Kleider machen Leute - aber was machen Leute ohne Kleider? - Anna Held - E-Book

Kleider machen Leute - aber was machen Leute ohne Kleider? E-Book

Anna Held

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Beschreibung

Kleider machen Leute, diese Lebensweisheit aus dem 19. Jahrhundert hat auch 150 Jahre später nicht an Bedeutung verloren. Vor allem mit der besorgten Frage Aber was machen Leute ohne Kleider als Nachsatz. Wen wundert es da, dass es in dieser Anthologie um das Drunter, das Drüber und das Ohne geht: Wie kann frau in Russland nach dem Zweiten Weltkrieg an Damenunterwäsche aus zarter chinesischer Seide kommen? Wohin mit dem Schneiderkostüm, das der vergrößerten Persönlichkeit der Kundin nicht mehr passen will? Was tun in der Boutique mit zuvor sündhaft teuren Schuhen, die inzwischen zwar als Einzelpaar herabgesetzt, aber doch etwas eng sind? Welche Sorgen und Ängste mögen den ansonsten Gutbetuchten in der Sauna plagen? Im Ganzen ein augenzwinkernder Blick auf die Eitelkeiten beiderlei Geschlechts.

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Inhalt:

Kleider machen Leute …

E. von Kleist

Gustav

H. Johänning

Mini-Briefromann

D. Schindler

Verkaufen will gelernt sein

L. Dümichen

Dandy Junior

H. Johänning

Dialog am Caféhaus-Tisch

D. Schindler

Hosen

E. von Kleist

Hexenstiche

H. Johänning

Kinderlogik

D. Schindler

Aufgewecktes Dornröschen

H. Johänning

La giacca stupida

E. von Kleist

Wert-Schätzung

H. Johänning

Hemd auf Markt

D. Schindler

Der Zweck heiligt die Mittel

H. Johänning

Rote Tasche

L. Dümichen

Zum Teufel mit der Tasche!

E. von Kleist

Liebe Freundin!

D. Schindler

Nachbarschaftshilfe

E. von Kleist

Scarlett aus Kasachstan

L. Dümichen

Die! oder keine!

H. Johänning

Gangarten

D. Schindler

Das Verkaufsgenie

L. Dümichen

Männliche Größe

E. von Kleist

Sommernachtstanz

D. Schindler

Flagge gezeigt

H. Johänning

Liebestöter …

L. Dümichen

Indianerspielee

H. Johänning

Der Kompromiss

D. Schindler

It’s Partytime

H. Johänning

Aus: Spätlese & Eiswein:

L. Dümichen & E. von Kleist

Seide

H. Johänning

Vorab:

ANNA HHEELLDD steht als Gruppenpseudonym für HHannelore Johänning, EEva von Kleist, LLudmilla Dümichen und DDagmar Schindler.

Die vier Autorinnen nehmen die – manchmal beängstigend enge – Verbindung zwischen Mensch und Kleidung in den Blick.

Denn „Kleider machen Leute“, diese Lebensweisheit aus dem 19. Jahrhundert hat auch 150 Jahre später nicht an Bedeutung verloren, vor allem mit der besorgten Frage „Aber was machen Leute ohne Kleider?“ als Nachsatz.

Wen wundert es da, dass es in dieser Anthologie um das Drunter, das Drüber und das Ohne geht:

Wie kann frau in Russland nach dem Zweiten Weltkrieg an Damenunterwäsche aus zarter chinesischer Seide kommen?

Wohin mit dem Schneiderkostüm, das der vergrößerten Persönlichkeit der Kundin nicht mehr passen will?

Was tun in der Boutique mit zuvor sündhaft teuren Schuhen, die inzwischen zwar als Einzelpaar herabgesetzt, aber doch etwas eng sind?

Welche Sorgen und Ängste mögen den ansonsten Gutbetuchten in der Sauna plagen?

Fragen über Fragen, denen die Autorinnen hier nachgehen, wobei selbstverständlich überlebensnotwendige Accessoires wie Damenhandtaschen ebenfalls nicht zu kurz kommen.

Und manchmal geht es natürlich auch tierisch rund.

Im Ganzen ein augenzwinkernder Blick auf die Eitelkeiten beiderlei Geschlechts.

Eva von Kleist

Kleider machen Leute – aber was machen Leute ohne Kleider?

Eva von Kleist

Kleidung und Zubehör verraten der Umwelt viel über ihre Trägerin bzw. ihren Träger. Diese Informationen werden hin und wieder unbewusst ausgesendet, häufig jedoch mit voller Absicht.

