Kiss Curse – Magisch verliebt - Erin Sterling - E-Book

Kiss Curse – Magisch verliebt E-Book

Erin Sterling

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Beschreibung

Gwyn Jones ist zufrieden mit ihrem Leben in Graves Glen: mit Something Wicked betreibt sie einen erfolgreichen Laden für magische Artefakte, sie hat mit ihrer Mutter und ihrer Cousine einen Hexenzirkel gegründet und ist eine beliebte Mentorin für die jüngeren Hexen der Stadt. Dann steht Halloween vor der Tür und damit auch Wells Penhallow. Der älteste Sohn einer mächtigen schottischen Hexenfamilie hat genug von einem Leben voller Verpflichtungen und beschlossen, in Graves Glen einen Laden für magische Artefakte zu eröffnen – direkt gegenüber von Something Wicked! Selbstverständlich können Gwyn und Wells einander nicht ausstehen, und dieser eine kleine Kuss, der eines Abends zufällig passiert, ist natürlich ein gewaltiger Fehler. Doch als ein neuer Hexenzirkel in der Stadt auftaucht, verliert Gwyn ihre magischen Kräfte. Und der Einzige, der ihr helfen kann, ist Wells ....

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Das Buch

Gwyn Jones betreibt erfolgreich einen Hexenladen namens Something Wicked, und zwischen Junggesellinnenabschieden, magischen Halloweenpartys und der Betreuung der Junghexen der Stadt hat sie keine Zeit für die Liebe. Wells Penhallow stammt aus einer alteingesessenen schottischen Hexenfamilie, und die Pflichterfüllung gegenüber der Familie hatte bisher oberste Priorität für ihn. Doch jetzt ist er fest entschlossen, in Graves Glen einen Neuanfang zu machen. Das Letzte, was er dabei gebrauchen kann, ist Romantik.

Schon bei ihrer ersten Begegnung an der magischen Akademie konnten Gwyn und Wells einander nicht ausstehen. Fünfzehn Jahre später hat sich daran nicht viel geändert. Die beiden sind alles andere als glücklich, als sie feststellen, dass sie nun gleich in mehrfacher Hinsicht Nachbarn sind: Zum einen wohnt Gwyn in dem gemütlichen Cottage direkt unterhalb des Penhallow-Anwesens, das Wells bezogen hat. Zum anderen kauft Wells ein Geschäftshaus direkt gegenüber vom Something Wicked – und eröffnet seinen eigenen magischen Hexenladen!

Gwyn ist fest entschlossen, Wells das Leben so schwer wie möglich zu machen, doch als ein neuer Hexenzirkel in der Stadt auftaucht, verliert Gwyn ihre magischen Kräfte. Und der Einzige, der ihr helfen kann, ist Wells. Und dieser winzige Kuss, zu dem die beiden sich eines Abends hinreißen lassen hat ja auch überhaupt nichts zu bedeuten … oder?

Die Autorin

Erin Sterling ist das Pseudonym der erfolgreichen »New York Times«-Bestsellerautorin Rachel Hawkins. Geboren in Virgina und aufgewachsen in Alabama, arbeitete sie nach ihrem Studium zunächst als Lehrerin, bevor sie sich ganz dem schreiben widmete. Mit ihrem ersten Fantasy-Roman »Ex Hex« landete sie sofort auf der »New York Times«-Bestsellerliste. Die Autorin lebt mit ihrer Familie in Alabama.

Erin Sterling

KISS CURSE

Magisch verliebt

Roman

Aus dem Amerikanischen übersetzt von Antonia Zauner

WILHELM HEYNE VERLAG MÜNCHEN

Titel der Originalausgabe:

KISS CURSE

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Deutsche Erstausgabe 03/2024 

Redaktion: Michelle Stöger

Copyright © 2022 by Rachel Hawkins

Copyright © 2024 der deutschsprachigen Ausgabe und der Übersetzung by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: Guter Punkt GmbH & Co. KG

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN: 978-3-641-28441-1V001

www.heyne.de

Für Merlin und Bosworth. Ich bin froh, dass ihr nicht sprechen könnt.

Prolog Dreizehn Jahre zuvor, Penhaven College …

Angesichts der Tatsache, dass der Zauber »Verwandle dieses Blatt in etwas anderes« lautete und Gwynnevere Jones das Blatt wirklich in etwas anderes verwandelt hatte, kam es ihr mächtig unfair vor, dass alle sie jetzt anschrien.

Okay, sie schrien nicht direkt sie an, sie schrien eher so generell, und ja, vielleicht ähnelte das Blatt jetzt einem kleinen Dinosaurier mit äußerst scharfen Zähnen, der aktuell die Zehenpartie des sehr spitz zulaufenden Stiefels ihrer Professorin in der Mangel hatte, aber hatte der Zauber explizit vorgegeben, in was sie das Blatt verwandeln sollte?

Das hatte er nicht!

Hatten alle anderen sterbenslangweiliges Zeug wie Stifte oder etwas größere Blätter gemacht?

Ja!

War Gwyns Zauber der einzige mit diesem abgefahrenen Animationseffekt und sollten ihr deshalb nicht alle dankbar sein und ihr sagen, was für eine unfassbar coole Hexe sie war, statt Sachen wie »Mach, dass es aufhört!« und »Was zum Teufel?« zu schreien?

Also Gwyns Meinung nach schon.

Und das, dachte sie, als sie einmal mehr versuchte, genug Energie zu sammeln, um ihre bissige Kreatur zurück in ein Eichenblatt zu verwandeln, ist der Grund, warum ich gar nicht erst hierherkommen wollte.

Am Penhaven College in Graves Glen, Georgia, konnten sowohl normale Menschen als auch Hexen studieren, wobei die Hexerei-Vorlesungen im Geheimen abgehalten wurden, und jeder dachte, dass die Leute, die die etwas merkwürdigeren Gebäude auf dem Campus besuchten, einfach esoterische Abschlüsse in Folklore oder so etwas machten. Fortgeschrittenes Kräutersammeln oder so was.

Gwyn war in Graves Glen aufgewachsen, aber ihr wäre nie in den Sinn gekommen, dass man sie irgendwann tatsächlich nach Penhaven schicken würde. Sie hatte ihre Mum für cooler gehalten, viel weniger traditionell als andere Hexen – oder Mütter –, und Gwyn hatte gedacht, einmal an einer normalen Uni zu landen, Bier aus roten Plastikbechern zu trinken und nur im Privaten Magie zu praktizieren.

Aber nein. In dieser einen Angelegenheit hatte ihre Mutter beschlossen, spießig zu werden und darauf zu bestehen, dass sie nach Penhaven ging.

Gwyn kannte niemanden, der weniger auf Traditionen hielt als ihre Mom, Elaine. Sie hatte Gwyn allein aufgezogen und verdiente ihr Geld mit dem Verkauf von Badesalz und Spezialtees auf diversen Festivals und Jahrmärkten und Kartenlesen in der gemütlichen Küche ihrer Holzhütte. Gwyn hatte dieses Leben geliebt und immer angenommen, dass sie einmal in die Fußstapfen ihrer Mutter treten und ihr eigenes Ding machen würde. Doch dann, als das Ende ihrer Highschool-Zeit nahte, tauchte die hässliche Fratze Penhavens in ihrer Zukunft auf.

