Klassiker der Erotik 61: Julie - Die Abenteuer eines Strassenmädchens während der französischen Revolution - Andrea de Nerciat - E-Book

Klassiker der Erotik 61: Julie - Die Abenteuer eines Strassenmädchens während der französischen Revolution E-Book

Andréa de Nerciat

0,0

Beschreibung

Julie ist eine Dirne, ein Straßenmädchen, erfahren in den Künsten der Liebe - doch ihr Bett teilt die glühende Patriotin nur mit Männern, die wie sie selbst auf den Barrikaden der Französischen Revolution kämpfen. Es sei denn, sie dient den Zielen der Freiheit, wenn sie Aristokraten verführt. Der Autor, bekannt als Verfasser spannender erotischer Abenteuerromane, macht deutlich, welche Rolle die Dirnen von Paris während der Französischen Revolution gespielt haben. Mehr als 2000 nahmen zuweilen an den Sitzungen des Konvents teil, und viele von ihnen waren, wie die Heldin dieses Buches, bereit, für die neuen Ideale zu lieben und zu sterben.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 202

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



ANDRÉA DE NERCIAT

Julie

Die Abenteuer eines Straßenmädchens während der Französischen Revolution

Inhalt

Einleitung

Band 1

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Band 2

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Einleitung

Im Jahre 1791 erschien ohne Verfasserangabe das französische Original dieses erotischen Romans, der zu den klassischen Werken der französischen erotischen Literatur zählt. Er schildert die Abenteuer und Amouren eines Mädchens namens Julie, die von einer einfachen Prostituierten zur Mätresse bedeutender Politiker und Persönlichkeiten des revolutionären Frankreichs auf steigt.

Ein erotischer Abenteuerroman also, der A. de Nerciat zugeschrieben wird. Die ganze Anlage des Werkes und nicht zuletzt stilistische Gründe sprechen dafür, daß diese Vermutung einen hohen Grad von Wahrscheinlichkeit hat. A. de Nerciat wurde 1739 in Dijon als Sohn eines Rechtsanwaltes geboren. In seiner Jugend unternahm er zahlreiche Bildungsreisen. Nachdem er einige Jahre als Hauptmann in der Armee des Königs von Dänemark gedient hatte, kehrte er nach Frankreich zurück und trat in das Wachregiment von Versailles ein. In dieser Zeit - um 1770 - schrieb er einige erotische Werke, wie „Felicia“, „Les Aphrodites“, „Le Diable au corps“ und verschiedene Theaterstücke. Nach seiner Pensionierung führten ihn ausgedehnte Reisen in die Schweiz, Belgien und Deutschland. Neuere Forschungen zu seiner Biographie haben gezeigt, daß A. de Nerciat diese Reisen mit der Erledigung von Spionageaufträgen verband. Schließlich wurde er Bibliothekar in Kassel bei dem Landgraf Friedrich II., danach Baudirektor bei dem Herzog von Hessen-Rothenburg.

1787 reiste er im Auftrag des französischen Geheimdienstes nach Holland und Österreich. Nachdem er dort erfolgreich seine Spionageaufträge erledigt hatte, wurde er 1788 mit dem „Croix de St.-Louis“ ausgezeichnet. Er verfaßte in dieser Zeit die erotischen Werke „Mon Noviciat“ und „Monrose“. Im Jahre 1793 arbeitete er als Agent für Talleyrand-Perigord. Vier Jahre später wird er von seinem Auftraggeber nach Italien geschickt, um Madame Bonaparte zu überwachen, dann aber entlassen, weil er nebenbei noch für die Königin Marie-Caroline spioniert. Marie- Caroline schickt ihn in einer geheimen Mission zum Papst nach Rom, unterwegs wird er aber von französischen Truppen unter dem General Berthier gefangengenommen. Nach seiner Freilassung im Jahre 1800 stirbt er schwer erkrankt und in völliger Armut.

Wenn man berücksichtigt, daß A. de Nerciat sich seinen Lebensunterhalt durch Spionageaufträge verdiente und eine Art Geheimagent war, dürften seine Beschreibungen und Angaben über das Intimleben bedeutender Politiker aus dieser Zeit ein hohes Maß an Wahrscheinlichkeit besitzen.

Bei der Lektüre des Werkes stellt sich dem Leser die Frage, welche Absichten der Autor verfolgte, als er die Romanheldin Julie zu einer leidenschaftlichen Anhängerin der Französischen Revolution machte. Es scheint seltsam zu sein, daß eine Dirne die hehren Ziele der Französischen Revolution verkündet.