Die Herrenschuhe von Santoni aus Krokodilleder für 3.950 € der Herren-Pullover aus Wolle und Kaschmir von Prada mit den unerwarteten Farbkontrasten aus Gelb, Schwarz und Purpur, zum Preis von 4.500 €, die Hemdjacke von Dior aus Baumwollstrick in Beige und Marineblau für 1.300 €, das Kelly Bag 28 von Hermès aus Leder, immerhin um 1.230 € herabgesetzt auf 26.770 €: All das sind Dinge, an denen Menschen „von Wert“ sich erkennen und zuordnen können. Es sind Hinweise für Insider auf den sozialen Status der so geschmückten Person.

Ich dagegen musste diese Prachtstücke googeln und wurde fündig unter „sehr teure Schuhe, sehr teure Pullover, Luxus-Handtaschen“. Als Nichteingeweihte hätte ich auf der Straße zum Beispiel das Kelly Bag nicht als solches erkannt, geschweige denn seinen Preis für möglich gehalten, und den Träger des Herren-Pullovers hätte ich bemitleidet, da ich ihn für farbenblind gehalten hätte und für einsam, ohne einen Menschen an seiner Seite, der ihm von derlei Scheußlichkeiten abrät.

Aber zurück zu Kleidung und Accessoires als Hinweise auf die gesellschaftliche Position. Was machen Menschen „von Wert“ an Orten, wo Kleidung nicht erwünscht ist. Ich meine nicht den FKK-Strand. Hier kann notfalls der teure Sonnenschirm als Hinweis auf das gesellschaftliche Oben dienen, zum Beispiel der elegante Knirps-Pendelschirm für 1.079 €, ganz zu schweigen von den edlen Strandtaschen von Dior für 3.000 €. Nein, ich meine die Sauna, den Ort, an dem die Besucherinnen und Besucher sich noch nicht einmal am teuren Parfum erkennen können.

Meine Geschichte spielt im April des Jahres 1990 in der Eymann-Sauna in Amelsbüren, einer großzügigen Saunalandschaft, wo neben einer großen Gemeinschaftssauna zahlreiche kleinere Schwitzhütten – jede für maximal sechs Personen – auf einem weitläufigen Gelände (ca. 8.000 qm) verteilt sind. Durch große Glasscheiben ermöglichen diese Hütten entspannende Blicke auf einen Naturteich mit gemütlich ihre Kreise ziehenden Enten, die sich auch von den Gästen, die ab und an eine Runde durch das kühle Nass wagen, nicht stören lassen.

Und deshalb verbrachte ich den Freitagnachmittag sehr gerne in der Eymann-Sauna, im Allgemeinen in Begleitung meiner Kollegin Marlies. Dabei kam so mancherlei zur Sprache, was uns in der Woche zu denken gegeben hatte. Warum hatte Jannis aus der 10 b schon wieder unentschuldigt gefehlt? Wie sollte man so zu einer Note kommen? Da musste die Klassenlehrerin ran, die Frau Meyer-Brinkhoff. Sie sollte gefälligst die Eltern anrufen, nein, das Ganze besser schriftlich. Aber die würde bestimmt nichts machen, die machte ja nie was. Hatte sich auch mal wieder in der Projektwoche krankgemeldet. Klar, es gab ja genug blöde Packesel, die die Arbeit dann miterledigten.

Nach dem dritten Saunagang und einigen Runden im Ententeich waren dann normalerweise sowohl Jannis aus der 10b als auch seine Klassenlehrerin Frau Meyer-Brinkhoff ausgeschwitzt und abgespült, und wir konnten ins Wochenende starten, deutlich erleichtert.

An jenem Tag im April jedoch hatte Marlies keine Zeit, und so beschloss ich, allein in die Sauna zu fahren. Erfreulicherweise war die von mir bevorzugte Schwitzhütte leer. Glück gehabt! Dieser schöne Zustand währte jedoch nicht lange. Ein älterer Herr im Alter meines Vaters, großgewachsen, gebräunt, mit silbernen Brustlocken, öffnete die Tür:

„Oh Entschuldigung. Darf ich eintreten?“

„Selbstverständlich. Das ist eine öffentliche Schwitzhütte.“

„Dann setze ich mich mal hier vorne hin.“ Und nach einer kleinen Pause: „Das ist wirklich eine schöne Aussicht hier.“