»Es wird dir guttun«, hatte Elaine mit gütigem Blick zu ihr gesagt, während das Sonnenlicht, das durch das Küchenfenster schien, ihr blondes Haar zum Leuchten brachte, bis sie aussah wie eine Heilige oder, noch schlimmer, Stevie Nicks. Wer konnte schon Nein zu Stevie Nicks sagen?

Und so war Gwyn am Penhaven College gelandet, wo sie Kurse wie Ritualkerzen und Mondphasen besuchte.

Und Grundlagen der Verwandlung, ein Kurs, dem sie von Anfang an skeptisch gegenübergestanden hatte, weil er so technisch klang.

»Miss! Jones!«, schrie ihre Professorin, und Gwyn schüttelte den Kopf, während sie weiterhin versuchte, so viel Magie wie möglich zu sammeln. Das war nicht leicht, immerhin hatte sie sich mächtig ins – magische – Zeug gelegt, um das Blatt in das zu verwandeln, was jetzt auf Dr. Arbuthnots zugegebenermaßen ziemlich abgefahrenem Stiefel herumkaute.

Sei nicht immer so eine Angeberin.

Gwyns Cousine Vivi war nicht hier – vor ihr lagen noch zwei weitere Jahre Highschool, bevor ihr zweifellos das gleiche Schicksal blühte. Aber Gwyn wusste, dass sie genau das zu ihr gesagt hätte, und bei dem Gedanken verzog sie das Gesicht und bemühte sich noch mehr um Konzentration.

Sie hatte die Hände flach auf den leicht vibrierenden Tisch vor ihr gelegt, und die Enden ihrer langen violetten Haare schmiegten sich an ihre Handkanten.

Die Farbe war ein Akt der Rebellion vor dem Beginn des Semesters gewesen, und ihr sonst rotes Haar wies jetzt ein tiefes Amethyst auf, aber natürlich hatte ihre Mom nur gelächelt, ihr über den Kopf gestreichelt und gemeint, es stehe ihr.

Und das war das Problem, wenn man eine coole Mom hatte.

»Schaffst du es?«

Für den Bruchteil einer Sekunde verlor Gwyn die Konzentration, als ihre Laborpartnerin, ein hübsches braunhaariges Mädchen namens Morgan, sich ihr mit großen Augen näherte.

»Ja«, antwortete Gwyn und zwang sich zu einem Lächeln, obwohl sie es ziemlich eindeutig nicht schaffte. »Gleich.«

Der Göttin sei Dank hatte das Ding mittlerweile von Dr. Arbuthnots Stiefel abgelassen.

Allerdings warf es jetzt dem baumelnden Ende ihres Schals hungrige Blicke zu, und Gwyn biss die Zähne zusammen und grub die knallblau lackierten Nägel in die Tischplatte. Sie würde nicht als die erste Studentin Penhavens, die schuld daran war, dass ihre Professorin aufgefressen wurde, in die Geschichte eingehen.

Also während des Zaubers hatte sie einfach die Hände auf das Blatt gelegt und ganz angestrengt gedacht, dass es sich verändern solle. Andere Anweisungen hatte sie ihm nicht gegeben. Vielleicht lag da ja das Problem?

Gwyn hob den Kopf und konzentrierte sich auf die Szene im Unterrichtsraum vor ihr.

Es gab keine Fenster, und mit den Kerzenhaltern an den Wänden, den schweren Holztischen, hinter denen die Studenten saßen und zu einer leicht erhöhten Plattform aufblickten, wirkte es, als säßen sie in einem viktorianischen Theater oder so etwas.

Vorne stand Dr. Arbuthnot hinter einem altmodischen Rednerpult. Nun, normalerweise tat sie das. Im Moment befand sie sich davor und hielt sich daran fest, während sie die Kreatur, die gerade zu ihren Füßen kauerte und knurrte, mit blauen Lichtblitzen aus ihren Fingerspitzen beschoss.

Aber Gwyns kleines Blattmonster war schlau und wich jedes Mal in Windeseile aus, und hätte sie sich keine Sorgen gemacht, dass man sie nach der ganzen Sache von der Uni werfen oder gleich auf dem Scheiterhaufen verbrennen würde – sofern das noch Brauch war –, dann wäre sie beinahe … stolz auf den kleinen Kerl gewesen.

Er war rauflustig wie Gwyn selbst.

Sie wusste natürlich, dass Dr. Arbuthnot ihn mit einem einfachen Zauber vernichten konnte, doch die Professorin wollte, dass ihre Studentin lernte, ihn zu kontrollieren, oder besser noch, zurück in ein Blatt zu verwandeln. Schließlich ging es in diesem Kurs genau darum, und Gwyn war entschlossen, es zu meistern.

Sie hatte vielleicht nicht nach Penhaven kommen wollen, aber sie würde auf keinen Fall die Versagerin ihres Semesters werden.

Entschlossen konzentrierte sie sich auf die winzige Kreatur, hob die Hände und spürte, wie sie begann, sich zu regen.

Zu verwandeln.

Fast geschafft.

Ihre Finger verkrampften sich, und die Blattkreatur drehte ruckartig den Kopf in ihre Richtung.

Im gleichen Moment flog die Tür des Unterrichtsraums auf und knallte gegen die Wand.

Gwyn achtete gar nicht darauf, sie hatte den Blick auf den vorderen Teil des Raums gerichtet, ihre Macht begann anzuschwellen, und dann …

Gab es einen plötzlichen Lichtblitz, und ein Geruch, der Gwyn an Lagerfeuer und Herbstnächte erinnerte, erfüllte den Raum.

Am Rednerpult richtete Dr. Arbuthnot sich mit einem Mal stocksteif auf, und Gwyn sah zu, wie kleine Rauchschwaden und winzige brennende Fetzen – flammende Blattstückchen – zur Decke aufstiegen.

Gwyn ließ mit offenem Mund die Hände sinken. Verdammt.

Verdammt.

Sie hatte es übertrieben. Irgendwie hatte sie zu viel Macht in den Zauber gelegt, und statt das Ding zurück in ein Blatt zu verwandeln, hatte sie es … vernichtet.

Und dann hörte sie Morgan seufzen und sah, wie Dr. Arbuthnot sich zur Tür drehte.

Gwyn folgte ihrem Blick.

Dort stand ein Junge.

Nein, ein Mann. Älter als Gwyn, aber nicht viel, struppiges dunkles Haar, Augen, die so blau waren, dass sie es sogar aus der Ferne erkennen konnte. Er war ganz in Schwarz gekleidet und hatte die Hände immer noch in Richtung Podium erhoben, und egal, wer er war, Gwyn war sich sicher, dass seine Vorfahren irgendwann einmal eine Guillotine von Nahem gesehen hatten.

Man kam nicht zu Wangenknochen wie diesen, ohne irgendwann mal ein paar Bauern unterdrückt zu haben.

»Penhallow«, sagte Dr. Arbuthnot und richtete ihren Schal.

Gwyn verengte die Augen. Sie hatte also recht gehabt. Die Penhallows regierten diese Stadt praktisch, obwohl sie gar nicht hier lebten. Aber einer ihrer Vorfahren hatte Graves Glen – und das College – gegründet, deshalb ließ sich von Zeit zu Zeit einer von ihnen dazu herab, sich für einen Sommer unter das einfache Volk zu mischen.