Leider ist kaum bekannt, daß die Dirnen aller Schattierungen vom Beginn der Revolution bis zu ihrem Ende eine wichtige Rolle gespielt haben. Sie bildeten einen Großteil des üblichen Publikums bei den Sitzungen des Konvents. Zuweilen waren es über zweitausend, die einen solchen Lärm machten, daß die Sitzungen unterbrochen werden mußten.

Es gab aber auch viele Dirnen, die es aus finanziellen Gründen mit der Gegenrevolution hielten. Ihre Zimmer waren die Zufluchtsstätten für Verfolgte und Flüchtlinge aller Art, die gut zahlen konnten. Man war deshalb gezwungen, strenge Maßnahmen gegen diese „hochverräterischen“ Dirnen zu ergreifen. Obwohl sie massenweise verhaftet und von der Straße verscheucht wurden, entgingen doch viele der Nachstellung durch die Behörden.

Als der General Henriot beauftragt wurde, das Palais- Royal von unsauberen Elementen zu säubern, versammelte er alle Dirnen um sich und fragte sie: »Bürgerinnen, seid Ihr gute Bürgerinnen?«

»Ja, Herr General!«

»Seid Ihr gute Republikanerinnen?«

»Ja, Herr General!«

»Habt Ihr in Eueren Zimmern auch keinen widerspenstigen Geistlichen, Österreicher oder Preußen versteckt?«

»Pfui, pfui! Wir nehmen nur Sansculotten an.«

Diese patriotischen Antworten verblüfften den General Henriot so sehr, daß er auf eine Vertreibung der Dirnen verzichtete.

Unter den Dirnen, die einen aktiven Anteil an der Revolution nahmen, ist besonders Theroigne de Mericourt zu nennen, die auch den Beinamen „die schöne Lütticherin“ hatte. Bei der Erstürmung der Bastille tat sie sich durch die Eroberung eines Turmes hervor. Später trafen sich in ihrer Wohnung die Berühmtheiten der konstituierenden Versammlung, wie etwa Mirabeau. Im Jahre 1791 wird sie auf einer Reise von österreichischen Soldaten gefangengenommen. Nach ihrer Entlassung entfaltete sie in den Clubs von Paris eine eifrige Tätigkeit zugunsten der Frauen und ihrer völligen Emanzipation.

Die Meinung der Öffentlichkeit über die Rolle der Dirnen bei der Revolution war offenbar geteilt. Einerseits hielt man sie für leidenschaftliche Revolutionärinnen, andererseits verdächtigte man sie, Helferinnen der Gegenrevolution zu sein.

Der Autor versucht nun in diese Diskussion mit seinem Werk einzugreifen, das ein entschiedenes Plädoyer zugunsten der Dirnen ist. Obwohl Julie von dem Pöbel als Aristokratin verdächtigt und an der Laterne aufgehängt werden soll, bleibt sie eine überzeugte Jakobinerin und lehnt grundsätzlich eine Liaison mit Aristokraten und Feinden der Revolution ab, als sie das Leben einer galanten Frau führt. Es gelingt ihr sogar, den Ex-Finanzminister von Frankreich, M. de Calonne, für die Ideale der Revolution zu begeistern. Aber der Autor beschränkt sich nicht nur darauf, sie zu einer Verfechterin der politischen Ideale dieser Revolution zu machen. Am Ende ihrer Karriere als Mätresse heiratet sie nämlich einen Bauern, und zur Begründung dieses Schrittes beruft sich Julie auf die Lehren der Physiokraten, die als einzige Quelle des Reichtums einer Nation nur die Natur und somit die Landwirtschaft anerkannten. Der Begründer dieser ökonomischen Theorie, die gegen Ende des 18. Jahrhunderts eine große Rolle spielte, war François Quesnay (1694-1774). Wenn der Autor meint, daß dieser Schluß besonders originell sei, weil hier eine Dirne heiratet, so können wir diese Auffassung nicht teilen. Nicht die Tatsache, daß eine galante Frau am Ende ihrer Karriere heiratet, ist ungewöhnlich und neu, sondern daß sie eine Bäuerin wird. Wird doch in den erotischen Romanen dieser Zeit in der Regel ein unschuldiges Bauernmädchen verführt, zur Dirne gemacht und steigt dann zur Mätresse eines reichen Mannes auf.

