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Die mitreißende Liebe von Ben und Faith zwischen Dunkelheit und Farbklecksen. Ein fesselnder New-Adult-Roman von Debüt-Autorin Rebekka Wedekind. Ben genießt sein Single-Leben in Chicago in vollen Zügen – bis seine neue Nachbarin nebenan einzieht. Faith ist jung, schön, nicht auf den Mund gefallen und beherrscht problemlos die Regenbogenstrecke bei Mario Kart. Vom ersten Moment an ist er fasziniert von ihrer geheimnisvollen Art sowie den vielen Farbklecksen auf ihren Klamotten und beschließt, sie näher kennenzulernen. Eigentlich kein Problem für den immer gut gelaunten Assistenzarzt, aber im Gegensatz zu seinen bisherigen Eroberungen ist Faith wenig begeistert von seinem Charme. Egal, was Ben versucht, er prallt jedes Mal gegen eine Mauer aus Geheimnissen und Ölfarbe. Mit viel Geduld und Fingerspitzengefühl schafft er es, nach und nach einzelne Steine zu lockern. Doch was er schließlich hinter ihrer Mauer entdeckt, lässt die Farbkleckse auf Faiths Kleidung zu einem Bild werden, das genauso bunt wie dunkel ist … »Keeping Faith - Farben der Liebe« von Rebekka Wedekind ist ein eBook von feelings*emotional eBooks. Mehr von uns ausgewählte romantische, prickelnde, herzbeglückende eBooks findest Du auf unserer Facebook-Seite. Genieße jede Woche eine neue Liebesgeschichte - wir freuen uns auf Dich!
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Seitenzahl: 439
Rebekka Wedekind
Keeping Faith – Farben der Liebe
Roman
Knaur e-books
Die mitreißende Liebe von Ben und Faith zwischen Dunkelheit und Farbklecksen. Ein fesselnder New-Adult-Roman von Debüt-Autorin Rebekka Wedekind.
Ben genießt sein Single-Leben in Chicago in vollen Zügen – bis seine neue Nachbarin nebenan einzieht. Faith ist jung, schön, nicht auf den Mund gefallen und beherrscht problemlos die Regenbogenstrecke bei Mario Kart. Vom ersten Moment an ist er fasziniert von ihrer geheimnisvollen Art sowie den vielen Farbklecksen auf ihren Klamotten und beschließt, sie näher kennenzulernen. Eigentlich kein Problem für den immer gut gelaunten Assistenzarzt, aber im Gegensatz zu seinen bisherigen Eroberungen ist Faith wenig begeistert von seinem Charme. Egal, was Ben versucht, er prallt jedes Mal gegen eine Mauer aus Geheimnissen und Ölfarbe. Mit viel Geduld und Fingerspitzengefühl schafft er es, nach und nach einzelne Steine zu lockern. Doch was er schließlich hinter ihrer Mauer entdeckt, lässt die Farbkleckse auf Faiths Kleidung zu einem Bild werden, das genauso bunt wie dunkel ist …
Für Hali
♥
Du bist für immer in allem, was ich tue, Mama.
»Our memory is a more perfect world than the universe;
it gives back life to those who no longer exist.«
[Guy de Maupassant]
Konstantine – Something Corporate
Don’t Give Me Those Eyes – James Blunt
Paradise (Acoustic Version) – George Ezra
Shake Away – Michael Patrick Kelly
Unsteady – X Ambassadors
Zeit Reif – Xavi
Praying – Kesha
House – Joshua Moss
Kreise – Johannes Oerding
Tough – Lewis Capaldi
Running Away – Midnight Hour
Rewrite The Stars – Zac Efron & Zendaya
Is It Love? – Rea Garvey
I Might – Tom Grennan
Don’t Give Up On Me – Andy Grammar
Dusk Till Dawn – Zayn & Sia
Think About You – Delta Goodrem
Please Don’t Lie – Hugo Helmig
Through Glass – Stone Sour
Lost Without You – Freya Ridings
White Light Moment – Tove Styrke
Be Strong – Delta Goodrem
Killing Me – Luke Sital-Singh
On My Shoulder – Westlife
Flares – The Script
La Camisa Negra – Juanes
Ich hatte Freunde zu Besuch, als ich sie das erste Mal sah. Ihre Haare waren zu einem strengen Zopf zusammengebunden, die Augen empört aufgerissen, als sie in meine Wohnung gestürmt kam.
»Geht das auch etwas leiser?«, rief sie und baute sich, die Hände in ihre Hüften gestemmt, vor meinem Fernseher auf. Zwei Dinge waren es, die mir gleichzeitig durch den Kopf schossen. Wieso schaffte es Dan nie, die Tür hinter sich zuzumachen, wenn er neues Bier geholt hatte, und wer war diese dunkelhaarige Schönheit mit den Farbflecken am ganzen Körper, die auf diese unkonventionelle Art und Weise in meine Wohnung geplatzt war?
Mason schien sich dasselbe zu fragen. »Wer ist das, Ben?«
Ich hatte keine Ahnung, aber es gefiel mir nicht, dass sie sich mitten vor den Bildschirm stellte, auf dem wir gerade zockten. Jake war offenbar ebenfalls dieser Meinung. »Hey Lady! Was zur Hölle soll das?«
»Ich sehe nichts mehr«, protestierte nun auch Dan.
Die Jungs saßen fassungslos darüber, in ihrem Spiel unterbrochen worden zu sein, auf dem Sofa und hielten die Controller noch immer in den Händen.
»Was ist dein Problem, Puppe?« Ich schmiss Mason meinen Controller zu und erhob mich. Bevor wir auch nur den Ansatz einer Antwort bekamen, zog sie bereits den Stecker des Fernsehers aus der Wand. Augenblicklich wurde der Bildschirm schwarz, und meine Freunde schnappten entsetzt nach Luft.
»Bist du verrückt geworden?«
»Ey, Tussi, ich hätte gewonnen!«
»Verdammte Scheiße, bist du irre?!«
Ich stand einfach nur sprachlos daneben. Und das war etwas, was mir wirklich selten passierte. Sehr selten.
»Es gibt Leute hier im Haus, die schlafen wollen!«, fauchte sie, als sie wieder zu uns herumwirbelte und das Kabel auf den Boden schmiss. In ihrem Blick lag etwas Bedrohliches, und für einen Moment hatte ich wirklich Angst um meinen Fernseher. Es hätte mich nicht gewundert, wenn sie ihn umgeworfen oder versucht hätte, ihn aus meiner Wohnung zu schleppen. Ich glaubte zwar nicht, dass sie es geschafft hätte, dafür war sie zu klein und zu zierlich, aber ich wollte nichts riskieren.
»Ich wäre euch wirklich sehr dankbar, wenn ihr eure postpubertären Kindereien auf ein erträgliches Level herunterfahren könntet.«
»Stell dich nicht so an.« Jake stand auf, griff nach dem Kabel und steckte den Bildschirm wieder ein. »So laut sind wir gar nicht.«
»Keiner von euch hat mein Klopfen gehört!«
»Es ist noch nicht einmal Mitternacht«, meckerte Dan und wandte sich nun an mich. »Wirf sie raus, Ben, und lass uns weiterzocken.«
Bevor ich die Chance hatte, etwas dazu zu sagen, platzte sie von Neuem.
»Oh, keine Sorge. Ich gehe freiwillig … Sobald ihr leiser seid.« Demonstrativ verschränkte sie die Arme vor der Brust und baute sich zwischen Dan und dem Fernseher auf. Die Farbreste an ihren Armen und Beinen irritierten mich. Das sah nicht danach aus, als hätte sie tatsächlich im Bett gelegen und wäre von uns vom Schlafen abgehalten worden.
»Du hast mir gerade den Sieg versaut«, knurrte Jake. »Wenn jemand kein Recht hat, Forderungen zu stellen, dann du, Fräulein.«
»Fantastisch. Die Herren sind also nicht nur unverschämt, sondern auch noch sexistisch.«
»Dann geh doch.« Jake verdrehte die Augen. »Meine Güte. Es zwingt dich niemand, hier zu sein. Mach das Spiel wieder an, Maze.«
»Erst, wenn ihr den Scheiß leiser macht und nicht alle drei Sekunden durch die Gegend grölt.« Sie stand unbeweglich mitten in meinem Wohnzimmer, versperrte uns die Sicht und starrte meinen Kumpel nieder. Leider – oder zum Glück – war Jake niemand, der sich leicht unterkriegen ließ. Er hielt ihrem Blick problemlos stand. Ein belustigtes Lächeln erschien auf seinen Lippen.
