Kinder nicht um Gott betrügen - Albert Biesinger - E-Book

Kinder nicht um Gott betrügen E-Book

Albert Biesinger

0,0

Beschreibung

Wie kann religiöse Bildung so gelingen, dass Kinder heute tragfähige Antworten auf ihre großen Fragen finden können? Wie können sich Kinder interreligiös orientieren? Albert Biesinger hat mit seinem Buch »Kinder nicht um Gott betrügen« bereits vielen Eltern Orientierung gegeben. Ein wertvoller Begleiter für alle, die mit Kindern auf dem Weg der Gottesberührung sind.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 182

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Der Autor

Albert Biesinger, Dr. theol., geb. 1948, war Professor für Religionspädagogik in Tübingen und ist Autor zahlreicher religionspädagogischer Fachbücher.

Überarbeitete Neuausgabe 2022,

17. Auflage seit Erscheinen der Erstausgabe

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 1994, 2000, 2005, 2012, 2019

Alle Rechte vorbehalten

www.herder.de

Umschlaggestaltung: Verlag Herder

Umschlagmotiv: © RichVintage/GettyImages

E-Book-Konvertierung: Newgen Publishing Europe

ISBN Print 978-3-451-03368-1

ISBN E-Book (EPUB) 978-3-451-82788-4

Meiner Frau Beate,

unseren Kindern David, Manuel, Benjamin und Ingrid,

unseren Enkelkindern Joshua, Josef, Lisa, Chiara,

Jonas, Noah, Jacob, Loïc und Simon

ihren Müttern und Vätern Claudia, Gaëlle, Julia und Heiko

danke ich für die vielen beeindruckenden religiösen Erlebnisse und bemerkenswerten Reflexionen in den verschiedenen Altersphasen. Ohne sie hätte ich dieses Buch nicht von innen heraus schreiben können.

Martha und Anton, meinen verstorbenen Eltern, die mir und meinen Geschwistern auf ihre Weise religiöse Bildung ermöglicht haben, gedenke ich dankbar.

Ihnen, liebe Leser und Leserinnen,

die Sie mit Ihrem Kind Gott suchen, widme ich dieses Buch in seiner 17. Auflage.

Albert Biesinger

Inhalt

Einleitung

Teil 1 Was gewinnen Kinder durch religiöse Bildung?

1. Der »Mehrwert« religiöser Erziehung – Sinnüberschuss

2. Das Leben deuten lernen

3. Religiosität ist Bewusstseinserweiterung

4. Religion schon – aber wie?

Teil 2 »Wie wird ein Mensch Christ?«

1. Kann man Gott lehren und lernen?

2. Wie mit Kindern glauben lernen?

Teil 3 Unsere eigene religiöse Erziehung als »Schicksal« für unsere Kinder?

1. Was hindert Eltern, ihre Kinder religiös zu erziehen?

2. Wie weit geht unser Einfluss als Eltern bei religiösen Überzeugungen?

3. Auswirkungen von Gottesbildern

4. Religiöse Wegbegleiter

5. Gott im Leid – Gott im Alltag

Teil 4 Religiöse Erziehung und Wertorientierung

1. Macht religiöse Erziehung hilfsbereit? – Familie als Lernfeld für Solidarität

2. »Nur tote Fische schwimmen mit dem Strom« – nach dem eigenen Gewissen entscheiden lernen

3. Wie Versöhnung guttut

Teil 5 Religiöse Rituale in der Familie

1. Warum Rituale so wichtig sind

2. Segnen Sie Ihr Kind!

3. Beten mit Kindern – Beten als Kompetenz

4. Abendrituale als Oasen

5. Danken und Klagen

5. Kinder brauchen biblische Geschichten

6. Familienrituale im Jahreskreis

7. Mit Kindern in der Kirche

8. Kinder sind Philosophen und Theologen – religiöse Gespräche mit Kindern

9. Gespräche – Gespräche – Gespräche

Teil 6 Mit der Kindertagesstätte kooperieren

1. Wenn Kinder große Fragen stellen – Kita und Familie Hand in Hand

2. Religiöse Bildung ist in allen Kitas unverzichtbar – unsere Gesellschaft stellt große religiöse Herausforderungen

Teil 7 Kinder stark machen

1. Die Gottesbeziehung als größter Wert

2. Sich »wert« und »unwert« fühlen

Perspektiven

Zum Weiterlesen

Anmerkungen

Text- und Bildnachweis

Über den Autor

Einleitung

Religiöse Erziehung ist eine »heiße Nummer« geworden oder warum es ohne religiöse Bildung gar nicht mehr geht