»Geht es allen gut?«, fragte er und sah sich im Klassenzimmer um, während er sich das Haar aus dem Gesicht strich.

Gwyn öffnete den Mund, um ihm mitzuteilen, dass es ihnen mehr als gut ging und sie die Sache jede Sekunde unter Kontrolle gehabt hätte und dass ein Zauber, der Zeug explodieren ließ, ja nun wirklich nichts allzu Beeindruckendes war, aber Dr. Arbuthnot kam ihr zuvor.

»Jetzt ja. Danke, Penhallow.«

»Ich bin nur zufällig vorbeigekommen«, erklärte er, »und habe Schreie gehört. Ich dachte, ich könnte helfen, als …«

»Leider haben wir weder Medaillen noch Kekse übrig«, unterbrach Gwyn ihn und ballte die Hände zu Fäusten. »Und im Grunde hast du auch gar nicht geholfen, du hast das Ding einfach nur explodieren lassen. Das hätte selbst ich geschafft.«

Der Penhallow sah sie mit angehobener Braue an. »Und warum hast du es dann nicht gemacht?«, fragte er, und bevor sie antworten konnte, war er verschwunden, und die Tür fiel ins Schloss.

Vorne fegte Dr. Arbuthnot kleine Fitzelchen Blattasche von ihrem langen Rock und rückte ihre Brille zurecht. »Kommen Sie bitte nach der Stunde zu mir, Ms. Jones«, sagte sie, und Gwyn nickte, rollte jedoch mit den Augen.

Sie war mindestens einmal die Woche nach der Stunde bei Dr. Arbuthnot. Wenn das so weiterging, musste sie noch vor Ende des Semesters anfangen, Untermiete für die Mitbenutzung ihres Büros zu bezahlen oder so.

Neben ihr starrte Morgan immer noch verträumt die Tür an. »Das war Llewellyn Penhallow«, seufzte sie, und Gwyn schnaubte und klaubte ihre Sachen zusammen.

»Llewellynn«, wiederholte sie, denn wenn ein Typ so hieß, erübrigte es sich eigentlich, Witze darüber zu machen. Allein den Namen auszusprechen, reichte aus.

Morgan stieß ihr den Ellbogen in die Seite und schob sich mit der anderen das Haar hinters Ohr. »Du musst zugeben, dass er gut aussieht«, beharrte sie, und Gwyn warf sich die Tasche über die Schulter und richtete den Blick erneut auf die Tür.

»Kann sein, dass er gut aussieht«, wiederholte sie mit einem Achselzucken. »Aber er ist definitiv ein Arschloch. Garantiert kommt irgendwo in seinem Namen das Wort ›Esquire‹ vor.«

»Sieht so aus, als würdest du das nie herausfinden«, meinte Morgan und packte ihre Bücher ein. »Ich habe gehört, dass er nicht mal bis zum Ende des Sommersemesters bleibt. Angeblich hat sein Dad ihn wegen einer Familienangelegenheit zurück nach Wales beordert.«

Angesichts der Tatsache, dass die Penhallows eine sehr mächtige und sehr weit zurückreichende Hexenfamilie waren, konnte »Familienangelegenheit« alles Mögliche bedeuten, und vermutlich war nichts davon gut.

Nicht dass es sie interessierte.

Nein, im Moment interessierte sie nur, dass sie gleich mit Dr. Arbuthnot sprechen und es dann irgendwie rechtzeitig zu ihrer nächsten Vorlesung am anderen Ende des Campus schaffen musste. Und danach sollte sie ihrer Mum in Something Wicked, ihrem Laden in der Innenstadt, helfen.

Auf Llewellyn Penhallow, Esquire, verschwendete Gwyn noch genau einen Gedanken, während sie sich auf den Weg zum Pult und Dr. Arbuthnots missbilligender Miene machte.

Der Göttin sei Dank, dass ich das Arschloch nie wiedersehen muss.

Wenn wir den Geist finden und ich ›Buh!‹ rufe, dann weißt du, dass das ironisch gemeint ist, ja?«, flüsterte Gwyn, die hinter ihrer Cousine Vivi durch den dunklen Wald kroch. Im nachtblauen Himmel stand der Mond als schmale Sichel, und über ihren Köpfen wippte fröhlich eine kleine Lichtkugel, die Vivi heraufbeschworen hatte. Es war überraschend kühl für Anfang September, die Luft roch frisch, und eine Spur von Rauch kitzelte Gwyns Nase.

Definitiv eine gute Nacht fürs Geisterjagen.

Aber vielleicht eine weniger perfekte Nacht für Scherze, denn in diesem Moment sah Vivi sie mit zusammengekniffenen grau-grünen Augen über ihre Schulter hinweg an. »Gwynnevere.«

»Was?«, protestierte Gwyn. »Entweder das oder irgend so eine ›Ich-habe-keine-Angst-vor-Gespenstern‹-Nummer, aber die finde ich ehrlich gesagt ziemlich von gestern.«

»Warum habe ich das Gefühl, dass du die Sache nicht ernst nimmst?«

Gwyn, die einen schwarzen Pulli mit kleinen weißen Gespenstern darauf anhatte, setzte eine todernste Miene auf. »Ich weiß gar nicht, wie du darauf kommst.«

Wie erwartet wich Vivis strenger Blick einem liebevollen Lächeln, begleitet von einem Augenrollen.

»Also gut, ich akzeptiere dein ironisches ›Buh!‹.«

»Danke«, antwortete Gwyn und richtete den Riemen der Ledertasche, die sie sich quer über die Brust geschnallt hatte. Da dies ihre erste Geisterjagd war, hatte sie Something Wicked auf der Suche nach Nützlichem geplündert, doch der Laden war vor allem auf Touristen und nicht auf echte Hexen ausgerichtet.

Das bedeutete, dass Gwyn jetzt eine Tasche mit Kristallen, ein paar Kerzen im Glas und einem Samtbeutel mit den Badesalzen ihrer Mutter mit sich herumschleppte.

Als die Kerzen klirrend gegen die Kristalle stießen, sah Vivi sich erneut um. »Ich habe dir gesagt, du musst nichts mitbringen«, meinte sie. »Wir sind mehr so auf der Suche nach Hinweisen.«

»Das verstehe ich, Vivi, aber ich habe in meinem Leben exakt einen Geist gesehen, und das war eine unglaublich gruselige Erfahrung, also verzeih, wenn ich gerne vorbereitet bin.«

»Mit Kamille- und Lavendel-Badesalzen?«

»Das Salz ist der wichtige Teil.«

Als Vivi erneut mit hochgezogenen Augenbrauen stehen blieb, wedelte Gwyn mit der Hand. »Du weißt schon. Wie in den Serien.«

»Den Serien?«

»Die, in denen gut aussehende Typen Geister jagen und ständig Sachen sagen wie – sie senkte die Stimme zu einem tiefen Grollen – ›Wir brauchen einen Salzkreis um die Stelle‹ oder so etwas. Deshalb«, Gwyn tätschelte ihre Tasche, »Salz.«

»Wir sind Hexen, Gwyn«, erinnerte Vivi sie. »Vielleicht sollten wir unsere Tipps nicht aus dem Fernsehen beziehen?«

