"Klagt in Leid..." - Georges Hellinghausen - E-Book

"Klagt in Leid..." E-Book

Georges Hellinghausen

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Beschreibung

Die Muttergottes-Oktave ist nicht nur das Herzstück der Luxemburger Marienverehrung, sondern schlägt als Herz des Luxemburger Katholizismus bis heute. Jedes Jahr kommen Abertausende von Pilgern aus dem In- und Ausland in den Mariendom der Hauptstadt des Großherzogtums. Das Buch geht der Entstehungsgeschichte dieser Wallfahrt nach und untersucht die Grundlage und Entwicklung der Rituale sowie den nationalen wie internationalen profan- und kirchengeschichtlichen Kontext.

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Titelseite

Georges Hellinghausen

»Klagt in Leid …«

400 Jahre Wallfahrt zu U. L. Frau von Luxemburg, Trösterin der Betrübten

Impressum

Dieses Buch wurde mit der finanziellen Unterstützung des Centre Jean XXIII – Grand Séminaire gedruckt.

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2024Alle Rechte vorbehaltenwww.herder.de

Umschlaggestaltung: Verlag Herder

Umschlagmotiv: Stadtpatronin im Sakristeifenster der Kathedrale von Luxemburg,Emile Probst und Louis Barillet 1938.Foto: Erzbistum Luxemburg

E-Book-Konvertierung: Daniel Förster

ISBN Print 978-3-451-39834-6ISBN E-Book (EPUB) 978-3-451-83982-5

Inhalt

Einleitung
I. Entstehung und Entwicklung der Wallfahrt zur Trösterin der Betrübten (1624–1795)
Vorgeschichte und Kontext
Gründerjahre
Exkurs 1: Marianische Sodalitäten und Bruderschaft der Trösterin der Betrübten
Exkurs 2: Wunderheilungen
Exkurs 3: Pilgerfahrt
Exkurs 4: Kevelaer
Wahl der Patronin von Stadt und Land (1666/1678)
Exkurs 5: »Marienweihe« bzw. »Erwählung«
Ancien Régime, Hoch-Zeit der Wallfahrt (1679–1795)
Exkurs 6: Oktav-Ablass
II. Neue Zeiten, Dekadenzzeiten (1795–1840)
Französische Revolution (1795–1801)
Unter dem Konkordat
Niedergang zur Zeit der Belgischen Revolution
Exkurs 7: Die Consolatrix Afflictorum in Kunst und Kultur
III. Wiederaufschwung (1840–1940)
Oktav-Revival unter Bischof Laurent (1842–48)
Entwicklungen im 19. Jahrhundert
Exkurs 8: Muttergottesbekleidung und -zierrat
1866: Erwählungsjubiläum und Cholera-Krise
Exkurs 9: Krönung von Marienbildern, Bedeutung?
Bistumsgründung 1870: die Trösterin als »Diözesanpatronin«?
Exkurs 10: Die »Luxemburger Ekklesiologie« von André Lesch
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts
Exkurs 11: »Die Kathedrale als Synthese des Landes« (Leo Lommel, 1936)
Exkurs 12: U. L. Frau von Luxemburg im Ausland
IV. Zweiter Weltkrieg und Wiederaufbau (1940–1962)
Die Oktave im Zweiten Weltkrieg
Wiederaufbau
Exkurs 13: Marianische Literatur (Poesie und Prosa)
Exkurs 14: Oktav-Geschichtsschreibung
Exkurs 15: Fest und Liturgie (Messe, Offizium) zu Ehren der Consolatrix Afflictorum
Exkurs 16: Oktavlieder und -musik
V. Moderne und Postmoderne (1962–2024)
Zweites Vatikanum und Oktavjubiläen
Exkurs 17: Oktavprediger
Exkurs 18: Der »(Oktav-)Mäertchen«
Säkularisierung und Entchristlichung
Schlussüberlegungen: Brüche und Konstanten
Zu den Anfängen
Zu den Erwählungen 1666/1678
Zum Ancien Régime
Zum 19. Jahrhundert
Zum Diözesanen
Heute
Zur Schlussprozession
Hauptsächliche Quellen und Literatur
Über den Autor

Einleitung

2024 sind es 400 Jahre, dass der Kult der »Trösterin der Betrübten« in Luxemburg entstanden ist – und damit die »Oktave«, Herzstück besagter Mariendevotion. Dieses Herz des Luxemburger Katholizismus schlägt bis heute. Die Muttergottes-Oktave als Pilgerzeit ruft bis dato jedes Jahr Abertausende von Wallfahrern aus In- und Ausland in den Mariendom der Hauptstadt des Großherzogtums.1 Wie ist diese Wallfahrt entstanden, was beinhaltet sie? Wie haben sich die entsprechenden Rituale entwickelt, was ist deren Grundlage? In welchem Kontext, profan- und kirchengeschichtlich, national wie international, hat das Event Gestalt angenommen? Das soll hier zur Sprache kommen.

Das vorgelegte Buch geht ein auf die Entstehung der Oktave nach der Aufstellung des Gnadenbildes der Trösterin der Betrübten auf dem freien Glacis-Feld vor den Festungsmauern der Stadt Luxemburg Ende 1624. Von zentraler Bedeutung wurden die beiden darauffolgenden »Erwählungen« oder »Weihen«: Maria, die Mutter Jesu, wurde 1666 offiziell als Patronin der Stadt und 1678 des Landes designiert und feierlich ausgerufen. Jährlich werden diese »Wahlen« in der Oktave und auch außerhalb erneuert. Das Buch thematisiert die markanten Entwicklungen der Oktave im Ancien Régime bis zur Dekadenzphase während der Französischen sowie der Belgischen Revolution um und nach 1800 sowie das Revival im 19. Jahrhundert. Die Dynamik zieht sich bis heute durch, mit vielen Brüchen und Transformationen im Lauf der Zeit. Die »nationale« Komponente wird erläutert, ebenso die verschiedenen Bestandteile, welche die Oktave als typisch erscheinen lassen, auch in ihrer transnationalen Dimension, »extra muros« sozusagen. Eine Herausforderung bestand darin, die Balance zwischen intern und extern zu halten.

Was hat es mit der Holzstatue auf sich, die als »Trösterin der Betrübten« (Consolatrix Afflictorum) verehrt wird, mit dem Schlüssel, den sie präsentiert, der Krone auf ihrem Haupt, den Stoffkleidern, die sie trägt? Welches ist die Interaktion zwischen einer jahrhundertealten Schutzpatronin und der sie umgebenden Bevölkerung, von einfachen Leuten bis zu höchsten Autoritäten, Fürsten und Politiker inbegriffen? Die Windungen der Geschichte werden erzählt, Entwicklungen beleuchtet, der gegenwärtige Kontext (Multikulturalismus, Säkularisierung) erläutert.

Eine aktualisierte Wallfahrtsgeschichte im Sinne der sowohl die Volksmentalität als auch die religiöse Praxis und deren Impakt auf das Kollektivverhalten berücksichtigenden »histoire religieuse« fehlte bislang, sieht man von Einzelbeiträgen, etwa Veröffentlichungen über die Wallfahrtskirche und allgemeine Entwicklungslinien der Oktave in institutionellen und kulturellen Zusammenhängen, ab. Diese Lücke soll hiermit annähernd geschlossen werden.

Das vorliegende Buch möchte ein gut lesbarer durchgängiger roter Faden durch 400 Jahre Luxemburger Marienwallfahrt, mit ihren Höhepunkten2 wie ihren Krisenmomenten3, sein, kannte die Oktave doch im Lauf ihres langen Bestehens Blütezeiten wie Tiefpunkte.

Es ist bei weitem nicht die erste Oktavgeschichte. Die Geschichtsschreibung setzte quasi mit dem Kult der Consolatrix Afflictorum und parallel dazu ein. Für das 19. Jahrhundert sind besonders zu erwähnen die bis heute relevanten Werke von Paul Aloys Am-Herd, »Maria die Trösterin der Betrübten oder Geschichte der Verehrung Mariä als der Schutzpatronin der Stadt und des Landes Luxemburg« (1855), und Louis Kuntgen SJ, »Histoire de Notre-Dame de Luxembourg« (1866). Hervorzuheben ist das umfassende marianische Gesamtwerk von Michael Faltz in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Löblich zu erwähnen sind auch an dieser Stelle Joseph Maertz, Michel Schmitt und, was Oktavreminiszenzen in den Altluxemburger Eifelgebieten angeht, Andreas Heinz aus Trier (Auw an der Kyll). Prickelnde Details liefert François Lascombes in seiner »Chronik der Stadt Luxemburg«. Drei handliche, einen guten Überblick bietende Zusammenstellungen zur Oktavwallfahrt hat Erzbischof Jean Hengen als Emeritus in den neunziger Jahren zu Papier gebracht. An der Theologischen Fakultät Trier wurden zwei gut recherchierte, leider unveröffentlichte Diplomarbeiten zur Oktavgeschichte geschrieben: eine von Émile André (1982) und eine von Luc Schreiner (2004). Giovanni Andriani beschäftigte sich in seinem in Nancy eingereichten »mémoire de maîtrise« mit der Wunderthematik um U. L. F. von Luxemburg (2004–2005). Jüngst hat Sonja Kmec die Oktave neuartig fokussiert und analysiert. Auch ich selbst habe mich mehrere Male zum einheimischen Marienkult geäußert. Das nun vorgelegte Opus möchte eine Oktavgeschichte im Sinn einer Gesamtschau sein, in der alle bedeutsamen Aspekte dieses vielschichtigen gesellschaftlich-religiösen Phänomens besprochen oder zumindest angeschnitten werden. Bereits 1934 haben Michael Faltz und Theodor Zenner eine kleine Synthese herausgegeben unter dem Titel »Deine Mutter. Kurze Geschichte der Andacht zur Trösterin der Betrübten für die Kinder«bzw. auf dem Deckelblatt »Kleine Geschichte des Gnadenbildes U. L. Frau von Luxemburg«. 2011 folgte ein weiteres Kinderbuch: »Maria, Mass a Mäertchen. Mit Pit in die Oktav«. Die nun hier vorgelegte Oktavgeschichte richtet sich an Erwachsene und zieht sich zeitlich von 1624 bis 2024, von Pater Jacques Brocquart, dem Begründer der Consolatrix-Verehrung in Luxemburg, bis zu Kardinal Jean-Claude Hollerich, dem derzeitigen Erzbischof – beide ­Jesuiten.