N. N.

Nach diesen Bemerkungen erübrigt es sich, darauf hinzuweisen, daß eine deutsche Übersetzung dieses geistvollen Erotikons aus der Zeit der Französischen Revolution schon lange überfällig war.

Band 1

Kapitel 1

Es ist ein Trost für alle Unglücklichen, wenn sie ihren Kummer erzählen und sich an der Überwindung früherer Schmerzen ergötzen können. Vor allem aber erlebt man vergangene Freuden noch einmal, wenn man sich an sie erinnert! Obwohl ich eine Frau und dazu noch jung bin, will ich die augenblickliche Ruhe, der sich meine Sinne erfreuen, ausnutzen, um einige meiner Abenteuer zu schildern. Wenn ich sie erzähle, empfinde ich Freude und Schmerz. Aber ich tröste mich über das eine durch die Erinnerung an das andere. Man fragt eine hübsche Frau nicht nach ihren Eltern. Es genügt, daß sie hübsch ist, Freude hervorruft und alle davon kosten läßt. Deshalb will ich meine Geburt und meine Erziehung schnell übergehen, obwohl diese Faktoren einen großen Einfluß im Leben haben. Da ich keine moralische Epistel verfassen will, werde ich auch nicht prüfen, wie sehr durch sie meine Handlungen beeinflußt wurden.

Ich bin in Paris am 15. April 1760 geboren. Mein Vater war ein ganz einfacher Sergeant in einem Corps, das in der bevorstehenden Revolution berühmt wurde. Seine Gattin verkaufte Franzbranntwein und hatte einen Krämerladen in der Vorstadt St. Honoré aufgemacht.

Trotz dieser bescheidenen Hinweise hoffe ich, man glaubt mir, daß ich die Wahrheit sage. In den ersten Jahren meiner Kindheit passierte nichts, was die Öffentlichkeit interessieren könnte. Ich war begierig nach Vergnügen, kokett und verliebt. In der Folge machten mich erst die Lebensumstände zur Intrigantin. Als ich das vierzehnte Lebensjahr erreichte, hatte ich zwar einige Vertraulichkeiten mit meinem Bruder, aber ich hatte noch nichts Ehrenrühriges getan. Meine Mutter lehrte mich, daß die Ehre einer Frau von einer Stelle des Körpers abhängig ist, die am wenigsten dazu geeignet ist, sie zu schonen. Doch ich hütete mich, dort einem anderen Menschen als meinem Bruder Zugang zu verschaffen, und obgleich der ein Lüstling war, hatte er doch Respekt vor mir. Er betastete diese Stelle nur mit der Spitze seines Fingers, ich aber verteidigte mich kaum gegen die Zudringlichkeiten, denen ich abwechselnd von Nachbarn und Bekannten ausgesetzt war. Da sie zu jeder Tageszeit in mein Elternhaus kommen konnten, überhäuften sie mich nacheinander oder bisweilen zugleich mit leidenschaftlichen Küssen. Ohne viel Mißfallen ertrug ich die anzüglichen Witze meiner Nachbarn. Ich bemerkte kaum das Tun ihrer zügellosen Hände und ihre unverschämten Grimassen, obgleich diese Nachbarn Männer waren. Nur meiner Mutter fiel auf, daß diese Schäkereien mein Blut ins Wallen brachten, aber bedrängt von einem energischen Regimentsarzt der königlichen Garde verschloß sie die Augen vor den Gefahren, der das ausgesetzt war, was sie in ihrer Verblendung noch als Tugend bezeichnete.

Dieser Arzt, vor dem ich mit Recht, wie ich glaube, kindlichen Respekt hatte, war ein gut gebauter Mann, den meine sich entwickelnden Reize nicht gleichgültig ließen. Er hielt mich für begabt und glaubte, daß man meine Anlagen mit Erfolg ausbilden könnte. Seitdem sich sein Interesse meiner Person zugewandt hatte, schlug er mir einen Zeichenlehrer aus seinem Freundeskreis vor, der mir umsonst Unterricht geben wollte. Bereitwillig nahm ich diesen Vorschlag an, durch den ich mich geschmeichelt fühlte.

Der Meister erschien, und M. Darmancourt - so hieß der Maler - verfolgte sehr wohl Nebenabsichten, als er mir seine Dienste anbot. Gleich beim ersten Besuch zeigte er mir seine Zuneigung.