»Wir sind aber keine Geisterjäger-Hexen«, widersprach Gwyn und wich einem großen Ast aus, während sie tiefer in den Wald vordrangen. »Und die Serie lief gut zwanzig Jahre lang. Also haben sie bestimmt wenigstens etwas richtig gemacht.«

Vivi dachte darüber nach und zuckte schließlich die Achseln. »Schaden kann es wohl nicht.«

Der Wind fuhr durch das Laub über ihnen und fegte Gwyn, die jetzt größere Schritte machen musste, um ihrer Cousine zu folgen, das lange rote Haar aus dem Gesicht. »Weißt du, wenn ich verheiratet wäre, dann würde ich ja zu Hause bleiben wollen, statt durch Wälder zu kriechen, in denen es spukt.«

Vivi musste etwas lachen. »Ich habe Rhys angeboten, dass er mitkommen kann, aber er ist völlig unter Arbeit begraben und will noch vor unserer Reise alles erledigt haben.«

Gwyn gab einen zustimmenden Laut von sich und ignorierte den kleinen Stich in ihrem Herzen, als sie daran dachte, dass sie Vivi bald nicht mehr um sich haben würde. Es war dumm, sie würde nur für ein paar Wochen weg sein, um sich irgendein magisches Ritual in Rhys’ Heimat Wales anzusehen, aber Gwyn war schon ewig nicht mehr so lange von ihrer Cousine getrennt gewesen. Und da Gwyns Mom, Elaine, ebenfalls bei einem Hexen-Retreat in Arizona war, würde Gwyn vollkommen allein zurückbleiben.

Und das war okay. Sie war schließlich erwachsen, sie konnte den Laden schmeißen, ohne …

Über ihnen schrie eine Eule, und Gwyn gab ein kleines Kreischen von sich und drängte sich enger an Vivi.

Dann räusperte sie sich, straffte die Schultern und fuhr fort: »Das ist eure erste große Reise in Rhys’ Heimat, wie fühlst du dich dabei?«

Vivis Lächeln überstrahlte beinahe noch ihren Lichtzauber. »Es wird wundervoll. Rhys nimmt mich mit nach Snowdonia, wo sein Bruder wohnt, und …«

»Arschloch-Bruder oder Werwolf-Bruder?«

Vivi warf Gwyn einen weiteren strengen Blick zu. »Sie heißen Wells und Bowen, und zum letzten Mal, Bowen ist kein Werwolf, er … rasiert sich nur nicht besonders oft.«

»Ich weiß nicht, Vivi, das klingt für mich nach einer klassischen Werwolf-Ausrede«, meinte Gwyn und wich einem Laubhaufen aus.

Vivi lachte und schüttelte den Kopf. »Wie dem auch sei, ja, Bowen. Wells lebt immer noch in dem Dorf, in dem sie aufgewachsen sind, also nehme ich an, dass wir ihm auch einen Besuch abstatten.«

»Cool. Vielleicht kannst du ihn dann auch fragen, was wichtiger war als die Hochzeit seines Bruders.«

Vivi stöhnte. »Okay, Gwyn, ernsthaft. Es hat mir nichts ausgemacht! Es hat noch nicht mal Rhys etwas ausgemacht.«

»Nun, mir hat es etwas ausgemacht«, antwortete Gwyn, die schon wieder begann, sich aufzuregen. Im Sommer hatte Vivi im kleinen Kreis in Graves Glen geheiratet, auf der Wiese, auf der sie Rhys vor vielen Jahren kennenlernte. Es war schön und schlicht gewesen, und selbst Gwyn hatte Tränen in den Augen gehabt – nicht dass sie das je zugeben würde –, und obwohl Bowens Gesichtsbehaarung und die Tatsache, dass er aussah, als würde er sterben, sollte er je lächeln müssen, sie wirklich erschreckt hatten, war er wenigstens aufgetaucht.

Rhys’ Vater und der andere Bruder hatten sich jedoch gar nicht erst blicken lassen.

Gwyn konnte sich nicht vorstellen, an Vivis Hochzeitstag nicht für sie da zu sein, und es war nicht so, als hätten sie Wells nicht eingeladen. Das hatten sie. Rhys hatte sogar ein paar Tage vor der Hochzeit noch mit ihm gesprochen, doch am Stichtag war er dann nicht aufgetaucht.

Keine Entschuldigung, nichts. Einfach abwesend.

Was war das für ein Bruder?

Aber nach ihrem einzigen und sehr kurzen Zusammentreffen mit Llewellyn Penhallow hätte sie das nicht wundern sollen.

»Rhys meinte, dass er eben einfach so ist«, fuhr Vivi fort. »Sein Vater wollte nicht kommen, also kommt er auch nicht. Er ist … ich weiß auch nicht, sehr loyal, schätze ich. Und er hat viel zu tun mit seinem Pub.«

Gwyn konnte immer noch nicht fassen, dass Llewellyn Penhallow, der angeblich so mächtig war, dass seine Hexenkünste ihn in seinem Jahr in Penhaven praktisch zu einer kleinen Berühmtheit gemacht hatten, jetzt eine Bar in Wales betrieb, statt irgendwelches beeindruckendes Hexenzeug zu machen, aber Gwyn hatte sich nie genug für ihn interessiert, um nach dem Grund zu fragen.

»Ich habe auch viel mit meinem Job zu tun!«, rief sie jetzt und verschränkte die Arme vor der Brust. »Neulich habe ich die Grimoires im Lager sortiert, und ich dachte mir, dass Grimoire doch wirklich ein seltsames Wort ist. Wo kommt das überhaupt her? Und plötzlich habe ich ungefähr zwölf Wikipedia-Tabs offen, und draußen ist es dunkel.«

Vivi musste lächeln und stieg kopfschüttelnd weiter bergauf.

»Und trotzdem bin ich zu deiner Hochzeit gekommen«, fügte sie hinzu, und Vivi griff nach ihrer Hand.

»Und das weiß ich zu schätzen. Genau wie ich es zu schätzen weiß, dass du heute mitgekommen bist.«

Gwyn war so in ihren gerechten Zorn vertieft gewesen, dass sie fast vergessen hatte, wo sie sich befanden und warum.

Ja, stimmt. Geisterjagd. Im gruseligen Wald.

»Vielleicht gibt es ja keinen Geist«, meinte Gwyn, die wirklich, wirklich hoffte, dass sie recht hatte. Sie hatte Pläne für den heutigen Abend gehabt. Pläne, die mit dem neuen Tee zu tun hatten, den sie bestellt hatte, und mit einem unverschämt langen Bad. Pläne, in denen ein nächtlicher Marsch durch den Wald nicht vorkam, und doch war sie jetzt hier, weil Vivi einige ihrer Studenten am College dabei belauscht hatte, wie sie über seltsame Lichter und Geräusche in diesem Teil des Waldes sprachen.

»Vermutlich sind es einfach nur Jugendliche mit Taschenlampen, die Bier trinken und sich auf romantische Irrwege begeben«, meinte Gwyn, deren Mund etwas trocken wurde, als sie sich jetzt umsah. Trotz Vivis Lichtzauber war die Dunkelheit intensiv, fast erdrückend. Sie hatte das Gefühl, dass jederzeit etwas außerhalb ihres warmen Lichtkreises sie beobachten könnte, Tausende von Augen in den Bäumen, und sie schauderte und zog sich die Ärmel ihres Pullis über die Hände.