»Willst du dich ernsthaft mit mir anlegen, Mädchen? Was du hier betreibst, ist Hausfriedensbruch.«
Das war der Moment, in dem ich begriff, dass das Ganze gleich richtig eskalieren würde, wenn ich nicht einschritt.
»Sorry.« Ich setzte ebenfalls ein beschwichtigendes Lächeln auf und trat zwischen die beiden. Schadensbegrenzung. »Das war keine Absicht. Wir sind ab sofort leiser.«
»Was? Bist du bescheuert?« Jake drehte sich ruckartig in meine Richtung und sah mich wütend an.
Okay. Ich seufzte. Mein Plan hatte eindeutig Lücken. Nun war es nicht nur unsere unbekannte Besucherin, die an die Decke ging, sondern auch noch Jake.
»Wir zocken hier ständig, und noch nie hat sich jemand beschwert. Weil wir verdammt noch mal nicht laut sind.«
»Doch, seid ihr.«
»Sind wir nicht.«
»Doch!«
»Himmel.« Jake begann in seiner Hosentasche zu kramen und zog sein Portemonnaie hervor. »Hier. Das sollte reichen.« Mit diesen Worten hielt er ihr fünf Dollar entgegen, die nicht nur ich verblüfft beäugte.
»Was soll ich damit?«, fragte sie, und für einen Augenblick sah ich Verwunderung über ihr Gesicht huschen, ehe sie sofort wieder ihre Maske aufsetzte und ihn grimmig musterte. »Steck dir dein Geld sonst wohin.«
»Kauf dir Ohrstöpsel. Vielleicht gibst du dann Ruhe.«
»Nice, Man.« Dan hielt Jake die erhobene Hand entgegen, in die selbiger mit seiner freien Hand einschlug. Mason hatte Mühe, sich ein Lachen zu verkneifen. Ich hatte jeglichen Widerstand aufgegeben und grinste breit. Für etwa 2,75 Sekunden.
»Na gut.« Mit einem Mal war sie beängstigend ruhig, und das überraschte mich weit mehr als die Furie, die vor ein paar Minuten in meine Wohnung gestürmt war. »Ganz wie ihr wollt.« Sie zuckte mit den Schultern. »Dann rufe ich eben die Polizei.«
»Mach doch.« Jake.
»Werde ich.« Damit machte sie auf dem Absatz kehrt und stapfte davon.
Scheiße!
So, wie sie hier hereingeplatzt war, hatte ich keinerlei Zweifel daran, dass sie ihre Drohung wahr werden lassen würde. Und wenn ich eine Sache nicht wollte, war es, die Polizei in meiner Wohnung zu haben.
Ehe ich begriff, was ich tat, eilte ich ihr hinterher und warf Jake einen bösen Blick zu. Halt bloß die Klappe! Im Nu hatte ich mich an ihr vorbeigedrängt und in ihren Weg gestellt. Mit einer Hand stieß ich die Tür hinter meinem Rücken zu, um sie am Gehen zu hindern.
»Was soll das?«, keifte sie und versuchte, sich an mir vorbeizudrängen.
»Mein Kumpel ist ein Trottel«, entgegnete ich und lächelte sie entwaffnend an. »Er ist mit drei Brüdern aufgewachsen und hat keine Ahnung, wie man sich einer Frau gegenüber benimmt.«
»Aber du, ja?« Sie runzelte die Stirn, ehe sie den Kopf schüttelte. »Es interessiert mich nicht, was für eine Kindheit ihr genossen habt. Was ihr hier veranstaltet, ist Ruhestörung. Tut mir leid, dass ich das um diese Uhrzeit ganz und gar nicht mehr lustig finde.« Sie kam näher. »Und jetzt lass mich durch!«
»Ohrstöpsel …«, hörte ich es in diesem Augenblick vom Sofa. Jake, verdammt!
Offenbar wirkte dieses Wort wie ein Trigger bei ihr. Wutentbrannt wirbelte sie herum und wollte zurück zur Couch stapfen. Im nächsten Moment schnellte meine Hand an ihren Arm, um sie davon abzuhalten, Jake in der Luft zu zerreißen. »Ich denke, das reicht.« Mit diesem einen Satz schaffte ich es, ihre Aufmerksamkeit wieder auf mich zu ziehen.
Und dann fiel der Groschen. Natürlich.
»Du bist meine neue Nachbarin!«, platzte es aus mir heraus. Anders konnte ich mir diesen fast schon amüsanten Auftritt ihrerseits nicht erklären.
»Du bist ja von der ganz schnellen Sorte, Pinkerton.« Sie blickte mich abschätzig an.
»Pinkerton?« Von wem zum Teufel sprach sie?
»Hä?«
»Was?«
»Wer soll das sein?«
Immerhin war ich nicht der Einzige, der nicht wusste, um wen es sich bei diesem Pinkerton handelte. Auch meine Jungs schienen keine Ahnung zu haben.
»Ja, genau, wie ich bereits sagte …« Sie verdrehte die Augen. »Von der ganz schnellen Sorte.«
»Ja. Sorry. Mann.« Ich zeigte mit dem Finger erklärend auf mich selbst. »Wir sind nicht ganz so flott im Denken.«
»Hab ich gemerkt.« Sie starrte mich zwar immer noch vorwurfsvoll an, doch ihre Wut schien nicht mehr ganz so groß zu sein wie noch vor ein paar Sekunden. 0,7 Prozent hatte sie verloren. Mindestens. Gut möglich, dass es auch 0,75 waren. Meine Worte hatten ihr wohl tatsächlich etwas den Wind aus den Segeln genommen. Lächelnd machte ich einen Schritt auf sie zu und hielt ihr meine Hand entgegen. »Hey, ich bin Ben.«
»Faith.« Sie betrachtete meine Hand argwöhnisch, griff aber nicht nach ihr.
Auch gut.
»Faith von nebenan.« Nun grinste ich breit. »Schön, dich kennenzulernen. Diese Idioten dort drüben sind Maze, Jake und Dan.« Ich wandte meinen Blick in ihre Richtung und sah sie mahnend an. Es galt, Faith zu besänftigen, und das konnte ich nicht alleine.
»Willst du ein Bier?«, fragte ich und sah mich suchend um. Dan war gerade erst mit Nachschub zurückgekommen, als der Trottel die Tür offen gelassen hatte. Etwas Alkohol würde sie hoffentlich runterholen und die Idee, die Polizei wegen ein bisschen Lärm zu rufen, aus ihren Gedanken eliminieren. Ich hatte noch nicht einmal den halben Raum nach einer noch verschlossenen Flasche abgescannt, als sie den Kopf schüttelte.
»Ich trinke nicht.«
Okay. Sie war also immer noch sauer. Oder Alkoholikerin. Vielleicht auch beides.
»Ein Wasser?«, versuchte ich es erneut, doch auch das lehnte sie ab. Hilfe suchend warf ich einen Blick über ihre Schulter zu Dan. Er sah mich ideenlos an und auch Jake, gerade Jake, wirkte nicht so, als käme er mit einer zündenden Idee um die Ecke.
»Gut, auch kein Wasser«, murmelte ich und kratzte mich nachdenklich am Hinterkopf. Vielleicht wollte sie einfach noch einmal eine Entschuldigung wegen des Lärms hören? Ich hatte keine Ahnung.
Mason war derjenige, der die Situation schließlich rettete. »Was haltet ihr von einem Deal?«
Neugierig drehte ich mich zu ihm um. »Was meinst du?«
»Wir zocken. Wenn Faith gewinnt, bekommt sie, was sie will.« Er zuckte mit den Schultern.
