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Das Zusammenleben mit unseren geliebten Katzen verläuft nicht immer ganz reibungslos. Aus verschiedenen Gründen kann eine Katze beginnen, Verhaltensweisen zu zeigen, die für ihre Menschen problematisch sind, z.B. Aggressionen oder Unsauberkeit. Dieses Verhalten ist oftmals Ausdruck davon, dass auch die Katze sich nicht wohlfühlt. Nun gilt es, schnell zu handeln und der Katze zu helfen, bevor sich das Problemverhalten verfestigt. Im ersten Teil dieses Buches beschreibt Katzenexpertin Christine Hauschild mögliche Maßnahmen zur Stressreduktion und liefert damit Ansätze für Prävention: Welches sind typische Stressfaktoren, die Katzen das Leben erschweren können, und wie kann man diese entschärfen? Wie kann man an Auslösern für Stress und Angst systematisch arbeiten? Im zweiten Teil finden Sie ausführliche Erläuterungen und Erste-Hilfe-Empfehlungen, mit denen Sie sofort konstruktiv auf Verhaltensprobleme Ihrer Katze reagieren können: - aggressives Verhalten zwischen Katzen und gegenüber Menschen - Ängste - Unsauberkeit und Harnmarkieren - intensives Miauen oder Möbelkratzen - selbstschädigendes Verhalten (inkl. Kahllecken und Schwanzjagen) Ein Großteil der Erste-Hilfe-Maßnahmen kann auch eingesetzt werden, um diesen Problemen vorzubeugen.
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Seitenzahl: 255
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Ein Happy Miez-Buch
Für Eazy.
Der mich gelehrt hat, dass 200 qm hochgewachsene, aber umzäunte Wiese richtigen Freigang nicht ersetzen können – Mäuse hin oder her. In den Jahren vor dieser Erkenntnis war er ein überzeugender Lehrmeister für mich in puncto Stressmanagement für Katzen.
Ich wünschte, er hätte sein echtes Freigängerleben viel länger genießen können.
Einleitung
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1
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TRESMANAGEMENT FÜR
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RÄVENTION UND
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HERAPIE
Gefühle und Verhalten
Typische „Katzenstressoren“
Stark stressende oder traumatisierende Ereignisse
Stress summiert sich
Zeigt Ihre Katze Stress? Dann handeln Sie!
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2
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ERHALTENSPROBLEMEN
Einführung
Wenn Ihre Katzen plötzlich miteinander kämpfen
Wenn Ihre Katzen sich nicht mehr so gut verstehen
Wenn Ihre Katze plötzlich unsauber ist
Wenn Ihre Katze plötzlich an Möbeln kratzt
Wenn Ihre Katze plötzlich sehr viel miaut
Wenn Ihre Katze plötzlich Ängste zeigt
Wenn Ihre Katze plötzlich einen Menschen angreift
Wenn Ihre Katze sich plötzlich selbst schädigt
T
EIL
3
E
XTRAS
Extra 1: Meiner Katze geht es gut – oder doch nicht?
Extra 2: Spiel- und Beschäftigungsanregungen
Extra 3: Kompetente Unterstützung finden
Literatur
Über die Autorin
Zum Weiterlesen
Das Zusammenleben mit Katzen verläuft häufig verblüffend unkompliziert, da viele Katzen unglaublich gut in der Lage sind, sich verschiedenen Lebenssituationen und -umgebungen anzupassen. Verblüffend ist das vor allem deshalb, weil sich das Leben von Katzen als Haustier in den vergangenen Jahrzehnten stark gewandelt hat: Der Anteil von Katzen, die als reine Haus- oder Wohnungskatzen gehalten werden, hat stark zugenommen. Die Katzen leben damit in einem goldenen Käfig: Sie sind vor vielen Gefahren geschützt, werden zuverlässig mit Futter versorgt (statt auf Jagderfolge angewiesen zu sein) und die Lebenserwartung von Wohnungskatzen ist deutlich höher als die von Freigängern. Aber es ist gleichzeitig ein äußerst kleiner und begrenzter Lebensraum, wenn die Wohnung das ganze Universum einer Katze darstellt. Das enge Zusammenleben mit ihren menschlichen Sozialpartnern birgt neben allen schönen Seiten auch zahlreiche Herausforderungen für die Katze, für die sie gleichzeitig durch ihren begrenzten Erfahrungshorizont nicht immer gut gerüstet ist. Dadurch, dass Katzen heute vor allem in einer Menschenwelt leben und von ihren Menschen abhängig sind, kann die Anpassungsfähigkeit der einzelnen Katze bisweilen an ihre Grenzen stoßen. Das Ergebnis sind Verhaltensprobleme wie aggressives oder ängstliches Verhalten, intensives Miauen oder das Zerkratzen von Möbeln, Unsauberkeit und vor allem auch Spannungen zwischen zusammenlebenden Katzen. Manchmal ist dann die Katze wirklich in Schwierigkeiten mit ihrer Lebensumgebung und leidet, manchmal hat aber auch der Mensch Schwierigkeiten damit, wie die Katze ihr Katzesein auslebt.
Wenn Angst- und Aggressionsverhalten oder andere unerwünschte Verhaltensweisen vermieden oder verringert werden sollen, lohnt es sich, sich mit den typischen Stressoren und „Verschlimmerern“ im Leben von Katzen vertraut zu machen. Diesem Thema ist der erste Teil dieses Buches gewidmet: Zunächst wird der Zusammenhang zwischen Emotionen und Verhalten näher beleuchtet, dann häufige Stressverursacher und passende „Entschärfungsansätze“ beschrieben und schließlich ein Einblick in die Möglichkeiten systematischer Verhaltensveränderung gegeben. Dieser erste Teil bildet die Wissens- und Verständnisgrundlage für die dann folgenden Erste-Hilfe-Empfehlungen und sollte daher möglichst komplett gelesen werden.