»Möglich«, gab Vivi zu und schob einen Blätterhaufen mit dem Stiefel auseinander. »Aber wir haben eine Verantwortung der Stadt gegenüber und sollten uns daher vergewissern, dass da nicht mehr ist.«

»Verantwortung« war nicht gerade Gwyns Lieblingswort, aber sie musste zugeben, dass ihre Cousine recht hatte. Es war die Magie der Jones-Frauen, die Graves Glen speiste, und das bedeutete, wenn hier irgendein fauler Zauber vor sich ging, dann war es Gwyns und Vivis Aufgabe, dem ein Ende zu bereiten.

Gwyn hakte sich bei ihrer Cousine unter und zog sie zu sich. »Ich hasse es, wenn du recht hast. Es ist eine deiner schlechtesten Eigenschaften.«

Vivi grinste. »Das sagt Rhys auch immer.«

»Eines der wenigen Dinge, in denen dein Mann und ich uns einig sind«, seufzte Gwyn, und Vivi stieß sie immer noch lächelnd mit der Hüfte an, während die Lichtkugel hell über ihnen schwebte.

Zu hell, wurde Gwyn mit einem Mal klar.

Denn mittlerweile war sie nicht mehr die einzige Lichtquelle um sie herum.

Gwyn drehte langsam den Kopf, den Arm immer noch unter Vivis gehakt, und sah das … Ding an, das durch den Wald auf sie zuschwebte.

Der Geist im letzten Jahr hatte definitiv wie ein Mensch ausgesehen. Leuchtend und schwebend, aber definitiv humanoid.

Das hier tat es nicht. Es war beinahe wie eine Wolke, die waberte und ihre Gestalt wandelte und dabei ein seltsames grünes Licht verströmte. Und die Magie, die von ihm ausging …

Gwyn zitterte noch mehr, gleich würden ihre Zähne anfangen zu klappern. Sie hatte Magie schon immer intensiver wahrgenommen als Vivi oder Elaine, hatte sie schon immer früher spüren können als die beiden. Dieses Ding hatte sich ihr unbemerkt genähert, aber jetzt da es hier war, wusste sie, dass, wie auch immer es entstanden war, etwas damit nicht stimmte.

Ganz und gar nicht stimmte.

Sie griff in ihre Tasche, und Vivi drängte sich mit zusammengezogenen Brauen enger an sie. »So etwas habe ich noch nie gesehen«, sagte sie und streckte eine Hand nach dem Ding aus.

»Vivi, vielleicht fasst du den gruseligen Klumpen besser nicht an?«, schlug Gwyn vor und wühlte zwischen Kristallen und Kerzen nach dem Samtbeutel mit den Badesalzen.

Vivi ging immer weiter mit ausgestreckter Hand darauf zu. »Rhys und ich haben letztes Jahr die ganze Nacht Flüche recherchiert, und uns ist nie etwas untergekommen, das auch nur annähernd wie das hier aussah«, fuhr sie fort. »Ich weiß nicht mal, woraus es besteht.«

»Meine Albträume und etwas Haargel?«, schlug Gwyn vor, die endlich eine Handvoll Salz zu fassen bekam. »Egal, es ist böse, und ich kann es nicht ausstehen, also: ducken!«

Warte!«

Gwyn wirbelte herum und entdeckte drei Gestalten außerhalb des Lichtkreises der Kugel, deren Gesichter von einem kränklich grünen Schein erhellt wurden. Das Salz lag wurfbereit in ihrer Hand, als Vivi sagte: »Sam?«

Eine junge Frau trat vor, sie hatte leuchtend türkisfarbenes Haar, und die Kugel spiegelte sich in ihrer Brille. Jetzt erkannte Gwyn sie. Sie war eine Hexe, die ans College ging und nebenher im Coffee Cauldron, dem Café die Straße runter, arbeitete. Das kleinere Mädchen neben ihr, das die langen schwarzen Haare zu einem Zopf geflochten hatte, arbeitete ebenfalls dort. Die dritte Person kannte Gwyn nicht, aber sie hatte die dunklen Augen aufgerissen und sah mindestens so erschrocken aus wie die anderen zwei.

Aber Vivi kannte sie eindeutig alle, und als sie sich ihnen näherte, zuckten sie ein wenig zurück.

»Was macht ihr drei hier?«, verlangte sie zu wissen, ehe sie sich an Gwyn wandte und sagte: »Das sind Sam, Cait und Parker. Sie besuchen meine Vorlesung zur Geschichte der Magie am College. Und normalerweise sind sie gute Studierende, die sich nie um diese Zeit im Wald herumtreiben und mit gefährlicher Magie herumspielen würden.«

»Okay, ich weiß, wie das hier aussieht«, meinte Sam, »und zugegebenermaßen laufen die Dinge nicht … nach Plan. Aber es ist ein harmloser Zauber, ich schwöre es.«

»Ich hatte die Idee dazu, Dr. Jones«, mischte Cait sich ein. »Wir besuchen dieses Semester alle Dr. Arbuthnots Grundlagen der Verwandlung, und sie hat uns beigebracht, wie man eine Sache in eine andere verwandelt, Sie wissen schon, zum Beispiel ein Blatt in etwas anderes.«

Gwyn hatte Mühe, sich ein Augenrollen zu verkneifen. Den Hexen am College fiel auch nichts Neues ein. Warum sollten sie sich um innovative Hexenkunst bemühen, wenn sie auch einfach jedes Jahr das gleiche langweilige Zeug machen konnten?

»Und das hat mich auf die Idee gebracht«, fuhr Cait fort, »dass wir Halloween vielleicht auch mit ein wenig Magie etwas aufregender machen könnten. Sie wissen schon, für die Touristen.«

»Also habt ihr beschlossen, einen Geist herbeizuzaubern?«, fragte Vivi mit einem Stirnrunzeln und über der Brust verschränkten Armen.

Gwyn nahm eine ähnliche Pose ein und hoffte, dass sie so streng und Ehrfurcht gebietend aussah wie Vivi, aber sie wusste, dass ihr der Geisterpulli da vermutlich einen Strich durch die Rechnung machte.

»Es ist kein Geist!«, beharrte Sam. »Ernsthaft, es ist nur etwas Glitter, Kleber und Wasser, die wir mit Magie wie einen Geist aussehen lassen.« Sie wies mit dem Kopf auf das dritte Mitglied ihrer kleinen Truppe. »Das war Parkers Idee. Sier ist echt gut in solchen Dingen.«

Parker warf sich stolz die braunen Locken über die Schulter. »Es ist wirklich nicht so schwer«, erklärte sier. »Man macht einfach …«

»Nein!« Vivi unterbrach sier mit erhobener Hand. »Es mag euch harmlos erscheinen, aber genau das ist der Grund, warum wir keine echte Magie für die Touristen einsetzen. Die Studenten in meinen nichtmagischen Vorlesungen reden schon die ganze Woche über das leuchtende Ding in den Wäldern. Wir sollten unauffälliger sein.«

Die drei Hexen wirkten geknickt, und Gwyn sah Cait an, dass sie widersprechen wollte. Und um ehrlich zu sein, sie verstand es. Wofür hatte man Magie, wenn man nicht ein wenig Spaß damit haben durfte?

