Klar Schiff zum Gefecht - Alexander Kent - E-Book

Klar Schiff zum Gefecht E-Book

Alexander Kent

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Beschreibung

1778: Der amerikanische Unabhängigkeitskampf stellt die Royal Navy vor eine harte Bewährungsprobe. Nur deshalb erhält der junge Leutnant Bolitho sein erstes selbständiges Kommando: auf der Korvette Sparrow als Begleitschutz einiger Versorgungsschiffe vom Flottenstützpunkt Antigua nach New Jersey. Ein Kaperschiff greift den Konvoi an, der nur knapp der Vernichtung entgeht, dann bringt ein Hurrikan die Sparrow vom Kurs ab …  

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Seitenzahl: 289

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Der Autor

Alexander Kent kämpfte im Zweiten Weltkrieg als Marineoffizier im Atlantik und erwarb sich danach einen weltweiten Ruf als Verfasser spannender Seekriegsromane. Er veröffentlichte über 50 Titel (die meisten bei Ullstein erschienen), die in 14 Sprachen übersetzt wurden, und gilt als einer der meistgelesenen Autoren dieses Genres neben G.S. Forester. Alexander Kent, dessen richtiger Name Douglas Reeman lautet, war Mitglied der Royal Navy Sailing Association und Governor der Fregatte »Foudroyant« in Portsmouth, des ältesten noch schwimmenden Kriegsschiffs.

Das Buch

1778: Der amerikanische Unabhängigkeitskampf stellt die Royal Navy vor eine harte Bewährungsprobe. Nur deshalb erhält der junge Leutnant Bolitho sein erstes selbständiges Kommando: auf der Korvette Sparrow als Begleitschutz einiger Versorgungsschiffe vom Flottenstützpunkt Antigua nach New Jersey. Ein Kaperschiff greift den Konvoi an, der nur knapp der Vernichtung entgeht, dann bringt ein Hurrikan die Sparrow vom Kurs ab …

Alexander Kent

Klar Schiff zum Gefecht

Richard Bolitho - Kapitän des Königs

Roman

Aus dem Englischen

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Neuausgabe bei RefineryRefinery ist ein Digitalverlag der Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin Juni 2018 (1)

© Ullstein Heyne List GmbH, Berlin 2003© der deutschen ÜbersetzungFranckh’sche Verlagsbuchhandlung, W. Keller & Co, Stuttgart 1974© 1972 by Alexander Kent Titel der englischen Originalausgabe: Sloop of War I Covergestaltung: © Sabine Wimmer, Berlin

ISBN 978-3-96048-146-1

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Inhalt

Der Autor / Das Buch

Titelseite

Impressum

I Ein Traum geht in Erfüllung

II Freiheit

III Der Freibeuter

IV Die große Verantwortung

V Der Auftrag

VI Rot und Gold

VII Wagen oder sterben

VIII Des Kapitäns Entscheidung

IX Klar zum Entern

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

I Ein Traum geht in Erfüllung

I Ein Traum geht in Erfüllung

Das elegante weiße Gebäude über der Küstenstraße lag nur wenige hundert Schritte von den belebten Hafenkais entfernt, dennoch war Richard Bolitho schon eine Minute, nachdem er die Pier verlassen hatte, schweißdurchnäßt. Durch das weite Rund von English Harbour hatte der leichte Hauch einer Brise geweht, aber hier, da die Mittagssonne steil über dem Klosterhügel stand und die Insel Antigua in flimmerndem Dunst gebadet lag, gab es keine Erleichterung.

Dennoch schritt Bolitho rascher aus. Er spürte seine zunehmende Erregung, und wieder gewahrte er in sich dieses Gefühl traumhafter Unwirklichkeit, das ihn seit seiner Ankunft vor einer Woche beherrschte. Die Ereignisse hatten sich so sehr überstürzt, daß er es kaum begreifen konnte. Die Ursprünge seines Seins schienen ihm fremd geworden. Er kam sich vor wie ein Zuschauer, der einen anderen Menschen beobachtet.

Staub und Sand bedeckten seine neuen Schuhe, als er über breite Torwege durch gepflegte Gärten auf das Gebäude zuging. Wäre die Flagge nicht gewesen, die reglos am Mast hing, hätte es der Wohnsitz eines reichen Kaufmanns oder Reeders sein können. Aus der Anzahl der farbigen Diener, die zwischen den Blumen und Stauden arbeiteten, schloß er, daß der ehemalige Besitzer wahrscheinlich mit afrikanischen Sklaven gehandelt hatte.

In der schattigen Veranda war es nach der heftigen Sonnenglut fast kalt. Ein rotgesichtiger Sergeant der Marineinfanterie stand Bolitho gegenüber und musterte ihn lässig vom Scheitel bis zur Sohle.

»Kommen Sie bitte hier herein, Sir!«

Sein Ton, wenn auch nicht gerade unfreundlich, war der eines Mannes, der an den Umgang mit Seeoffizieren, an ihr Kommen und Gehen so gewöhnt war, daß ihn nichts und niemand mehr aufregen konnte.

Bolitho betrat einen kleinen Raum und hörte die Tür hinter sich zuschlagen. Zum ersten Mal seit langer Zeit war er ganz allein. Und allein stand er nun vor dem wichtigsten Schritt seines Lebens.

Er zwang sich, sehr langsam zum Fenster zu gehen. Unter seinem Blick breitete sich der Hafen wie ein riesiges Gemälde aus. English Harbour, Hauptquartier und Bollwerk der Seemacht Englands in Westindien und der Karibischen See! Jeder Schiffstyp schien hier vor Anker zu liegen. Mächtige Zweidecker im tiefen Hafenbecken hatten die Sonnensegel ausgespannt und jede Geschützpforte geöffnet, um auch den leisesten Atem einer Brise einzufangen. Schnittige Fregatten, plumpe Frachtschiffe und eine ganze Ansammlung vieler kleiner Schiffe, von Briggs bis zu Schonern; dazwischen zahllose Ruderboote, die wie Wasserspinnen die weite Bucht durchquerten.