Der zweite Teil baut auf diesen Grundlagen auf und kann dann wie ein Nachschlagewerk verwendet werden. Lesen Sie einfach das Kapitel, das Sie bzw. Ihre Katze betrifft: über Ängste, über Aggressionsverhalten gegenüber Menschen oder anderen Katzen, über exzessives Miauen oder Kratzverhalten, über Unsauberkeit oder selbstschädigendes Verhalten – Sie finden darin jeweils alle Informationen, die wichtig sind, wenn das Verhalten gerade neu auftritt. Allerdings: Oftmals können die beschriebenen Notfallempfehlungen wunderbar als Präventionsmaßnahmen eingesetzt werden, um das Problemverhalten gar nicht erst entstehen zu lassen. Deshalb könnte die Lektüre durchaus lohnenswert sein, auch wenn Sie von einem bestimmten Problem nicht betroffen sind. Zudem kann ein vertieftes Wissen über (problematisches) Verhalten das Grundverständnis für Ihre Katze und deren Bedürfnisse und Wohlergehen fördern, was oftmals zu einer innigeren Beziehung mit ihr führt.
Am Ende des Buches finden Sie drei besondere Extras: Das erste Extra widmet sich dem Thema Schmerzen bei Katzen, da körperliches Unwohlsein Verhaltensprobleme bedingen kann und gleichzeitig so schwer zu identifizieren ist. Woran können Sie erkennen, dass es Ihrer Katze nicht gut geht? Beim zweiten Extra handelt es sich um eine Sammlung von Spiel- und Beschäftigungsideen. Diese bietet Ihnen moralische und kreative Unterstützung bei der Auslastung Ihrer Katze, da Spiel und Beschäftigung für Katzen wesentlich sind, um Ausgeglichenheit zu finden. Im dritten Extra finden Sie Hinweise, worauf Sie bei der Auswahl einer Tierarztpraxis oder einer Katzenverhaltensberaterin achten sollten, da Sie womöglich bei auftretenden Problemen deren Hilfe in Anspruch nehmen möchten.
Der Fokus dieses Buches liegt auf Situationen, die Katzen im Alltag Schwierigkeiten bereiten, und Verhaltensweisen von Katzen, die teilweise für die Katzen selbst, aber vor allem auch für ihre Halter ein Problem darstellen. Es werden also viele unangenehme Punkte angesprochen. Vielleicht werden Sie zwischendurch traurig oder von Schuldgefühlen geplagt. Vielleicht verwünschen Sie beim Lesen des einen oder anderen Abschnitts auch die Autorin, weil Ihnen nicht sofort etwas dazu einfällt, wie Sie vorgeschlagene Veränderungen in Ihrem Alltag umsetzen können. Dennoch wünsche ich mir, dass Sie beim Lesen vorwiegend in eine konstruktive Stimmung kommen. Dieses Buch wurde auf jeden Fall mit einer konstruktiven Intention geschrieben. Es hat zum Ziel, den Alltag und das Leben von möglichst vielen Katzen und ihren Menschen nachhaltig zu verbessern. Und jeder kleine Schritt auf dem Weg dahin, jede entschärfte Situation, jede überwundene Angst, jeder gewonnene Entspannungsmoment bei Katze und Mensch sind ein Anlass zur Freude.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen viel Neugier, Kreativität und Erfolg im Umgang mit problematischen Verhaltensweisen, die Ihre Katze vielleicht einmal zeigt.
„Jetzt ist das Maß voll.“ – „Das war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat.“
Wie ein Mensch ein eher unangenehmes Ereignis bewertet und darauf antwortet, ist nicht nur abhängig vom Ereignis selbst. Je nach aktueller Verfassung wird er gelassener oder aufgeregter, erschreckter oder empörter reagieren. Das gleiche gilt für Katzen. Ihre körperliche und psychische Verfassung und ihr allgemeines Wohlbefinden beeinflussen ihr Verhalten und die Reaktionen auf ihre Umwelt. Allgemein lässt sich sagen: Je entspannter eine Katze ist, desto unaufgeregter kann sie mit aus ihrer Sicht kritischen Ereignissen umgehen. Und je gestresster eine Katze ist, desto heftiger werden ihre Reaktionen ausfallen. Ängstliches und aggressives Verhalten – oder andere „Verhaltensauffälligkeiten“ – können die Folge sein. Die Berücksichtigung der Gefühle der Katze und ihres allgemeinen Stresslevels nehmen in der modernen Verhaltenstherapie und in fortschrittlichem Training eine wichtige Rolle ein.
Was ein Lebewesen fühlt und wie es sich verhält – diese beiden Aspekte sind ganz unmittelbar miteinander verwoben. Das gilt für Katzen und Menschen gleichermaßen. Gefühle wie Angst und Wut, die von vielen Menschen negativ bewertet werden, dienen tatsächlich eigentlich dem Schutz des Lebewesens. Sie versetzen es in Flucht- oder Angriffs- bzw. Verteidigungsbereitschaft, so dass es sich in Gefahrensituationen in Sicherheit bringen oder die Gefahr abwehren kann. Ohne dieses emotionale Warnsystem würden wir alle nicht lange überleben.