Aber Gwyn wusste, dass sie sich in dieser Sache hinter ihre Cousine stellen musste, also trat sie dichter zu Vivi und sagte: »Leute, Vivi hat recht. Glaubt mir, Magie, die einfach nur wie ein wenig harmloser Spaß wirkt, kann einem richtig schnell um die Ohren fliegen. Und wenn ihr mit solchen Dingen experimentieren wollt, braucht ihr wenigstens eine erfahrenere Hexe, die euch beaufsichtigt.«

Sie und Vivi hatten schließlich auch Elaine.

Aber Sam schüttelte niedergeschlagen den Kopf. »Dr. Jones, Sie wissen doch, wie streng das College ist. All diese Regeln, wann und wo wir Magie praktizieren dürfen. Wir bekommen nie die Gelegenheit, einfach mal zu … improvisieren. Neue Sachen auszuprobieren.«

»Ja, aber diese Regeln gibt es aus einem guten Grund, und das sage ich als jemand, der Regeln grundsätzlich verabscheut«, antwortete Gwyn und sah dann zu Vivi hinüber.

Vivi liebte Regeln.

Doch jetzt sah sie die drei Hexen nachdenklich an. »Schätze, das College ist in diesen Dingen wirklich etwas starr«, meinte sie langsam. »Und man erweitert seine Fertigkeiten ja auch durch Übung …«

Sie drehte sich zu Gwyn um, die die Stirn runzelte. »Schau mich nicht mit diesem Nachdenkgesicht an«, rief sie, und Vivi zog die Augenbrauen zusammen.

»Ich habe kein Nachdenkgesicht.«

»Und ob! Du schaust mich gerade mit diesem Nachdenkgesicht an, und das gefällt mir ganz und gar nicht!«

»Ich habe nur nachgedacht …«, begann Vivi, und Gwyn richtete einen Finger auf sie. »Siehst du?«

Vivi ignorierte sie und fuhr fort: »Vielleicht ist das ja jetzt auch Teil unserer Verantwortung. Für die Stadt. Mentorinnen für junge Hexen zu sein und es ihnen in einer sicheren Umgebung, die nichts mit dem College zu tun hat, zu ermöglichen, mit Magie zu experimentieren.«

Da war es wieder, dieses Wort, und Gwyn wollte Vivi daran erinnern, dass sie ohnehin schon eine Menge Verantwortung hatten – Gwyn den Laden, Vivi ihre zwei Jobs, und nächsten Monat war auch noch Halloween, was bedeutete, dass alles nur noch hektischer werden würde. Und jetzt wollte sie, dass sie so eine Art Pfadfindergruppe für Babyhexen gründeten?

Doch dann sah sie über Vivis Schulter, dass Sams, Caits und Parkers Gesichter bei dem Vorschlag praktisch zu leuchten begonnen hatten und ein regelrechter Hundeblick in ihre Augen getreten war, und nach einem erneuten Begutachten des ›Geists‹ musste auch Gwyn zugeben, dass es ziemlich beeindruckende Magie war. Allein der Leuchteffekt war ganz schön schwer hinzukriegen und noch schwerer aufrechtzuerhalten, und doch hatten sie es geschafft.

Und wenn sie ehrlich war, dann musste sie zugeben, dass die Vorstellung, eine Elaine für eine neue Generation Hexen zu sein, eigentlich ganz aufregend war.

»Okay«, sagte sie seufzend. »Aber nur, weil ich denke, dass es deine Vorgesetzten am College so richtig ärgern würde.«

Vivi schüttelte lächelnd den Kopf und wandte sich wieder an das Grüppchen.

»Also gut, Gwyn und ich werden mit euch arbeiten, wenn ihr Zauber ausprobieren wollt. Aber. Ihr hört sofort auf, euch nachts im Wald herumzutreiben, und ihr werdet auf keinen Fall noch einmal ›improvisieren‹, ohne vorher mit einer von uns zu sprechen, okay?«

Die drei nickten so eifrig, dass es ein Wunder war, dass ihnen nicht die Köpfe abfielen, und Vivi rieb sich zufrieden die Hände.

»Jetzt bleibt uns nur noch, dieses Ding loszuwerden«, sagte sie und wies auf den schwebenden Klumpen.

Parker runzelte die Stirn. »Ja. Das ist der Grund, warum wir hier sind. Wir wissen nicht wirklich, wie man es wieder entzaubert.«

Gwyn wandte sich wieder der schimmernden Masse zu, die jetzt, da sie wussten, woraus sie bestand und wer sie gemacht hatte, weit weniger furchterregend war.

Ohne lange nachzudenken, griff sie wieder in ihre Tasche und füllte einmal mehr ihre Hand mit Salz.

Vivi runzelte die Stirn. »Gwyn, ich weiß wirklich nicht …«

»Ach, komm schon«, meinte Gwyn. »Schaden kann es nicht!«

Und mit dieser äußerst unglücklichen Aussage warf sie das Salz.

»Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du ein bisschen impulsiv bist, Gwynnevere?«

Über den Tisch hinweg starrte Gwyn Rhys, Vivis Ehemann, finster an, während sie ihr Haar mit einem Handtuch trocknete. Nach ihrer Rückkehr in die Hütte hatte sie zwanzig Minuten geduscht, aber sie hatte immer noch das Gefühl, mit Geisterschleim bedeckt zu sein. Wie konnte etwas, das praktisch nur aus Klebstoff, Glitter und Magie bestand, so ekelhaft sein, wenn es explodierte?

Vermutlich gab es keine Dusche, die stark genug war, um ihr je wieder das Gefühl zu geben, sauber zu sein, und Vivi schien ähnlich zu denken, denn sie war immer noch im oberen Bad.

»Tatsächlich ja«, antwortete Gwyn Rhys jetzt. »Lehrer, diverse Ex-Freunde und –Freundinnen und ein besonders fieser Richter am Verkehrsgericht. Und jetzt du.«

»Da befinde ich mich ja in guter Gesellschaft«, antwortete Rhys und ging zum Küchentresen, wo der Wasserkocher zu brodeln begonnen hatte.

Vivi tauchte wieder auf, sie trug einen von Elaines Morgenmänteln, und ihr feuchtes Haar hinterließ dunkle Flecken auf der pfauenblauen Seide. »Ich habe das Gefühl, dass dies die erste von vielen Duschen war, die ich heute Abend nehmen werde«, sagte sie, und Rhys reichte ihr lächelnd eine Tasse Tee.

»Solange ich bei wenigstens einer davon mitmachen darf, habe ich kein Problem damit, Schatz.«

Vivi lächelte, kam zu ihm, und als sie die Arme umeinander schlossen, rollte Gwyn mit den Augen. Sie freute sich für sie, wirklich, und die Göttin wusste, wie viel die beiden durchgemacht hatten, bevor sie ihr Happy End fanden, aber es gab Grenzen.

»Ich sitze direkt hier«, sagte sie. »Und habe absolut kein Bedürfnis, Zeugin von dem hier zu werden!«

»Hey!«, rief Vivi und richtete den Finger auf Gwyn. »Hast du eine Ahnung, wie oft ich auf der Couch saß und zusehen musste, wie du mit jemandem rumgemacht hast, während ich so tat, als wäre ich mit meinem Handy beschäftigt? Das hier ist die gerechte Strafe.«

»Fair«, musste Gwyn zugeben, der in diesem Moment klar wurde, wie lange es her war, seit sie mit jemandem rumgemacht hatte. Monate.

