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Kleine, feine - und gemeine Kurz-Krimis: Selbstbewusste ältere Damen, kapriziöse Musikerinnen, herrschsüchtige Ehemänner, raffgierige Golfer und weitere seltsame, bisweilen etwas schrullige Typen garantieren dem Leser ein spannendes und abwechslungsreiches Lesevergnügen mit Pfiff und einer Prise schwarzem Humor.
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Seitenzahl: 119
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ANNE HEESEN
KLEIN, FEIN – und GEMEIN!
cosy short crimes
© 2023 Anne Heesen
Website: www.simplygood.de
ISBNHardcover:
978-3-347-92306-5
ISBN E-Book:
978-3-347-92307-2
Druck und Distribution im Auftrag der Autorin:
tredition GmbH, An der Strusbek 10, 22926 Ahrensburg, Deutschland
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist die Autorin verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne ihre Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag der Autorin, zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung "Impressumservice", An der Strusbek 10, 22926 Ahrensburg, Deutschland.
Für Jürgen
Die Welt als solche ist vielschichtig.
Die Welt der Gefühle ist unergründlich.
(A. H.)
Cover
Titelblatt
Urheberrechte
Irren ist tödlich
Wie die Spinne im Netz
Mit Knochen spielt man nicht
Ganz einfach
Kommissar Schafflers letzter Fall
Unverhofft kommt oft
Déjà vu
Ein passendes Geschenk
„Schönes Spiel!“
Melodie des Todes
Nachwort
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Cover
Titelblatt
Urheberrechte
Irren ist tödlich
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Irren ist tödlich
Henry ballte seine Hände zu Fäusten, reckte sie nach oben, atmete tief ein und stieß dann einen gellenden, langanhaltenden Schrei aus. Dieser Schrei musste einfach aus ihm heraus. Frei – endlich frei! Voll neu gewonnener Lebensfreude kickte Henry übermütig einen Stein zur Seite, der vor ihm auf dem Boden lag.
Am frühen Morgen war er aus der forensisch-psychiatrischen Klinik entlassen worden, hatte auf direktem Weg sein vom Gericht zugewiesenes Zimmer in einer betreuten Wohngruppe aufgesucht, sich dort den Angst- und Schweißgeruch der Haftanstalt weggeduscht, frische Kleidung angezogen und ausgiebig gefrühstückt. Die frischen Brötchen, bestrichen mit reichlich Erdbeermarmelade, waren ein Genuss gewesen.
Jetzt schlenderte er den Weg entlang zu einem seiner früheren Lieblingsplätze, einem nahegelegenen Wäldchen mit angrenzendem Weiher. Die Schultern nach hinten gestreckt, schaute Henry mit erhobenem Kopf und klarem Blick selbstbewusst geradeaus. Er spürte den unbändigen Willen, ab dem heutigen Tag sein Leben neu zu gestalten.
Zehn verdammt lange Jahre war es her, dass er wegen Mordes an seiner Mutter erst ins Gefängnis, dann in den Maßregelvollzug eingewiesen worden war. Ein kurzer, schmerzhafter Stich in seiner Brust nahm ihm bei diesem Gedanken für einen Moment den Atem. Nun endlich, nach diesen langen Jahren der Haft, unzähligen Tests und Untersuchungen, hatte ihm gestern sein Psychiater Dr. Simon Gote die vollständige psychische Genesung bescheinigt. Wie hatte er diesen heutigen Tag in Freiheit herbeigesehnt!
Dankbar sog er die frische Frühlingsluft ein, um ihn herum roch es nach dem ersten frisch gemähten Gras. Henry schnalzte mit der Zunge und seine Gedanken schweiften zurück zum Tag der Verurteilung. Was hatte der Psychiater vor Gericht in seinem Gutachten dargestellt? Der Mord an seiner Mutter wäre mit eiskalter Berechnung und unglaublicher Gefühlskälte geschehen. Die Diagnose: Eine seltene Form der Schizophrenie, und er, Henry, ein Mensch ohne Gefühl für Schuld und Moral.
