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Klaus-Rainer Martin

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Beschreibung

Zwar gehört der Autor zu den glücklichen Kindern, die die Wirren des 2. Weltkrieges nicht in Luftschutzkellern erleben mussten oder gar auf der Flucht von Ostpreußen oder Schlesien. Er konnte in seiner erzgebirgischen Heimat bleiben. Dennoch haben auch bei ihm Erlebnisse aus den Jahren des Krieges in seiner kindlichen Erinnerung bleibende Eindrücke hinterlassen, die er nicht für sich behalten möchte. Der Krieg war überall und hinterließ überall seine Spuren. Auch bei denen, die nicht in ihrem Leben bedroht waren.

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Veröffentlichungsjahr: 2017

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Klaus-Rainer Martin

Kindliche Kriegserlebnisse

BookRix GmbH & Co. KG81371 München

Kindliche Kriegserlebnisse

 

Zwar gehöre ich zu den glücklichen Kindern, die die Wirren des Krieges nicht in Luftschutzkellern erleben mussten oder gar auf der Flucht von Ostpreußen oder Schlesien. Ich konnte in meiner erzgebirgischen Heimat bleiben. Dennoch haben auch bei mir Erlebnisse aus den Jahren des Krieges in meiner kindlichen Erinnerung bleibende Eindrücke hinterlassen, die ich nicht für mich behalten möchte. Der Krieg war überall und hinterließ Spuren. Auch bei denen, die nicht in ihrem Leben bedroht waren.

 

Das Erzgebirgsstädtchen Hartenstein

 

Unterm Tisch zugehört

 

Das erste Mal, wo ich etwas vom Krieg als Kind bewusst erlebte, war die Zeit um Weihnachten 1943. Ich war gerade fünfeinhalb Jahre alt. Mein Vater war zum letzten Mal auf Urlaub. Ein Jahr später gab es für ihn keinen Weihnachtsurlaub mehr. Mein Vater war überzeugter Nationalsozialist. Er war als Offizier, damals noch Oberleutnant, später Hauptmann, in Jugoslawien eingesetzt. Und er glaubte fest an den Endsieg der deutschen Wehrmacht. So jedenfalls gab er sich uns gegenüber. Ob er aber in seinem tiefsten Inneren Zweifel daran hegte, entzieht sich meiner Kenntnis. Auch seine Schwager Franz und Kurt und sein Neffe Horst hatten Urlaub. Sie alle kamen schon an einem Vormittag in der Vorweihnachtszeit zu meinem Vater und nahmen an dem großen Wohnzimmertisch Platz, nebelten das Zimmer mit ihrem Zigarettenqualm ein und sprachen über die Lage an der Front und über ihre persönlichen Erlebnisse. Sie sprachen miteinander bis zum Einbruch der Dunkelheit. Diese Gesprächsrunde wurde nur durch das gemeinsame Mittagessen unterbrochen, das meine Mutter den Männern vorsetzte. Es war ein schmackhafter Eintopf. Mich interessierte so sehr, was die vier Männer zu besprechen hatten, dass ich mich heimlich unter den großen Wohnzimmertisch begab und von dort aus den ganzen Tag zuhörte. Niemand hatte mich vermisst, denn es war normal, dass mal der eine oder andere aus der großen Geschwisterschar nicht da war. Onkel Franz war von Beruf Hufschmied. Auch als Soldat übte er seinen Beruf an der Ostfront unmittelbar hinter der Frontlinie aus. Er berichtete davon, dass ihm die Pferde so leid tun, denen er täglich neue Hufe anpassen muss. Die meisten von Ihnen hatten schon schreckliche Fronterlebnisse und sind verstört. Im Unterschied zu den Menschen kann man ihnen das Schreckliche nicht erklären. Mein Vater meinte dazu, dass eben auch die Tiere Opfer für die große Sache bringen müssten. Ich verstand nicht, was er mit der „großen Sache“ meinte. Ich konnte nur an die armen Pferde denken, von denen Onkel Franz berichtete. Und Onkel Kurt, der in einem Materialbeschaffungsamt in der Nähe von Krakau für die Beschaffung von Kleidung für die Soldaten an der Ostfront verantwortlich war, erzählte, dass es ihnen nicht gelungen sei, die Soldaten rechtzeitig vor Wintereinbruch im Osten mit Winterkleidung auszustatten. Das war im Winter 1942/43 so, als viele deutsche Soldaten in Stalingrad erfrieren mussten. Und das ist noch schlimmer geworden, seit sich die deutsche Armee seit Sommer 1943 im Rückzug befindet. Nun ist wieder Winter, und die deutsche Armee ist schlecht ausgestattet. – Als mein Vater darauf etwas erwidern wollte, schnitt Kurt ihm das Wort ab und meinte zu ihm, dass der Winter im Osten viel härter sei, als Max, mein Vater, es von Sarajewo her kenne. Dort sei es doch nicht kälter als in Garmisch-Partenkirchen, wo 1936 die Olympischen Winterspiel stattgefunden haben. Dann nahm Horst das Wort. Horst gehörte den Luftlandeverbänden an, welche im Mai 1941 als Fallschirmspringer über der griechischen Insel Kreta abgesprungen waren. Dieser Fallschirmabsprung, den er mit einer leichten Verwundung mit einem Streifschuss überlebt hatte, hat ihn trotz seines jugendlichen Alters von fünfundzwanzig Jahren zu einem ernsten Menschen gemacht, der nicht mehr lachen konnte. Er hatte, als er wehrlos am Fallschirm hing und miterleben musste, wie Kameraden neben ihm wie Fliegen in der Luft abgeschossen oder schwer verletzt wurden, mit seinem Leben abgeschlossen. Nun saß er in der Runde seiner Verwandten, die ihre Kriegserlebnisse zum Besten gaben. Nach langem Schweigen sagte er auf einmal zu meinem Vater: „Max, der Krieg ist verloren“. Und mein Vater antwortete ihm: „Horst, wenn du nicht mein Neffe wärst, müsste ich dich jetzt melden!“ Ich verstand damals als Fünfjähriger unter dem Tisch nicht, was mein Vater damit meinte. Aber ich hatte eine Ahnung davon, dass das eine Drohung war.