Weil Kinder ein Recht auf religiöse Orientierung haben und diese ihnen zu leben hilft, präsentiere ich die 17. Auflage dieses Buches seit Erscheinen der Erstausgabe. Möge es Ihnen – wie bereits tausenden Eltern zuvor – zum Wegbegleiter werden, selbst alltagstaugliche und lebensförderliche Erfahrungen der Gottesberührung in Ihrer Familie zu machen.

Religion wird zu einem Megathema in diesem Jahrhundert. Angesichts alltäglicher Begegnungen mit Kindern verschiedener religiöser Wege darf die christliche religiöse Erziehung nicht den Kopf in den Sand stecken. Vielmehr muss sie Kinder auf kritische Dialoge etwa mit muslimischen Kindern vorbereiten und den Erwerb von interreligiöser Kompetenz anzielen.

Seit Ihrer eigenen Kindheit hat sich religiös viel verändert; Kinder diskutieren heute untereinander Fragen wie: »Wer ist größer: Allah oder Jesus?« Muslimische Kinder erhalten in ihren Familien meist eine intensivere religiöse Begleitung als christliche Kinder. Christliche Kinder können ihnen religiös oft nicht auf gleicher Augenhöhe begegnen. Dass Kinder bereits komplexe theologische Fragen diskutieren, zeigt folgender Dialog aus einer Kindertagesstätte in Deutschland:

Clemens: Ich glaub ja nicht an Gott.

Lily: Aber ich glaub an Gott.

Clemens: Weißt du was, in Thailand heißt der Gott Buddha. Und hier in Berlin heißt er Jesus Christus. Und die Frau von Gott heißt Maria.

Lily: Und Josef ist eigentlich nur der Gehilfe von Gott. Der hat Maria und Gott geholfen, Jesus auf die Welt zu bringen.

Serap: In jedem Land muss ein Gott sein. Sonst können doch die Menschen nicht leben.

Dass die religiöse Pluralität im 21. Jahrhundert nicht zwingend Probleme, sondern vielmehr auch Chancen eröffnet, möchte ich in diesem Buch ebenfalls aufzeigen – und wehre mich so auch entschieden gegen Tendenzen, Religion aus Angst vor Konflikten aus dem öffentlichen Raum zu verbannen.

Ein eigenes Beispiel aus meiner Praxis:

Mit Metzgerlehrlingen unterrichtete ich die zehn Gebote. Ein muslimischer Jugendlicher äußert sich mitten im Unterricht: »Was? Du glaubst nicht an Gott? An Gott muss man glauben!« Daraufhin bitte ich die Schüler, in einem großen Kreis zu sitzen und der Frage nachzugehen, warum man an Gott glauben müsse. »Als Christ muss ich nicht an Gott glauben. Als Christ will ich an Gott glauben«, so meine Gegenthese.

Stunden später sagt ein anderer zu einer Fleischverkäuferin: »Das ist aber Sünde, was du gerade gesagt hast. Weißt du, dass das Sünde ist?!« Was Sünde ist, wusste dieser muslimische Jugendliche ganz genau. Für die christliche Schülerin war Sünde gar kein Thema. Aufgeschreckt hat mich, dass die christlichen Schüler gar nicht in der Lage waren, darauf einzugehen. Sie hatten keine Kompetenz, sich mit den muslimischen Jugendlichen auf dieser Ebene zu verständigen und tauchten ins Schweigen ab.

Es ist eine große Herausforderung für dieses Jahrhundert. Kinder und Jugendliche brauchen religiöse Bildung in doppelter Weise:

▶ für die eigene Identitätsbildung – auch als kritische Reflexion der eigenen Gottesbeziehung

▶ sowie für die immer wichtiger werdende Kompetenz, sich in einer Gesellschaft zurechtzufinden, in der Religion (wieder) zu einem gesellschaftlichen Thema geworden ist und noch mehr werden wird.