Während der Haft hatte er dann seine Kindheit mit diesem, als Koryphäe geltenden, Psychiater durchgesprochen. Natürlich war auch seine Mutter ein Thema gewesen, die ihn schon als kleines Kind gehasst hatte, weil Henry ihr nie etwas recht machen konnte. Oft hatte sie ihn grundlos geschlagen, über seine Tränen nur gehässig gelacht und ihn einen ‚Schlappschwanz‘ und ‚Nichtsnutz‘ genannt. Irgendwann hatte er dann zurückgeschlagen – allerdings ohne irgendetwas dabei zu spüren. Kein Hass, kein Mitleid, keinerlei Schuldgefühl.
Henry schluckte kurz, seine Kehle fühlte sich trocken an. Er zog eine kleine Wasserflasche aus seiner Manteltasche, setzte sie an den Mund, und leerte die Flasche gierig in einem Zug.
Doch jetzt, Henry streckte sein Kinn herausfordernd und wieder selbstbewusst nach vorn, war er endlich durch die Medikamente und die geförderten Sozialkontakte im Gefängnis zu einem geläuterten, gefühlvollen und besseren Menschen geworden. Jedem würde er ab dem heutigen Tag beweisen, dass er gelernt hatte, was Moral und Anstand bedeutete. Henry dachte dabei an die letzten Worte, die ihm Dr. Gote gestern beim Abschlussgespräch noch mit auf den Weg gegeben hatte:
„Henry, Sie haben sehr gut bei allen therapeutischen Übungen und Tests mitgearbeitet, wir können stolz auf unsere gemeinsame Arbeit sein. Ihre ungewöhnliche psychische Störung hat sich nach meinen, wenn ich so sagen darf, sehr profunden und erfolgreichen Behandlungen zu einer absolut normalen Verhaltensweise entwickelt. Im Prinzip sind Sie für mich, gewissermaßen, ein neuer Mensch. Erinnern Sie sich an meinen guten Rat, Henry, den ich Ihnen gegeben habe, wenn Sie an sich zweifelten?“
Und ob sich Henry daran erinnerte! Wie ein Mantra hatte ihm dieser Psychiater mit den bedeutsam hochgezogenen Augenbrauen und der näselnden Stimme immer wieder denselben Satz eingetrichtert: „Jeden Tag eine gute Tat, Henry! Denken Sie an meine Worte, wenn Sie eines Tages wieder draußen sind: Jeden Tag eine gute Tat!“
Mit ruhigen, zielgerichteten Schritten ging Henry durch das kleine Wäldchen, voller Zuversicht und Vorfreude auf sein weiteres Leben. Kurz darauf gelangte er an einen großen, wunderschön angelegten Teich. Ein glückliches Lächeln glitt über sein Gesicht, als er sie sah: Seine Bank, sie stand tatsächlich noch auf dem gleichen Platz!
Zufrieden registrierte Henry um sich herum eine wunderbare Ruhe, denn weit und breit war niemand zu sehen. Nur ein paar Enten schnatterten am Ufer und putzten sich ausgiebig ihr Gefieder. Wie ein frisch verliebter Jüngling fühlte Henry bei ihrem Anblick augenblicklich hunderte von Schmetterlingen in seinem Bauch aufsteigen.
So innerlich aufgewühlt steuerte Henry, vorbei an einigen wildgewachsenen Sträuchern, auf die Bank zu; gleichzeitig genoss er den Anblick der hoch aufschießenden Wasserfontäne inmitten des von gelben Wasserlilien umgebenen Sees. Seine Nasenflügel öffneten sich leicht, und Henry inhalierte den zu ihm herüberwehenden würzigen Geruch von Blüten, Gräsern und den Bäumen mit ihrem frischen Grün.
Ein zischendes Geräusch – dicht über seinem Kopf – riss Henry aus seinen wohligen Gefühlen. Kurz darauf hörte er, einige Meter von ihm entfernt, etwas ins aufspritzende Wasser klatschen. Henry runzelte verärgert die Stirn, wischte sich ungehalten mit der Hand über die Augen und schaute genauer hin. Aus den sich langsam ausbreitenden Kreisen erblickte er einen auf und nieder hüpfenden Angelköder.
Wie aus einem wunderbaren Traum unsanft geweckt, starrte Henry entgeistert auf die im Wasser tänzelnde rote Spitze. Seine Augen fixierten den Köder und glitten dann langsam, ganz langsam die Leine entlang, bis er sie hinter einem nahegelegenen undurchsichtigen Busch verschwinden sah.