Irgendwo im Haus brüllte ein Mann, und Füße polterten über einen Flur. Bolitho riß seine Augen von den Schiffen los und schritt zu einem Wandspiegel hinüber. Er war sich plötzlich bewußt, was die nächsten Minuten bringen oder nehmen konnten.

Noch immer nicht konnte er sich an die Veränderung seiner Erscheinung gewöhnen. Niemals zuvor war ihm aufgefallen, daß eine Uniform das Äußere eines Mannes so sehr wandeln konnte, ohne das Innere zu berühren. Vor wenigen Wochen war er noch Zweiter Leutnant auf der Trojan gewesen, einem Linienschiff mit achtzig Kanonen. Drei Jahre lang hatte er in ihrem überfüllten Rumpf gelebt, gearbeitet und war beinahe dort gestorben.

Von seinem ursprünglichen Rang als Vierter Leutnant war er durch Tod und Beförderung seiner nächsten Vorgesetzten aufgestiegen. Er hatte sich an die Trojan gewöhnt, wenn er auch stets gegen die Sehnsucht ankämpfen mußte, sich von ihrer Schwerfälligkeit zu befreien, um ein selbständigeres Betätigungsfeld für seine Ideen zu finden.

Wie jeder Mann an Bord hatte er hart arbeiten müssen. Durch den Aufstand in Amerika wurden alle Kriegsschiffe dringender als je zuvor gebraucht. Als die Rebellion um sich griff und einige Andeutungen ihrer wirklichen Ziele in der Flotte durchsickerten, wurde die Trojan von einem Krisenherd zum anderen befohlen.

Es schien unglaublich, daß ungeordnete Männerbanden zu Armeen zusammengeschweißt werden konnten. Armeen, die stark und schlagkräftig genug waren, um einige der besten Truppen Englands außer Gefecht zu setzen. Aber wie die meisten seiner Kameraden hatte Bolitho fest geglaubt, daß die Streitigkeiten durch einen Kompromiß beigelegt werden könnten. Das war vor sechs Monaten, im Oktober 1777, als die Nachricht von der Übergabe Burgoynes über die Briten hereinbrach. Über Nacht, so schien es, hatte sich die Rebellion zu einem neuen, bösartigen Konflikt ausgeweitet. Die Engländer standen in ihren weit verstreuten Stützpunkten amerikanischen Revolutionsarmeen gegenüber, die durch eine ganze Flotte französischer und spanischer Kaperschiffe Rückendeckung erhielten. Ohne beträchtliches Risiko konnte kein Nachschubschiff mehr allein segeln. Sogar Truppentransporte waren nicht mehr vor den Freibeutern sicher.

In dieser Zeit wechselnder Angriffs- und Rückzugsgefechte war die Veränderung in Bolithos Leben eingetreten. Die Trojan hatte vor der Küste Puerto Ricos eine hübsche Brigg gejagt, deren Laderäume mit Konterbande und Schießpulver für die Amerikaner vollgestopft waren. Zwischen zwei langgestreckten Sandbänken gefangen und durch die beeindruckende Artillerie der Trojan bedroht, hatte sich der Kapitän zur Übergabe entschlossen.

Der Erste Offizier der Trojan wurde auf seinem eigenen Schiff dringend gebraucht, da die meisten anderen Offiziere erst kürzlich an Bord kommandiert worden waren und nur wenig Erfahrung besaßen. So traf Bolitho das Los, die Prise zu übernehmen mit dem Befehl, die Beute nach Antigua zu segeln und dort neue Instruktionen abzuwarten. Es war wie der Anfang eines schier unmöglich erscheinenden Traumes. Aufregende Erlebnisse, die Freiheit, nach eigenen Entschlüssen zu handeln und zu segeln, ohne daß ihn sein Kapitän beobachten konnte. Die kleine Brigg schien ihm grenzenlose Möglichkeiten anzubieten, wenn er auch wußte, daß all dies nicht ewig dauern würde.

Das Schicksal aber hatte andere Pläne. Nach einigen Tagen sichteten sie eine andere, größere Brigg. Sie war gut geführt und stärker bewaffnet als auf solchen Schiffen üblich. Es gab keinen Zweifel, dieser Segler war ein Freibeuter, der offensichtlich zu einem Treffen mit der Prise herankreuzte.

Zu langen Überlegungen blieb keine Zeit. Der Gegner würde alle seglerischen und artilleristischen Möglichkeiten von Bolithos kleiner Prisenbesatzung weit übertreffen. Sinnlos zu kämpfen und zu sterben war ebenso undenkbar wie widerstandslos die Flagge zu streichen.

Doch alles lief so einfach ab, daß es nun im Rückblick wie ein Teil jenes unglaubhaften Traumes erschien. Scheinbar um Depeschen zu übergeben, manövrierten sie an den ahnungslosen Freibeuter heran, gingen längsseit, und als beim Zusammenprall Segel und losgeschlagene Spieren auf die Decks beider Schiffe herabstürzten, enterten sie die feindliche Brigg. Eine knatternde Musketensalve, wildes Gebrüll der Enterer, und schon war das Schiff trotz vierfacher Überlegenheit genommen. Die Leute der Trojan waren mit dieser Kampfesweise vertraut. Nicht so die Besatzung des Kaperschiffes, dessen Kapitän zum ersten Mal als Kommandant fuhr.