»Sie haben«, sagte er zu mir, »eine Figur, welche die besten Anlagen verrät. Ich glaube, daß ich Sie bald mit meiner Kunst vertraut machen kann. Könnte ich doch in der Liebeskunst bei Ihnen eben sosehr erfolgreich sein!«

Nach dieser Vorbemerkung wollte er, daß ich nach einem bestimmten Modell zeichne und zeigte mir seine Männlichkeit. Ich mußte mit den Augen und den Händen alle Abmessungen durchstreifen.

»Ich versichere Ihnen«, sagte er zu mir, »daß nur wenige Meister imstande dazu sind, Ihnen so gute Originale zu beschaffen. Eine schöne Frau, die sich für diesen Beruf entscheidet, den Sie gewählt haben, muß alle Vorurteile ihrer Erziehung aufgeben, die so hochtrabende Namen wie Anstand und Sittsamkeit tragen. Ihre Augen müssen sich an alles gewöhnen und alles sehen können, ohne daran Anstoß zu nehmen. Da Sie sich nicht den üblichen Beschäftigungen Ihres Geschlechtes widmen wollen, müssen Sie auch den Kleinmut auf geben. Glauben Sie mir, Sie besitzen Fähigkeiten, die man ausnutzen muß. Schränken Sie aber Ihren Tätigkeitsbereich nicht ein! Die tote Natur hat Ihren Talenten nichts zu bieten. Studieren Sie das Leben!«

Die Reden und das Verhalten von M. Darmancourt verwirrten mich. Ich wagte weder zu fliehen noch meine Augen zu erheben. Er bemerkte meine Verwirrung und wollte daraus seinen Nutzen ziehen, um mir die erste Lektion zu erteilen, deren Sinn ich nur allzu gut begriff. Doch ich entwand mich seinen Armen, obwohl er sich bemühte, mich zurückzuhalten. So entzog ich mich seinen moralischen Belehrungen und besonders diesem Modell mit seinen großen Abmessungen, das mir Darmancourt gezeigt hatte. In der Folge habe ich niemals eine Kopie davon gesehen, obgleich ich Nachforschungen anstellte, um mir eine zu beschaffen.

Kapitel 2

Die jungen Mädchen verschweigen gern solche kleinen Abenteuer. Bestimmt hat meine Mutter nichts von dem geahnt, was mir in der Dachkammer widerfahren ist, wo sie mich mit dem Maler hingeschickt hatte. Ich hütete mich auch, ihr irgend etwas von dieser Lektion zu erzählen.

Heute lache ich über ihre Ahnungslosigkeit. Lächerlich finde ich auch die erheuchelte Sittsamkeit der jungen Mädchen, die wie ich schon frühzeitig und auf verschiedene Weise erfahren haben, daß die Männer skrupellos und rücksichtslos sind. Mit großer Unruhe wollte ich wissen, ob Darmancourt mir noch weitere Lektionen geben wollte oder sich entschlossen hatte, mich in Ruhe zu lassen, denn ich wollte auf keinen Fall seine Schülerin werden. Zwei Tage nach seinem Besuch bat er mich schriftlich um Verzeihung für seine Freveltat und teilte mir mit, daß er sich unwohl fühlte. Außerdem bat er mich, seinen Freund, den Arzt, zu ihm zu schicken.

Davon setzte ich M. Gilet in Kenntnis. Sogleich eilte er zu seinem Freund. Ich habe später erfahren, daß er einer vornehmen Dame die Lektion gegeben hat, die er mir erteilen wollte. Bei ihr holte er sich eine galante Krankheit, und nachdem er einst die Zierde der Meister gewesen war, blieb von ihm - Dank dieser Frau - nur das zurück, was die Natur erröten und erschaudern ließ.

Diese Neuigkeit erfuhr ich durch einen Brief, den der Arzt an den Vater von Darmancourt geschrieben hat und den er aus seiner Schatulle fallen ließ. Deshalb machte ich mir viele Gedanken über die Gründe und Ursachen dieser Krankheit. Ich beklagte meinen armen Lehrer und erwartete mit Ungeduld den Augenblick, wo er wieder zurückkäme, denn ich stellte mir vor, daß ein Mann, der so verstümmelt schien, wie ich aus diesem Brief erfuhr, eine sehr dumme und bescheidene Miene zur Schau tragen müßte.