»Du willst, dass ich gegen euch spiele?« Faith sah ihn abwägend an. »Und dann seid ihr ruhig?«
»Wenn du dich traust«, bestätigte er. »Du darfst dir auch aussuchen, gegen wen du antreten willst«, schob er großzügig hinterher. Grinsend nickte ich ihm hinter Faiths Rücken zu. Großartige Idee. Es gab nur eine Art von Joystick, mit der Frauen wirklich umgehen konnten und die hatte nichts mit Mario Kart zu tun. Ich kannte kein einziges weibliches Wesen, das Spaß am Spielen mit Konsolen hatte, geschweige denn gut darin war. Was vielleicht auch der Tatsache geschuldet war, dass ich mir gar nicht erst die Möglichkeit gab, eine Frau näher kennenzulernen. Ich hatte kein Interesse an einer Beziehung und war jedes Mal froh, wenn meine aktuelle Eroberung am nächsten Morgen ohne größere Diskussionen das Weite suchte. Für den Moment war mein Kampfgeist jedenfalls geweckt. Ich würde Faith spielend leicht besiegen und ihr zeigen, dass man sich mit uns lieber nicht anlegte und dann …
»Du!« Faith zeigte auf Jake. »Ich will gegen dich spielen.«
Was?
Ich hatte mir bereits vorgestellt, wie ich in die erhobenen Hände meiner Kumpels einschlug, weil ich heroisch unseren Männerabend gerettet hatte, und nun wollte sie gegen Jake antreten?
»Mit dem größten Vergnügen.« Mit einem gehässigen Grinsen auf den Lippen ließ Jake sich auf die Couch fallen und angelte nach einem der Controller. »Wir nehmen natürlich Mario Kart und die Regenbogenstrecke.«
»Natürlich.« Sie nickte, setzte sich neben ihn und schnappte sich einen eigenen Controller. Ich hatte keinen Schimmer, was hier gerade geschah. Da befand sich auf einmal eine Frau in meiner Wohnung, die wir bis vor fünf Minuten noch nicht gekannt hatten, brüllte uns an, riss die halbe Steckdose aus der Wand, und plötzlich saß sie auf meinem Sofa, biss sich auf die Lippen – die zugegebenermaßen ziemlich sexy waren – und nahm die Herausforderung, die ihr gestellt worden war, widerstandslos an. Mason hing über der Sessellehne, auf der ich eben noch gesessen hatte, und starrte auf den Bildschirm. Dan kam mit zwei neuen Bierflaschen angelaufen und drückte mir eine davon in die Hand, während Faith ihre Figur auswählte. Jake tat es ihr gleich.
Keine Sekunde später hing Faith ihn ab. Sie zockte ihn ab, gnadenlos und mit ordentlich Vorsprung. Sprachlos betrachteten wir die Zahlen, die uns auf dem Fernsehbildschirm entgegenleuchteten. Faith hatte mal eben einen neuen Rekord aufgestellt. Einfach so. Auf der beschissenen Regenbogenstrecke.
Jake war der Erste, der seine Sprache wiederfand und knurrend ein einziges Wort von sich gab. »Revanche!«
»Sicher?« Ihre Stimme klang stichelnd. Und zum ersten Mal, seit sie in meine Wohnung gestürmt war, erschien so etwas wie ein Lächeln auf ihren Lippen. Es wirkte spöttisch.
»Leg los.« Jakes Ehrgeiz war geweckt. Konzentriert fixierte er den Bildschirm.
»Was ist mit dir los, Mann?« Dan war immer näher an den Fernseher gerückt. »Mach sie fertig. Ich will noch nicht nach Hause.«
Dieses Mal startete Faith. Und obwohl er um jeden Preis gewinnen wollte, hatte Jake erneut keine Chance gegen sie. Sie blies sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht, die sich aus ihrem Zopf gelöst hatte, und fuhr die Regenbogenstrecke ein zweites Mal fehlerfrei. Als wäre es ein Kinderspiel. Völlig fasziniert beobachtete ich dieses mystische, wunderschöne Wesen von nebenan dabei. An ihren Fingern klebten Farbreste, die karierten Shorts, die sie trug, entblößten Beine bis in den Himmel, ihre Zehennägel waren knallrot lackiert, und es war deutlich sichtbar, dass sie unter ihrem Top keinen BH trug. Ich konnte es nicht fassen. In unserer Mitte befand sich eine Zockerqueen, die sich augenscheinlich nicht daran störte, dass sie voller Farbe und halb nackt in unserer Runde saß. Ich war niemand, der sich leicht beeindrucken ließ, aber ich konnte nicht leugnen, dass es erfrischend war, eine Frau kennenzulernen, die nicht genervt die Augen verdrehte, sobald sie eine Konsole sah. Die Jake ganz im Gegenteil gerade mit Leichtigkeit abhing und schon wieder mit einigem Abstand als Erste ins Ziel fuhr. Und ganz offensichtlich war ich nicht der Einzige, dem das aufgefallen war. Mason ließ seinen Blick ungeniert über Faith gleiten. Von oben nach unten und wieder zurück. Als er bemerkte, dass ich ihn beobachtete, nickte er mir anerkennend zu. Ganz eindeutig hatte sie ihn genauso beeindruckt wie mich.
»Scheiße, Jake!« Dan verpasste ihm einen Schlag auf den Hinterkopf. »Was kannst du eigentlich?«
Fluchend warf Jake den Controller zur Seite, stand auf, griff nach einem Bier und trank die halbe Flasche auf einmal leer. Dann trat er gegen die Couch, was ich mit einem »Ey, du Penner!« quittierte.
»Tja.« Im Gegensatz zu Jake legte Faith den Controller ordentlich auf dem Tisch ab. Dann stand sie auf und bahnte sich ihren Weg an den Jungs vorbei. »Gute Nacht.«
»Hey!«, widersprach Dan. »Was ist mit mir?« Die pure Verzweiflung stand ihm ins Gesicht geschrieben ob des drohenden Endes unserer Zockerei. »Ich will auch gegen dich antreten.«
»Sorry. Die Abmachung lautete anders.« Unbeeindruckt lief sie weiter auf die Tür zu. Was vermutlich besser so war. Ich war mir nicht sicher, ob Jakes Ego es verkraftet hätte, sie noch einmal gewinnen zu sehen.
»Ach, komm schon«, rief Dan ihr hinterher. Faith ignorierte ihn. Und sie ignorierte auch, wie die drei zu diskutieren begannen, woran Jakes Fehler gelegen hatten.
»Ich will nichts mehr von euch hören«, sagte sie und drehte sich zu mir um. »Ansonsten hast du die Polizei schneller da, als dir lieb ist, verstanden?«
»Wenn du mich in Handschellen sehen willst, musst du nur fragen, Süße.« Es war ein letzter Versuch, die Stimmung zu lockern.
Ich scheiterte kläglich.
»Ernsthaft? Gibt es wirklich Frauen, die auf so einen plumpen Quatsch reinfallen?« Faith verdrehte die Augen und wartete eine Reaktion meinerseits gar nicht erst ab. Wortlos verließ sie das Wohnzimmer.
Verdammt. »Warte!«, rief ich ihr hinterher, sprang auf und eilte ihr nach. »Ich bring dich zur Tür.« Ehe ich michs versah, legte ich ihr wie selbstverständlich eine Hand auf den Rücken. Nur, um sie quasi im selben Augenblick wieder sinken zu lassen, als ich spürte, wie sie sich anspannte. Geschickt drehte sie sich von meiner Hand weg und blickte noch einmal zu meinen Freunden, die intensiv in ihre eigene Diskussion vertieft waren. Meine Augen folgten ihrem Blick.
»Ich würde ja gerne behaupten, dass sie nicht immer so sind, aber … das wäre eine Lüge.« Ich zuckte mit den Schultern und folgte Faith aus meiner Wohnung in den Flur. Aus einem Impuls heraus zog ich die Tür hinter mir zu. Als sie ins Schloss fiel, blieb Faith überrascht stehen.
»Du musst mich nicht begleiten. Mein Apartment ist keine vier Meter von deinem entfernt.« Sie deutete mit dem Daumen über ihre Schulter, wo sich in der Tat eine mit meiner identische Tür befand.
»Ich weiß.« Ich nickte und suchte fieberhaft nach etwas, was ich sagen konnte. Es gab keinen vernünftigen Grund, wieso ich sie hätte begleiten müssen. Außer vielleicht … »Ich will nur sichergehen, dass du mir nicht doch noch die Bullen auf den Hals hetzt.«
»Angst?«
»Ein bisschen.« Ich grinste schief. »Wann bist du eigentlich eingezogen?« Ich hatte nichts bemerkt.