Henry fühlte sich augenblicklich empfindlich gestört. Er spürte, wie das Blut in seinen Kopf stieg und dort einen unangenehmen, immer stärker werdenden Druck auslöste. In geduckter Haltung und mit zu Schlitzen verengten Augen näherte sich Henry jetzt auf Zehenspitzen vorsichtig dem Gebüsch, hinter dem die Schnur verschwunden war.
Tatsächlich erblickte er hinter dem Strauch einen am Ufer sitzenden Angler, die Kapuze seines Anoraks war über den Kopf gezogen. Neben ihm lag eine weitere Angelrute und allerlei Angelzeugs; außerdem stand dort noch ein mit Wasser gefüllter Eimer, in dem sich ein größerer Fisch hin und her bewegte.
Wie hypnotisiert starrte Henry erst auf den Angler, der ihn nicht bemerkt hatte, dann auf den sich windenden Fisch. Ein seltsames, schmerzhaftes Kribbeln überkam ihn: Von seinen Füßen und Zehen fühlte er es aufsteigen, hinauf in seine Beine, in seinen Unterleib, lief eisig über seinen Rücken, bis in seine Arme und Hände. Henry schauderte und der Druck in seinem Kopf wurde fast unerträglich: Wie konnte dieser Mensch nur so grausam und imstande sein, den armen, hilflosen Fisch, in diesem für ihn doch viel zu kleinen Eimer, gefangen zu halten!
Er horchte auf. Nein, unmöglich, das konnte nicht sein! Kalte Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn. Aber es gab kein Zweifel für Henry. Er hörte es ganz genau: Das Tier sprach ihn an!
„Hol mich hier raus, Henry! Ich ersticke! Tu doch etwas, Henry! Hier geschieht ein Verbrechen, Henry, siehst du das nicht? Das ist schlecht – schlecht – schlecht!“
Gleichzeitig, und wie aus weiter Ferne, durchdrang ihn jetzt ebenfalls die mahnende Stimme seines Psychiaters: „Jeden Tag eine gute Tat, Henry, dann wird alles gut werden. Denken Sie immer an meine Worte. Jeden Tag eine gute Tat!“
Beide Stimmen vermischten sich zu einem chaotischen, wilden Durcheinander und das enervierende Dröhnen in seinem Kopf wurde stärker und heftiger.
Mit starrem, vorwärts gerichtetem Blick in Richtung des Fisches, hob Henry schwerfällig seine Hände, als trage er eine unendlich bleierne Last. Gleichzeitig spreizten sich seine Finger, als wollten sie einen Ball greifen, seine Füße setzten sich in Bewegung. Zielsicher, unaufhaltsam und völlig lautlos näherte sich Henry dem Mann, der immer noch mit der Angel in der Hand regungslos dasaß und den roten Punkt in der Mitte des Teiches beobachtete.
*
Am nächsten Tag berichtete die Tageszeitung über einen ungewöhnlichen Mord:
„Der in der Fachwelt anerkannte und renommierte Psychiater Dr. Simon Gote wurde erwürgt am Ufer des städtischen Weihers aufgefunden. Als Verdächtigen hat die Polizei einen stark verwirrten Mann festgenommen, der, so wurde uns berichtet, zwei Tage zuvor aus der forensisch-psychiatrischen Klinik entlassen wurde und wohl Patient des ermordeten Arztes war.
Das Motiv des Täters sei noch unbekannt. Bei seiner Verhaftung hätte der Verdächtige einen leeren Wassereimer mit seinen Händen umklammert und immer wieder die gleichen Sätze wiederholt: „Jeden Tag eine gute Tat, Henry, dann wird alles gut! Jeden Tag eine gute Tat…!“
Wie die Spinne im Netz
Lesen Sie Zeitung? Schauen Sie jeden Tag Nachrichten? Unternehmen Sie etwas gegen die Missstände auf dieser Welt? Mein Name ist Henriette Groß, und was mich angeht, so gehe ich mit gutem Beispiel voran.