So kam es, daß Bolitho mit zwei Prisen in Antigua einlief. Da sich der Landkrieg so zum Schlimmen gewendet hatte und die Ereignisse auf See sich dermaßen verwirrend und entmutigend entwickelten, wirkte seine siegreiche Ankunft unter dem Donnern der Hafenbatterie wie ein belebendes Heilmittel. Händeschütteln mit einem Konteradmiral, lächelnde Begrüßungen dienstälterer Kapitäne – Bolitho war durch diesen herzlichen Empfang verblüfft.

Nachdem er die beiden Prisen den Docks übergeben hatte, wurde ihm eine Kammer in einem abgetakelten Schiff, der Oktavia, zugewiesen. Die Oktavia war ursprünglich ein stattlicher Zweidecker gewesen, doch nachdem sie im Jahr zuvor in einem Hurrikan fast gesunken wäre, diente sie nun als Wohnschiff. Junge Offiziere, die auf neue Kommandos warteten, vertrieben sich dort die Zeit mit Kartenspiel, Schlaf oder betranken sich bis zur Bewußtlosigkeit. Beförderungen und Versetzungen, Seegerichte oder die letzten Vorbereitungen zur Heimreise eines im Kampf verstümmelten Seemannes, all das hatte die alte Oktavia gesehen.

Tag um Tag verging, und Bolitho begann zu glauben, er sei vergessen worden. Bald würde die Trojan einlaufen, und er müßte wieder in ihre festgefügte Gemeinschaft zurückkehren. Er lebte von einem Tag auf den anderen. Er hoffte, obwohl er nicht mehr wagte, allzuviel zu hoffen.

Die Befehle, die ihm dann endlich durch einen untadeligen Flaggleutnant überbracht wurden, waren kurz und verblüffend. Mit Einwilligung der Oberkommandierenden wurde Richard Bolitho zum Kommandanten mit dem entsprechenden Rang und allen dazugehörenden Vorteilen ernannt. Die Beförderung erhielt ab sofort Gültigkeit. Außerdem habe er sich mit allen entsprechenden Ausrüstungsstücken und Rangabzeichen zu versehen und innerhalb von zwei Tagen im neueingerichteten Gebäude des Hauptquartiers zu melden.

Er starrte sein Bild im Spiegel an. Heute!

In Antigua konnte man für Geld offenbar alles bekommen, selbst in so kurzer Zeit. Und jetzt, anstelle seiner verblichenen Leutnantsuniform, betrachtete er die breiten blauen Rockaufschläge und die einzelnen goldenen Streifen an den Ärmeln, die ihn als Kapitän auswiesen. Auf dem Stuhl hinter ihm schimmerte sein goldbetreßter Hut im hereinsickernden Sonnenlicht. Alles, was er trug, die weiße Weste und die Kniehosen, eine enge Halsbinde, die staubigen Schuhe, ja sogar der Degen, den er so sorgfältig ausgesucht hatte, alles war so neu, daß es wie geliehener Putz aussah. Er wagte nicht an den Kaufpreis und an die Schmiergelder zu denken, die nötig gewesen waren, um alles in so kurzer Zeit zu beschaffen. Ein Vorschuß auf sein wohlverdientes Prisengeld hatte, wenigstens für den Augenblick, ausgereicht. Er strich über die Locke schwarzen Haares, die widerspenstig über seinem rechten Auge hing. Die tiefe, grausige Narbe darunter, die bis zu seinem Haaransatz lief, fühlte sich so heiß an, als ob nicht Jahre, sondern erst einige Wochen vergangen wären, seit er mit einem Entermesser niedergehauen worden war.

Trotz seiner inneren Spannung mußte er über sich selbst lächeln. Wohl hatte er erst den niedrigsten Rang der Kommandantenlaufbahn erhalten, aber er hatte den ersten großen Schritt getan. Einen Schritt, der ihm sowohl Ruhm als auch Schande bringen konnte, den er aber gleich seinen Vätern mit Sorge und Ungeduld erwartet hatte.

Wieder hallten Schritte im Flur. Er brachte seine Halsbinde in Ordnung und rückte den neuen Degen an seiner Hüfte zurecht. Wieder erschien ihm sein Spiegelbild wie das eines Fremden. Die Uniform, die aufrechte Haltung, in der er seinen Körper wie zur Parade gestrafft hielt, stellten mehr Sicherheit zur Schau, als er sich je zugetraut hatte.

Die Schritte verhielten vor der Tür, und mit einer einzigen raschen Bewegung griff Bolitho nach seinem Hut und klemmte ihn unter einen Arm. Er versuchte, das Klopfen seines Herzens, das ihm wie ein Hammer gegen die Rippen schlug, nicht zu beachten. Sein Mund war wie ausgedörrt, obwohl er den Schweiß wie warmen Regen zwischen seinen Schulterblättern hinabrinnen fühlte.

Richard Bolitho war zweiundzwanzig Jahre alt und hatte seit seinem zwölften Lebensjahr in der königlichen Marine gedient. Aber nun, da er wie gebannt die vergoldete Türklinke anstarrte, fühlte er sich eher wie ein furchtsamer Fähnrich denn wie ein Mann, der im Begriff stand, das begehrteste Geschenk zu empfangen, das ein Marineoffizier erhalten konnte. Ein eigenes Kommando!

Der Sergeant der Marineinfanterie blickte ihn hölzern an.

»Sind Sie bereit, Sir? Kapitän Colquhoun möchte Sie jetzt sprechen.«

»Ich bin bereit, danke!«

Der Sergeant musterte ihn mit der leisen Andeutung eines Lächelns. »Er wird sich darüber freuen, davon bin ich überzeugt, Sir.«

Bolitho hörte kein Wort. Er folgte dem Sergeant und schritt hinaus in den Flur und in eine andere Welt.