Das Thema eignet sich für ein chronologisches Vorgehen. Damit der Fluss nicht unterbrochen wird, kommen zeitübergreifende Einzelaspekte in ihrer Entwicklung und Bedeutung in thematischen Exkursen zur Sprache, welche die Unterkapitel ergänzen und erläutern. Sie können ganz oder zum Teil mitgelesen, bei einer raschen Lektüre aber auch ausgeklammert werden. Einige Wiederholungen erwiesen sich bei diesem Vorgehen als unumgänglich.

Die hier präsentierte Zusammenschau übersteigt die Domäne des strikt Historischen und verarbeitet notgedrungen auch Theologisches und Kulturelles – all dies gehört von der Sache her zusammen, da die Oktave ein komplexes religiös-gesellschaftliches Geschehen ist und als solches gedeutet werden muss. So wie denn auch versucht wird, das Oktavphänomen religionssoziologisch und spiritualitätsgeschichtlich einzuordnen.

Die Oktav-Literatur vergangener Zeiten ist oft apologetisch ausgerichtet und hagiographisch durchsetzt – hier gilt es, die darin enthaltene historische Recherche herauszukristallisieren und mit den Resultaten rezenter Forschungsarbeit zu verbinden, heutiger sachlicher Methodologie entsprechend. Die erbauliche Sprache und der trium­phalistische Stil von einst passen nicht mehr in unsere säkularisierte Zeit. Das war ein zusätzlicher Ansporn, diese neue Oktavgeschichte zu schreiben. Aus Quellen und Literatur geht hervor, wie sehr in den letzten 150 Jahren das katholische Verlagshaus Sankt Paulus, solange es bestand, durch seine Buchpublikationen, durch seine kontinuierliche Berichterstattung in Luxemburger Wort, Sonndesblad und Marienkalender sowie durch das Drucken unzähliger Consolatrixbilder und -bildchen unschätzbare Verdienste für die Verbreitung des Oktavgedankens und der Oktavspiritualität in der Luxemburger Bevölkerung hatte – eine Zeit, die nun um ist.

Tradierte Zahlen von Pilgern und Pilgergruppen sind besonders für die Frühzeit der Oktave mit Bedacht, cum grano salis, zu nehmen. Bei mehreren Quellen ergeben sich hier und da Differenzen. Diejenigen Angaben, die am realistischsten erscheinen, wurden übernommen. Gleiches gilt für geringfügige inhaltliche Unterschiede oder nicht übereinstimmende Datenangaben, die manchmal von Autor zu Autor variieren – für eine systematische Diskussion der verschiedenen Varianten kann hier nicht der Ort sein. Auch hierbei wurden die wahrscheinlichsten Informationen übernommen.

Für das kritische Überlesen des Manuskripts danke ich Frau Gilberte Bodson und Herrn Guy Weirich, für die großzügige Finanzierung des Bandes seitens des Luxemburger Priesterseminars »Centre Jean XXIII« Herrn Direktor Jean Ehret.

Ich widme das Buch allen Oktav-Pilgerinnen und -Pilgern, aus dem In- und Ausland.

Georges Hellinghausen

Luxemburg, 8. Dezember 2024,Fest der Unbefleckten Empfängnis,400. Jahrestag des Beginns der Verehrung der Trösterin der Betrübten in Luxemburg

1Tony KRIER, L’Octave de Notre-Dame de Luxembourg, Luxembourg 1969.

2M. F. [Michael FALTZ], Denkwürdige Tage in der Geschichte vaterländischer Marienverehrung, in: Luxemburger Marienkalender 1949, S. 19–26.

3Die Oktavprozession in den Stürmen der Zeit, in: Luxemburger Marienkalender 1948, S. 19–24.

I.Entstehung und Entwicklung der Wallfahrt zur Trösterin der Betrübten (1624–1795)

Vorgeschichte und Kontext

Lange vor dem Kult der Trösterin der Betrübten und seiner Verbreitung durch die Jesuitenpatres wurde in Luxemburger Kirchen und Kapellen seit dem Mittelalter die Muttergottes verehrt: in der Stadt Luxemburg, in Echternach, Clairefontaine, Marienthal, Vianden, Girsterklaus, Helzingen, der Wolflinger Klause usw.1 Zu Recht kann eine gewisse Kontinuität bis zum Grafen Siegfried zurückverfolgt werden, dessen 987 errichtete Kirche vor seiner Burg einen der Muttergottes geweihten Altar hatte.

Die Oktavwallfahrt zur Trösterin der Betrübten ist gebunden an die Bilderverehrung. Diese, auch bezogen auf die heilige Jungfrau, hatte sich durch die Ökumenischen Konzilien von Nizäa (787) und Konstantinopel (869/870) endgültig in der offiziellen Kirche durchgesetzt und wurde 1563 auf dem Trienter Konzil für die katholische Kirche nochmals bekräftigt. Das gab ihr einen neuen Impuls.

Dass Marienkult als Chiffre für Territorialbildung und Identität herangezogen wurde, wie es in Luxemburg der Fall sein sollte, findet sich ebenfalls bereits im Mittelalter. Um 1200 suchten die Bischöfe von Lausanne auf dem langen Weg zum Fürstbistum innere Spannungen zwischen Bischof und Domkapitel sowie Abhängigkeiten vom Kaiser dadurch abzubauen, dass sie die Jungfrau Maria für diese Zwecke einsetzten: Der Bischof betrachtete sich als Vasall (lediglich) der Jungfrau und ließ sich kniend vor der Madonna darstellen, u. a. auf dem Stadtsiegel. Maria wurde zur Patronin des Bistums und als »weltliche« Herrin für die Stadt erkoren, was sich in Huldigungsformeln und Dokumenten wie Rechtsakten ausdrückte, die auf dem Marienaltar der ihr geweihten Kathedrale deponiert wurden.2

Marienkult im 17. Jahrhundert

Für Luxemburg muss an dieser Stelle der internationale3 und großregionale4 Kontext bedacht werden. In den Spanischen Niederlanden, zu denen das Herzogtum Luxemburg seit 1555 gehörte, kamen mehr als anderswo zu Beginn des 17. Jahrhunderts, besonders zwischen 1610 und 1640, Marienwallfahrten auf, die von den weltlichen Herrschern, den Regenten der Niederlande Albert und Isabella (Tochter König Philipps II. von Spanien), stark gefördert wurden: Scherpenheuvel/Montaigu, Hal (bei Brüssel), Brüssel, Laeken, Namür, Foy (bei Dinant), Marchienne-au-Pont (bei Charleroi), ­Lüttich, Ypern, Lille, Cortenbosch-Limburg, Duffel (bei Antwerpen). In Belgien entstanden somit in etwa vierzig Jahren dreizehn neue Marienwallfahrten, so wie denn allgemein das Wallfahrtswesen einen ungeahnten Aufschwung nahm, allerdings mit der Eigenart, dass es sich nun um regional beschränkte Wallfahrten handelte und nicht mehr um die großen internationalen Fernwallfahrten nach Rom, Jerusalem und Santiago de Compostela. Solche Nahwallfahrten, die im Gefolge des Reformkonzils von Trient (1545–1563) entstanden waren, entwickelten sich im Sinn einer überschwänglich-triumphalistischen Barockfrömmigkeit mit vielen gemeinsamen Bestandteilen: aufgefundenes und verehrtes Gnadenbild, Kapellenbau und später größerer Kirchenbau, wunderbare Heilungen mit Einträgen in Mirakelbücher, Lichterscheinungen, neue Bruderschaften, Anfertigung von Kopien des Gnadenbildes, zusätzlich Druckbilder und Medaillen, Geschenkgaben und schließlich offizielle Erwählung der Muttergottes zur Patronin der Stadt, Wallfahrtsbücher, Gebete und Wallfahrtslieder, Förderung durch Ordensgemeinschaften, besonders durch die Jesuiten, aber auch durch die Kapuziner, Franziskaner und Dominikaner. Bei diesen Wallfahrten – Luxemburg war also kein Einzelfall – suchte die von nicht endenden Kriegsnöten, besonders des Dreißigjährigen Kriegs, und Pestausbrüchen (vor allem 1626 und 1636) arg gebeutelte und erschütterte Bevölkerung überirdische Hilfe in ihrem Leid. Für Luxemburg waren von den 100 Jahren des 17. Jahrhunderts insgesamt 71 Kriegsjahre, mit Ausschreitungen und Verwüstungen durch die feindlichen wie die befreundeten Armeen auf seinem Territorium: Dreißigjähriger Krieg 1618–1648, spanisch-französischer Krieg 1648–1659, der Krieg um die Spanischen Niederlande bis 1668, der Krieg um Holland, beendigt 1678, der Krieg um die Festung Luxemburg unter Ludwig XIV., wodurch nach monatelanger Festungsbelagerung Luxemburg 1684 an Frankreich überging, bevor es 1697 wieder zurück an Spanien fiel. Auch das Erzbistum Trier, das bereits seit dem Mittelalter viele Marienwallfahrten und -Bruderschaften zu verzeichnen hatte, wurde im 17. Jahrhundert um zwölf neue Wallfahrtsorte bereichert. »Die neue Luxemburger Wallfahrt repräsentiert […] die marianische Grundtönung des Wallfahrtswesens in der Frühen Neuzeit im Erzbistum Trier.«5 In den Aufbau dieser westeuropäischen Sakrallandschaft ist die Luxemburger Wallfahrt einzureihen. Im Gebiet des heutigen Großherzogtums ließ die Barockfrömmigkeit neue Marienwallfahrtsorte entstehen oder brachte schon bestehende zu neuer Blüte: Girsterklaus, Helzingen, Rosenkranzkapelle der Dominikaner neben dem Fischmarkt in Luxemburg-Stadt, Franziskanermadonna auf dem »Knuedler«, Wolflinger Klause, Muttergotteskapelle in Echternach, »Bildchen« in Vianden, Loreto-Kapelle in Clerf, Mont-Marie in Ansemburg.6