Lassen Sie mich erklären: Der eine hasst Spinnen, die andere hasst Kapitalisten. Ich hingegen hasse Erpressungen. Diese Form von Gewalt ist mir äußerst zuwider. Es geht gegen meine innerste Überzeugung, und es ekelt mich förmlich, wenn ich nur davon lese oder höre.
Ich weiß nicht, wie Sie es empfinden. Aus meiner Sicht ist ein Erpresser – bitte verstehen Sie darunter jegliches Geschlecht, da mache ich keine Ausnahme –, im Grunde genommen ein schlechter Mensch. Ich verachte daher ihn und seine Tat. Dieser Mensch hat keinen Respekt. Kein Respekt vor Privatleben, kein Respekt vor Gefühlen, kein Respekt vor intimen Geheimnissen. Er benutzt sein Wissen lediglich, um sich materiell und individuell zu bereichern. Für mich ist diese Form von Eigennutz charakterlos, heimtückisch und in keiner Weise zu tolerieren.
Sie meinen, die Polizei, das sogenannte „Auge des Gesetzes“, kümmert sich um diese ehrlosen Schnüffler? Mag sein, aber wohl auch nur in den Fällen, wo dieses „Auge“ nicht blind ist, falls sie überhaupt bei einer Erpressung eingeschaltet wird.
Nein, ich spreche von den Fällen, wo offizielle Institutionen nicht eingeschaltet werden; wo die unter Druck gesetzten Opfer bezahlen, sei es aus Angst vor Repressalien, vor negativer öffentlicher Meinung, vor physischem oder materiellem Verlust. Glauben Sie mir: Ich weiß aus langjähriger Erfahrung, wovon ich spreche!
Warum ich Ihnen dies alles erzähle? Nun, ich möchte, dass Sie mich und meine Vorgehensweise verstehen! Denn genau hier greife ich, sagen wir mal, präventiv ein. Gerne gebe ich Ihnen dazu ein Beispiel.
Vor etwa einem Monat kam kurz vor Ladenschluss ein Mann in mein Geschäft. Es ist ein Geschäft für alte Möbel; allerlei kleines und größeres Mobiliar gibt es bei mir zu kaufen. Sollten Sie also einmal etwas Wertvolles von sich veräußern wollen, können Sie mich gerne kontaktieren, denn … Aber, bitte entschuldigen Sie, ich schweife ab.
Der späte Kunde war ein Kerl von kräftiger Statur, ungepflegter Kleidung und hässlichem Äußeren. Wissen Sie, ich achte sehr auf meinen Ruf. Daher schaue ich mir jeden Kunden bei ihrem Eintreten sehr genau an. Ich erkenne sofort, was ich von ihnen erwarten – oder eben nicht erwarten kann!
Die Woche war ziemlich anstrengend gewesen und ich fühlte mich ein wenig matt. So wollte ich an diesem Abend pünktlich schließen. Andererseits: Ein mögliches Geschäft kann und will ich mir nicht entgehen lassen, also ließ ich den Kunden sich zunächst ein wenig umschauen.
Nach einigen Minuten wand ich mich ihm zu und fragte höflich, ob und was ich für ihn tun könne. Freundlichkeit und ein zuvorkommendes Wesen sind für mich selbstverständlich und - Sie werden mir sicherlich zustimmen - die wahre Seele eines jeden Geschäftes.
„Haben Sie auch Schreibtische?“ Die Frage des Mannes war kurz und klang wenig einnehmend. Sein Mund hatte sich beim Sprechen kaum geöffnet und die Stimme war so leise, dass ich Mühe hatte, ihn zu verstehen. Betont liebenswürdig bestätigte ich seine Frage, auch wenn sein rüder Tonfall mich leicht verärgerte.
Während ich sachlich und professionell das Kaufinteresse meines Kunden zu beurteilen versuchte, führte ich ihn in einen der hinteren Räume, in dem einige Tische standen. Ganz nebenbei fragte ich, ob er einen Tisch mit oder ohne Schublade benötige.
„Natürlich mit Schublade!“, blaffte er mich an. Mein ungehobelter Kunde schaute sich weiter interessiert um, begutachtete intensiv das eine oder andere Exemplar, indem er jeweils auf die Tischplatte klopfte, sie befühlte oder betastete.