Kapitän Vere Colquhoun erhob sich kurz hinter seinem großen Schreibtisch, machte eine Geste, als ob er Bolitho die Hand reichen wollte, und sank dann in seinen Sessel zurück.

»Bitte, setzen Sie sich, Bolitho.«

Er saß mit dem Rücken zum Fenster, so daß es unmöglich war, seinen Gesichtsausdruck zu erkennen. Aber als sich Bolitho nun auf einem schmalen, hochlehnigen Stuhl zurechtsetzte, spürte er deutlich den prüfenden Blick des anderen Mannes.

»Sie haben eine gute Beurteilung«, sagte Colquhoun. Er öffnete einen Leinenumschlag und überflog mit raschen Blicken die beigefügten Papiere.

»Wie ich sehe, wurden Sie im Jahr 74 zum Leutnant ernannt.« Er schaute rasch auf. »Ja?«

»Ja, Sir, auf der Fregatte Destiny.«

Bolitho hatte lange genug in der Marine gedient, um zu wissen, daß Unterredungen mit Vorgesetzten sich ein gute Weile hinziehen konnten. Jeder verfuhr auf seine eigene Art und Weise, aber für den Untergebenen schien alles auf ein Baumeln an dem dünnen Faden ungewisser Erwartung hinauszulaufen. Er versuchte, Colquhouns gesenkten Kopf nicht zu beachten, und zwang sich statt dessen, sich im Zimmer umzusehen. Weiße Wände und ein buntgekachelter Fußboden. Einige schwere, dunkle Möbelstücke und ein Tisch, der unter vielen schönen Karaffen beinahe verschwand. Colquhoun schien ein Mann zu sein, der sein Leben zu genießen wußte. Bolitho wandte den Blick wieder seinem neuen Vorgesetzten zu. Er mochte etwa dreißig Jahre alt sein, und trotz des blendenden Gegenlichts bemerkte Bolitho dessen feingeschnittene Züge und ein schmales, angriffslustiges Kinn. Sein Haar war blond und gemäß der augenblicklichen Mode zum Nacken zurückgekämmt. Seine Hand erschien trotz des Dienstes auf dem Marinestützpunkt auffallend blaß.

»Ihr Kapitän spricht gut von Ihnen.« Colquhoun raschelte mit den Papieren. »Recht gut.«

Bolitho versuchte, die Trockenheit in seiner Kehle nicht durch Schlucken zu verraten. Kapitän Pears von der Trojan hatte ihm seine Beurteilung an Bord der Prise mitgegeben. Hätte er von seinem späteren Glück in dem Gefecht mit dem Kaperschiff gewußt, wäre sein Bericht vielleicht noch günstiger ausgefallen. Alles kam ihm nun sehr sonderbar vor. In den drei Jahren an Bord des Linienschiffes hatte er seinen Kapitän niemals wirklich verstanden. Manchmal hatte er geglaubt, Kapitän Pears könnte ihn nicht leiden und hätte seine Anstrengungen allenfalls geduldet. Aber jetzt auf diesem Schreibtisch und unter den Augen eines neuen Vorgesetzten zeigten Pears’ Worte ihn in einem anderen Licht.

»Danke, Sir!«

»Hmph!« Colquhoun erhob sich und machte einige Schritte gegen den Tisch hin, besann sich dann aber eines anderen, ging zum Fenster und starrte, wie in Gedanken verloren, zum Ankerplatz hinunter.

»Ich habe Befehl, Ihnen Ihre Einsatzorder zu übergeben. Für Sie wird es nun darauf ankommen, Ihren Wert zu beweisen. Statt um Ihren eigenen Vorteil zu kämpfen, werden Sie Befehlen zu gehorchen haben.«

Bolitho wartete. Es war unmöglich, diesen Mann zu durchschauen. »Seit der militärischen Katastrophe bei Saratoga im vergangenen Jahr haben wir Anzeichen beobachtet, die auf wachsende französische Hilfe für die Amerikaner schließen lassen. Ursprünglich schickten sie Nachschub und militärische Berater, dann Freibeuter, Glücksritter und Söldner.« Colquhoun stieß die Worte zwischen schmalen Lippen hervor.

»Nun aber tritt ihre Absicht offen zutage, die Amerikaner für ihre eigenen Angelegenheiten auszunutzen, um Gebiete wiederzugewinnen, die sie im Siebenjährigen Krieg verloren haben.«

Bolitho umfaßte den Griff seines Degens und versuchte, äußerlich ruhig zu bleiben. Irgendwo dort drunten im Hafen wartete ein Schiff auf seinen neuen Kapitän. Mochte es alt oder gerade erst vom Stapel gelaufen sein, groß oder als Flotteneinheit völlig unbedeutend, es sollte sein eigenes Schiff sein. Und hier mußte er sich zur Ruhe zwingen und Colquhouns Betrachtungen über den Krieg zuhören. Bolitho hatte von Anfang an in diesem Krieg gekämpft, und Colquhoun war, wie er von einem Offizierskameraden auf der Oktavia erfahren hatte, erst vor sechs Monaten aus England herübergekommen.