Ausgelöst leider auch durch die Gewalttaten, die im Namen von Religion ausgeübt werden. Daraus resultieren Ängste, eine heftige Vorurteilsbildung und zum Teil eine massive Aversion gegen den Islam. Dabei wäre umso mehr eine friedliche Kommunikation zwischen den Religionen wichtig.1

Warum ist aber die religiöse Bildung auch in den Familien dringlich geworden?

Die erste religiöse Orientierung bekommen Kinder auf der emotionalen Ebene durch die Eltern-Kind-Beziehung. Schon ganz früh sind es die Lieder, die kleinen Zeichen, der Elternsegen, die Abendrituale, die Gebete, das Erlebnis der Stille in einer Kirche, die die religiöse Kompetenz von Kindern prägen.

Nicht nur das: Auch für ältere Jugendliche ist die Familie im Blick auf den eigenen Glauben sehr bedeutsam:

»Ich spreche mit meinen Eltern über Glaubensfragen« gaben 31 bis 37 Prozent der befragten 16- bis 24-Jährigen in einer Untersuchung 2018 an.2

Manche schieben die religiöse Bildung auf andere ab: Die Erzieherin soll es doch tun, die Lehrer in der Schule.

Auf die Frage »Eltern erachten verschiedene Dinge als wichtig. Wie ist das mit deinen Eltern?« gaben nur 31 Prozent der befragten Jugendlichen in einer Studie in Vorarlberg an, dass es ihren Eltern wichtig ist, »…  dass ich religiös bin«, während 97 Prozent angaben, »…  dass ich später einen guten Beruf haben werde«.3

Aber die Gottesbeziehung ist von einer so hohen Intimität, dass sie in der Familie einen speziellen, nicht ersetzbaren Ort hat.

Am Abend am Bett des Kindes sitzt nicht die Religionslehrerin, der Pfarrer oder die Erzieherin. Die haben da nichts zu suchen. Am Abend am Bett des Kindes sitzt ein Vater oder eine Mutter oder es sitzt eben niemand am Bett des Kindes.

Abendritual – ein Beispiel

In der ganz frühen Phase sind die Eltern für die Kinder »der liebe Gott«. Diese Erfahrung habe ich selbst abends am Bett unseres damals dreijährigen Kindes gemacht, als ich ihn fragte: »Wie stellst du dir denn den lieben Gott vor?« »Der liebe Gott bist du.« Ich entgegnete darauf: »Ich bete ja selbst mit dir zum lieben Gott. Ich kann also selber nicht der liebe Gott sein. Der liebe Gott ist so groß, dass man ihn gar nicht sehen kann und er ist so wichtig für uns, weil von ihm alles herkommt und wir am Schluss bei ihm wohnen wollen, wenn wir tot sind …«

Eine gute Eltern-Kind-Beziehung ist für solche Gespräche deswegen wichtig, weil die Eltern glaubwürdig und emotional stimmig direkt die konkreten Fragen der Kinder im Alltag erreichen.

Für manche eine Provokation: Kinder religiös nicht verwahrlosen lassen

Für manche Eltern, die selbst nicht an Gott glauben (können), ist diese These eine Provokation. Aber auch sie kommen um eine Begleitung ihres Kindes angesichts der religiösen Debatten in unserer Gesellschaft nicht herum. Und vor allem: Auch ihre Kinder wachsen in eine Gesellschaft hinein, in der Religion wieder relevanter wird.

Auch die Kinder von Eltern, die davon ausgehen, dass es keinen Gott gibt, werden in dieser Gesellschaft mit Religionen und religiösen Debatten konfrontiert sein. Auch sie bedürfen also einer Kompetenz, dies zu verstehen, sich zu verhalten, eigene Vorurteile zu überprüfen und im konkreten Alltag mit Menschen zusammen zu leben und zusammen zu arbeiten, für die Religion ein wichtiges Thema ist.

Die Herausforderungen und Probleme, in die wir hineingeraten, sind nicht zu verniedlichen. Sie sind aber auch nicht unlösbar.