»Am Mittwoch.«
Drei Tage also. Das erklärte, wieso ich sie noch nicht zu Gesicht bekommen hatte. Mein Praktikum im Krankenhaus hatte mir in den letzten Tagen einige Doppelschichten abverlangt und dazu geführt, dass ich mich wie nach einem Flug um die halbe Welt fühlte. Ich hatte Jetlag, war nachts hellwach und tagsüber fürchterlich müde.
»Dann … herzlich willkommen in der Nachbarschaft.« Ich lehnte mich gegen die Wand. »Solltest du mal Zucker oder Salz brauchen …« Small Talk. Das war immerhin besser als nichts darauf zu erwidern, auch wenn es mich wahrscheinlich nicht besonders interessant machte.
»Lass mich raten. Dann bist du mein Mann?« Ihre Stimme triefte schon wieder vor Sarkasmus.
»Nein.« Ich schüttelte den Kopf. »Eigentlich habe ich nie etwas da.«
»Okay.« Ihr Blick sprach Bände. Sie hatte mich durchschaut und hielt mich für genau den Vollidioten, der ich war. Aber hey, das war immerhin besser als Arschloch. Es waren die kleinen Dinge.
»Ich … geh dann mal rein.« Sie öffnete ihre Tür, ehe sie noch einmal innehielt und mich fest ansah. »Und ich hoffe wirklich sehr, dass ihr euch an den Deal haltet.«
»Werden wir«, versprach ich und stockte. Schlaf gut. Das war es, was ich hatte sagen wollen. Und was mir im Hals stecken blieb, als Faith ihre Tür schloss.
Okay. Wow. Ich konnte nicht einmal behaupten, dass ich soeben einen Korb kassiert hatte. Und doch fühlte es sich genauso an, als ich kehrtmachte und zurück in meine Wohnung schlich, in der noch immer drei Männer auf mich warteten. Sie standen in einer Reihe an die Couch gelehnt und musterten mich eingehend. Ich fing einfach damit an, die leeren Bierflaschen und Chipstüten zusammenzusammeln. Eine Weile sahen sie mir schweigend und mit verschränkten Armen dabei zu.
Schließlich war Mason, mein bester Kumpel und ehemaliger Mitbewohner, derjenige, der sich traute und mich ansprach. »Ben?«
Ich ignorierte ihn.
Er wartete eine Weile.
Dann erneut: »Ben?«
»Was?« Ich blickte kurz auf, ehe ich den ganzen Müll mit den Händen zusammenschob.
»Was war das?«
»Das …« Ich seufzte. »… war meine neue Nachbarin.«
»Das meinte ich nicht, und das weißt du.«
Mir war klar, dass er wissen wollte, warum ich sie auf den Flur begleitet hatte. Was dort draußen passiert – oder vielmehr nicht passiert – war. Sie waren es nicht gewohnt, dass ich weiblichen Besuch bis an die Tür brachte. »Eine andere Antwort wirst du aber nicht von mir kriegen.« Ich kickte meine herumliegenden Schuhe in den Flur und zog mir mein T-Shirt über den Kopf. Ein eindeutiges Zeichen für meine Besucher, dass es an der Zeit war zu gehen. Und nur für den Fall, dass sie meine Geste nicht verstehen wollten, schob ich zusätzlich ein »Wir haben verloren, also ist der Abend hiermit beendet« hinterher. »Und diese Tatsache ist nicht meine Schuld.«
Mein Blick fiel auf Jake, der die Augen verdrehte. »Bedank dich lieber bei Maze, er hat den Vorschlag gemacht.«
»Und da ist die Tür.« Ich nickte mit dem Kopf in besagte Richtung.
»Kiss and tell«, flötete Dan. Mir war völlig schleierhaft, was in ihn gefahren war, aber ich griff trotzdem nach einem Kissen und warf es ihm entgegen. Lachend wehrte er meine kleine Attacke ab. Wie auch immer. Es war mir egal, was sie glaubten. Ich war einfach nur froh, dass sie mir keine weiteren Fragen zu Faith stellten. Was hätte ich denn sagen sollen? Ich kenne sie nicht, aber sie ist interessant? Heiß? Wahrscheinlich hätten sie mich ausgelacht, weil ich mich wie ein zwölfjähriger Teenie anhörte, der zum ersten Mal eine halb nackte Frau gesehen hatte.
»Raus jetzt!«, murrte ich und versuchte, möglichst einschüchternd auf die drei zuzugehen.
»Schon gut.« Mason grinste und hob abwehrend die Hände. »Wir gehen ja schon.« Er scheuchte Jake und Dan vor sich her, ehe er sich noch einmal halb zu mir umdrehte und ein tonloses »Ruf mich an!« formte.
Meine Wohnung war längst leer, als ich immer noch mitten in meinem Wohnzimmer stand und Löcher in die Luft starrte. Es war in der Tat eine ganze Weile her, dass ich zum letzten Mal Sex gehabt hatte. Was nicht an mangelnden Angeboten, sondern schlicht und einfach an zu wenig Zeit lag. Mein Praktikum in der Klinik hatte vor drei Monaten begonnen, und obwohl ich es anfangs noch ganz amüsant gefunden hatte, mit einer willigen Krankenschwester – oder Ärztin – nach der anderen zu schlafen, war mir irgendwann klar geworden, dass ich nicht in diesem Tempo weitermachen konnte. Ein Krankenhaus war mit Sicherheit nicht viel besser als das College oder die Highschool. Irgendwann hätte es Gerüchte gegeben, falls es diese nicht sowieso schon gab. Und da ich meinen Job wirklich mochte, hatte ich angefangen, wenn auch nicht ganz freiwillig, Prioritäten zu setzen. Was bedeutete, keine weiteren Kolleginnen mehr anzufassen.
Ein Seufzen entwich mir. Sex war überfällig. Und es nervte mich, dass dieser Gedanke gleichzeitig Faiths Gesicht vor meinem inneren Auge entstehen ließ. Ja, sie war hübsch. Ja, sie hatte Beine bis zum Mond, die in High Heels bestimmt noch umwerfender gewesen wären. Und ja, ich hatte ihre Nippel durch ihr Top gesehen. Aber das waren bei Gott nicht die ersten gewesen, die ich in meinem Leben hatte bewundern dürfen.
Es verblüffte mich nach wie vor, wie selbstverständlich sie sich in diesem Outfit zwischen meine Kumpels gesetzt hatte. Als wäre es ihr völlig egal, was diese willige Meute Mittzwanziger von ihr hielt. Vermutlich war dem sogar so gewesen. Sie hatte einfach nur gewinnen wollen. Was wirklich schade war. Sie war heiß. Ich brauchte nur an mir nach unten zu blicken, um jede andere Aussage bezüglich ihres Aussehens Lügen zu strafen. Leider war Faith nicht hier, um mir aus meiner Misere zu helfen. Von daher blieb mir nur meine Hand.
Zwei Tage später bekam ich die Gelegenheit, mich zu revanchieren. Schlaflos wälzte ich mich in meinem Bett hin und her und versuchte den Bass, der aus Faiths Wohnung drang, zu ignorieren. Normalerweise hätte ich mir einfach Stöpsel – ja, mir ist die Ironie durchaus bewusst – in die Ohren gepackt und selbst Musik gehört, bis ich eingeschlafen wäre, doch … es war eben Faith, die mich mit ihrem Krach am Schlafen hinderte. Die Furie, die den Abend mit meinen Jungs gesprengt hatte.
Ich war nicht wirklich genervt, als ich die Bettdecke zurückschlug, das Schlafzimmer verließ, in den Flur trat und nebenan an ihre Tür klopfte. Ich nutzte schlichtweg die Chance, die sich mir bot, um ebenfalls in ihren Abend zu platzen und ihr ein bisschen die Laune zu verderben. Ich malte es mir bereits bildlich aus, während ich die Klingel betätigte. Einmal. Dann noch einmal.
Faith hörte mich nicht.