In gleichmütig trockenem Ton fuhr Colquhoun fort: »Da wir aber die Seewege und Versorgungsrouten beherrschen, können weder die Franzosen noch der verdammte Papst uns hindern, auf dem Festland überall die Kontrolle zurückzugewinnen.«

Er wandte sich langsam um. Die Sonne blitzte auf den goldenen Tressen seines Rockes. »Stimmen Sie mir zu?«

Bolitho wandte sich in seinem Stuhl um: »Ich bin ganz Ihrer Meinung, Sir. Aber …«

»Aber ist kein Wort, das mir zusagt«, schnappte Colquhoun. »Entweder Sie stimmen zu, oder Sie lehnen ab.«

»Ich denke, es sollte mehr getan werden, um die Kaperschiffe in ihren Stützpunkten aufzuspüren und zu vernichten, Sir.« Er unterbrach seine Worte und wartete auf eine bissige Bemerkung. Dann redete er weiter: »Wir haben zu wenig Schiffe für den Geleitschutz. Jeder von zwei oder mehr Schiffen energisch geführte Angriff auf Nachschubeinheiten kann eine einzelne Eskorte zum Teufel schicken.«

»Wahrhaftig, Sie überraschen mich!«

Bolitho biß sich auf die Lippen. Er hatte sich hinreißen lassen. Vielleicht hatte Colquhoun gehofft, daß einer seiner Freunde oder Schützlinge das neue Kommando erhalten würde, und betrachtete Bolitho nun als Eindringling. Wo auch immer die Ursache liegen mochte, an einer gewissen Feindseligkeit schien kein Zweifel zu bestehen.

»Ich habe natürlich von Ihrer Familie gehört, Bolitho. Seefahrerrasse. Keiner von euch hat sich jemals gefürchtet, Kopf und Kragen zu riskieren. Auch jetzt brauchen wir hier draußen die besten Offiziere, die wir kriegen können.« Er wandte sich plötzlich dem Fenster zu. »Kommen Sie her!«

Bolitho ging quer durch den Raum zu seinem Vorgesetzten und schaute auf die vor Anker liegenden Schiffe hinunter.

»Sieht ziemlich eindrucksvoll aus, nicht wahr?« Colquhoun stieß die Luft aus seinen Lungen. Es klang wie ein Seufzer. »Aber draußen auf See in alle vier Windrichtungen zerstreut sind sie nur eine Handvoll. Die Franzosen in unserem Rücken bedrohen England. Wir sind weit über unsere Sicherheitsgrenzen hinaus angespannt.« Mit einer weiten Handbewegung deutete er über den Hafen hin. Dort unten wurde eine Fregatte überholt. Stark gekrängt lag sie auf einer Seite. An ihrem Kiel wimmelte es von Arbeitern, ihre nackten Rücken glänzten im Sonnenlicht wie Mahagoni.

»Die Bacchante, sechsunddreißig Kanonen«, sagte Colquhoun sachlich. »Mein Schiff! Zum ersten Mal, seit ich das Kommando übernommen habe, kann ich die notwendigen Reparaturen unter der Wasserlinie durchführen lassen.«

Bolitho warf ihm einen raschen Blick zu. Seit seinen ersten und einzigen Erfahrungen auf der kleinen, mit achtundzwanzig Kanonen bestückten Destiny hatte er immer davon geträumt, einst eine Fregatte zu befehligen. Auf solch einem wendigen und schnellen Schiff alles außer den mächtigen Linienschiffen mit allem Schneid eines jungen Kapitäns anzugreifen! Welch eine verlockende Vorstellung.

Aber Colquhoun schien nicht in diese Rolle zu passen. Er war zart gebaut und hatte das blasse, empfindliche und gute Aussehen eines echten Aristokraten. Seine Kleidung war von hervorragendem Schnitt, und der Degen an seiner Hüfte mochte an die zweihundert Guineen wert sein.

Colquhoun hob seinen Arm. »Schauen Sie dorthin. Hinter meinem Schiff können Sie den Rest unsrer Flottille ausmachen. Mit diesen paar Schiffen soll ich Patrouillen fahren, den Feind auskundschaften. Depeschen überbringen und jedem weichlichen Kaufmann die Tränen aus den Augen wischen, wenn ein verdächtiges Segel über dem Horizont auftaucht. Fünfmal so stark sollten meine Streitkräfte sein, und selbst dann würde ich mir noch mehr wünschen.«

Mit einem prüfenden Blick wandte er sich Bolitho zu, der auf das blinkende Wasser hinunterstarrte.

»Drei Korvetten«, sagte Bolitho langsam. Dahinter sah er einen winzigen, bewaffneten Schoner. Sollte dies sein Schiff sein? Er schluckte hart. »Und ein Schoner.«

»Richtig.« Colquhoun ging zum Tisch und ergriff eine schwere Karaffe. Während er sie gegen die Sonne hielt, fuhr er fort: »Sie erhalten die Sparrow, Bolitho. Achtzehn Geschütze und erst zwei Jahre alt.« Er musterte ihn flüchtig. »Nach meiner Fregatte das beste Schiff unter meinem Kommando.«

Bolitho konnte ihn nur anstarren.

»Ich weiß nicht, was ich sagen soll, Sir.«

Der andere zog eine Grimasse. »Dann sagen Sie eben nichts!« Er goß zwei Gläser Brandy ein.

»Ich zweifle nicht an Ihrer Befähigung zum Seeoffizier, Bolitho. Ihre letzte Beurteilung ist mir Beweis genug. Gehorchen und Befehle auszuführen, ohne zu fragen, ist jedoch nur die eine Seite. Leute zu führen, ihr Geschick und ihr Leben in der Hand zu halten, ohne sie jemals aus dem Griff zu lassen, ist aber etwas ganz anderes.«

Er bot ihm ein Glas an. »Auf Ihr erstes Kommando, Bolitho. Ich wünsche Ihnen noch mehr von jenem Glück, das Sie auf Ihrem Weg ins Jahr 78 begleitet hat. Denn das kann ich Ihnen versprechen, Sie werden es dringend brauchen!«

Der Brandy brannte wie Feuer, aber Bolitho wirbelte immer noch so sehr der Kopf, daß er es kaum bemerkte. Eine neue Korvette! Die beste in Colquhouns Flottille! Ein Traum! Würde er nicht im nächsten Augenblick an Bord der Oktavia erwachen, und der heutige Tag würde erst beginnen?

»Ihr Vorgänger auf der Sparrow ist kürzlich gestorben«, sagte Colquhoun mit ruhiger, gleichmütiger Stimme.