Eltern sind heute selbst im Blick mit ihrer eigenen religiösen Orientierung herausgefordert: Wenn sie Kinder bekommen, dann geht es auch um die Entwicklung ihres Glaubensverständnisses als Erwachsene. Es geht um Zweifel, es geht um Gottes-Distanz, es geht um Gottes-Wut, bisweilen auch um Unverständnis, warum Gott dieses Universum und die Erde und die Menschheit so strukturiert hat, dass es so viel Leid gibt. Bei manchen geht es auch um Gottes-Verlust.

Aber es geht auch um Gott-Vertrauen, Ehrfurcht vor Gott, um die Wiederentdeckung Gottes; für manche Eltern auch um die Herausforderung »Hilfe, mein Kind ist fromm« – so der Titel eines WDR Fernsehfilmes.

Zur weiteren Klärung des eigenen Glaubensverständnisses können auch für Menschen, die nicht an Gott glauben, folgende Denkanstöße hilfreich sein (vgl. Kap. 3):

▶ »Ich glaube nicht an Gott« ist auch ein »Glaube«.

▶ Wer nicht glaubt, glaubt auch an etwas, aber woran? Daran, dass es Gott nicht gibt? Umberto Eco und Carlo Kardinal Martini haben dazu interessante Gedanken formuliert.4

Die Familie ist bei der religiösen Bildung ja nicht alleine. Der Austausch mit anderen Familien, mit Kindergarten, Kita oder Schule kann auch dabei hilfreich sein. Eine Studie zu Jugendlichen im Religions- und Ethikunterricht gibt dazu deutliche Hinweise:

»Kommt das Gespräch auf religiöse Bezugspersonen werden neben den Familien Religionslehrkräfte oder Pfarrerinnen und Pfarrer erwähnt, wobei es jedoch keineswegs auf deren Funktion, aber ganz und gar auf deren Person ankommt. Sie kann anregend und stimulierend für den eigenen Glaubensweg wirken, zum Teil aber auch abschreckend.«5

Es ist wichtig, dass Eltern in beiden Fällen im Gespräch mit ihrem Kind bleiben.

Wer heute die Augen schließt, wird morgen große Augen machen

Religionsausübung ist ein Grundrecht, das auch angesichts der vielen sichtbaren Konflikte nicht angetastet werden darf. Die eigenen religiösen Einstellungen sind so lange positiv zu würdigen, wie sie niemanden beschädigen. Die Freiheit zur eigenen Religionsausübung hat dort ihre Grenzen, wo sie die Freiheit anderer Menschen oder Gruppen antastet, sie eingrenzt oder gar beschädigt. Religion kann eben auch gefährlich sein – gesellschaftlich als auch individualpsychologisch (angstmachende Gottesbilder). Deswegen ist es religionspädagogisch dringlich, genau hinzuschauen, wie sich religiöse und interreligiöse Kommunikation entwickelt. Fehlentwicklungen wie gegenseitige Vorurteile oder gar Hass und Ansätze von Gewalt unter den Tisch zu kehren, kann sich bereits in naher Zukunft rächen.

Den Islam undifferenziert zu verdächtigen, ist genauso inkompetent wie von anderer Seite das Christentum lediglich von seinen geschichtlichen und zum Teil auch aktuellen Schattenseiten zu kritisieren.

Der Kampfspruch »Islamisierung des Abendlandes« alarmiert mich. Er ist politisch für eine weitere Zuspitzung der Konflikte dienlich. Das Christentum müsste sich vielmehr selber fragen, woher diese Angst kommt. Zu einer »Islamisierung Europas« kommt es nämlich nur, wenn das Christentum weiter »schwächelt«. Es ist ein Problem des Christentums selbst. Wenn sich nämlich das Christentum weiter aus der Fläche, aber auch mental gesamtgesellschaftlich zurückzieht, dann wird logischerweise die Religion, die sehr selbstbewusst und deutlich auftritt, sich Raum verschaffen, mehr als es sonst geschehen würde.

Wenn in einer Gesellschaft ein religiöses Vakuum entsteht wird dieses durch andere Religionen ausgefüllt. Dies zeigt sich jetzt schon, obwohl Muslime in unserer Gesellschaft prozentual keine große Gruppe sind. Das Christentum müsste selbstbewusst von seinen Wurzeln her die eigenen »Goldstücke« – Jesus spricht vom »Schatz im Acker« – öffentlich kommunizieren. Allerdings gehört dazu auch, die religiöse Bildung neu zu justieren und nicht einfach so weiterzumachen wie bisher.