Das war deprimierend.

Rhys lachte leise, drückte Vivi einen schnellen Kuss auf die Stirn und widmete sich dann wieder dem Tee. Vivi setzte sich Gwyn gegenüber an den Tisch. Dieser Tage fanden sie sich oft hier zusammen, obwohl Vivi ihre eigene Wohnung in der Stadt über dem Laden hatte, in der sie und Rhys im Moment lebten. Eigentlich besaß Rhys’ Familie ein Haus etwas weiter den Berg hinauf, aber angesichts dessen, dass es wirkte wie aus einem Tim-Burton-Film, stand es meistens leer.

Rhys kam zurück an den Tisch, um Gwyn eine Tasse zu reichen, und da er ihre Lieblingsteemischung benutzt hatte, beschloss sie, ihm zu verzeihen, dass sie wegen ihm an Sex unter der Dusche hatte denken müssen.

»Ich muss schon sagen, mir gefällt es, wenn wir Hexensachen machen und du hierbleibst und dich um den Tee kümmerst«, sagte Gwyn und blies in ihre Tasse, als ihr Kater, Sir Purrcival, auf den Tisch sprang. Gwyn versuchte seit Jahren, ihm das abzugewöhnen, aber die Tatsache, dass mittlerweile ein kuscheliges Katzenbett in der Mitte des Tisches stand, zeigte recht deutlich, wer diesen Kampf gewonnen hatte.

Er blinzelte mit leuchtend gelb-grünen Augen, die sich vom Schwarz seines Fells abhoben. Unterdessen schnaubte Rhys belustigt und goss heißes Wasser in seine eigene Tasse. »Ich bin mir meiner Stärken bewusst«, sagte er, ehe er zu ihnen kam und sich neben seiner Frau niederließ.

»Und einmal abgesehen von der Zauberexplosion scheint mir, dass ihr eine produktive Nacht hattet«, fuhr er fort. »Ihr habt den Ursprung der Geistergerüchte gefunden, ein paar Jugendliche wieder auf den rechten Weg geführt …«

»Das war alles Vivi«, versicherte Gwyn ihm. »Sie hat mich mit ihrem Nachdenkgesicht angeschaut, und ich war machtlos.«

»Ich habe kein Nachdenkgesicht«, widersprach Vivi, aber Rhys lachte und schüttelte den Kopf.

»Das hast du definitiv, mein Schatz. Es gehört zu meinen Lieblingsgesichtern und sieht in etwa so aus.«

Rhys runzelte die Stirn ein ganz klein wenig, seine Augen schienen in die Ferne zu blicken, und Gwyn schlug mit der freien Hand auf den Tisch.

»Das ist es! Gott, das ist fast unheimlich.«

Vivi setzte eine finstere Miene auf und schaute zwischen ihnen hin und her. »Wisst ihr was, mir gefiel es besser, als ihr euch noch nicht leiden konntet.«

»Ich mochte Gwyn schon immer«, protestierte Rhys, und Gwyn zuckte die Achseln. »Ich mochte dich nicht.«

»Arschgesicht«, maunzte Sir Purrcival schläfrig aus seinem Bett in der Mitte des Tisches, und Rhys sah den Kater böse an.

»Ich nehme an, das bedeutet, dass du immer noch keinen Erfolg damit hattest, den Sprechzauber rückgängig zu machen?«, fragte er Gwyn, und sie zuckte die Achseln.

»Steht nicht wirklich weit oben auf meiner Liste.« Dank eines magischen Unfalls im letzten Jahr konnte Sir Purrcival jetzt sprechen. Es hatte sich herausgestellt, dass die Gedanken von Katzen sich vor allem ums Fressen und Beleidigungen drehten, aber Gwyn hatte sich daran gewöhnt.

Sie lehnte sich über den Tisch, streichelte Purrcival, und er machte seinem Namen alle Ehre, indem er glücklich vor sich hin schnurrte. Auf der anderen Seite des Tisches schob Rhys die Hand in Vivis Nacken, die der Berührung, vermutlich unbewusst, ein wenig entgegenkam.

Und da war sie wieder, diese seltsame kleine Regung in Gwyns Magengrube, die auf keinen Fall so etwas wie Eifersucht oder Sehnsucht oder so etwas sein konnte, denn das waren Gefühle, zu denen Gwyn gar nicht fähig war.

Aber da war … etwas, und es gefiel ihr nicht.

Um sich davon abzulenken, dass sie möglicherweise Gefühle hatte, griff Gwyn über den Tisch hinweg nach dem kleinen Glas Lavendelhonig und gab etwas mehr davon in ihren Tee, ehe sie fragte: »Also, bald geht es auf die große Reise?«

»Ja«, antwortete Rhys, »und es wird dich sicher nicht schockieren zu hören, dass Vivienne bereits eine detaillierte Packliste hat. Ich dagegen …«

»Vielleicht sollten wir doch nicht fliegen.«

Vivi sagte es zögerlich und blickte zwischen Rhys und Gwyn hin und her. »Es ist nur … der heutige Abend hat mir wieder ins Bewusstsein gerufen, dass wir jetzt, da unsere Magie die Stadt speist …«

»Vivi, wenn du heute noch einmal das Wort ›Verantwortung‹ in den Mund nimmst, zaubere ich noch einen Geisterklumpen und lasse ihn direkt vor dir explodieren.«

»Aber das haben wir«, widersprach Vivi. »Und bald ist Halloween.«

»Bis dahin ist es noch mehr als ein Monat«, erinnerte Gwyn sie, und Rhys ergriff nickend die Hand seiner Frau.

»Und wir sind rechtzeitig wieder zurück.«

»Und ihr habt euch eure aufgeschobenen Flitterwochen verdient.«

»Das auch«, stimmt Rhys zu. »Außerdem willst du diese Reise schon ewig machen.«

Vivi biss sich auf die Unterlippe und überlegte. »Sie wäre wirklich sehr nützlich für meine Forschung.«

»Geh«, drängte Gwyn sie jetzt. »Hier wird es keine Probleme geben. Der Laden läuft super. Um diese Jahreszeit ist ohnehin nicht viel zu tun. Und um ehrlich zu sein, wäre ich gerne mal etwas für mich.«

Beides waren Lügen. Der Laden lief gerade gar nicht so gut, obwohl Halloween vor der Tür stand. Und Gwyn war sogar ein wenig allergisch gegen das Alleinsein, aber sie schenkte ihrer Cousine ein strahlendes Lächeln.

»Außerdem will ich Souvenirs. Kleine Wales-Flaggen, vielleicht so eine Art Plüschdrachen … oh, und wenn ihr Rhys’ Bruder seht, könnt ihr ihm für mich in die Eier treten?«

»Welchem Bruder?«, fragte Rhys und hob dann die Hand. »Ich meine, ich trete gerne beide. Ich muss nur sicherstellen, dass ich die passende Verteidigungsstrategie parat habe, sobald er wieder auf den Beinen ist.«

»Sie meint Wells«, erklärte Vivi, die jetzt zumindest ein klein wenig lächelte. »Sie ist immer noch nachtragend wegen der Hochzeit.«

Rhys verzog das Gesicht. »Also ich bin nicht nachtragend wegen der Hochzeit, und es war meine Hochzeit. Und es ist auch mein Bruder, nebenbei bemerkt.«

Gwyn zuckte die Achseln. »Hinterfrage nicht meine nachtragende Natur, Rhys. Ich bin ein Stier.«

Sie machte sich gar nicht erst die Mühe, zu erklären, dass ihr Groll auf Wells Penhallow nicht auf die Hochzeit zurückzuführen war, sondern viel weiter bis in ihre Jahre am College reichte. Aber wer einen Groll hegte, konnte auch ein Geheimnis bewahren.