»Oh, das tut mir leid, Sir!«

»Hm.« Colquhoun betrachtete ihn gedankenvoll. »Fieber, sein Erster Leutnant ist zu jung im Dienstrang, selbst für ein nur vorübergehendes Kommando.« Er zuckte die Achseln. »Durch Ihre Ankunft genau im rechten Augenblick, durch die Gnade unseres hochverehrten Admirals und natürlich, Bolitho, auch durch Ihre augenscheinlichen Qualitäten für dieses Kommando fiel die Wahl sofort auf Sie, eh?« Kein Lächeln erhellte seine Züge.

Bolitho schaute zur Seite. Es schien ihm sicherer zu sein, wenn er sich von vornherein darauf einstellte, daß Colquhoun keinen Sinn für Humor besaß.

»Ich will mein Bestes tun, Sir.«

»Selbstverständlich.« Colquhoun zog seine Uhr aus der Tasche und klickte den Deckel auf. »Die Besatzung der Sparrow ist vollzählig. Ich werde Ihre Prisenbesatzung auf andere Schiffe, wo sie dringend gebraucht wird, verteilen müssen. Es sei denn, Sie hätten irgendeinen besonderen Mann, von dem Sie sich nicht trennen möchten.«

»Ja, Sir, einen. Ich bin Ihnen sehr dankbar.«

Colquhoun seufzte. »Sie sind eine sonderbare Mischung. Es handelt sich wohl um einen Mann aus Cornwall?«

»Jawohl, Sir!«

»Nun gut …« Er sprach den Satz nicht zu Ende. Statt dessen sagte er: »Ich habe ein Boot angefordert. Es wird Sie in einer halben Stunde abholen. Bis dann werden Ihre Dokumente fertig sein.«

Bolitho wartete. Er wußte nicht, ob er sich noch andere Ratschläge anzuhören hätte.

Colquhoun schien seine Gedanken zu erraten und meinte ruhig: »Von Zeit zu Zeit werden Sie schriftliche Instruktionen erhalten. Aber man wird Ihnen nur sagen, was Sie zu tun haben. Wie Sie die Befehle ausführen und Erfolg erzielen, wird einzig und allein Ihre Bürde bleiben.« Er wandte sich wieder dem Fenster zu, seine Augen ruhten auf der gekrängten Fregatte. »Ich hatte bisher vier Kommandos. Das erste war natürlich das aufregendste, aber soweit ich mich erinnere, auch das einsamste. Ich konnte meine Kameraden in der Offiziersmesse nicht mehr um Hilfe bitten. Auch außerhalb meiner Dienststunden konnte ich keine Freiheit finden. In früheren Jahren hatte ich geglaubt, ein Kapitän sei so etwas wie ein Gott, der auf die Erde gesandt sei, um Befehle zu erteilen und die Durchführung mit all den Schwierigkeiten und Sorgen seinen Untergebenen aufzuhalsen. Jetzt weiß ich es besser. Auch Sie werden das noch erfahren.«

Bolitho griff nach seinem Hut. »Ich werde versuchen, mich daran zu erinnern, Sir.«

Colquhoun blickte an ihm vorbei. »Das werden Sie nicht tun! Sie werden denken, daß Sie alles besser wissen als alle anderen. So ist das eben, und so muß es auch wohl sein. Aber irgendwann unterwegs, zwischen den Zähnen eines Orkans oder im Feuer feindlicher Breitseiten oder meinetwegen auch in den Kalmen, wenn Ihre Leute auf dem Schiff vor Durst fast wahnsinnig werden, dann, Bolitho, werden Sie die wahre Bedeutung der Kommandogewalt erfahren. Wenn Sie Hilfe und Rat am nötigsten brauchen, werden Sie allein sein. Wenn alle anderen zu Ihnen aufs Achterdeck hinaufschauen und Sie die Macht über Leben oder Tod in Ihren Händen halten, dann, glauben Sie mir, werden Sie die Verantwortung eines Kapitäns kennenlernen.« Nach einer kurzen Pause fügte er noch hinzu: »Sie können im Zimmer neben dem Eingang warten.«

Die Unterredung war beendet.

Bolitho schritt zur Tür, seine Augen waren auf die Silhouette seines Vorgesetzten im hellen Viereck des Fensters gerichtet. Dieser Augenblick erschien ihm so wichtig, daß er sich jede Einzelheit einprägen wollte, sogar die Möbel und die wohlgefüllten Karaffen.

Dann schloß er die Tür hinter sich und kehrte in das Wartezimmer zurück. Als er auf seine Uhr schaute, bemerkte er, daß er sich erst seit zwanzig Minuten in diesem Haus aufhielt.

Gegen den Fensterrahmen gelehnt, starrte er zu den kleinen Schiffen hinunter, die im entfernteren Teil des Hafenbeckens vor Anker lagen. Er versuchte, seine Korvette zwischen den anderen Segelern auszumachen. Wie würde sich sein Schiff auf See bewähren? Wie würde seine Besatzung über ihn denken?

Endlich öffnete sich die Tür, und ein älterer Leutnant blickte herein. »Sparrow, Sir?«

Bolitho sah den versiegelten Umschlag in den Händen des Mannes und holte tief Luft.

Er nickte. »Ja.«

Der Leutnant neigte den Kopf und lächelte. »Ihre Befehle, Sir! Das Boot ist bereits unterwegs und nähert sich der Pier. Wenn die Trojan hier eintrifft, werde ich mich um Ihre Sachen kümmern.« Er zuckte die Achseln. »Ich bin jedoch nicht sicher, ob sie jemals bei Ihnen ankommen.«

Bolitho grinste, unfähig, seine äußere Ruhe zu bewahren.