Wer heute die Augen schließt, wird morgen große Augen machen. Dies gilt auch, wenn gesellschaftliche und religiöse Umbrüche »verschlafen« oder ausgesessen werden. Im Augenblick besteht die große Gefahr, dass dies – nicht überall, aber leider häufig – geschieht.

Diese Herausforderung gilt katholisch, evangelisch, orthodox, freikirchlich – zwar auf je verschiedene Weise, grundsätzlich aber für alle Christinnen und Christen.

»Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben«

Dieser Michal Gorbatschow in den Mund gelegte Satz gilt nicht nur für die nationale oder globale Politik, er gilt auch für weitreichende religiöse Verschiebungen und Entwicklungen, er gilt auch – selbstkritisch – für die eigene Realisierung von Religion.

Wenn die heutigen Kinder in dreißig Jahren zurückschauen, sollen sie nicht sagen müssen: »Wo waren eigentlich die Christen, wo waren meine Eltern als das Christentum sich damals immer mehr zurückgezogen hat?«

Die große Vision ist: Treten Sie für die Freiheit der Religionsausübung ein – immer auch im kritischen Dialog und als selbstbewusste Ausübung der eigenen Religion.

Kinder erleben Gott auf ihre ganz eigene Weise – und Eltern als Begleiter auf dem Weg zu Gott

Sie als Eltern eröffnen Ihren Kindern den Weg zu Gott. Sie sind Begleiter für die religiösen Erfahrungen, die Ihr Kind macht oder eben nicht macht.

Kinder erleben Religion auf ihre ganz eigene Weise. Sie haben ihren eigenen Zugang und machen sich ihre eigenen Gedanken. Hierzu zwei eindrucksvolle Beispiele:

Lisa und das Jesuskind

Lisa geht mit ihrem Opa in die Kirche. Sie ist drei Jahre alt. Gemeinsam zünden sie am Marienaltar Kerzen an. Eine Kerze für die beiden Brüder, eine Kerze für die Mama, eine Kerze für den Papa und eine Kerze für die Großeltern. Der Marienaltar beeindruckt Lisa sehr. Nach einiger Zeit sagt sie zu dem Jesuskind auf dem Arm seiner Mutter Maria: »Jesus, jetzt darfst du zu mir herunterkommen.« Sie macht Handbewegungen, um ihn in ihrer Fantasie herunterzuholen, und setzt ihn in ihr linkes kleines Händchen: »Du darfst mit mir nach Hause kommen.« Sie schaut ihren Opa kurz an, ob das wohl geht, und steckt Jesus in ihre rechte Hosentasche.

Auf dem Heimweg hält sie die Hand über die Hosentasche, damit er nicht herausfallen kann. Zu Hause geht sie sofort in ihr Zimmer und holt das Jesuskind aus ihrer Hosentasche heraus: »Jesus, jetzt darfst du bei mir schlafen!« Lisa hat es nicht gefallen, dass das Jesuskind halb nackt in der kalten Kirche auf dem Arm seiner Mutter sein muss. Jesus soll es schön warm haben in ihrem Bett.

Nach vier Wochen fragt ihr Opa sie: »Und, Lisa, was ist jetzt mit dem Jesuskind?« Sie sagt: »Komm mit!«, und zeigt ihrem Opa, wie Jesus im Bett an der Wand schön eingekuschelt liegt. »Und seine Mama ist jetzt auch gekommen.«

Nach einiger Zeit antwortet sie auf die Frage, was inzwischen mit dem Jesus sei: »Kann er denn in meinem Bett bei mir zu Hause und auch in der Kirche sein?« Ihr Opa erklärt, dass Jesus in unseren Herzen wohnen kann und gleichzeitig auch in der Kirche ist. Wieder einige Zeit später – der Opa ist nach wie vor neugierig: »Was ist jetzt mit dem Jesus?« – »Jetzt ist er wieder nach Hause gegangen in die Kirche!«, meint Lisa. »Dann besuchen wir ihn bald mal wieder in der Kirche«, sagt ihr Opa, »denn wir können auch in die Kirche gehen, wenn kein Gottesdienst ist, und dort mit Jesus sprechen und zu ihm beten. Die Kerzen, die wir anzünden, beten mit uns zu Gott.«