Für einen kurzen Moment war ich enttäuscht, als ich zurück in meine Wohnung ging. So hatte ich mir das nicht vorgestellt. Doch dann fiel mein Blick auf das Fenster. Ein Grinsen machte sich auf meinem Gesicht breit. Kurz entschlossen kletterte ich hinaus auf die Feuertreppe. Vielleicht würde es helfen, an ihr Fenster zu klopfen. Selbst wenn sie mich nicht hören würde, würde sie meine Bewegungen bemerken und so auf mich aufmerksam werden. Als ich ihr Fenster erreicht hatte, stellte ich fest, dass die Scheibe ein paar Zentimeter nach oben geschoben war. Ich musste nicht klopfen, ich konnte es genauso machen wie sie und mich selbst in ihre Wohnung lassen. Behutsam schob ich das Fenster ganz auf. Ihre Musik war so laut, dass sie nichts davon hörte. Ich stieg über die Fensterbrüstung in ihr Wohnzimmer und genoss den Anblick, der sich mir bot. Faith stand mit dem Rücken zu mir, einen großen Pinsel in der Hand und musterte mit schief gelegtem Kopf die Leinwand vor sich. Ich brauchte ihr Gesicht nicht zu sehen, um zu wissen, dass ihr Blick kritisch war. Vermutlich sah sie das Bild ebenso begeistert an, wie sie Jake mehrfach bei mir gemustert hatte. Ihre aggressive Musikauswahl glich fast schon einer Kriegserklärung. 3,81 Sekunden gönnte ich mir, während derer ich sie einfach nur betrachtete. Wieder steckte sie in kurzen Shorts und einem Top mit Spaghettiträgern, und mir wurde klar, dass das nicht ihr Pyjama war, sondern das Outfit ihrer Wahl, wenn sie malte. Ihre Beine wirkten erneut endlos lang und waren mit Farbe vollgespritzt. Im nächsten Moment tauchte sie den Pinsel auf ihrer Farbpalette ein und malte weiter. Faith war offensichtlich in ihrem Element. Sie nahm nichts um sich herum wahr, hörte nicht, wie ich ein paar Schritte durch ihre Wohnung lief und nach der Quelle des Lärms suchte. Auf einem halbhohen Regal befand sich ein alter CD-Player, den sie dem Lautstärkeregler nach zu urteilen bis zum Anschlag aufgedreht hatte. Ich war mir nicht sicher, was sie damit bezwecken wollte, doch ich war bereit, es herauszufinden. Mit einer schnellen Handbewegung drehte ich leiser, bis nichts mehr von der Musik zu hören war.
Ruckartig wirbelte sie herum.
»Ich weiß nicht, ob du es wusstest«, sagte ich mit einer gewissen Genugtuung in der Stimme, »aber es gibt Leute in diesem Haus, die um diese Uhrzeit schlafen wollen.« Ich deutete auf die große Uhr an ihrer Wand. Es war mittlerweile nach eins in der Nacht, und meine Schicht begann in nicht einmal fünf Stunden.
»Wie bist du hier reingekommen?«
»Da du weder deine Klingel noch mein Klopfen gehört hast, habe ich beschlossen, einen etwas unorthodoxen Weg zu nutzen.« Ich nickte in Richtung des Fensters.
»Du bist … durch das Fenster?« Sie sah mich böse an. »Das ist Hausfriedensbruch!«
»Dann sind wir jetzt ja quitt.« Ich grinste noch immer.
»Äh, nein? Sind wir nicht. Ich bin durch die offene Tür in deine Wohnung gekommen. Du … hier … das … das hier ist Einbruch.« Es war eindeutig, dass sie mit der Situation überfordert war. Ein lautes Lachen drang aus meiner Kehle.
»Du könntest die Polizei rufen und mich anzeigen«, schlug ich vor, lehnte mich an ihre Couch und verschränkte die Arme vor der Brust. »Du könntest mir aber auch etwas zu trinken anbieten, und wir vergessen die ganze Sache.«
Anstatt meiner Aufforderung nachzukommen, blieb sie vor ihrem Bild stehen und sah mich feindselig an. »Was willst du, Ben? War ich zu laut?« Nun kam Leben in sie, als sie auf den Player zulief und die Musik wieder lauter drehte. Allerdings lange nicht mehr so ohrenbetäubend wie zuvor. »Tut mir leid. Zufrieden?«
Es wäre leicht gewesen zu nicken, mich für ihr Entgegenkommen zu bedanken und wieder zu gehen. Im Prinzip hatte ich bekommen, was ich wollte. Die Musik war leiser, und auch den kleinen Schlagabtausch, den ich hatte ausfechten wollen, hatte sie mir geliefert.
Faiths Blick lag auf mir, die unausgesprochene Frage hing zwischen uns im Raum. Was wollte ich noch hier? Ich hatte keine Ahnung, aber gehen war es auf jeden Fall nicht.
»Willst du, dass ich dich zur Tür begleite?« Faith war gut. Sie hatte genau gemerkt, dass ich sie mit denselben Kommentaren gefoppt hatte wie sie mich.
»Falls es deiner Aufmerksamkeit entgangen ist … ich habe nicht die Tür benutzt.«
»Dann bringe ich dich eben zum Fenster.« Sie verdrehte die Augen, ehe sie auf mich zukam und eine galante Bewegung mit der Hand nach links machte. »Hier, bitte, Peter Pan. Soll ich Tinkerbell spielen und dich ganz nach draußen begleiten?« Ihre Stimme ließ keinen Zweifel daran, dass sie genervt war, und ihre Worte erinnerten mich unweigerlich an Mason und seine Freundin Daria und ihre bescheuerten Spitznamen füreinander. Irgendwann hatte er angefangen, sie Tink zu nennen, und mir bis heute nicht verraten, wie es dazu gekommen war. Mit einem Mal fand ich diese Sache gar nicht mehr so dämlich. Wäre nicht Daria schon seine Tink gewesen, hätte ich es mir durchaus vorstellen können, Faith von nun an so zu nennen. Und sei es nur, um sie zu ärgern.
Meine Augen folgten ihrer Handbewegung zum Fenster. Das war aber auch schon alles, was ihr folgte. Ich lehnte immer noch an der Couch mitten in Faiths Wohnzimmer, als mir auffiel, dass dieser Raum nicht wie ein typisches Wohnzimmer aussah. Überall standen größere und kleinere Staffeleien, auf denen halb fertige Bilder zu sehen waren. Daneben befanden sich große, mit Wasser gefüllte Gläser, in denen unzählige Pinsel steckten. Einige Tuben Farbe lagen herum, genau wie alte Lappen und einige Kästen mit Wasserfarben.
»Du malst«, stellte ich fest, was unübersehbar war, und machte automatisch einen Schritt auf das Bild zu, das sie sich vor ein paar Minuten noch selbst angesehen hatte. Ich hatte es kaum erreicht, als Faith sich auch schon dazwischendrängte und meine Sicht versperrte.
»Ja, ich male, Pinkerton«, bestätigte sie und verschränkte die Arme vor der Brust. Nun wirkte sie nicht mehr feindselig, sie war es. »Und jetzt raus hier!«
»Okay.« Ich hob abwehrend die Hände. »Kein Grund, mich direkt rauszuschmeißen.« Und mich schon wieder als Pinkerton zu bezeichnen. Ich würde diesen Namen dringend googeln müssen.
»Es ist nach Mitternacht, und ich habe dich nicht eingeladen.« Sie musterte mich vorwurfsvoll.
»Du erinnerst dich an vor zwei Tagen?« Ich ließ meine Arme wieder sinken und grinste.
Ein Schnaufen war die Folge. »Das ist doch kindisch.« Womit wir wieder bei Tinkerbell wären.
»Ach.« Nun lachte ich richtig. »Was du nicht sagst.«
Ich sah, wie sie tief Luft holte und sichtlich darum bemüht war, ihre Fassung zu wahren. Im nächsten Augenblick begann sie auf eine Art und Weise zu lächeln, die ich nicht anders als sexy as hell beschreiben kann.
»Würdest du jetzt bitte gehen, Ben?«, säuselte sie. Ihre Stimme klang zuckersüß, und für einen kurzen Augenblick hatte ich Mühe, mir nicht anmerken zu lassen, wie irritierend ich sie in diesem Moment fand. Sie warf mich raus, klang dabei aber gleichzeitig wie eine griechische Sirene. Das passte nicht zusammen.
Anstatt ihrer Bitte nachzukommen, ließ ich mich auf ihrem Sofa nieder und schüttelte den Kopf. Grinsend natürlich. Es machte mir viel zu viel Spaß, sie zu ärgern, als dass ich nun gegangen wäre. Wie auf Knopfdruck verschwand ihr Lächeln, und das Funkeln in ihren Augen kehrte zurück.