Innovationspolitik der Jesuiten

Näherhin ist der entstehende Bittgang zur Trösterin der Betrübten Ausfluss des Apostolats der ab 1594 endgültig in Luxemburg eingepflanzten Jesuitengemeinschaft, die aus Belgien gekommen war.7 In der Spiritualität des Hl. Ignatius von Loyola, Gründer des Jesuitenordens (Gesellschaft Jesu), spielte die Muttergottes, nicht zuletzt als Trösterin der Betrübten, eine bedeutende Rolle, was sich wie selbstverständlich auf die jesuitische Spiritualität seiner Mitstreiter übertrug.8 Die Luxemburger Jesuiten brachten mit ihrem Studienkolleg (1603 gegründet), ihrer Kirche (1621 vollendet) und ihrem auf pastoralen Tätigkeiten beruhenden religiösen Erneuerungsprogramm (Volksmissionen auf dem Land, katechetische Arbeit, Bruderschaften, marianische Kongregationen oder Sodalitäten, d. h. Vereinigungen, um durch Marienverehrung und religiöse Übungen ein tugendhaftes christliches Ideal zu verwirklichen) den Marienkult und damit das religiöse Leben im Herzogtum Luxemburg zu einem bedeutenden Aufschwung. Das konfessionelle Motiv, nämlich die gegenreformatorische Abschottung des katholischen Luxemburg gegen Infiltrationen von protestantischem Gedankengut von Nordwesten her (Herrschaften Manderscheid, Schleiden und Kronenburg in der Eifel) und aus dem französischen Süden (Sedan und Gaume-Gegend), spielte dabei keine unbedeutende Rolle.9 Dem sich verbreitenden Protestantismus mit seinem Hang zu Verinnerlichung und vergeistigter Glaubenspraxis hatte das katholische Reformwerk des Konzils von Trient eine ausgeprägte Marien- und Heiligenverehrung vermittels Bilder- und Reliquienkult sowie des Pilgerns oder von Bittgängen entgegengesetzt.10 Dadurch sollte den Gläubigen, neben religiöser Vertiefung, eine neue Freude am Glaubensleben vermittelt werden. In relativ kurzer Zeit haben die Jesuiten diesen neuen Geist, verbunden mit einem erwachenden religiös-kirchlichen Lebensgefühl, verbreitet. Hierin liegt die Wiege und das Verständnis der Wallfahrt zur Consolatrix Afflictorum, in welchem sich im Herzogtum Luxemburg das erneuerte katholische Selbstverständnis und Selbstbewusstsein des Trienter Konzils kristallisierte.

So wie in Luxemburg ließen die Jesuiten in vielen Städten, wo sie wirkten, eine Wallfahrt zu einem Muttergottesbild entstehen. Pilgern wurde u. a. zu einem konfessionellen Unterscheidungsmerkmal. »Letztlich manifestierte sich in den marianischen Nahwallfahrten die Sorge um den echten Glauben nach den vielen Wirren, Unsicherheiten und Herausforderungen des kirchlichen Lebens durch die Glaubensspaltung und während des Dreissigjährigen Krieges, auch wenn bei den öffentlichen Instanzen die Abwendung von ›Pest, Hunger und Krieg‹ verständlicherweise im Vordergrund stand.« (Michel Schmitt)11

Marienverehrung in Luxemburg war nach 1600, wie bereits erwähnt, nicht neu. Nach dem Trienter Konzil galt Maria, die »ohne Erbsünde« Empfangene, als Idealbild für ein durch und durch christliches Leben. Die Mariendevotion bestand auch später in vielerlei Formen parallel zu dem von den Jesuiten verbreiteten Consolatrix-Kult. Bei den seit 1621 in Luxemburg wirkenden Kapuzinern etwa entwickelte sich 1626 eine Wallfahrt zu U. L. Frau vom guten Tod, die sich bis zur Französischen Revolution hielt. Die Dominikaner in der Michaelskirche auf dem Fischmarkt verehrten die Rosenkranzkönigin, 1626 wurde dort die erste Messe ihr zu Ehren gestiftet. Die Zisterzienserinnenabtei Clairefontaine besaß ein weitbekanntes Gnadenbild Mariens. Bei den seit 1627 in Luxemburg ansässigen Augustinerinnen der Kongregation U. L. F. (später umbenannt in »Sainte-Sophie«) gehörte die Marienverehrung sowieso zur DNA. In der Münsterabtei gab es seit dem 12. Jahrhundert eine Wallfahrt zu U. L. F. von Münster, bei den Franziskanern in der Oberstadt wurde die Statue der Schwarzen Notmuttergottes verehrt, die sich heute in Stadtgrund befindet.12 »Die Förderung der Muttergottesverehrung in dieser Zeit ist kein Monopol der Jesuiten. […] Der Umstand allerdings, daß schlagartig im selben Moment die Stadtklöster pastoral in dieselbe Kerbe schlagen, dürfte wohl auf den großen Erfolg, welcher von Anfang an der spektakulären Initiative P. Brocquarts beschieden war, zurückzuführen sein.«13 So erklärt sich auch, warum es anfänglich gegen die Wallfahrt der Jesuiten einigen Widerstand gab. »Die Verehrung Mariens unter diesen verschiedenen Titeln führte dann auch zu einer Art Konkurrenzdenken.« (Emile André)14 Doch wurde ab 1640 die Verehrung der Trösterin der Betrübten Gemeingut aller luxemburgischer Klöster.

Im damals luxemburgischen Bastnach (Bastogne) gab es seit 1630 auf dem Hügel »Bonne-Conduite« ein Marienbild, das womöglich in Beziehung zu dem aus Foy zu sehen ist, und seit 1671 eine Kapelle, die von Pilgern aufgesucht wurde.15 In Arlon organisierten die Kapuziner ab 1654 den Marienkult auf dem Donatushügel für ihre Stadt.16 Ähnliche Marienverehrungsorte entstanden auf dem Mont-Marie bei Ansemburg im Eischtal, in Echternach (Muttergotteskapelle vor der Stadt) und Clerf (Loreto-Kapelle).

Die zu Beginn des 17. Jahrhunderts in Luxemburg entstehende Wallfahrt zur Trösterin der Betrübten wird die Grundlage für einen einheimischen Patriotismus legen, eine auch in anderen Ländern aufkommende und sich durchziehende Entwicklungslinie, die Papst Johannes Paul II. 1995 folgendermaßen auf den Punkt bringen wird: »Im Christentum stellt nämlich die Gestalt der Gottesmutter eine großartige Quelle der Inspiration nicht nur für das religiöse Leben dar, sondern auch für die christliche Kultur und selbst für die Vaterlandsliebe. Dafür gibt es im historischen Erbe vieler Nationen Beweise […]. Die Mutter des Gottessohnes ist für einzelne Menschen und für ganze christliche Nationen zur ›großen Inspiration‹ geworden.«17

Gründerjahre

1624 kann man als das Gründungsjahr der Oktavwallfahrt ansehen.18 Die Entwicklung, die hier in Gang kommt, ist nachhaltig verbunden mit der Gesellschaft Jesu und ihrer Tätigkeit in Luxemburg, nicht zuletzt der durch sie ins Leben gerufenen marianischen Studentensodalitäten.19

Am 8. Dezember 1624, dem Fest der unbefleckt empfangenen Gottesmutter Maria (Immakulata), trugen Schüler aus dem Jesuitenkolleg, die meisten wohl Sodalen, eine hölzerne, polychromierte Marienstatue durch die Straßen der Stadt Luxemburg hinaus auf das »Glacis«, jenes freie, den Festungsanlagen vorgelagerte Gelände, das an Gärten und einen Waldrand stieß – auch im Ausland (Lüttich, Lille) trugen Sodalen bei Prozessionen regelmäßig Marienstatuen auf ihren Schultern durch die Stadt. Hinter der Initiative in Luxemburg stand der Studienpräfekt aus dem Kolleg, Pater Jacques Brocquart, gebürtig aus Diedenhofen.20 Die Absicht, eine Wallfahrt zu begründen, musste er anfänglich gegen den Willen seines Oberen durchsetzen. Die Statue wurde an einem kurz zuvor aufgestellten Kreuz befestigt, auf einem Landstück von etwa dreißig Ar, das ihm Gönner, der Rechtsanwalt Melchior Wiltz (Garten) und der Stadtschöffe Franz Meiss (Grundstück), großherzig abgetreten hatten. Bald wurde die Statue ein Anziehungspunkt für Bürger der Festung, die mit ihren existenziellen Sorgen und Nöten hierher zum Beten kamen: Ausgangspunkt der späteren »Oktave«.

Das Gnadenbild ohne die traditionelle Bekleidung, so wie es am 8. Dezember 1624 auf dem Glacis aufgestellt wurde. Es handelt sich um eine polychromierte Holzskulptur von vor oder nach 1600. Foto: Georges Hellinghausen.

Dem aus Lindenholz geschnitzten Bild wurde von Brocquart, wohl mit Blick auf die missliche Zeitlage, der Titel »Trösterin der Betrübten« verliehen, ein Titel, der auch sonst im Umlauf war.21 Doch stellt die Statue keine Mater Dolorosa dar, wie der Titel nahelegen könnte, sondern Maria als Apokalyptische Frau auf der Mondsichel, ­majestätisch, das Jesuskind auf ihrem Arm tragend. Sie verweist auf das biblische Buch der Geheimen Offenbarung des Johannes, Kapitel 12, wo es heißt: »Dann erschien ein großes Zeichen am Himmel: eine Frau, mit der Sonne bekleidet, der Mond zu ihren Füßen und ein Kranz von zwölf Sternen auf ihrem Haupt […]. Und sie gebar ein Kind, einen Sohn, der über alle Völker mit eisernem Zepter herrschen wird.« Diese Bibelstelle, ursprünglich ein Hinweis auf das personifizierte Volk Gottes des Judentums, aus dem der Messias hervorging, war durch eine spätere Tradition mit der Gottesmutter in Verbindung gebracht worden und findet sich ikonografisch in zahlreichen Immakulata-Darstellungen, so auch der hier besprochenen Holzskulptur, abgebildet.