»Also gut«, antwortete Rhys. »Wales-Flagge, Plüschdrache, entmannter Bruder, alles für dich bei unserer Rückkehr.«

Jetzt lachte Vivi und legte kurz den Kopf an Rhys’ Schulter.

»Okay, wenn ihr euch verbündet, komme ich nicht gegen euch an«, meinte sie. »Ihr habt recht. Alles ist gut, der Stadt wird nichts passieren, und wir fliegen wie geplant nach Wales.«

»Gott sei Dank«, seufzte Rhys und ließ sich in seinen Stuhl zurückfallen, während Gwyn über den Tisch hinweg nach Vivis Hand griff.

»Schau mal, wir hatten es schon mit einer verfluchten Stadt, einer sprechenden Katze und jetzt mit einem explodierenden Geist zu tun, und sind mit allem fertiggeworden. Was soll schon Schlimmeres passieren?«

Als die Tür des Raven and Crown sich öffnete, gab Wells sich tatsächlich für einen Moment dem törichten Glauben hin, es könnte ein Gast sein.

Immerhin war es ein regnerischer Abend Mitte September, üblicherweise die Zeit im Jahr, in der das Wetter in dieser kleinen Ecke von Wales kühl und stürmisch war, und das Pub versprach Wärme. Gemütlichkeit sogar. Im Kamin knisterte fröhlich ein Feuer, alles war mit altem, dunklem Holz verkleidet, und was noch wichtiger war, wenn man gerade aus dem Regen und der Kälte eines Herbstabends kam, es gab Alkohol.

Sogar eine ganze Menge davon, da Wells nur selten die Gelegenheit bekam, tatsächlich ein Getränk auszuschenken.

Als er also das Knarren der Tür und den Regen hörte, der draußen an die Fassade prasselte, stellte er sich bei den Zapfhähnen bereit, um der gerade eintretenden Person ein Pint zu zapfen oder ein Dram einzugießen, was auch immer gewünscht wurde.

Die Gestalt an der Tür murmelte vor sich hin und entledigte sich eines Übermantels mit Kapuze, und dann starrte Wells in eine ältere Version seines eigenen Gesichts.

Scheiße.

Kein Gast, nur sein Vater.

Simon Penhallow machte sich nur selten die Mühe, hinab ins Dorf Dweniniaid zu steigen, er bevorzugte die Gemäuer des etwas schaurigen Herrenhauses auf dem Hügel vor der Stadt. Tatsächlich erinnerte Wells sich, dass sein Vater das Raven and Crown in den letzten dreizehn Jahren nur zweimal besucht hatte.

Einmal an seinem ersten Tag, und da war er nur lange genug geblieben, um einen mürrischen Laut von sich zu geben, sich umzusehen, einmal zu nicken, was unter Penhallows als ein Zeichen des Wohlwollens zu werten war, und wieder nach draußen zu stapfen.

Das zweite Mal war im letzten Jahr, als Wells’ kleiner Bruder Rhys seinen Vater darüber informiert hatte, dass die Penhallow-Magie, die einst das Städtchen Graves Glen in Georgia gespeist hatte, nicht länger aktiv war, nachdem ein mächtiger Hexenzirkel sie verdrängt hatte.

Eine dieser Hexen war jetzt mit Rhys verheiratet, und das hatte Simon nicht besonders gut aufgenommen. Insgeheim dachte Wells, dass es gut für seinen Bruder war, mit einer Frau sesshaft zu werden, die recht vernünftig schien, wenn man einmal davon absah, dass sie sich in seinen Trottel von einem Bruder verliebt hatte, aber das war etwas, das er besser für sich behielt.

Als Wells also jetzt zusah, wie sein Vater sich den Schal vom Hals wickelte und ihn neben seinen Mantel hängte, verwandelte sich seine Enttäuschung über das Ausbleiben eines zahlenden Kunden in etwas anderes.

Misstrauen.

Was in aller Welt würde Simon dazu veranlassen, sich in einer Nacht wie dieser von seinen Büchern, Zaubern und diversen Machenschaften loszureißen?

»Guten Abend«, rief Wells, der bereits hinter der Bar nach der einen Whiskeymarke suchte, die sein Vater sich herabließ zu trinken. Er hatte ihn immer vorrätig für einen Moment wie diesen, und angesichts der Tatsache, dass das letzte Mal bereits ein Jahr her war, musste er die Flasche unauffällig mit dem feuchten Geschirrtuch an seinem Gürtel von dem Staub befreien, die sie angesetzt hatte.

»Nicht viel los hier«, meinte Simon und sah sich um, ehe er sich an die Bar setzte.

»Bei dem Regen bleiben vermutlich alle zu Hause«, sagte Wells, obwohl das selbst in seinen Ohren absolut lächerlich klang. Wann hatte Regen je irgendwen in ganz Wales davon abgehalten, ein Pub zu besuchen? Im ganzen Vereinigten Königreich.

Aber sein Vater ließ ihm seine Lüge, nickte gedankenverloren, nahm das Glas entgegen, das Wells ihm eingegossen hatte, und dann, zu Wells’ absolutem Entsetzen, stürzte er es in einem Zug hinunter.

Als er es mit einem Nicken und einem mürrischen »Noch einen« zurück auf die Bar knallte, gehorchte Wells und nahm sich dann selbst ein Glas, das er ordentlich füllte. Was auch immer seinen Vater in diese Stimmung versetzt hatte, würde schon bald auch Wells’ Problem sein.

Das war der Fluch des ältesten Sohnes.

Rhys würde sagen, dass er es insgeheim liebte, die rechte Hand seines Vaters zu sein, und obwohl Wells es widerstrebte, seinem kleinen Bruder je etwas zuzugestehen, solange es sich vermeiden ließ, musste er zugeben, dass es eine Zeit in seinem Leben gegeben hatte, als er damit nicht gänzlich falschgelegen hatte.

Immerhin war es einfach gewesen, das Lieblingskind zu sein. Rhys hatte es sich zur Aufgabe gemacht, ihren Vater gegen sich aufzubringen, und Bowen, der mittlere Bruder, schien in seiner eigenen Welt zu leben. Also ja, Wells hatte es gemocht, wenn der strenge Blick seines Vaters sich auf ihn gerichtet hatte, wann immer es etwas zu tun, Verantwortung zu übernehmen galt.

Aber nach vierunddreißig Jahren, von denen er die letzten dreizehn damit verbracht hatte, dieses schrecklich erfolglose Pub zu betreiben, musste Wells zugeben, dass er es ziemlich satthatte, der pflichtbewusste Sohn zu sein.

Und doch …

… stand er jetzt hier, goss seinem Vater Whiskey ein und wartete darauf, zu hören, was getan werden musste.