Gefühle leiten also an, angemessen auf die Umwelt zu reagieren, und zwar angemessen im Sinne von „Wie bleibe ich heil und unversehrt?!“ Die Emotionen geben deshalb einen gewissen Rahmen vor, innerhalb dessen sich ein Lebewesen in einer bestimmten Situation überhaupt verhalten kann. Wer sich gerade ganz stark ängstigt, wird kein spielerisches Verhalten zeigen können. Wer vor Wut außer sich ist, wird in diesem Moment kaum zu einer liebevollen Geste in der Lage sein. Im Übrigen tun wir Menschen gut daran, zurückhaltend mit Interpretationen und Unterstellungen umzugehen: Wenn eine Katze etwa aggressives Verhalten gegenüber einem Menschen zeigt, bedeutet das nicht zwangsläufig, dass sie diesen Menschen nicht mag. Es ist gut möglich, dass sie nur mit der aktuellen Situation überfordert ist und deshalb gerade kein freundliches Verhalten zeigen kann.
Zeigt eine Katze ängstliches oder aggressives Verhalten, werden diesem Verhalten entsprechende negative Emotionen zugrunde liegen. Bei aggressivem Verhalten könnte das neben Wut z.B. auch Frustration sein. Wenn wir uns ein anderes Verhalten dieser Katze wünschen, müssen wir also sicherstellen, dass sie emotional wirklich in der Lage ist, sich anders zu verhalten. Eine Katze, die entspannt ist und sich wohlfühlt, wird weder ängstliches oder aggressives noch anderes erregungsbedingtes Verhalten zeigen. Der Schlüssel für verändertes Verhalten liegt also in der Veränderung der Gefühle der Katze. Dafür gilt ganz allgemein formuliert:
Negative Emotionen werden intensiver durch alles, was die Katze als unangenehm empfindet (z.B. Druck, Strafen, Hunger, Bedrängnis). Auch andere Lebewesen, die z.B. in Unruhe, Panik oder Wut verfallen, verschlimmern typischerweise die bereits vorhandenen negativen Emotionen bzw. erhalten diese mit aufrecht.
Sie brauchen hingegen nicht zu fürchten, ängstliches oder aggressives Verhalten vermeintlich zu belohnen, wenn Sie Ihrer entsprechend gestimmten Katze etwas Positives anbieten. Positive Impulse verstärken nicht die Angst oder die Aggression. Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall: Positive Impulse (z.B. Futter, Spielangebot) können stimmungsverbessernd wirken und lindern bzw. reduzieren negative Emotionen. Dadurch erst wird es der Katze möglich, sich friedlicher, freundlicher oder einfach entspannter zu verhalten. Gleiches gilt für die Anwesenheit von Sozialpartnern, die gute Stimmung verbreiten und ggf. Schutz anbieten. Aussagen wie „Du darfst deinen Hund jetzt nicht streicheln, sonst ...
... verstärkst du seine Angst!“ oder „Wenn du deiner knurrenden Katze ein Stück Futter anbietest, verstärkst du ihre Aggression!“ verkennen den Zusammenhang zwischen Gefühlen und Verhalten.
Alles, was eine Katze im weitesten Sinne ängstigt, verärgert, beunruhigt, irritiert, nervt, verunsichert, überfordert, stört, in ihrem Wohlbefinden beeinträchtigt – und damit i.d.R. eine gewisse Erregung auslöst – kann entsprechend als „Verschlimmerer“ Angst- und Aggressionsverhalten oder andere vom Menschen als problematisch empfundene Verhaltensweisen fördern.
Bitte beachten Sie, dass es dabei zu unmittelbaren oder mittelbaren Auswirkungen kommen kann:
Beispiel für unmittelbare Auswirkungen
Wenn Emmi vom Nachbarkater gejagt wurde, reagiert sie in den nächsten Minuten aggressiv auf die Annäherung ihrer Schwester Tilda, während sie sie sonst toleriert.
Der Stressor ist hier die Bedrohung durch den Nachbarkater. Er verändert Emmis Reaktionen auf Distanzverringerungen von Tilda. Was sie in entspanntem Zustand dulden kann, löst nun aggressives Verhalten aus.
Beispiel 1 für mittelbare Auswirkungen
Frida ist fremden Menschen gegenüber etwas skeptisch, aber meist siegt ihre Neugier. Nach einer kurzen Beobachtungsphase nähert sie sich an, erkundet den Menschen und bald ist das Eis gebrochen. Heute morgen war in der Nachbarwohnung ein Hund zu Besuch, der dort und im Hausflur ca. zwei Stunden lang immer wieder gebellt hat. Frida war die ganze Zeit über alarmiert, hat sich in Verstecke zurückgezogen. Nachdem der Hund gegangen ist, kommt Frida langsam wieder hervor, bleibt aber noch für eine weitere Stunde sehr wachsam. Am frühen Nachmittag kommt eine neue Freundin von ...
... Fridas Halterin zu Besuch. Anders als sonst geht Frida sofort in ein Versteck, kommt etwas später heraus, um aus großer Entfernung zu beobachten, und zieht sich dann sofort wieder zurück, als die Besucherin laut lacht. Es kommt zu keiner Begrüßung. ...
Der „Verschlimmerer“ in diesem Beispiel ist der bellende Hund am Vormittag. Durch die Dauer und die Intensität der Stressbelastung steckt diese Frida noch in den Knochen, als der Besuch nachmittags kommt. Fridas übliche Skepsis wird unter diesen Umständen zu Misstrauen und Angst und sie reagiert mit entsprechendem Verhalten.