Ich wartete also auf seine Rückkehr, und während dieser Zeit des Nachdenkens verschönerten meine jugendlichen Reize mein Äußeres und meine ganze Person. M. Gilet, der wahrgenommen hatte, daß ich die Einsamkeit und die Lektüre liebte, verschaffte mir genug Mittel, um meine Neigungen zu befriedigen. Er überzeugte meine Mutter, daß ich mich nicht zu Hausarbeit berufen fühlte. Man solle mir lieber erlauben, meinen Neigungen nachzugehen, die mich zu einer geistigen Tätigkeit hinführten. Es sei besser, mich lesen zu lassen, da ich dies ja wünschte.

Ich verehrte abgöttisch Rousseau. Nachdem ich diesen leidenschaftlichen Philosophen kennengelernt hatte, bestanden meine Neigungen aus Bedürfnissen, welche durch die Werke „Emile“ und „Heloise“ veredelt wurden. Ihm verdankte ich glückliche Augenblicke, und nach dieser Lektüre dachte ich erst so richtig über mich selbst und über die Folgen meines Temperamentes nach.

Mit achtzehn Jahren liebte ich Gott und liebte ihn so, wie ich ihn mir in meiner Unwissenheit vorstellte. Ich würde ihn bestimmt auch jetzt noch lieben, falls man mich richtig gelehrt hätte, ihn zu verstehen. Aber nun muß ich Ordnung in meine Erzählung bringen!

Sie werden also Schritt für Schritt meine Liebe zu Gott und dann zu seiner Schöpfung kennenlernen. Drei Monate waren seit der Abwesenheit meines Lehrers vergangen. Darmancourt, der durch das Skalpell zwei Drittel seiner Männlichkeit verloren hatte, war ein Musterbild von Frömmigkeit geworden. Er kam in unser Haus zurück, doch der Verlust dieses Organs, das ihm so teuer war, dämpfte seine Begierde.

Wir hatten beide unseren Gewinn durch die Fortschritte, die wir machten: ich in der Malerei und er dadurch, daß er dicker wurde. Ich hatte immer die Angewohnheit, über meine Handlungen, Freuden und Vergnügen nachzudenken. Je mehr sich meine geistigen Fähigkeiten entwickelten, desto mehr Wissen hatte ich mir auch erworben. Bei meinen frommen Gesprächen stellte ich Fragen, die den armen Darmancourt sehr verwirrten. Eines Tages fragte ich ihn, wie es möglich sei, daß eine Jungfrau noch ihre Jungfräulichkeit bewahrt, nachdem sie ein Kind bekommen hat. Diese Worte erzürnten meinen Lehrer so sehr, daß er mir einen strengen Verweis gab. Aber ich schloß daraus nur, daß er mir auf eine vernünftige Frage eine unbefriedigende Antwort erteilt hatte.

»Sie sind doch«, sagte er zu mir, »weit von dieser christlichen Vollkommenheit entfernt, die Sie, wie ich wünsche, erreichen mögen. Ihre Zweifel verraten nur, daß Ihre Glaubensgrundsätze noch nicht gefestigt sind. Sie müssen unterrichtet und beraten werden. Unglücklicherweise bin ich nicht in der Lage, Sie auf den Weg des Heils zu führen, aber wenn Sie mir Ihr Vertrauen schenken, dann werden Sie einen Diener Gottes als Helfer haben. Ich kann Ihnen nämlich in dieser Hinsicht raten, weil ich einen Verwandten habe, der bei den Jakobinermönchen in der Rue St. Honoré ist. Er gilt als ein frommer Mann. Obgleich er noch im besten Mannesalter steht, ist er in seinem Kloster ein Beispiel für Tugend und Frömmigkeit. Wenn Sie es gestatten, bemühe ich mich, daß er hierher kommt.«

»Aber, Monsieur Darmancourt«, erwiderte ich, »weder meine Mutter noch mein Vater können Mönche leiden.«

»Sobald sie ihn kennengelernt haben, werden sie entzückt sein!«

Obgleich es etwas schwierig war, bekam noch am selben Tag M. Darmancourt die Erlaubnis, den Jakobinermönch mitzubringen. So kam ich in die Hände und unter die Rute des Pater Jerôme.