Die Glacis-Kapelle

Ab 1625 kamen vereinzelte Pilger und Gruppen zu diesem Bild auf dem Glacis, so dass Pater Brocquart beschloss, der Stelle eine bleibende Struktur zu geben. Er plante eine Kapelle und begann 1625 mit dem Bau. Warum auf dem Glacis-Feld, wo wegen potenzieller Kriegsmanöver eigentlich nicht gebaut werden durfte? Wohl damit diejenige, die dort verehrt wurde, auch bei militärischer Gefahr nahe an den Festungsanlagen angerufen werden konnte. Vorbilder gab es im Ausland. So wurde Maria als »Notre-Dame des Remparts« in Ypern und in Namür verehrt. In Luxemburg erteilte der Gouverneur (Vertreter des Königs), Graf von Berlaymont, ein günstiges Gutachten der Festungsingenieure aufgreifend, die Erlaubnis zum Kapellenbau nahe an der Festung. Bei der Grundsteinlegung waren der Gouverneur, Vertreter der Stände sowie zahlreiche Stadtbürger anwesend. Es war eine Zeit des Krieges und der Pest: Holländische Freibeuter plünderten die Ortschaften an der Sauer, u. a. Diekirch; die Franzosen standen kurz vor einem Angriff auf den Süden des Herzogtums. 1626 brach schließlich die Pest aus.22

P. Brocquart wurde 1626 von der Pest befallen. In einem Gelübde versprach er, im Fall einer Genesung mit umso größerem Eifer die Kapelle fertigzubauen. Das geschah, und so konnte das kleine Heiligtum fertiggestellt werden und die Muttergottesstatue aufnehmen. Am 5. August 1627, Fest »Maria Schnee«, wurde das erste feierliche Hochamt in der Glacis-Kapelle zelebriert. Am 10. Mai 1628 wurde sie vom Trierer Weihbischof Georg von Helffenstein – er hielt sich während mehrerer Wochen zur Visitation und zur Erteilung der Firmung im Luxemburgischen auf –, unter Assistenz der Äbte von Neumünster/Luxemburg und St. Maximin bei Trier sowie im Beisein der Zivil- und Militärinstanzen aus Stadt und Land, konsekriert. Das Heiligtum war eine Rotunde mit Kuppel, die dem Rundbau der Basilika von Montaigu, die zur selben Zeit vollendet wurde, ähnelte. (Da das römische Pantheon im 7. Jahrhundert in eine Marienkirche umgewandelt worden war, wurde die Kuppelarchitektur für Marienkirchen bevorzugt.)23 Zahlreiche Geschenkgaben hatten Bau und Ausschmückung der Kapelle möglich gemacht.24

Die Kapelle wurde zu einem Pilgerziel, zunächst für die Einwohner der Stadt, nach einigen Jahren auch aus den entlegeneren Landesteilen, besonders als der Dreißigjährige Krieg mit seinen Schrecken das Herzogtum heimsuchte. Von Anfang an war von auffallenden, wunderbaren Gebetserhörungen, d. h. Krankenheilungen, die Rede, die ab 1639 in sogenannten »Mirakelbüchern« notiert wurden; diese wurden später immer wieder ergänzt und neu aufgelegt.

Viele Menschen wurden von dem Muttergottesbild angezogen: 1630 sollen es in einem Monat 12.000 und in fünf Monaten 60.000 gewesen sein, auch wenn letztere überlieferte Zahl eine rhetorische Übertreibung sein mag. 1632 wurde in der Kapelle auf dem Glacis eine erste »Oktave«, d. h. eine Marienwoche mit Gebeten und Gottesdiensten, für die Jugend, besonders aus dem Kolleg, gefeiert; an einem eigenen Bittgang dorthin nahmen die Ordensleute aller Klöster teil – Anfang dessen, was wir noch heute als »Oktav« bezeichnen. 1.500 Bildchen der Muttergottesstatue wurden verteilt. Bereits 1628 hatten die Jesuiten Richtlinien herausgegeben, um Missstände bei Wallfahrten zu verhindern und die echte Pietas zu fördern.

1632 wurde eine Statue der Luxemburger Madonna in Chastrès-lez-Walcourt, ebenso in einer Kapelle in Floreffe (beide Ortschaften in der belgischen Provinz Namür) aufgestellt, 1636 in Saint-Vincent bei Étalle (heutige Provinz, damals Herzogtum Luxemburg).

1635, als Spanien Frankreich den Krieg erklärte, prallten im Herzogtum kaiserliche, französische, lothringische, kroatische und polnische Truppen aufeinander. Die Soldateska brandschatzte und verwüstete das Land. Zudem brach 1636 erneut die Pest aus, heftiger als zuvor,25 so dass nebst Dank- und Bittprozessionen vom Luxemburger Stadtrat in der Kollegskirche der Jesuiten die Pestheiligen Hadrian, Sebastian und Rochus als Schutzpatrone der Stadt erwählt wurden – seit dem späten Mittelalter hatte der Hl. Quirinus (Sankt Grein) als Patron der Stadt rangiert, der nahe der Mündung der Petrus in die Alzette im Stadtgrund in einem Felsenheiligtum gegen verschiedene Krankheiten und Leiden, und das noch bis Mitte des 20. Jahrhunderts, angerufen wurde. 1544–1680 wurde ihm zu Ehren eine jährliche, von Provinzialrat und Stadtmagistrat gelobte Prozession abgehalten. Die »Hadrianus-Prozession«, Gelöbnis des Jahres 1636 – es wurde im Cholerajahr 1832 von der Stadt erneuert –, hielt sich bis zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Der nun aufkommende Kult der Trösterin der Betrübten ließ diese Heiligen zurücktreten.26

Nach der Pest erlebte die Glacis-Wallfahrt einen sensationellen Aufschwung. War die Andacht zur Trösterin der Betrübten bis dahin die Privatangelegenheit einzelner Pilger gewesen, so kamen nun ganze Ortschaften in geschlossenen Prozessionen und brachten dicke Wachskerzen als Geschenke mit. Jung und Alt, Adel und Volk beteiligten sich. Die Gouverneure von Embden, Beck und d’Havré besuchten die Kapelle, bevor sie in den Krieg zogen. Beck schrieb seine militärischen Erfolge der Trösterin der Betrübten zu. Ein regelrechter Wallfahrtsbetrieb setzte ein, um den sich entwickelnden Massenandrang zu ordnen und zu kanalisieren. Bilder und Medaillen des Gnadenbildes wurden massenhaft für die Pilger angefertigt.

Wie sehr sich der Consolatrix-Kult nun ausbreitete, beweist auch die Tatsache, dass bald nach der Pestepidemie mehrere Marienkapellen auf dem Land errichtet wurden, die dem Glacis-Heiligtum nachempfunden waren: in der Nähe von Dasburg, Oberkail und Igel (alle drei Ortschaften heute jenseits der deutsch-luxemburgischen Grenze gelegen) – letztere ausdrücklich der Trösterin der Betrübten geweiht und mit Nachbildung des Luxemburger Gnadenbildes. Denn auch bis an die Randgebiete des Herzogtums um Trier, das Saargebiet, Bitburg, Neuerburg und St. Vith hatte sich die neue Frömmigkeitspraxis ausgedehnt, Wallfahrer mobilisiert und Wunderheilungen zugunsten der Einwohner besagter Gegenden aufkommen lassen.

Heilungs- und andere Wunder

1639–40 stellte einen Höhepunkt der Wallfahrt dar, mitten in den Verheerungen des Dreißigjährigen Krieges. Tausende von Messen wurden gelesen, Abertausende beichteten in der Kapelle. Pilger mussten stundenlang warten, bevor sie in die Kapelle eingelassen wurden. Wegen des bedeutenden Zulaufs und der dort besonders seit 1639 verzeichneten Wunder – die spektakuläre Heilung der Johanna Goudius (Gaudius), gelähmte und stumme Tochter eines Provinzialratsmitglieds, hatte für Furore gesorgt27 – wurde die Gnadenkapelle auf dem Glacis rasch zu klein. So wurde in demselben Jahr 1639, als außergewöhnlich viele Pilgermassen in die Stadt strömten, eine spezifische Wallfahrtswoche eingeführt. Deren Ablauf bildet die Grundstruktur für die Oktavfeierlichkeiten bis heute: Zum ersten Mal wurde wegen des großen Andrangs der Pilger die Statue der Trösterin für acht Tage in die Jesuitenkirche in die Stadt gebracht und nachher, mit einer groß angelegten Prozession, wieder in die Wallfahrtskapelle vor den Toren der Stadt zurückgetragen. Bald bürgerte sich diese Sitte ein, die Statue für die Zeit solcher Oktaven bzw. wenn der Stadt militärische und andere Gefahren drohten, zur Verehrung intra muros, in die innerstädtische Jesuitenkirche, zu tragen und danach wieder zurück in das Kapellenheiligtum. Auf diese Weise wurde die Jesuitenkirche vorübergehend zur Wallfahrtskirche – heute ist sie es permanent, besonders zur Oktavzeit. So war auch die Schlussprozession der Oktave entstanden, die sich über die Jahrhunderte und bis dato erhalten hat, als Höhepunkt und Abschluss der jährlichen Pilgerzeit.

Die ursprüngliche und die neue Glacis-Kapelle. Das erste Heiligtum stand von 1628 bis 1796, als es abgerissen wurde. Die neue Kapelle wurde knapp 90 Jahre später, 1884–85, in unmittelbarer Nähe und in Erinnerung an die erste, errichtet. Zeichnung von Michel Engels, Ende des 19. Jh.

1639-40 wurden Berichte über wundersame Lichterscheinungen um die Kapelle sowie um das Gnadenbild verbreitet. Da der Zulauf der Pilger stetig anwuchs, auch die spektakulären Heilungswunder und auffallenden Gebetserhörungen sich vermehrten, musste der ursprüngliche Kuppelbau bereits ab 1640 durch einen rechteckigen Anbau, der als Chor und Sakristei diente, vergrößert werden. Am 5. Juli 1642 wurde die Konsekration des Neubaus durch den Trierer Weihbischof Otto von Senheim vorgenommen.28 Weihegeschenke und Gaben von Wohltätern dienten der Ausstattung und Ausschmückung der Kapelle: »So sehr hatten sich nach und nach die Opfergaben vermehrt, dass Alles in Silber und Gold, Perlen und Edelsteinen prangte.«29 Zu den Geschenkgebern gehörten auch betuchte Verwandte von Pater Brocquart.