„Deswegen komme ich auch immer gerne.“

„Vor allem eine sehr schöne Anlage, im Ganzen so.“

„Und so ruhig, normalerweise.“

„Erinnert mich etwas an den letzten Urlaub in Portugal.“

„Ach, tatsächlich?“

„Ich bin Ende März erst wiedergekommen, sozusagen hier in den Frühling geflogen.“

„Wie schön.“

„Vor allem muss man in der ersten Klasse auch die Beine nicht anziehen. Bei meiner Körpergröße ist das wirklich angenehm.“

„Bestimmt.“

„Andererseits braucht man bei einem längeren Urlaub immer jemanden, der zuhause nach dem Rechten sieht.“

„Gewiss.“

„Vor allem, wenn es so einiges zu holen gibt. Aber da kann ich mich ganz auf Maria, meine Haushälterin, verlassen. Man kann schließlich nicht alles in den Safe packen.“

„Nein.“

„Die kümmert sich wirklich hervorragend um alles, und das Beste ist, ihr Mann macht den Garten. Da ist auch sehr viel zu tun.“

Kopfnicken.

„Gute Leute findet man heute kaum noch. Und das ist ja schließlich eine Vertrauensstellung. Jeden kann man auch nicht nehmen.“

„Hmm.“

„Und in der Firma sieht’s genauso aus. Sie glauben gar nicht, wie schwer es da ist, qualifizierte Kräfte zu finden. Wenn ich schon die Bewerbungsschreiben lese! Erschütternd – einfach nur erschütternd. Und keinen geraden Satz kriegen die raus. Und wie die schon angezogen sind! Da kann man doch nur mit dem Kopf schütteln.“

Ich schwieg, in der Hoffnung, dass mein Schwitznachbar mein Verstummen als mehr oder weniger eleganten Hinweis verstehen möge, sich auf den eigentlichen Zweck seines Besuchs zu besinnen und zu schwitzen, am besten stumm.

Diese Hoffnung erfüllte sich nicht. Ganz im Gegenteil: Mein Schweigen schien vielmehr eine Bühne eröffnet zu haben, auf welcher der erster Klasse fliegende Firmenchef mit treusorgender Haushälterin und ebensolchem Gärtner die drückenden Probleme vor mir ausbreitete, die seine wirtschaftliche Position mit sich brachte. Und während ich immer deutlicher nicht zuhörte, zwischendurch schon mal kurz einzunicken schien, wurde er immer hektischer, strich sich mit der Rechten häufig fast zwanghaft über den linken Handrücken. Offensichtlich vermisste er seine Uhr, die einen weißen Rand auf seinem gebräunten Arm hinterlassen hatte.

Und schließlich, als ich Anstalten machte, die Schwitzhütte zu verlassen, da brach es aus ihm heraus:

„Wissen Sie eigentlich, dass ich sehr viel Geld habe?“ Wobei er seine Offenbarung mit eindringlichem Blick unterstrich und eine verrutschte Haarsträhne energisch auf einen Platz hinter seinem rechten Ohr verwies.

Welch ein Glück, dass Menschen bei uns im Allgemeinen Kleidung tragen! Mein besonderer Dank gilt hier unter anderem den Firmen Dior, Hermès und Prada, die Geständnisse dieser Art überflüssig machen.

Gustav

Hannelore Johänning

Das noch feuchte Badetuch liegt auf dem Boden der Badestube. Junior hat soeben die Badewanne verlassen und es wie immer auf dem Parterre liegengelassen. Die ganze Badestube samt Einrichtung scheint den jungmännlich herben Duft tief einzuatmen, gerne von diesem zelebrierten Tun zu partizipieren.

Gerade will ich die Unordnung gegen die lieb gewohnte Ordnung tauschen, bleibe aber wie festgenagelt an der angelehnten Tür stehen. Gustav glaubt sich unbeobachtet, wälzt sich mit artistischen Verrenkungen ausgiebig und gründlich auf dem im feuchten Zustand besonders intensiv wohlriechenden Frottiertuch hin und her. Mit geschlossenen Augen und mit Hilfe seiner Vorderpfoten bearbeitet er hingebungsvoll auch sein hübsches Katzengesicht. Wüsste er, dass er beobachtet wird, er wäre längst nicht so entspannt. Aus tiefstem Herzen verabscheut Gustav Zuschauer und Beobachter. Ich denke mir meinen Teil und gleichzeitig an das niedliche, graziöse Kätzchen, das hier seit kurzem in der Gegend aufgetaucht ist. Ich glaube, Gustav macht ihm den Hof.