Diese geschilderte Situation habe ich, liebe Leserinnen und Leser, zusammen mit meinem Enkelkind Lisa erlebt. Es ist ein mich tief berührendes Beispiel für die religiösen Gedanken und Bedürfnisse von Kindern.6

Der Vater und die Milchstraße

»Ich erinnere mich noch genau der Sommernacht, in welcher mich mein Vater in den Garten führte, um mir die Milchstraße und einige Sternbilder zu zeigen. Er sagte: ›Alle diese Sterne hat Gott geschaffen, sie sind Werke Gottes wie die Sonne, der Mond und die Erde mit allem, was du siehst.‹ Auf diese Weise trat Gott erstmals in mein Kinderleben auf eine meinem Verstand zugängliche Art. […] Mein Vater hatte mir den allmächtigen Schöpfer-Gott gezeigt, den unendlich großen Geist, der die Kraft und die Macht hat, aus dem Nichts ein Weltall hervorzubringen. Der Einbruch dieser Erkenntnis Gottes in mein Leben machte auf mich einen gewaltigen Eindruck. […] Nach dieser Sommernacht ging ich tagelang wie benommen durch meine eigene Kinderwelt, die mir nun so groß erschien, und ich schaute alles an mit dem Gedanken: ›Gott hat all das erdacht, Gott hat all das erschaffen.‹ Welche neue Freude! All das war für mich aus den Händen Gottes entsprungen.«

Bernhard Grom

Teil 1

Was gewinnen Kinder durch religiöse Bildung?7

Diese Frage stellt sich in einer Gesellschaft wie der unseren anders als vor Jahrzehnten. Man muss ja nicht an Gott glauben. Ich muss nicht darauf setzen, dass ich mehr bin als mein Körper oder dass ich, wenn ich eines Tages meinen Körper verlasse, in der Welt Gottes beheimatet sein werde. Aber wer in Berührung kommt mit den großen Verheißungen Gottes, mit seiner Botschaft, gewinnt einen weiten Horizont für die Interpretation unserer Wirklichkeit. Gott ist die höchste Komplexität der Wirklichkeit.

Kinder formulieren dies in ihren Fragen oft sehr konkret:

▶Warum kommt man überhaupt auf die Welt, wenn man eh wieder sterben muss?

Dies ist die Preisfrage unseres Lebens. Sie persönlich zu beantworten kann man verdrängen. Man kann diese aber auch ein Leben lang zu beantworten versuchen. Die Hoffnung darauf, dass »es mehr als alles gibt«, ist uns als Sehnsucht eingestiftet, sie kann allerdings auch verschüttet werden. Unsere Gottessuche gründet in dieser Hoffnung. Kinder fragen nicht erst, was sie fragen dürfen – sie sind offensichtlich religiöse Menschen von innen heraus, sonst könnten sie uns mit ihren Fragen und Aussagen nicht an den Rand unserer Denkvorstellungen treiben:

▶Wie geht das, dass ich weiß, dass ich bin?

▶Wenn sich meine Eltern nicht getroffen hätten, wäre ich dann nicht auf der Welt?

▶Glaubt die Katze, dass Gott aussieht wie eine Katze?

▶Wer macht die Tage, und wann sind sie alle? Irgendeiner muss doch den Anfang gemacht haben. Aber wer?

▶Papa, weißt du, was ich mir eigentlich gar nicht vorstellen kann? – Na was? – Dass es Gott gibt.

▶Mama, ich finde es gar nicht schön, dass ich geboren bin und dass ich vielleicht lange leben muss.

▶Warum werden Menschen krank?

▶Warum kommen manche Menschen mit einer Behinderung auf die Welt?

▶Wenn ich tot bin, bin ich dann noch ganz?

▶Ist Gott ein Mann oder eine Frau oder beides?

▶Wenn Gott alles weiß, warum sagt er uns dann nicht alles?