»Du machst mich wahnsinnig«, stöhnte sie frustriert auf. »Verschwinde aus meiner Wohnung.«
»Sicher, dass du nicht doch die Polizei rufen willst?« Das Eis, auf dem ich mich befand, war mit Sicherheit äußerst dünn, und trotzdem konnte ich es einfach nicht lassen. Mit einem Mal fühlte ich mich wieder wie auf dem College. Mit dem einzigen Unterschied, dass meine Kommilitoninnen damals versucht hatten, mich nicht aus, sondern in ihrem Zimmer zu halten. Belustigt lehnte ich mich zurück und verschränkte die Arme in meinem Nacken.
Im nächsten Moment traf mich etwas Nasses im Gesicht. Perplex fasste ich mir an die Nase und griff direkt in feuchte Farbe. Ganz langsam führte ich meine Hand näher zu meinen Augen. Wasserfarbe. Dieses Miststück hatte tatsächlich mit ihrer blöden Farbe nach mir gespritzt. Ich sah auf und blickte direkt in Faiths provozierendes Gesicht.
»Gehst du nun?«, fragte sie herausfordernd.
Wortlos stand ich auf, rieb mir die Farbe von der Nase, umrundete ihre Couch und lief gelassen zum Fenster.
»Geht doch«, hörte ich sie murmeln, als ich stehen blieb. Blitzschnell griff ich nach einem der großen Pinsel in den Gläsern und schwang ihn in Faiths Richtung. Augenblicklich ergoss sich ein Wassertropfenmeer über sie. Sie quietschte auf und versuchte sich schützend die Hände vors Gesicht zu halten. Allerdings war es dafür längst zu spät. Grauschwarze Tropfen liefen ihr über die Wangen und tropften auf ihre nackten Schultern und weiter zu ihrem Top.
»Bist du noch ganz dicht?«, schrie sie und fuhr sich mit den Handrücken über das Gesicht. Dunkle Streifen bildeten sich auf ihren geröteten Wangen.
»Du hast angefangen«, erwiderte ich. Den Pinsel hielt ich immer noch wie eine Waffe in meiner Hand.
»Mit Farbe!«, zischte sie. »Das ist nicht halb so eklig wie dieses alte Wasser.«
»Oh.« Ich nickte. »Richtig. Entschuldige bitte.« Mit zwei Schritten stand ich neben dem kleinen Tisch, auf dem allerlei Farbtuben verstreut lagen. »Wie unbedacht von mir.« Ganz ruhig langte ich nach einer der Tuben. Faiths Blick verfolgte jede meiner Bewegungen.
»Wehe! Der Kram ist teuer. Lass die Finger davon!«
»Ich kauf dir neue.«
Als sie kapiert hatte, dass ihre Worte nichts an meinem Vorhaben ändern würden, machte sie selbst zwei Schritte von mir weg. Erfolglos. Ehe sie sichs versah, stand ich mitsamt der Tube vor ihr und drückte sie kräftig zusammen. Ein Farbstrahl ergoss sich und traf sie leider nur am Kinn, weil sie es geschafft hatte, ihren Kopf schnell genug zur Seite zu drehen. Die restliche Farbe landete an ihrem Hals und rutschte über ihr Dekolleté zu ihren Brüsten.
Konzentrier dich, Ben!, befahl ich mir in Gedanken. Augen nach oben. Ich hätte ihre Oberweite nur zu gerne genauer betrachtet, doch mir war klar, dass ich den Kampf eröffnet hatte. Niemals würde Faith mich damit durchkommen lassen.
Ich hatte recht. Seelenruhig nickte sie. »Alles klar.« Dann sah ich, wie sie ihre Hand an ihren Hals legte und fast schon quälend langsam den Weg auf ihrer Haut entlanggleiten ließ, den auch die Farbe zurückgelegt hatte. Sie kam ihren Brüsten immer näher und näher und … Scheiße, was machte sie da? Ihre Hand verteilte die Farbe großflächig auf ihrer Haut. Wie in Trance beobachtete ich sie dabei und stürzte mich damit in mein Verderben. In meins und in das meines Schwanzes.
In der nächsten Sekunde war ihre Hand von ihrem Ausschnitt verschwunden und rieb die stinkende Farbe grob über mein Gesicht. Ein zufriedenes Lächeln bildete sich auf ihren Lippen, während ich nur noch nach Luft schnappen konnte.
»So.« Sie machte einen Schritt von mir weg und betrachtete ihr neuestes Werk. »Grün steht dir nicht.«
»Aha.« Ich trat wieder einen Schritt auf sie zu. »Dir übrigens auch nicht.« Das war gelogen. Sie sah verdammt entzückend aus mit der ganzen Farbe auf ihrem Körper. »Vielleicht sollten wir das ändern.« Ich zog eine zweite Tube hinter meinem Rücken hervor und schraubte die Kappe ab. »Blau geht klar, oder?«
Als ich die Tube vor ihr Gesicht hielt, schloss sie eilig die Augen und verzog das Gesicht, während sie darauf wartete, dass ich zudrückte. Doch anstatt ihr eine neue Ladung Farbe ins Gesicht zu klatschen, hielt ich die Tube über ihren Kopf. Im Nu landete die hellblaue Pampe auf ihrem Haar. Erschrocken kreischte sie auf und schlug die Hände schützend auf ihren Kopf.
»In die Haare? Bist du bescheuert?« Ihre Finger versanken in der hellen Farbe. »Das Zeug krieg ich nie wieder raus.«
Meine Antwort war ein Schulterzucken. »Nicht mein Problem.«
»Raus!« Faith schaffte es, dieses eine Wort gefährlich und verzweifelt zugleich klingen zu lassen. »Sofort!«
Als ich mich nicht bewegte, presste sie ihre Hände auf meine Brust und schob mich vor sich her zum Fenster. Erstaunt, wie viel Kraft in dieser kleinen Person steckte, wehrte ich mich nicht dagegen. Mit einer Hand hielt sie mich an meinem T-Shirt fest, mit der anderen schob sie das Fenster komplett auf. »Hau ab!«
Ich hatte keinen Schimmer, was an ein bisschen Farbe in den Haaren so viel schlimmer war als an Farbklecksen im Gesicht, aber offenbar hatte ich eine unsichtbare Grenze überschritten. Der Schalk in Faiths Blick war verschwunden und reiner Wut gewichen. Wortlos kam ich ihrer Aufforderung nach und kletterte hinaus auf die Feuertreppe. Ich hatte mich noch nicht einmal richtig umgedreht, als sie auch schon das Fenster zuknallte. Ein letzter Blick meinerseits zeigte Faith, wie sie mich durch die Glasscheibe anfunkelte. Dann zog sie die Vorhänge zu.
»Okay …«, murmelte ich und kletterte die paar Meter zurück zu meinem eigenen Fenster. Als ich wieder in meiner Wohnung stand, wurde mir das ganze Ausmaß unserer kleinen Auseinandersetzung bewusst. Mein T-Shirt war komplett ruiniert, meine Hände waren in Farbe getunkt, und ein Blick in den Spiegel verriet mir, dass auch meine Haare einige Farbspritzer abbekommen hatten.
Großartig.
Mir blieb also gar nichts anderes übrig, als zu duschen. Ich schlüpfte aus meinen Klamotten, stellte das Wasser an und bedauerte, dass Faith mich nicht unter meine Dusche begleitete.
Meine Haare waren noch immer feucht, als ich mich kurze Zeit später mit einer Flasche Bier und einer Zigarette in der Hand auf die Feuertreppe setzte. Meine Wohnung lag nicht sonderlich hoch, im vierten Stock eines Fünfgeschossers, und ich mochte es, in dunklen Nächten dort zu sitzen und dem Lärm der Stadt zu lauschen. Meistens verschlug es mich hierher, wenn mir ein Schichtwechsel bevorstand und ich abends einfach nicht müde wurde. Und ganz eindeutig war die Feuertreppe nun auch der Ort, an den es mich zog. Einfach deshalb, weil ich zum Schlafen viel zu aufgedreht war, nachdem ich mit Faith die Schlacht der Farben bestritten hatte. Noch war ich mir unschlüssig, wer von uns beiden als Sieger daraus hervorgegangen war. Ich, weil ich ihr immerhin die Haare ordentlich eingesaut hatte, oder sie, weil sie mir damit die kläglichen Reststunden meines Schlafes gestohlen hatte.