Beispiel 2 für mittelbare Auswirkungen
Micky ist eigentlich recht leicht für Spiel mit seinem Halter zu begeistern. Dann zieht ein weiterer Kater, Filou, in den Haushalt ein, der Micky einzelne Plätze streitig macht. Sobald Filou Micky z.B. auf einer bestimmten Kiste sitzen sieht, rennt er auf ihn zu und verjagt ihn. Micky ergreift sofort die Flucht. Nach 14 Tagen bemerkt der Halter, dass Micky das für ihn bewegte Spielzeug zwar beobachtet, abwechselnd mit der Umgebung, aber sich nicht mehr richtig auf Spiel einlässt. Und zwar unabhängig davon, ob Filou sich gerade neutral-friedlich, freundlich oder unfreundlich verhält. Tatsächlich spielt es noch nicht einmal eine Rolle, ob er im gleichen Zimmer ist oder nicht.
Der Stressor ist in diesem Fall Filous Verhalten, und zwar auf mindestens drei Ebenen: einmal als Konkurrenz um Mickys Ressourcen (z.B. die besagte Kiste), als reale Bedrohung während der Angriffe und – und das ist nicht zu unterschätzen – als dauerhafte latente Bedrohung für Mickys Unversehrtheit. Vereinzelte Übergriffe verändern dauerhaft Mickys Wohlbefinden. Das Ergebnis: Zeitlich unabhängig von diesen Übergriffen fühlt Micky sich nicht sicher genug, um sich gedankenverloren in Spiel zu vertiefen. Stattdessen muss er wachsam seine Umgebung im Blick behalten – das ist ein Angstverhalten.
In diesem Abschnitt werden verschiedene Rahmenbedingungen, Situationen und Aspekte im Leben von Katzen vorgestellt, die als potenziell stressend angesehen werden sollten und damit verschiedene Verhaltensprobleme forcieren oder aufrechterhalten können. Bitte beachten Sie, dass individuell sehr verschieden ist, was eine Katze wie stark stresst. Und auch die Lebensumstände von Katzen sind, bei allen Ähnlichkeiten, in den Details äußerst variationsreich. Die folgenden Kapitel sind daher als Orientierungshilfe zu verstehen, um den Stressoren der eigenen Katze auf die Spur zu kommen und kreative Lösungsansätze zu finden. Bitte versuchen Sie gerade an solchen Punkten offen zu bleiben, die Ihnen im ersten Moment sehr unbequem erscheinen oder sogar große Abwehr auslösen. Das könnte ein Hinweis darauf sein, dass es an dieser Stelle wirklich hakt. Und die Schwierigkeiten (mit) einer Katze verschwinden leider nicht, wenn wir die Augen vor ihnen verschließen. Nehmen Sie sich Zeit zum Nachdenken. Vielleicht kommen Sie, ggf. auch mit der Unterstützung durch eine Katzenverhaltensberatung, auf tragbare Ideen, wie Sie die Bedürfnisse Ihrer Katze mit Ihren eigenen Bedürfnissen und Rahmenbedingungen unter einen Hut bringen können.
Wie geduldig sind Sie mit Ihren Kindern, wenn Sie seit Stunden Kopfschmerzen haben? Wie gelassen treten Sie für eine Rede vor eine Gruppe von Kunden, wenn Sie unter Übelkeit leiden?
Unwohlsein und Schmerzen beeinflussen recht stark die Gefühlslage. Gerade zwischen Schmerzen und Angst besteht eine sich wechselseitig verstärkende Wirkung. Körperliches Unbehagen und Schmerzen führen zu veränderten Bewertungen des Verhaltens anderer: Körperkontakt kann plötzlich weh tun, Bewegungen im Spiel unangenehm sein oder eine Annäherung plötzlich bedrohlich wirken. Und womöglich wird einer Katze der begehrte Platz nun streitig gemacht, da sie körperlich gerade nicht auf der Höhe und deshalb weniger respekteinflößend ist als sonst.
Für Katzen ist es typisch, Erkrankungen und Schmerzen nicht an die große Glocke zu hängen, sondern sie zu verstecken. Es würde sie als Beutetier gegenüber Beutegreifern als Opfer ersichtlich machen – dabei spielt es keine Rolle, ob im Leben der Katze wirklich Beutegreifer vorkommen. Eine offenkundige körperliche Einschränkung würde auch die Position der Katze gegenüber Mitkatzen schwächen, mit denen sie vielleicht nicht so gut befreundet ist. In den Extras finden Sie ein Kapitel, in dem häufige Anzeichen von Unwohlsein erläutert werden.
STRESSREDUKTION GESUNDHEITSZUSTAND
Verlassen Sie sich also bitte nicht darauf, dass Ihre Katze gesund ist, nur weil Sie keine ganz offensichtlichen Krankheitszeichen erkennen können. Klären Sie durch regelmäßige ausführliche tierärztliche Gesundheitschecks ab, ob Ihre Katze wirklich rundum gesund und schmerzfrei ist – spätestens wenn Sie Verhaltensveränderungen in Richtung Angst oder Aggression beobachten oder andere problematische Verhaltensweisen auftreten.
