genießt das, oder?«, knurre ich, bevor ich beginne, mein Hemd aufzuschnüren.
Adrién legt den Kopf schief. »Ja«, sagt er freiheraus und grinst dreist weiter.
Immer noch knurrend streife ich mein Oberteil über den Kopf und sehe den schwarzhaarigen Greifenreiter herausfordernd an. Anders als erwartet lenkt er seinen Blick nicht direkt auf meinen nackten Oberkörper, sondern sieht mir weiterhin in die Augen.
»Das war verdammt knapp«, murmelt er, ehe er die Hand hebt und wie beiläufig meinen gesunden Arm berührt. »Du solltest dringend besser auf dich achtgeben.«
»Jaja«, murre ich und weiche seinem Blick aus. »Jetzt mach schon, es ist nicht gerade angenehm, so entblößt dazusitzen.«
»Dem muss ich widersprechen«, entgegnet Adrién schmunzelnd. Dann wird er wieder ernst. »Also, das könnte jetzt etwas brennen, ich muss zuerst die Wunden reinigen.«
Ich beiße die Zähne zusammen, als er beginnt, mit Meerwasser, das er aus einem Becher holt, meine Brust abzutupfen. Das Salz brennt wie Feuer, aber ich gebe nur ein leises Zischen von mir. Nachdem er mit dem Oberkörper fertig ist, folgt der Arm und ich frage mich, woher er eigentlich den Becher hat. Hat er etwa mit einer längeren Reise gerechnet?
Ich schiele zu seiner vollgepackten Satteltasche, die neben Silbersturm liegt, welchen ich erst jetzt bemerke. Adriéns Greif hat sich gegenüber von Schneeflocke ans Lagerfeuer gelegt und döst vor sich hin.
»So, das wäre geschafft«, sagt Adrién und lenkt damit meine Aufmerksamkeit wieder auf sich.
Als ich den Blick nach unten richte, erkenne ich, dass er alles Blut weggewaschen hat, sodass nun tiefe Kratzspuren quer über meine Brüste sowie an meinem Arm zu erkennen sind. Beinahe hätten die Klauen Rahrins Anhänger erwischt, den er mir gestern geschenkt hat und den ich immer noch um den Hals trage. Zum Glück ist dem Schmuckstück nichts passiert.
Einen Moment lang verliere ich mich in dem Gedanken, dass ich mich von meinem Nachhilfelehrer und Freund hätte verabschieden müssen. Aber nun ist es zu spät dafür.
Als ich Adrién wieder ansehe, merke ich, dass er mich gemustert hat. Allerdings wieder nicht meine Brüste, sondern mein Gesicht.
»Was ist?«, frage ich. »Wieso heilst du mich nicht?«
Adrién schüttelt leicht den Kopf, als wollte er ebenfalls einen Gedanken loswerden, dann nickt er und deutet mit der Hand auf meinen Oberkörper. »Ich werde dich jetzt da berühren«, sagt er und ich bin erstaunt, dass seine Stimme belegt klingt, was er schnell korrigiert, indem er sich räuspert. »Wehe, du schlägst mich dafür.«
Ehe ich antworten kann, spüre ich seine Hand, die sich fest über meine rechte Brust legt, und dann eine wohlige Wärme, die sich von meiner Haut durch den Körper ausbreitet. Reflexartig schließe ich die Augen und genieße das Gefühl, das seine heilende Magie in mir auslöst. Die Schmerzen weichen und werden durch ein angenehmes Kribbeln ersetzt. Ein leises Seufzen entfährt mir, während er zu meiner anderen Brust wechselt.
»Damaris, hör auf damit«, knurrt er leise.
»Entschuldige«, murmle ich und reiße die Augen auf, schaue direkt in seine.