Meine Füße steckten in furchtbar kitschigen, flauschigen Hausschuhen, die meine Schwester mir im vergangenen Jahr zu Weihnachten geschenkt hatte, als ich es mir auf der Treppe bequem machte. Ich hätte es niemals zugegeben, doch die Teile waren großartig. Besonders dann, wenn man zu faul war, ein sauberes Paar Socken zu suchen oder einfach nur warme Füße haben wollte.
Ich war hellwach, als ich mir eine zweite Zigarette anzündete. Und ich hätte mir liebend gerne auch noch ein zweites Bier gegönnt, doch der drohende Dienstbeginn in wenigen Stunden hielt mich in dieser Nacht davon ab. Die Zigaretten mussten reichen.
Ich hatte gerade die dritte beendet und die Kippe über die Brüstung geschnippt, als ich ein schwaches Quietschen links von mir vernahm. Ich blickte mich um und erkannte, dass ein Fenster nach oben geschoben wurde. Ein Bein erschien. Dann noch eins. Kurz darauf stand Faith auf ihrer eigenen Feuertreppe, zog das Fenster wieder ein Stück nach unten und setzte sich mit dem Rücken zu mir. Für einen Moment sah ich sie einfach nur an. Im fahlen Licht des Mondes und in ihren hellen Klamotten wirkte sie fast wie ein Geist. Ihre langen, nun wieder sauberen Haare fielen ihr in sanften Wellen über die Schultern. Hätte ich nicht gewusst, dass sie braun waren, hätte ich auf schwarz getippt. Ich hörte sie leise atmen, ehe sie ein kleines Seufzen ausstieß.
»Willst du dich wieder auf mich stürzen?«
Meine Stimme ließ sie zusammenschrecken. Mit einer Hand hielt sie sich an der Feuertreppe fest, als sie zu mir herumwirbelte.
»Verflucht, Ben!« Sie schnappte nach Luft. »Du hast mich erschreckt.«
»Tut mir leid.« Ich schmunzelte. »Aber zu meiner Verteidigung sei gesagt, dass ich zuerst hier saß. Eigentlich stellt sich also vielmehr die Frage, wieso du still und heimlich in mein Territorium eindringst. Hast du Farbe dabei, um mich zu verjagen?«
»Ich …« Sie verstummte und schien nicht zu wissen, was sie zu ihrer Verteidigung sagen sollte. Es war niedlich, wie sie mich aus großen Augen ansah und kein Wort hervorbrachte. Ich genoss es, sie ein wenig auf die Folter zu spannen und so zu tun, als erwarte ich tatsächlich eine Antwort, ehe ich sie erlöste.
»Schon gut. Ich denke, wir können uns darauf einigen, dass meine Feuertreppe groß genug für uns beide ist«, bot ich ihr großzügig – und vielleicht auch als Friedensgebot – an.
Faiths Antwort ließ auf sich warten. War sie ernsthaft sauer auf mich? Wegen etwas Farbe in den Haaren? Ich ging fast schon davon aus, dass sie gleich aufstehen und wieder gehen würde, als sie doch zu sprechen begann.
»Deine Feuertreppe?« Sie hob eine Augenbraue, und ein spöttisches Grinsen erschien auf ihrem Gesicht. Gott, sie war wirklich verdammt sexy.
Dennoch schaffte ich es, »Meine Feuertreppe!« zu bestätigen. »Aber du könntest dich … einkaufen«, schlug ich nonchalant vor und knubbelte an dem Etikett auf meiner Bierflasche herum. Ein eindeutiges Zeichen dafür, dass ich nervös war, auch wenn mir mein Verstand sagte, dass es nicht einen einzigen Grund dafür gab. Faith war nur eine normale junge Frau, die hier auf einmal neben mir saß. Regenbogenstrecke-Champion und Göttin der Farben hin oder her.
»Einkaufen?« Ihre Stimme klang kritisch, als sie die Beine übereinanderschlug und mich abwartend musterte. »Definiere das.«
»Nun ja.« Ich dehnte die beiden Worte mit Absicht. Um die Spannung zu erhöhen und um mir selbst mehr Zeit zu verschaffen. »Ein Bier hier, eine Packung Eis da. Gerne auch mal Salz und Zucker.«
Ich hatte es geschafft, sie lächelte. Und zum ersten Mal sah es echt aus. »Tut mir leid, dich enttäuschen zu müssen, aber ich bin auch niemand, dessen Küche gut ausgestattet ist.«
»Also kein Salz?«
»Und kein Zucker.«
»Sehr schade.« Ich sah sie gespielt enttäuscht an. Und spürte, wie die Arbeit, die meine Hand in der Dusche verrichtet hatte, bereits wieder nichtig wurde. Fantastisch, Ben, wirklich fantastisch. Unauffällig drehte ich meine Beine vorsorglich ein Stück von ihr weg, nur um mich sogleich selbst lautlos auszulachen. Ich verhielt mich zweifellos wie ein präpubertärer Teenie.
»Das Einzige, was ich in Massen dahabe, ist Farbe.«
»Was du nicht sagst.« Ich grinste. »Sorry für … den Einbruch. Hältst du es mir zugute, dass ich wenigstens nichts kaputt gemacht habe?«
Sie bedachte mich mit einem vielsagenden Schweigen. Scheiße. »Hab ich doch?«
»Mein Boden ist mit Farbflecken übersät.«
»Oh.« Ich lächelte entschuldigend. »Sorry?«
Zu meiner Beruhigung winkte sie ab. »Das wäre früher oder später sowieso passiert.«
»Warum?«
»Ich passe nicht immer auf, wenn ich male.«
»Beschallst du dabei jedes Mal die ganze Nachbarschaft?«
»Ich war wirklich zu laut, oder?« Sie vergrub ihr Gesicht kurz hinter ihren Händen, ehe sie an ihren Fingern vorbeilinste und mich wieder ansah. »Sorry.«
Ich zuckte mit den Schultern. »Du hast Glück, dass Mrs Forester schwerhörig ist.«
»Wer ist Mrs Forester?«
»418. Rechts.« Ich deutete mit dem Daumen in besagte Richtung. »Und meines Wissens nach auch die älteste Mieterin hier. Was sie nicht versteht, kompensiert sie mit viel Geplapper.« Ich trank einen Schluck, dann widmeten sich meine Finger wieder dem Etikett. »Aber laut meiner Mom ist sie auch sehr nett. Sie unterhält sich immer mit ihr, wenn sie zu Besuch ist. Würde mich nicht wundern, wenn sie das nächste Mal auch bei dir klingelt.«
»Bei mir? Wieso?« Faith runzelte die Stirn, und ich entdeckte einen kleinen Farbrest in ihren Haaren, den sie wohl übersehen hatte.
»Du bist neu und damit spannend.« Ich setzte die Flasche wieder an meine Lippen. »Ich würde dir ja einen Schluck anbieten, aber ich glaube nicht, dass du mein Angebot annehmen würdest, richtig?«, tippte ich und legte den Kopf schief. »Dabei bin ich wirklich nicht giftig, versprochen.«
Und wieder hatte ich es geschafft. Faith lachte leise, und es klang umwerfend. »Das ist nicht der Grund, wieso ich dein Angebot wieder abgelehnt hätte.«
Erneut stieg der Verdacht trockene Alkoholikerin in mir auf. »Sondern?«
»Ich mag einfach kein Bier.« Ihren Worten folgte ein Achselzucken. »Mochte ich noch nie.«
»Wie kann man denn Bier nicht mögen?« Auch das war eine neue Erkenntnis. Dass es Menschen gab, denen Bier nicht sonderlich schmeckte, hatte ich schon einmal gehört, bisher aber für einen Mythos gehalten. Doch dass nun leibhaftig jemand vor mir saß, der Bier sogar kategorisch ablehnte … Ich wusste nicht, was mich in diesem Moment mehr verblüffte. Faiths deutlich ersichtliche Leidenschaft für das Zocken, dass sie hier saß und mir zur Abwechslung einmal nicht an die Gurgel ging oder aber ihre vehemente Ablehnung gegenüber dem besten Getränk der Welt. »Was trinkst du denn dann, wenn du ausgehst? Gar nichts?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Wasser.«
»Wasser.« Ich wiederholte ihre Antwort langsam. Ungläubig.
»Wasser«, bestätigte sie noch einmal und erhärtete damit meine Vermutung, es mit einer trockenen Alkoholikerin zu tun zu haben.