Viele Katzen leiden bereits ab dem mittleren Alter und von ihren Menschen unbemerkt unter Arthrose. Arthroseschmerzen und andere Schmerzgeschehen können in einem ersten Schritt durch eine sogenannte „diagnostische Therapie“ identifiziert werden. In Absprache mit dem Tierarzt bekommt die Katze über einige Tage ein Schmerzmittel. Zeigt sie unter der Schmerzmittelgabe Veränderungen im Verhalten (mehr Bewegung, aber auch z.B. Reduktion von Angst- oder Aggressionsverhalten), hat sie offenkundig Schmerzen im Alltag. Nun gibt es also einen handfesten Anhaltspunkt, um sich mit aufwändigerer Diagnostik auf die Suche nach den Auslösern des Schmerzes zu machen und passende Therapiemöglichkeiten zu prüfen.
Hunger macht viele Katzen ungeduldig und reizbar. Hunger als Stressor kann entstehen, wenn Katzen auf Diät gesetzt werden und die Futtermenge dabei zu stark reduziert wird. Hunger kann aber auch entstehen, obwohl die Gesamtfuttermenge für die Katze eigentlich ausreichend ist, aber
die Mahlzeiten in zu großem Abstand zueinander angeboten werden.
das Futter vergleichsweise wenig Proteine und viele Kohlenhydrate enthält.
die Katze unter einer Erkrankung leidet, die mit gesteigertem Appetit einhergeht (z.B. Schilddrüsenüberfunktion).
die Katze appetitfördernde Medikamente bekommt (etwa Cortison).
die Katze aufgrund von Konfliktsituationen regelrechte Heißhungeranfälle bekommt.
Viele Katzen erleben es außerdem als stressend, wenn ihre Mitkatzen oder andere Sozialpartner (z.B. Hunde) ihnen beim Fressen zu nah sind. Eine Katze, die der anderen vermeintlich höflich den Vortritt am gemeinsamen Napf lässt, versucht i.d.R. durch dieses Verhalten einem Konflikt aus dem Weg zu gehen.
Schließlich gibt es nicht wenige Katzen, vor allem Wohnungskatzen, die die Fütterungen zu ihren täglichen – und einzigen – Highlights erklären. Dies gilt vor allem für schwer zu begeisternde Katzen oder solche, deren Alltag über lange Zeit eher trist ausfällt. Nur die Aussicht auf Futter lässt sie in Wallung kommen und zeigen, dass Aktivität und Lebendigkeit in ihnen stecken. Für einige scheint Fressen ähnlich wie für manche Menschen eine Art Ersatzbefriedigung zu sein, auf die sie immer zurückfallen, sobald ein anderes Bedürfnis auftritt oder unbefriedigt bleibt. Diese futterversessenen Katzen geraten oft schon einige Stunden vor der Fütterungszeit und dann während der konkreten Futterzubereitung in starke Aufregung.
STRESSREDUKTION HUNGER UND FÜTTERUNGSRITUALE
Stressauslöser rund um Hunger und Fütterung sollten unbedingt reduziert werden, denn sie sind in der Regel täglich, vielleicht sogar mehrfach täglich auftretende Stressoren. Damit haben sie besonders großes stimmungsverschlechterndes Potenzial. Außerdem fehlt Wohnungskatzen die Möglichkeit, sich selbst um ihre Mahlzeiten und ihre diesbezüglichen Bedürfnisse zu kümmern – sie sind stattdessen komplett abhängig vom Menschen. Und dabei geht es beim Fressen um etwas ganz Existenzielles, buchstäblich Lebensnotwendiges.
Um zu vermeiden, dass Hunger bzw. Fütterung als Stressoren wirken, können folgende Punkte überprüft bzw. berücksichtigt werden:
Teilen Sie die Gesamtfuttermenge auf mindestens 3-4 Mahlzeiten täglich auf bzw. passen Sie die Fütterungshäufigkeit an die (zeitweisen) Bedürfnisse der Katze an.
Wählen Sie hochwertiges Futter.
Bei Diäten über Futterreduktion: Reduzieren Sie die Futtermenge schleichend und legen Sie gleichzeitig einen stärkeren Fokus auf Bewegungsanregung für höheren Kalorienverbrauch.
Füttern Sie Ihre Katze in ausreichendem Abstand zu Sozialpartnern, also anderen Katzen oder Hunden. Was ausreichender Abstand ist, entscheidet die „empfindlichste“ Katze: Einen Meter Abstand wissen fast alle Katzen zu schätzen, einige können erst entspannt fressen, wenn die Fütterung in getrennten Zimmern bei geschlossener Tür erfolgt.
Sorgen Sie für eine entspannte und ruhige Atmosphäre während der Fütterungen.
Entsteht Hunger aufgrund von Mäkeligkeit: Lassen Sie in der Tierarztpraxis Zähne und Zahnfleisch überprüfen, aber auch appetitverringernde Erkrankungen wie z.B. Nierenerkrankungen oder Probleme mit der Bauchspeicheldrüse, ausschließen.
Wenn Sie den Eindruck haben, Ihre Katze könnte Futter als Ersatzbefriedigung nutzen oder in Konfliktsituationen als Ablenkung: Versuchen Sie, ihr zügige Hilfe zur Befriedigung anderer Bedürfnisse, z.B. nach Kontakt oder Beschäftigung, zukommen zu lassen bzw. ihr zu helfen, die Konfliktsituationen zu bewältigen (vgl. auch Abschnitt
Innere Konflikte
in diesem Kapitel).