Würdevoll schreitet er Stufe um Stufe die Treppe herunter, wobei er jeden Kontakt mit der Wand vermeidet. Auch meinem Streicheln weicht er weiträumig aus, um möglichst lange den Wohlgeruch zu konservieren. In der Diele gibt es den bis fast zum Boden reichenden Spiegel. Mit kerzengeradem aufgestelltem Schwanz flaniert er in der Diele umher, lauert auf den Moment, wo ich aus seiner Nähe verschwinde. Ich tu so, als ob, und Gustav kontrolliert sich im Spiegel, leckt hier und da noch ein paar ungehorsame Fellhaare zurecht, akzeptiert dann aber sein gespiegeltes Ich in vollem Umfang. Schließlich stammen seine Urahnen aus Siam. Sie haben ihm diese becircenden chinablauen Augen hinterlassen. Zur Fellfarbe meldet sein Pass: Chocolate point!

Was hat er sich wieder toll herausgeputzt! Ich stelle ihn mir im feinen Zwirn vor. Taubenblau würde ihm gut stehen. Die ausgefallene Krawatte wäre unter dem Kragen des hellblauen Hemds lose, gewollt lässig-leger zurechtgezupft, der farblich passende Blazer nur locker übergeworfen. Der sportive Hut in Beige säße keck auf seinem Kopf, ließe aber, um akustisch ja nichts zu verpassen, das linke Ohr unbedeckt.

Und nun wird seine Geduld strapaziert. Er wartet möglichst unauffällig auf den günstigen Augenblick, wo der Senior heimkehrt und wie gewöhnlich bedächtig die Haustür öffnet. Immer dann gelingt ihm nämlich auszubüxen. Ihn zurückzupfeifen ist sinnlos, er ist schließlich kein Hund.

Wir sitzen endlich gemütlich im Wohnzimmer, lassen die Tageshetze abflauen, genießen den Rest des Tages. Durch die gekippte Balkontür höre ich Miauen. Das könnte Gustav sein. Ich bin mit Denken noch nicht ganz fertig, da antwortet zärtlich und verhalten leise ein Maunzen.

Mini-Briefroman

Dagmar Schindler

Atelier Nahter

Maßschneiderei

37619 Bodenwerder

Mausenstraße 7

Bodenwerder, den 10.11.93

Betr.: Kreation eines Stilkostüms

Sehr geehrte Frau Ungern!

Wie vor drei Monaten verabredet, senden wir Ihnen die bestellte Garderobe zu und hoffen, die Arbeit zu Ihrer vollen Zufriedenheit ausgeführt zu haben.

Wir erlauben uns, die Rechnung beizulegen.

Hochachtungsvoll Ihr G. Nahter

Atelier Nahter

Maßschneiderei

37619 Bodenwerder

Mausenstraße 7

Bodenwerder, den 15.11.93

Betr.: Kreation eines Stilkostüms

Sehr geehrte Frau Ungern!

Wir bedauern sehr, dass wir Sie mit unserer Arbeit nicht zufriedenstellen konnten. Sie kritisieren, dass das Kleid nicht passe, dass der Reißverschluss schon bei der ersten Anprobe ausgefranst und eine Rückennaht geplatzt sei.

Wir haben jedoch entsprechend den Maßen, die wir von Ihnen abnahmen, gefertigt und genäht.

Daher sehen wir keinen Anlass, einen Nachlass an der Rechnung vorzunehmen.

Hochachtungsvoll Ihr G. Nahter

Atelier Nahter

Maßschneiderei

37619 Bodenwerder

Mausenstraße 7

Bodenwerder, den 17.11.93

Betr.: Kreation eines Stilkostüms

Sehr geehrte Frau Ungern!

Sie nehmen an, dass wir uns bei dem Zuschnitt Ihres Kleides geirrt haben müssten.

Das ist nach neuerlicher Durchsicht unserer Unterlagen nicht nachvollziehbar. Wir können Ihnen gern eine Kopie unserer Erhebungsdaten zuschicken.

Leider hatten Sie mehrfach unser Angebot, zu einer Zwischenanprobe ins Atelier zu kommen, nicht wahrgenommen.

Dass Sie Ihre Persönlichkeit in den letzten drei Monaten vergrößern würden, war für uns also weder erkennbar noch erwartbar.