Nach 1640 entwickelte sich die lokale Wallfahrt auf dem Glacis zu einem wichtigen Aspekt der Volksfrömmigkeit für Stadt, Land und Region. Pilger kamen nun nicht mehr nur aus dem Herzogtum, sondern immer mehr auch aus dem benachbarten Trierer Land, der Saargegend, aus der Nordeifel und dem Kölner Raum sowie aus Lothringen. Weit über die Grenzen des Herzogtums hatte sich der Ruf vom Luxemburger Gnadenbild verbreitet. Besonders empfänglich dafür waren die Orden, vor allem die Jesuitenniederlassungen und -schulen in den Spanischen Niederlanden. Mit unterschiedlichem Erfolg wurde die Andacht zur Trösterin eingeführt in Cambrai, Valenciennes, Ath, Maubeuge, Lüttich, Namür, Mons, Huy und Neuß. Große Begeisterung zeigten die Sodalen, wiederum besonders an den Jesuitenkollegien, für die marianische Sache. 1652 führten diejenigen des Luxemburger Kollegs ein Theaterstück über die Trösterin der Betrübten auf. Auch die weibliche Jugend in der Schule der Schwestern der »Congrégation de Notre-Dame« (»Sainte-Sophie«), in der Jesuiten als Seelsorger tätig waren, pflegten die Andacht zur Consolatrix Afflictorum. Das Mirakelbuch »Wunderwerck«, Werbeschrift, das die Jesuiten drucken und verbreiten ließen, berichtete über die Entstehung der Wallfahrt sowie belobigend über die auf die Intervention der Trösterin der Betrübten zurückgeführten, notariell beglaubigten Heilungen. Dieses »Wunderwerck« wurde auch in den Jesuitenkollegien von Neuß, Münstereifel, Köln und Trier gelesen. Allgemein wird der Erfolg der Wallfahrt nach Luxemburg sich auch aus den Zeitumständen und besonders den harten Lebensbedingungen erklären, welche die Menschen damals religiös zu verarbeiten und zu bewältigen suchten: Krieg auf weiten Strecken und während langen Jahrzehnten, Missernten, Hungersnot, Pest, verunsicherter Glaube durch den Protestantismus an den Grenzen des Herzogtums.

1642 begann die Wallfahrt in Kevelaer am Niederrhein, wohin vordem in Luxemburg stationierte hessische Soldaten ein kleines Andachtsbild der Luxemburger Trösterin, als Gewandfigur dargestellt, mitgenommen hatten: ein weiterer Beleg für die Ausstrahlung und Fernwirkung des Luxemburger Marienkultes über die Grenzen des Herzogtums hinaus.

Das Gnadenbild

Kristallisationspunkt der von den Luxemburger Jesuiten initiierten Andacht war von Anfang an jene 73 cm hohe Marienstatue aus Lindenholz, die als Gnadenbild der »Trösterin der Betrübten« bis heute in der Luxemburger Kathedrale im Mittelpunkt steht und deren Raumbild beherrscht.30 Zunächst vor den Stadttoren, dann in der Glacis-Kapelle und zeitweise in der Jesuitenkirche aufgestellt, blieb sie endgültig dort, als die Muttergotteskapelle während der Französischen Revolution 1796 abgetragen wurde. Das Gnadenbild U. L. F. trägt bis heute, als Relikt aus der Zeit der Zugehörigkeit zu Spanien, eine Gewandung, so wie man sie auch, aber nicht ausschließlich, in den restlichen Territorien der früheren Spanischen Niederlande (Belgien) bzw. anderer Länder, die zur spanischen Krone gehört haben, beibehalten hat, wie etwa den Philippinischen Inseln oder den süd- und mittelamerikanischen Staaten. Diese der Statue übergezogenen steifen Stoffkleider entsprechen einer Mode, die bis ins Spätmittelalter zurückreicht, und sie betraf nicht nur Marienstatuen.

Die Marienstatue mit Bekleidung, auf dem während der Oktave jeweils aufgerichteten »Votiv«-Altar mit Exvoto-Herzen. Foto: Nicole Knoch.

Zierrat und figürlich-plastische Präsentation des Luxemburger Gnadenbildes haben sich im Lauf der Zeit geändert.31 Ab 1640 zeigen die Nachbildungen es in feierlicher, weiter Gewandung und mit Krone, so auch das Jesuskind. Dazu ein Zepter in der rechten Hand der Gottesmutter, die Erdkugel in der linken Hand des Jesuskindes. Kettengehänge (geschenkte Halsketten, lange Perlenschnüre), die die Statue über den Kleidern von Anfang an trug, werden ihr heute nicht mehr umgehängt, auch nicht mehr das ihr vermachte Goldene Vlies des Grafen von Elter – um die restaurierten Kleider möglichst zu schonen. Nach 1667 kam der goldene Schlüssel dazu, Ausdruck ihrer Schutzherrschaft über die Stadt, 1866 das goldene Herz der Dienstmädchen aus der Stadt Luxemburg; beides trägt die Statue am rechten Arm. Vorher hatte Bischof Johannes Theodor (Jean-Théodore) Laurent in den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts die breite Gewandung gotisieren, d. h. zu einem Kegel verengen lassen – so zeigt sich die bekleidete Statue bis heute. Unter Bischof Koppes kam zum Zierrat der ebenfalls an der rechten Hand aufgehängte Rosenkranz dazu, Ausdruck der unter Papst Leo XIII. sich ausbreitenden Rosenkranzandacht gegen Ende des 19. Jahrhunderts.

Die Herkunft der Statue ist bisher nicht geklärt. Wann und von wem sie geschnitzt wurde, dazu gibt es mehrere Hypothesen. Eine davon besagt, sie stamme von Daniel Müller, einem Künstler aus Freiberg/Sachsen, der sich in Luxemburg niedergelassen und im Dienst der Jesuiten gearbeitet hatte (Teile ihrer Kirche, besonders die Empore und das Hauptportal, stammen von ihm); die Statue sei möglicherweise eine Nachbildung einer älteren Skulptur im Besitz der Luxemburger Jesuiten. Eine zweite Hypothese sieht die Statue in Zusammenhang mit dem Gnadenbild von Montaigu.32 Dort war um 1600 eine Wallfahrt um eine Marienstatue entstanden, die so bedeutend wurde, dass Kopien davon nachgeschnitzt und in alle Welt verteilt wurden; die Luxemburger Statue sei ein Ableger hiervon (tatsächlich hat sie einige Züge, die an das Montaiguer Bild erinnern), zumal der Kult der Madonna von Montaigu von den Luxemburger Jesuiten gefördert wurde und sie 1613 eine Nachbildung jener Statue in ihrer Kapelle aufgestellt hatten.33 Die dritte Hypothese – von Muriel Prieur gelegentlich der Restaurierung der Statue 2008 thematisiert34 – besagt, die Holzskulptur könne eventuell älter sein als die Zeit, wo sie begann Geschichte zu machen; sie habe als spätgotische bzw. frühbarocke Statue schon vielleicht Ende des 16. Jahrhunderts existiert und sei vom deutschen Kulturraum beeinflusst.35 Die Legende, das Gnadenbild sei von Jugendlichen an einer Eiche beim Crispinusfelsen in der Stadt Luxemburg entdeckt worden, wohin es dreimal zurückgekehrt sei, ehe es von Pater Brocquart und seinen Studenten auf das Glacis getragen wurde, kam erst viel später auf.36

Die Statue wurde mannigfach auf Abbildungen reproduziert, besonders nach 1678, als die Trösterin der Betrübten zur Patronin des Landes erkoren worden war. Doch längst vor diesem Ereignis und selbst vor der Erwählung zur Stadtpatronin 1666 hatte Pater Rutius SJ, Rektor des Kollegs in Luxemburg, Kopien jenseits der Grenzen des Herzogtums verschickt: nach Maubeuge, Cambrai, Douai, Mons, Valenciennes usw. Die Statue der Trösterin über der Neupforte in der Stadt Luxemburg scheint bereits vor der Jahrhundertmitte (genaues Datum unbekannt) aufgestellt worden zu sein. Diese Statue wechselte, wenngleich am gleichen Ort, mehrere Male ihren Platz. Zunächst über der Pforte, die »Marienpforte« oder »Muttergottespforte« genannt wurde, zur Stadtseite gekehrt, wurde sie 1876 nach der Schleifung der Festung den Pilgern, die in die Stadt kamen, zugekehrt und in einer neoklassizistischen, einem Pariser Wandbrunnen nachempfundenen Hausnische an der Ecke zwischen Bäder- und Neutorstraße aufgestellt. Seit 1977 wird sie wieder zur Stadtseite hin gezeigt, in einer modernen, an den Gebäudekomplex des Forum Royal angebauten stilisierten Marmornische. Die Statue ist eine Kopie, das Original aus Stein befindet sich heute im Museum »Dräi Eechelen«.37 Nach der Erwählung der Landespatronin wurden im späten 17. und im 18. Jahrhundert auch in anderen Kirchen des Landes, zunächst noch sehr zögerlich, vollplastische Nachbildungen des Luxemburger Gnadenbildes aufgestellt, auf dem Gebiet des heutigen Großherzogtums in der Stadt Luxemburg, in Altwies, Boevingen/Attert, Esch/Sauer, Hoscheid, Hoffelt, Kalborn, Koerich, Weiler/Helzingen. Viele andere Mariendarstellungen aus demselben Zeitraum, besonders »Pietà«-Bilder (schmerzhafte Muttergottes, auch noch »Vesperbild« genannt) sowie Immakulata- und Himmelfahrtsdarstellungen, wurden für andere Kirchen angeschafft, Zeugnisse einer breit aufgefächerten Marienverehrung, in welche der Kult der Trösterin der Betrübten sich integrierte.38 Die systematische Aufstellung von Consolatrix-Statuen in den Landkirchen wird sich erst im 19. Jahrhundert, nach der Proklamation der Trösterin zur ersten Patronin aller Pfarreien, ab 1840 durchsetzen und bleibt bis heute ein Merkmal luxemburgischer Kirchen und Kapellen.

Zur Botschaft des Bildes.39 Die polychromierte Statue ist einzureihen als Beispiel des Typus »Unbefleckte Empfängnis« (Immakulata), der ab dem 17. Jahrhundert, nicht zuletzt durch die Jesuiten, zum eigentlichen Marienbild des Barocks wurde. Sie trägt zu ihren Füßen die Mondsichel, was sie als den Satan siegreich bekämpfende himmlische Frau identifiziert (an anderen Statuen ist der Satan in Form einer Schlange tatsächlich dargestellt). Dass sie mit Krone und Zepter präsentiert wird, macht aus ihr die Himmelskönigin, Ausdruck eines im Zuge der Gegenreformation neu entstandenen Selbstbewusstseins der abendländischen Catholica, die sich mit dem Konzil von Trient erneuerte und festigte und noch einmal die gesamte Kultur religiös wie sinnstiftend zu durchdringen suchte. Dieses Sendungsbewusstsein kommt im Bildnis der »Maria vom Siege«, das hier mit der frühbarocken Mondsichelmadonna verschmilzt, zum Ausdruck. »Ce thème du triomphe sur le ›Mal‹ se retrouve aux origines du culte de Notre-Dame de Luxembourg«, gleich welche Form dieses Böse auch annehmen sollte.40 Herrscherlich-hoheitsvoll inkarniert sich dieser Siegesgedanke in der Dargestellten, die als Hüterin und Garantin des rechtmäßigen Glaubens in einer erneuerten Kirche angesehen wurde. Im 18. Jahrhundert verbreitete sich dieser Immakulata-Bildtypus in Kirchen und Kapellen, wie in Esch-Sauer, Vianden, Tadler, Heiderscheid, Kaundorf und Tandel.