Beispiel
Luno möchte unbedingt nach draußen. Gleichzeitig hat er Angst, erneut von der Nachbarkatze angegriffen zu werden. Das Ergebnis: Er geht zur Katzenklappe, kehrt dann zu seiner Halterin zurück und fordert lautstark Futter ein, das er hinunterstürzt, geht wieder zur Katzenklappe, kehrt zu seiner Halterin zurück und verlangt erneut vehement Futter, das er ebenfalls gierig hinunterschlingt. Je nachdem, ob Angst oder Freiheitsdrang gerade siegen, geht Luno am Ende durch die Klappe oder bleibt drinnen – die Wahrscheinlichkeit, dass er sich hinaus traut, steigt in seinem Fall tatsächlich mit der verspeisten Futtermenge. Verweigert seine Halterin das Futter, gerät Luno in regelrechte Unruhezustände, in deren Verlauf er seiner Halterin gegenüber aggressives Verhalten zeigt. Das bloße Verweigern des Fütterns ist also zum jetzigen Zeitpunkt nicht die Lösung.
Um die Fütterung von zu großen Rationen einerseits und aggressives Verhalten andererseits zu vermeiden, kann die Halterin versuchen, das Problem bei der Wurzel zu packen: Was könnte Luno helfen, weniger zögerlich hinauszugehen und sich draußen sicherer zu fühlen? Sind Absprachen mit den Nachbarn über die Freigangzeiten möglich? Kann der Bereich draußen vor der Katzenklappe geschützter gestaltet werden, so dass es für Luno einfacher ist, draußen aus sicherer Position die Lage zu überblicken? Am Anfang wohl am einfachsten: Kann seine Halterin für einige Zeit immer mit Luno gemeinsam hinausgehen, ihm die Tür öffnen und ihm draußen ein Weilchen Geleitschutz geben?
Stellen die Fütterungen die einzigen oder mit Abstand größten Highlights für diese Katze dar, versuchen Sie bitte, mittelfristig weitere Höhepunkte im Alltag Ihrer Katze zu etablieren, insbesondere durch Beschäftigungsangebote oder Zeiten besonderer Aufmerksamkeit von Ihnen.
Es ist oftmals eine Herausforderung, Wohnungskatzen einen abwechslungsreichen und erfüllten Alltag zu bescheren. Wir können leider nicht erwarten, dass die Katzen sich schon irgendwie alleine beschäftigen können, wenn ihnen der Sinn nach Action steht. Jagdverhalten wird normalerweise dadurch ausgelöst, dass die Katze eine potenzielle Beute wahrnimmt, weil diese sich bewegt oder Geräusche macht. Freigängerkatzen stoßen i.d.R. dann auf potenzielle Beute, wenn sie sich auf Erkundungstour durch ihr Revier begeben. Dabei untersuchen sie eingehend, was sich verändert hat, welche Gerüche sie wahrnehmen und eben, ob sich eine Jagdmöglichkeit auftut.
Aber was soll die Wohnungskatze erkunden, wenn sich in ihren vier Wänden eigentlich nie irgendetwas tut? Und wenn ein Spielbällchen einfach still und stumm auf dem Boden liegt, braucht es schon eine Katze mit Elan und viel Fantasie, um daraus eine spannende Beute zu machen.
Katzen reagieren unterschiedlich auf chronische Unterforderung. Einige besonders extrovertierte und aktive Katzen geben ihr Bestes, um (halbwegs erfolgreich) zu improvisieren. Sie turnen waghalsig auf den Möbeln herum und schaffen sich selbst Spannendes zur Erkundung: Was passiert, wenn man etwas vom Regal auf den Boden wirft? Lässt sich die Schranktür doch irgendwie öffnen? Passieren nicht lustige Dinge in der Toilette, wenn man an der Spülung pfötelt? Diese kleine Gruppe von Katzen zeigt in der Not damit häufig Verhaltensweisen, die die Halter stören – sie tun dies aber recht gut gelaunt. Andere Katzen werden träge und passiv und verlieren jede Lust an Aktivitäten. Sie können sich dann auch kaum noch auf spannende Angebote einlassen. Und wieder anderen fällt scheinbar die Decke auf den Kopf. Sie werden unruhig und übellaunig, wenn sie vor Langeweile nicht wissen, wohin mit sich. In diesen Situationen kommt es dann leicht zu aggressiven Verhaltensweisen gegenüber Sozialpartnern. Auch diese Katzen können manchmal das von den Haltern gebotene Unterhaltungsprogramm gar nicht mehr annehmen, weil ihre Laune in diesem Moment so schlecht ist.
STRESSREDUKTION UNTERBESCHÄFTIGUNG UND LANGEWEILE
Es ist anzustreben, absolut regelmäßig attraktive Beschäftigungsangebote für die Katzen zu machen – und zwar ein Katzenleben lang und täglich. Dazu gehören Anregungen auf physischer und kognitiver Ebene, also z.B.
abwechslungsreiches interaktives Spiel mit verschiedenen Spielzeugen und Spielvarianten
Futterbeschäftigungen
vielfältige Angebote für Erkundungsverhalten
Clickertraining/Tricktraining
Tricktraining und Clickertraining mit Katzen sind in den vergangenen Jahren vor allem durch Beiträge in Tiersendungen im TV populär geworden. Im Fernsehen sieht man Clickertraining mit Katzen vor allem in Form von Katzen, die hinter kleinen Zeigestäben hinterherlaufen bzw. diese mit der Nase berühren, sogenannten Targetstäben, und sich so Belohnungen verdienen können. Clickertraining kann jedoch viel mehr sein als einem Targetstab zu folgen. Es gibt vielfältige Möglichkeiten, Katzen mit Hilfe eines Clicks ganz unterschiedliche Dinge beizubringen, von Spaßübungen wie durch einen Reifen springen über Praktisches wie Transportboxtraining bis hin zu spannungsreduzierenden Übungen wie Gähnen auf Signal. Optimalerweise ist Clickertraining eine spielerische Beschäftigung von Mensch und Katze, bei der je nach Methodenwahl das Katzenköpfchen mehr oder weniger stark beansprucht wird. Gerade die geistige Auslastung beim Clickertraining trägt dazu bei, dass Katzen sich bei regelmäßigem Training zufriedener zeigen. Dafür sind Trainings von wenigen Minuten Dauer völlig ausreichend.