»Verkaufen Sie alles in meinem Namen, ja? Helfen Sie mit dem Erlös einigen verwundeten Seeleuten, die auf ihre Heimreise nach England warten.«

Als Bolitho in das Sonnenlicht hinaustrat, zog der Leutnant eine stahlgefaßte Brille aus der Tasche und blickte ihm nach. Dann schüttelte er sehr langsam den Kopf. Ein bemerkenswerter junger Mann, dachte er, hoffentlich würde er so bleiben.

Nach der schattigen Kühle im Hauptquartier empfand Bolitho die Sonnenglut greller als zuvor. Als er die Küstenstraße entlangging, beschäftigten sich seine Gedanken kaum noch mit seiner Unterredung mit Colquhoun. Schon begann er sich zu fragen, was ihm sein neues Kommando wohl bringen mochte. Endlich würde er mehr Selbständigkeit besitzen, Freiheit von dem täglichen Gleichmaß von Signalen und Anforderungen, die seinen Aufgabenbereich auf der mächtigen Trojan ausgemacht hatten.

An einer Straßenbiegung blieb er stehen und beschattete seine Augen, um das Boot zu beobachten, das schon nahe der Pier heranstrich. Er fröstelte trotz der Hitze und begann, rascher als zuvor auszuschreiten. Für jeden anderen war es nur eines der vielen Boote, das im Auftrag seines Schiffes unterwegs war, aber für ihn bedeutete es viel mehr. Eine erste Berührung mit einigen seiner Leute, seiner Leute. Er sah die wohlbekannte Gestalt Stockdales neben einigen seiner neu erstandenen Habseligkeiten auf der Pier stehen und spürte einen plötzlichen Anflug von Wärme. Bolitho war überzeugt, daß es Stockdale gelungen wäre, auf eigene Faust zu ihm an Bord zu kommen, auch wenn Colquhoun ihm keinen einzigen Mann seiner Prisenbesatzung zugestanden hätte. In seinen weiten weißen Hosen, seiner blauen Jacke, muskulös und untersetzt, erinnerte er ihn an eine unzerstörbare Eiche. Auch er beobachtete mit zusammengekniffenen Augen und kritischer Aufmerksamkeit das herangleitende Boot.

Als Bolitho ein blutjunger Leutnant auf der Fregatte Destiny gewesen war, hatten sich ihre Wege zum ersten Mal gekreuzt. Er war mit dem undankbaren Auftrag, Rekruten für das Schiff zusammenzutrommeln, an Land geschickt worden. Ohne Hoffnung auf großen Erfolg hatte er mit seinen Seeleuten vor einer kleinen Schenke haltgemacht. Mit dem Hintergedanken, vor seinem nächsten Versuch, Freiwillige anzuwerben, etwas Ruhe und Erfrischung zu finden, hatte er hier sein Hauptquartier eingerichtet. Das alte Verfahren, von Dorf zu Dorf und von Schenke zu Schenke zu trotten, hatte sich kaum geändert. Als Ergebnis brachte man gewöhnlich nur ein paar Kerle zusammen, die für den harten Dienst auf einer Fregatte zu jung waren, oder man erwischte einen Haufen alter Seeleute, die an Land weder Erfolg noch Glück gefunden hatten und die nun in die Umgebung zurückkehrten, der sie auf immer abgeschworen hatten.

Stockdale gehörte nicht zu denen. Er war Preisboxer und stand mit entblößtem Oberkörper geduldig wie ein Ochse vor dem Wirtshaus, während sein scharfäugiger Ausrufer jedermann aufforderte, einen Kampf zu wagen und eine Guinee zu gewinnen.

Müde und durstig war Bolitho in die Schenke getreten und ließ seine kleine Abteilung für einige Augenblicke allein. Was kurz darauf geschah, war nicht ganz klar, aber als er wildes Fluchen hörte, in das sich das laute Gelächter der Seeleute mischte, rannte er hinaus und sah, wie einer seiner Männer die Guinee in seine Tasche steckte. Der rasende Ausrufer schlug Stockdale mit dem Ende einer Kette über Kopf und Schultern. Der siegreiche Seemann war ein mächtiger Kanoniersmaat, der gewohnt war, seine Autorität mit brutaler Gewalt zu behaupten. Es stellte sich nie heraus, ob er Stockdale ein Bein gestellt oder einen glücklichen Faustschlag gelandet hatte. Eines aber war sicher. Niemals wieder erlebte Bolitho, daß Stockdale in einem fairen oder unfairen Kampf geschlagen wurde. Als er seine Leute wieder antreten ließ, bemerkte er, daß Stockdale immer noch dastand und die ungerechte Bestrafung ohne Gegenwehr hinnahm, obwohl er seinen Peiniger mit einem einzigen Faustschlag hätte umbringen können.

Angewidert von diesem Anblick und gleichzeitig ärgerlich über sich selbst, hatte er Stockdale aufgefordert, in den Dienst des Königs zu treten. Die stumme Dankbarkeit des Preiskämpfers war fast ebenso peinlich gewesen wie das Grinsen auf den Gesichtern der Seeleute. Aber Bolitho hatte bei dem verdutzten, ungläubigen Gesichtsausdruck des Marktschreiers eine gewisse Genugtuung empfunden, als Stockdale wortlos sein Hemd anzog und den abmarschierenden Werbern folgte.