Nun steht diese hehre Darstellung aber in Widerspruch zum Titel »Trösterin der Betrübten«.41 Bild und Bezeichnung klaffen auseinander. Pater Brocquart hatte wohl bei der Namensgebung die krassen Notsituationen des Dreißigjährigen Krieges und die akute Pestgefahr vor Augen, er verlieh der Skulptur eine existenzielle Bedeutung im Kontext des Zeitgeschehens. So wurde die damit zusammenhängende Botschaft erweitert und gab dem Bild eine zusätzliche Anziehungskraft, die durch die Jahrhunderte Verkündigung, Katechese, Oktavspiritualität und Volksfrömmigkeit inspirierte. Bezeichnenderweise wird Jahrhunderte später das Zweite Vatikanische Konzil (1962–65) in der Konstitution über die Kirche »Lumen gentium« die Idee aufgreifen und Maria als »Zeichen der sicheren Hoffnung und des Trostes für das pilgernde Gottesvolk« bezeichnen.

In der Glacis-Kapelle stand das Gnadenbild in einer durch sich verjüngende Bögen markierten, perspektivisch ausgearbeiteten Altarnische, von der heute noch einige Nachbildungen im Großherzogtum existieren, so in der Michaelskirche in der Stadt Luxemburg für die Rosenkranzkönigin, in den Kirchen von Bettborn und Esch-Sauer sowie in der 1654 nach Art der Glacis-Kapelle vor den Stadtmauern errichteten Muttergotteskapelle in Echternach für die Schmerzhafte Muttergottes.42

Der Name »Trösterin der Betrübten« (Consolatrix Afflictorum) existierte vor dem entstehenden Luxemburger Kult unter verschiedenen Varianten bereits anderwärtig: Die Madonna von Montaigu trug den Titel »Trösterin des Menschengeschlechts« (Humani generis consolatrix) und diejenige von Avioth, einem beliebten Pilgerort im Südteil des Herzogtums Luxemburg, der mit dem Pyrenäenfrieden von 1659 zu Frankreich kam, wurde als »Suzeraine du Luxembourg et Consolation dans notre exil« angerufen. Es gab also den Titel »Consolatrix (consolatio) Afflictorum« längst vor der Luxemburger Wallfahrt. Der Titel, der Maria als Nothelferin charakterisiert, ist Bestandteil der Lauretanischen oder Muttergottes-Litanei, die im Mittelalter entstanden war.43 Bereits im 12. Jahrhundert gab es in der elsässischen Ortschaft Sewen (Haut-Rhin) eine Wallfahrt zur »Notre-Dame des Affligés / U. L. F. der Betrübten«. Auch findet man in unseren Gegenden im ausgehenden Mittelalter viele »Pietà«-Darstellungen mit der Schmerzensmutter, die ihren toten Sohn auf dem Schoß trägt.44 So konnten Menschen in Not und Leid sich mit der Schmerzensmadonna identifizieren und sie in ihren Nöten anrufen.45 Durch die Jesuiten wurde der Kult der Trösterin der Betrübten zusätzlich durch die typische ignatianische Trost-Dimension bereichert.46 Idee und Vokabular der marianischen »consolatio« flossen zudem aus der frühchristlichen und mittelalterlichen Literatur (Trostbücher, marianische Dichtung, »Consolatio«-Titel in verschiedenen Varianten für die Gottesmutter) mit ein. Es gab die Anrufung »Trösterin der Betrübten« besonders auch im Lothringischen Raum, oft unter der Vokabel »N.-D. des Douleurs« oder einer ähnlichen. Es gab den Titel in Lüttich (St. Jacques), in Laeken bei Brüssel und anderen Ortschaften des heutigen Belgien (Saint-Remy, Chèvremont, Lebbeke, Groeninghe), zu denen später noch andere dazukamen (Buggenhout, Lede, Wanférée-Baulet, Sugni, Uccle-Calvoet, Uccle-Stalle, Bornival, Gistoux, Bois-Seigneur-Isaac, Tilly, Vilvorde).47 Für den benachbarten deutschen Raum sind zu nennen: Bornhofen, Beurig und Eberhardsklausen. In der Pariser Kirche Saint-Germain-des-Prés wird bis heute eine mittelalterliche Statue als »N.-D. de Consolation« verehrt.48 Historische »Consolatrix«-Kirchen, -Wallfahrten oder -Bilder gibt es, abgesehen von der Luxemburger Tradition, im katholischen und im orthodoxen Einflussbereich: Salzburg (Maria Plain), Wien (Kapuzinerkirche),49 Nesselwang (Allgäu), Namür (St. Jean Baptiste), Rom (S. Maria Consolatrice, S. Camillo de Lellis), Turin (S. Maria Consolatrice), Drohiczyn (Polen), St. Petersburg usw.50 Besondere Verehrung genießt die Consolatrix Afflictorum, abgesehen von der Luxemburger Tradition, zudem: in der spanischen Region Almeria, auf den Philippinischen Inseln (von den Spaniern importiert), in der Region Serre Vibonesi (Kalabrien).51

Erste Oktaven

Die Glacis-Kapelle vor den Toren der Stadt Luxemburg ist der Ursprungsort der Luxemburger Oktave. Hier fanden bereits sehr früh die ersten »Oktaven«, d. h. Pilgerzeiten von acht Tagen zu Ehren der Trösterin der Betrübten statt, so im Jahr 1632. Die Glacis-Kapelle wurde zu einem mythischen Ort. Im 17.–18. Jahrhundert wurde sie systematisch auf den Consolatrix-Darstellungen, besonders den Stichen von Collin, Weiser, Kaeyll, Gebrüder Klauber u. v. a. oder den Andachtsbildchen (etwa das von Kevelaer, aus dem Jahr 1640) neben der Madonna, im Hintergrund und meist mit Pilgergruppen oder Prozessionen, abgebildet. Zur Zeit der Französischen Revolution wurde die Kapelle profaniert und schließlich abgerissen (1796). Seit 1794 steht das Gnadenbild der Trösterin endgültig in der alten Jesuitenkirche, der heutigen Kathedrale. 1885 wurde in Anlehnung an die alte eine neue, neogotisch konzipierte Glacis-Kapelle als Friedensheiligtum am Boulevard Joseph II, nahe am Luxemburger Stadtpark, errichtet. Bereits bei Straßenbauarbeiten 1913 waren die Fundamente der ersten Kapelle, der Rotunde von 1628, entdeckt und zerstört worden. 2016, im Rahmen von Tram-Arbeiten, wurden die Überreste des angebauten Rechtecks von 1640–42 wiederentdeckt und konserviert.52 Der »Notre-Dame«-Friedhof (»Niklos-Kierfecht«, »Kapelle-Kierfecht«) hinter der Kapelle entstand um 1690 und wurde ein knappes Jahrhundert später, als Kaiser Joseph II. das Bestatten in den Kirchen und innerhalb der Ortschaften verbot, zum offiziellen Stadtfriedhof.

Fundamente des rechteckigen Anbaus der Glacis-Kapelle, 1640 gelegt, bei Tram-Arbeiten im Frühjahr 2016 wiederentdeckt und konsolidiert. Unter den dunklen Plastikmatten befinden sich Leichenfunde. Foto: Georges Hellinghausen.

An seinen Anfängen und bis ins 19. Jahrhundert hatte der Kult der Trösterin der Betrübten eine antiprotestantische Konnotation. Er war von den Jesuiten als katholische Bastion gegen das Eindringen des Protestantismus inszeniert worden, mit den typischen Elementen einer barocken Volksfrömmigkeit, die die Bevölkerung religiös einigen sollte und dem protestantischen Kult entgegengesetzt war: Wallfahrt, Messe, eucharistische Anbetung, Heiligenverehrung, besonders Verehrung der Jungfrau Maria, Wunder, Ablässe, Prozessionen, äußere Formen von Religiosität, Feierlichkeit und triumphalistische Ausdrucksmittel. Dies hat sonder Zweifel zur katholischen Integration und lange Zeit zur konfessionellen Einheit des Landes beigetragen – der einheitliche Konfessionsstaat wurde damals überall in Europa angestrebt, wenngleich unter variablen konfessionellen Vorzeichen.53 Nächstliegende Beispiele und Vorbilder waren die Spanischen Niederlande und das Erzstift Trier: »Zu einer intensiven Verschränkung von Territorium, katholischer Reform und Konfessionalisierung kam es auch im luxemburgischen Teil des Erzbistums, wo dies besonders durch den neuen Kult der Trösterin der Betrübten deutlich wird.«54 Kurtrier und Herzogtum Luxemburg wurden im Ancien Régime katholische Konfessionsstaaten, welche die Protestanten fernhielten und nach Möglichkeit ausschlossen. »Le triomphe de Notre-Dame« war das Buch eines Jesuiten aus Lille überschrieben. Die Gottesmutter wurde in den katholischen Ländern Europas als »Siegerin (Maria Victrix)« gefeiert: Sieg gegenüber dem Protestantismus, Sieg gegenüber dem militärischen Gegner (wobei jeder versuchte, die Muttergottes auf seine Seite zu bekommen, bzw. gegen einen gemeinsamen Feind, etwa die Türken).55 Besonders Frankreich und das Haus Habsburg, nicht zuletzt in den südlichen Niederlanden, wurden diesbezüglich initiativ, auch gegeneinander. Das Volk schloss sich diesem Verehrungsmotiv, das sich insbesondere katholische Fürsten und einige Intellektuelle zu eigen machten, jedoch nur sehr bedingt an.56 Für Luxemburg gibt es für die militärische Inanspruchnahme der Gottesmutter folgende Belege: Gouverneure, die vor dem Kriegsdienst in der Glacis-Kapelle beteten; große Bittprozession im Jahr 1643 zur Kapelle, um übernatürliche Hilfe vor den französischen Truppen anzurufen; Dankesbekundung an die Gottesmutter im Rahmen der beiden Erwählungen von 1666 und 1678 für Verschonung und besonderen Schutz in Kriegswirren; Triumphwagen der Consolatrix bei der großen Schauprozession von 1666 und danach, die den besiegten Kriegsgott Mars hinter sich herzog, und allegorischer Vergleich der Gottesmutter mit der alttestamentlichen Judith, die mit dem Schwert das Haupt des Holofernes abgeschlagen hat; Lichtgestalt, die die heranrückenden Franzosen 1682 vertrieben habe, was zur Aufhebung der französischen Blockade geführt habe. Der Luxemburger Jesuitenpater Peter Wiltz erwähnt in seiner 1736 herausgegebenen und dem Gouverneur Leopold Wilhelm von Österreich gewidmeten Neuausgabe des Mirakelbuchs von 1648 die Muttergottes als siegverheißende »Generalissima«.57 Auch viel später wurde immer wieder ein Bezug zwischen Muttergottesverehrung und politisch-militärischer Bewandtnis hergestellt: Ein Jahr nach der Krönung des Marienbildes am 2. Juli 1866 durch einen Legaten Pius’ IX. seien die Preußen aus der Festung Luxemburg ausgezogen; 1870 sei Luxemburg durch marianische Intervention von der Besetzung durch deutsche Truppen bewahrt geblieben; am 10. Oktober (Stichdatum der Stadtpatronin) 1941 bekundeten die Luxemburger im von den Nazis organisierten Referendum ihren Willen zur Unabhängigkeit und gegen eine Inkorporierung ins Deutsche Reich durch ein dreifach notiertes »Lëtzebuergesch«.58 Noch nach dem Zweiten Weltkrieg sprach eine Strömung der Muttergottes den Sieg über die Nazis zu,59 und die Oktave 1946 wurde offiziell als »Oktave des Sieges« gefeiert.60 – Letztlich wurde die »Immakulata«, die mit ihrem Fuß auf Satan tritt, um ihn zu töten, als Siegerin gegen alle Formen des Bösen und alle potentiellen Feinde angesehen und angefleht. Als solche war sie für die Erwählung als privilegierte Schutzpatronin von Städten und Staaten attraktiv geworden.61 Kein Wunder, dass im 17. und 18. Jahrhundert zahlreiche Immakulata-Darstellungen (Gemälde, Statuen usw.), zu denen auch die Trösterin der Betrübten gehörte, in Luxemburgs Kirchen Einzug hielten.62