»Warum?« Ich wollte sie nicht verscheuchen, weshalb ich nicht mit klareren Worten nach ihrem Grund dafür fragte.
Ihre Antwort war eine Gegenfrage. »Warum nicht? Und was machst du denn da mit der armen Flasche?« Ehe ich michs versah, hatte sie mir das Bier aus der Hand genommen und strich über das inzwischen ordentlich ramponierte Etikett.
»Meinst du, ich habe ihre Gefühle verletzt?« Mein Blick fiel auf ihre Finger.
»Weil du sie quasi ausgezogen hast?« Sie sah auf. »Ja, ich glaube schon.«
»Verdammt.« Gespielt betroffen drückte ich mir die Hände an die Brust. »Denkst du, sie verzeiht mir, wenn ich mich ehrlich und aufrichtig entschuldige?«
»Keine Ahnung. Frag sie.« Sie hielt mir die Flasche etwa auf Augenhöhe entgegen und schwenkte sie leicht hin und her. »Leg los.«
»Werte Kalthopfenschale.«
Ich hörte Faith kichern.
»Bitte vergebt mein unbedachtes Verhalten.« Um meinen Worten Nachdruck zu verleihen, ging ich kurzerhand auf die Knie, rutschte Faith und meinem Bier entgegen und erhob die Hand zum Schwur. »Ich gelobe feierlich Besserung. Vor Zeugen.«
»Was immer dich nachts ruhig schlafen lässt, Ben.« Faith grinste kurz. Dann deutete sie mir an, wieder aufzustehen, und hielt sich meine Flasche ans Ohr. Einen kurzen Augenblick tat sie so, als lausche sie aufmerksam. Dann gab sie mir die Flasche zurück. »Sie verzeiht dir.«
»Gott sei Dank.« Fast schon behutsam nahm ich ihr das Bier wieder ab und streichelte über den Flaschenhals. Faith hatte es mir kaum überreicht, als sie ihre Beine anzog und ihre Arme um ihre Knie schlang.
»Ist dir kalt?«
»Ein bisschen.«
»Moment.« Ich verschwand durch mein geöffnetes Fenster, lief schnurstracks auf meine Couch zu und zog die Decke von der Lehne, die dort seit Monaten hing und nie benutzt wurde. Ich war einfach zu selten zu Hause. Hastig schüttelte ich sie einmal aus, ehe ich mit der Decke in der Hand zurück auf die Feuertreppe kletterte.
»Hier.« Ich hielt sie ihr entgegen.
»Danke.« Sie wirkte ehrlich überrascht, als sie sich darin einwickelte. »Das wäre nicht nötig gewesen, ich hätte …«
»Faith!«, unterbrach ich sie und sah sie vielsagend an. Ich war nicht der Gentleman, für den sie mich gerade hielt. Ich hatte durchaus eine eigene Agenda, die ich mit dieser Aktion verfolgte. Mein Körper war immer noch hellwach, und ich wollte schlichtweg nicht, dass sie ging, nur weil sie fröstelte.
»Danke«, wiederholte sie noch einmal und klang fast schon schüchtern.
»Kein Problem.« Ich lächelte und trank einen Schluck. Weil ich nun doch etwas verlegen war und nicht wusste, was ich anderes hätte entgegnen sollen. Diese Situation war nichts, womit ich mich auskannte. Entweder klopfte ich charmante Sprüche, oder ich war ein Arschloch. Beides endete zumeist damit, dass ich eine Affäre für die Nacht fand. Mich einfach so mit einer Frau zu unterhalten, weil ich Spaß daran hatte, war mir seit Ewigkeiten nicht mehr passiert.
»Also, Faith … was verschlägt dich nach Chicago?«
»Das, was meistens der Grund für einen Umzug ist.« Sie stoppte, ehe sie meinen forschenden Blick beantwortete. »Die Arbeit.«
»Was arbeitest du denn?«
»Ich bin Journalistin. Du?«
»Arzt. Oder vielmehr Assistenzarzt in Ausbildung. Ich mache gerade ein Praktikum im Saint Joseph’s. Was auch der Grund ist, warum ich mitten in der Nacht hier sitze. Schichtwechsel.« Dass auch sie einen ordentlichen Teil dazu beitrug, musste sie nicht unbedingt erfahren.
»Ah.« Sie nickte. »Okay.«
»Und du? Warum bist du hier?« Mir fiel auf, dass sie mir bisher nicht verraten hatte, warum sie hier saß und nicht in ihrem Bett lag. Nicht, dass es mich störte. Ganz im Gegenteil. Ich hatte nur schlicht nicht damit gerechnet, dass sie genauso aufgedreht war wie ich aufgrund unserer kleinen Farbenschlacht.
»Vollmond.« Sie zeigte mit dem Kinn nach oben in den Nachthimmel. »Ich kann dann immer schlecht schlafen.« Der Mond war nicht zu sehen, versteckte sich hinter einer dicken Wolkendecke. Aber ich erinnerte mich an die vergangenen Nächte, in denen es nicht wirklich dunkel gewesen war.
»Aber ich glaube, ich sollte allmählich trotzdem ins Bett. Solange ich es nicht wenigstens versuche, kann ich auch nicht einschlafen, nicht wahr?«
Ich konnte nicht leugnen, dass ihre Worte schlüssig waren. Leider. Scheinbar hatte ich doch nichts mit ihrer Anwesenheit auf der Treppe zu tun, und sie war nur herausgekommen, weil sie an Schlafstörungen litt.
Also nickte ich, wenn auch widerwillig.
»Wann musst du raus?«
»Zu früh.« Mit diesen Worten stand sie auf, streifte sich die Decke ab und reichte sie mir. »Danke.« Das Lächeln auf ihren Lippen spiegelte sich nicht in ihren Augen wider, und ich fragte mich unweigerlich, warum das so war. Was versteckte sie hinter ihren geröteten Wangen, den langen Haaren und den kurzen Antworten, die zwar nicht unfreundlich, aber doch distanziert gewesen waren?
»Gute Nacht, Ben.« Wieder wartete sie eine Erwiderung gar nicht erst ab, sondern schob das Fenster nach oben und kletterte zurück in ihre Wohnung. In der einen Sekunde war sie noch da, in der nächsten verschwunden, und ich saß erneut alleine auf der Feuertreppe.
Obwohl ich es eigentlich gewohnt war, hier ohne Begleitung zu sitzen, fühlte es sich mit einem Mal nicht mehr richtig an. Und daran war einzig und alleine Faith schuld.
Die Morgendämmerung hatte bereits begonnen, als ich ins Bett gekrabbelt war, nur um nach einer Stunde schlechten Schlafs wieder zurück ins Krankenhaus zu fahren und meine Frühschicht anzutreten. Ich war müde und schlecht gelaunt, als ich mich umzog, mein Namensschild an meine Brusttasche klemmte und mich beim diensthabenden Oberarzt meldete. In Faiths Wohnung war alles still gewesen, als ich gegangen war. Ja, ich hatte gelauscht, ehe ich mich auf den Weg gemacht hatte, und nein, ich war nicht sonderlich stolz darauf. Ich hatte keine Ahnung, was ich mir davon erhofft hatte. Mir war klar gewesen, dass sie mit Sicherheit nicht um halb sechs bei mir klingeln und mit frischen Brötchen vor der Tür stehen würde. Ich wusste ja noch nicht einmal, wie sie dieses Gespräch auf der Treppe einschätzte. Oder mich. Ich hielt es für ein gutes Zeichen, dass sie mir keine Vorwürfe wegen des Farbenmissbrauchs gemacht und sich zum ersten Mal normal mit mir unterhalten hatte. Hieß das, dass sie mich genau so anziehend fand wie ich sie? Oder war ich in der vergangenen Nacht eben zufällig da gewesen, und sie hatte sich wohl oder übel mit mir unterhalten müssen?
Wie treudoofe Hunde folgten meine Kollegen und ich Doktor Whitaker von einem Patienten zum nächsten, jeder mit einem Notizheft in der Hand. Oberschenkelfraktur, frisch operiert. Bandscheibenvorfall, Entlassung in zwei Tagen nach Beendigung der Schmerztherapie. Eine Schusswunde, die die Rippen getroffen hatte. Leider keine Seltenheit in Chicago. Gebrochenes Becken nach einer Mountainbike-Tour. Zertrümmerte Fingerknochen infolge eines Arbeitsunfalls.