Wenn Bolitho geglaubt hatte, daß die Geschichte hiermit zu Ende wäre, so wurde er bald eines anderen belehrt. Stockdale fügte sich in das Leben auf See, als ob er dazu geboren wäre. Stark wie zwei Männer, war er doch freundlich und geduldig, und wann immer Bolitho in Gefahr geriet, war er in seiner Nähe. Damals, als Bolitho, vom Hieb eines Entermessers getroffen, niedersank, war es Stockdale gewesen, der seine Bootsmannschaft, die in Panik davongerannt war, wieder sammelte, die Angreifer niederkämpfte und seinen bewußtlosen Leutnant in Sicherheit brachte. Als Bolitho von der Fregatte auf die Trojan abkommandiert wurde, hatte es Stockdale fertiggebracht, ebenfalls versetzt zu werden. Er war Bolithos Ordonnanz, im Gefecht Geschützführer, und auf der aufgebrachten Brigg brauchte er die gefangene Besatzung nur anzuschauen, um sich augenblicklich Achtung zu verschaffen. Er sprach sehr wenig und mit heiserer, wispernder Stimme. Seine Stimmbänder hatten in all den Jahren, da er landauf, landab in den Schaubuden auf Jahrmärkten kämpfte, Schaden genommen.

Und dann, als Bolitho befördert wurde, hatte Stockdale schlicht gesagt: »Sie werden einen guten Bootssteuerer nötig haben, Sir«, er zeigte sein träges, schiefes Grinsen, »was für ein Schiff man Ihnen auch geben wird.«

So blieb Stockdale bei ihm. Bolitho hatte keinen Augenblick daran gezweifelt. Er wandte sich um, als Bolitho auf die Pier hinausschritt, und legte die Hand an seinen Hut.

»Alles fertig.« Er ließ seine Augen über Bolithos neue Uniform gleiten und nickte mit offensichtlicher Genugtuung.

»Nicht weniger, als Sie verdient haben, Sir.«

Bolitho lächelte. »Das müssen wir erst beweisen.«

Mit eingezogenen Rudern glitt der Kutter sanft gegen die Pfähle. Ein Seemann kletterte mit einer Leine auf die Pier.

Stockdale bückte sich nieder und hielt das schwankende Dollbord mit einer Faust fest. Sein Blick ruhte auf den bewegungslos sitzenden Ruderern. »Ein feiner Tag für den neuen Anfang, Sir«, meinte er mit heiserer Stimme.

Ein schlanker Fähnrich erhob sich im Kutter und zog weit ausholend seinen Hut. Er war ein gutaussehender, etwa achtzehnjähriger junger Mann, braungebrannt wie ein Eingeborener.

»Mein Name ist Heyward, Sir.« Er wand sich unter Bolithos kühlem Blick. »Ich – ich wurde geschickt, um Sie an Bord zu bringen.«

Bolitho nickte. »Danke, Mr. Heyward. Unterwegs können Sie mir über das Schiff berichten.«

Er wartete, bis Stockdale und der Fähnrich seine Seekiste und seine Taschen im Boot verstaut hatten, dann sprang er auf die Achterbank hinunter.

»Vorne abstoßen! Riemen bei!«

Heyward schien sich der Nähe seines neuen Kapitäns sehr bewußt zu sein. »Ruder an!«

Wie ausgebleichte Knochen hoben und senkten sich die Riemen mit regelmäßiger Genauigkeit. Bolitho blickte rasch über die beiden Reihen der Ruderer hin. Sie waren sauber in Paradehemden und weiße Hosen gekleidet und sahen kräftig und gesund aus. Manche Leute behaupteten, man könne ein Schiff immer nach seinen Booten beurteilen. Bolitho war anderer Meinung. Es gab Kapitäne, die ihre Boote wie Schaustücke pflegten, während an Bord ihrer Schiffe die Leute kaum besser als Tiere lebten.

Die Gesichter der Ruderer – die gewöhnlichen, bekannten Seemannsgesichter – blieben verschlossen und ausdruckslos, um Bolithos prüfendem Blick nicht aufzufallen. Sicherlich war jeder neugierig auf den neuen Kapitän. Für den Seemann war sein Kapitän kaum viel weniger als Gott. Er führte sie und konnte seine Geschicklichkeit im Kampf zu ihren Gunsten anwenden. Genausogut aber konnte er ihr Leben in eine tägliche Hölle verwandeln, und es gab niemand, der sich ihre Proteste und Beschwerden anhörte.

»Seit drei Tagen liegen wir hier vor Anker, Sir«, sagte der Fähnrich unsicher.

»Und vorher?«

»Patrouillendienst vor Guadeloupe. Wir sichteten eine französische Brigg, aber sie ist uns entkommen, Sir.«

»Wie lange dienen Sie schon auf der Sparrow?«

»Zwei Jahre, Sir, seitdem sie auf der Themse bei Greenwich in Dienst gestellt wurde.«

Stockdale straffte seinen Oberkörper. »Da liegt sie, Sir, genau Backbord voraus.«

Bolitho saß aufrecht im Heck. Er wußte, daß ihn jedermann anstarren würde, sobald er seine Augen vom Kutter abwandte. Kaum konnte er seine Erregung verbergen, als er zu der Korvette hinüberspähte, die jetzt hinter einem schweren Transportschiff in Sicht kam. Sie lag bewegungslos über ihrem Spiegelbild in der See. Ihre Flagge tupfte einen roten Farbfleck auf die dunstverhangenen Hügel des Hinterlandes.

Bolitho hatte während seiner Dienstzeit viele Korvetten gesehen. Gleich den Fregatten waren sie überall und immer im Einsatz. Als Mädchen für alles, als die Augen der Flotte, waren sie in allen Marinestützpunkten üblich. Aber Bolitho bemerkte im ersten Augenblick, daß diese Korvette sich von allen anderen unterschied. Von den sanft kreisenden Masttopps bis zur Linie der geöffneten Geschützpforten war sie eine vollkommene Schönheit, eine hochgezüchtete Miniaturfregatte, ein Schiff, das sich nach der freien See zu sehnen schien.

»Steuern Sie rund ums Schiff«, hörte sich Bolitho sagen.