▶Ich weiß gar nicht, warum es die Welt gibt.

▶Wozu sind die Menschen eigentlich da? Sag mal! Wozu?8

Solche Fragen oder Aussagen von Kindern sind nicht angelernt oder von außen beigebracht. Es sind ursprüngliche Themen, die Kinder beschäftigen und die die üblichen Schemata sprengen.

Anerkannte Pädagogen wie etwa Heinrich Roth9 gehen davon aus, dass der Mensch ein religiöses Wesen und es ihm nicht möglich ist, auch ohne religiöse Weltdeutung zu leben. Dazu reicht gut zu sein oder Schönheit nicht aus. Schon kleine Kinder fragen bohrend nach Gründen, nach Zusammenhängen und Ausblicken für ihr Leben. Die Philosophen Max Scheler und Arnold Gehlen haben mit den Begriffen »Weltoffenheit« und »Plastizität« auszudrücken versucht, dass der Mensch für Entwicklung offen ist, dass er ein Wesen ist, das dauernd fragt, ein Wesen, das alles, was ist, überschreiten und die Zukunft vorwegnehmen kann.

Die Aufforderung »Kinder nicht um Gott betrügen« ist ein Zwischenruf in die derzeitige gesellschaftliche Situation hinein. Eltern wollen das Beste für ihre Kinder – sie versuchen, ihre Kinder möglichst optimal ins Leben hinein zu begleiten. Sie tun für ihre Kinder alles erdenklich Gute oder zumindest das, was sie im Augenblick für gut halten. In jungen Eltern spiegeln sich immer wieder auch Leistungs- und Perfektionsanforderungen, unter die sie sich gestellt fühlen. Dies ist zumindest einer der Gründe, warum viele Eltern ihre Kinder schon im Kindergartenalter vielfältig verplanen: Ballettunterricht, musikalische Früherziehung, Sporttraining usw. sind in manchen Kreisen Grundvoraussetzung für soziale Anerkennung. Vielen Eltern wird eingeredet, dass sie für ihr Kind noch viel mehr tun könnten, wenn sie es noch für diesen und jenen Kurs anmelden.

Dieses Buch will Ihnen als Eltern nicht auch noch ein schlechtes Gewissen einreden – im Gegenteil: Der Aufruf »Kinder nicht um Gott betrügen« will Entlastung und Oase sein.

Er will sagen, dass wir trotz aller leistungsorientierten Anforderungen unsere Kinder dennoch die wichtigsten Erlebnisse erfahren lassen können: nämlich von Gott geliebt und, von ihm umfasst, tief getragen zu sein, eine Aufgabe zu haben für diese Welt, einander Licht zu bringen. Dies tut auch uns Eltern gut, weil es Entschleunigung bringt und Stress rausnimmt.

Ausschließlich leistungsorientierte Einschätzungen über den Wert und die Würde menschlichen Lebens greifen zu kurz; für Kinder ist es wichtig, zu erleben, dass sie verwurzelt sind in dem, der sie erschaffen hat und der ihnen zuspricht, dass es trotz aller Gefährdungen und Abgründe mit ihrem Leben letztlich in Gott gut ausgeht.

Wie Sie Kindern Grundvertrauen und Orientierung für ihr Leben mitgeben können, damit befasst der gemeinsam mit meiner Schwiegertochter Julia Biesinger publizierte Elternbegleiter.10

1. Der »Mehrwert« religiöser Erziehung – Sinnüberschuss

Religiöse Erziehung bringt einen Überschuss an Sinn. Es geht nicht um eine Vorfeldrekrutierung der Kinder für ein späteres kirchliches Engagement oder gar um Glaubensindoktrination – im Gegenteil: Die Freiheit der Einzelnen bleibt der zentrale Angelpunkt.

Noch einmal: Niemand muss daran glauben, von Gott herzukommen und zu Gott hinzugehen. Niemand muss daran glauben, dass Gott es gut mit jedem Menschen meint. Das darf ich glauben. Es ist umso besser, je früher ich Gott in diesem Leben schon kennenlernen und mit ihm in Beziehung leben kann, mein Leben also als Gottesbeziehung gestalten kann – dann habe ich doch jetzt schon etwas davon.