Der Click als solcher und auch die einstudierten Tricks haben dabei schnell einen besonders stimmungsverbessernden Effekt auf die Katze. Wie man dies in Krisensituationen nutzen kann, werden Sie in den Erste-Hilfe-Kapiteln erfahren.
Beispiel
Mika ist ein aktiver und einfallsreicher halbwegs erwachsener Kater von etwa 4 Jahren. Über einen längeren Zeitraum hinweg gehörten zu seinem Selbstbeschäftigungsprogramm regelmäßig u.a. die folgenden Tätigkeiten: Frauchens Füße fangen, wenn diese nachts unter der Bettdecke hervorkommen; Kabel erbeuten; große Zimmerpflanzen erklimmen und dabei mit ihnen umfallen; Frauchens Finger attackieren, wenn sie am Computer schreibt.
Dann hat seine Halterin begonnen, ihn systematisch zu beschäftigen bzw. für ihn passende neue Angebote in der Wohnung zu etablieren: Sie hat in den Alltag mehrere Spieleeinheiten eingebaut, die sie jetzt verlässlich anbietet. Eine davon morgens vor der Arbeit, eine lange in den frühen Abendstunden, bevor sie sich eigenen Erledigungen widmet, und eine weitere, die etwa eine halbe Stunde vor dem Zubettgehen endet. Während des gemeinsamen Spiels bietet sie Mika häufig die Möglichkeit Beute zu fangen, die sich unter einem Teppich oder unter einer Wolldecke bewegt (wie die Füße im Bett). Einen kleinen Federpuschel lässt sie Zitterbewegungen innerhalb eines kleinen Radius auf einem Teppich machen (ähnlich den Fingern auf der Tastatur). Beide Spielvarianten bereiten Mika offenkundig großen Spaß – er bleibt länger dabei, als wenn seine Halterin die Spielangel schwingt. Außerdem hat sie ihm eine hohe Kratzsäule aufgebaut, die er wie einen Baumstamm erklimmen kann. Diese ist so platziert, dass Mika aus vollem Galopp darauf zu sausen kann. Oben angekommen kann er auf den angrenzenden Schrank hinüberspringen. Auf dem Balkon hat Mikas Frauchen außerdem zwei mittelgroße Bambuspflanzen in schweren Steintöpfen nah beieinander aufgestellt, so dass die Halme eine Art Dach ergeben. Mika kann nicht nur darunter lauern, sondern auch in den Blättern nach Lust und Laune herumpföteln, ohne dass viel passieren kann.
Nach wenigen Wochen kann die Halterin durchschlafen – mit heilen Füßen – und auch in Ruhe am Computer arbeiten. Die Zimmerpflanzen sind völlig out bei Mika.
Hat eine Katze in der Vergangenheit Spiel- und Erkundungsverhalten aufgrund von Stress weitgehend eingestellt, ist nicht zu erwarten, dass sie neue Angebote sofort annimmt. Stattdessen ist es häufig ein langwieriger Prozess, die Katze wieder an Spiel und Erkundung – und damit an aktive Teilnahme am Leben – heranzuführen. Eine große Aufgabe, die unheimlich viel Gutes bewirken kann. Für futtermotivierte Katzen können Sie mit Futterspielen beginnen, indem Sie ihnen Trockenfutterstückchen zum Hinterherjagen werfen, diese zum Herauspföteln in kleinen „Verstecken“ präsentieren oder in der Wohnung zum Suchen und Finden auslegen. Nutzen Sie das Kapitel mit Beschäftigungsideen in den Extras als erste Anregung und versuchen Sie, Ihre Katze in kleinen beharrlichen Schritten wieder dafür zu öffnen und zu begeistern. Tiefergehende Informationen über Spielverhalten von Katzen und interaktives Spiel sind in dem Buch „Spielstrategien für Stubentiger“ zusammengestellt (vgl. Zum Weiterlesen).
Vielleicht ergibt sich auch ein gemeinsamer Umzug in eine für Ihre Katze reizvollere Lebensumgebung, z.B. mit mehr menschlichen Sozialpartnern (und damit mehr Action und mehr Aufmerksamkeit) oder Freigangsmöglichkeiten?
Katzen haben normalerweise im Alltag eine Vielzahl von Bedürfnissen, die individuell unterschiedlich stark ausgeprägt sind. Wir können davon ausgehen, dass eine Katze alles, was ihr Spaß macht, auch gerne regelmäßig ausführen möchte: Neben Spielen und Erkundung könnten z.B. Kuscheln, gemeinsam auf dem Balkon sein, Fummelbrett leeren, Bürsten, Fressen, Trinken aus dem laufenden Wasserhahn oder Tricktraining dazu gehören. Häufig benötigt sie die Hilfe ihrer Menschen, um einer bestimmten Aktivität nachgehen zu können. Sich etwas zu wünschen und darauf zu warten, dass es (endlich!!!!) passiert, birgt hohes Erregungspotenzial. Während bei kurzzeitigem Warten oft eine freudige Erwartungshaltung vorherrscht, führen andauerndes oder häufiges Warten leicht zu Ungeduld, Enttäuschung und Frustration.