Die Jahre von 1640 bis 1660 waren von Krieg und Hungersnot gekennzeichnet. Die Dezimierung der Bevölkerung im Herzogtum schritt voran. Nur ein Drittel der Bevölkerung überlebte, ganze Dörfer verschwanden. Die Wallfahrt stagnierte nach ihrem Höhepunkt von 1640, wurzelte sich aber im Herzogtum ein. Zu den Beichten und Kommunionen, Prozessionen von Pfarreien, Mess-Stiftungen und Geschenken für Heilungen und andere Gebetserhörungen kamen Konversionen von Protestanten dazu. Pfarreien kamen alljährlich gepilgert, immer mehr Bilder und Medaillen wurden in der Gnadenkapelle ausgeteilt. Reichlich verzierte Bilder in Großformat wurden bestellt und angefertigt, zunächst in Antwerpen, später auch in Luxemburg selbst, ebenso in Augsburg, Paris und danach in Epinal. 1651 gründete Pater Brocquart eine Bruderschaft der Trösterin der Betrübten und ließ sie vom Papst und dem Erzbischof von Trier anerkennen sowie mit Ablässen ausstatten. Sie spielte bei der Verbreitung und Festigung des Kultes der Trösterin der Betrübten eine erhebliche Rolle.

Die Loslösung des Südteils des Herzogtums, das nach dem Pyrenäenfrieden von 1659 in das französische Königreich integriert wurde, tat den Wallfahrten besagter Ortschaften keinen Abbruch. Zahlreiche Pilger kamen weiterhin von Diedenhofen, Yutz, Rodemacher, Königsmacher usw. Zur selben Zeit wurden auf dem Glacis vor der Festung Luxemburg sieben Stationen errichtet, die anhand der Sieben Schmerzen Mariä die Wallfahrer auf den Besuch bei der Consolatrix Afflictorum einstimmen sollten.

1660 kamen insgesamt 48 Pfarreien nach Luxemburg gepilgert, besonders Diedenhofen; 1661: 28, besonders Arlon; 1663: 54, besonders Grevenmacher und Wiltz; 1664: 54, besonders Munshausen, Hosingen und wiederum Grevenmacher. In der Glacis-Kapelle wurden täglich bis zu 10, an manchen Tagen bis zu 40 Messen gelesen. Pater Philippe de Scouville, Verfasser eines luxemburgischen Katechismus, war es angelegen, den Marienkult während seiner missionarischen Tätigkeit auf dem Lande mit derselben Methode einzuführen, die auch seine Mitbrüder aus dem Orden anwandten: durch die von ihnen verbreiteten »Christenlehrbruderschaften«, die Promotion des Rosenkranzgebetes, die Vermehrung von Bildern der Consolatrix in den Pfarreien, das Verteilen von Andachtsbildchen und Medaillen mit Abbildungen der Trösterin und durch Einladungen, zur Gnadenkapelle nach Luxemburg zu pilgern.63 Auf diese Weise wurde das Bild der Luxemburger Consolatrix im Herzogtum und über die Grenzen hinaus bestens bekannt.

Als Zeugnis ihrer Verehrung auf dem Lande sei eine Kapelle erwähnt, die 1691 in Obereisenbach im Norden Luxemburgs, im Ösling, errichtet wurde, nachdem die Gebrüder Lieners im Anschluss an ein Gelübde heil aus dem Dreißigjährigen Krieg zurückgekehrt waren. Im 18. Jahrhundert amtierte dort ein Messner im Auftrag des Klosters Hosingen. Die Kapelle blieb im Besitz der Familie, die sie 1951 der Gemeinde Hosingen schenkte. 2006 erhielt sie eine neue Consolatrix-Statue.64

Die Luxemburger Wallfahrt wurde so bekannt, dass sie im 1672 erschienenen »Atlas Marianus«, einem vom Jesuitenpater Wilhelm Gumppenberg aus München herausgegebenen und in mehrere Sprachen übersetzten Sammelwerk (Marienlexikon) mit Beschreibung der bekanntesten wundertätigen Gnadenbilder U. L. Frau aus aller Welt, Eingang fand, neben Clairefontaine, Avioth und Aywaille für das Herzogtum Luxemburg. Der entsprechende Artikel stammt von Pater de Viron, Zeitgenosse von Pater Brocquart und Rektor des Luxemburger Jesuitenkollegs.65 Bereits 1640 war eine Geschichte der Wallfahrtskapelle und deren Bedeutung erschienen, wahrscheinlich aus der Feder von P. Brocquart.

Exkurs 1: Marianische Sodalitäten und Bruderschaft der Trösterin der Betrübten

Marianische Sodalitäten oder Kongregationen, die allentwegen von den Jesuiten gegründet wurden, waren in Luxemburg einer der Faktoren, die den Weg zu Marienverehrung und Oktave geebnet haben.66 Ergänzt wurde deren Wirken durch die Bruderschaften. Relevant für den Consolatrix-Kult und die Wallfahrt wurde vor allem die von Pater Jacques Brocquart gegründete Bruderschaft der Trösterin der Betrübten. Sodalitäten und Bruderschaften konsolidierten im 17. und 18. Jahrhundert Oktavwallfahrt und -spiritualität in der Stadt- und Landbevölkerung des Herzogtums.67

Sodalitäten in Luxemburg

Begründer des Sodalitätswesens im Allgemeinen war Pater Sebastian Cabarrasi, der 1560 am Jesuitenkolleg in Syrakus (Sizilien) eine Schülervereinigung zwecks seelsorglicher Begleitung der Zöglinge errichtet hatte. Der flämische Jesuit Johannes Leunis aus Lüttich, der ebenfalls in Syrakus unterrichtete, nahm die Idee einer solchen Sodalität mit nach Rom und rief am dortigen Jesuitenkolleg drei Jahre später eine ähnliche Vereinigung ins Leben, die als »Prima Primaria« unter dem Titel »Mariä Verkündigung« nicht nur für alle folgenden Vorbildcharakter haben sollte, sondern auch als Zentrale, unter Leitung des Jesuitengenerals, normierend wurde, gemeinsame und verbindliche Statuten inbegriffen. Eine ganze Sodalitätsbewegung ging nun von Rom aus und verbreitete sich mit dem Jesuitenorden in alle Welt. An der 1560 gegründeten Trierer Jesuitenschule entstand eine der ersten Sodalitäten in Deutschland. Der Erfolg des Sodalitätenmodells führte dazu, dass neben Studentensodalitäten auch eigene Sodalitäten für Priester, Gelehrte, Adelige sowie einfache Bauern, Erwachsene und Junggesellen entstanden. Kirchlich anerkannt wurde das Sodalitätsmodell durch Papst Gregor XIII. im Jahr 1584.

1604, ein Jahr nach der Eröffnung des Jesuitenkollegs in Luxemburg, wurde dort für die Bürger der Stadt die erste Sodalität mit dem Titel »Mariä Verkündigung« gegründet, der viele gelehrte Männer, Kleriker wie Laien, dazu auch fortgeschrittene Schüler aus dem Kolleg, beitraten. 1607 wurde sie von der »Primaria« approbiert. Zu dieser Gelehrtensodalität kam 1610 eine weitere Sodalität für verheiratete Männer unter dem Titel »Mariä Lichtmess« oder »Mariä Reinigung«. Vervollständigt wurde die Trias, so wie in der gallo-belgischen Jesuitenprovinz (zu der Luxemburg gehörte) üblich, durch die 1612 gegründete Junggesellensodalität unter dem Titel »Mariä Heimsuchung«. Mariendevotion und Vervollkommnung des christlichen Lebens durch regelmäßigen Sakramentenempfang, Gebet, Tugendübung und gute Werke waren das deklarierte Ziel. Unter Anführung der Gelehrtensodalität veranstalteten alle Sodalen des Luxemburger Kollegs 1643, mitten in den Kriegswirren des Dreißigjährigen Krieges, eine feierliche Prozession zur Muttergotteskapelle auf dem Glacis. Bei der Bedrohung Wiens durch die Türken organisierten die Sodalen der Herrensodalität 1664 liturgische Feiern mit Prozession um die Gnadenkapelle.

Diese Bürgersodalitäten sind zu unterscheiden von den Schülersodalitäten. 1605 wurde für die Schüler der unteren Klassen des Kollegs die »Engel-Sodalität« gegründet, 1637 wurde sie von ihrem Präfekten (Praeses, Vorsteher) Pater Alexander Wiltheim der Unbefleckten Empfängnis Mariens umgewidmet. Eine 1607 errichtete zweite Schülersodalität erhielt den Namen »Mariä Himmelfahrt«. Beide wurden der römischen »Primaria« angegliedert.