Kapitel 3

Dieser Pater Jerôme war ein lustiger Bursche, der eine große Statur und eine blendende Gesundheit besaß. Doch er war ein Heuchler! Nachdem er ein Auge auf mich geworfen hatte, gab er mir zu verstehen, er würde den Auftrag, mich zu unterrichten, nicht ablehnen. Als einzige bemerkte ich seine wirklichen Absichten. Obgleich meine Eltern und der gute Darmancourt ihn für einen heiligen Mann hielten, der das lächerliche Gewand eines Jakobinermönches trug, war er in meinen Augen ein Lüstling.

»Na schön!« sagte ich zu mir selbst, als ich den Pater Jerôme betrachtete. »Die Vorsehung will es, daß das, was für andere nützlich und ein Mittel zum Heil ist, für mich zu einer Schule der Ausschweifung oder zu einem Grund der Verdammnis wird.«

Der Pater Jerôme gab mir eifrig Unterricht. Um meine Aufmerksamkeit zu täuschen, waren seine Augen immer gesenkt und seine Miene streng. Mit viel Beredsamkeit widerlegte er meine Zweifel, die ich ihm nicht verschwieg. Dieser Heuchler ließ nichts unversucht, um mich von der Meinung abzubringen, die ich mir sofort von ihm gebildet hatte. Und er hatte damit Erfolg. Als er sich seiner Macht sicher war, die ihm seine erheuchelte Strenge über mich verschafft hatte, begann er mit seinem Kursus der Ausschweifungen.

Zunächst war er mein Berater und danach mein Beichtvater. Obgleich ich mir genug Scharfsinn erworben hatte, besaß ich doch noch die Reinheit und Frische meines Alters. Bald kannte Pater Jerôme all meine Gedanken und die geheimsten Gefühle. Ich berichtete ihm von all meinen Handlungen, welche die Empfindsamkeit meines Herzens verrieten und das Gepräge meiner Natur trugen. Nur scheinbar erregten sie den Unwillen des frommen Mannes. Je mehr ich errötete, wenn ich ihm erzählte, wie ich in der Nacht meine Begierden befriedigte, desto mehr gefiel es dem Lüstling, sich auch die kleinsten Einzelheiten erzählen zu lassen.

»Haben Sie die Beine gespreizt? Wie lange behielten Sie diese lüsterne Stellung bei? Dauerte das Entzücken lange?«

Das waren die anzüglichen Fragen dieses Lüstlings. Ich errötete und antwortete nur mit Ja oder Nein. Als ich ihm von neuem erzählte, wie ich den Verlockungen des Bösen erlag, sagte er zu mir: »Jetzt gibt es keine Vergebung mehr! Ich habe lange genug meinen heiligen Zorn unterdrückt! Alle Gefahren des geheimen Lasters, dem Sie sich hingeben, habe ich Ihnen vor Augen geführt. Das Fleisch muß gebändigt werden. Ahmen Sie die Einsiedler nach, deren fromme Übungen und nützliche Geißelungen ich Ihnen geschildert habe.«

»Mein Vater, wie kann ich mir diese Angewohnheit abgewöhnen, die mir soviel Spaß macht. Ich würde sie heute noch aufgeben! Muß ich mich aber solcher Methoden bedienen, die der Verstand mißbilligt?«

»Der Verstand muß schweigen, wo Gott spricht! Er befiehlt Ihnen zu gehorchen.«

Aus Schwäche oder Neugierde gehorchte ich. Ich mußte mich aufschürzen, und er züchtigte mich. Seine Augen leuchteten vor Lust, als er den Altar der Wollust betrachtete. Dann setzte er sich hin und sagte zu mir: »Kommen Sie zu mir her und küssen Sie Ihren Zuchtmeister!«

Furchtsam und mit gesenkten Augen ging ich zu ihm hin. Da er noch sehr jung und unverbraucht war, empfand ich keine Abneigung, als ich mich seinem Gesicht näherte. Dann mußte ich mich auf seinen Schoß setzen, und er küßte mein Gesicht. Zu guter Letzt gab ich ihm unfreiwillig einen Kuß, der der Beginn der Liebesschlacht war. Nachdem er die Maske des Heuchlers abgelegt hatte, sagte er zu mir: »Ich habe Sie noch nicht an dieser Stelle gezüchtigt, wo Sie die stärksten Gefühle haben und welche die Ursache Ihrer Sünden ist. Man muß das Übel an der Wurzel ausrotten.«

Die Anstrengungen, die wir beide nun machten, riefen bei mir Schmerzen und Wollust hervor. Als er die jungfräuliche Barriere durchbrach, stieß ich einen Schrei aus. Auf diesen Schrei hin eilte mein Vater herbei, der an diesem Tag keinen Dienst hatte. Da die Tür verriegelt war, konnte der Pater noch seine Kleider in Ordnung bringen.