STRESSREDUKTION UNERFÜLLTE BEDÜRFNISSE
Es ist wichtig herauszufinden, welche Bedürfnisse die individuelle Katze mitbringt bzw. im Verlauf ihres Lebens entwickelt und im Alltag entsprechend die Beschäftigungen und Kontaktmöglichkeiten anzubieten. Die Möglichkeiten zur Bedürfnisbefriedigung sollten verlässlich und regelmäßig erfolgen. Und unter Bedingungen, unter denen die Katze sie auch annehmen kann. Wenn eine Katze z.B. Streicheleinheiten nur genießen kann, wenn sie alleine mit ihrem Menschen auf dem Sofa sitzt, dann sollten Situationen geschaffen werden, in denen z.B. die sonst sehr präsente zweite Katze woanders etwas zu tun bekommt oder der Partner sich in einem anderen Zimmer um das Neugeborene kümmert.
Rituale bieten der Katze Erwartungssicherheit und verhindern Enttäuschungsmomente. Zentral ist in diesem Zusammenhang häufig, die Angebote frühzeitig zu machen, d.h. kurzfristig nachdem das Bedürfnis der Katze auftaucht, so dass lange „Wartezeiten“ vermieden werden. Dies kann ein Zurückstellen anderer Aktivitäten oder eigener Bedürfnisse erfordern.
Beispiel
Kitty ist eine sehr verspielte Actionkatze, die sich abends wahnsinnig über die Heimkehr ihrer Halterin freut. Aus Kittys Sicht kann jetzt der aktive Teil des Tages beginnen – sie ist ausgeschlafen und bereit! Kittys Halterin sieht die Bedürfnisse ihrer Katze und nimmt im Verlauf des Abends auch immer wieder die geliebte Spielangel in die Hand. Kitty ist stets bereit: Sie beobachtet ihre Halterin genau. Sobald diese aufsteht, springt Kitty um sie herum und hofft ganz offenkundig, dass jetzt eine erneute Spielrunde eingeläutet wird. Zwischendurch versucht sie auch charmant-nervtötend, ihre eigentlich beschäftigte Halterin davon zu überzeugen, dass genau jetzt Spielzeit sein sollte. Die Abende verlaufen für beide recht unruhig und beide sind dabei hin und wieder genervt bzw. enttäuscht voneinander.
Kittys Halterin beschließt, mehr Struktur in die gemeinsamen Abende zu bringen. Dabei trägt sie dem Umstand Rechnung, dass Kitty den ganzen Tag ...
... alleine war und verständlicherweise abends wirklich bedürftig ist. Ihr neues Ritual: Sie wirft Kitty direkt nach dem Heimkommen zehn bis zwölf Trockenfutterstückchen zum Hinterherjagen durch die ganze Wohnung und gibt anschließend noch eine kleine Portion in ein Fummelbrett. Damit sind der erste Energieschub und der dringendste Appetit aufgefangen und die Halterin nutzt die Zeit für sich: sie zieht sich um, kocht sich einen Kaffee, blättert die Post durch. Nach dem Kaffee kommt eine ausführliche Spieleinheit, bei der sich die Halterin voll auf Kitty konzentriert. Nun ist Kitty zufrieden und die Halterin kann ungestört ihren eigenen Aktivitätswünschen nachgehen. Nach dem „heute journal“, das die Halterin jeden Abend guckt, schaltet sie den Fernseher aus und spielt erneut ausgiebig mit Kitty. Dann begeben sich beide gemütlich zur Nachtruhe.
Nach einer Zeit der konsequenten Umsetzung dieses Programms kehrt bei den beiden viel Ruhe ein. Kitty lernt: Immer nach dem Kaffee und nach der heutejournal-Musik bzw. dem Ausschalten des Fernsehers wird verlässlich und ausreichend viel gespielt. Durch die frühzeitige Befriedigung ihres Actionbedürfnisses am frühen Abend kann Kitty anschließend auch ruhige Nähe mit ihrer Halterin genießen und muss diese nicht mehr ständig stören. Kann die Halterin mal eine der beiden festen Spielrunden nicht umsetzen, denkt sie sich stattdessen etwas anders aus, womit sich Kitty alleine beschäftigen kann. Sie gibt ihr also Hilfe zur Selbsthilfe bzw. Selbstbeschäftigung.
Während man noch eine Chance hat, Beschäftigungsbedürfnisse der Katze z.B. durch Erkundungsangebote aufzufangen, stößt man bei anderen Bedürfnissen mit den „Outsourcing-Optionen“ an Grenzen: Wünsche der Katze nach Ansprache, Nähe und Kuschelkontakte sind oft explizit auf einen bestimmten Sozialpartner gerichtet. Sie können nicht von unbelebten Dingen und oftmals auch nicht durch einen beliebigen anderen Menschen erfüllt werden. Experimentieren Sie in solchen Fällen damit, ob z.B. ein mit einem Heizkissen muckelig gestalteter Platz in Ihrer Nähe für ein Weilchen eine Alternative zu Ihrem Schoß darstellen kann.
Das Thema Freigang ist in diversen Konstellationen mit starken und häufig wiederkehrenden Stressoren verbunden. Nur die beiden häufigsten sollen hier angesprochen werden.
UNZUREICHENDER FREIGANG