Die komplizierten Bewegungen und Verbindungen des sich gliedernden Sodalitätswesens in Luxemburg lassen sich nicht immer präzise fassen; die bisherige Forschung gibt unterschiedliche und manchmal gegensätzliche Auffassungen wieder. Gleiches gilt für Datierungen. Mitte des 17. Jahrhunderts existierten im Herzogtum Luxemburg fünf Sodalitäten. Im Rahmen der Volksmissionen der Jesuiten sollen ebenfalls Sodalitäten auf dem Lande entstanden sein.

Bei der Gründung und Festigung der Oktave spielten die jungen Sodalen eine wesentliche Rolle. Sie waren es vor allem, die mit Pater Brocquart am 8. Dezember 1624 das Gnadenbild der Trösterin der Betrübten von der Stadt auf das Glacis trugen, und sie waren nachher bei allen großen Gelegenheiten in der ersten Reihe: bei der Grundsteinlegung der Glaciskapelle 1625, bei der Konsekration am 10. Mai 1628, bei der Einweihung des Anbaus 1642, bei allen Prozessionen, die die Marienstatue in die Jesuitenkirche und zurück brachten. Die Weihegebete an die Trösterin bei den beiden Erwählungen von 1666 und 1678 waren nicht nur von den Erwählungsformeln der Sodalen beeinflusst, sondern praktisch in identischer Sprache und Duktus verfasst. Jedes Sodalitätsmitglied sollte Maria als »Patronin und Advokatin« persönlich erwählen. Die Aufnahme in die Sodalität umfasste in der Tat, neben einer Generalbeichte, auch die persönliche Weihe des Kandidaten an die Gottesmutter, in deren Dienst er sich stellte, um, von ihr angeleitet, ein Leben in Tugend und Glaube zu führen.68 Zu den Frömmigkeitsübungen gehörten die festlich begangenen Marienfeiertage, die tägliche Messe, das Rosenkranzgebet, eine wöchentliche Versammlung und die monatliche Katechese in einem Spital oder Gefängnis, wodurch neben der Spiritualität auch ein Stück bodenständiger Weltverantwortung mit ins Spiel kam. Mit der Praxis war auch ein Ablass verbunden.

Im Jesuitenkolleg in Luxemburg gab es eine eigene Sodalitätskapelle (so wie später in Vianden69). Um 1660 nahm das Sodalitätswesen einen neuen Aufschwung, Mitte des 18. Jahrhunderts kamen mehrheitlich weibliche Mitglieder dazu. Mit der Auflösung der Gesellschaft Jesu 1773 verschwanden auch die von ihnen patronierten Sodalitäten.

Mit dem Wiedererstehen des Jesuitenordens 1814 war der Weg frei für eine Neuerrichtung der marianischen Kongregationen oder Sodalitäten. Nach anfänglichen Versuchen unter dem Apostolischen Vikar Johannes Theodor Laurent (1842–1848) – eine Sonntagsschule des Vikars Nik. Wies von Liebfrauen führte am 16. Juli 1843 zur Wiedererstehung der Sodalität unter der alten Bezeichnung »Heimsuchung Mariä« – erwuchs aus dieser Vereinigung 1861 eine neue Marianische Studentensodalität, die sich jedoch erst mit der Niederlassung der Jesuiten in Luxemburg ab 1895 festigen konnte, als es unter ihrer Fürsorge zu einem neuen Aufschwung des Sodalitätswesens kam. So entstanden neben der Studentensodalität (mit wechselhaften Bewandtnissen um die Jahrhundertwende) auch wiederum eine Bürgersodalität und eine Jünglingssodalität. 1910 wurde eine grandiose Dreihundertjahrfeier der Marianischen Sodalität mit Abendvorträgen, Festzug zur Kathedrale, Weihegruß an die Trösterin und Festversammlung begangen, 1911 gefolgt von einem Sodalentag, zu dem auch die Bürgersodalität der Nachbarstadt Trier mit 700 Teilnehmern erschien – ein Besuch, der 1912 luxemburgischerseits bei Gelegenheit des internationalen Marianischen Kongresses in Trier erwidert wurde. Doch ging es bei diesen Vereinigungen des 20. Jahrhunderts nicht eigentlich um Massen-, sondern eher um Eliteorganisationen. Ziel war die persönliche Heiligung und religiöse Disziplinierung der Mitglieder durch Mariendevotion und im Hinblick auf das Apostolat. Dazu gehörte die Vertiefung des spirituellen Lebens durch Rekollektionen, Exerzitien, Wallfahrten.

Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs wurden die Jesuiten aus Luxemburg vertrieben und die Marianischen Sodalitäten verboten. Noch vor Kriegsende sammelten sich ehemalige Mitglieder um den Vikar aus der Herz-Jesu-Pfarrei in der Stadt Luxemburg, Jacques Hoffmann, und gründeten die »Jeunesse Étudiante Catholique« (JEC), die ab 1950 von Jesuiten betreut wurde und sich für die Erziehung der Jugend zum gesellschaftlichen Leben einsetzte (Equipenversammlungen, Sommerlager usw.) mit, ab den sechziger Jahren, alternativ-kritischer Bewusstseinsbildung. Nach 1968 gingen hieraus aktive Gruppen wie »ATD Quart Monde« und »ASTM Action Solidarité Tiers Monde« sowie auch »ASTI (Action de Soutien aux Travailleurs Immigrés)« hervor. Die bereits 1916 gegründete Marianische Kongregation der Lehrerinnen machte sich in den fünfziger Jahren auch vermehrt bemerkbar. 1969 fusionierten die beiden Marianischen Kongregationen der Männer und Lehrerinnen zur »Fédération luxembourgeoise des Communautés Vie Chrétienne« (CVX). Die CVX ist bis heute eine geistliche Gemeinschaft im Sinn der ignatianischen Quellen, die sich seit den 1990er Jahren vermehrt den sozialen Problemen des Landes widmet (Integration von Asylbewerbern, Begleitung ausländischer Studenten), in Kontinuität und Diskontinuität zu den alten Marianischen Kongregationen.70

Bruderschaft der Trösterin der Betrübten

Ein zweiter Pfeiler der Verehrung der Consolatrix Afflictorum wurde bei der Entstehung und danach die Bruderschaft der Trösterin der Betrübten. Josy Birsens SJ hat anhand des vom Luxemburger Diözesanarchiv erworbenen historischen Katalogs, d. h. des handschriftlichen Mitgliederbuchs, dieser Bruderschaft deren Entstehung und Entwicklung, ihre Eigenart und ihren Einfluss, ihre Besetzung und ihre geographische Verteilung systematisch erschlossen.71 Mehr als 10.000 Namen von Bruderschaftsmitgliedern werden in diesem Verzeichnis für die Jahre 1652–1795 aufgelistet, darüber hinaus noch Einzeleintragungen für die Zeitspanne 1822–1829. Gegründet wurde die Bruderschaft 1652 von den Jesuiten, um die Verehrung der Trösterin der Betrübten im Volk zu verankern und die katholische Reform, nicht zuletzt als Abwehr gegen den Protestantismus, voranzutreiben.

Solche und ähnliche Wallfahrtsbruderschaften existierten, auch im Großraum um Luxemburg, seit dem Mittelalter bzw. wurden jetzt gegründet.

Initiator und Verfasser der Bruderschaftssatzung war Pater J. Brocquart ab dem Jahr 1651. Im Jahr darauf erhielt die Bruderschaft die bischöfliche Approbation von Trier sowie die Konzession zahlreicher Ablässe durch Papst Innozenz X. Der Trierer Erzbischof Karl Kaspar von der Leyen setzte sich sogar persönlich für die Unterstützung der Neugründung ein und lud seine Diözesanen mit Nachdruck ein, der Vereinigung beizutreten. P. Brocquart richtete ein Schreiben an alle Dechanten und Pfarrer, um zur Teilnahme an diesem »Marianischen Verbindniß« anzuregen.

Inhaltlich ging es bei der Bruderschaft der Trösterin der Betrübten zunächst darum, die Mitglieder für die ewige Bestimmung nach dem Tod zu sensibilisieren und sie darauf durch ein moralisch vorbildliches Leben vorzubereiten. Zudem sollten bei Gott, Maria und den Heiligen in allen körperlichen und seelischen Nöten Beistand erfleht werden, desgleichen Abstand genommen werden von Beschwörungen, Zauberei und abergläubischen Segnungen. Dabei sollten die monatlich gefeierten Sakramente von Beichte und Kommunion, kirchlich approbierte Sakramentalien wie Weihwasser, Rosenkranz und Consolatrix-Medaillen behilflich sein. Vor einem kleinen Bildnis der Trösterin der Betrübten zu Hause sollte die Familie morgens und abends zum Gebet zusammenkommen. Diese Bindung an die Familie unterscheidet die Bruderschaft der Trösterin der Betrübten von anderen Bruderschaften, die sich eher nach der Pfarrei, einer Zunft oder einer Ordensgemeinschaft ausrichteten. Die gegenreformatorische Ausrichtung war von Anfang an gegeben und blieb erhalten.

Doch empfahlen die Statuten der Bruderschaft auch ganzen Ortschaften, kollektiv die Trösterin der Betrübten zu ihrer Schutzpatronin zu erwählen. Ohnehin hatte es bereits vorher solche gemeinschaftlichen Marienweihen in den Spanischen Niederlanden gegeben. Die Stadtweihe von 1666 und die Landesweihe von 1678 fielen also nicht vom Himmel.

Neue Bruderschafts-Mitglieder72 wurden verpflichtet, nach vorheriger Beichte die Consolatrix als Mutter und Zuflucht in allen Nöten zu erwählen, sei es einzeln, sei es gemeinschaftlich mit der Pfarrei oder der eigenen Familie. Vor dem Gnadenbilde sollte zudem allen abergläubischen und der Integrität des katholischen Glaubens entgegengesetzten Praktiken abgeschworen werden und die Kommunion empfangen werden. Weihe und Absage sollten jährlich erneuert werden, im Idealfall vor dem wundertätigen Marienbild in Luxemburg. Ein Bruderschaftsdiplom mit einem täglich zu verrichtenden Weihegebet, das in Ehren gehalten und oft eingerahmt und aufgehängt wurde, belegte die Zugehörigkeit zum frommen Verein.73