»Was machen Sie in dem verschlossenen Zimmer?« rief von draußen wütend mein Vater.

Der Pater Jerôme und ich waren mehr tot als lebendig und völlig ratlos. Ich gab dem Pater eine Zahnzange, die der Arzt M. Gilet auf dem Kamin zurückgelassen hatte. Ich selbst legte meine Hand auf den Mund. Dann öffnete ich die Tür und stellte mich vor meinen Vater.

»Was soll das bedeuten!« schrie er, als er eintrat. »Die Tür war verschlossen! Weshalb dauerte es so lange, bis Sie die Tür geöffnet haben?«

Der Pater Jerôme gab meinem Vater zur Antwort, er sei sehr erfahren im Zähneziehen. Ich hätte schon seit mehreren Nächten unter Zahnschmerzen gelitten. Da meine Mutter aber nicht wolle, daß mir ein Zahn fehle, habe sie sich nicht entschließen können, ihn mir ziehen zu lassen. Ich hätte mich mit dem Pater eingeschlossen, damit uns niemand bei dieser Operation störe.

»Wo ist der Zahn?« erwiderte mein Vater. »Ich möchte ihn gern sehen!«

»Ich bekam es mit der Angst zu tun und bin beim ersten Schmerz weggelaufen. Der Pater konnte seine Aufgabe nicht erfüllen.«

»Oh! Er hat seine Aufgabe nicht erfüllen können? Na gut! Diese Ehre wird ihm auch nicht zuteil werden«, sagte mein Vater, als er sich beruhigt hatte, »denn ich möchte nicht, daß Seine Hochwürden Gefahr läuft, Sie zu verletzen!«

Der Pater Jerôme trug eine sehr heuchlerische Miene zur Schau und senkte den Kopf, als er aber hinausging, warf er mir einen Blick zu, aus dem ich herauslas, daß er von mir ein weiteres Tête-à-tête erhoffte. Aber unglücklicherweise bewahrte mein Vater nicht Stillschweigen über den Mißerfolg dieser Operation. Da die Nachbarn diesem Vorgang einen anderen Namen gaben, glaubten meine Eltern nach bestem Wissen und Gewissen verpflichtet zu sein, dem heuchlerischen Jakobinermönch ihr Haus zu verbieten.

Kapitel 4

Ich stellte trübselige Überlegungen über die Attacken an, denen ich meine Tugend ausgesetzt hatte, und vergegenwärtigte mir die grausamen Folgen, welche die Tat des Lüstlings Jerôme hatte. Auch mußte ich an den Schaden denken, der meiner Ehre zugefügt wurde, ohne daß mein Herz beteiligt war. Mit großer Bitterkeit fragte ich mich, ob ich mit meinen achtzehn Jahren die Liebe nur in der Form schamloser Liebkosungen eines Malers und eines Mönches kennenlernen sollte. Ich hatte noch nie geliebt, obwohl ich mir diese so kostbare Blume pflücken ließ, der sich schon hundert Hände ohne Erfolg genähert hatten. Der Schatz, den ich in meiner Fantasie für ein göttliches Wesen aufbewahrt hatte, war unter Schmerzen eine Beute des Jakobinermönches geworden.

Mit großer Zurückhaltung begegnete ich dem allzu vertrauensseligen Darmancourt. Ich sage vertrauensselig, weil er als einziger mit großer Leidenschaft die Tugend des Gottesmannes verteidigte, den er in mein Elternhaus eingeführt hatte.

»Wie bösartig sind doch die Männer!« sagte ich eines Tages nach meinem traurigen Abenteuer zu mir selbst. »Die edelsten Motive erweisen sich alle als Heuchelei! In einer so schlechten Welt und in einem so verdorbenen Jahrhundert geht die Tugend durch die Schlechtigkeit zugrunde.«

Doch ich besaß zuviel Selbstachtung, um die gute Meinung, die M. Darmancourt von dem Jakobinerpater hatte, noch zu teilen. Glücklicherweise kam seine Ansicht, die er von der Tugend des Paters hatte, ein wenig auch mir zugute. Durch seine Beredsamkeit widerlegte er alle spöttischen Bemerkungen der Nachbarn.